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Den 4ten August. 1779.
Lieber Bruder! Portinkula hat mich verhindert, daß ich dir nicht eher schreiben konnte. Meine ganze Gemeinde gieng zur Beicht und Kommunion; und einer der Mönche, die zur Verherrlichung dieses Festes bey mir waren, machte seine Predigt in meiner Stube. Jede Zeile declamirte er sechs bis siebenmal, so wie er sie niedergeschrieben hatte. Ich retirirte mich erst in die Kammer meiner Magd; aber er verfolgte mich von da in meinen Garten; dann auf den Kirchhof: Um sicher zu seyn mußte ich also alle meine müssigen Stunden bey Herrn Gutmann zubringen, und ich konnte dir unmöglich eher schreiben.
Die Predigt des Franziscaners ist in ihrer Art ein Meisterstück. Der erste Theil ist panegyrisch, und enthält das Leben, den Tod, und die himmlische Glorie des heiligen Franziscus. Er hatte einen ganzen Schubsack voll flosculoreum rhetoricorum, die er nach seiner Aussage in der Schule aus den besten Rednern excerpirt hat, und die alle in seine Predigt mußten. Er bewies, daß der heilige Franziscus einer der ersten Aposteln, der größte Beichtiger, Kirchenvater, Märtyr, Prophet, Jungfrau und Engel sey; daß er im Himmel den Seraphinen, Cherubinen, Fürsten, Thronen, und überhaupt dem ganzen himmlischen Heere den Rang ablaufe. Als einen besonders schönen Einfall oder flosculus rühmte er bey Tische, daß er gesagt habe: Gott der Vater werde manchmal in den Personen seiner zween Söhne, nämlich Christus und des Franciscus, irre; da sie sich wegen der Wunder so ähnlich sähen, und im Rangsitz ganz gleich seyen. Ich widersprach ihm mehr aus Laune, als um ihn zu widerlegen, und wollte die heiligen Apostel wenigstens gleich setzen; aber er fuhr auf, daß sie nach allem Vermuthen nur Bedienten des heiligen Vaters Franciscus wären; er ließ dabey des ganzen dicken Mund voll Fleisch auf seinen Teller fallen, und weil er mit der Gabel in der Hand den Tackt dazu stieß, so wurde mir würklich bange. Im zweyten Theil bewies er die unumgängliche Nothwendigkeit des Portiunkulaablasses zum ewigen Leben. Sein Beweis war, daß der heilige Franciscus es als eine Verachtung aufnehmen würde, wenn man den Ablaß übergienge; und da er der rechte Arm Gottes sey, so sey es ihm ein leichtes, einem nach seinem Belieben die Himmelsthüre zu verriegeln.
Dieses Fest gab Herrn Gutmann Anlaß von der Beicht und dem Ablaß zu reden. Ich will es dir hinschreiben, so gut und so viel ich davon behalten habe.
Wir wollen erst, sagte er, die Wichtigkeit, die Natur, und die Requisiten der Beicht betrachten, und dann etwas von ihrer Geschichte melden. Die gute Absicht, welche sich bey der Beicht denken läßt, ist, den Sündern ihre Sünden begreiflich und abscheulich zu machen; sie die Gefahr kennen und meiden lehren; ihnen durch Vernunft und Religion die leichtesten Mittel an die Hand geben, die den begangnen Sünden entgegengesezte Tugenden auszuüben. Dieser Richterstuhl des Gewissens hat in Vergleichung mit dem weltlichen Criminalgericht unendliche Gränzen. Dieses beschäftigt sich nur mit Thatsachen: Alles, was innerhalb der Seele vorgeht, ist außer seiner Sphäre. Es hat einen vesten bestimmten Masstab der Verbrechen, nämlich das Gesetz; und dieses ist nach dem Schaden abgemessen, welches die entgegengesezte Handlung der Gesellschaft verursacht. Der Beichtstuhl hingegen hat gar nichts Absolutes zu seinem Gegenstand. Es sind so viele Dinge, worauf seine Materie Bezug hat, daß mir der Kopf schwindelt, Herr Pfarrer, wenn ich daran denke. Das Ding, welches er zu entscheiden und zu bestimmen hat, nennt man die Moralität einer Handlung. Diese Moralität hängt davon ab, wie viel – nicht diese oder jene Handlung, sondern auch dieser oder jener Gedanke, der Vollkommenheit unsrer Seele geschadet oder genuzt habe. Der Wille, die Bewegungsgründe zur Sünde, der Grad des Reitzes, und die Stärke des Gegenreitzes müssen bestimmt werden. Selbst nach unsern strengsten Moralisten giebt es keine absolute Sünde. Der weltliche Richter beweist nur dem Verbrecher, daß er die gesetzwidrige Handlung begangen habe; daß er die Majestät beleidigt, seines Nachbars Weib beschlafen, u. s. f. und die Gesetze entscheiden die Grösse des Verbrechens und der Strafe. Der Richter hat nichts mehr dabey zu thun. Der Beichtvater aber hat nicht einmal eine vestbestimmte Gattung von Verbrechen; er hat nichts als Nüanzen: Die Macht der Phantasie, das Temperament, die Erziehung seines Beichtkindes, der Grad von Unterricht den es hat, die kurz vor der Sünde vorhergegangene Stimmung seines Sinnes, oft der Grad von der Würkung der Lust auf seine Leibessäfte, der Grad von Reitz seines Gegenstandes, die Schönheit des Mädchens oder der Frau etc. Noch hundert Dinge giebt es, wovon sich weder die philosophische noch theologische Moral was träumen läßt; die alle auf die Moralität einer Handlung Einfluß haben, und ihre Grade unendlich machen. Der volle rüstige Bauernjunge kömmt im Monat May zu seiner Nachbarin. Er hat zu Mittag eben eine starke Portion Eyer gegessen. Der Nordwind bläst, und bringt durch Verschliessung seiner Schweißlöcher seine Säfte in eine innerliche Gährung. Ueber dem Tische hatte Görge seine Avantüre mit der Käthe auf dem Heu erzählt. Die Nachbarin hat einen alten Mann, der ihren Lüsten nicht gewachsen ist; sie säugt eben ihr Kind, und eben schlägt bey ihr die Schäferstunde; sie läßt nun noch so und so viel sehen; sagt das oder jenes; streicht ihn ums Kinn; und nun fällt er über sie her. Der weltliche Richter bestraft ihn, wenns Hans oder Kunz sieht und angiebt; aber suchen Sie einmal, Herr Pfarrer, im Busenbaum oder Voit, wie groß die Sünde sey, die der Pursch begangen hat. Der weltliche Richter hat Recht, ihn zu bestrafen; er hat gegen das Gesetz gehandelt; aber wie groß seine Sünde sey, muß erst der Beichtvater den Monat May, den Nordwind, die Eyer und alle die Ingredienzien fragen, welche sein Vergehen so individuell machen, daß es nicht einmal gegen das Geboth: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, läuft; dann würklich hat der Junge sie nicht begehrt; er ist so mechanisch, so nothwendiger Weise dazu gekommen, wie die Uhr zum Stundenschlagen, wenn sie aufgezogen ist.
Um dem Beichtstuhl seine gute Würkung zu behaupten, wäre es also nöthig, daß entweder alle Beichtkinder so tiefe Kenner der Natur in und ausser sich seyen, daß sie genau den Grad ihrer Sünde selbst angeben können; oder der Beichtvater müßte es seyn. Ein Kenner der menschlichen Seele müßte er seyn, wie Locke; ein Meister der körperlichen Kräfte, wie Muschenbröck, ein Kenner der Oekonomie des menschlichen Körpers, wie van Swieten; und wenn ein göttlicher Mann das alles beysammen hätte, so wollte ich ihm immer doch mit dem Grad der Moralität eines Casus noch warm machen. Ich bleibe dabey, Herr Pfarrer, daß nur ein einziger wahrer Beichtvater möglich ist, und das ist Gott im Himmel, der die Seelen messen, und die Herzen ergründen kann.
Wir wollen aber von unserer Foderung etwas ablassen, und den Beichtvater als einen guten Freund betrachten, der uns in der Haushaltung unsers Gewissens Rath und Trost ertheilen soll. Er soll nicht Richter mehr seyn. Wie selten bleibt doch der Mann, der für uns taugt? Wie unrecht ist es, aus der Beicht ein Formular zu machen, wie einen Schusterleist, worüber der grosse Haufen sein Gewissen spannt, um die Runzeln wegzustrecken! Der Mann müßte grundgelehrt, fromm, auch auf der breiten Sündenstrasse sehr bewandert, ohne bösen Humor, er müßte ein Socrates seyn. Von der Beicht müßten also alle selbstverständige, wohlgezogene Leuthe, die an eine gute Aufführung gewöhnt sind, auch alle Spiele der menschlichen Natur ausgenommen seyn; sonst giebt es der Arbeit zu viel, als daß man würdige Beichtväter genug finden könnte, die Stühle zu besetzen. Nur blödsinnige, schwache, grobe Sünder, die sich besonders den Hang zu einer gewissen Gattung von Vergehungen habituell gemacht haben, Schwermüthige, müßten vor allen Beichtkinder seyn. So war es im Alterthum im constantinopolitanischen Sprengel, wo die Ohrenbeicht zuerst aufkam; denn die ganze grosse Kirche von Byzanz hatte nur einen Beichtvater. Der nun hatte gewiß sonst keine Beichtkinder, als die sich nicht selbst aus dem Sündenpful heraus, und auf den guten Weg der Christlichen Tugenden erheben konnten; sonst wäre er dem Geschäfte allein nicht gewachsen gewesen. Und – sagen Sie mir selbst, Herr Pfarrer, ist es nicht sehr unanständig, daß das Beichtkind gescheuter, erfahrner, wohlgezogener, frömmer sey, als der Beichtvater, der bey seinem gottesrichterlichen Amt doch immer so sehr Mensch bleibt, daß schon die abscheulichsten Verführungen im Beichtstuhl geschehen sind. Freylich will man uns glauben machen, daß der Priester, sobald er in den Beichtstuhl tritt, durch irgend eine Inspiration ausgemenscht werde; aber die Erfahrung, Herr Pfarrer – ich berufe mich auf ihre eigne – giebt uns Beweise genug, daß es mit der Metamorphose nicht so ganz richtig sey.
Aber daß der Beichtvater nur ein guter Freund, ein Trost, eine Stütze der Schwachen seyn soll, ist nur unsere Foderung. Unsre Moralisten alle wollen absolute Richter der Gewissen seyn. Und so ist wegen dem, was wir zuerst erwogen haben, die Prätension unsrer Beichtväter übertrieben. Da diese Herren keine Götter seyn können, und das Kirchengesetz, die vielen Ablässe, die Gewohnheit, und das Interesse der Mönche die Beichten ausserordentlich zahlreich machen, so ist es sehr natürlich, daß unsre Geistlichen das Beichthören als eine Art von Handwerk treiben. Die vielen Kasuisten haben sich erschöpft, um alle Sünden zu classificiren; und da es eine platte Unmöglichkeit ist, sie alle herzuzählen, indem jeder Mensch nach seinem Temperament, seinen Fähigkeiten, seiner Lage, und dann noch nach der unendlichen Verschiedenheit der äussern Umstände seine ganz eigne Sünden begeht; so haben sie endlich, um ihre Einschränkung zu bemänteln, aus der Moral eine Art von Gewürzkram gemacht; verschiedne Sündenschubladen numerirt, worin der Beichtvater nach Gutbefinden die vorkommenden Waaren legen kann; und bey der zu grossen Arbeit, der Schwäche ihrer Augen, und aus andern Ursachen, muß es geschehen, daß sie Mäusedreck unter den Pfeffer werfen. Es ist ja unmöglich, daß eine Handlung, die gegen den buchstäblichen Verstand eines Gesetzes ist, zu einem moralischen Guten, zu einer Tugend werde. Wir wollen zum Beyspiel bey unserm obigen Fall bleiben. Ich setze, die Nachbarin, welche der Bauernjunge beschlafen hat, habe eben einen Anschlag auf ihren verheyratheten Nachbar gehabt; sie hätte ihn glücklich zum Fall gebracht, wenn unser Junge ihrer Lust nicht Genüge gethan hätte. Bey beyden war das Vergehen motus primo primus, und also keine Sünde; nun aber verhindert es einen doppelten Ehebruch, und wird dadurch moralisch gut. Das bonum absolutum und relativum werden Sie noch aus ihrer Ontologie kennen, Herr Pfarrer; und auch den Satz, daß ein malum absolutum ein bonum respectivum seyn kann, & vice versa. Also die Moralität wie eine Apotheke in ein Systeme rangiren, ist nicht nur lächerlich, sondern es muß in den Augen Gottes würklich tollkühn seyn.
Nun ist es auch sehr natürlich, daß die Ohrenbeicht bey dem grossen Haufen die ihrer Absicht gerade entgegengesezte Würkung haben muß. Daß es so ist, beweist uns schon der Augenschein. Gehn Sie nur auf die benachbarten protestantischen Gemeinden, Herr Pfarrer, und Sie werden finden, daß sie alle ohne Ohrenbeicht erbaulicher leben, als Ihr Häuflein. Was die Sünden gegen das sechste Gebot betrift, so kann ich Sie auf meine Ehre versichern, daß es, wie ich in Straßburg studirte, unter uns Studenten ein durch lange praxis bestätigter Grundsatz war, daß unter sechs Huren gewiß fünfe katholisch sind. Ich finde es aber auch sehr natürlich. Die Protestanten fangen sehr frühe an, den jungen Leuthen begreiflich zu machen, daß der zu starke Genuß der Wollust den Körper verdirbt; daß die Mädchen durch einen einzigen übereilten Schritt ihre ganze Glückseligkeit hienieden verschütten können; daß der wahre Genuß der Liebe eben nicht in dem augenblicklichen Kitzel des Körpers, sondern in der reinen Mittheilung der Herzen bestehe. Aber, Kind sündige nicht, dann du must es beichten, kann keine andre Würkung haben, als daß das Kind das Rülpsen des Beichtvaters, und den Rosenkranz, den es zur Busse bekömmt, für kein Gleichgewicht des sinnlichen Reitzes hält, und also auf die Rechnung der Beicht wacker darauflos sündigt. Es ist ganz erbaulich, wenn man in katholischen Städten die jungen Leuthe ihre Beichtväter einander loben hört: du, gehe du zu dem P., der muckst sich nicht; du kannst ihm sagen, was du willst. Glauben Sie nicht, daß dieses ein zufälliges Uebel der Ohrenbeicht sey, Herr Pfarrer; es ist eine sehr nothwendige Folge derselben. Kommen Sie auch über das Beichtkind mit Hölle und allen Teufeln, so macht es wenig Würkung, weil diese Schreckbilder mit der Sünde nicht unmittelbar verbunden sind. Mit einer Beicht auf dem Sterbebette jagt das Beichtkind alle Teufel weg, und jeder Mensch sezt sein Ziel in seiner Einbildung so weit weg, als es nur seyn kann. Für die Schwärmerey der Jugend sind die Höllenstrafen, denen man ja noch so leicht durch eine Beicht entgehen kann, gar kein Gleichgewicht. Wettern Sie zu heftig, so sucht es einen Beichtvater, der tracktabler ist. Es findet ihn auch; denn zu meinem grossen Aergerniß habe ich sogar im Beichtstuhl, besonders unter den Mönchen, einen allgemeinen Handwerksneid bemerkt. Sie rühmen sich wegen der Menge ihrer Beichtkinder; laden sie selbst zur Beicht ein; versprechen ihnen gelinde zu thun; verachten die andern. Die Mönche mischen ihr weltliches Interesse mit unter. Sie nehmen im Beichtstuhl Einladungen an; klagen ihre Bedürfnisse in kleiner Wäsche, Sacktüchern, Strümpfen etc. Das Beichtkind giebt gern, weil es glaubt seinen Richter dadurch zu bestechen. Alles sehr natürlich, Herr Pfarrer!
Ich muß Ihnen noch eine Vergleichung machen, um das Uebertriebne, folglich Unzulängliche der Ohrenbeicht, in dem Gebrauch, den unsre Moralisten davon machen, einzusehen; und daß ihre Gränzen ganz anderst bestimmt werden müssen, wenn sie von guter Würkung seyn soll. Die weltliche Policey, die doch ihr bestimmtes Fach, nämlich die äußere Handlungen der Bürger hat, kann übertrieben werden; wie leicht kann die geistliche Policey ihren Zweck überfleugen? Der erste Grundsatz bey den Policeyprojeckten ist – Diejenige Policey ist die beste, welche den Bürgern in ihren verschiedenen Kollisionen am meisten Sicherheit giebt. Nun wäre es gleich gethan, wenn man jedem Bürger eine Wache zur Seite stellte, die ihn von Haus zu Haus, an den Tisch und ins Bette begleiten soll. Das wäre unter allen möglichen Policeysistemen bey weitem das schlimmste, ob es schon dem ersten Grundsatz scheint am nächsten zu seyn. Tausend Unordnungen, woran die Bürger nie gedacht hätten, würden durch die Wächter verursacht werden. Die weltliche Policey muß also ihre Grenzen nicht auf alle äußere Handlungen der Bürger – nicht einmal auf alle schädliche Handlungen ausdehnen; sondern um praktikabel zu seyn, muß sie sich eine Linie ziehen, und sich über alles hinaussetzen, was unter dieser Linie liegt. Jezt nun zur geistlichen Policey, Herr Pfarrer. Ihre Materie ist so schwankend, so unbestimmt, wie die Farben des Regenbogens für einen Gesichtspunkt unsers Horizonts. Alle mögliche moralische Casus zum Stof des Beichtstuhls machen, ist eben für die christliche Gemeinde so schädlich, als das Projekt mit den Wächtern einer Bürgerschaft. Es veranlaßt Unordnungen, die zuvor nie entstanden wären: Dreistigkeit im Sündigen bey den Starkherzigen, Schwermuth bey den Schwachen, und Unzulänglichkeit eines Beichtvaters für die Menge, sind nothwendige Folgen davon. Ein Gesetz von der Art, welches seinen ohnehin übermenschlichen Zweck noch so gewaltig überspannt, muß neue Sünden gebähren, anstatt die alten auszurotten. Ich will es Ihnen durch das Kirchengeboth, in der österlichen Zeit zu beichten, klärer machen. Dieses Geboth, welches noch lange nicht so übertrieben ist, als das Gesetz der Moral, Alles zu beichten, muß Sünden erzeugen, die ohne dasselbe nicht geschehen wären. Wir wollen zween Sünder nehmen: Der eine hat ein baumstarkes Gewissen; seine Seele ist von der vestesten Konstitution: Der andere ist schwach und blödsinnig. Der Schwache hätte ohne das Gesetz, gerade um die Ostern auszumisten, doch gebeichtet: Der Starke hingegen bekömmt durch diese Bestimmung der Zeit einen neuen Stein des Anstosses, den man ihm in den Weg wirft. Unter zehn solchen starken Kerls ist gewiß nur einer, der gesetzmäßig beichtet; die andern neune begehen auf Rechnung des Gesetzes selbst neue Sünden. Sie kaufen sich entweder Beichtzettel von andern, und dadurch wird wieder ein neuer Weg zur Sünde für den Verkäufer geöffnet; oder sie beichten falsch. Für einen solchen handfesten Sünder sind die Höllenstrafen lange nicht so schrecklich, als der öffentliche Ruf, exkommunizirt zu seyn, oder gar von dem Arm der weltlichen Gerichtsbarkeit, die in vielen Ländern von der geistlichen wenig unterschieden, und in einigen ihre Magd ist, gestraft zu werden. Er sucht also kurz aus der Sache zu kommen; tröstet sich allenfalls, daß er es mit der Zeit beichten könne, und beichtet für die Ostern falsch. Ich will Ihnen nicht das alles hier vordeclamiren, was unsre Glaubensgegner von Gewissenstyranney schon lange gesagt haben – Aber ich versichre Sie, Herr Pfarrer, in manchem Lande würde die Ohrenbeicht abgestellt seyn, wenn die Regenten unter dem grossen Haufen Studenten auf Universitäten, oder überhaupt der mittlern Classe von der menschlichen Gesellschaft könnten erzogen werden; und ihr Stand ihnen nicht wehrte, in das Innere des gemeinen Umgangs einzudringen. Sie würden dann überzeugt, daß das alles, was wir von den Folgen der Ohrenbeicht gesagt haben, keine Vermuthungen, sondern allgemeine Erfahrungen sind; und wenn Ihnen die Sittlichkeit ihrer Unterthanen am Herzen läge, so würden sie wenigstens dem Unfug Grenzen setzen.
Die Einsetzung der Ohrenbeicht ist so göttlich nicht, als uns unsre Kirchenlehrer wollen glauben machen. Im dritten Sekulum geschahe die Beicht noch öffentlich vor der ganzen Kirche. Cyprian und Origenes bezeugen es ausdrücklich, lezterer sagt sogar, daß auch diejenigen, welche noch nicht würkliche Sünden begangen, sondern nur bösen Willen gehabt, ihr Gewissen vor der ganzen Kirche entladen hätten. Die menschliche Bosheit, die Verläumdung, das böse Nachreden, machte die öffentliche Beicht dem guten Namen der Beichtenden nachtheilig. Man ordnete also, daß die Schuldigen zuvor bey ihren geistlichen Hirten sich befragen sollten, die von dem Verbrechen urtheilten, ob es zur öffentlichen Bekenntnis kommen sollte, oder nicht. Im leztern Falle wurde es nur unter dem allgemeinen Titel einer Sünde gebeichtet. So erzählt Leo [I.] in seinem zwey und sechzigsten Brief, und Sozomen in seinem neunten Buche im fünf und dreissigsten Kapitel. Dieser sagt uns ferner, daß um die viele Inkonvenienzen der öffentlichen Beicht zu vermeiden, endlich erst im Jahr 260. sey verordnet worden, daß man aus verschiedenen Hirten der Gemeinden einen von geprüfter Frömmigkeit, von ausnehmender Bescheidenheit und Klugheit aussuchen sollte, welcher der allgemeine Beichtvater sey. Sie sehen also, Herr Pfarrer, daß die alte Kirche zu einem würdigen Beichtvater mehr erforderte, als die heutige, die jedem jungen Laffen, wenn er ordinirt ist, und seinen Busenbaum auswendig gelernt hat, die Erlaubnis Beicht zu hören ertheilt. Aber diese Veränderung geschahe erst in der orientalischen Kirche. In unserer occidentialischen, währte die Gewohnheit der öffentlichen Beicht bis gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts, wo sie unter Pabst Leo dem Grossen zur Privatbeicht gemacht wurde. In Byzanz empfand man gar bald die Ungereimtheit einer Ohrenbeicht, wenn man alle Kleinigkeiten zu ihrem Gegenstand machte, so sehr man auch auf die Wahl eines würdigen Beichtvaters hielt. Es ist gar zu schmeichelnd für die natürliche Herrschsucht der Menschen, Richter der Gewissen zu seyn, und daß auch der sonst enthaltsamste Mann der Versuchung allezeit wi[e]derstehen solle, das Territorium des Beichtstuhls zu vergrössern. Im Jahr 396. wurde zu Byzanz durch den Bischof Necktarius die Ohrenbeicht wieder abgestellt; das wäre nun gewiß nicht geschehen, wenn man sie damals, wo man doch so nahe noch am Ursprung war, für eine göttliche Einsetzung gehalten hätte. Das es geschehen sey, lehrt uns die Kirchengeschichte des Sozomem. Die Ohrenbeicht wurde erst allgemein, als das Verderbniß des Christenthums begann. Die Päbste im neunten und den folgenden Jahrhunderten gebrauchten sie aus eiteln Absichten, aus der Herrschsucht über die Welt; und durch die Entstehung der vielen Mönchsorden wurde sie endlich zu dem Handwerk, welches sie jezt ist.
Mit der Genugthuung für die Sünde verband auch die ursprüngliche alte Kirche einen ganz andern Begriff, als die heutige. Für seine Sünden Genugthun war nicht zu verstehen, daß diese oder jene Handlung eine gewisse zeitliche Strafe der Sünde vertreten sollte; sondern daß dadurch dem Befehl Gottes ein Genüge geschehe, der die Reue fodert, und verlangt, daß sie der Kirche durch eine äußerliche Handlung kund werde. Begieng zum Beyspiel einer eine grosse Sünde, so ließ ihn die Kirche nicht gleich wieder zur Kommunion, so sehr er auch sich reuig zeigte; sie bestimmte ihm eine gewisse Zeit, oft viele Jahre, wodurch er immerfort Proben seiner Reue geben mußte. Nach dem Tertullian befahl man ihm zum Beyspiel, in der Versammlung allein zu stehn, in einer traurigen Kleidung, reuiger Stellung, öfters mit einem Sack, und mit Asche bestreut, weinend und betend zu Gott; er mußte seine Brüder bitten für ihn zu beten. In der Folge geschahe es oft, daß einige in der Zeit ihrer Busse starben, und die Kirche nahm in Erwägung, daß sie könnten zur Verzweiflung gebracht werden; sie ließ also von ihrer Strenge ein wenig nach. Das that aber die Kirche allezeit in Rücksicht auf die Umstände und die Art des Verbrechens. Hatte sie genugsame Beweise einer ernstlichen Reue, so nahm sie den Sünder wieder in ihre Arme, ohne die bestimmte Bußzeit auszuwarten; und man nennte dieses Remission oder Relaxation, wie Eusebius sagt. Lange hernach nennte man diese Remissionen Ablässe, die aber eine ganz andre Bedeutung hatten; denn Ablaß hieß nur die Verminderung der Kirchenbusse, womit die Kirche die Reuigen beschenkte, und nicht der Nachlaß der Strafe für die Sünde in der andern Welt.
Das Fegfeuer, Herr Pfarrer, war schon lange vor dem Christenthum, in dem alten Egypten ein Glaubensartickel. Dort wimmelte die Religion von Geistern verschiedner Art; und durch des Pythagoras gelehrte Reise kam auch die sistematische Geisterlehre in die griechische Philosophie, und von da in die Kontroversen der ersten Kirchenväter; dann in die Glaubenslehre. Origenes kennt gar keine Grenzen zwischen dem Geister= und Körperreich. Die Gradation der Moralität, oder Geisterreinigung, geht bis ins Unendliche. Sogar unsre Schutzengel sollen nach ihm gestraft oder belohnt werden, so wie sie ihr Amt gut oder schlecht verwaltet haben. Unsere ganze Welt hält er für einen moralischen Gegenstand; und die Erde soll von Gott gestraft oder belohnt werden, nach dem, wie sie sich gut oder schlecht aufgeführt habe.
Im Anfang des dritten Sekulums fieng man, nach dem Cyprian, an in der Kirche zu opfern für die Todten. So heidnisch im Grund dieser Gebrauch war, so hatte er doch eine ganz andere Absicht bey der alten Kirche, als er jezt hat; wie Augustin bezeugt. Die Todtenfeyer war nichts, als die Erinnerung des verstorbenen Mitglieds. Die Christen waren noch nicht häufig; jedes Mitglied war ihrer Versammlung wichtig, weil sie noch nicht herrschend waren; sie lebten unter den Heiden, die sie heftig verfolgten; und das gab ihnen unter einander heftige Liebe, Werth, und Vertraulichkeit. Man erinnerte auch durch ein Jahrgedächtniß die Gemeinde an den Tod eines Christen, um sie in dem Glauben zu stärken. Man stellte ihr vor, wie glücklich der Verstorbene sey; und sie betete zu Gott, daß er jedem Mitglied auch so ein gutes Ende geben wolle. Die Freunde des Verstorbnen machten dabey der Kirche Geschenke, oder theilten Lebensmittel unter die Armen aus. Unsere Phantasie hat keine Grenzen, Herr Pfarrer. Die Einbildungskraft der ersten Christen war natürlicher Weise sehr hochgestimmt, weil Neuheit, Verfolgung, Beyspiele des Heldenmuths der Märtyrer alles beytrug, sie zu erhitzen. Der Hang, seine Wirksamkeit bis ins Unendliche auszudehnen, liegt ohnehin in der menschlichen Natur, und durch die Wärme der Phantasie wird er wache. Nun fiengen die lebenden Christen an zu wünschen, nach ihrem Tod mit der Gemeinde noch in Verbindung zu stehen; sie vermachten der Kirche Legaten, ihr Jahrgedächtnis zu feyern; und im dritten Sekulum fieng man auch an für die Todten zu beten. Die Legaten aber, und das Gebet, betrachtete man noch nicht, als ein Versöhnungsopfer für die Sünden; denn Justin der Märtyrer lehrt uns, daß der Glaube der damaligen Kirche über den Zustand der Verstorbenen von dem jetzigen weit unterschieden war. Die alte Kirche glaubte, daß die Seelen der Gläubigen bis an den Tag des jüngsten Gerichts und der allgemeinen Auferstehung unter der Erde bleiben müßten, und daß sie unmöglich eher zu dem Anschauen Gottes gelangen könnten. Man betete also, daß Gott diese Seelen bey der Auferstehung unter die Gerechten zählen möge, und ihre Glorie vergrössern wollte. Daß das Gebet für die Todten nicht ihre Erlösung aus dem Fegfeuer zum Zweck gehabt habe, folgt daraus, daß man sogar nach der Liturgie des Chrysostomus für die Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer, Evangelisten, ja sogar für die heilige Jungfrau Maria betete, die man doch gewiß nicht im Fegfeuer glaubte. Ihre Liebe war so grenzenlos, daß sie nach dem Chrysostomus sogar für die Verdammten in der Hölle beteten. Ohne daran zu denken, gaben sie also nach und nach der heutigen Lehre vom Fegfeuer Grund. Als man endlich zu Rom anfieng, das Christenthum als ein Mittel die Welt zu beherrschen anzusehn, und die Natur der Kirchengebräuche in eitle stolze Possen zu verändern, so künstelte man die Lehre vom Fegfeuer so zusammen, wie es der Herrschsucht der Päbste, und ihrem Beutel am einträglichsten war. Ablässe der Strafen in der andern Welt, die niemand als der Pabst geben kann, klingt schon an sich verdächtig, wenn man auch gar nicht auf den Ursprung dieser Lehre zurücksieht. Was ihr aber die gröste Ausbreitung gegeben hat und noch in unsern Tagen die die starke Haltung giebt, ist wieder das Mönchswesen, Herr Pfarrer. Die unzähligen Wege, welche die Mönche geöffnet haben, vollkommene und unvollkommene Ablässe zu gewinnen, ihre Feste, Bruderschaften, ihr zeitliches Interesse, ihr Ansehn, welches sie dadurch, trotz allem Geschrey der Denker, bey dem grossen Haufen noch zu behaupten wissen; das alles macht uns wenig Hoffnung, daß wir durch Veränderung der Lehre vom Fegfeuer unsern protestantischen deutschen Brüdern um einen Schritt näher kommen werden. Für dießmal hast du genug, lieber Bruder! Ich habe noch ein Stück Brevier zu beten. Leb wohl!