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Den 8. Dezemb. 1779.
Hier hast du die Geschichte des Herrn Blanchet; Pfarrers von Cours, nahe bey Reole in Güyenne, so wie er sie an die Herrn von Alembert und Büffon geschrieben hat, und ich sie dir aus dem Observateur anglois übersetze. Ich hatte kaum meinen lezten Brief an dich fortgeschickt, der viel ähnliches mit der Relation dieses Pfarrers hat, als ich das Buch bey Herrn Gutmann fand. Jedem catholischem Geistlichen muß diese Geschichte interessant seyn; niemand kann sonst die Wahrheit seiner Erzählung so lebhaft fühlen; mich interessirt sie ganz besonders: denn ich war gewiß nur noch eine Stuffe von seinem Zustand entfernt. Es ist freylich ein seltner Grad von einer Krankheit, die das Celibat verursacht; aber die Krankheit selbst ist unter uns sehr gemein; ich nehme dich selber zum Zeugen. Wenn sie einem unter uns unbegreiflich ist, so ist entweder sein Temperament Schuld; oder er hat seine Hitze verrauchen lassen, ehe er geistlich wurde; oder sein Gewissen ist stark genug, sich über das strenge Celibat hinwegzusetzen. Jeder der ein wenig Wärme und guten Willen hat, das Celibat, das er schwört, genau zu beobachten, muß an einem gewissen Grad, nämlich nach Maaßgabe seines Temperaments, und der Vestigkeit seines Vorsatzes dem Celibat getreu zu seyn, mit Herrn Blanchet leiden. Es ist eine höchst schlimme Krankheit, die aus sehr guten Ursachen, nämlich aus grosser Lebhaftigkeit, delicater Redlichkeit, und aus Standhaftigkeit nothwendig entstehn muß; je mehr einer unter uns von diesen drey Tugenden hat, desto näher ist er an dem Rande des Abgrundes, worein Herr Blanchet stürzte. Sollte das nicht die Aufmerksamkeit unsrer Obern rege machen?
Nachricht von einer besondern Krankheit, die Herrn Blanchet etc. zugestossen ist, weil er eine allzustrenge Enthaltsamkeit beobachtete. Von ihm selbst geschrieben.
Um meinem Leser einen richtigen Begriff von der erstaunlichen Crisis meiner ganz besondern Krankheit zu geben, muß ich sehr weit hinaufsteigen; und ihm etwas von meinem Temperament, meiner Lebensart, meiner häuslichen und geistlichen Erziehung melden, die ursprünglich diese Catastrophe verursacht haben.
Ich wurde von jungen und starken Eltern gezeugt. Ein Saamen von der besten Gattung mußte in dem Schooß meiner gesunden und sehr verliebten Mutter Feuer fangen, und sich da mit aller Stärke und Kraft der Natur entwickeln. Nach neun Monaten kam ich aus ihrem Schooß in ihre Arme, um von ihrer Milch genährt zu werden. Diese Nahrung gab meinen Gliedern und Organen einen schnellen Wuchs, und meinem Temperament eine kräftige Constitution; ich bekam die vollkommenste Gesundheit: Lachen, Spiel und Freuden, waren die unzertrennlichen Gespielinnen meiner Wiege; ich empfand nichts von den Schwachheiten, die sonst den ersten Wuchs erschweren; es schien, als wenn ich dem allgemeinen Fluch über die Kinder Adams entgangen wäre. Dieser glückliche Zustand beschleunigte mein Temperament, und seine Frühzeitigkeit ließ mich viel eher, als es bey andern gewöhnlich ist, die Neigung zum schönen Geschlecht empfinden. Ich war noch nicht eilf Jahre alt, als mir von ohngefähr einige Gegenstände von dieser Art aufstiessen, und auf meine Augen und meine Einbildungskraft so gewaltig würkten, daß meine empfindsame Seele, von ihrem Reitz hingerissen, ihren Körper verließ und ihnen zuflog: Ut vidi, ut perii, ut me malus abstulit error!
Ohne allen Zweifel wäre ich dem heimlichen Zug des Vergnügens, der mich hinriß, nachgehangen; denn keine Alter, als dieses, ist weniger geschickt, einem Gesetz zu widerstehn, das uns alle fesselt; oder eine Leidenschaft zu zähmen, die keinen Zügel kennt. Aber die Lehren meiner Eltern hielten mich zurück, die mich zum geistlichen Stand bestimmten, und mir diesen Hang als ein Laster vorstellten. Dieser Kampf ist die Epoche all meiner Leiden, die Ursache all meines Unglücks. Ich will hier nicht sagen, daß es mir gut gewesen wäre, in einem so zarten Alter dem Trieb der Liebe zu folgen; aber meine Eltern hätten mich durch ein anders Mittel, nicht durch Wahn, davon zurückhalten sollen. Sie hätten sollen meine Neugierde interessiren; die unbeschreibliche Thätigkeit meines Geistes mit nüzlichen Studien beschäftigen; das Brausen, das Ungestümme meines Temperaments durch schwere Arbeiten dämpfen; und hätten mich so, wenns möglich gewesen wäre, bis zu der Reife und Vollkommenheit des Alters führen sollen, vor welcher es den Deutschen nicht erlaubt war; bis zu dem Punkt führen sollen, den der Vater von Montaigne unbefleckt erreichte, ob er gleich unter den ausgelassenen Soldaten herangewachsen war. Aber wegen Mangel einer solchen Erziehung ward ich bald wieder von dem Trieb der Natur zu den Gegenständen hingerissen, die auf mich diesen ersten und so lebhaften Eindruck gemacht hatten. Zwischen ihnen und den Vorwürfen eines durch die Vorstellung der Sünde aufgebrachten Gewissens, trieb mein Gemüth hin und her; ward schwankend und unstet; und da ich den Drang nicht mehr aushalten konnte, so entschloß ich mich, mich meinem Vater zu entdecken. Aber sein eigner Zustand beschäftigte ihn mehr, als der meinige; er hatte mehr mit seinem Fortkommen, als meinem Glück zu schaffen; oder vielmehr – ich muß ihm diese Gerechtigkeit wiederfahren lassen – er suchte meine Glück auf einem Weg, wo keins für mich zu finden war; stellte mir nun sein geringes Vermögen, seine vielen Kinder vor, und wußte erstaunliche Dinge von der Gemächlichkeit, dem Ueberfluß, der Behaglichkeit des geistlichen Standes zu sagen, worin mich zween Vetter erwarteten, um mich an ihrem Glück Theil nehmen zu lassen. Als ich gegen all sein Zureden taub blieb, nahm er mich in seine Arme, herzte mich mit viel Empfindung, und beschwor mich, einem Beruf zu folgen, welcher mir, ihm und meinen Brüdern, Brod verschaffen könnte. Ahndete wohl der unglückliche Vater was von all dem Unheil, das er mir und seiner Familie bereitete? Hatte er vorgesehn, daß die Gewalt der Neigung, die in diesem Augenblick der Vaterliebe nachgab; oder daß das unbändige Toben meines Temperaments, das nachher der Liebe zur Tugend und einem untadlichen Nahmen wich, mir die schrecklichste Krankheit, die je die menschliche Natur traf, und eine Verrückung des Verstandes zuziehn würde, die lange meinen unwiederbringlichen Untergang auf die Waage stellte? Ach! ich sah ihn, den zärtlichen und nur allzu gefühlvollen Vater! Kann ich sein Bild aushalten? Aber es dringt sich mir zu sehr auf, als daß ich ihm hier nicht Raum geben sollte: Ich sah ihn erschrocken und starr, wie ihn der traurige Anblick zwey seiner Kinder niederschlug, denen eine zu strenge Enthaltsamkeit den Verstand verrückte; sah, wie er vom innigsten Gram zerrissen ward; wie der zu bittre Vorwurf, den er sich eines Fehlers halber machte, der mehr der Gesellschaft und Religion, als ihm anzurechnen war, sein Leben zernagte, und seine Tage verkürzte; ich sah ihn sich ins Grab legen, ehe er die Hälfte seines Laufs vollendet hatte. In dem Zeitpunkt unterdessen, wovon ich rede, war mein Herz durch seine Liebkosungen erweicht; es lag vor ihm wie weiches Wachs, um von ihm nach Belieben geformt zu werden. Mein Beruf zum geistlichen Stand ward also entschieden; und von dem Augenblick an faßte ich den vesten, beständigen, unerschütterlichen Vorsatz, meinen natürlichen Trieb zu bekämpfen. Gott! welche Unternehmung! Das Vorhaben der frechen Sterblichen, die Gebirge aufthürmten, um den Himmel zu stürmen, kömmt mit ihr in keinen Vergleich. Welchen Weg betrat ich! Mein Gewissen ist mir Zeuge, daß, wenn ich alle herkulische Thaten und Bellerophons Abentheuer obendrein bestanden hätte, und wieder von vorne anfangen sollte, ich lieber lebendig in den Rachen der Chimäre fahren, als von neuem eine Bahn durchwandern wollte, worauf ich so lange Zeit nach und nach die Arbeit der Eumeniden, die Strafe des Sisyphus, und die Marter des Tytius ausstehn mußte. Die immer widerwachsende und beständig zernagte Leber dieses leztern war das lebendige und sehr treffende Bild einer immer thätigen und immer bekämpften Leidenschaft. Meine Gleichnisse werden niemand übertrieben scheinen, der gefühlt hat, wie süß es ist, dem Reiz des Naturtriebs zu folgen; wie hart es ist, ihm allezeit zu wiederstehn: Quisquis aut dulces aut amares experietur amores. Ich gieng aber so zu Werke: Ich machte den Anfang damit, daß ich zween Wälle aufwarf; dem einen gab ich die Forcht und Hochachtung eines allgegenwärtigen Gottes zum Grunde, und mit zartem ängstlichem Gewissen stand er gegen alle Gedanken, alle Begierden, und gegen alle, auch die geheimsten Empfindungen fest; der andre war auf den öffentlichen Ruf gegründet, und entfernte mich von aller Gesellschaft, allem Umgang, allen Bewerbungen des schönen Geschlechts. An diesen zween Wällen, oder vielmehr an diesen zwo Klippen brach sich unabläßig die Gewalt eines förchterlich tobenden Temperaments. Sturm auf einer Seite, Widerstand auf der andern, verursachten ein Prellen, eine anhaltende Erschütterung, die meine Seele ängstigten und ausser Fassung brachten. Beym Anblick der Gefahr, in der Forcht zu scheitern, sah ich mich nach einem Wegweiser, nach einem Steuermann um. Meine Wahl traf einen alten Priester, dessen Leidenschaften durch das Alter gelöscht waren, oder der vielleicht nie starke Leidenschaften hatte, und sonst kein eifriges, thätiges Bestreben in seinem Busen empfand, als junge Geistliche zum Celibat zu erziehn. Er war so ämsig in diesem Beruf, als es je die Pharisäer gewesen, nach dem Gesetz Moses Proseliten zu machen; wie dieser hätte er Erde und Meer durchwandert, um Kinder der Finsternis anzuwerben. Er war also entzückt einen zu finden, der sich freywillig und mit dem besten Vorsatz von der Welt anbot. Vor allem andern eröffnete ich ihm meinen inneren Zustand. Ich unterließ nicht, ihm zu erklären, wie gewaltig die Stärke und Geilheit meines Temperaments der Ausübung der Enthaltsamkeit entgegen arbeitete. Aber diese Schwierigkeit, diese Widerspenstigkeit gab seinem Seeleneifer nur mehr Schwung, anstatt ihm Bedenken zu machen. Der Gegendruck des Naturtriebes gegen die Enthaltsamkeit des Fleisches machte in seinen Augen, wie er sagte, mit der Gnade den herrlichsten Contrast. Ich begann einen Kampf, sagte er, der den Himmel interessirte; ich würde die Augen Gottes und des ganzen himmlischen Hofs auf mich ziehn; würde Lorbeer erndten, woran er ohne Zweifel Theil hätte, wie Patroclus an den Siegeskränzen des Achilles; kurz ich würde mir die Krone der Glorie und Unsterblichkeit erringen. Blinder Führer! Er sah nicht, daß zwischen Gnade und Natur kein Widerspruch statt haben kann; daß jene allezeit diese voraussezt, sie stüzt, wendet, reinigt und vollkommen macht, aber nie unterdrückt. Unterdessen ließ ich mich von ihm leiten, und ward also das Opfer der Unwissenheit meines Steuermanns und meiner Leichtgläubigkeit: Die Grösse der Hindernisse erhizte nur meine Einbildungskraft und meinen Muth in einem Alter, wo man das Verdienst einer Handlung bloß nach der Schwierigkeit mißt, die sich ihrer Ausführung entgegenstellt.
Der eifrige Gewissensmeister wußte sehr viel vom Fall des ersten Menschen zu sprechen; von dem Gift, daß sich in seinen Geburtssaamen geschlichen, in seine Nachkommenschaft übergegangen, und alle Individuen des Menschengeschlechts verpestet hat; welche Menschenkinder nun keinen Zeugungsakt hätten ausüben können, ohne sich von dem Feuer einer sündlichen Fleischeslust erhizt zu fühlen, wogegen ich aber mich immer mit dem unermüdesten abrenuntio satanes verwahren müßte. Er unterließ nicht, das Bild eines förcherlichen Gottes beyzufügen, der mit Augen der Eifersucht das Innerste meines Herzens ausspähte, und alle seine Regungen durchschaute. Durchschauert und geschreckt durch die Vorstellung eines so gegenwärtigen Gottes entschloß ich mich, mir nicht das Geringste zu erlauben, was ihm mißfallen könnte; und erlaubte mir würklich nicht, einen Wunsch zu äussern, noch eine Bewegung zu machen, die dem Trieb der Natur vortheilhaft seyn könnte. Ich fesselte meine Blicke, und heftete sie nie auf Personen vom andern Geschlecht. Eben so hielte ich auch meine übrigen Sinne im Zaum. Aber das Bedürfnis war meinen Bemühungen überlegen, und stellte unabläßig meiner Einbildung Gegenstände dar, die geschaffen sind, es zu befriedigen. Diese Gegenstösse, von dem natürlichen Trieb auf der einen, und meinen entgegengesezten Bemühungen auf der andern Seite, machten eine Art von Todeskampf aus, woraus eine Betäubung entstand, die mich eher einer Maschine, als einem Menschen gleich machte, indem sie alle meine Seelenkräfte niederdrückte. Die Natur, die bey der ersten Entwicklung meiner Organe mir ein so herrliches Schauspiel war; die mich mit Freude und Vergnügen erfüllte, indem sie jedem meiner Sinne den harmonischen Gegenstand darbot; die meine Seele mit diesen süssen Empfindungen wärmte, und dadurch alle Keime meiner Fähigkeiten aufgehen machte: Diese liebe Natur bedeckte nun sich, und alle ihre Reitze mit einem schrecklichen Todenschleyer, wodurch ich in die fernste Zukunft nichts als Wehe und Kummer sah. Nun verschloß sich mein starres Herz allem Vergnügen, und meine Seele verriegelte sich gegen die Freude. Wollte sie mir manchmal zulächeln, so stieß ich sie zurück, und fertigte sie mit dem Ecclesiastes ab: Risum reputavi stultitiam, & gaudio dixi, quid frustra deciperis?Risum ... – Ich habe das Lachen für Torheit gehalten, und ich habe der Freude gesagt, warum enttäuschst du mich so? Prediger Salomo 7.4 (Das Herz der Weisen ist dort, wo man trauert, aber das Herz der Toren dort, wo man sich freut. Es ist besser, das Schelten des Weisen zu hören als den Gesang der Toren. Denn wie das Krachen der Dornen unter den Töpfen, so ist das Lachen der Toren; auch das ist eitel.) Im Gegentheil, ich bemühte mich, meine Seele mit Gram, Verdruß und Bitterkeit zu tränken; in der Überzeugung, daß das die Vollkommenheit des Christenthums sey. Ascetische Bücher, gewisse Stellen der Schrift dir mir mein gallsüchtiger Vorsteher anschaffte und citirte, trugen alles dazu bey. Unterdessen kann die Güte Gottes nie von einer Creatur ein solches Opfer fodern, noch ein solches Beginnen gutheissen. Nein, wie sollte er sich widersprechen, wie sollte er die Ordnung der Gnade der Ordnung der Natur entgegensetzen? Und hat nicht alles Streben, haben nicht alle Schritt und Gänge der Natur Vergnügen zum Mittelpunkt? Durch den Reitz und durch den Zug dieses Vergnügens macht er kund, daß er die Kinder Adams an sich und ihre Pflichten erinnern will, worunter die Fortpflanzung ihres Geschlechts die wesentliche ist: Traham eos, sagt er, in funiculis Adam, in vinculis caritatis. Und anderstwo redet die Schrift von ihm, wo sie ihn charakterisiren will: Attigens à fine usque ad finem fortiter, & disponens omnia fuaviter.Attigens ... – Ich werde sie heftig anrühren von Anfang bis Ende und alles nach meinem Willen ordnen.
Ich wandelte also in der gefährlichsten Finsternis; denn die Traurigkeit, die auf mir lag, überdem, daß sie alle Wißbegierde in mir erstickte – das einzige Mittel, die Neigung, die ich bekämpfte, Luft zu machen – diese Traurigkeit, sage ich, führte mich öfters an den Rand des Abgrundes; und kaum stand ich fingerbreit von meinem Untergang. Kam mir manchmal der Zeugungsakt in den Kopf, so empfand ich gegen die Urheber meines Lebens einen Widerwillen, ein inneres Grausen, das meine Phantasie empörte, und mich mit einer Wuth begeisterte, die der Wuth der Manichäer und Circumcellianer ziemlich gleich war. Einigemale war ich schon nahe an dem Entschluß, die Unmenschlichkeit der Origenisten an mir zu verüben. Ich betrachtete mich als ein Ungeheuer, das unaufhörlich dem Gesetze Gottes widerstrebt; aber mein Gott war die Misgeburt meines Wahns und meines Aberglaubens. Unter dieser Lebensart erreichte ich die Jahre, wo ich die Priesterweihe empfangen, und nach der willkürlichen Einrichtung der Menschen eine ewige Keuschheit schwören sollte: Da dieser Stand keine strengere Enthaltsamkeit von mir foderte, als die ich würklich schon beobachtete, so sah ich also keine grössere Beschwerlichkeiten mehr, als die ich schon überstiegen hatte; ich entschloß mich dazu.
Wie der Tag meiner Weihe kam, begab ich mich an den Fuß des Altars; aber mit einer Schwermuth, der sich in allen meinen Handlungen äusserte, und eine natürliche Folge meiner melancholischen Lebensart war. Ich beugte da meine Knie, neigte das Haupt, und fiel wie ein fühlloses Schlachtopfer unter einem Schwur, der unendlich grausamer war, als das heilige Messer, das Jephtes Tochter oder Iphigenie schlachtete; dieses traf sein Schlachtopfer mit Einem Streich, ein für allemal; jener aber schmiedet sein Opfer an ein Gesetz, das so hart ist wie der Fels worauf Promethus seufzte, und zerreißt es ewig und unaufhörlich. In der That ich verdoppelte nach meinem Gelübde meine Sorgen und meine Wachsamkeit, um alles zu vermeiden was der Keuschheit anstößig wäre, und den Trieb der Natur bis in seine innerste Verschanzungen zu verfolgen; denn ich hielt mich nun noch mehr dazu verpflichtet. Itzt aber machte mir ein Umstand viel zu schaffen: Meine Wachsamkeit auf mich selbst war bey Tage stark genug, zu verhindern, daß unkeusche Gegenstände auf meine Einbildungskraft keinen so starken und dauerhaften Eindruck machten, daß mein Geburtsglied sich dadurch empörte, und sich die Natur erleichterte; aber des Nachts im Schlafe war meine Phantasie frey von den Fesseln der Vernunft und Religion; und durch ihre Bemühungen bekam sie Hitze genug, um der Natur Erleichterung zu verschaffen. Diese so simple, so natürliche Wirkung schien mir unterdessen eine Unordnung, eine Art von Befleckung zu seyn, die mich beunruhigte und sehr empfindlich ängstigte; denn ich schrieb mir allzeit die Schuld zu, und glaubte entweder durch die Qualität oder die Quantität meiner Speise dazu beygetragen zu haben. Dann wähnte ich wieder, ich habe meine Sinnen nicht achtsam genug verwahrt: In dieser Absicht enthielt ich mich von allen Nahrungsmitteln, wovon ich vermuthete, daß sie den Saamen entweder vermehren, oder erhitzen würden. Diese Diät machte mich äusserst mager. Ich verdoppelte meine Wachsamkeit und meine Abscheu gegen die nächtlichen Spiele meiner Phantasie so, daß ich bey der geringsten Bewegung unter dem Schlaf die den Ausfluß des Saamens veranlassen konnte, aufwachte: Durch Veränderung der Lage, oft durch gähes Aufstehn verhinderte ich es.
Ich hatte allerdings einen Monat lang diese grosse Anstrengung meiner Wachsamkeit ausgehalten, und war damals 32. Jahr alt, als ich eines Morgens fühlte, daß der Trieb meiner Phantasie, durch wohllüstige Bilder erhitzt, in die Geburtsglieder übergieng, und ich nahe an der Unordnung war, die ich befürchtete. Durch den starken Eindruck meines vesten Entschlusses und durch die Empfindung der Wollust ward ich aufgeweckt, sprang auf, und betrog die Natur. Nun würkte der Saamen, dessen Ausfluß ich eben gehemmt hatte, gewaltig auf meine Einbildungskraft, und gab ihr ein Feuer, ein Leben, wovon ich noch nichts ähnliches gefühlt hatte. Meine Sinne bekamen eine hinreissende Reitzbarkeit, eine erstaunliche Durchdringlichkeit. Nach Mittag gieng ich aus Gesellschafts=Pflicht in ein Haus; beym Eintritt in den Saal fielen mir zwey Frauenzimmer ins Gesicht, die auf meine Augen, und dann auf mein Herz einen so gewaltigen Eindruck machten, daß sie mir ganz feuerglänzend, wie electrisierte Personen, vorkamen. Da ich die physische Ursache einer so sonderbaren Wirkung nicht kannte, so hielt ich sie für Teufelsblendung, und gieng weg. Die Frau vom Hause ward durch meinen ungestümen Abzug betroffen, kam mir nach, und fragte mich um die Ursache. Ich sagte ihr gerade weg, sie habe zwey zu gefährliche Gegenstände bey sich; daß ich aber ein andermal die Ehre haben würde, meinen Besuch abzustatten. Sonderbar war es, daß diese Frau, so jung, so schön, und so reitzend als die zwo andern, gar keinen Eindruck auf mich machte: Das geschah aber aus einer physischen Ursache, die ich hernach erklären werde. Als ich aus dem Haus und von den Gegenständen entfernt war, die mich so heftig angriffen, ward ich ruhiger; nur fühlte ich noch meine Seele in Brand, und meine Sinnen so ausserordentlich lebendig, als wenn ich ohne Bewußtseyn hingerissen würde. Den übrigen Tag durch stiessen mir noch einige Frauenzimmer auf, und ich empfand bey ihrem Anblick die nämliche Wallung und Täuschung. Als ich des andern Tages auf dem Weg nach Hause war, so däuchte mich einigemal, mein Wagen fiele und stürzte um; ich rief deswegen den Fuhrleuten zu, sie sollten ihn halten: Da sie aber über meine ungegründete Besorniß lachten, so konnte ich nicht begreifen, was das bedeute. Unterdessen war schon eine wirkliche Zerrüttung in mir; aber mein Wahn schrieb sie äussern Gegenständen zu, da sie eigentlich in meinen Organen und dem Aufruhr meiner Sinnen ihren Grund hatte: Aber das fiel mir nicht ein. Da wir nahe bey einer kleinen Stadt, wo mein Weg durchgieng, Weibern begegneten, verursachten sie mir den nämlichen Schauer und die nämliche Blendung, wie Tags zuvor. Als ich in der Stadt an einem Wirthshaus abstieg, und man mir das Essen aufsetzte; schien mir, als wenn Brod, Wein, kurz alles in Unordnung und unter sich gekehrt wäre. Nun glaubte ich, der Geist der Blendung und Täuschung verfolgte mich überall; ich fuhr den Wirth grob an, den ich mit im Spiel glaubte, und stürzte in meinen Wagen. Da machte ich nun meine Betrachtungen, so viel es der Aufruhr meiner Sinnen gestattete, über meine Ereignisse des vorigen Tags, über die heutigen Vorfälle, und meine gegenwärtige Disposition; ich bestärkte mich in meiner ersten Meinung durch die Fabeln von Ribadeneyra, wovon die Väter der Wüste sagen, er sey unter den Blendwerken des Teufels genährt und erzogen worden. Eine Menge Stellen der Schrift fielen mir ein. Wie sie das einzige Buch war, das ich gelesen hatte, so hatte ich sie so ganz inne, daß keine Situation, kein Umstand im Leben kommen konnte, worauf ich nicht eine Stelle der Schrift anzuwenden hatte: Die des heiligen Paulus mußte mir nun vorzüglich Dienste thun, wo er sagt, daß wir nicht allein gegen Fleisch und Blut, sondern auch gegen die Bosheit und Gottlosigkeit der himmlischen und geistigen Mächte zu kämpfen hätten. Nun war es bey mir ausgemacht, daß ich vom Teufel besessen, und geblendet sey; und ich nahm mir vor, wenn ich heim käme, mit Beten, Fasten und Exorcismen wacker gegen ihn zu Felde zu ziehn. Ich setzte meinen Weg fort, wie ein andrer Saul, Zorn und Rache schnaubend gegen den Geist der Versuchung: spirans caedis & minarum. Als ich am nämlichen Tag zu Hause anlangte, fühlte ich mich doch viel ruhiger; entweder weil ich von den Gegenständen entfernt war, die mich in Bewegung brachten, oder auch wegen dem Vergnügen, wieder in den Schooß meiner Familie zu seyn. Aber des andern Tags, ohngefähr eine halbe Stund nach dem Essen, empfand ich gäh eine Dehnung und Erstarrung meiner Glieder; dann einen heftigen Schauer, ein convulsivisches Beben durch meinen ganzen Leib, wie der stärkste Anfall von Epilepsie. Mir wars in dem Augenblick, als wenn das Weltgebäude zusammenstürzte, Himmel und Erde erschüttert würden, und alle Elemente im gräßlichsten Aufruhr untereinander wären. Meine Leute liefen herbey, nahmen mich, brachten mich ins Bette, und wärmten mich; denn sie glaubten ich friere; es war im November. Nun wurden meine Feuchtigkeiten fliessend; des Saamen besonders, der wegen seinem grossen Ueberfluß in einer Art von Gleichgewicht, und durch die äusserste Ausstopfung aller seiner Gefässe in einer vollkommnen Stagnation war, bekam seine Wärme und Thätigkeit wieder. Aber da er aus den oben erklärten Ursachen die Geburthsorganen nicht fand, wodurch er sich natürlich hätte ergiessen sollen; so stieg er schnell und heftig ins Hirn, und verursachte mir da die heftigsten Schmerzen. Es schien mir, als wenn dieser ganze Theil meines Cörpers sich in eine Schnecke wirbelte.
Die Bewegung war so stark, daß sie in die ganze Maschine übergieng, mich hinriß, und veranlaßte, daß ich allerley kindische lächerliche Bewegungen machte, welche Aehnlichkeit und Bezug auf das hatten, was in meinem Kopf vorgieng. Die Heftigkeit des Schmerzens zog eine Verrückung des Verstandes und eine Raserey nach sich. Man ließ mir zur Ader; aber diese Aderlaß verschaffte mir nicht die geringste Erleichterung; sie hatte mich im Gegentheil noch mehr zerrüttet. Man badete mich; aber mit so wenig Vorsicht, daß, wenn meine vesten Theile nicht das leichteste Spiel, den harmonischsten Ton gehabt hätten, es um mich wäre geschehen gewesen, und ich eine unheilbare Verrückung des Verstandes, wie mein unglücklicher Bruder, bekommen hätte. Doch dämpfte das Kühle des Bades einen Augenblick die Hitze meiner Lebensgeister und meiner Phantasie; ich ward ruhiger. Aber als nach einiger Zeit die Hitze wieder kam, drängten sich eine Menge unkeuscher Bilder meiner Einbildungskraft auf. Alle Schönheiten des Hofs von Ludwig XV. stellten sich ihr nach und nach dar; denn ich bildete mir, durch eine sehr sonderbare Vorstellung, ein, daß der Gouverneur der Provinz, den man für einen galanten Mann hielt, aus Verdruß mich so eigensinnig zur Enthaltsamkeit entschlossen zu sehn, mir sie sehr ungestüm angeboten habe: Aber da meine Einbildungskraft durch die Erinnerung meines Standes, und den gedachten vesten Entschluß noch stärker betroffen wurde, so widerstand ich seinem Anerbieten: Dann glaubte ich gar, man brächte mir diese Gegenstände ans Bette, und wollte mich mit Gewalt dazu bringen; fieng deswegen schrecklich an zu schreyn, und bekam Convulsionen. Nichts konnte mit der unmenschlichen Marter verglichen werden, die ich durch das grausame Zerschneiden meiner Phantasie aushalten mußte, welche zwischen dem Reitz und dem Anziehen der von mir gegenwärtigen Gegenstände die zur Befriedigung der Bedürfnisse der Natur geschaffen sind, und zwischen dem Abscheu das Band der Religion zu zerreissen, getheilt war. Unterdessen war dieser Zustand so heftig, als daß er lange hätte dauern können; die Schwärmerey triumphierte über die Natur; oder diese veränderte ihren Gang; die Bilder verschwanden, und der Aufruhr legte sich. Die Ruhe währte nicht lange: Bald danach kam wieder ein Sturm, zwar nicht so heftig als der erstere, denn er war mit süssen Empfindungen vermischt; aber doch heftig genug.
Nun verwandelte sich der Schwung der Laune, der mich beherrschte, in eine kriegerische Wuth, und mahlte meiner Besinnungskraft alle Helden vor, deren Charakter mir von Jugend auf vorzüglich aufgefallen war. Meine Einbildungskraft versetzte mich in alle Schlachten und Belagerungen, wovon ich die Geschichte gelesen hatte; ich glaubte nach einander Alexander, Achilles, Pyrrhus und Heinrich IV. zu seyn. Mit dem erstern, mit welchem ich mich so ganz identificierte, daß ich mir dachte, seine Gestalt, seinen Bau, seinen Nahmen zu haben, ganz er zu seyn, schlug ich am Granicus, siegte bey Arbela, belagerte Tyrus, und erstieg im Sturm seine Wälle. Diese rasche, heftige Bewegungen, und solche lebhafte, überraschende Bilder gaben meinen Lebensgeistern den Lauf und die Wirksamkeit, die ihnen natürlich war; und diese ertheilten dann wieder gegenseitig den vesten Theilen den gehörigen Ton und Schnellkraft, die die durch eine müßige speculative Lebensart, welche meinem Temperament so schnurstraks entgegengesetzt ist, zu lange unterdrückt wurden. Ich empfand unterdessen das lebhafteste, wollüstigste Vergnügen. Zum erstenmal seit meinem Daseyn schien meine Seele zu leben und zu athmen, indem sie Alexanders Charakter ausdrückte, von dem meine Einbildungskraft alle Züge borgte, und dessen Bewegungen alle ich in meinen Gebehrden nachmachte.
Gewiß war auch viel Wahrheit in dem Ausdruck von Alexanders Charakter. Nun bestimme einer die Gränzen zwischen Raserey und Genie! Die Alten nahmen schon Dichterwuth für eine Art von Tollheit – aber das macht wenigstens vielen unsrer schönen Geister wenig Ehre. D. H.
Nun erblickte meine Phantasie 700. Tyrier die, ans Kreutz geschlagen, längst dem Ufer des Meers hin das traurigste Schauspiel gaben. Der Anblick erfüllte mich mit Abscheu und Grausen; der Charakter des macedonischen Helden ekelte mich an; ich wollte nicht länger das Ungeheuer seyn: Wie ich aber die ächzende Schlachtopfer seiner Grausamkeit starr anblickte, gieng ich in das lebhafteste, zärtlichste Gefühl des Mitleids über, und zerschmolz beym Anblick ihres Schicksals. Dieses süsse Mitleid, das meine Sinnen einwiegte, stellte mir hernach, als ich einschlief, die Tyrier wieder vor, als hätte ich sie durch meine Bemühungen zum Leben erwärmt, und sie stiegen vom Kreutz herab. Der Eindruck den sie auf meine Phantasie machten, war so stark, daß ich glaubte ihre Züge, ihre Gesichtsfarbe, ihre Physiognomie deutlich zu bemerken, und daß ich jeden bey seinem Namen nennte. Es schien mir, als sagten sie mir Dank, und bezeugten ihre Hochachtung der Tugend die sie gerettet hätte. Mein Herz ward durch den Anblick erweicht; ich hatte die Augen voll Thränen, und fühlte die innigste Freude, das vollkommenste Vergnügen.
Diese wollüstige Lage war gar bald vorüber; meine Laune kam wieder in einen Galopp, und ein zweyter Anfall von Heldenmuth riß mich hin: In dieser neuen Begeisterung beliebte es meiner Phantasie, mich in den Achilles zu verwandeln. Es war mir, als legte ich seine Rüstung an; ich hatte seine Stimme; in seinem Ton trotzte ich die Trojaner und foderte sie auf. Dann drang ich in ihre Schlachtordnungen ein, schlug sie nieder und stürzte sie übereinander; plötzlich stand ich an den Thoren von Priams Pallast. Auf Einen Schlag gieng ich dann aus dem Charakter Achilles in den Pyrrhus über; oder ich vermengte vielmehr den Charakter des Sohns mit dem des Vaters, und ward von dem Gemählde des Virgils, das er von Pyrrhus macht, so hingerissen, daß ich im Gefühl dieses Helden die vier Stollen meines Bettes packte, und sie zusammen mit aller Geniekraft auf die Thüre warf, daß sie aus den Angeln sprang, und auf vier Schritte wegflog. Entzückt, begeistert durch den Schlag und das Krachen schrie ich: cecidit Ilion Priamique domus! Bey diesen Anfällen hatte ich in meinen Gliedern so viel Stärke, daß alles unter meinen Händen zitterte, und nichts meinem Angriff widerstehen konnte. Ich drückte diese Art von Kampf mit so viel Stärke und Energie aus, daß niemand das Feuer meiner Blicke, noch die Lebhaftigkeit meines Thuns aushalten konnte. Meine Eltern wußten nicht, was in meiner Seele vorgieng; kannten den Gang der Natur nicht, die mich heilen wollte, und durch diese heftige Crisis einen Weg suchte, mich aus dem Zustand zu reissen, worein mich eine ungereimte Erziehung und eine unselige Lebensart versetzt hat – sie banden mich, und legten mir Ketten an die Hände. Gott, was war mir das für eine Marter! Welche Veränderung gieng auf einmal in meinem Kopf vor! Gestürzt von dem Gipfel worauf ich mich kurz zuvor geschwungen hatte, niedergeschlagen und muthlos, betrachtete ich meine Ketten, meine Gefangenschaft, meine Nacktheit mit Schauer und Grausen. Selbst meine Laune, die meiner Seele Muth und Schwung gab, erkältete und verließ mich ganz; ich fühlte die ganze Last der dumpfen Verzweiflung. Wie ich in dieser Lage eingeschlafen war, drängten sich die schrecklichsten Bilder in meine Seele. Es war mir, als sähe ich das alte Rom sich unter seinen Ruinen hervorheben, seine Gräber öffnen, und die Gerippe seiner berühmtesten Helden mitten unter den Waffen meinem Anblik darstellten; die Form, die Verschiedenheit, der Rost, und das Alterthum dieser Waffen machten einen scheußlichen Anblick. Das Bild drückte sich so stark in mich ein, daß ich lange Zeit kein Gewehr, noch sonst was von Eisen ohne das empfindlichste Grausen ansehen konnte; und es gieng so stark in meine Sinne über, daß ich einige Tage lang einen unausstehlichen Geruch von rostigem Eisen und Erzt empfand. Nun führte mich meine Raserey über ungeheure Haufen von Ruinen, die ringsumher unter meinen Füssen erbebten, und über mich zu stürzen drohten; ich kam dann an die Pforten des Tempels des Kriegsgottes; ich sah sie öfnen, und hörte mit welchem förchterlichen Geräusche sie in ihren Angeln rollten. Ich erblickte den Gott in der Mitte des Tempels, und ein grausames Spiel meiner Phantasie verwandelte mich in dieses mit Blut und Mord gesättigte, und mit Eisen beladene Ungeheuer. Gebunden, geknebelt wie ich war, Ketten an den Händen, mußte meine Lage diese Täuschung begünstigen, oder sie gar entstehen machen. Nun schrieb ich die grausame Behandlung, womit man mir begegnete, der Unmenschlichkeit zu, die ich an Hectors Person verübt hatte. Als ich einen Augenblick danach in meinem innern Bewußtseyn, mit einer Beobachtungskraft die in meiner damaligen Lage allerdings unglaublich war, meine Empfindungen prüfte, und fand, daß sie so schnurstracks diesem Zug von Grausamkeit widersprachen, so verfluchte ich den Charakter Achilles, und überließ mich auf einmal dem Gefühl der Menschlichkeit und des lebhaftesten Mitleids; ich rief in der Entzückung: O guter Hector! Könnte ich deine zerstreuten Glieder sammeln, und sie zum Leben erwärmen! Wie gerne mögte ich auf dein Grabmahl weinen! Ich weinte wirklich, indem ich es sagte. Diese sanften Empfindungen machten mich so gelassen und ruhig, daß sich meine Eltern dadurch bewegen liessen, mich in Freyheit zu setzen. Dies waren die köstlichsten Augenblicke meines Lebens.
Die folgende Nacht schlief ich so sanft und ruhig, als ich während meiner Krankheit noch nie geschlafen hatte. Gegen Anbruch des Tags hatte ich einen Traum, der den dritten und letzten Anfall, ich darf nicht sagen von Raserey, sondern Heldenmuth veranlaßte; denn er war lange nicht so ungestüm, sondern viel gemäßigter, als die zwey andern. Ich träumte, es käme ein König an der Spitze einer mächtigen Armee, um die Protestanten zu würgen, und das Blutbad des entsetzlichen Bartholomäustags zu erneuern: Gott! Sagte ich zu mir, was haben diese Leute verübt? Sind sie nicht unglücklich genug, im Irrthum zu seyn? Sollen wir wieder unsere Brüder durchbohrt sehn? Will ihnen denn niemand zu Hülfe kommen? Indem ich das sagte, oder dachte, war mirs, als sähe ich an einem gewissen Ort eine Picke sich aus der Erde erheben, und mir anbieten. Der Muth und Eifer meinen Mitbürgern zu Hülfe zu kommen, weckte mich; ich stand auf, kleidete mich an; die Farbe meiner Kleider mißfiel mir, weil sie nicht für den Stand eines Kriegers paßte, den ich affectierte. Aber ohne mich aufzuhalten, und ohne aus der Fassung zu kommen, gieng ich in ein Nebenzimmer: Als ich da eine Zeitung fand, las ich die Jahreszahl und das Datum; sagte dann in einem gesetzten Ton, mit einer entschlossenen Miene, in der Stellung und Zuversicht, welche die Begeisterung einer grossen Unternehmung giebt, und die des Pinsels eines Apelles, oder des Meißels eines Phidias würdig sind: »Ich will eine neue Bahn öffnen, und eine Epoche machen, wovon ihr eure Jahrzahl nehmen sollt.« Ich gieng dann aus, und nahm den Weg nach dem Ort, wo meine Phantasie die Picke sah, die ich als das Zeichen meines Berufs und meiner Befehlshaberstelle mit brennendem Eifer haschen wollte. Ich war schon im Garten und wollte den Zaun durchbrechen, als meine Eltern beyliefen, mich aufhielten, und wieder nach Hause brachten. Ich sträubte mich nicht; hatte aber den Kopf so voll von der Vorstellung, den Protestanten beyzuspringen, und sie zu vertheidigen, daß ich mich lange Zeit mit einem Plan beschäftigte, Truppen zu werben, sie zu disciplinieren, Grenzvestungen anzulegen, sie mit Lebensmitteln und Munition zu versehen etc. Es ist zum Erstaunen, was ich, der ich nie gedient noch ein Gewehr geführt habe, für ein Detail machte. Nun aber war ich die ganze Zeit über Heinrich der vierte. Ich wollte seinen Bau, seine Gestalt, seine Figur haben. Nie war Pythagoras so innig überzeugt, daß er der wäre dessen Seele 500. Jahre nach der Belagerung von Troja in seinen Cörper gewandert ist, und den dieser Philosophe den Augen seiner Schüler darstellte, als ich es war, jener Held von Frankreich zu seyn. Solcher Überzeugung gemäß war ich entzückt, wenn ich von den Leuten, die um mich waren, erhalten konnte, mich Heinrich den vierten zu nennen.
Durch die Folge der verschiedenen Charaktere, die ich ausgedruckt hatte, durch die Bewegungen und Kämpfe, die ich überstanden hatte, ward ich unterdessen sanfter und ruhiger, und meine Seele überließ sich nun auch angenehmern Gegenständen, die mit der sanftern Stimmung meiner Lebensgeister und meines Blutes harmonierten. Ich bildete mir ein, ich hätte eine grosse Menge Nationen überwunden und zur Ruhe gebracht. Ich stand auf in der Entzückung dieses Gedankens; denn mein Cörper war immer in Bewegung und ließ sich sehr willig und genau von den Eindrücken meiner Phantasie leiten, besonders da er frey war, und nicht durch Bande oder andere Hindernisse gehemmet wurde; ich stand also auf Antrieb meines Genies auf, um mir Trophäen zu errichten; nahm verschiedene Dinge, wie sie mir unter die Hände kamen, und ohne Unterscheid, z. B. Stroh oder andre Kleinigkeiten von der Art, und stellte sie in die vier Winkel meines Zimmers. Meine Einbildungskraft hatte Leben genug, um sie zu vergrössern; sie war fruchtbar und arbeitsam genug, um ihnen Gestalt, und die Verschiedenheit zu geben, welche der Charakter, der Geist und die Gebräuche der verschiedenen von mir besiegten Nationen erfoderten. Ich stellte mich in die Mitte meines Zimmers, und betrachtete mit unendlichem Vergnügen und Triumphieren diese Trophäen. Dann nahm ich die Gesinnungen eines friedsamen Königs an. Ich bildete mir ein, in meinem Reiche alle Wissenschaften und Künste, die Mahler – Bildhauer – Baukunst und Geometrie in Aufnahme zu bringen, und sie mir selbst eigen zu machen. Ich zeichnete, verfertigte Riße, Anordnungen etc., die mir unsäglich viel Vergnügen machten. Ich hatte ein so gutes Augenmaaß und eine so veste Hand, daß ich mit dem ersten besten Werkzeug, das mir in die Hände kam, auf den Boden oder die Wände meines Zimmers mit einer erstaunlichen Richtigkeit und Proportion zeichnete.
Diese überspannte Lebhaftigkeit und Thätigkeit der Phantasie, die ihren Gegenstand so ganz umfaßt, ist der Teufel, der in unsern neuern Besessenen alle die Wunderdinge thut. D. H.
Meine Eltern und andere unwissende Leuthe hielten das für etwas übernatürliches, für eine Zauberkraft; denn ich machte Dinge, die ich nie gelernt und nie getrieben hatte. Sie liessen deswegen einige Charletans kommen, die versprachen, mich zu curieren; aber sie fanden wenig Gelehrigkeit bey ihrem Patienten, und hatten nicht Ursache mit mir zufrieden zu seyn; denn war ich gleich in einer ununterbrochenen Verrückung, so hatte doch mein Verstand und mein Charakter eine Wendung genommen, die von meiner traurigen Erziehung sehr verschieden war; und ich schien gar nicht mehr aufgelegt, an den Unsinn zu glauben, womit man mich bethört hatte. Da sich dies Gesindel nicht mit kurzen Antworten wollte von mir abspeisen lassen, so fiel ich wütend auf sie los, stieß und schlug sie weg. Die Natur gieng unterdessen ihren Gang fort, und arbeitete allein und ohne Nachlaß an meiner Genesung; denn nachdem ich meine traurige Wohnung verschönert hatte, nachdem meine Phantasie mit der Zauberey der Circe mein Kämmerlin zum prächtigsten Pallast umgeschaffen, und mit allem, was Mahlerey und Bildhauerkunst nur schönes hat, mit den köstlichsten Metallen, dem ausgesuchtesten Geräthe ausgeschmückt hatte, wollte ich mich vermählen. Nun drängten sich eine unzählige Menge Gegenstände um mich. Frauenzimmer von allen Nationen und Gesichtsfarben boten sich mir an. Meine Phantasie, erstaunt und überfallen, war von der Menge und der Verschiedenheit dieser Gegenstände recht in die Enge getrieben. Ganz was besonders, und allerdings unglaublich bey der Sache war, daß ich zuvor nie gewußt hatte, daß es Weiber von einer andern Gesichtsfarbe, als weiß und schwarz, in der Welt gäbe; aber durch diesen und noch mehrere Züge hab ich bemerkt, daß bey meiner Art von Krankheit eine geheime Verwandlung meiner Lebensgeister, die auf den höchsten Grad gestimmt waren, in die Cörper der Natur, und dieser Cörper in mich vorgehe, welche mich dann errathen ließ, was die Schöpfung Verborgnes hatte;
Diese Erklärung des Herrn Pfarrers ist sehr undeutlich; aber die folgende ist es desto minder. D. H.
oder besser, ich glaube, daß die äusserste Anstrengung und Geschäftigkeit meiner Phantasie, die mir alles, was sich nur denken läßt, vormahlte, würkliche, existirende Gegenstände in der Natur treffen mußte, die mir sonst unbekannt waren. Dem sey nun, wie ihm wolle; da mein Bedürfnis dringend war, und nun nicht mehr, wie im Anfang, von der eigensinnigen Meinung bekämpft wurde, so mußte ich unter diesen Gegenständen wählen. Nun suchte ich mir eine Zahl aus, die nach meiner Vorstellung mit der Zahl meiner besiegten Nationen übereinkam. Ich bildete mir ein, ich müßte mich mit jeder von diesen Weibern nach dem Gesetz und den Gebräuchen ihres Volks vermählen. Dieses nahm meine Phantasie willig an, und gab ohne Widerrede ihren Beyfall. Ich hatte sonst kein Bedenken, das mich stutzig machte, als die Forcht, in Müßiggang und Weichlichkeit zu fallen, die meinen ersten Gesinnungen und meiner äussersten Thätigkeit so sehr widersprachen. Ich rief deswegen: »Wie, ich soll ein Nichtswürdiger, ein Schwelger, ein Sandanapal werden!« Aber meine unerschöpfliche Einbildungskraft, die Quelle all meines Leidens und Vergnügens, half mir geschwind aus der Verlegenheit. Sie beschloß, ich sollte alle diese Weiber jede in ihrem Land lassen, und sie nur auf meiner Durchreise aus einer Provinz in die andre besuchen. Eine war unter ihnen, gegen die ich eine vorzügliche sympathetische Liebe fühlte, und die ich, als die Königinn meines Herzens und der andern Weiber, betrachtete. Das war ein junges Fräulein, das ich vier Tage vor meiner Krankheit gesehen hatte. Ich war damals weit entfernt, Absichten auf sie zu haben, oder mir die geringste Begierde nach ihr zu erlauben. Aber da mir ihre Reitze und ihre Schönheit wieder in Erinnerung kamen, so wurde ich sterblich in sie verliebt. Sie war der Mittelpunkt aller meiner Wünsche, aller meiner feurigsten Begierden; ich äusserte solche auf die lebhafteste zärtlichste Art. Ich hatte nie einen verliebten Roman gelesen, nie einem Frauenzimmer eine Caresse gemacht, nicht einmal einer einen Kuß gegeben. Aber die Hohen Lieder Salomons, die ich gelesen habe, weil sie in die Zahl der schriftmäßigen Bücher aufgenommen sind, und vorzüglich meine besondere Disposition, welche die nämliche war, die Horaz gegen der Glycere hatte, und wo er nach einer genauen Prüfung ihrer Reitze ausruft: In me tota ruens Venus Cyprum deseruit! thaten mir die nämlichen Dienste. Ich zweifle, ob dieser wohllüstige König, ungeachtet der Ausdrücke in seinem Brautlied, mehr Brunst empfunden hat, als ich? Ob er ihnen mehr Stärke und Leben gegeben hatte, als ich es meinem kräftigen Erklärungen gethan? Ich gab ihnen tausend verschiedene Wendungen, und machte Anwendungen von denselben auf meine gegenwärtige Lage, mit einer Richtigkeit die ich jezt unmöglich wieder treffen könnte; weil ich meiner Seele nicht mehr den Schwung, die Schnellkraft geben kann, die sie von dem Feuer und der Gährung meiner radicalen Säfte bekam. Uebrigens redete ich mit jedermann von meiner Liebe; ich machte hierinn meinen Vater und meine Mutter zu meinen Vertrauten; und diese Zeit über fiel mir nicht das Geringste ein von dem was ich war, nicht ein Wort von meiner Erziehung: Ich hatte all das Offne, das Unverstellte eines Kindes; ich war ein anderer Emil, der ächte Zögling der Natur, die meine Erziehung verbesserte, und mit unsäglicher Mühe wieder von vorne unternahm; und ich zweifle, ob die menschliche Natur, wenn sie eine geschmeidige Materie wäre, und in einen Ofen gethan, dann auf dem Ambos mit dem Hammer geschlagen würde, in den Händen eines Meisters mannichfaltiger gedreht und umgewendet werden könnte, als ich es wurde. Da aber meine Eltern gegen meine Wahl Einwendungen machten, war ich betroffen, und wunderte mich, wie man eine so süsse, liebenswürdige, unschuldige Neigung tadeln könnte. Ich sagte ihnen über diesen Punkt so triftige Dinge, und führte ihnen so richtige Beweggründe an, daß sie gar oft nichts mehr einwenden konnten. Ich erinnere mich, daß eines Tages ein Priester, der sich mit mir einlassen, und mit einer Schulmeistermiene mir ansprechen wollte, von mir zum Stillschweigen gebracht wurde, und beschämt davon gieng. In der That, die Laune
l'Humeur könnte hier Feuchtigkeit, Saamen heissen; aber dann sagt doch im Grund Laune das nämliche, weil sie die Mischung und Stimmungen der Lebenssäfte oder Feuchtigkeiten im Körper zum Grund hat. Da indessen bey unserm Patienten der Saamen die herrschende Feuchtigkeit ist, so ist Laune, die Würkung, anstatt der Ursache, Saamen, wenigstens kein fehlerhafter Ausdruck. D. H.
die mich beherrschte, gab allen meinen Sinnen ein Leben, eine Durchdringlichkeit, und meiner Seele eine Grösse, einen Schwung, die mich zu einem sehr außerordentlichen Menschen machten. Es war, als wenn ich in dem Herzen der Leuthe läse, die sich mir näherten; ich durchschaute sie ganz, und entwickelte ihren Charakter mit einem erstaunlichen Scharfsinn; und da mich keine Bedenklichkeit zurückhielt, so drückte ich ihn mit Richtigkeit und aller bestimmten Deutlichkeit aus. Das bewog einen alten Priester, der mich in meiner Krankheit einigemal besuchte, meinen Eltern ganz ernsthaft zu sagen, ich sey vom nämlichen Geist Python besessen, den der heilige Paulus aus einem Mädchen getrieben hat, und wovon in der Apostelgeschichte geredet wird. Was es auch nun mit diesem Geist für eine Beschaffenheit hatte, so hat er mir wenigstens den Dienst gethan, daß er einen Schwarm von neugierigen Müßiggängern von mir abschreckte, die durch ihre ungestümme Zudringlichkeit und Ueberlästigkeit meine Genesung verzögerten.
Diese heftige Krankheit spannte meine Organe auf einen Grad von Feinheit und Empfindlichkeit, der mir wechselweise die grausamste Marter und das wollüstigste Vergnügen verursachte. Das Licht blitzte einigemal mit so viel Stärke auf meinen Augen, daß ich seine Gegenwart nicht aushalten konnte; es war mir, als wenns dieß Sinnewerkzeug durchbohrte und wie ein Sieb durchstrahlte. Alle Farben, eine nach der andern, wurden mir endlich zuwider; das Grüne ausgenommen, das ich allezeit mit neuem Vergnügen sah. Die Nacht besonders war mir eine neue Folter. Das Dunkel derselben, das sich in verschiedenen Gradationen, welche ich nicht beschreiben kann, verdickte, stellte mir tausend abscheuliche Gespenster vor Augen, oder vielmehr vor die Phantasie. Was nur scheußlich und schrecklich in der Natur ist, stürmte auf sie los; und da sie dem Aufruhr meiner innern Sinnen nicht Phantomen genug schaffen konnte, beschwor sie alle Schatten des Todes und alle Ungeheuer aus der Hölle. Aber unter allen Gegenständen des Schreckens war mir nichts so entsetzlich, als das Bild des alten Marius. Es schwebte vor mir schrecklicher noch als das Gesicht das er den Cimbern zeigte, denen das Gewehr aus der Hand fiel: Daß ich keinen Pinsel hatte, es zu mahlen! Hätte ich seine Züge alle haschen, und sie in der Lebhaftigkeit darstellen und ausdrücken können, womit sie mich bey seinem Anblick durchschauerten; Medusens Kopf würde davor erbleicht seyn, und Cerberus wäre Herkuls Händen entwischt, und in die Hölle zurückgekehrt. Himmel! wende das Bild von meinen Augen weg, und zeige es dem Ungeheuer, das Schuld an all meinen schwarzen Leiden ist! Ein andermal stellten sich meine Augen, oder vielmehr meine Einbildungskraft – denn ich setze voraus, daß diese Zauberinn meinen Augen die Täuschung machte, wie allen meinen andern Sinnen, selbst wenn ich wachte – Gesichtspunkte, Perspective, Gegenstände vor, deren Schönheit, Reitze und Mannichfaltigkeit mich entzückte. Als ich in einem dieser glücklichen Augenblicke in den Garten von Eden versezt wurde, sah ich die vier Flüsse, die ihn wässern, ihn auf tausend verschiedne Arten durchschlängeln und abtheilen. Da waren Gebüsche; dort Wiesen mit dem Schmelz der Blumen; hier waren Parterrs, mit einer Symetrie angelegt, wovon weder Kunst noch Natur ein Beyspiel aufweisen kann; über krystallne Springbrunnen herum. Mitten in diesem Paradies der Wollust, das meine Seele trunken machte, sah ich einen Baum von ungeheurer Grösse sich erheben; er war gleich Nabucodonosors Gesicht. Ich betrachtete seinen Stamm, seinen Wipfel, die Ausbreitung seiner Aeste, die mit einer bewunderungswürdigen Ordnung und Proportion eingetheilt waren. Endlich heftete ich meinen Blick auf das Frische seiner Blätter, auf die Schönheit seiner Früchte, und stand in unbeweglicher Entzückung.
Das Gehör hatte auch seine Anwandlung und Ueberspannung. Einigemal war es so gestimmt, daß es der geringste Laut erschütterte; so fein und rege, daß es mir bey den geringsten Undulationen der Luft, die mein Trommelfell berührten, war, als wenn dieses Organ von mir gerissen, und weit weg geschlagen würde. Besonders war mir der Laut des Erzes unausstehlich. Er verursachte mir einen Schmerz, den ich nicht beschreiben kann. Hörte ich eine Glocke läuten – zum Unglück wohnte ich nahe bey einer – so glaubte ich, sie löste sich vom Thurm los, schlüge an der Wölbung des Himmels an, und machte mit ihr nur einen Leib, ein Instrument aus, daß von ihrem entsetzlichen Ton beyde Polen wiederhallten. Ihr Schlag war so schrecklich, daß ich glaubte, alle Planeten, die in der Unermeßlichkeit der Schöpfung schwebten, würden von ihm erschüttert, stürzten nieder, und wären mit unserm Planeten nur Ein Körper. Nun saß ich auf den Trümmern der Allheit, beweinte den Fall der Gestirne, die Verlöschung der Sonne, den Sturz und Ruin der ganzen Natur, die ich betrachtete als wäre sie bereit in ihr erstes Chaos wieder zurückzukehren. Die Zerrüttung meiner Säfte und der Aufruhr meiner Lebensgeister verursachten diese Begriffe; und das Gefühl der Eigenliebe, das jeden Menschen zum Mittelpunkt des Universums macht, wodurch sich jeder für den Brennpunkt aller einzelen Theile, als so vieler Strahlen betrachtet, begünstigte sie. Diesem Gefühl schreibe ich alle diese ausschweifende Vorstellungen zu. Ein andermal gewährte mir dieser Sinn in einer glücklichen Stimmung das wollüstigste Vergnügen, das eine Menschenseele schmecken kann. Es war mir einst, als wenn alle meine Fibern und Nerven, wie Saiten, auf alle Theile der Natur gespannt wären, mit ihr nur Ein musicalisches Instrument ausmachten, das von der herrlichsten Musik beseelt würde. In der That, die nervigten Theile meines Körpers schienen mir sich zu heben, sich mit ihr anzuspannen, und monotonisch einzutönen. Dann hörte ich aus allen Theilen der Welt, wie aus einem unendlichen Orchester, Stimmen und Musikinstrumente, deren Akkord mich und die ganze Natur mit bespielte. Orpheus Leyer hat nie die süsse Melodie hervorgebracht; auch nicht, da sie Löwen, Tiger und Wälder an sich zog. Ich weiß nicht, wie lange diese wollüstige entzückendste Täuschung währte; aber sie geschahe in Gegenwart einiger Personen, besonders eines Arztes, der seit der Zeit mit mir davon als von einer ganz sonderbaren Begebenheit geredet hat; und er sagte mir, er habe mit Erstaunen bemerkt, daß alle Theile meines Körpers in diesem Zustand sich in dem richtigsten Tackt, in der genauesten Cadenz bewegten, und daß er daraus den Zustand geahndet habe, worinn ich war.
Die übrigen Sinne, der Geschmack, Geruch, etc. hatten auch ihre Abwechslungen von Marter und Wollust. Einigemal empfand ich den Geruch der köstlichen Düfte, deren Annehmlichkeit weder Natur, Kunst, noch die Chymie nachahmen könnte: ein andermal den unausstehlichsten Gestank; Widerwillen, Bitterkeit und Ekel, die mich ganz betrübt und untröstlich machten. Sogar das Gefühl ward von diesen beyden Extremen des Schmerzen und der Wollust getroffen. Aber die Reihe kam zulezt an dasselbe: Da der Vorhang zugezogen, das Licht der Vernunft gänzlich verlöscht war, so machte eine Catastrophe dem Schauspiel ein Ende, welche die Schamhaftigkeit beleidigt, die Natur erschreckt, und die Religion aus der Fassung bringt; die unterdessen nothwendig und unvermeidlich war. Denn (wie der heilige Paulus bey Erwähnung der Heiden bemerkt, denen er verweist, daß sie den Gebrauch der Weiber unterlassen hätten) die Natur, die in ihrer Neigung eigensinnig bekämpft, und welcher die Ausübung ihrer Pflicht verwehrt wird, erhizt sich in ihren Begierden, und fällt auf Irrwege: Nam, sagt der Apostel, relicta naturali foemina execuerunt in suis concupiscentiis & operati sunt turpitudinem. zufolge dieser Crisis, deren ganze Schande auf das Celibatgesetze, oder den Gesetzgeber zurückfällt (denn wäre einer unverschämt genug, sie mir anzurechnen, so würde ich mein Gewissen gegen ihn zum Zeugen auffodern, dessen Zeugniß also lautet: Neque peccatum, neque iniquitas mea, etenim sine iniquitate direxi: Ich würde den Himmel zum Zeugen meiner Einfalt und Unschuld gegen ihn auffordern) zufolge dieser Crisis, sage ich, mußte ich endlich den Grund meiner Krankheit erkennen; ich sah nämlich und erkannte deutlich, daß sie von dem Ueberfluß und dem Aufkochen des Saamens verursacht wurde, der durch meinen Widerstand, und den Eigensinn der Natur ihre Bedürfnisse und Verrichtungen abzuschlagen, vermehrt und erhizt wurde. Gut und sonderbar bey der Sache war, daß eben das, was die Ursache meiner Krankheit gewesen, auch die Ursache meiner Genesung geworden ist, die mir eine vollkommene Gesundheit des Leibs und der Seele verschaffte, und mich seit der Zeit das Glück hat genießen lassen, wofür Seneka die Gottheit bat: Orandum, ut sit mens sana in corpore sano. Der Saamen in seiner Hitze und Aufwallung, nachdem er alle Federn der Maschine angegriffen, alle Kräfte der Natur angestrengt hatte, floß immer fort, bis ich vollkommen genesen war.
Ein auffallendes Beyspiel, ein ein ewiges Denkmahl der Unverbrüchlichkeit der Gesetze der Natur, die wohl eine Zeitlang kann bestritten, in ihren Neigungen bekämpft, und in ihren Verrichtungen gehemmt werden; aber die bey einem Menschen von guter Constitution so oft von neuem ansezt, daß sie endlich alle Vorurtheile zu Boden wirft! Man kann diesen Triumph der Natur nicht besser geben, als mit den Worten des Cicero, der von ihr sagt: Ubicunque ubstat & urget, ac ubicunque te verteris, persequetur. Diese Wirksamkeit, diese Schnellkraft der Natur, ist bey jedem Menschen, nur in einem höhern oder mindern Grad, und nach Verhältnis seines Temperaments, welches sein Betragen, und noch mehr die häuslichen, politischen, und religiösen Einrichtungen verschieden macht, die sich meistentheils von den Grundsätzen der Natur entfernen, und ihre Rechte in ein dunkles Chaos von Zweifel und Ungewißheit verstecken, die so schwer aufzulösen sind, und das Unglück der Menschheit ausmachen. Durch einen solchen Labyrinth muß indessen der Faden gehen, welcher die französische Nation zu seiner guten Gesetzgebung unter der Begünstigung eines jungen Königes führen soll, den die Magistratur schon zu ihrem Gesetzgeber aufgerufen hat; und der auf die Aufforderung einer so verehrungswürdigen Gesellschaft scheint das Werk angefangen zu haben. Das erleuchtete Haupt,
Herr von Miromenil, Siegelverwahrer. – Es ist hier von der um diese Zeit angebahnten Zurückberufung der Parlamente die Rede.
welches er dieser Gesellschaft gegeben hat, und das den Monarchen in der Reforme unsrer Gesetze unterstützen soll, erlaube mir, bey dieser Gelegenheit eine Stelle aus dem römischen Redner anzuführen, der ihm an Muth, Beredsamkeit und Vaterlandsliebe gleich war. Er sagt: Cum omnia officia à principiis naturae proficiscantur, necesse est & illud quod ab ipsa proficiscitur sapientissimum.Cum omnia ... – Du mögest in allen deinen Geschäften vorwärtskommen, es ist aber Nichts, wenn du nicht auch in der Weisheit vorankommst.
Hier stellt Herr Blanchet noch verschiedene weitläufige Betrachtungen über seine Krankheit, theils als Mediciner, theils als Philosoph an. Folgende sind die wichtigsten:
1.) Die äußerste Enthaltsamkeit war seinem verliebten, starken Temperament entgegen: Die anhaltenden Kämpfe mußten seinen Charakter unnatürlich machen, und er verlohr seine Munterkeit. Da seine Seele diese Erhohlungskraft verlohren hatte, ward sie unterdrückt, und zu den Beschäftigungen ungeschickt, die sie hätten zerstreuen sollen.
2.) Die Natur half sich Anfangs bey ihm durch nächtliche Träume, und erleichterte sich durch diesen Betrug:
3.) Da er aber durch seine äußerst angestrengte Wachsamkeit auch dieß einzige verstohlne Erhohlungsmittel der Natur verwehrte, mußte der immermehr anwachsende und aufsiedende Saamen vorzüglich auf die Augen würken, die der Sitz der Leidenschaften und besonders der Liebe sind, so daß man bey den Thieren sieht, daß ihre Augen funkeln wenn sie sich dem Weibchen nähern. Daher kamen die heftigen Erschütterungen dieses Sinnes, und seine Electrisierung bey Erblickung der Gegenstände die auf seine Situation Bezug hatten.
4.) Da die eigensinnige Phantasie dem Saamen den ordentlichen Weg verschloß, so mußte er in seiner Vermehrung gegen den Kopf zufliessen, dort die nervigten Theile ausfüllen, und die Convulsionen im Hirn verursachen; welches, wie Herr le Cat beweist, der Mittelpunkt der ganzen menschlichen Sinnlichkeit ist. Da mußte er die entsetzlichsten Schmerzen, und dann endlich die Verrückung verursachen.
5.) Die Aderlaß, wogegen sich der Kranke immer sträubte, war ihm schädlich; denn seine Krankheit war nicht im Blut. Durch dieselbe ward also dem Saamen sein Gleichgewicht genommen; durch den Abfluß des Blutes bekam er eine Lücke sich hin zu ergießen, und verursachte die größte Entzündung im Körper. Eben so ists Aderlassen schädlich, wenn Galle die herrschende Feuchtigkeit ist.
6.) Das kalte Bad kühlte nur auf einen Augenblick die Hitze seiner Säfte ab; aber durch diese Ruhe bekamen sie nur mehr Gährung: Und da der Saamen durch die vorhergehende Aderlaß freyes Spiel bekam, mußte er hernach desto mehr Uebergewicht erlangen, und jene unzüchtige Erscheinungen verursachen, durch den Instinct der Natur, der uns allezeit die Gegenstände unsrer Bedürfnisse vor Augen stellt. So träumt der Hungrige von Speisen etc.
7.) Da diese Raserey im Grunde nichts, als ein Ueberfluß des Lebens, und die Säfte und Organen des Kranken nicht verdorben, sondern nur in einem Zustand von gewaltsamer Ausdehnung waren, so mußten seine Bilder eine unnatürliche Riesengrösse haben, und bey der Unordnung doch die richtigste Ordnung bekommen, womit sie sich dem Hirn eingedrückt; sie mußten ohne Verwirrung, wie man es beym Verfasser sieht, wieder vor das Gedächtniß kommen.
8.) Ist die Liebe auf einen gewissen Grad gestimmt, so ist sie nahe mit dem kriegerischen Muth verwandt. Thiere in der Brunst sind am leichtesten aufgebracht. Auch lehrt uns die Geschichte, daß die größten Krieger einen besondern Hang zum schönen Geschlecht hatten. Nun war es leicht, daß seine sich immermehr ausdehnende Saamenfeuchtigkeit ihn zum Heinrich IV. machte.
9.) Starke Leidenschaften können nicht lange dauern. Die Natur muß unterliegen, oder sie muß von einem Extreme zum andern übergehen. Nach den heftigen Anfällen mußte der Kranke in eine Unthätigkeit, in eine Stagnation fallen, die seiner Seele Musse gab, den zarten sanften Gesinnungen nachzuhängen, die ihm so natürlich waren. Daher der Sanftmuth, das Mitleid, die süssen Thränen etc.
10.) Die sechs Monate durch, als seine Krankheit dauerte, benahmen ihm die heftigen Stösse seiner Krankheit die Erinnerung seines Standes, seiner Religion, seines Gottes und seiner Seele; er ward wieder in den Zustand der ersten Kindheit versezt; und da keine Vorurtheile seine Kräfte mehr hinderten, folgte er dem Trieb der Natur, und ward gesund. Aber sein Glück war nur augenblicklich; seine zurückkehrende Vernunft machte ihn aufs neue unglücklich. Mit welchem Nachdruck beschreibt er nicht sein schreckliches Erwachen!
»Ich fand durch die entsetzliche Entwicklung des Schauspiels, das in meiner Phantasie vorgieng, nichts als einen unglücklichen, beschämten, zu Schanden gemachten Menschen, an mir. Ich sah mich im Gegensatz der Pflichten der Religion, und der Natur. Hier drohte mir die Krankheit, wenn ich mich dagegen sträubte; dort Verachtung und Schande. Das machte mir das Tageslicht verhaßt. Oft kam mir eine Versuchung an, es zu verfluchen und mit Job auszurufen: Lux cur data misero? Nicht als hätte ich keinen Ausweg gekannt, mir zu helfen, wie der Abbe von Saint. Pierre;
Man weiß daß dieser Abbe viel gegen das Celibat geschrieben; und, um sich schadlos zu halten, bey seiner Wirtschafterinn geschlafen hat
aber ein edeldenkendes Gemüth verabscheut ihn. Wie kann man ohne Bedenken Kinder zur Welt bringen, welche eine doppelte Schande, die Schande ihres Vaters, und ihre eigne trift; die nie den süssen Nahmen Vater aussprechen dörfen, und von denen man den eben so süssen Nahmen Sohn nicht anhören kann! Liebenswürdige Verbindungen, woraus die süssesten Reitze des Lebens, die heiligsten Pflichten der Gesellschaft und der Religion entsprungen! Süsse Bande, die das Schrecken des Tods verdecken, und unser Daseyn bis in die fernste Nachkommenschaft ausdehnen! Köstliche Unterpfänder, vielleicht das Wesentlichste der Unsterblichkeit: Ihr seyd nicht für den Geistlichen gemacht! Das grausame Gesetz des Celibats stümmelt ihn, und schneidet ihn von der Gesellschaft ab, die ihr Geschlecht fortpflanzen soll. Uebrigens ist es nicht allen Menschen gegeben, sich über die Gesetze, Sitten und den Wohlstand hinauszusetzen, welche die allgemeine Meinung geltend, und uns die Aufbewahrung unsers guten Nahmen zu einer Pflicht macht, die edeln Seelen so kostbar ist. In dieser Empfindung rief ich mit einer Art von Begeisterung:
Sed mihi vel tellus optem prius ima dehiscat,
Vel pater omnipotens adigat me fulmine ad umbras,
Pollentes umbras Erebi noctemque profundam,
Ante pudor quam te violem aut tua jura resolvam!Sed mihi vel ... – Vergil, Aeneis IV, V. 24 – 27: Soll mich doch eher die Unterwelt verschlingen / oder der allmächtige Zeus mit seinen Blitzen zu den Schatten schleudern / zu den bleichen Schatten in der Unterwelt und in die tiefste Nacht / bevor ich dich, Keuschheit beleidige oder deine Rechte verletze.
Aber ungeachtet meiner Leiden und meines Unglücks habe ich doch Ursache mir wegen einer Krankheit Glück zu wünschen, die mich zur Kenntniß des Menschen, und zwar nicht im abstracten Verstande, sondern zur Kenntniß des einzeln Menschen, meiner selbst, so wie ich bin, geführt hat. Gemäß dieser Kenntniß, ein Zögling und Schüler der Natur, will ich ihre Gerechtsame vertheidigen, und eine menschliche Einrichtung angreifen, die dem ersten aller Gesetze so sehr widerspricht; das Gewissen derjenigen, welche die Pflichten der Natur mit den Pflichten der Gesellschaft nicht verbinden können, so sehr beunruhigt; den bürgerlichen und religiosen Menschen zum Gegensatz des natürlichen und freyen Menschen macht; einen grausamen Kampf in ihm verursacht, und den auffallenden Abstich der Aufführung unsrer Geistlichen veranlaßt, von denen einige zu gewissenhafte lächerlich, die andern zu ausgelassenen aber ärgerlich, und dergestalt alle ein Gegenstand des Tadels, des Hasses, und der Verachtung der Weltleuthe werden. In dieser Absicht habe ich ein Werk geschrieben, worinn ich beweise, daß die beständige Enthaltsamkeit widerspricht: 1. Dem physischen und natürlichen Zustand des Menschen. 2. Der Medicin, die sie oft zwingt, ihren eignen Grundsätzen ungetreu zu werden. 3. Der Moral, die Jesus Christus gelehrt, und der Zucht, die seine Apostel eingeführt haben. 4. Dem Geist einer ächten und klugen Gesetzgebung. 5. Kurz den wahren Vortheilen der Religion und des Staats. 6. Endlich beweise ich, daß durch Unterdrückung dieses Gesetzes für alle bemeldten Gegenstände grosser Vortheil entstehen müsse.
Diese Memoire ist für mich, und für eine Menge meiner Collegen, was für junge, empfindsame, liebkranke Ritter die Leiden des jungen Werthers sind. Nur berechtiget es uns besser zu Klagen und Mißvergnügen über die politische, moralische und religiöse Einrichtungen und Verhältnisse der Welt, die uns ängstigen, und den Weg verlegen, den unsre liebe Natur gehen will; auch ist die Catastrophe, wozu es führt, Leben, und dort eine – Pistole.
Nun muß ich dir noch einen Zug meiner eignen Krankheit erzählen, der eben so sonderbar und wahr ist, als irgend einer des Herrn Blanchet. Als ich im hitzigsten Kampf mit dem Fleischteufel war, und tausend Anstalten machte, auch die geringste Regung des alten Adams zu unterdrücken, gieng ich eines Tags nach der Frühmesse, worunter ich bis zum Blutschwitzen mit dem Satan zu kämpfen, und Convulsionen hatte welche die umstehenden Andächtige vielleicht für fromme Entzückung genommen haben, fürs Dorf spatzieren, um meine Grillen zu zerstreuen. Es war ein herrlicher Tag, und die Unterdrückung meiner selbst machte mit dem treibenden Frühlingswetter den schwersten Contrast. Auf einmal empfand ich den wollüstigsten Kitzel durch den ganzen Leib; ich hatte eine Empfindung, wovon kein Dichter in der Beschreibung des Paradieses oder Elisäums was geträumt hat: Meine Brust war würklich so voll süsser Wollust, daß ich doppelt schnell athmete; aber so leicht und süß, wie es einem seyn muß, der aus einer dicken, nebelichten Luft auf einmal auf die Spitze eines sehr hohen Berges kömmt. Es war mir dabey, als wenn ich hoch durch die Luft flöge; dieß Gefühl trieb mich so stark, daß ich würklich ohne mein deutliches Bewußtseyn so stark zu laufen begann, als ich nur laufen kann. Mitten in diesem Lauf floß eine sehr starke Portion Saamenfeuchtigkeit von mir; wohlgemerkt »ohne daß sich mein Fleischstachel debey erhoben hat« Auf diese Entladung war mirs, als wenn ich aus einem Traum erwachte. Ein Bekannter stand bey Seite, und rief mich an, warum ich so erbärmlich lief? Ich stotterte – ich wüßte es nicht. – Er konnte nichts begreifen, und lächelte so heimlich dazu, daß ich verstehen mußte, er habe Zweifel wegen der Richtigkeit meines Kopfs. So oft er mir noch begegnet, werd ich roth über und über.
Ich denke, wir könnten die merkwürdigsten Beyträge den Naturalisten und Medicinern liefern, wenn nicht Schamhaftigkeit und Delicatesse die meisten von uns schweigen machte. Lebe wohl!