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Wer das Taubertal mit Vernunft durchwandern will, der muß zwei Reisekarten mitnehmen; eine neue und eine alte aus der Schlußzeit des alten römischen Reichs. Ohne die letztere weiß er gar nicht, auf welchem Grund und Boden er eigentlich steht, und die rasch wechselnde historische Physiognomie der Städte und Dörfer bleibt ihm ein Rätsel. Ein Gang durchs Taubertal ist ein Gang durch die deutsche Geschichte, ist heute noch ein Gang durchs alte Reich, und da man bei der gleichfalls noch altertümlichen Billigkeit der Wirtshäuser mit einer ziemlich leichten Barschaft des Geldbeutels durchkommen kann, so tut man wohl, eine etwas schwerere Barschaft historischer Vorstudien in die Tasche zu stecken.
Die liebliche Gegend hat einen kleinen Wurf, aber die Geschichte des Tals einen großen. Du trittst auf den Felsrücken der alten Burg zu Rothenburg, um einen Blick in das enggewundene obere Taubertal zu gewinnen: der Boden, auf welchem du stehst, gehört der deutschen Kaisergeschichte, hier lag die Feste der Hohenstaufen. Du gehst ins Tal hinab über die Tauberbrücke; sie stammt aus dem 14. Jahrhundert und erinnert an die Verkettung der Geschicke der Stadt mit den Geschicken Kaiser Ludwigs des Bayern. Du wandelst über den Marktplatz von Rothenburg, wo es jetzt so stille geworden: hier belehnte Kaiser Friedrich III. den König Christian I. von Dänemark mit Holstein, Stormarn und Ditmarschen, und unter den Zuschauern befand sich auch ein türkischer Prinz Bajazet. Du betrachtest das neue Rathaus: hier saß Kaiser Karl V. im untern Erker und nahm die Huldigung der Bürgerschaft entgegen. Er kehrte damals als Sieger über den Schmalkaldischen Bund hier ein, aber das Podagra hielt den Sieger zwölf Tage lang in diesem selben Rathaus gefangen. An das neue Rathaus stößt rückwärts das alte: es erinnert an die politische und kriegerische Kraft- und Glanzzeit der Reichsstadt im 14. und 15. Jahrhundert und an den größten Rothenburger Bürger, Heinrich Toppler, der kein großer Kaufmann, sondern ein großer Staatsmann und Soldat gewesen und in den geheimen Gefängnissen dieses Hauses verhungert ist. Gehst du durchs Klingenthor gegen Mergentheim nach Detwang hinab und zweifelst, ob du die breite Landstraße oder den steilen Streckweg links den Berg hinunter wählen sollst, so kannst du dich wohl dem steilen Pfad vertrauen, denn hier ist Kaiser Ferdinand I. mit seinem ganzen Gefolge heraufgeritten. Selbst in der Bauernsprache der Umgegend soll noch ein Stücklein Reichsgeschichte umgehen: die Bauern sagen »wenzeln« statt schlemmen und faulenzen, und man führt dieses Wort auf den faulen König Wenzel zurück, der sich im Jahr 1387 in Rothenburg aufhielt und in dem Schlößchen im Rosental wenzelte.
Die letzte Residenz der Hoch- und Deutschmeister in Mergentheim kündigt sich uns an, lange bevor wir den Turm der alten Ordensburg Neuhaus oder des späteren Schlosses unten in der Stadt erblicken: da und dort an der Tauber begegnet uns das Ordenskreuz, in Stein gehauen. Als Residenz der Hochmeister seit dem 16. Jahrhundert erinnert Mergentheim freilich nur an den Verfall des Ordens, aber als viel älterer Hauptsitz der Deutschmeister (mit Horneck am Neckar) auch an dessen Kraft und Blüte.
In Creglingen suchen wir das prächtige Altarwerk von Veit Stoß, und wenn er's nicht selbst geschnitzt hat, so ist es doch seines Geistes und seiner Schule durchaus würdig und gehört als ein Meisterstück ersten Ranges nicht bloß der fränkischen, sondern der deutschen und allgemeinen Kunstgeschichte. Aber ungesucht tritt uns dort auch die Geschichte der Reformation entgegen, Ablaßbriefe, zumeist zerkratzt und zerrissen, sind an den Chorstühlen angeklebt, und Tetzels Kanzel – so nennt die Sage ein kleines Türmchen mit Plattform – ragt noch immer an der äußeren Kirchenwand so hoch und luftig, daß der Dominikanermönch wohl ein schwindelfreier Redner gewesen sein muß. Und wie Creglingen an Tetzel, so erinnert Rothenburg an Andreas Bodenstein von Karlstadt, und dieser Name führt uns wiederum zum Bauernkrieg, für welchen das Taubertal ein klassischer Boden ist wie kaum ein anderer. Anfang, Mitte und Ende liegen hier beisammen. In Niklashausen an der Tauber hatte Henselin, der Pauker von Niklashausen, 1476 seine Visionen und predigte vor vielen Tausenden sein sozialistisches Evangelium; an der Tauber zündete, fast fünfzig Jahre später, der Funken des Bauernaufruhrs ungemein rasch, aber in Rothenburg wurde der Nerv der fränkischen Bewegung schon gelähmt, noch ehe die streitbaren Haufen in der großen Bauernschlacht bei Königshofen an der Tauber vernichtet waren.