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Wieder einmal – wenngleich langsam zögernd, wie von unerklärlicher Furcht ergriffen – sammelten sich die höckrigen, zottigen Herden der Bisons zu ihrer von altersher gewohnten Wanderung nach Süden. Neue und schreckliche Feinde hatten sie in den letzten Jahren heimgesucht, ihre Reihen gelichtet und zerstreut, so daß auch in den schwerfälligen Gehirnen der grimmigsten alten Bullen der Zwang zur Vorsicht aufdämmerte. Bisher war die kolossale Horde gewohnt gewesen, auf einfache, gerade Weise mit ihren Gegnern fertig zu werden – mit vorgeneigten Stirnen war sie über sie hingedonnert, hingerollt, eine unwiderstehliche Flut furchtbarer Hufe, alles Leben zerstampfend. So hatten die Bisons gegen ihre alten Feinde siegreich gekämpft und sich vermehrt, bis die Ebene schwarz war von ihren wandernden Scharen. Aber gegen den neuen Feind – den weißen Mann, mit seinen Büchsen, seiner List, seiner Kaltblütigkeit und unersättlichen Habsucht – gegen ihn war ihre Taktik ein vernichtender Fehler gewesen. Je zahlreicher sie wurden, um so mächtiger war der Anreiz für den zügellosen Mörder. Und so waren sie vor ihm dahingeschmolzen. Langsam aber sicher hatte sich ein neuer Instinkt in ihren dumpfen Hirnen gebildet, der Instinkt, sich zu zerstreuen, die ausgetretenen Wechsel zu meiden und in abgelegeneren Tälern, an kleineren Flüssen Schutz zu suchen: dort, wohin der weiße Mann seinen Fuß noch nicht gesetzt hatte. Aber diese leise Regung eines jungen Instinktes war viel zu schwach und tastend, um die schwerfällig-eigensinnigen Herden in ihrer Gesamtheit zu lenken. Es war ein zu spät geborener Instinkt. Nur hier und dort taten sich kleine Gruppen zusammen – etwa fünf bis sechs Kühe unter der Herrschaft eines zottigen Bullen, von wachsamerem und geschmeidigerem Geiste als seine Kameraden – und entschwanden durch die Waldungen, nicht geneigt, der Aufforderung zu allgemeiner Sammlung Folge zu leisten. Die übrigen aber, erregt und dennoch unklar über die Bedeutung dieser Unruhe, gehorchten dem alten Triebe und schlossen sich zusammen, bis die nördlichen Ebenen schwarz von ihnen waren.
Und dann begann der große Marsch, die verhängnisvolle Wanderung nach Süden.
Aus der Ferne gesehen, hätte man die dahinziehenden riesigen Auswanderer leicht für eine geschlossene Masse halten können, aber es waren tatsächlich viele kleine Herden, jede bis etwa vierzig Stück zählend und unter der Herrschaft von zwei bis drei Bullen treulich zusammenhaltend. Der Zwischenraum zwischen den einzelnen Herden war nicht groß, doch bestimmt kenntlich. Aber alle zogen sie in wunderbarer Einmütigkeit nach Süden, wanderten, ruhten und wanderten wieder, wie von einem übermächtigen Zwang geleitet. Selbst die Kämpfe der eifersüchtigen Bullen fanden in der Bewegung der Wanderschaft statt: Sie stampften den Boden, schmetterten die Stirnen mit den kurzen reißenden Hörnern gegeneinander, aber sie drängten dabei trotzdem vorwärts.
Der Süden mit seinen sonnenüberfluteten Weiden zog sie an, und der Norden trieb sie mit der Drohung seiner kalten Stürme vor sich her. Das Dröhnen und Stampfen ihrer Hufe schlug zu schwerem Donner über ihrem Marsch zusammen und ließ die weite Ebene erzittern.
Trotz ihrer dichten Reihen schien doch die Erkenntnis, daß ihre Zahl und ihre Macht nichts mehr war im Vergleich zu der Gewalt ihrer Wanderungen früherer Herbste, dunkel über aller Bewußtsein zu lagern. Jene Sicherheit, die unwiderstehliche Macht verleiht, war von ihnen gewichen. Sie zogen dahin wie unter einer Wolke dunkler Vorahnung, und dichter als es sonst der Brauch war, drängten sich die einzelnen Herden aneinander, wie zum Schutz vor einer ungewissen Drohung.
Rings um die weitgezogenen Flanken ihres Wanderzuges aber schlichen, immer geschickt ausweichend, ihre Erbfeinde, die kleinen, schlanken, gelblich-grauen Steppenwölfe. Die wurden aber, da sie nur kranken oder von der Mutter abgekommenen, ganz jungen Kälbchen gefährlich werden konnten, garnicht beachtet, es sei denn, daß eine nervöse Kuh zu ärgerlichem Vorstoß gegen sie ansetzte.
Am äußersten Rande der rechten, westlichen Flanke des Zuges ging eine dicht gedrängte Herde, die mit besonderer Zähigkeit zusammenzuhalten schien. Sie bestand aus einem Dutzend Kühen mit Kälbern und Jährlingen und zwei ausgewachsenen Bullen. Der eine, jünger und schwächer, hielt sich schüchtern im Hintergründe. Der andere aber war ein riesiges Tier mit prachtvoller bemähnter Stirn und einem aufmerksamen, argwöhnischen Blick, der zu dem blöden Glotzen seiner Kameraden in scharfem Gegensatz stand. Viele ereignisreiche Wanderungen hatten ihn scharfsinnig gemacht. Mit erhabener Sicherheit führte er seine Herde, denn er wußte, was ihr zum besten diente. Jetzt aber schien er über irgend etwas im unklaren: war es der Marsch nach Süden an sich oder die Gemeinschaft mit den übrigen Herden? Wenn er sich ihnen auch sozusagen nur an den Rockzipfel hing, so war er doch stets in Bereitschaft, bei nahender Gefahr mit den Seinen durch die Hügel abzuschwenken. Gleichzeitig aber sicherte er seinen Trabanten durch die Flankenstellung das frischeste und süßeste Weidegras.
Doch wenn ihn auch Befürchtungen bisweilen beunruhigten, so waren diese doch zu unbestimmt, um sich zu eigentlicher Furcht zu verstärken. Die gewohnten Gefahren einer Wanderung schreckten ihn nicht mehr, als einem scharfsinnigen Führer zukam. Den schleichenden Steppenwölfen schenkte er keine Beachtung. Mochten sie herumhuschen wie magere Schatten, so nahe wie die argwöhnischen Kühe es nur gestatteten, er nahm sich nicht einmal die Mühe, seine blanken krummen Hörner nach ihnen zu schütteln. Auch die großen grauen Wölfe verachtete er, übersah sie jedoch nicht, wie in dunkler Vorahnung des Tages, an dem er, alt und schwach, aus seiner Herde vertrieben werden würde. Gegen einen Feind jedoch war er unermüdlich auf der Hut; ihn hatte er achten und fürchten gelernt: den Menschen – den jagenden Indianer und den weißen Jäger. Ihrer, die das Volk der Bisons gelichtet hatten, konnte er nur mit einer von Furcht eingedämmten Rachsucht gedenken. Doch nicht die wohlberechtigte Furcht vor dem feindlichen Menschen, dessen Angriffen er bereits durch geschickte Taktik zu begegnen wußte, hätte die an Panik grenzende Angst erklärt, die ihn umklammert hielt. Sie beruhte auf etwas Unbekanntem und grub sich deshalb so unerbittlich in seinen Nerven fest. –
Stampfend und unbehelligt rollten die Herden nach Süden. Die Herbsttage waren sonnig, der Himmel wölbte sich traumhaft. Die Nächte aber waren kühl, und in der rosenroten Frische der Morgendämmerung entstieg den zahllosen schnaubenden Nüstern und frostbereiften wallenden Mähnen ein weithin schwelender Nebel. Weidegras gab es im Ueberfluß, und die Bullen waren in kühner, kampflustiger Stimmung. Nichts schien unwahrscheinlicher, als daß dieser mächtigen, unüberwindlichen Herde Unheil drohen sollte. Der braune Bulle jedoch blieb beunruhigt. Von Zeit zu Zeit hob er seine Nüstern, witterte nach allen Richtungen und sondierte die am westlichen Horizont sich hinziehenden niederen Hügel, als müsse das unbekannte, aber geahnte Unheil von dort kommen.
So verging Tag um Tag – und nichts geschah. Der braune Bulle aber wurde immer unruhiger und wachsamer und hielt seine kleine Herde mit großer Strenge zusammen. Weidend, kämpfend zog das Volk der Bisons dahin und rastete nur, um zu schlafen oder zu ruhen.
Bei einer solchen Rast kam die Herde des braunen Bullen an der äußersten rechten Flanke auf den Gipfel eines steilen Hügels zu stehen, der eine weite Fernsicht ermöglichte. Der braune Bulle liebte solche Positionen.
Hier stand er, witterte mit weiten, nassen Nüstern doch vergeblich wie immer. Hinter sich aber sah er plötzlich etwas, das seine gereizten Nerven vor Wut erzittern ließ. Ein alter Bulle war von der Nachbarherde vertrieben worden, seiner Herrschaft entsetzt und von dem jüngeren und stärkeren Rivalen scheußlich zugerichtet. Vor Wunden taumelnd und überwältigt von dem Schrecken des Ausgestoßenseins, versuchte er sich in die nachfolgende Herde einzureihen, wurde aber unbarmherzig auch von dort vertrieben. Von Herde zu Herde wankend, immer von einem Ring vorgeneigter Hörner und zorniger Augen umgeben, schleppte er sich strauchelnd nach hinten, dem Schicksal der Einsamen entgegen, das er teilnahmlos viele seiner Kameraden hatte erleiden sehen. Kaum aber hatte er den Zug der Herden verlassen, als ihn vier große Wölfe ansprangen und in die Knie rissen. Dies war der Anblick, der den braunen Bullen auf dem Hügel in schäumende Wut versetzt hatte. Brüllend stürzte er, die Stirn zum Angriff geneigt, den Hang hinab. Auch seine Herde senkte, erstaunt, aber gehorsam, die massigen Häupter und hielt sich dicht an seine Fersen. Giftig knurrend ließen die Wölfe von ihrer Beute und sprangen zurück, ehe der braune Bulle mit den Seinen über den sterbenden Ausgestoßenen dahingedonnert war. Als der braune Bulle innehielt und um sich blickte, war kein Feind mehr zu sehen. Seine Wut verbrauste. Ruhig führte er sein Gefolge an den alten Platz auf dem Hügel zurück, in die Gemeinschaft der Herden.
Sofort fingen die Tiere wieder an zu weiden, als sei nicht das geringste geschehen. Aber den braunen Bullen ergriff plötzlich wieder eines jener dunklen, bangen Gefühle. Er hob seinen Kopf, um die Ferne noch einmal abzuspähen und stand so, mehrere Minuten unruhig mit den Hufen tretend. Da sah er, wie aus der Kluft zwischen den Hügeln etwas heranstürmte. Es waren Pferde, aber keine wilden, und jedes trug einen roten Reiter. Nun wußte er, daß sein Platz an der Flanke der Herden nicht mehr sicher war.
Einen Augenblick stand der braune Bulle unentschlossen, aber bereit, sein Gefolge aus der Gemeinschaft der Herden durch die bewaldeten Hügel fortzuführen, ehe die Reiter herankamen. Dieser Impuls wich jedoch der Erinnerung an den harten Winter des Nordens oder auch der Zugkraft, die das Herdengefühl in seinem Herzen ausübte. So führte er sein Gefolge den Hügel hinab und drang unbemerkt von der Flanke des Bisonheeres nach dem Zentrum vor.
Zweifellos war er hier ein Eindringling; anstatt aber einen Kampf oder, richtiger gesagt, eine Reihe Kämpfe heraufzubeschwören, begnügte er sich, seinen gewonnenen Boden bestimmt, aber keineswegs herausfordernd zu halten. Seine hochragende Gestalt und wilde entschlossene Haltung ließ die fremden Bullen von einem Kampfe abstehen. Zoll um Zoll gaben die Herden nach, halb unbewußt und mehr ihrer eigenen Bequemlichkeit halber, und Zoll um Zoll setzte der braune Bulle seinen anmaßenden Marsch fort, bis er schließlich nach einer Stunde des Manövrierens etwa vierhundert bis fünfhundert Ellen von der gefahrvollen Flanke entfernt einen guten Stand an der Front des Zuges errungen hatte, wo das Weidegras noch immer frisch und unzerstampft war.
Die Indianer fegten auf ihren wilden Pferden heran, dicht an der Flanke der Herde suchten sie sich in aller Ruhe ihre Opfer aus. Nur auf Wildbret bedacht, wählten sie die jungen besten Kühe und sparten sogar am Pulver, um nicht mehr zu verschießen, als notwendig war. Einige Stunden hingen sie so der Herde dicht an der Seite. Aber nur der unmittelbar angegriffene Teil nahm von ihnen Notiz. Instinktiv zogen die Tiere sich von den fliegenden Reitern und dem Flammen und Krachen ihrer Flinten zurück. Das Bewußtsein ihrer Zahl und der Nähe der Kameraden schien ihnen ein unerschütterliches Gefühl der Sicherheit zu geben, auch wenn der schnelle Tod unter ihnen mähte. Der braune Bulle war unbesorgt. Er hatte seine Vorsichtsmaßregeln getroffen. Der Ansturm galt nirgends seinen Schützlingen und ging ihn deshalb nicht das geringste mehr an.
Lange ehe die Nacht hereinbrach, hatten sich die Indianer zurückgezogen, aber der andere Tag brachte neue, und etwa eine Woche oder noch länger waren die Herden vor plötzlichen Ueberfällen auf die eine oder andere Flanke oder gar auf beide zugleich nicht sicher. Wieder und immer wieder sah sich der braune Bulle durch das Schwinden der äußeren Reihen der gefährlichen Zone nahe gerückt und unbemerkt arbeitete er jedesmal seine Herde einige hundert Meter weiter nach der Mitte durch.
Die Angriffe hatten einige Tage ausgesetzt und nun kehrten die Steppen- und Waldwölfe zurück, um der Spur der schwindenden Herden wieder zu folgen. Dieser Waffenstillstand machte den braunen Bullen jedoch nicht übermütig. Er hielt sein Gefolge immer vorsichtig im Zentrum, unermüdlich, entschlossen, argwöhnisch und wachsam. Die Tage waren heiß, wolkenlos der Himmel. Jedes Gewässer schien unter den durstigen Mäulern der Herden zu versiegen und hinter ihnen wanderte eine gewaltige flimmernde Staubwolke wogend und wallend mit.
Doch die wenigen friedlichen Tage waren nur ein Vorspiel zu härtester Heimsuchung. Eine Bande weißer Jäger erschien, umritt die Herden und griff sie von beiden Seiten zugleich an. Diese Jagd galt den Häuten der Tiere und nicht ihrem Fleisch, sie war darum wahlloser und brutaler als die der Indianer. Schnell zeichnete jeder der Jäger, was er erlegt hatte und weiter ging es neuen Opfern nach. Nachts kampierten die Reiter im Freien und holten in der Kühle des Morgens auf ihren unermüdlichen Mustangs die sich langsam voranbewegenden Herden wieder ein. Um die abgehäuteten roten Kadaver rissen sich die Wald- und Steppenwölfe, und weither kamen die Aaskrähen in dichten Scharen. Ein grauenhaftes Bild, kraß abstechend von der Milde des Tageslichtes, das die Ebene friedlich überflutete. In diesen fünf bis sechs Tagen der Heimsuchung kroch das Entsetzen immer weiter, bis es auch das Herz der ziehenden Herden erfaßt hatte. Das Tempo ihres Marsches wurde eiliger, sie ließen sich wenig Zeit zu grasen und nur gerade soviel Ruhe, wie der lebensnotwendige Prozeß des Wiederkäuens erforderte. Aber endlich waren die weißen Mörder satt, sie blieben zurück, und die Herden, beinahe um ein Drittel zusammengeschrumpft, verlangsamten ihren Schritt. Phlegmatisch und von kurzem Gedächtnis, genügte ihnen ein Regentag, um den Frieden wieder herzustellen. Der Staub legte sich, die Felle wurden wieder frisch und dem groben Steppengras schien neue Süße verliehen. Nur das Unheil verkündende Vorgefühl des braunen Bullen ließ nicht nach, ja, es wuchs, er wurde vor Unruhe magerer und magerer.
Der Wechsel, der den Herden durch Generationen hindurch bekannt war, führte jetzt mehrere Tage am rechten Ufer eines breiten, aber ungewöhnlich seichten Flusses entlang. Das flache Brausen der gelben Fluten über Riffe und Sandbänke hinweg mischte sich mit dem Brüllen und Stampfen der Herde zu einem Donnergetöse, das bis weit in die Hügel hinein hörbar war und sich in der Ferne verlor wie das leise Rauschen der Meereswellen.
Ein Tag von schwer lastender Hitze brach an. Seltsame Unruhe lag über den Herden. Sie verzögerten ihren Marsch, um zu werden, die älteren Bullen und Kühe jedoch witterten ängstlich in die totenstille Luft. Gegen Nachmittag stieg südöstlich hinter dem Fluß ein geheimnisvoller Dunst von lieblichstem, rosig angehauchten Safrangelb auf und verbreitete sich mit erschreckender Geschwindigkeit über den heißen türkisblauen Himmel, als tränke er den leeren Raum in sich hinein. Bald waren alle Augen auf das Schauspiel gerichtet. Plötzlich aber formte sich im Herzen des rosigen Nebels eine gigantische, gelbschwarze Säule, mit weit ausgebreitetem Kapitäl, das sich in einem schnell daherschwingenden Baldachin schwarzer Wolken verlor. In furchtbarer Eile zog das Entsetzliche heran, etwas wie ein Gespinst auf dem Erdboden nachschleppend.
Der braune Bulle, dessen Herde sich jetzt in der ersten Reihe des Zuges befand, stand eine Sekunde regungslos, bis er die genaue Richtung der sich weiter spinnenden Säule erkundet hatte, dann schoß er in wilder Flucht nach vorn, dem herannahenden Verhängnis entgegen. Sein Gefolge hielt sich scharf an seine Fersen mit geneigten Köpfen, vor Panik blind.
Zwei oder drei Minuten später, und der ganze Himmel war schwarz! Ein furchtbares Summen wie von riesigen Drähten erstickte den Donner der dahinjagenden Herden und gellte plötzlich zu einem gewaltigen, ohrenbetäubenden Brausen empor. Die sich immer weiter spinnende Säule fegte über den Fluß und wischte ihn im Vorüberziehen bis auf den Grund des Bettes weg. Die Herde des braunen Bullen fühlte eine widerliche Leere in ihren Lungen, dann hob sie ein Windstoß beinahe von der Erde, die Kniee versagten ihnen vor Entsetzen. Der Bulle aber hatte geschickt geführt, sie hatten die Grenze des gewaltigen Gerichts überschritten. Die Nachhut aber wurde von der Windhose erfaßt: Wie welke Blätter wirbelte sie die Tiere in die Höhe, trug sie davon, um sie in scheußlichen Fetzen über die Ebene wieder auszustreuen. Und sofort war der Himmel wieder klar. Kein Wind regte sich mehr, nur ein kühles pochendes Atmen wehte in der Luft. Das Gellen des Wirbels war versunken, und wieder hörte man das Brausen des Flusses über Riffe und Sandbänke. Ein volles Drittel des Bisonheeres war aus dem Leben gewischt. Die Ueberlebenden zitterten, entsannen sich aber bald ihres Hungers und begannen das sandige, zerfegte Gras wieder zu rupfen.
Am folgenden Tag durchquerte der gelichtete Zug den Fluß, der an dieser Stelle in scharfem Bogen nach Westen den Wechsel kreuzte. Der Fluß war durch Regengüsse oberhalb seines Laufes stark angeschwollen, und viele der schwächeren Tiere wurden während des Uebergangs hinweggeschwemmt. Nur die Herde des braunen Bullen, wohl gehütet und diszipliniert, kam ohne Verlust hinüber.
Und nun traten sie in ein grünes, fruchtbares und wohlgewässertes Land. Hier hätten sie gern verweilt und wieder Kräfte gesammelt, aber schon nahten die »weißen Männer« wieder! Sie merkten bald, daß der Zug dürftiger war als in früheren Jahren. »Wir sind von den Rothäuten oben im Norden beraubt!«, schrien sie mit edler Logik. Dann fiel ihnen jedoch ein, daß die Indianerstämme weiter im Süden, die ihr Leben durch Bisonjagd fristeten, die wandernden Herden ängstlich erwarteten. »Gut, denen wollen wir's anstreichen!«, hieß es. »Auf, bringt die Herden um, dann muß das rote Gesindel verrecken!«
Wie sie sich auch mühten, diese menschliche Absicht durchzuführen und an allen Flanken drauflosfeuerten, der Kern der Herde blieb doch unerschüttert und trieb ständig weiter nach Süden. Es schien, als solle dem Schicksal zum Trotz doch ein gewaltiger Ueberrest das zerklüftete Land erreichen, wohin die weißen Jäger nicht folgen würden, denn es war das Gebiet der Rothäute, die sie fürchteten.
So beschlossen die Jäger, die Herden zu zersprengen und die einzelnen Gruppen von ihrer südlichen Marschrichtung abzudrängen. Gelang dies, so war ihre völlige Vernichtung leicht.
Diese Männer kannten die Bisons und ihre tiefwurzelnden Gewohnheiten. In kleinen Gruppen von drei bis vier Mann stellten sie sich auf ihren Pferden vor die Front der herannahenden Herde. An den Flanken hatten sie wenig Aufmerksamkeit erregt. So aber reizte ihr Anblick die führenden Bullen zu wilder Wut. Sie stampften den Boden, schnoben laut und stürzten, die massigen Köpfe geneigt, zum Angriff vor. Und die Herden nahmen in plötzlich entfachter Wut den Angriff auf. Es sah aus, als sollten die kleinen Gruppen wartender Reiter vom Erdboden getilgt werden.
Als aber die dunkle, schreckliche Flut wallender Mahnen, wilder Augen, scharfer Hörner und schmetternder Hufe heranrollte, knallten die Schüsse. Die führenden Bullen fielen und die rollende Flut der Herden spaltete sich im Feuer der Mündungen wie ein Wassersturz an Klippen und Felskante. Einmal getrennt und der allgemeinen Panik verfallen, den Feind plötzlich mitten unter sich zu sehen, splitterte die Herde hoffnungslos in Stücke, und nun gelang es, sie nach allen Richtungen zu zerstreuen.
In einem Falle freilich ging den Jägern der Plan nicht ganz nach Wunsch. Drei von ihnen hatten sich der Herde des braunen Bullen gegenübergestellt. Der wich nicht zur Seite, sondern stürzte direkt auf die Reiter los, seine ihm vertrauende Herde hinter ihm.
Die drei Reiter machten kurz kehrt, um dem Sturm zu entgehen. Der braune Bulle aber bekam das Pferd des Anführers doch in der Flanke zu fassen, riß und stieß es nieder und fegte über die Körper hinweg, die schon nach wenig Sekunden kaum noch vom Erdboden zu unterscheiden waren. Auch der zweite wurde überrannt und sank mit seinem Roß unter die Hufe der Herde. Nur der dritte entkam mit knapper Not.
Der braune Bulle aber behielt seinen langausholenden, schwerfälligen Galopp bei, bis er seine Herde ganz aus den verwirrten Ueberresten des zerschmetterten Bisonzuges losgelöst hatte.
Vor ihm lag der Weg frei. In der Ferne sowie zur Rechten sah er Wälder und gefurchtes Hochland, dahinter dunkelblau eine zackige Gebirgskette. Dahin führte er seine Herde, sie durfte nicht einen Moment verweilen, um zu ruhen oder zu grasen, solange das Schlachtfeld der Ebene in Sicht war. In der Nacht aber konnte der winzige verlassene Rest der dahingeschwundenen zahllosen Herden auf der reichen Grasfläche einer Lichtung in aller Ruhe und Sicherheit werden und schlafen.