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Kerlchen ging in die Küche.
Jens Jensen leckte eben mit behaglich schmatzender Zunge seine Sektschale aus und hatte heiße Ohren.
»Ich werde noch mal was Großes!« vertraute er Kerlchen ohne weitere Einleitung an. »Der Bäcker-Carl von nebenan sagt, heutzutage könnte jeder was Großes werden, der das Zeug dazu hatte, – ja – und ich hätte es dazu, – ja, und ich werd' hier auskneifen und nach dem Ausland gehen, und wenn ich dann wieder komme – – o Fräulein Feliztas – – dann – – dann – –«
»Du kriegst nie wieder Sekt von mir!« war Kerlchens verblüffende Antwort, und damit ging es hinaus und schlug Jens Jensen die Tür vor der Nase zu.
Der Nachmittag fand die beiden alten Damen schon wieder ganz mobil, das heißt, man sah ihnen den überstandenen Feldzug doch an. Auch ol Marie hatte sich vom Bette erhoben und saß nun wie ein rechtes Häufchen Unglück in der Küche, gepeinigt und gefoltert von den Spottreden Jens Jensens, die sehr spitz und deutlich ihr Ohr trafen. Freilich kribbelte und zuckte es ihr in allen Fingern, und Jens, der sich ein »nattes Joahr« vermuten konnte, hielt sich auch in angemessener Ferne. Unnötige Sorge. Ol Marie war viel zu schwach, den großen Bengel hinauszuwerfen. Nachdem er ihr noch eine gräßliche Geschichte von einer Familie erzählt, die durch Trunksucht fürchterliche Dinge begangen und schließlich im Zuchthaus geendet hatte, empfahl sich Jens unter ohrbetäubenden »Miauen« und ließ ol Marie so ziemlich als Wrack zurück.
Kerlchen saß zwischen Tante Laura und der Kriegsrätin und erzählte diesen von Krischans und Stinas goldener Hochzeit.
»Und davon hab' ich nichts geahnt!« jammerte Frau Karg, »habe nichts vorbereitet, nicht die kleinste Überraschung, o die Sorgen, die Sorgen!«
»Das mach' ich alles! Himmel noch mal!« rief Kerlchen begeistert. »Ich lauf' jetzt fix zum Herrn Pfarrer und erzähl' es ihm, er geht gewiß gleich hinüber, – wir kommen auch, ich schmücke alles ein bißchen aus Ihrem Garten, gnädige Frau, und der Pfarrer segnet das Paar ein. O es wird herrlich! Und dann trinken wir Sekt!«
Ein entsetzter Ruf aus zwei Kehlen zugleich.
»Ja was denn?«
»Keinen Tropfen!« tönte es schwach von den Lippen der Kriegsrätin, und Fräulein von Hartwig stöhnte gleichfalls: »Keinen Tropfen!«
»Na, Ihr braucht auch nicht,« war Kerlchens gnädige Antwort, »ich will Euch nicht quälen. Aber wenn schon bei 'ner lumpigen ersten Hochzeit Sekt in Strömen getrunken wird, dann doch bei der goldenen erst recht. Ich würde dem Jubelpaar ja nie wieder unter die Augen treten können, nach so 'ner Versäumnis.«
»Na denn sorg' nur mien Deern, dat dien Gewissen ümmer so geweckt is,« entgegnete Tante Laura trocken.
Aber sie mußte doch »alle Achtung« sagen, als man gegen Abend in dem festlich geschmückten Salon der Kriegsrätin stand. Blumen und frisches Grün, wohin man nur sah, einen weißgedeckten Tisch mit einer Torte darauf, »öllerhaft wie das Jubelpaar selbst,« behauptete Kerlchen, denn die Torte war ein Ladenhüter und Schaustück des Möllner Konditors.
Die beiden Jubilare waren ganz überwältigt, als sie vor den lichtergeschmückten Tisch traten und der Herr Pfarrer im Talar sie mit warmem Händedruck begrüßte, als Fräulein von Hartwig der Greisin ein goldenes Kreuzchen um den welken Hals hing und dem Alten ein Paar dicke Fausthandschuhe aufnötigte, bei deren bloßem Anblick einem der Schweiß ausbrechen konnte.
Kerlchen hatte ein »Neues Testament« mit großem Druck erstanden, und als die beiden Alten das Buch der Bücher aufschlugen und dabei so engumschlungen standen, gaben sie ein ganz eigenartig schönes Bild, und der Pfarrer schaute über ihre Schulter hinweg auch in die Bibel und holte sich als Text den Spruch, auf den zufällig der zitternde Finger des Greises deutete und redete darüber frisch und verheißend aus dem Stegreif:
»Siehe, ich bin bei Euch bis an das Ende der Welt.«
Ol Marie saß mit einem »Blumenstrutz« bewaffnet in der Nähe des alten Paares und – die Wahrheit muß an den Tag – sie dachte wenig an die schönen Worte des geistlichen Herrn; ihre Gedanken gingen in Ostpreußen spazieren und hefteten sich in bitterm Groll an den treulosen »Dreiguner«, der sie damals sitzen ließ, und mit dem sie doch heute so schön hätte goldene Hochzeit feiern können.
Auch Frau Kriegsrat Karg war nicht ganz bei der Sache, die »Sorgen« schlugen ihr über den Kopf.
»Keine Überraschung, kein angemessenes Geschenk, nichts, nichts und sie stehen doch bei mir in Lohn und Brot, – – was werden die Möllner sagen!«
Und die voraussichtlich schlechte Meinung ihrer Mitbürger über diesen Fall überwältigte sie dermaßen, daß sie noch vor dem »Amen« die Tür aufriß und in den Garten stürzte.
Der Pfarrer hielt einen Augenblick inne und bedeutete Kerlchen mit den Augen, der Hinausgegangenen zu folgen. Die Kriegsrätin saß in der Klematislaube, hatte die Arme auf den steinernen Tisch und den Kopf auf die Arme gelegt und weinte herzbrechend.
»Sie sieht aus, als stellte sie ein lebendes Bild zur Kyffhäusersage« dachte Kerlchen und ärgerte sich über sich selbst, daß es immer »was Dummes« denken mußte auch in den ernstesten Situationen.
Die Kriegsrätin sah auf.
»Kerlchen, ich überwind' es nicht,« sagte sie jammernd, »der heutige Tag ist ein Schlag für mich, man wird mich als ungetreuen Haushalter verschreien, und ich weiß nicht, wie ich mich mit leeren Händen verhalten soll, wenn der Herr Pastor mit seiner Rede fertig ist.«
»Aber Sie brauchen doch nicht mit leeren Händen zu kommen,« rief Kerlchen, »ich sehe das gar nicht ein.«
»Nein, nein, ich weiß schon, was Sie meinen. Kerlchen, aber das widerstrebt mir, so nebenher zum Juwelier zu laufen und in größter Eile ein paar silberne Löffel oder so was auszusuchen, das sieht nach gar nichts aus.«
»Das tut es auch nicht, gnädige Frau, und Sie sollen das auch nicht. Aber ich – ich wüßt' schon, was ich tät –«
Die Kriegsrätin sah etwas bedenklich zu ihrem Ratgeber hin, sie schien kein rechtes Vertrauen zu Kerlchens Ideen zu haben.
»Sie haben doch heute Ihr Testament gemacht, gnädige Frau,« fing Kerlchen eindringlich an, aber die Sorgenrätin fuhr mit zornigen Augen von ihrem Sitze auf:
»Das geht keinen Menschen etwas an,« rief sie heiß und rot im Gesicht, »und ich bin jetzt auch wieder ganz mobil, seit die Krankheit – hm – die Vergiftung aus dem Körper heraus ist, – ich kann noch lange leben, sehr lange, länger als die, die etwa auf meinen Tod lauern.«
»Aber das tut doch niemand, gnädige Frau, und ich will Ihnen doch nur helfen, aus Ihren Sorgen herauszukommen und Gutes zu schaffen. Ihr Testament – – –«
»Es war kein Testament, es war nur 'n Entwurf!«
»Nun gut! Ihr Testamentsentwurf bestimmte für die beiden alten Leutchen 10 000 Mark für treugeleistete Dienste. O das ist ganz herrlich von Ihnen, gnädige Frau! Aber weshalb wollen Sie das nicht heute schon schenken an diesem schönen Ehrentage? Ich würde gar nicht erst warten, bis die Menschen wirklich auf meinen Tod lauerten, ich würde lieber Alles mit warmer Hand fortgeben –.«
Und Kerlchen setzte sich nieder und machte ein Gesicht, als hätte es über Millionen zu verfügen.
Die Kriegsrätin sah eine ganze Weile starr vor sich hin, während ihre Hände nervös über die Falten ihres seidenen Kleides strichen. Sie hatte augenscheinlich noch nie an die Ungeheuerlichkeit gedacht, zu ihren Lebzeiten irgend welche Schenkung zu machen.
»Die alten Leute haben Sie lieb,« sagte da Kerlchen leise und bittend, »die Stina hat sich so um Sie geängstigt!«
Kerlchen hielt es nicht für angebracht, auch Krischans Auslassungen über diesen Fall zu wiederholen.
Noch einer ganzen Weile bedurfte es, ehe die Kriegsrätin mit sich ins Reine kam.
Dann streckte sie plötzlich Kerlchen die Hand hin, sprechen konnte sie nicht, und Kerlchen verstand auch so und lief zu der Festversammlung zurück mit einem unbeschreiblichen Wohlgefühl im Herzen.
Nach ungefähr einer halben Stunde trat die Kriegsrätin ein und steuerte gleich auf das Jubelpaar zu, das sich schon längst heimliche Rippenstöße gegeben hatte: » Se, wat se is, hat uns noch gorni gratleert.«
Aber die feierliche Miene der Sorgenrätin verkündete schon von weitem, daß »was los« war.
»Alte paß up, se giwwt uns twinti Penning up dat Johr to!« raunte der praktische Krischan in wenig hoher Meinung von dem Gebetalent der Kriegsrätin, und die weichmütige Stina heulte laut und war ganz und gar überwältigt von der Rede des Herrn Pastors und der Feierlichkeit des Augenblicks.
»Teihndusend Mark!« schluchzte sie, nachdem die Sorgenrätin ihre Meinung kund gegeben.
»Teindusend Mark! Dat 's toveel, Fru Rätin, Se bringen sik in Ungelegenheiten, und wie künnt dat ni annehmen!«
»Ihr nehmt es zum T.....« – Beinahe hatte die alte Dame geflucht in Gegenwart des geistlichen Herrn, Stina ahnte ja gar nicht, wie schwer ihrer Herrin der Entschluß geworden war, etwas herzugeben, nun wollte die Kriegsrätin aber auch ihre Großmut voll auskosten.
»Ihr nehmt es, und dabei bleibt's, sonst sind wir geschiedene Leute.«
»I wo werden wi denn! Wegen so 'ne Lappalie ward wi doch ni utenanner gahn!« rief Krischan, und nahm die »Lappalie« schmunzelnd in Empfang.
»Dat stimmt jo woll,« meinte er dann bedächtig, »Möten wi nu noch wat Schriftliches gewen? Schrewn Schrift kann ik ni schriewen, äwer drei Krüz † † † kann ik sauber henmalen, dat hett mi mien Nahwer lehrt.«
Stina dankte wortlos.
Und ebenso wortlos, aber mit ausdrucksvollem Blick nahm sie ihrem Manne das Paket wieder ab und überreichte es dem Pastor, und als dieser sie staunend ansah, bat sie flehend: »Um Gottsdausendwillen verwahren Sie das viele Geld, Herr Pastor. Ik verstah da nix von, un min Ol, de makt nur Dummheiten dormit.«
Der Pastor versprach ihr, das Gut zu verwalten, Krischan aber ging höchst nachdenklich abseits und murmelte:
»Wat seggt se? »Dummheiten« seggt se? Un dat an mien gulden Hochtid?«
Um die Sektflasche, die das leichtsinnige Kerlchen wirklich noch ganz staub- und spinnwebenbehangen aus dem Keller brachte, »scharte« es sich vorläufig noch allein.
Der Herr Pastor sah sich bedenklich die Marke an, dachte an seine Würde als Seelsorger und – an seine Frau.
Fräulein von Hartwig und die Kriegsrätin wurden nervös beim bloßen Anblick der Flasche, Krischan lehnte die Teilhaberschaft ab, weil er »einmal in sien Jugend Panschamber gedrunken hätt, äwer ok ni wedder. De hett em in de Näs kribbelt, hätt wie Essig smeckt un nachher wier en förchterliches Gewäuhl in sien Liew west«.
Daß die damalige Marke »Panschamber« nicht gut gewesen, sah jeder ein.
Stina dankte überhaupt, sie trank »ümmer un äwerall nur Kaffie«.
Aber dem wehmütigen Gesichtchen, das Kerlchen aufsteckte, widerstand der Herr Pastor nicht.
»Na ein Glas, Fräulein Kerlchen!«
»Auf einem Bein steht man nicht.«
»Na denn zwei!«
»Aller guten Dinge sind drei, Herr Pastor!«
»Da haben Sie wieder recht! Dies ist auch wirklich ein sehr gutes Ding. Als ich noch in Erlangen studierte – –«
Und nun folgte eine fröhlich-launig-frische Erzählung aus der Bubenruthia, aus Bruck, von Bubenreuth und »Vater Moersch«.
Kerlchen lachte, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen, Tante Laura hätte brennend gern gelacht, aber die sauersüße Miene der Kriegsrätin hielt sie etwas in Schach. Bei Pastoren und Lehrern konnte die Sorgenrätin absolut keine Ausgelassenheiten vertragen.
So verstummte denn der Pastor, nachdem er noch eine kurze Rede auf das Jubelpaar und die Verträglichkeit der beiden Eheleute gehalten hatte.
»Dat 's wohr!« sagte Krischan. »Verträglich sünd wi, da bün ik dran schuld.«
Stina sah ihn vorwurfsvoll an.
»Hew ik wol in uns' ganzen Ehstand een Widerwort hatt?«
»Nee, det hett se nich,« gab Krischan zu. »Aber früher hett se so 'n verdeubelten Oart an sik hat, wenn ik abends mal utgüng un mien Schoppen im smarten Bock drünk un lütten Malör hatt un 'n büschen lat to Hus kümm un se slöppt all, denn seggt se nix, Gott bewohr, nich »Gun Abend« un ni »Goden Weg«, ne, se dreiht sik blot üm, dat de ol Bettstädt gnaren ded un stickt en Swewelsticken an und glupscht nah de ol Wanduhr un säd wedder nix und blast dat Lüch ut un leggt sik wedder hin. Dat hett mi ümmer grunst inwenni un ik heww schimpt un schandeert un mi dat ole Uhrgekucke verbettn, äwer se lett dat jo ni.«
»Na und nun?« Man las die neugierige Frage auf allen Gesichtern, aber nur Kerlchen sprach sie laut und deutlich aus.
»Na un nun deiht se dat ni mihr.«
Krischan paffte große Wolken aus seinem kurzen Pfeifchen.
»Ik heww mal en irnstes Wort mit ehr red't,« setzte er im gemütlichsten Ton von der Welt hinzu, aber die Art, wie er seine Rockärmel hochkrempelte und die Fäuste ausstreckte, zeigte den Zuhörern deutlich genug, welcher Art das »ernste Wort« gewesen war.
Kerlchen wurde ganz rot und schaute ungläubig auf den Alten, aber Stina nahm seine rauhe Hand in die ihre und streichelte sie.
»He is mien Herr!« sagte sie schlicht. Und als ihren »Herrn« später die »Bowle« übermannte, die seinetwegen angesetzt war, und auch von Wochenkindern vertragen worden wäre, da führte ihn das alte Weiblein sorglich in seine Kammer.
»Nu is he mien Kind!« meinte sie.
Ehe sie aber die gastliche Schwelle verließ, dankte sie in rührenden Ausdrücken der Herrin für das »veele, veele Geld« und bat den Herrn Pastor eindringlich um gewissenhaftes Achtgeben auf den Mammon.
»Darin steckt unser ruhiges Öller, Herr Paster. Mien Ol is en Gauden, awer he is uk en Dummen, wenn 't sik um Geld hannelt. Ik heww mit Sorgen an de Tokunft dacht un nu bün ik de Sorgen los. Ik glöw, ik glöw, ik möt noch wo anners danken« und ehe sich's Kerlchen versah, wurde es von einer welken Hand gestreichelt und die glücklichen, dankbaren Augen des alten Dienstboten schauten es liebreich an.
In der Frau Kriegsrätin ging etwas Merkwürdiges vor. Sie hatte sich seit Übergabe der Papiere in ihrer eigenen Großmut buchstäblich gesonnt, nun sah sie das Kerlchen an, wie es den Dank errötend von sich wies, und plötzlich trat sie auf die Gruppe zu und sagte laut:
»Recht hast du, Stina. De lütte Deern is Ursach' – de hett dat dahn.«
Kerlchen verteidigte sich etwas. Aber der Herr Pastor ließ keine Widerrede gelten, fest schüttelte er ihm die Hände.
»Ja, das sieht Ihnen ähnlich,« sagte er.
Kerlchen wiegte den Kopf etwas wehmütig.
»Gerade so war's in meiner Erfurter Pension. Da hieß es auch immer: ›Du bist's gewesen‹, und wenn ich mich verteidigte, so war die Begründung: ›Es sieht dir ähnlich!‹«
Fräulein von Hartwig zog Kerlchen an ihr Herz. »Kleiner Sorgenbrecher!« sagte sie zärtlich und nickte über Kerlchens Kopf hin dem Pfarrer verständnisvoll zu.
»Kleiner Sektbrecher,« ergänzte dieser und trank sein Glas mit sehr viel Verstand leer.
Gleich darauf stand er auf. »Ich habe noch einen wichtigen Gang vor,« entschuldigte er sich, »einen Krankenbesuch, bei dem ich wohl ein Sorgen- oder Sektbrecherchen brauchen könnte, aber – –«
Kerlchen war sofort an seiner Seite.
»Nein, nein, liebes Fräulein, mit der Tür ins Haus kann man hier nicht fallen. Es ist der »Herr aus Brasilien«, wie die Möllner sagen, ich habe ihn aber bereits unter seinem richtigen Namen kennen gelernt: »von Rumohr«.
Kerlchen erblaßte leicht, Tante Laura aber trat rasch ein paar Schritte vor.
»Dat's ni wohr,« rief sie. »De Rumohrs stahn nur noch up twee Ogen, un dese Ogen hüren to den jungen Fritz von Rumohr in Berlin.«
Der Pastor sah sie erstaunt an.
»Kennen Sie die Familie?« fragte er.
»Jawohl, und Kerlchen kennt sie auch, d. h. es ist eben kein Mensch mehr da außer dem Fritz.«
»Nun, wenn Sie den alten Wolfgang von Rumohr sehen würden, würden Sie ihm wohl kaum das »Menschsein« absprechen. Er ist ungefähr noch einmal so groß wie ich und mit einem sehr energischen Organ behaftet – –«
»Herrgott, Wolfgang von Rumohr!« brach Tante Laura los, »es ist die Möglichkeit! Der lebt noch? Und ist heimgekehrt just in unser altes Mölln, wo er als Bub' der Schrecken des Städtchens war? Und jetzt erst erfahre ich eine Silbe von ihm? Seit wann lebt er hier?«
»Seit ungefähr sechs Wochen. Es hat mir Gelegenheit gefehlt, von ihm zu sprechen, obgleich seine Persönlichkeit interessant genug ist, den Gesprächsstoff auf Monate hinaus zu liefern. Übrigens ist er ein kranker, schwerkranker Mann, er will ganz unerkannt und unbekannt hier leben. Ein alter Diener lebt mit ihm, und die Witwe eines hiesigen Handwerkers besorgt sein Haus.«
»Wolf von Rumohr!« – Tante Laura schüttelte den Kopf.
»Sie scheinen sich noch immer nicht über diese Tatsache beruhigen zu können,« meinte der Pastor. »Und unser fröhliches Kerlchen ist ganz still geworden, still und blaß, – wo fehlt's?«
»Nirgends!«
Über Kerlchens Gesicht flog ein schattenhaftes Lächeln, – war es denn so ein schreckhaftes Geschöpf geworden, daß schon eine so einfache Mitteilung von dem Zuzug eines neuen Möllner Bürgers ihr Angst und Herzklopfen verursachen konnte? Aber der Name? Wolf von Rumohr? Und von Fritz hatte es lange, sehr lange nichts gehört – – –«
Der Pastor verabschiedete sich. Die fröhlichen Sektgeisterchen hatten sich verflüchtet, sie begeisterten nicht einmal mehr zu einem »Allgemeinen«, und doch war er vorhin noch im besten Zuge gewesen, seinen eingerosteten Bariton hervorzuholen und sich zu einem Solo aufzuschwingen: »Noch ist die blühende, goldene Zeit, noch sind die Tage der Rosen.«
Kopfschüttelnd schritt er aus dem Zimmer, aus dem Hause, dem Waldweg zu, der nach der »Hütte« führte, dem sonderbaren Bau inmitten grüner Einsamkeit, den sich Wolf von Rumohr zu seinem Wohnsitz gewählt hatte.
Kerlchen räumte Gläser und Teller fort nach der Küche; Stina, die ihren Mann sicher verstaut hatte und wieder auf der Bildfläche erschienen war, half ihm dabei. Sie hielt mit schmunzelndem Seitenblick einen Rest Champagner empor und ermunterte Kerlchen.
»Dat heww ik doch gemerkt, dat Se dat Tüg mögen un dat Se dat ok verdragen känen!«
Kerlchen schüttelte den Kopf.
»Zum Sekttrinken gehört ein fröhliches Herz,« dachte es und atmete tief, hatte es dieses fröhliche Herz mit einem Male nicht mehr? Wie sonderbar! – – –
Dort saß Tante Laura und war so tief in Gedanken, daß sie nichts um sich her gewahrte, dort saß die Sorgenrätin und rechnete, – – ob es ihr wohl schon wieder leid tat, die Großmütige gespielt zu haben? Ach, – wie verändert mit einemmal alles war! Durch was? Durch einen Namen? Einen Namen, der ihm doch sonst so lieb war und auch tausend liebe Erinnerungen weckte?!
»Komm', Kerlchen!« sagte Tante Laura mit etwas rauher Stimme. »Wir wollen nach Hause.« –
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