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Den 6. November.
Ich fühle, daß ich noch rascher schreiben muß, um zu Ende zu kommen. Ich halte es nicht aus, wenn die Erinnerung mich packt und so grauenhaft festhält in dieser todesstillen Heide.
Es kam ein schrecklicher Tag.
Heinrich Heinsius gab ein großes Fest. »Die Zweite« machte die Honneurs seines Hauses, es war feenhaft geschmückt, ich saß neben dem Gastgeber.
Als er den Trinkspruch auf seine Gäste hielt, – griff mein Vater plötzlich ans Herz und sank um.
Ein Schlaganfall.
Er war nicht tot.
Sie trugen ihn in das Schlafzimmer von Heinrich Heinsius. Da lag er auf der schwarzen, prunkvollen Bettstatt mit armem, verzerrtem Gesicht, – mein Väterchen. –
Und ich saß neben ihm, wie versteinert im Schmerz, und hörte und sah nichts von meiner Umgebung.
Als aber Väterchens Atemzüge tief und ruhig wurden, und der Arzt versicherte, daß augenblickliche Gefahr nicht vorhanden sei, – erhob ich mich und wankte in das nebenanliegende Wohnzimmer.
Mir war schwach und elend zumute, und das grauenvoll düstere Antlitz des sterbenden Christus, das von der Wand auf mich niedersah, erschreckte mich im tiefsten Innern. Als ich mich abwendete und mich in einen der tiefen, niederen Sessel niederlassen wollte, sah ich, daß ich nicht allein im Zimmer war. Lautlos, wie immer, war Heinrich Heinsius hereingekommen und mit raschem Schritt neben mir. – Seine Hände, die kalt und feucht waren, faßten mit eisernem Griff meinen Kopf und drehten ihn nach dem Bilde zurück.
Ich schrie leise auf. »Still, still, liebe Ursula«, flüsterte er mit verschleierter Stimme. »Der arme Kranke darf nicht aufwachen.«
»Das Bild, – ich kann das schreckliche Bild nicht sehen!«
»Das ist unrecht, Fräulein Ursula, ich sagte es Ihnen schon einmal. Jesus Christus! Oh, wie er leidet, wie er leidet! Nur durch Leiden gelangt man zum Lichte, zur Verklärung!«
Ich sah scheu zu Heinrich Heinsius auf.
Zum ersten Male sah ich ihn erregt, sein Gesicht schaute seltsam aus.
»Ihr Leben war Lachen, Fräulein Ursula«, fuhr er fort, und sein Kopf war dicht neben dem meinen. »Gott meint es gut mit Ihnen, da er Ihnen jetzt Leid schickt. Sie sind schön, Fräulein Ursula, berauschend schön, und am schönsten jetzt in Ihren Tränen, Ihrem Jammer, Ihrem Grauen vor dem Kommenden, das da drüben lauert.«
Er zeigte nach dem Zimmer, darin mein Vater schlummerte, und ich brach in schmerzliches Weinen aus.
»Ursula, ich liebe dich! Ursula, ich liebe dich!«
Ich stieß ihn von mir und flüchtete zum Bette meines Vaters.
Die leidenschaftlichen Worte, die Blicke von Heinrich Heinsius verstörten mich, erschreckten mich unsäglich. Und doch war es mir, als gehörte ich zu ihm, als hielte er mich an einem unsichtbaren, festen Band.
Ich wunderte mich auch nicht, daß er wieder dicht neben mir am Ruhebette meines Vaters stand.
Meines sterbenden Vaters. –
Niemand sagte mir's, aber ich fühlte das Todeswehen und sah das arme, ganz veränderte Gesicht.
Er schlug die Augen auf, sie waren klar und erkannten mich und erkannten die Gestalt neben mir.
Er winkte Heinrich Heinsius mit den Augen, dieser gab ihm seine Hand, und mein Vater legte meine Hand hinein.
Seine halb gelähmte Zunge lallte: »Ursula! Diewen und Heinsius! Ich – sterbe – ruhig!«
Mit eisernem Griff hielt Heinrich Heinsius meine Hand, – ich weinte fassungslos.
Dann fing er an zu beten, – laut und leidenschaftlich, ich versuchte mich freizumachen, aber vergeblich.
Ein leises Röcheln setzte bei meinem Vater ein, dann wurde es stärker.
Meiner aufgeregten Phantasie klang es wie ein Wehren gegen das wilde Gebet.
Wie oft hatte mein Väterchen abends meine Kinderhände gefaltet. So still hatten wir zwei dann mit unserm Herrgott gesprochen.
Von Tränen erstickt, sprach ich ein Kindergebetchen.
»Väterchen! liebes! Hörst du mich?«
»Dein Vater ist tot«, sagte Heinrich Heinsius.
Dann hörte ich nichts mehr, was um mich her vorging.
Am dritten Tage stand ich vom Krankenbette wieder auf.
Ich hatte ein schweres, schwarzes Trauergewand an und sah mit müden Augen, daß unser Saal schwarz ausgeschlagen war, und starrte meine linke Hand an.
Daran funkelte ein großer Brillant.
Ich war Braut, – Braut von Heinrich Heinsius.
Nach der Beisetzung kamen alle zu mir, und kaum einer war darunter, der mir nicht versicherte, wie mein Los aufs köstlichste gefallen sei, trotz der düsteren Begleitumstände meines Verlobungstages.
Dann kam die Testamentseröffnung.
Mein Väterchen hatte sehr liebevoll für uns alle gesorgt, auch die »Zweite« so gutgestellt, daß sie uns etwas günstiger gesinnt wurde.
Lu war der Chef des Hauses, und wir beide traten in den Besitz unseres großen mütterlichen Vermögens.
Lu erbte unser Gut Diewenhagen, und mir gehörte das Heidehaus.
Daß mein Väterchen tot war, begriff ich völlig, – die Lücke war zu groß, die er hinterlassen.
Aber daß ich nicht mehr mir selbst gehörte, war mir unfaßlich. Ich hatte Heinrich Heinsius von Herzen gern gehabt, als er mir noch fremd war, jetzt schaute ich mit bangen Augen nach der Tür, wenn ich ihn kommen hörte, und vermied ängstlich jedes Alleinsein mit ihm.
Zu Martha Detleffsen hätte ich mich so gern geflüchtet, aber sie war krank. Ich bat herzbeweglich, mich trotzdem zu ihr zu lassen, aber ihre Mutter erlaubte es nicht, und Heinrich Heinsius unterstützte sie darin.
»Ursula, ich teile nicht gern,« sagte er, »du sollst dich nach mir sehnen, und ich will immer zu deiner Verfügung sein.«
Zum Glück mußte mein Verlobter eine längere Geschäftsreise antreten, und während seiner Abwesenheit vollzog sich eine merkwürdige Wandlung in mir.
Ich vermißte ihn.
Hatte ich ihn wirklich lieb?
Ich kam nicht darüber ins klare. Es mußte aber doch wohl Liebe sein, denn ich erwartete mit Ungeduld seine Briefe und schrieb selbst lange Episteln. Freilich war es mir nicht gegeben, die heißen Zärtlichkeiten auch nur brieflich zu erwidern, mit denen er mich überschüttete. Jedes meiner Schreiben an ihn trug als Überschrift nur »Lieber Heinrich Heinsius!« und als Unterschrift: »Ursula Diewen«, – ich verstand es einfach nicht besser.
Aber ich weiß es genau, daß nach einem häßlichen Auftritt mit der »Zweiten«, die längst wieder kalt, schroff und lieblos gegen mich geworden war, ich einen Brief unterschrieb: »Komm bald zurück!«
Er unterbrach die Geschäftsreise, – ich war allein in meinem Zimmer und las, als man ihn anmeldete.
Rascher, als ich ihm entgegenlaufen konnte, stand er vor mir, zog mich an sich und küßte mich in heftiger Leidenschaft.
»So sehr hast du dich nach mir gesehnt, süßes Kind?« flüsterte er, und wieder wollte er mich an sich ziehen.
»Laß, laß«, wehrte ich ab, und dann nahm ich hastig ein Gesprächsthema auf, erzählte von der »Zweiten« und dem peinigenden Zusammensein mit ihr.
»Wir wollen unsere Hochzeit beschleunigen,« entgegnete er, »ich kann die Zeit nicht erwarten, bis ich dich ganz besitze, – du, du – Ursula, – Ursula –«
Den 9. November.
Warum quäle ich mich so furchtbar?
Gestern abend warf ich die Feder mitten ins Zimmer, dann verschloß ich hastig diese Blätter und lief hinaus in die Heide, ohne Hut, ohne Tuch ...
Der Herbststurm peitschte mich vorwärts, und der eisige Regen wusch mir Gesicht und Hände.
Es tat wohl. Wir war's, als würde ich wieder ganz rein von jenen Küssen ...
Die Hände faltete ich und stammelte wirre Worte, die Verzweiflung hatte mich wieder einmal gepackt, und heißes Sehnen nach dem Vater, nach der toten Mutter.
Einmal stürzte ich über Heidegestrüpp, es war ja so dunkel, und der Himmel mit wildjagenden Wolken bedeckt, – ich raffte mich auf und stürzte wieder. Da zog mich eine Hand empor, und jemand leuchtete mir mit einer Laterne ins Gesicht.
Eine große Gestalt stand vor mir.
»Sind Sie krank?«
»Nein.«
»Wohin wollen Sie?«
»Ins Heidehaus.«
»Fräulein Ursula Diewen?«
»Ja.«
Die Gestalt nahm ihren großen dunkeln Lodenmantel von den Schultern, schlug ihn um mich und zog auch noch mit rascher Hand die Kapuze über mein nasses Haar.
Eine wohlige Wärme durchströmte mich.
»Kommen Sie!«
Ich stolperte auf dem unebenen Heidewege neben dem Manne her bis vor das Heidehaus, niemand sprach ein Wort.
Als wir vor meinem erleuchteten Fenster stillstanden, nahm er mir den Mantel wieder ab, ich sah scheu zu ihm auf, aber sein Gesicht war im Dunkeln.
Doch meine verweinten Augen, mein ganz verstörtes Wesen mußte er wohl gesehen haben.
Eine tiefe, gute Stimme sagte:
»Wer Bach und Beethoven so kennt und liebt wie Sie, der sollte niemals verzweifeln. Gute Nacht.«
Sechs Wochen nach meiner Verlobung mit Heinrich Heinsius sah ich Martha Detleffsen zum ersten Male wieder, sie hatte den Typhus überwunden, war aber erschreckend elend.
Das dünne, ganz ausgefallene Haar fing eben an, sich in kleinen schwachen Löckchen wieder zu ringeln, – wie verändert war sie!
Verändert an Leib und Gemüt.
Kaum ein Wort sprach sie mit mir, und ihre großen, fieberhaft glänzenden Augen hielten meinen Blicken nicht stand, als ich eindringlich bat, mir zu sagen, ob es nur die schwere Krankheit sei, die sie so verändert habe.
»Ja, ja, Ursula, – die schreckliche Krankheit. Und dort – –«
Sie wies mit der mageren, blutlosen Hand nach dem Bett, auf dem ihre Mutter schlummerte.
Frau Detleffsen starb.
Ich bat Martha, ganz zu mir zu ziehen, – wir schienen die Rollen getauscht zu haben, ich klammerte mich jetzt an Martha, wie sie sich als Kind an mich geklammert.
Aber Martha wies mich schroff zurück, und wieder war es Heinrich Heinsius, der ihr recht gab.
»Es würde uns stören,« sagte er dann, als wir allein waren, – »sehr stören. Ich sagte dir schon einmal, daß ich mein Kleinod für mich haben will.«
Sein Kleinod!!!
Lu verstand sich nicht mit Heinrich Heinsius. Es war mir entgangen, trotzdem es längst Fremde gemerkt hatten, daß die beiden Geschäftsteilhaber einander aus dem Wege gingen. Ich selbst hatte mich mit meinem Lu auseinandergelebt, war ein scheues, nervöses Mädchen geworden, das sich niemandem erschloß und am liebsten einsame Wege ging.
Alle unsere Freunde fragten nach dem Termin unserer Hochzeit – am dringlichsten Heinrich Heinsius selbst –, sein kostbares Schlößchen am Alsterufer war bereit, mich zu empfangen, ebenso die Villa am Gardasee, wohin er mich zuerst führen wollte.
Warum gab ich den Zeitpunkt nicht an?
Ich weiß es nicht.
Einmal war ich mit Bruder Lu allein.
Eine lange Pause war in unserm recht oberflächlichen Gespräch eingetreten, – ach, wo waren jene Zeiten hin, da wir so ganz eins waren und in unserer regen Teilnahme füreinander uns im Austausch der Gedanken, Ansichten und Empfindungen förmlich überstürzten!
Als ich aus tiefem Sinnen aufsah, traf mich so ein guter Blick aus seinen Augen, und seine großen, ausdrucksvollen Hände – so ganz andere, wie die meines Verlobten (ich muß es immer wieder betonen) – legten sich liebevoll auf die meinen.
Da fragte ich:
»Lu, warum kannst du ihn nicht leiden?«
»Meinst du Heinrich Heinsius?«
»Ja.«
»Ja. Ludwig!«
Lu war aufgesprungen, ich hatte beide Arme um seinen Hals gelegt und schmiegte mich schutzsuchend an ihn, dabei weinte ich laut und schmerzlich.
»So will ich ihn immer besser zu verstehen suchen, kleine Urschel.«
»Ach Lu! Lieber, lieber Lu!«
Mir war so verworren zumute, und jetzt, wo ich diese Aufzeichnungen mache, kommt es mir so recht zum Bewußtsein, wie unbegreiflich mein ganzer Zustand war.
Wäre Lu mein Mütterchen gewesen, vielleicht hätte ich in dieser Stunde den Mut gefunden, ihm mein Innerstes zu offenbaren, den furchtbaren Zwiespalt aufzudecken, in dem ich mich befand. Ich hatte immer gehört, daß eine Mutter alles versteht, alles begreift, alles glaubt, hofft, duldet und nicht das Ihre sucht, hatte gehört, daß eine Mutter die verkörperte Liebe ist. – –
Aber Lu war nur mein Bruder, und ich schwieg.
Den 10. November.
Heute morgen erwachte ich mit wirrem, schwerem Kopf.
An meinem Bett saß Mutter Alslev.
»So, das is man schön, daß Sie wach sind und auch klare Augen haben. Und so kann es nicht fortgehen, Fräulein Ursula. Da ist jemand gekommen und hat mir gesagt, daß ich besser aufpassen müßt' auf Sie, und daß Sie uns hier bannig krank würden. Nein, lassen Sie die alte Frau man ausreden. Ich habe dem Jemand gesagt, daß Sie von dem vielen Schreiben so elend würden, und er hat gesagt, dann müßt' man es Ihnen fortnehmen, denn man hätte eine Verantwortung für Sie, oder man müßte es dem Herrn Bruder in Hamburg melden, der käme dann sofort her. Und jetzt sind Sie ganz blaß geworden und waren vorher fieberrot, und ich weiß meiner Seele keinen Rat, und habe Sie doch lieb, denn Sie sind seelensgut, und ich bin voll Sorge um Sie.«
Also die lange Rede von Mutter Alslev.
»Mutter Alslev, warum sitzen Sie hier an meinem Bett?«
»Weil Sie die ganze Nacht im hellen Fieber waren und kaum zu halten. Und ›mien Jung, de Scholmeister‹, ist zum Arzt gelaufen, aber der ist selbst über Land gerufen, und vor Nachmittag kann er nicht hier sein.«
»Mutter Alslev, ich bin gesund!«
»Dat gloiv ik ni.«
»Doch, doch, es ist so.«
»Se möten in't Bett bliewen, Frölen Ursula! Un de Feder un de Tinte, de nehm ik fort! Un ik schriew sülwst an den Herrn Ludwig Diewen.«
»Liebe Mutter Alslev, ich bin gesund! Und noch einen einzigen Tag will ich schreiben und dann ...«
»Und dann?«
Sie schüttelte mit dem Kopf, und meine gute Jungfer Minna kam herein und schüttelte auch den Kopf.
Aber ich stand auf, badete den heißen Kopf und die heißen Hände im eisigkalten Heideflußwasser und war gesund.
Einen Tag habe ich Zeit, ich will ihn nützen.
Warum siehst du mich immer so forschend an, Ursula? Weißt du auch, du närrisches, geliebtes Kind, daß es keine guten Blicke sind, mit denen du mich anschaust? Und ich möchte heute endgültig wissen, warum du meine Hände nicht liebst wie den ganzen Mann?«
So fragte mich Heinrich Heinsius.
Es war drei Wochen vor unserer endlich festgesetzten Hochzeit. Ich nahm mich zusammen. Mein Herz schlug so heftig, daß ich meinte, er müsse es hören.
»Heinrich Heinsius, deine Hände sehen aus, als quälten sie Tiere. Ist es wahr?«
Wir waren aufgesprungen und standen uns beide blaß gegenüber.
Er sah aus, als wollte er mich schlagen.
Dann fiel die Tür hinter ihm zu.
An demselben Tage hat er seinen kleinen weißen Hund zu Tode geprügelt.
Und sein Reitpferd zeigte wunde Striemen, und Martha Detleffsen hat er geschlagen, – alles, alles Wehrlose ...
Aber das habe ich erst viel später erfahren.
Drei Tage vor unserer Hochzeit bat ich ihn mit abgewendetem Gesicht, mich freizugeben.
Denn wenn er mich ansah, konnte ich ihn nicht darum bitten, ich war dann ganz in seinem Bann. Auch schreiben konnte ich es ihm nicht, – ich fühlte seine Nähe, wenn er fern war, und fürchtete mich vor seinem Zorn.
Aber drei Tage vor der Hochzeit war das Grauen vor diesem Tag stärker in mir, als die Furcht vor dem Zorn.
»Heinrich Heinsius, gib mich frei!«
Eine volle Stunde lang rang er in heftigem Wortwechsel mit mir, betete er mit mir.
Dann war ich überwunden.
Heinrich Heinsius hatte das Bild meines sterbenden Vaters beschworen, ich sah wieder deutlich das arme, verzerrte Antlitz und hörte die röchelnden Laute: »Ursula – Diewen und Heinsius – ich sterbe ruhig.«
Ich lag wieder an der Kette. –
Wenn man einst diese Blätter lesen wird, wird man fragen und mutmaßen und auf mich schelten, oder lächeln und die Achseln zucken.
Fragt nicht, mutmaßt nicht, lächelt nicht!
Es ist alles unnütz.
Ich schreibe es nieder, wie es war, nichts als die Wahrheit.
Am 21. Oktober unterzeichnete ich mich auf dem Standesamte als Ursula Heinsius geborene Diewen.
Dann brachte mich Heinrich Heinsius nach Hause, und er selbst fuhr nach seiner Wohnung, um sich zur Kirche umzukleiden, und – – »sich noch im Gebete zu sammeln«. –
Man legte mir das Hochzeitskleid an, ich war so weiß wie die starre Seide, die mich umrauschte.
Die »Zweite« reichte mir kühl ihre Fingerspitzen, Tante Renate küßte mich, Onkel Eberhardt sprach einige salbungsvolle Worte, ich ruhte an Lu's treuem Bruderherzen, – dann schickte ich sie alle fort und – lief, so wie ich war, ins Gartenhaus, zu Martha Detleffsen. Sie war aufs neue erkrankt, und ich wollte doch nicht ohne den Segenswunsch der alten Freundin vor den Altar treten.
Ich fand Martha Detleffsen ohne Bewußtsein.
Allein. –
Auf ihrem Bett Briefe, Photographien, – – –
Heiße Liebesbriefe von Heinrich Heinsius, – –
Das Bild eines kleinen Kindes – – –
Es waren keine alten Briefe ...
Wie ich wieder in mein Stübchen kam, weiß ich nicht.
Aber ich war wieder dort und hörte die Glocken der alten Lutherkirche zu meiner Hochzeit läuten.
Und ich hörte mich laut und deutlich sagen:
»Mein Herrgott, Hab' Erbarmen! Hab' Erbarmen!«
Ich kann nicht weiter, ich habe mir doch zu viel zugemutet.
Einen alten Zeitungsbericht lege ich noch zwischen diese Blätter.
Hamburg, den 21. Oktober.
Ein erschütternder Unglücksfall hat sich heute zugetragen.
Der Sozius der Firma Diewen und Heinsius, Herr Heinrich Heinsius, wurde heute aus seinem Wagen geschleudert, als er im Begriff stand, zu seiner Vermählung mit Fräulein Ursula Diewen zu fahren. Seine scheuenden Pferde gingen durch, so geschah das Schreckliche. Herr Heinsius starb auf dem Transport nach dem Landkrankenhause. Fräulein Diewen soll schwer erkrankt sein.