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Brief von Frau Oberst Schlichen an Kerlchen.
Mein Herzenskind! Du hast mir durch Papas Vermittlung ein so nettes Briefchen geschrieben, daß ich Euch lieben Berliner wahrhaftig alle wie leibhaftig vor mir sehe. Es ist brav von Dir, daß Du alle Deine Thaten und Unthaten so treulich beichtest, aber lieber wäre es mir freilich, wenn meine Felicitas endlich anfinge, verständig zu werden. Papa hat schon alle Hoffnung aufgegeben; er meint, Du würdest immer ein »Kerlchen« bleiben. Ist das wahr? Wie gern holte ich Dich nun selbst von Berlin ab; durch den Brief von Cousine Lölhöffel zieht sich ein leiser Seufzer, als würde sie Dich recht gern los, und zwar bald. Gott Lob, ihre Erlösung von unserem kleinen Strolch ist nahe. Meine liebe Fee, ich reise morgen in unser geliebtes Schwarzhausen, zwar noch nicht ganz gesund, aber doch so weit, daß ich mit Hilfe unserer braven Dorette schon ganz hübsche Strecken gehen kann. Außerdem giebt mir die Aussicht, Euch bald wieder zu sehen, eine ungeahnte Spannkraft. Dich wird Herr Korvettenkapitän Liskow nach Erfurt bringen, was uns eine große Beruhigung ist, hoffentlich landet Ihr ohne Fährlichkeiten in der Blumenstadt. Dort wird Dich Fräulein Kleist in Empfang nehmen, unter ihrer Obhut wirst Du Deine Koffer packen und dann nach Schwarzhausen reisen; Papa oder Erich werden Dich her geleiten, da wir Dich, so schmerzlich und verwunderlich das auch ist, immer noch nicht allein reisen lassen können. Die Miß ist noch immer so leidend, daß wir ihr Deinen Unterricht nicht anvertrauen können, sie wird aber in unserm Hause bleiben, da sie so allein in der Welt steht. Sie will mir vorlesen und mit mir spazieren gehen; ich muß ja immer jemand um mich haben, besonders da Papa so viel fort ist. Prinz Li ist jetzt mit Hauptmann von Arppe in Meran, Papa soll beim Fürsten in Amalienlust bleiben, so haben wir doch den lieben Vater in unserer Nähe. Für Dich wollen wir einen Hauslehrer nehmen, es will mir nicht in den Sinn, Dich aus dem Elternhause zu schicken, da ich selbst jetzt wieder einigermaßen wohlauf bin. Und dann, mein liebes Kind, soll auch Eins voll in seine Rechte treten: »Die Musik«. Ich weiß wohl, welch vollgerütteltes Maß der liebe Gott Dir davon in die Wiege gelegt hat; Herr Schönwolt hat mir geschrieben, daß Du heimlich auf dem verstimmten Klavier in der Pension phantasiert hast, Du selbst hast nie ein Wort davon erzählt, Papa hätte sonst wohl daran gedacht, Dir gleich geregelten Unterricht geben zu lassen. Das soll nun alles besser werden. Der Fürst hat einen Flügel aus Amalienlust in unsere Villa nach Schwarzhausen schaffen lassen, doch weiß ich nicht, ob meine armen Hände so weit sein werden, Chopin und Brahms zu spielen, die Seine Durchlaucht beide so liebt. Vor allen Dingen: Gott, schenke uns ein frohes Wiedersehn! Ich bange mich unsäglich nach meiner Felicitas.
Deine treue Mama.
Brief des Erbprinzen Elimar an Kerlchen.
Mein kleines Kerlchen!
Hoffentlich bist Du nicht böse auf Deinen alten Freund, der Dir so lange nicht geschrieben hat. Kannst Du Dir wohl vorstellen, daß aus Deinem gesunden Li mit einem Male ein ganz müder Gesell geworden ist, der, anstatt im frischen Norden strammen Dienst zu thun, sich im weichen Süden herumfahren lassen muß, um seine angegriffene Lunge zu kräftigen? Liebes Kerlchen, ich bin oft sehr ärgerlich, und dies Gethue um meine Person macht mich gar nicht liebenswürdig, der gute Herr von Arppe hat viel mit mir auszustehen. Am schönsten wäre es, wenn Du bei mir wärst und mich tüchtig ausschelten würdest, ich sehne mich nach einem kleinen, wildlockigen Mädchen, das einmal so unceremoniell »Schafskopp« zu mir sagte. Bist Du noch dasselbe Kerlchen, oder hat die Pension Dir so viel schauderhaft seinen Schliff beigebracht, daß auch Du nur eine höfische Verneigung für Deinen alten Freund übrig hättest? Allerdings, eins tröstet mich, – von Berlin ist nach Meran ein Histörchen herübergeflogen von einem Verlobungsgeschenk, das Du Fräulein Erna von Lölhöffel gebracht hast – Kerlchen, Kerlchen, Kerlchen – ich habe zum ersten Mal seit langer Zeit wieder schallend gelacht; hab Dank für dieses Lachen! Ich hab als Junge öfters mit Erna gespielt, sie war ein kleiner Teufel, der besonders dann bei ihr zum Ausbruch kam, wenn wir Kadetten sangen:
»Rothaarig ist mein Schätzelein,
Rothaarig wie ein Fuchs;
Und Zähne hat's wie Elfenbein
Und Augen wie ein Luchs.«
Kerlchen, Du stehst Dich gewiß schlecht mit ihr, ists so? Auf die beiden jüngeren Kinder kann ich mich kaum besinnen, sind sie nett und lieb mit meinem Kerlchen? Ich habe tausend Fragen an Dich, und während ich schreibe, fühle ich, daß ich viel wohler bin, so wirkt Dein gesundes, stachliges, trotziges Persönchen auch in der Ferne auf mich. Und sieh, mein Kerlchen, sollte es mir einmal ganz miserabel schlecht gehen, dann kommst Du zu mir, gelt? Laß Dich dann durch nichts abhalten, bitte Deinen von mir über alles verehrten Papa um die Erlaubnis; Du brauchst weder zu Fuß herzulaufen, noch im Kälberwagen des Herrn Schlachter Krone herzukutschieren, komm Du auf die gewöhnliche Art der gewöhnlichen Reisenden, Du außergewöhnliches Kerlchen, – aber vorläufig ists noch nicht nötig. Liebes, liebes Kerlchen, ade! Tausendmal grüßt Dich
Dein einsamer Li.