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Nachdem ich nun bis hierher das Tal im ganzen und von oben herab aus der historisch-topographischen Vogelperspektive gezeichnet habe, will ich den Leser auch noch zu den einzelnen schönsten und merkwürdigsten Punkten führen. Dies sind aber hier, wie fast überall im mittelrheinischen Lande, die Städte, Dörfer und Burgen. Die Landschaft wird erst schön und bedeutend durch die Staffage. Wenn heutzutage so viele Reisende in den Tälern des Rheins und seiner Nebenflüsse sich enttäuscht finden, so rührt dies nur daher, weil sie die Staffage nicht zu sehen verstehen, und in Gegenden, die als Kulturland unvergleichlich reizend sind, die reine Naturschönheit, wie etwa im Hochgebirge, suchen.
Die oberste und die unterste Stadt der Tauber haben den höchsten malerischen Ruhm: Rothenburg und Wertheim. Man hat die Lage von Rothenburg mit Jerusalem verglichen und die Lage von Wertheim mit Heidelberg.
Rothenburg zeigt, von vorn oder hinten betrachtet, ein höchst verschiedenartiges Doppelgesicht. Von vorn der enge Talgrund des Flusses, felsige Anhöhen, bedeckt mit Weingärten zwischen Gestein und Buschwerk, die Stadt mit ihren vielen Türmen und Mauern, wie eine große Burg die Höhe bekrönend, dazwischen die Felsenzunge des eigentlichen Burgberges, auf welchem jetzt neben der alten Kapelle nur noch mächtige Bäume aufragen statt Bergfried und Palas. Von hinten dagegen sanft ansteigende Ackerflächen, Hopfenstangen statt der Rebenpfähle, und nur noch auf der langen obersten Linie des Hügelrückens Turmspitze an Turmspitze, die in seltsamer Silhouette von dem Goldgrunde des Abendhimmels sich abheben. Vorn Wein, Bergwildnis und Romantik, hinten Bier, Hügelfläche und prosaische Kultur.
Im Innern ist Rothenburg von allen altertümlichen deutschen Städten, welche ich kenne, weitaus die altertümlichste, die am reinsten mittelalterliche. Nürnberg hat sich verjüngt in und neben seinen alten Quartieren, Rothenburg ist durchaus alt geblieben, und was etwa nicht alt wäre, das erscheint verschwindend bedeutungslos. Die Stadt ist wie erstarrt, versteinert, sie ist äußerlich stehen geblieben, also innerlich heruntergekommen, aber sie ist nicht so weit heruntergekommen, daß sie eine Ruine und folglich dann doch wieder etwas Neues geworden wäre. Sie ist vergessen worden von der zerstörenden sowohl als von der neubildenden Zeit.
Wall und Graben, Mauern, Tore und Türme gürten sich so fest um die Stadt, als sollten sie heute noch, wie in Kaiser Ruprechts Tagen, die Wogen des stärksten ritterlichen Heeres brechen. Noch schauen uns aus der Bastei am Spitaltor ein paar alte Kanonen entgegen, noch gehen wir über die alten Torbrücken, aber die alten Torflügel sind freilich geöffnet, um nicht wieder geschlossen zu werden, und statt des Reichsadlers hängt eben eine königlich-bayrische Konskriptionsverfügung am Einlaß. Gar manche deutsche Stadt hat noch alte Mauern und Türme, allein ein so geschlossenes System größtenteils echt mittelalterlicher Festungswerke, die der ganzen Stadt das Ansehen einer großen Burg geben, wird sich selten wiederfinden.