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Im Mai.
Wieder der lachende Frühling in der Heide und dies Wonnegefühl in der Brust und das jungjunge Leben und die immer wachsende Liebe zu meinem Schulmeister Uwe – – – wo soll all diese Herrlichkeit noch hin? Immer schöner wird die Welt, oft dünkt's mich, ich bin gar nicht mehr darinnen, bin schon auf einem andern Stern, auf dem nur jubiliert und musiziert wird, – Beethoven und Bach, Grieg und Schubert. Wie heißt das Lied, wie heißen die Worte?: » Uwe, ich liebe dich!«
Als ich gestern meinen Uwe aus der Schule abholte, – ich mußte einen Krankenbesuch mit ihm machen, – da stand an der Wandtafel geschrieben: »Es ist gut, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.«
An dies Wort dachte ich, als mir Frau Pastörin Sunneby heute eine närrische Mitteilung machte.
Ich faßte mich erst einmal an den Kopf und setzte mich hin und fragte noch einmal, ob ich recht verstanden hätte, ob dies meine einsame Heide sei und ich die Ursula Alslev, die aus dem städtischen Lärm und Plunder und Krimskrams und Oberflächlichkeit in ebendiese einsame Heide geflohen sei, und Frau Pastörin lachte spitzbübisch und wiederholte ihre, – beinahe hätte ich gesagt: schnöden Worte.
Ich soll eine Kaffeegesellschaft geben.
O ihr lieben Blätter! Ich erlaube euch zu erröten, als wäret ihr Löschblätter. Könntet ihr nur auch gleich alles wieder auslöschen. – Ich soll?
Nein, ich muß, – behauptet Frau Beate Sunneby, – sie, sonst der Gerechtesten eine. Und weshalb? Wer kann mich zwingen?
Die Sitte! Die mündliche Überlieferung von mindestens sechs bis zehn Immendorfer Menschenaltern. –
Aber ich habe ja nirgends Besuche gemacht! Und wen soll ich denn einladen? Und wenn ich noch rasch die Besuche erledigen wollte, dann müßte man mich doch zuerst einladen. – – –
Frau Pastorin lachte Tränen.
»Sehen Sie, liebe Frau Alslev, das, was Sie da vorbringen, ist der städtische, oberflächliche Quark, der Plunder und das Äußerliche. Aber Ihre Immendorfer Kaffeegesellschaft, das ist etwas fest Gegründetes, etwas, das weder Sie, noch ich, noch irgendein Mensch zum Wanken bringt, – diese Kaffeegesellschaft ist vis major.«
So, nun wußte ich doch, was vis major sei, – bis jetzt hatte ich mir ganz etwas anderes darunter vorgestellt.
Ich erzählte es Uwe, und er lächelte, ein Lächeln, wie ich es noch nie an ihm gesehen hatte.
Und dann strich er mir mit seiner großen, lieben, kräftigen Hand über das Gesicht, als wollte er etwas fortwischen, und bei sich tat er es ebenso und hieb dann mit der flachen Hand ein paarmal rasch durch die Luft.
Da wußte ich's. Es war etwas Unbedeutendes, etwas, was unsere eigentliche Welt nicht berührte, und ob ich mich damit belasten wollte oder nicht, das überließ Uwe mir.
Und nun habe ich's getan, hab' mich damit belastet, und alles liegt schon wieder hinter mir. –
Ich frage mich bei allem: »Fördert es dich?« und »Tut es andern weh?«
Und diese Fragen beantworte ich nach zwei Seiten. So hieß denn hier die Antwort: »Es fördert mich nicht, wenn ich im althergebrachten Geleise gehe, aber es tut gewiß den andern weh, wenn es nicht geschieht.«
So meinte auch Frau Pastörin Sunneby, die ja mit dem Herzen sieht.
Wer waren nun die andern?
Ich werde ihre Namen sobald nicht wieder vergessen.
Drei Lehrerfrauen aus zwei Dörfern und einem Flecken um Immenhof herum und drei Pastorinnen, von denen Frau Beate Sunneby die eine war, die aber bei ihrem leidenden Manne zu Hause blieb.
In Urväterzeiten sollen die acht »geistlichen Frawen«, nämlich die vier Pastorfrauen und die vier Lehrerfrauen aus Immenhof, Vogebüll, Emsken und Nehmty, geradezu vorbildlich gelebt und gewirkt haben, und der damalige Propst hat sie ermahnt, immer einig zu bleiben, dem ganzen Lande als leuchtendes Beispiel:
»Sünd im Herzen und Geyst
Einig Pfarrfrawen und Lehrerfrawen
Von Nehmty, Emsken, Immenhof, Vogebüll,
Also du weyßt
Hat der [?] verloren sein Spüll.«
Wer den Reim verbrochen, ob der Volksmund oder der Propst höchstselbst, ob überhaupt die Sage auf Wahrheit beruht, – es ist nichts darüber vorhanden. Man munkelt geheimnisvoll von einem großen Brande, der so gefällig gewesen sein soll, alle Urkunden darüber zu vernichten.
Jedenfalls ist von dem vorbildlichen Leben und Wirken der acht Frawen und von ihrer schönen Einigkeit nichts übriggeblieben, als die alljährliche Kaffeegesellschaft, die diesmal nur sechs Frauen aufwies, da Frau Beate fehlte, und der Pastor von Nehmty unverheiratet ist.
Meine Einladung erfolgte brieflich acht Tage vorher und wurde nicht beantwortet, weshalb ich nicht wußte, ob die vorgeschriebenen Berge Kuchen, die meine dienstbaren Geister (eigentlich ich) selbst backen mußten, auch verzehrt würden. Aber um Abnehmer war mir nicht bange, ich kenne meine liebe Immendorfer Schuljugend, meine Prachtjungen und Prachtmädel und ihren unversiegbaren Appetit.
Schlag drei Uhr nachmittags an dem denkwürdigen Tage wurde es auf der Dorfstraße lebendig, – überall waren Wachen ausgestellt von Jung-Immenhof, und es war wie ein Telegraphieren: »Se kamen! Se kamen! Nu kamt se! Nu sün se dor!«
Meine Kaffeegesellschaft war Sache des Dorfes.
In einer ganz jämmerlichen Verfassung war ich selbst.
Lampenfieber beherrschte mich, wie das größte Hamburger Senatorenmahl es nie bei mir ausgelöst hätte, und dazu hatte mich mein Halt und Trost, mein Stab und Schirm, mein Uwe verlassen müssen, um in Vormundschaftsangelegenheiten über Land zu fahren.
»Es ist eine Schmach«, bemerkte Frau Pastor Nieten, während sie aus dem hohen Gestellwagen kletterte, und das war das erste Begrüßungswort, das ich von den geistlichen Frawen erfuhr. –
Was sie mit der Schmach meinte, hörte ich erst bei ihrer vierten Tasse Kaffee.
Vorerst gingen, stelzten und liefen die fünf Frauen mir voraus in mein Haus, wo Jungfer Minna sehr gravitätisch und vornehm, aber doch zierlich und freundlich in blütenweißer Schürze und Haube an der Tür stand und dann den Damen beim Ablegen half.
Darauf stellten sie sich alle in eine Reihe, und wir gaben uns die Hand.
Frau Pastor Nieten-Vogebüll, Frau Lehrer Reymers-Vogebüll, Frau Pastor Bosau-Emsken, Frau Lehrer Swart-Emsken und Frau Lehrer Jochen-Nehmty.
And die Frau Lehrer Alslev benahm sich dümmer und linkischer, als ihres Mannes Schulmädels es getan haben würden.
And wenn die Damen sich nicht selbst gesetzt hätten, so ständen sie wohl heute noch, denn ich vergaß das Nötigen.
Frau Pastor Nieten mit langem, verkniffenem Gesicht und Madonnenscheitel saß auf dem Sofa, und daneben die quirlige, runde, seelenvergnügte Pastorin Bosau, zu beiden Seiten auf Sesseln die Lehrerfrauen Reymers und Swart. Erstere sehr schüchtern und jung; letztere arg fromm und demütig mit gefalteten Händen auf die Pastorin Nieten schauend, wie auf eine Offenbarung. Und neben mir auf dem Stuhl Frau Lehrer Jochen, eine derbknochige, wohlhabende Bauernfigur mit offenen, gewinnenden Zügen.
Also nach der vierten Tasse Kaffee tat Frau Pastor Nieten zum zweitenmal den Mund auf.
»Es ist eine Schmach!«
Ich sah sie hilflos an.
»Es war sonst Sitte,« bemerkte sie weiter und sprach unendlich langsam, gedehnt und salbungsvoll, »daß die neu Ankommenden der vier berühmten Orte Vogebüll, Nehmty, Emsken und Immenhof den andern einen Antrittsbesuch machten.«
»Wie gern hätte ich das getan,« rief ich rasch, »wenn man – –«
Frau Nieten erhob ihre Hand, auf daß ich schweigen sollte, und zwar augenblicklich schweigen, und sah mich so strafend, so verweisend und durchbohrend an, daß ich glühendrot wurde.
»Wenn man aus anderen, nicht immer besseren, wenn auch reicheren, üppigeren Kreisen in schlichte, fromme Umgebung vom Herrn gestellt wird,« fuhr sie noch um fünf Prozent langsamer fort, »dann erkundigt man sich fleißig vorher nach den alten, edeln Sitten und Gebräuchen. Zu diesen gehört zum Beis–piel auch, daß man seine Gäste im einfachsten, schwarzen Kirchenkleid empfängt.«
Und ihre kalten, hellblauen, strengen Augen bohrten sich förmlich in meine schlichte, helle, seidene Bluse.
»Ach, du lieber Gott«, fiel jetzt Frau Pastor Bosau mit einer unglaublich hellen Trompetenstimme ein. »Das ist doch gehupft wie gesprungen, ob swart oder witt, die Hauptsach' ist 's Gemütt.«
Und sie nickte mir munter zu.
»Du sollst den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen«, rügte Frau Pastor Nieten.
»Tu' ich auch nicht«, verteidigte sich die Kollegin, »Aber der liebe Gott ist mein bester Freund, und wenn mir's ab und an zu bunt wird mit der lieben Geistlichkeit, dann ruf' ich ihn.«
Nun wurde auch ich mutiger.
»Mein Kirchenkleid war mir zu schade für eine weltliche Kaffeegesellschaft«, bemerkte ich kühn.
»Ihre Bluse ist sehr fein,« wandte sich nun meine wohlhabende, derbe Nachbarin an mich und befühlte ungezwungen den Stoff, »die hat ihre zwanzig Mark gekostet, da wett' ich drauf. Mein Kleid ist auch aus Hamburg, vier Mark der Meter, Vater sagt, wir hätten's ja, und das ist auch wahr. Mein Mann braucht keinen Pfennig für meine Kleidung auszugeben, er hat's ja auch nicht dazu als Lehrer.«
Inzwischen schenkte Minna neuen Kaffee ein, und es entstand eine Gesprächspause. Dann räusperte sich die Pastorin Nieten wieder zu langatmiger Rede und ließ sie vom Stapel, als Jungfer Minna aus dem Zimmer ging.
»Kleider und Mammon sind Fallstricke des Teufels. Eine Pfarrfrau sollte immer an das Kamel und das Nadelöhr denken...«
»Tu' ich ja auch,« lachte Frau Pastor Bosau, »das Nadelöhr habe ich eigentlich immer vor mir, weil meine Rangen so unglaubliche Reißerchen sind, und wie oft, wie oft muß ich ans Kamel denken – –«, dabei schaute sie die Kollegin mit unglaublicher Keckheit an.
»Sie scherzen ruchlos, Frau Bosau«, bemerkte die Gegnerin strafend. »Ach, ich finde Mammon sehr hübsch«, meinte Frau Lehrer Jochen, »Der Lehrerstand kann's brauchen. Bloß so mit Idealen kommt kein Mensch mehr durch. Mein Vater wollte ja erst nicht 'ran, daß ich meinen Mann heiratete, weil ich auf 'n paar reiche Marschhöfe kommen konnte, aber ich wollte doch nun mal Jochen, und bin Vaters Einzige. Und nun können wir auch viel Gutes tun im Dorfe und uns selbst schöne Bücher anschaffen, – ohaoha, was lese ich gern! Aber Jochen sagt, ich hätte bis jetzt lauter Schund verschlungen, und nun bildet er mich. Er ist schrecklich gut, und wir haben uns sehr lieb.«
Es klang alles unglaublich derb, aber frisch und natürlich, und ich drückte rasch ihre Hand.
»Das letzte ist die Hauptsache, nicht wahr?« rief ich, und sie nickte mir strahlend zu.
»Zu viel Bücherweisheit ist dem Herrn auch nicht immer angenehm«, nahm jetzt endlich Frau Lehrer Swart das Wort mit einer höchst unangenehmen Stockschnupfenstimme. »In ein Lehrerhaus gehören die Bibel, das Gesangbuch, der Katechismus und etwelche Missionsschriften, weiter nichts.«
»Ach, du Grundgütiger!« rief Frau Pastor Bosau, »vergessen Sie doch wenigstens noch das eine nicht.«
»Nun?«
»Na, 'n Kochbuch müssen Sie doch wenigstens haben, damit der arme Gatte was auf die Rippen bekommt.«
Die Angeredete zuckte zusammen.
Erst später erfuhr ich, daß sie den bedauernswerten Herrn Swart in der Tat nur mit der obengenannten Lesekost ernährt, aber nicht aus heiliger Begeisterung für das Gotteswort, sondern aus Geiz. –
Frau Jochen schmunzelte über das ganze wohlgenährte Gesicht.
»Och ne, 'n richtigen Teller voll muß mein Mann jetzt immer haben,« berichtete sie wichtig, »das tat uns ja zu leid, wenn er erzählte, wie er als Präparand gehungert hat. So 'ne greuliche Pensionsmutter hat er gehabt und ausgesehen soll er haben, daß man ihm das Vat ...«
Frau Jochen wollte sagen: »das Vaterunser durch die Backen blasen konnte«, aber ein Blick auf die drohenden Mienen der Pastorin Nieten und der Swart ließ sie sehr geschickt fortfahren: »das fat–ale Essen auf zehn Schritte weit ansah.«
Frau Vosau lachte schallend. »Da hat mal der richtige Topp seinen richtigen Deckel gekriegt,« rief sie anerkennend, »ich sah Herrn Jochen gestern zufällig, Sie haben ihn ordentlich 'rausgefuttert.«
»Nicht wahr?« Frau Jochen strahlte. »Wie 'n Ausrufungszeichen war er damals, und jetzt kriegt er schon 'n Bäuchlein.«
»Kind Gottes, Sie reden ja gar nichts«, wendete sich Frau Pastor Vosau an die junge, schüchterne Frau Lehrer Reymers.
Diese saß ganz in sich zusammengesunken da, warf dann und wann einen scheuen Blick auf Frau Nieten, und man reimte es sich unschwer zusammen, daß diese wohl in Vogebüll das unumschränkte Regiment führte.
»Was lesen Sie denn Gutes mit Ihrem Jugenderzieher zusammen? He?«
Die Pastorin Bosau nickte der Schüchternen aufmunternd zu.
Doch diese schwieg und errötete beinahe schuldbewußt.
»Frau Lehrer Reymers fühlte die Hand des Herrn schwer auf sich,« nahm Frau Nieten für sie das Wort, – »sie hatte Anfechtungen zu bestehen, Versuchungen in Glaubenssachen, – ja, sie unterlag verwerflichen Zweifeln...«
Das wurde so erbarmungslos offen und doch so teilnahmlos hingesagt vor uns allen, als verurteile ein Staatsanwalt einen hartgesottenen, unverbesserlichen Verbrecher. Mir tat das arme Ding unbeschreiblich leid. –
»Wer von uns hat wohl keinen Zweifel gehabt?« warf ich rasch ein und sah voll aufrichtiger Teilnahme in das verhärmte Gesicht der jungen Vogebüller Kollegin, deren Augen sich mit Tränen füllten.
»Ich!« entgegnete Frau Pastor Nieten hart.
»Nun, da sind Sie eben besonders gnädig geführt worden, Frau Pastorin... Das kann nicht jedes Menschenkind von sich sagen...«
»Oder haben blind nachgekaut, was Ihnen vorgegessen wurde«, unterbrach mich Frau Pastor Bosau laut und streitbar, so daß ich rasch die Schlagsahne anbot, deren Genuß immer besänftigend wirkt.
Hier tat sie es aber nicht.
Frau Pastor Nieten setzte sich bolzgerade in die Höhe, und ihr Predigtton nahm Messerschärfe an.
»Eine blinde Nachfolge Christi ist meines Erachtens für uns sündige Menschen mehr am Platze als das sogenannte: Suchen der Zeit.«
»So? Da bin ich anderer Meinung.« Frau Pastor Bosau löffelte rasch die Schlagsahne, aber ohne Verstand und Gemüt, weshalb auch die Wirkung ausblieb. »Das Suchen nach Wahrheit schärft den Geist, hält das Herz frisch und fördert. Rast' ich, so rost' ich. Und dabei haben Sie mir immer noch nicht meine Frage beantwortet, liebe Frau Reymers, was Sie mit Ihrem Manne lesen, – es interessiert mich, – er soll ja ein außergewöhnlich strenges Regiment in der Schule führen.«
Frau Reymers erblaßte jäh, ihre Augen weiteten sich schreckhaft.
»Wenn mich Frau Alslev nicht unterbrochen hätte,« begann Frau Pastor Nieten wieder mit hartem Tonfall, »so hätten Sie gehört, daß ich es übernommen habe, unsere verirrte Schwester auf den rechten Pfad zu leiten, sie liest Erbauungsschriften unter meiner Anleitung, lernt sie dann zu Hause auswendig, und ihr Gatte, ein eifriger Streiter des Herrn, überhört dann die wichtigsten Stücke und – sorgt dafür, daß sie sich einprägen.« – Wieder zuckte Frau Reymers zusammen, und ihre Hände verschlangen sich nervös.
Frau Pastor Bosau stieß einen langgezogenen Pfiff aus, wie ein alter Stadtsoldat, die andern schauten mehr oder weniger neugierig auf das verirrte Schaf, und mir schwoll das Herz vor Zorn und Mitleid. Aber die unerschrockene Frau Pastor Bosau faßte sich zuerst.
»Ich bin Mitglied vom Tierschutzverein,« erklärte sie, »und jedwede Schinderei ist mir verhaßt.« – –
»Soll ich hier beleidigt werden?« fragte Frau Pastorin Nieten und erhob sich halb.
»I wo doch.« Frau Pastor Bosau drückte sie wieder auf ihren Sofasitz. »Es ist doch sehr nützlich, daß wir uns mal katzbalgen und ordentlich die Meinung sagen, – vielleicht kommt jetzt ein frischerer Zug in unsere etwas muffigen Stuben, und ich bin jedem dankbar, der mal einen Stein in den dörflich-pastörlich-stagnierenden Teich wirft.«
»Ich habe bis jetzt nichts von muffigen Stuben, noch von stagnierenden Teichen gemerkt«, entgegnete Frau Pastor Nieten spitz.
»Dann danken Sie Gott für Ihre Nase«, war die rasche Antwort. »Aber Scherz in den Tischkasten! Jedenfalls wird Frau Lehrer Reymers nicht mehr mit dem Soxhlet ernährt und kann sich ihr Lesefutter selbst vorschneiden. Was meinen Sie, kleine Frau?«
Wir sahen alle mehr oder weniger erschrocken die Redende an. Wir fühlten, hier wurde zwischen zwei tief erbitterten Frauen ein jahrelanger Groll ausgetragen, und mein sonst so stilles Stübchen mußte den Kampfplatz abgeben.
»Möchten Sie nicht mir überlassen, als der Älteren und mit Frau Reymers im gleichen Orte Ansässigen, was für das Seelenheil unserer Schwester das beste ist?«
»Nein, das möchte ich nicht, Frau Amtsschwester. Hier kommt nicht das Alter, sondern die christliche Nächstenliebe in Betracht. Und ich habe Frau Reymers lieb, schon seit Jahren, als sie die beste Konfirmandin meines lieben Mannes war.«
Hier erhob sich Frau Reymers, unfähig einen heftigen Tränenstrom länger zurückzuhalten, und ich führte sie sanft in meines Uwe Arbeitszimmer.
»O nur ein wenig weinen,« bat sie, »o nur einmal diese grausame Stimme nicht hören! Sie sind gut, Frau Alslev.« Sie weinte fassungslos.
»Hier ist's still,« sagte ich und drückte sie in Uwes großen Lehnsessel, »bleiben Sie hier und fassen Sie sich, – ich kenne solche Stunden, da ist man am besten allein.«
Einen raschen, scheuen Kuß fühlte ich auf meiner Hand, beinahe erschrocken darüber kehrte ich zu meinen Gästen zurück.
Sie waren wohl alle verblüfft über unser Verschwinden gewesen, denn der Kampf wurde jetzt erst wieder aufgenommen.
»Ist mir lieb, daß die kleine Frau draußen ist«, meinte Frau Pastor Bosau mit tiefem Ernst. – »Sehr lieb! Ich frage Sie, was ist aus dem sonnigen Ding geworden, die mein Mann und ich nicht anders als mit strahlendem Lachen kennen? Die nicht ging, sondern allzeit hüpfte? Die immer wie ein heller Frühlingstag in das düsterste Krankenzimmer hineinleuchtete?«
»Sie werden poetisch, meine Liebe«, unterbrach sie Frau Pastorin Nieten.
»Ja, damals konnte man zum Dichter werden, wenn man Lieschen Eriksen sah, und alle jungen Burschen wurden es, doch das junge, frohe Ding lachte sie alle aus; als aber der fromme, sittenstrenge, ernste, düstere Schullehrer Reymers ein feierliches Gedicht ihrer Schönheit zu Ehren verbrach, – da war sie besiegt, die Ärmste!«
»Die Ärmste?? Ich sehe das nicht ein. In dem Hause und im Herzen eines glaubensstarken Mannes ist so ein Flederwisch am besten aufgehoben.«
Das gute runde Gesicht der Pastorin Bosau rötete sich im hellen Zorn.
»Ein Flederwisch in dem Sinne, wie Ihre Betonung es andeutet, war Lieschen Eriksen nie, sie war frohmütig und lachend, und wir hofften, sie würde Sonne in das vermuckerte Gemüt des Lehrers Reymers bringen. Statt dessen« (sie dämpfte die Stimme etwas) »haben wir uns sagen lassen, daß er sein junges Weib – schlägt, wenn sie einmal weltlich-lustige Lieder gesungen und die Bibelsprüche nicht sicher genug gelernt hat, die er ihr aufgibt wie einem Schulbuben. Ist das wahr, Frau Pastorin Nieten??«
Wir waren alle erschüttert, und die derbe kleine Frau Jochen weinte ganz laut hinaus, nur Frau Pastor Nieten saß unbewegt da.
»Er soll dein Herr sein, ist ein vornehmes Ehegebot und kann unbotmäßigen jungen Frauen nicht scharf genug eingeprägt werden. Mein Mann und ich werden es jedenfalls dem Lehrer Reymers nie verdenken, wenn er des Satans Macht unterdrückt, der mit Versuchungen an das junge Weib herantritt.«
Frau Pastor Bosau lachte erbittert.
»Lachen Sie nur,« fuhr die langsame Predigtstimme fort, »Sie tragen auch mit die Verantwortung, denn ich habe ja heute gehört, wie Sie Frau Reymers zum ›Suchen‹ aufforderten, ›das den Geist fördere‹. Eben dieses ›Suchen‹ verdammt aber der strenggläubige Lehrer Reymers, weil es der Nährboden für die Zweifelsucht ist.«
Ich saß mit wehem Herzen unter meinen seltsamen Gästen.
In der stillen äußeren Friedlichkeit der Heidedörfer hatte ich gar nicht diese inneren Stürme vermutet, hatte mir auch die Pastorenfrauen bäuerlicher und die Lehrerfrauen gleichgültiger gedacht.
»Warum denn rastlos nach Aufklärung suchen und warum blind nachplappern?« fragte ich, mit einem redlichen Bemühen, Frieden zu stiften, »Wenn jeder einzelne die guten Lehren lebt, die Christus uns gab, ich meine, dann braucht es nichts weiter.«
»Das Ei des Kolumbus! Bravo, Frau Alslev, Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck!« Also Frau Pastor Bosau.
Aber Frau Nieten gab sich mit meiner einfachen Philosophie nicht zufrieden.
»Ei, ei, meine Liebe!« Sie wiegte mißbilligend den Kopf und wendete sich an mich. »Da kommen wir ja auf das Glaubensbekenntnis des Alten Fritz, jeden nach seiner Fasson selig werden zu lassen, das ist doch wohl kein richtiger Standpunkt für eine christliche Lehrersfrau.«
Sie betonte die Lehrersfrau besonders hämisch, aber ich tat ihr nicht den Gefallen, darüber ärgerlich zu werden, sondern zuckte nur die Achseln.
»Ich kann Sie nur bitten, Frau Alslev, diese Ansichten ganz für sich zu behalten und nicht etwa Frau Reymers damit zu beeinflussen«, fuhr sie schärfer fort. »Es klingt ganz schön, was Sie da vorhin gesagt haben, aber – nun jedenfalls würde Ihnen Herr Lehrer Reymers diese Philosophie nicht danken – er hält es vorläufig mit dem Krückstock Friedrichs des Großen.«
Wie erbarmungslos sie das sagte, wie hart ihr Gesicht war!
Frau Bosau vergaß sich so weit, auf den Tisch zu schlagen, aber da geschah etwas Unerwartetes. Die Tür zum Nebenzimmer, die ich wahrscheinlich nur angelehnt hatte, öffnete sich, und Frau Reymers stand sehr blaß, aber sonst ruhig auf der Schwelle.
»Sie irren sich, Frau Pastor Nieten,« sagte sie fest, »mein Mann hat mich nie geschlagen. – Und jetzt muß ich heim,« wendete sie sich an mich und sah mich mit seltsam erloschenen Augen an, »ich glaub', ich werde krank.«
»Bleiben Sie heut nacht bei mir!« bat ich rasch, aber sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich will zu meinem Manne!«
Frau Pastor Nieten, welche die junge Frau auf ihrem Vogebüller Gefährt mitgenommen hatte, rührte sich nicht aus ihrer Sofaecke. Aber nun sprang die kleine Frau Jochen heftig auf.
»Ich fahre mit«, rief sie, und es leuchtete etwas in ihren frischen Augen, was ich mir wie Sehnsucht ausdeutete, von diesen schweren, unbehaglichen Auseinandersetzungen fortzukommen zu ihrem jungen Ehemann. »Es ist ja einerlei, ob ich den Umweg über Vogebüll mache, ich gebe dem Kutscher einen Taler mehr.«
Dann wendete sie sich an mich. »Zu Ihnen komme ich bald mal allein, Frau Alslev, es ist so hübsch bei Ihnen. Sie müssen mir sagen, was so 'n dicker, großer Teppich kostet und so 'n alter Schrank. Das kriegt man jetzt neu auf alt gemacht, sogar mit'n künstlichen Holzwurm. Bei mir ist alles so hell, es war vor 'n paar Jahren so Mode, aber wenn ich mir nun eine dunkle Ausstattung wünsche, wie Sie sie haben, dann freut sich Vater.«
Man konnte ihr nicht böse sein; ehe ich's mich versah, hatte ich einen schmatzenden Kuß, und dann gab sie artig die Hand ringsum mit einem regelrechten Tanzstundenknicks, der ungeheuer humoristisch bei dem derben Persönchen wirkte.
Frau Reymers stand indessen wie weltverloren an der Stubentür, grüßte uns alle nur mit scheuen Augen und ließ sich dann von Frau Jochen hinausziehen. Ich wollte ihnen folgen, wollte der armen kleinen Frau noch ein paar liebe Worte sagen, aber die laute Frage von Frau Pastor Nieten: »Nun, Frau Alslev, bei wem sind wir eigentlich heute zu Gast?«, ließ mich wieder auf meinen Platz gehen. Da rasselte auch schon der kleine Wagen davon, und ich sah durch das Fenster, wie die behäbige Frau Jochen den Arm um die schmächtige Frau Reymers gelegt hatte.
Jungfer Minna räumte die Tassen ab und brachte Torte und Wein. Es war Liebfrauenmilch und funkelte köstlich in meinen Römern.
»Wir trinken sonst Limonade bei unsern Zusammenkünften«, bemerkte Frau Pastor Nieten eisig.
»Jawohl,« meinte die Pastorin Bosau, »und zwar gab das wabbelige Zeug unserem Kreis auch ein wabbeliges Gepräge. Heut zum erstenmal waren wir streitbar und mannhaft, dieser edle Tropfen warf seinen Schatten voraus.«
Sie trank begeistert. »Donnerkiel, Frau Alslev, das ist ein Weinchen. Da muß mein Alter mal her. And alle meine Gören bringe ich mit, die aber nur zur Limonade. Acht Stück, ohne die ganz Kleinen. Jawohl, wir sind ein gesegnetes Pfarrhaus.«
Sie lachte herzerquickend.
Ich stieß mit allen an, aber Frau Pastor Nieten tat mir nicht Bescheid.
»Dürfte ich nicht doch um Limonade bitten?« fragte sie beharrlich, und ich holte rasch das Verlangte.
»Es verstößt gegen die Statuten,« meinte Frau Pastor Bosau, verächtlich auf meinen Himbeersaft schauend, »der selige Propst vor dreihundert Jahren soll gesagt haben, daß die geistlichen Pfarr- und Lehrfrawen sich bei einem 'gutten Glasse Wyn' verständigen sollten.«
Die Pastorin Nieten trank Limonade, schaute Frau Swart streng an, und diese ließ ebenfalls den Wein stehen und sich von mir Saft eingießen.
»Und was sagt Herr Lehrer Alslev zu Ihren Gelüsten?« fragte Frau Nieten scharf. »Wir wissen alle, daß er – aus verschiedenen Gründen den Alkohol meidet.«
»Nicht aus verschiedenen Gründen«, entgegnete ich, kühn den Stier bei den Hörnern fassend. »Nur aus dem einzigen, weil der Alkohol in seiner Familie schweren Schaden getan hat, – der Alkohol im Übermaß, Frau Pastor Nieten.«
»Ist ja ganz schön,« murmele Frau Pastor Bosau, die schon lange mit einer kleinen Bosheit kämpfte, »aber manchen, der nie einen Tropfen trinkt, hat der Deubel doch beim Kanthaken.«
Frau Nieten warf ihr einen vernichtenden Blick zu, und dann stand sie auf, – endlich, endlich!
Sie streckte mir ihre froschfeuchte, eisigkalte Hand hin: »Wir erwarten Ihren Gegenbesuch.«
Weiter nichts. Keinen Dank für den Nachmittag, keinen Gruß für Uwe, ich ließ sie nun auch allein mit Frau Swart abfahren, mir war elend zumute. Frau Pastor Bosau blieb noch ein paar Minuten bei mir, nachdem sie in der Luft drei Kreuze hinter ihrer Amtsschwester her gemacht hatte. Oh, wie liebe ich diese streitbare Frau.
»Aufgeschaut, Frau Alslev! Jetzt erst müssen Sie zeigen, was in Ihnen steckt, nachdem Sie uns geschmeckt haben. Jaja, da gehört eine gute Verdauung dazu. Ich glaube, die haben Sie. Wetter noch mal, ich bin Ihnen gut. Mit dem festen Entschluß war ich hergekommen, mir von der Hamburger Patriziertochter nicht imponieren zu lassen, – aber die Frau Lehrer Alslev hat mir imponiert.«
»Womit denn?« fragte ich kläglich. »Ich kam mit so viel Idealen in meine Heide – an solche Art Kollegenfrauen habe ich gar nicht gedacht, wie diese Frau Pastor Nieten – – –«
»Vermessene! Wie können Sie so ohne weiteres uns Pastersch als Ihre ›Kolleginnen‹ ausgeben? Wollen Sie mutwillig in ein Wespennest trampeln? Warten Sie ab, bis der Herr Kreisschulinspektor Nieten Sie mores lehrt. Und wenn Sie so klug sind, wie Sie lieb sind, dann verstecken Sie die senatorlichen Gedanken und Ansichten tief, tief in Ihren Busen und Ihre Ideale verzapfen Sie nur Ihrem Dichter – Uwe im stillsten Kämmerlein. Sie finden ringsum bei uns keinen Widerhall.«
Was war das? Frau Pastor Bosaus Augen glänzten feucht. »Menschenkind,« raunte sie leise, »mein Mann und ich sind Ihres großen Gatten treueste Verehrer. Aber ich weiß auch, was Ursula Alslev, geborene Diewen, für einen Dornenweg vor sich haben würde, wenn sie mit uns ›Kollegen‹ verkehrte. Bleiben Sie für sich, – Sie brauchen uns nicht.«
Sie schnäuzte sich heftig die Nase.
»Und nun denken Sie gar nicht mehr an meine Amtsschwester Nieten, das ist kein Durchschnitt, das ist eine Extraausgabe des Homo sapiens Linné.«
»War sie immer so?« fragte ich schaudernd.
»Immer! Ich kenne sie fünfzehn Jahre. Sie soll nie jung gewesen, sondern mit den Madonnenscheiteln auf die Welt gekommen sein. Und vor fünfzehn Jahren verekelte sie mir mein erstes Glas Schaumwein. Na, es hat ihr nichts genützt. Damals schreckte sie mich, die ich drei Wochen verheiratet war, mit dem Hinweis, daß ich nie ein ›Kindlein wiegen würde, wenn ich dem Trunke frönte‹. Du lieber Gott, damals feierten wir meines Mütterchens Geburtstag, zu der ich unserer knappen Pfründe wegen nicht reisen konnte, und es war mein erstes Glas Sekt aus der Flasche, die ein Korpsbruder meinem Manne in unsere erste Pfarrstelle schickte. Ich habe dann jedes Jahr ein Kindlein gewiegt, vierzehnmal, rein aus Trotz gegen meine Amtsschwester Kassandra, und sie selbst hat nur zwölf.«
»Zwölf??« rief ich verblüfft.
»Ja, zwölf Limonadenkinder, alle sauertöpfisch und salbaderig wie Vater und Mutter. Und nun habe ich genug geschwatzt, mit dem schnöden Hintergedanken, noch ein Manneswort mit Herrn Uwe Karsten sprechen zu können, aber er lauert wohl schon lange hinter einer Tür und wartet sehnsüchtig schimpfend, daß ich mich trolle.«
Ich sperrte lachend sämtliche Türen weit auf.
»Mein Mann kommt erst spät zurück von seiner Reise, Sie können es mir schon glauben.«
»Ich glaub' es Ihnen, und nun – nichts für ungut.«
Sie sah mir eindringlich in die Augen, drückte meine Hand und – war hinaus. Als ich ihr folgen wollte, merkte ich, daß sie sich von außen gegen die Tür drückte.
»Drinbleibenl« rief sie barsch, und nach einer Weile fuhr ihr Wagen vor, sie stieg zum Kutscher auf den Bock, nahm ihm rasch die Zügel aus der Hand, ein Peitschenknall, und sie fuhr davon, ohne unser Hüttchen noch mit einem Blick gestreift zu haben.
Eine Weile stand ich im tiefsten Sinnen, bis sich eine arbeitsrauhe Hand auf meinen Arm legte, die von Jungfer Minna.
»Was willst du, Minna?«
»Frau Alslev ist so still und blaß. Es war so ein merkwürdiger Tag heute, – und da denken wir...«
»Ihr guten alten Seelen in der Küche denkt viel zu viel, – laßt das doch! Es war doch früher nicht.«
»Früher dachte der Herr Diewen selig für Frau Alslev, aber jetzt« –
»Jetzt tut es Herr Alslev.« Ich betonte den Satz wohl unnötig scharf. Minna sah mich bekümmert an.
Da drückte ich die Hand des treuen Dienstboten.
»Gute Minna, hab' Dank für deine Sorge! Sieh – heute – das waren alles törichte Äußerlichkeiten. Ich bin tief, tief glücklich, viel glücklicher, als ich jemals in Hamburg war.«
Da strahlte sie über das ganze Gesicht und lief rasch zu den andern. Dann kam mein Uwe, und ich flog ihm um den Hals, als wäre er Jahrzehnte fort gewesen.
»So sehr hast du mich vermißt?« fragte Uwe zärtlich. »So sehr?«
»Ja, ja,« stieß ich heftig hervor, »o Uwe, wenn die Welt uns allein ließe, wie wir sie lassen möchten!«
»War es so schrecklich heute? Hat man dich gekränkt? Fühlst du, daß du nicht zu ihnen gehörst, mit denen doch ich zusammen wirken soll? Sprich, du Liebes, mein Liebstes!«
Seine guten Augen sahen mich voll unsäglicher Liebe an.
Ich schmiegte mich still an ihn und kostete die ganze beglückende Gewißheit des Geborgenseins aus.
»Meine Ursula, du kannst ganz still für dich bleiben – und für mich, – ich werde nie darauf bestehen, daß mein feinfühliges Weib ...«
Ich küßte ihm die Worte vom Munde. »Still, still, mein Uwe! Ich bin nicht besser als die andern und nicht feinfühliger. Ich bin nur viel, viel törichter. Aber nun du bei mir bist, und ich meinen lieben Halt spüre, ist alles schon lichter. Ganz liebe, prächtige Menschen habe ich heute kennengelernt, glaub' nur, sie waren viel reizvoller als die sogenannten Freundinnen meines Hamburger Kreises. Weit mehr noch will ich sie kennenlernen.« Und dann erzählte ich, schilderte den ganzen Nachmittag, und mein Uwe machte große, erstaunte, erschrockene Augen, je nachdem. Und zum Ende meiner Schilderung schloß er mich wieder in seine Arme.
»Oh, über deine starke Verklärungskraft, Ursula«, rief er glücklich. »Da erzählt mir mein Lieb so begeistert, daß ich wahrhaftig glauben könnte, gerade unter den Pfarrer- und Lehrerfrauen sei meiner stolzen Ursula Diewen angestammter Platz.«
» Das ist er auch, mein Uwe Karsten.« Ich sagte es mit heiligem Ernst. »Und wo sie mir
235 diesen Platz noch nicht anweisen wollen, da will ich ihn mit Liebe erobern.«
»Ursula!« Uwe sprang auf und lief im Stübchen umher, wie er es immer tut, wenn er heftig erregt ist. Immer einmal blieb er vor mir stehen und wollte etwas sagen, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. – Da setzte ich mich still in den roten Arbeitssessel und faltete die Hände im Schoß. Mit einemmal kniete er vor mir, der große, starke Mann bebte. »Mein Glück!« stammelte er, »du mein liebes, heiliges Glück!«