Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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He da! Wir wirken auch Wunder!

Weit oben im Firnbachthal auf wasserumrauschtem Hügel stand zur Zeit eine Wallfahrtskirche; wir nennen sie zum Heiligen Kreuz. Diese Kirche leuchtete mit ihren hohen Giebelmauern und ihren zwei Thürmen hinaus in das Alpenthal, sie war weit berufen im Lande und besucht als ein hoher Ort der Gnaden. Die Wände der Kirche, der Sakristei und der Vorhalle waren behangen mit Tafelbildern, darstellend die Wunder, welche an Presthaften und Schwerkranken, an Verunglückten und an Personen in Todesgefahr durch die Kraft des heiligen Kreuzes geschehen waren.

In einer eigenen Kammer, die schwervergitterte Fenster und eine eiserne Thür hatte, befand sich eine Sammlung alter Waffen, Schußgewehre, verrostete Schwerter und Speere und dergleichen, welche siegreiche Krieger hierher geopfert hatten aus Dankbarkeit und zum ewigen Angedenken. Im Laufe der Zeit war die Kammer also eine Art Zeughaus geworden. Die Kirche war in ihrem Innern nicht nach landläufiger Art überladen mit Altären, Statuen, Fahnen und Flitterwerk. Außer den erwähnten Erinnerungstafeln ragten nur die Bildsäulen der zwölf Apostel auf; in einer Seitenkapelle war ein uraltes, fast schwarzes Gemälde auf Goldgrund, die Himmelskönigin darstellend, und auf dem Hochaltare eine Statue der heiligen Kaiserin Helena. Ueber dem Altartische, in einem Kästlein aus Marmorstein, stand ein einfaches Kreuz aus schwarzem Holze. Inmitten dieses Kreuzes war ein schmales, kaum zolllanges, scheinbar fast verwittertes Partikelchen eingelegt – ein Splitter des wirklichen Kreuzes, an welchem Jesus Christus auf Golgatha gestorben war. Das mit einem vergoldeten Gitter versehene Marmorkästchen blieb zumeist verschlossen, aber damit nicht auch der Gnadenquell; gläubige Herzen, die in Liebe und Hoffnung kamen, gingen von ihren Leiden geheilt oder wenigstens getröstet von hinnen. Zu hohen Festtagen wurde das heilige Kleinod dem Volke ausgestellt; aber es ergab sich, daß die Beseligung der Gläubigen eine reinere war, wenn sie die Reliquie nicht mit leiblichen Augen schauten, sondern mit jenen des Herzens.

Besonders in allgemeinen Nöten, in Seuchen, Ueberschwemmungen und Feindesgefahr nahm das Volk seine Zuflucht zum heiligen Kreuze. Weil der Ort vor allem in Kriegszeiten gesucht war und weil an demselben mancher Bund zu Schutz und Trutz geschlossen worden, so hatte man schon in früheren Jahren über dem Haupteingang dieser Gnadenkirche die Worte geschrieben: Gott, Kaiser und Vaterland!

Auf dieses Gotteshaus spielte der Domherr zu Brixen an, als er sagte, sie sollten dem Feinde das Gewehr nur ausliefern, sie hätten noch das Kreuz. Und zu diesem Gotteshause wurde nun im Thale des Eisack und weiter umher, selbst vom Inn her und von der Etsch, eine Buß- und Bittprozession angeordnet. Sonst zogen solche Züge unter Böllerkrachen aus, diesmal gingen sie ganz still von Brixen fort und jeder anstoßende Weg brachte neue Scharen, die sich mit dem Hauptzuge vereinigten. Es war eine Beterschar, wie das Land kaum eine je gesehen. Müßige Leute, welche die Zahl der Wallfahrer schätzten, rieten so herum zwischen sechs- und zehntausend! Die Straße war viel zu schmal, der Menschenstrom ergoß sich breit aus über Wiesen und Fluren. In Engen und über Brücken staute er sich, so daß Hunderte ihren Weg an steilen Hängen hin, oder barfuß durch das Wasser nahmen. Jede der betheiligten Pfarreien hatte eine Kirchenfahne mitgeschickt, die auf hoher Stange über den Häuptern flatterte. Der Priester waren ungezählte, vom Gesellpriester im fadenscheinigen Talar an bis zum Prälaten mit der goldenen Kette. Die Weiber trugen dunkles Bußgewand, die jungen Mädchen sahen aus wie Schäferinnen im Märchen, sie waren größtenteils in weißen Kleidern, hatten frische Rosmarinkränze ins Haar geflochten, und es steht zu vermuten, daß manche junge Maid unter der geschmeidigen Leinwand einen kratzenden Bußgürtel getragen, wie es alte Sitte vorschrieb. Die leiblichen Freuden standen nicht hoch im Werte zu solcher Zeit, der Leib war da zur Abhärtung und zum Kampfe. Auffiel bei dieser Kreuzschar die große Zahl der Männer, die mit langen Stäben, Nahrungsbündel an den Rücken, ernsthaft dahinschritten. Den bayrischen Behörden, die sich überall wieder an die Posten begeben hatten, war eine solche Zusammenrottung schier bedenklich erschienen, allein da sie keine Waffen sahen und da sie Auftrag erhalten hatten, dem Volke gegenüber in religiösen Dingen duldsamer zu sein, als vor dem Aufstande, so ließen sie gewähren. Zudem lagerte nächst Brixen, auf der Klöckelau, eine Abteilung französischer Soldaten. Die gaben den Behörden das nötige Selbstvertrauen.

Peter, der Mahrwirt, und Bruder Augustin hatten sich beim Stollkreuz außerhalb der Stadt von Weib und Schwester verabschiedet. Wohlgemut kehrte Frau Notburga an die Mahr zurück, denn sie hatte das Vertrauen auf Gott, und daß dieser Wallfahrtszug eine besondere Bedeutung hatte, das wußte sie. War er ein Bittgang oder eine Flucht oder etwas andres, Peter mußte mit, denn daß Gefahr drohte, das lag in der Luft.

Also wogte das betende Heer hin durch die langgestreckten Thäler gegen den fernen Gnadenort, wo jedes in seinem Anliegen Trost und Rat zu finden hoffte. Einer der eifrigsten Ordner des Zuges war Kulber, der Steuereinnehmer, mit treffenden Worten wußte er unterwegs das Volksbewußtsein der Tiroler zu stärken und den Haß gegen die fremden Eindringlinge zu entflammen. Er verglich diese Wallfahrt mit den Kreuzzügen des Mittelalters und es könnte sich wohl ereignen, daß sie mit dem Kreuze auszögen und mit dem Schwerte zurückkehrten!

Die Priester hatten sich nicht abgesondert, sondern gingen verteilt in der Menge, Erbauung und Mut zusprechend, wo es not that. Manche, deren Füße unter Tags wund geworden, deren Kraft und Begeisterung bei der Mühsal der Reise erlahmen wollte, beklagten sich über den weiten Weg. Ob man denn nicht eine andre, näherliegende Wallfahrtskirche hätte wählen können? Es sei die Mutter Gottes zu den drei Brunnen, es sei Unsre liebe Frau auf dem grünen Anger, es sei die Gnadenkirche des heiligen Franziskus, es sei die Wunderkapelle zum rosenfarbenen Blut, es sei die Kirche zum Landespatron Josef – diese alle und viele andre stünden näher und hätten Mirakel über Mirakel aufzuweisen; warum gerade die weite, beschwerliche, kostspielige Reise nach der Kreuzkirche!

Augustin, der solche Klagen hörte, sprach: »Je weiter der Weg, desto größer die Gnade.«

Ja, sogar über die Kostspieligkeit murrten viele, die bereit waren, dem Vaterlande ihr Leben zu opfern und die es schon aufs Spiel gesetzt hatten. Der Bauer gibt lieber sein Blut als sein Geld. Aber wieviel Geld wird nötig sein für das, was die Führer planten! Wenn die Leute den Beutel ausleeren sollen bis auf den letzten Groschen, da muß freilich ein besonderes Wunder geschehen.

Peter, der Mahrwirt, ging mit seinem langen Stabe und mit seinem schweren Bündel – er trug auch die Lebensmittel für seinen Schwager und für eine alte Muhme, die hinterdrein humpelte – stets ein wenig abseits vom Troß und hatte den breitkrempigen Hut tief über das Gesicht gezogen. Man wußte nicht, war er in Andacht versunken oder wollte er sonst ungestört sein; aber er selbst wußte es wohl. Andacht hatte er keine, es kam ihm so absonderlich vor, ihm war angst und bang. Da sangen und beteten sie hell, er konnte nicht beten. Wir sind keine Tiroler, wir sind an Bayern verthan! Diesen Gedanken brachte er nicht aus dem Kopf. Es war kein Zorn mehr da, nur unendliche Bitterkeit, und die that weher als der frische, heiße Zorn. Was war denn übriggeblieben von allem Festhalten und Opfern und Streiten, als diese Wallfahrt nach dem heiligen Kreuz, um Gottes Schutz zu erbitten für die Kameraden, die auf gefährlicher Flucht waren! Kehrten sie zurück, dann wollten sie sich zusammenthun, aber nicht mehr, um den Feind zu vertreiben, sondern um selbst fortzuwandern und in der weiten Welt eine neue Heimat zu suchen.

– Unrecht leiden ist sündig!

Peter wendete sich rasch um. Hatte hinter ihm nicht jemand so gerufen? Es war aber doch niemand da; nur ein altes Männlein mit langen weißen Haaren, die im Winde flatterten, weil der alte Filzhut an einer Schnur hinten am Nacken hing, dieses humpelte ihm eilig nach und rief mit dünner, kurzatmiger Stimme: »Laß Zeit, laß Zeit, Mahrwirt, ich will auch mit. Aufs Boarnderschlagen richten wir uns wieder zusamm', gelt! Und du wirst unser Hauptmann, gelt?«

»Dummheiten,« brummte Peter, »denk' jetzt aufs Beten !«

»Freilich wirst es, Mahrwirt! Und lustig wird's wieder, wir sind alle bereit.«

Der Mahrwirt wendete sich seitab und that, als ob er einen lose gewordenen Schuhriemen binden müsse. Der Alte wollte auf ihn warten, da sagte er: »Geh nur voran, Seppel, ich werd' schon nachkommen.«

Der Alte ging freilich voran, statt dessen aber kam nun ein andrer des Weges, der schwarze Kulber. Der hatte auf diesem Wallfahrtswege auch ein schwarzes Gewand an und eine weiße Halsbinde um, so daß man ihn für einen Geistlichen hätte halten können. Auch war er glatt rasiert, so daß seine Augen noch dunkler brannten in dem blassen Gesichte.

»Versteck' dich, wie du willst, ich erlang' dich doch!« also redete er den Mahrwirt an.

»Wer versteckt sich?« entgegnete dieser. »Wer mich braucht, der wird mich immer zu finden missen.«

»Manchmal schickest aber einen, der dich braucht, doch bei der Thür hinaus!« sagte Kulber, anspielend auf seinen Besuch im Mahrwirtshause. »Und deswegen, Peter, gehe ich dich auf der offenen Straße an, da kannst du mich nicht hinausschicken.«

»Die Straße gehört jedermann,« antwortete jener.

»Und sie führt nach der Kirche zum heiligen Kreuz,« sagte Kulber leise. »Du weißt doch alles? Du weißt doch, weshalb wir alle zum heiligen Kreuz wandern.«

»Weil wir dort beten wollen.«

»Beten können wir auch, aber das ist nicht die Hauptsache,« sagte Kulber, indem er den Mahrwirt am Arm nahm und auf der Straße mit ihm voranschritt, langsam, daß sie den Troß nicht einholten. »Ja, Mahrwirt, wir werden uns auch die schönen Stutzen und guten Braxen anschauen, die sie dort hingeopfert haben. Und auch die andern Waffen. Du weißt wohl, daß unterhalb der Kirche weite Gewölbe sind, ich glaube, man hat sie für Begräbnisstätten gebaut. Jetzt sind sie ganz voll mit Gewehren, Spießen und Messern, und was man halt so braucht. Für mehrere tausend Mann soll's reichen. Diese Sachen werden wir abholen. Und darum gehen wir hin.«

Peter riß seinen Arm los und sprach: »Was redest denn da?«

»Und du wirst dir den feinsten Offizierssäbel nehmen.«

»Ich rühr' nichts an!« rief Peter. »Ich sag' dir's zum letztenmal, Kulber, mich laß in Fried'!«

Der andre sagte: »Peter, du bist feig geworden.«

»Ich will kein Verräter sein!«

»Verräter bist du, wenn du nicht mitthust.«

Der Mahrwirt blieb stehen, schaute starr auf Kulber und sagte: »Ich werde nicht mitthun.«

So gingen die beiden Männer auseinander. Kulber mischte sich wieder unter die Menge, Peter hielt sich abseits und sein Herz war ungestüm. Er dachte an die Umkehr, wollte aber doch die Wallfahrt nicht unterbrechen, und er hoffte Trost und Erleuchtung an der Gnadenstätte. –

Wo die Kreuzschar an einer Kirche vorüberkam, da pflegte sie anzuhalten und derselben ihren Gruß darzubringen. Eines Abends erreichten sie die Waldkirche des heiligen Franziskus. Diese stand einsam in einem waldigen Thalgrunde; hinter ihr und mit Mauern verbunden war ein Klostergebäude, still und halb verfallen; zu den Fenstern dieser Mauern wuchsen Erlstauden heraus. In einer der noch erhaltenen Kammern entdeckten umherspähende Wallfahrer einen dünnen, blassen Franziskaner. Der war da, um die Kirche zu versorgen und alles um ihn schaute kümmerlich aus. Von der Kirchenwand löste sich stellenweise der Mörtel so, daß die ungefügen verwitterten Steine hervorstarrten; an der Mittagsseite waren die Ziffern einer Sonnenuhr gemalt, aber es fehlte der Zeiger. An den Antrittsteinen des Einganges wuchs zwischen den Fugen grünes Moos hervor. Ueber dem Spitzbogen des Thores stand verbleicht und stark verwaschen der Spruch: »Mensch, deine Heimat ist im Himmel.«

Weiterhin am finsteren Berghange standen etliche Häuser und Scheunen. Davor war ein weiter Anger, auf welchem die Wallfahrer sich niederließen. Denn hier gedachten sie zu nächtigen. Am nächsten Frühmorgen sollte es dann weiter gehen, um am Abende endlich am Ziele zu sein bei dem Kreuze des Erlösers. Es war von dort zwar durch einen Fuhrmann schlimme Nachricht gekommen. Bayern sollten an der Kirche ein Fenster erbrochen und die angesammelten Waffen weggenommen haben. Als Kulber das hörte, rief er aus: »Das ist nicht wahr!« und der Fuhrmann antwortete darauf gelassen: »Nun, so ist es nicht wahr. Ich hab's ja auch nur so gehört.« Es war weiter nicht davon die Rede und sie begannen auf dem Anger sich niederzulassen.

Der Franziskaner hatte, als auf der Straße die ersten Wallfahrer sichtbar geworden, sofort das windschiefe Kirchenthor sperrangelweit aufgemacht, am dämmernden Altare das »Ewige Licht« angezündet, den hölzernen, mit Eisen beschlagenen Opferstock an das Eingangsthor gerückt und angefangen, das Glöcklein zu läuten. Als etliche der Wallfahrer nahe kamen, eilte er durch ein Hinterpförtchen in seine Zelle, wo er sich, vor einem Totenschädel knieend, finden ließ.

Die Kirche war nach wenigen Minuten voller Leute, und der Platz vor derselben und den Anger hinab bis zur Straße war voller Leute, die einen Teile beteten laut, die andern sangen, so daß ein Gewirr von Hall und Schall war, daß kein Mensch hätte etwas verstehen können. Es war ja aber auch nicht für Menschen berechnet. An die Kirchenwand, an die Klosterruine, an die Bäume lehnten sie ihre Fahnen hin und viele schickten sich sofort an zur Rast auf dem Anger. Es dämmerte schon der Abend, da begannen jüngere Leute auf dem Platze Holz zusammenzutragen, um Feuer anzuzünden. Dann machten sie Fackeln und Lunten und zogen mit denselben in langer Reihe zur Kirche hinauf, deren Mauer bei so seltsamen Lichtern in trüber Glut leuchtete.

»Da ist's wohl auch schön,« sagten etliche Leute zu einander, »da ist's wohl auch schön. Ich gehe nit mehr weiter, beten kann man auch da.«

Die zur Kirche des heiligen Franziskus hinaufzogen, hoben gemeinsam ihre hellen Stimmen zu folgendem Gesange:

»Der Tag ist vergangen,
Die Nacht ist schon hier,
Gute Nacht, o Maria,
Bleib ewig bei mir.

O Mutter des Sohnes,
O reinste Jungfrau,
Vom Hort deines Thrones
Auf uns niederschau.

Wir sind arme Sünder,
Wir weinen zu dir,
Laß, Mutter, dich finden
Und rasten dahier.

Der Tag ist vergangen,
Die Nacht kommt herzu,
Gib auch den Verstorbnen
Die ewige Ruh.«

Die schwermüthigen Töne dieses Liedes waren kaum verhallt, als auf dem Söller des Klosters der Franziskaner sichtbar wurde. Er war jetzt nicht mehr blaß, sein hageres Gesicht glühte fast bläulich rot bis zur hohen, oben in einer Glatze zugespitzten Stirn. Er hob die beiden Arme und hub im Predigertone an so zu sprechen:

»Liebe katholische Christen!

Gelobt sei das heiligste Herz Jesu und Maria!«

Die Menge wurde aufmerksam, einer flüsterte dem andern zu, still zu sein und der Mönch fuhr fort:

»Brüder in Christo!

Ihr pilgert den weiten Weg hinauf nach der Kirche, genannt zum Heiligen Kreuz, um dort fürs Vaterland zu beten. Ich aber sage euch: Menschen, euer Vaterland ist im Himmel. Kümmert euch nicht um irdisch Gut und Ehr, denn das alles ist eitel. Vergießet keines Bruders Blut für die nichtige Scholle, die ihr auf Erden eure Heimat nennt. Menschen, eure Heimat ist der Himmel. Alles Leid und alles Unrecht, das durch Gottes Zulassung euch böse Leute anthun, leidet es mit Geduld und Demut, damit ihr gekrönt werdet mit der Krone des ewigen Lebens. Die Rettung des Landes Tirol, stellet sie Gott anheim, rettet eure Seele, das jüngste Gericht ist nicht mehr weit! Der Herr hat es gefügt, daß ihr auf eurer Reise in die Ewigkeit rastet an diesem heiligen Orte, so wie Jakob gerastet hat zu Bethel. Auch unser kreuztragender Heiland hat gerastet hier an dieser Kirche, die dem heiligen Franziskus geweiht ist. Lasset euch, ihr lieben Christen, bevor der Schlummer euer Auge schließt, ein Wunder erzählen, was an dieser Stätte geschehen ist.«

Einige Pilger waren während dieser Worte des Franziskaners unruhig geworden, besonders Kulber wollte schon aufschreien und den Redner unterbrechen. Aber das Tiroler Volk unterbricht keinen katholischen Prediger, er mag sagen, was er will. Und der Franziskaner sagte doch nichts Neues, nur mit größerem Feuer sprach er, als andre es thun, und ein Wunder wollte er nun erzählen! Die Menge drängte sich dem Redner näher, und dieser fuhr, mit den Armen lebhaft seine Worte begleitend, also fort:

»Als vor mehreren Jahrhunderten die Kreuzritter aus dem heiligen Lande die Partikel des Kreuzes Christi nach Rom mitgebracht, damit sie alldort vom heiligen Vater geweiht werde, hat ein frommer Graf von Tirol diese heilige Partikel vom Papst ausgebeten und für seine besonderen Verdienste sie auch erhalten. Hierauf hat der Graf weit oben im Firnbachthal, wo sein Stammschloß gestanden, eine prunkvolle Kirche bauen lassen, in welcher die Reliquie, als da ist das Holz vom Kreuze, beigesetzt werden sollte. Drei Priester haben hernach die Reliquie in unser Land hereingetragen und der neuen Kirche zu, weit oben im Firnbachthale. In der letzten Nacht der Reise haben die drei Priester hier geruht, hier im Kloster des heiligen Franziskus, der an seinen Händen die drei Wundmale Christi hat. Aber sehet, liebe Christen, wie sie nächsten Tages hinauf sind gekommen zur neuen Kirche, haben sie die heilige Partikel nicht bei sich gehabt. Voll großer Angst sind sie eilig umgekehrt, der Meinung, daß sie dieselbe hier vergessen haben könnten, und richtig, die Partikel ist in dem Tabernakel des Hochaltares in unserer Kirche gewesen. Dort haben sie solche feierlich gehoben und wohl mit Fleiß zur neuen Kirche hinauf getragen. Jedoch, o Wunder über Wunder! am nächsten Morgen haben sie das Heiligthum dort wieder nicht gefunden, sondern es ist in unsrer Franziskanerkirche gewesen, im Tabernakel. Also ist es dreimal geschehen. Und als sie sich davon wohl überzeugt hatten, daß die Partikel in der neuen prunkhaften Kirche nicht bleiben wolle, sondern unsre Kirche, diese Kirche, die hier steht, zu ihrem gebenedeiten Wohnsitz erkoren hatte, haben sie selbst ein Kreuz gemacht, in dasselbe ein Stücklein Holz aus Alpenzirm hineingelegt und es geheißen den Splitter aus dem Kreuze unsres Herrn Jesu Christi . . .«

»Schweigen sollst du!« rief jetzt eine kräftige Stimme aus der Menge, »du lästerst Gott!«

Der Franziskaner ließ sich durch den unerhörten Zwischenruf nicht irre machen, er beugte sich weit vor und schrie mit aller Kraft: »Das wahrhafte Kreuzholz ist bei uns in der Franziskanerkirche!«

»Gott verzeihe es dir!« rief die Stimme aus der Menge; die Leute wußten sich vor Staunen kaum zu fassen.

»Armseliger Laie da unten!« schrie der Mönch, »das wahrhaftige Kreuzholz ist bei uns, und es ist bei uns, und es ist dreimal und es ist ewig bei uns!«

Jetzt trat, mit den Ellbogen sich durcharbeitend, der junge Pater Augustin vor, und zum eifernden Franziskaner gewendet, sagte er in schwerem Ernste: »Kein Laie ist es, der jetzt vor dir steht und von dir Rechenschaft fordert, sondern ein katholischer Priester, dessen Würde du entehrest. In geifernder Eifersucht verleumdest du die Kirche zum Heiligen Kreuz und ihre Reliquie, deren Echtheit durch zahllose Wunder bewiesen ist.«

»Wir wirken auch Wunder!« entgegnete der Mönch auf dem Klostersöller, »und gerade so gute Wunder, als anderswo, und vielleicht bessere Wunder! He da! Wenn sie nur erst nicht vorübergehen an uns, die Wallfahrer, und wenn sie nur zukehren bei uns und fleißig beten und ihre frommen Opfer bringen, wie sie es anderswo thun, dann werden sie schon sehen! Machet doch einmal die Augen auf, liebe Christen, und sehet, wie bettelhaft es bei uns hergeht: die ehrwürdigen Brüder davon, das Kloster zerfallen, die Kirche verlottert, und ich der einzige, der da sitzen bleiben muß, lebe von milden Gaben, die oft lumpig genug sind. Wie sollen da Wunder geschehen? Ja, pfeifen wird man euch was, und die heilige Partikel . . .«

»Führt ihn herab!« befahl jetzt ein Domherr aus Brixen, »führt in schnell herab, er ist krank, er redet Aberwitz.«

»Besoffen ist er!« riefen mehrere Stimmen und lachten.

Da sagte Augustin: »Er ist weder krank noch besoffen. Aus ihm spricht die Selbstsucht.«

Der Franziskaner, den man von seinem Söller nicht herabzukriegen wußte, stieß mit den Fäusten in die Luft hinein und schrie: »Ist Gott nicht überall? Ja? Also warum soll er hier nicht sein? Just hier in der Kirche des heiligen Franziskus nicht? Heiden, die ihr seid! Und wenn er da ist, warum soll er da nicht ebenso Wunder wirken, als an Orten, wo man Lärm schlägt! An euch ist die Schuld, wenn nichts geschieht. Der Glaube fehlt euch, und wenn ihr wähnt, da oben allein wäre der Richtige und dahier beim heiligen Franziskus wäre er nicht, so seid ihr verfluchte Heiden!«

Jetzt gixte ihm die Stimme um, daß er nicht mehr weiter sprechen konnte. So sagte nun Augustin: »Wehe, wenn es mit der Religion so weit kommt, daß man die heiligsten Dinge zu Geschäftssachen macht! Dann hat Gott uns verlassen!«

Nun war auch der schwarze Kulber da, der stellte sich im Scheine der Fackeln mit ausgebreiteten Armen auf den Plan und rief: »Recht ist's! Gut ist's! Gott soll uns verlassen, damit wir uns selber helfen müssen! Ich sage es euch, wenn es so steht, kommt uns vom Kreuzpartikel kein Heil. Ich weiß ein anderes Kreuz, Tiroler, ein Kreuz, das uns rettet in unsrer furchtbaren Not. Das Kreuz am Schwert! Lasset jetzt das Streiten um die Wunder und macht euch nicht weich mit Beten. Die Weiber sollen beten. Die Männer müssen vor den Feind. In der Kirche zum Heiligen Kreuz sind die Waffen. Auf, Männer, für uns gibt's jetzt keine Rast!«

Diese Worte des Kulber waren so leidenschaftlich wild herausgestoßen, daß eine unheimliche Erregung und Bewegung entstand. Die einen murrten noch über den Bruder Augustin, daß er so derb gegen den ehrwürdigen Franziskaner dreingefahren war. Die andern standen gegen den Steuereinnehmer, der wie ein Freimaurer gesprochen hätte. Wieder andre meinten, jetzt sei es gerade am besten, Pilgerstab und Rosenkranz wegzuschmeißen und heimzugehen, die Andacht sei ohnehin beim Teufel, alle miteinander. Aber Männer von oben und unten rotteten sich rasch zusammen und waren darüber einig: Recht hat der Kulber!

Also erhob sich in der Menge ein Streiten und Schelten, ein Anspötteln und Zurückgreinen, und weil viele Müdlinge darunter waren und solche, denen das weite Umherziehen für ihr gutes Geld nicht behagte, so gewann die Partei des Franziskaners an Ausdehnung. Sie mußte sich darob von der Schwertpartei manches schlimme Wort gefallen lassen, bis zum »falschen Judas« hinauf, sie machte sich ihrerseits aber nichts daraus, sondern sagte, sie litten das geduldig des heiligen Glaubens willen. Und bei solch unerbaulicher Gärung ging in der Menge der Küster mit dem Klingelbeutel um. Die Franziskanerpartei gab den Gegnern zu Trutz zwiefach; die Gegner wollten zeigen, daß sie sich der paar Groschen wegen nicht lumpen ließen und gaben auch zwiefach. Der Küster betete schmunzelnd in seinem frommen Herzen: »Franziskus, Franziskus, jetzt bist wohl brav. Wunder wirken thust!« –

Kulber hatte aus der Wallfahrerschar eine Anzahl kräftiger Männer geworben, mit diesen zog er am nächsten Morgen hinauf gen die Kreuzkirche. Unterwegs kehrten sie in Dörfern und Höfen zu und bewaffneten sich mit Stutzen und Flinten. Das Gerücht bestätigte sich, die Kreuzkirche war belagert von bayrischen Soldaten. Als die Bauern nahten, schossen die Soldaten zu den Fenstern heraus und von den Thurmlöchern herab.

Die Bauern zogen sich rasch in den nahen Schachen zurück und dort hielten sie Kriegsrat.

»Niederbrennen die Kirche!« sagte Kulber.

Die Männer stutzten. Dann entgegnete der Rampesbauer: »Dieses Gotteshaus anzünden, mein lieber Steuereinnehmer, das thun wir nit. Der paar Mandeln wegen das heilige Kreuzpartikel verbrennen, das wär' schon das dümmste, was wir thun könnten. Unser Herrgott muß unser bester Kamerad sein, den auch noch beleidigen? Das thun wir schon gar nit!«

Kulber blieb dabei: den Feind in die Kirche einschließen und anzünden.

»Einverstanden!« sprach der Stauker, »wenn wir früher das Kreuzpartikel herauskriegen.«

Und bald darauf entspann sich zwischen einem Tiroler, der vor der Kirche stand, und einem Bayern, der zum Fenster herausschaute, die Verhandlung. Die Besatzung der Kirche solle gestatten, daß ein Priester hineingehe, das Allerheiligste vom Altare nehme und es davontrage, dann wollten die Bauern abziehen; sonst aber nicht, denn das Gotteshaus zu einer Kriegsburg machen, das könne ihnen nicht gleichgültig sein. Das Heiligste möchten sie heraus haben, nachher könnten die andern mit der Kirche machen, was sie wollten.

Die Bayern waren damit einverstanden, doch müßten die Bauern in geziemender Entfernung bleiben.

Während aus allen Fenstern die Gewehrläufe strotzten, ging ein Priester, begleitet vom Stauker, der in einer Laterne das Licht trug, zur Kirche hin. Das Thor öffnete sich, sie schritten zwischen den Soldaten hindurch bis zum Altare, nahmen die heiligen Reliquien heraus und trugen sie feierlich davon. Mehrere Krieger knieten nieder, als das Heiligste an ihnen vorüberkam; andre spotteten über die »Pfafferei«.

Der Priester schritt mit seinem hohen Gute zum Thore hinaus.

Schon während der Verständigung hatte der Pelzerwastel im Schachen durch eine lange Stange Sprosseln gebohrt, und nachher, während die Aufmerksamkeit der Bayern auf den Geistlichen gerichtet war, huschte er rückwärts durch Hollerbüsche zur Kirche hin, lehnte im fensterlosen Winkel, wo die Sakristei an die Kirche stieß, seine Leiter an, kletterte hinauf und steckte in die Dachschindeln einen Zunder. Die Besatzung in der Kirche bemerkte das Feuer auf dem Dache erst, als der rostbraune Rauch niederstrich vor den Fenstern, so daß drinnen über die weißen Wände die Schatten flogen. Die Bayern drängten fluchend zum Thore hinaus. Kulber kommandierte, daß vom Schachen aus durch Schießen der Feind in die Kirche zurückgescheucht werden sollte, dem widersetzten sich die Bauern – das Gotteshaus wollten sie zu keiner Mörderhöhle machen. Die Bayern waren froh, mit heiler Haut zu entkommen, das Kirchendach stürzte prasselnd ein, das Waffengewölbe blieb unversehrt in den Händen der Tiroler.

Noch lange in die Nacht hinein brannten die Turmhelme wie zwei Riesenfackeln und der Stauker meinte, eine so absonderliche Wallfahrt habe er auch sein Lebtag nicht gemacht. Anstatt Ablaß brachten sie Gewehre, Schläger, Säbel und Spieße mit heim und Kulber rüstete zu einem frischen Tanze.

Mittlerweile hatte der Anhang des Franziskaners unten in der alten Klosterkirche die Wallfahrt verrichtet. Der Pater hielt zu Ehren der Gäste am Morgen eine sehr lange Messe, sprach eine sehr rührsame Predigt, war beim Beichthören gar mild und versöhnlich und trachtete auf jede Weise, den Ort ins beste Licht zu stellen.

Diese Bekehrten waren auf dem Heimwege einstimmig der Meinung: Ob wir kaiserlich sind oder königlich, das alles ist eitel; wenn wir nur in den Himmel kommen.

Als alle schon heimgekehrt waren in ihre Häuser und Hütten, um in gewohnter Alltäglichkeit nun weiter zu leben unter der Fremdherrschaft; als auch jene Männer sich scheinbar fügten, die wirklich oben bei der Kreuzkirche gewesen – war der Mahrwirt nicht da. Das letztemal war er gesehen worden am tollen Abend vor der Franziskanerkirche. Seither wußte niemand von ihm. Der Kreuzwirt zu Brixen hatte eine tröstliche Mutmaßung. Dem Peter dürfte die Geschichte zu dumm geworden sein und er würde sich zur nachtschlafenden Stunde aufgemacht haben nach Kärnten, um die Oesterreicher zu suchen. Nach wenigen Tagen würde er mit der Armee anrücken und dann sollten die Bayern nur wieder einmal sehen, daß das Loch hinaus noch leichter zu finden sei, als herein.

Die bayrischen Beamten, denen solche Redereien zu Ohren kamen, lachten darüber und meinten, der tirolische Löwe hätte Hasenfüße bekommen.

Mahrwirts Magd Hanai hatte auch ihre Gedanken und eines Tages, als sie am Brunnen stand und wartete, bis der Kübel voll war, und als in diesem Augenblicke die Wirtin vorüberging, redete sie diese an: »Du Frau, was meinst denn? Was ist denn das in unsrem Haus? Alle Mannerleut gehen fort und keiner kommt zurück!«

Und Frau Notburga gab zur Antwort: »Ich schau zum Beten, was ich nur kann. Jetzund wird's mir schon frei zu viel, was alles auf mich niedergeht. Gut wird's wohl eh sein, daß er sich versteckt hat.«

»Nit verzagt sein, Frau!« sprach die Magd rasch. »Sie kommen schon wieder. Alle drei kommen sie wieder heim.«

»Alle drei?«

»Alle zwei, will ich sagen, Wirtin, der Große und der Kleine. Thun wir nur recht zum Beten schauen. Der Rosenkranz und die Mistgabel! Kannst dich darauf verlassen, wie auf ein Mannsbild.«

Und stapfte mit ihrem Wasserkübel in den Stall. – Und wenn's Innsbruck kostet, ich schwätz drauf los, dachte die Hanai, aufheitern muß man sie, in ihren jetzigen Umständen soll sie nit so viel Herzleid haben. O Gott, o Gott, diese Mannsbilder!



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