Wilhelm Heinrich Riehl
Ein ganzer Mann
Wilhelm Heinrich Riehl

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Siebentes Kapitel.

Der Direktor wider Willen

Am nächsten Vormittag begab sich Alfred Saß schon bald nach elf Uhr in die Wohnung von Fräulein Aweling. Er steckte das romanische Rauchgefäß in die rechte und die Dose des Prinzen Eugen in die linke Rocktasche, um beides je nach Umständen entweder der Schenkerin zurückzugeben oder beim Bürgermeister zu hinterlegen.

Das Fräulein fand er leider nicht zu Hause und sah nur die gepackten Koffer. Da ihm aber die Kammerjungfer sagte, daß ihre Herrin zu dieser Stunde ihren täglichen Spaziergang im Kurgarten zu machen pflege, eilte er sofort dahin.

Hier entdeckte er in der That die Gesuchte zuletzt auf dem entlegensten Pfade, der aus den Anlagen in den freien Wald führte, leider wieder begleitet von der unerwünschten Freundin, der »stummen Person«.

Der tiefbeschattete Pfad wandte sich so lauschig und heimelig durch die Gebüsche, so einladend zu ungestörter Zwiesprach – aber Hermine war nicht allein!

Saß ärgerte sich darüber und ärgerte sich dann wieder über sich selbst, daß er sich ärgerte, und bemerkte zugleich, daß ihm das romanische Rauchgefäß aus der Rocktasche zu fallen drohe, denn es war viel zu lang für dieselbe. Er legte daher die linke Hand auf den Rücken, um es festzuhalten, und näherte sich in dieser Stellung langsam und unbemerkt den beiden lustwandelnden Frauen.

»Was treibt mich, was berechtigt mich denn, eine Unterredung mit Fräulein Aweling unter vier Augen zu wünschen?« so fragte er sich. »Nichts! gar nichts!«

Allein er gestand sich dann, daß er ums Leben gern etwas Näheres von ihr erfahren möchte über einige Worte, die sie gestern flüchtig und doch mit merkbar bewegter Stimme hingeworfen hatte.

Wer war »der Fremde«, dem sie vordem im Geiste nahe getreten, den sie noch heißer zu lieben geträumt hatte als Vater und Mutter? Bei einem Mädchen, welches schon über dreißig Sommer gesehen, war dies ja gar nichts merkwürdiges. Merkwürdig war es nur, daß sie vor ihm, dem bisher Unbekannten, schon gleich bei der ersten Begegnung davon sprach.

Man konnte daraus auf ein leicht erregbares Gemüt und unbefangen offenherziges Wesen schließen. Allein was ging ihn denn dies Alles an? was kümmerte ihn jener Fremde? was kümmerte ihn das erregbare Gemüt von Fräulein Aweling? Nichts! gar nichts! Er wollte ihr ja nur die Geschenke zurückbringen und hatte zunächst dafür zu sorgen, daß ihm das romanische Rauchgefäß nichts aus der Tasche und Fräulein Aweling zu Füßen fiel, während er ihr seine Verbeugung machte.

Sie hatte gesagt, es sei Alles versunken, Alles tot und dahin. Nun gut! die reiselustige Dame war selber vorerst noch gar nicht versunken und wußte sich kräftigst über Wasser zu halten, – das konnte ihm genug sein.

Allein er hätte doch gar zu gern gewußt, ob die dunkle Gestalt jenes Fremden gleichfalls ganz tot und dahin oder ob sie nur versunken sei; denn wer bloß versunken ist, der kann auch eines Tages aus der Versenkung wieder emporsteigen.

Das ging ihn gar nichts an, und doch hatte er fast die ganze schlaflose Nacht darüber nachgedacht.

Gepeinigt von solchen Gedanken erreichte Saß endlich die Damen und begrüßte sie, die linke Hand fest auf dem Rücken haltend.

Hermine sprach: »Es freut mich, Ihnen zu begegnen. Ich habe in vergangener Nacht noch viel über unser gestriges Gespräch nachgedacht« – Saß fuhr zusammen, errötend und hochaufhorchend – »und bin dadurch immer fester zu der Ueberzeugung gekommen, daß nur Sie, Herr Saß, der beste, ja der einzig rechte Mann in ganz Frankenfeld sind, – das Museum im Haderturm zu ordnen und zu verwalten.«

Saß war aus den Wolken gefallen; – immer wieder das unleidliche Museum!

Da trat zum Ueberfluß auch noch der alte Oberst Sickenwolf hinzu und bat um die Erlaubnis, sich der Gesellschaft anschließen zu dürfen, während er mit spöttischem Blick nach dem Rücken des unglücklichen Saß schielte, dessen Linke das Rauchgefäß in der rechten Rocktasche immer noch krampfhaft festhielt.

»Wir sprachen vom Museum im Haderturm,« belehrte Hermine den Oberst, »und ich meine, das Museum muß auf den Turm eingerichtet werden, und nicht der Turm auf das Museum. Die Altertümer sollen den Turm schmücken und erst innerlich vollenden. Und dazu gehört Ihre Künstlerhand, Herr Saß, nicht der Gelehrtenkopf des Professors Capelius. Jede Stube, jedes Kämmerchen des Turmes, jede Treppe, jeder Vorplatz muß mit einem malerisch hingeworfenen und doch wohldurchdachten Untereinander von Altertümern stimmungsvoll ausgestattet sein; – es gibt nichts Langweiligeres – wenigstens für uns Frauen – als systematische Sammlungen. Und der schöne Turm darf nicht langweilig werden. Der Hauch der Poesie durchwehe seine Räume, der Zauber des Lebens im Tode webe darin, das ewig Gegenwärtige im Vergangnen! Scheinbar planlos, verhüllt und offenbart die Poesie das planvoll Tiefste. Diesen Gedanken werden Sie ergreifen und verwirklichen, Herr Saß, und darum wende ich mich an Sie, weil ich ein Herz für – den alten Turm habe. Zielte doch auch zweifelsohne die Absicht unseres seligen Freundes Rohda hierauf, als er die Klausel wegen des Turmes an sein Vermächtnis knüpfte: das Museum um der Poesie des Turmes willen, nicht der Turm um des Museums willen oder gar das Museum um seiner selbst willen.«

»Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein,« fiel hier der Oberst ein, »wenn ich volkstümlich sage: umgekehrt ist auch gefahren! Denn wenigstens sein eigenes Haus dort oben auf dem Berge hat der selige Rohda bekanntlich um eines alten Thürklopfers willen erbaut, und aus dem Thürklopfer erwuchs das Museum und aus dem Museum das Haus wie der Eichbaum aus der Eichel, nicht aber erwarb Rohda den Thürklopfer um des Hauses willen.«

»Ich verstehe Sie nicht,« bemerkte Fräulein Aweling.

»Also ist Ihnen die Entstehungsgeschichte der berühmten Sammlung unbekannt?« fragte Sickenwolf.

Hermine verneinte.

»Nun, so hören Sie! Vor fünfzig Jahren kaufte Herr von Rohda einen alten Thürklopfer von einem Trödeljuden – –«

Die bisher so schweigsame Schwester des Verstorbenen unterbrach ihn. »Es war nicht vor fünfzig, sondern vor fünfundzwanzig Jahren; mein Bruder hat den Thürklopfer, ein wundervoll aus Eisen geschnittenes Werk des 16. Jahrhunderts, auch nicht von einem Trödeljuden gekauft, sondern er erhielt ihn geschenkt vom Erzherzog Johann – –«

»Die Blütenranken der Sage umwinden den Stamm der Geschichte!« rief der Oberst. »Entschuldigen Sie, mein Fräulein, wenn ich mehr Sage als Geschichte gab: es geht auch andern Historikern ebenso. Aber gewiß ist doch, daß Rohda nun zu der Erkenntnis kam, daß zu einem so schönen alten Thürklopfer auch eine gleich schöne und gleich alte Thüre gehöre.«

»Nach langem Suchen fand mein Bruder eine solche und befestigte den Klopfer daran,« fuhr Amalie fort.

– – »und da eine so prächtige Thüre auch eine gleich stattliche steinerne Thürgewandung, ja ein Portal aus gleicher Zeit fordert, so ruhte er nicht, bis er ein solches erworben hatte,« ergänzte der Oberst.

– – »und über den Rundbogen des Portals gehörte ein steinernes Wappen,« fügte Amalie hinzu. »Leider fand mein Bruder anfangs nur ein Abtswappen, welches doch nicht recht über eine weltliche Hausthüre paßte. So brach er es wieder heraus, suchte weiter und brachte zuletzt eine kleine Wappensammlung zusammen, aus welcher nun das passendste gewählt werden konnte – –«

– – »und Portal und Wappen mußten in einer Mauer sitzen,« rief der Oberst. »So wurde eine Mauer gebaut, und da diese doch nicht für sich allein stehen bleiben konnte, wurden andere Mauern hinzugefügt, und so entstand ein Haus, – alles wegen des schönen Thürklopfers.«

Herr Saß trat jetzt in dieses Duett ein, daß es zum Terzett wurde: »So hatte das Altertumsfieber Herrn von Rohda ergriffen; er sammelte weiter, und das Haus füllte sich mit tausend nützlichen und unnützen alten Dingen, der ganze Hausrat wurde alt und echt, der neue hinausgeworfen, und der edle Freiherr lebte nur in seinem Museum, welches sein Haus und seine Welt war – –«

– – »zuletzt schlief der Baron in einem Bett aus dem 15. Jahrhundert und Fräulein Amalie schläft, glaub' ich, heute noch in einem Bett aus dem sechzehnten,« bemerkte Oberst Sickenwolf.

»Sie sind ein schlimmer Spötter!« schalt Amalie, »aber ich kann nicht leugnen, daß wir auf alten Brauttruhen saßen statt auf modernen Diwans, unsern Wein aus Venezianer-Gläsern der Dogenzeit tranken und unsere Suppe aus Zinntellern von Kaspar Enderlein aßen.«

»Das Museum schuf das Haus,« rief der Oberst, »um allmählich die Bewohner fast aus dem eigenen Hause zu verdrängen.«

– – »aus dem Hause, in welchem trotzdem zufriedene Menschen immer noch Platz fanden, um glücklich zu leben,« ergänzte Amalie. »Die toten Dinge wurden wieder lebendig, sie wurden wieder, was sie vor Jahrhunderten gewesen, der befreundete Hausrat der Lebenden.«

Nun fiel Hermine in die Rede: »Also hatte ich vorhin doch recht, indem ich sagte, Herr Saß werde ganz im Geiste des großmütigen Stifters handeln, wenn er das Rohdasche Museum ebenso poesievoll zur inneren Wiederbelebung des Haderturmes aufstelle, wie dasselbe bisher die traute Häuslichkeit des Herrensitzes belebt und verklärt hat.«

»Aber unser Freund Saß will ja gar nichts mit dem Museum zu schaffen haben!« wandte der Oberst ein. »Er ist ein unbeugsamer Mann; der eifrigste Streiter für den Abbruch des Haderturms, wollte er lieber, daß das ganze Museum nach Groß-Runenstein wandere, als daß der Turm durch dasselbe gerettet werde. Am liebsten sähe er's, wenn wir alle Altertümer verbrennten und zerschlügen, wie es die alten Griechen gethan –«

»Ich bin allerdings unbeugsam,« unterbrach Saß den Spötter, »unbeugsam, indem ich immer thue, was ich will, ohne mich um anderer Leute Dreinreden zu kümmern; ich setze meinen Kopf auf, wie ich mag, und wenn Sie mich heute mit dem Museum ärgern, so könnte ich morgen bloß Ihnen zum Trotz den Kopf eines Museumsdirektors aufsetzen.«

»Lieber Freund, beruhigen Sie sich,« sprach der Oberst im artigsten Tone. »Ich scherzte ja nur, ich weiß ja nur zu gut, daß Sie nie und nimmer das Museum im Haderturm übernehmen werden. Da nun Professor Capelius dies zwar gern thun möchte, aber durchaus nicht thun soll und darf, so finde ich nur noch eine vortreffliche Auskunft, die von allen Seiten mit Jubel wird begrüßt werden. Fräulein Aweling! Bleiben Sie über Winter hier, bleiben Sie für immer bei uns und übernehmen Sie mit feiner Hand, mit kundigem Geiste, mit der Fülle Ihrer künstlerischen Phantasie die Direktion im Haderturm. Wir leben in der Zeit der erweiterten Frauenberufe – –«

Hermine unterbrach ihn, laut auflachend: »Dann wäre ich ja nicht mehr das Mädchen aus der Fremde, welches bekanntlich mit jedem jungen Jahre kam und nicht bei den armen Hirten überwinterte. Allein der Herr Oberst hat immer recht, selbst wenn er, getrieben vom Geiste der Verneinung, etwas ganz Verkehrtes sagt. In der That! mitwirkend gehört eine weibliche Hand dazu, um das Museum in künstlerischem Geiste zu ordnen, und Herr Saß mag bei seinem Sträuben diesen Mangel wohl empfunden haben. Die weibliche Hand ist zur Stelle,« – und sie ergriff Amaliens Hand – »Fräulein von Rohda kennt die Sammlungen ihres Bruders weit genauer als irgend Jemand, sie weiß die Herkunft jedes Stücks, sie hat die ganze innere Geschichte des Museums miterlebt, sie ist uns Andern weit überlegen an Weisheit wie an Alter – natürlich den Herrn Obersten ausgenommen. Ich empfehle Ihnen, Herr Saß, Amalien als Assistenten, und ich bitte meine Freundin innigst, diese Ehrenstelle nicht abzulehnen, und wäre es auch nur, damit das Heiligtum ihres seligen Bruders ganz nach seinem Willen gehütet werde. Fräulein von Rohda ist treu wie Gold, Herr Saß, und Sie können ihrer Treue vertrauen, wie ich ihr vertraut habe. Unsere Bekanntschaft seit vier Jahren war ja nur flüchtig, – aber lernen wir überhaupt in diesem kurzen unstet dahineilenden Leben einen Menschen mehr als flüchtig kennen, selbst wenn nur fünfzig Jahre aufs engste mit ihm verbunden gewesen wären? Dieser Freundin allein habe ich zuletzt, nachdem ich so vereinsamt geworden, mein vollstes Vertrauen geschenkt; sie kennt meine Vergangenheit, sie weiß, was ich für die Zukunft sinne. Ich habe dieser Tage meinen letzten Willen dem Notar Feininger dahier übergeben, und Fräulein von Rohda soll darüber wachen, daß er pünktlich vollzogen werde. Sie wird auch über den Vollzug des Willens ihres Bruders wachen, wenn Sie, Herr Saß, das Museum übernehmen. Und komme ich im nächsten Frühling wieder nach Frankenfeld, dann werden Sie Beide den alten Turm wunderschön eingerichtet haben und mich in allen Räumen herumführen, und ich – werde mich mit Ihnen des gelungenen Werkes freuen und die ganze Stadt wird Ihnen dankbar sein.«

Bei diesen Worten empfahl sie sich rasch mit herzlichem Abschiedsgruße und verschwand mit der Freundin auf einem Seitenwege.

Die beiden Männer sahen ein Weilchen den Frauen schweigend nach, tiefe Bewegung arbeitete in den Mienen von Alfred Saß.

Der Oberst aber sprach leise vor sich hin: »Unsere Frauen können kein Griechisch und Latein und möchten es jetzt gern lernen. Thörichtes Bemühen! Sie können weit mehr. Sie können den Männern die Köpfe verdrehen, und die Köpfe zurechtsetzen, ja manche setzt sogar einem Manne den Kopf zurecht, indem sie ihm den Kopf verdreht.«

Bei den letzten Worten schielte er zu Saß hinüber.

Dieser aber war nicht aufgelegt, weiter mit dem Alten zu plaudern. Er verabschiedete sich und ging raschen Schrittes nach Hause.

Dort fand er das romanische Rauchgefäß immer noch in seiner rechten und die Dose des Prinzen Eugen in seiner linken Rocktasche, obgleich er die linke Hand längst nicht mehr auf den Rücken hielt.

Er hatte ganz vergessen, die Geschenke zurückzugeben; aber das war auch nicht mehr nötig. Sein Entschluß stand fest. Er übernahm das Museum dem Obersten und allen Gegnern zum Trotz und – – Herminen zuliebe.

An die Altertümer dachte er freilich zunächst gar nicht, sondern nur daran, wie er durch Amalien in Verbindung mit dem rätselhaften Wesen aus der Fremde und in der Fremde bleibe, und wie er beim Zusammenarbeiten mit der Freundin die Geheimnisse Herminens, ihres Lebensganges und ihrer Zukunftspläne so nach und nach erhaschen wolle.

Gar sonnig leuchtete ihm dabei die Freude vor, welche er Herminen bereite, wann er sie übers Jahr durch die malerisch schön und ganz in ihrem Geiste geordnete Sammlung führen werde.

So wundersam sind die Schicksale der alten Türme, der Museen und der Menschenherzen! Im Tode noch hatte Herr von Rohda den Haderturm gerettet, und Herr Saß wäre niemals Museumsdirektor geworden ohne die schwarzen Augen und die schneeweißen Haare des Mädchens aus der Fremde.


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