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Süßes italisches Licht! Ferne ist wieder Ferne, da das hellgewordene Blut sein eigen Land hat. Oh, Italien! Nie war dies Land, das ihr schon Enge und Haft gewesen war, so die Heimat ihrer Seele gewesen, nie hatte, was Sehnsucht verlangt hatte, so große Antwort vernommen wie jetzt aus diesen ihr neugeschenkten Landschaften ihrer Heimat, in der nun aus dem Worte des Dichters alle italische Zeit mit war in ihrer Zeit, in der das Erdgeheimnis, mit dem sie in den Stunden ihrer erlösten Einsamkeit Zwiesprache gehalten hatte, nun in Göttern, Heroen und Heiligen aufgestanden war und die Pineten beseelte, die Ölbaumhügel und die Küsten! Die kleinen Städte, die verlorenen in Toskana, in Umbrien und der Romagna, deren ein paar kaum noch in dunklen Kindheitserinnerungen als Stätten traurigen Theaterspielens aufbewahrt gewesen waren, diese »Städte des Schweigens«, wie ihr Dichter sie hernach genannt hat, erkannte sie nun. Die eingeschlafene Zeit, die lange, lange, war in ihren Steinen unter seinem Worte erwacht, und die vielen Geschlechter der Menschen sprachen den unendlichen Traum von Lust, die Ewigkeit will, aus ihren Werken in der unendlichen italischen Landschaft, in denen die Stimmen Catulls, der Hirtengesänge, San Francescos und aller derer, denen nachher noch die Gnade des Wortes gegeben war, mit der leidenschaftlichen Stimme ihres Dichters zusammenklangen zu der Lobpreisung Italiens, dem sie gehörte.
Nun lernte sie, sommerlich daheim und blühend im Unabwendbaren, eine neue Fröhlichkeit. Sie hatte immer, seitdem ihre dunkle Mädchenzeit vorbei war, das Lachen geliebt, das Lachen gesucht und mit ihren Freunden oft ein solches Gelächter gefunden, das fast keinen Anlaß mehr gehabt hatte und in dem, oft fast schmerzlich anzuhören, alles versäumte Lachen vieler Jahre Befreiung suchte. Nun fand es Befreiung, Augenblicke einer schwärmerischen Fröhlichkeit, entzücktes Geschehenlassen nie gestatteter Launen, Mirandolina-Einfälle voll des kindlichen Glückes der tragischen Seele, die sich so tief im Schicksal weiß, daß sie schon lachen darf.
Aber Briefe kamen, Schurmann mahnte, und selbst Gespräche mit dem Freunde, die ihr Verlangen nach seinem Werke, das kommen mußte, weckten, sprachen alt und neu vom Theater. In Fiesole gibt es einen uralten, ungeheuren Glyzinenstamm, der seine Äste und Blütentriebe von Terrasse zu Terrasse, an mehreren Häusern vorbei und durch eine Anzahl von Gärten, deren strenge Umzäunung sie durchbrechen, bergab gegen die Villa Medici zu sendet. So, dachte sie, bergan oder bergauf, stehen die Häuser meines Lebens – aber das blüht und wächst durch alle Umzäunungen. Und sie gehorchte, erkennend, daß ihr auch die verheißene Erfüllung ihres Frauenseins ihr schweres Tun nicht erspare.
Ihr ahnte, was jetzt geschehen müsse, was seit ein paar Jahren von ihr verlangt wurde und dem sie sich (sie wußte selber, daß ihre Gründe nun sinnlos geworden waren) jetzt nicht mehr entziehen konnte. Meerlicht hatte sie getrunken, Wind der schönen Hügel mit dem Dufte der Macchia, in dem die Arome der Myrthen, Terebinthen, des Mastixstrauches, der großen gelbblühenden Minze und des Erdbeerbaumes sonnenheiße Erde atmen, hatte ihre Glieder gebadet. Und nun sollte sie wieder in die Städte zurückkehren, wo die Luft verbraucht und kein Raum ist, in dem der Himmel die Erde berühren kann. Aber ihr Gesetz galt in das neue Schicksal hinein – und sie gehorchte.
Und das Erwartete blieb nicht aus. Nachdem, was vorher schon vorgesehen gewesen war, festgelegt und über Wochen, Monate und Monate ihres nächsten Jahres die bindenden Abmachungen getroffen waren, daß sie wieder diese alten verbrauchten Stücke spielen solle, hieß es nun von neuem, jetzt sei es an der Zeit, daß sie in die Stadt gehe, die sie als Schauspielerin bisher scheu gemieden hatte, daß sie in Paris spiele.
Man wisse nun dort genug von ihr, Freunde und Verehrer hätten ihr den Boden bereitet. Und wenn dem auch nicht so wäre, was habe sie denn noch zu scheuen? Und jetzt war das nicht mehr nur Denken und Reden von Paris: sie hatte das Telegramm in der Hand, das ihr ein Gastspiel in der ersehnten und gefürchteten Stadt anbot. Und dieses Telegramm sagte auch noch, daß sie im Théâtre de la Renaissance, dem Theater der Sarah Bernhardt, spielen solle. Erst meinte sie, dies Anerbieten sei von der Frau selber ausgegangen, die sechzehn Jahre zuvor durch ihr Erscheinen ihr zu den ersten großen Triumphen verholfen hatte, deren Dasein sie, seit sie selber auf der Höhe des Ruhmes war, immer öfter und sonderbarer an ihren Lebenskreis rühren fühlte und die ihr Teil hatte an ihrer Scheu vor Paris. Dann erfuhr sie aber, daß Schurmann das Theater gemietet habe, und zwar zu »löwenmäßigen« Bedingungen, wie er sagte. Aber es war doch ihr Theater, und sie durfte sich als ihr Gast fühlen.
Primoli, der alte Freund, der die Welt und vor allem die der französischen Kunstdinge so gut kannte, war bei ihr. »Während sie darüber nachdachte,« erzählt er, »wurde Gabriele d'Annunzio gemeldet. Sie reichte ihm das eben eingetroffene Telegramm.
›Nun? Und Sie zögern?‹
›Allerdings. Ich habe es nie gewagt, dem Pariser Publikum gegenüberzutreten: es ist an eine solche Vollkommenheit, an so große Persönlichkeiten gewöhnt!‹
›Sie haben unrecht ... Sie wissen wohl, was für eine unerwartet hochherzige Aufnahme, das darf ich wohl sagen, meine Kunst in Frankreich gefunden hat. Im übrigen ist es die gute französische Tradition, den Künstlern von jenseits des Meeres und jenseits der Berge freigebig die Tore zu öffnen ... ich bin sicher, daß Sie in Paris mehr als sonst überall aufmerksame Ohren und gesammelte Seelen finden werden.‹
›Das ist alles möglich; aber was nützt die Aufmerksamkeit eines Publikums, das die Sprache nicht versteht?‹
Und nun ist der Augenblick gekommen, in dem sie das Langerwartete zu fordern wagt: sie verlangt, er solle ihr für Paris ein Stück schreiben.
›Das können Sie doch nicht denken, in einer Woche? Das ist Wahnsinn?‹
›Nun, dann schreiben Sie mir die Rolle einer Wahnsinnigen!‹
›Sie gehen nach Paris?‹
›Nur unter dieser Bedingung!‹
›Dann wird man versuchen müssen, Ihr Verlangen zu erfüllen.‹
›Ich will ein formelles Versprechen!‹
›Also schön, in zehn Tagen haben Sie Ihre Wahnsinnige.‹«
Und Primoli erzählt weiter: »Ich frage im Hotel Bristol (Rom, und es ist der Mai 1897) nach Frau Duse. Sie will eben ausgehen, sie kommt die Stiege herunter. Da sie mich sieht, schwenkt sie in ihrer Hand einen prachtvollen Einband aus altem bestickten Stoffe, der mit Schleifen von grünem Moiré zugeknotet ist: ›Ich habe es!‹ sagte sie mir triumphierend.
›Was denn?‹
›Das Manuskript von Gabriele d'Annunzio!‹
›Und es heißt?‹
›Sogno d'un Mattino di Primavera ... Und um ihm einen richtigen Rahmen zu geben, gehe ich mit meiner Truppe aufs Land hinaus, und wir proben auf den sprossenden Wiesen, unter den Bäumen inmitten der Blumen ... nur zehn Tage, zehn Ruhetage, und dann Paris.‹
›Und worin wollen Sie zuerst auftreten? ...‹
›Ich schwanke zwischen der Magda, der »Femme de Claude«, der »Kameliendame« ...‹
›Das sind alles fabelhafte Stücke, die die Sarah gespielt hat!‹
›Ach, das weiß ich nur zu gut.‹
›Einen Freundesrat: wählen Sie etwas anderes.‹
›Aber was soll ich denn spielen? Ist es meine Schuld, daß diese große universelle Künstlerin alles angepackt hat ...‹«
Nach allen Vorschlägen von seiner Seite und ihren Einwänden bleibt dann von italienischen Stücken nur die »Locandiera«, die »Cavalleria rusticana« und das dramatische Gedicht von d'Annunzio. Im übrigen will sie trotz der Sarah Bernhardt eben alle jene französischen Stücke spielen, die so sehr die ihren geworden sind.
Eleonora Duse und Flavio Andò hatten sich längst getrennt. Der Liebende hatte sich ehedem freudig darein geschickt, nicht mehr von seinem künstlerischen Wollen entfalten zu können, als es der Größeren dienen konnte. Aber der Kamerad durfte sich dann endlich auch seiner selbst besinnen. Und sie verstand, daß er mehr Raum brauche, als ihre Natur ihm gewähren könne. Er gründete seine eigene Compagnia, die bald zu Ansehen gelangt war. Aber da Eleonora Duse sich anschickte, nach Paris zu gehen, besann sie sich des besten Partners, den sie gehabt hatte. Und er kam.
Etwas von dem Glauben ihrer Anfangszeiten, daß das französische Theater das Theater sei, war trotz allem noch in ihr lebendig geblieben. Und so kam sie, die Jahre der Triumphe in ungezählten Städten vergessend, wieder fast wie eine Anfängerin in die Stadt. Sie hatte wohl ihre Freunde hier, vor allem Primoli, die für sie wirken würden, sie wußte, daß Schurmann ihren Erfolg in Paris zu einer Sache seiner Ehre gemacht habe. Aber dann war sie doch herrlich erstaunt, als alles war, als ob die ganze Stadt sie sehnsüchtig erwartet hätte. Die Freunde hatten Wunder gewirkt: Primoli hatte seinen Artikel über sie geschrieben, den alle Journalisten zitierten, Schurmann hatte sich Tag und Nacht keine Ruhe gegönnt, und ihr unbekannte Verehrer, deren zwei sie damals vor Jahren in Petersburg gesehen hatten, hatten in den Zeitungen und den Salons für sie geworben und Neugierde und erregte Erwartung geschürt. Und wenn die Beweise alles dessen Schurmann noch im Zweifel gelassen hätten, genügte der erste Tag des Vorverkaufs mit seinem ungeheuerlichen Erträgnisse, um ihm die Sicherheit zu geben, daß schon alle Augen auf seinen »Stern« gerichtet seien. Dann kam die Nachricht, daß Sarah Bernhardt zur ersten Vorstellung (der Kameliendame) aus Brüssel kommen würde. Eleonora Duse sah darin nichts Absonderliches, zumal sie sich ja trotz der märchenhaften Theatermiete als ihr Gast fühlte. Zwar hatte man ihr Andeutungen genug gemacht, aber sie wollte es nicht wahr haben, daß die, deren Kunst sie bewunderte, nicht ganz und gar ihrer Bewunderung wert sei. Denn noch glaubte sie, daß große Kunst Zeugnis von einer großen Seele gebe. Schurmann freilich sah die Sache anders, aber er hütete sich, ihr seine Befürchtungen zu sagen, zumal er sie erregt wie eine Debütantin dieser ersten Vorstellung entgegengehen sah. Er war schon so zufrieden, daß sie hier in Paris etwas von ihren »wilden Sitten« abgelegt hatte, daß sie auf den Glanz ihrer Toiletten acht hatte, wie es Paris von einer berühmten Schauspielerin verlangt, und daß sie sogar Besuche von Zelebritäten der Literatur und des Theaters annahm. Sollte das der Einfluß des Dichters sein? Oder war es Paris selber, das sich das erzwungen hatte? Er fragte nicht weiter, er hätte auch keine Zeit dazu gehabt. Er hatte anderes zu tun. Sarah Bernhardt war da, und man trug ihm Dinge zu, die ihn hätten besorgt machen können, wenn er nicht so oft die Wirkung seiner Duse erlebt hätte. Sarah vergißt nichts, dachte er, sie denkt an New York. Das allein würde genügen. Aber daß wir hier die Kameliendame machen, wird sie als einen Affront betrachten. Nun, jetzt müssen wir's drauf ankommen lassen, und wir sind ja auch nicht schwach – mag sie ihre wohldressierte Garde haben, die schreibt, wie sie pfeift, wir haben auch unsere Leute. Und wir sind ja nicht in Amerika, hier kann man schlimmstenfalls gegen eine Presseclique recht behalten, wenn das Publikum mitgeht und sich ein paar ordentliche Leute finden, die die Wahrheit sagen. Und die werden sich finden.
D'Annunzio kannte Sarah Bernhardt und ihre Macht. Aber als ihm alles Bedenkliche zugeflüstert wurde, lächelte er abweisend: nein, das wären Dinge, die miteinander überhaupt nichts zu tun hätten, Eleonora ... nein, an die Gesandten der Götter rührt all das nicht. Und dann, war nicht wider die Frevler die Heerschar seiner Freunde da, die an ihn glaubte und also an sie glauben mußte? Zwar hatte auch er seine Gegner, das wußte er, Zola war ihm nicht hold, und auch ein paar andere Schriftsteller von Namen trugen ihm allerlei nach. Aber unter den Leuten seines Alters hatte er seine Anhänger. Und sie, die diese mittelmäßigen französischen Dramatiker von gestern in die Welt getragen hatte wie keine andere, mußte ja auf die Überlebenden der anderen Generation zählen können ...
Der erste Abend, diese Kameliendame, die so völlig anders war als die schon als endgültig akzeptiert gewesene der Sarah, hatte, nachdem das erste Befremden vor dem völlig Neuen und Unerwarteten gewichen war, eine wunderbare Wirkung. Freilich ist es gewagt, Franzosen gegenüber auf jeden Einfall, auf jede Pointe zu verzichten und so Theater zu spielen, als ob jeder Augenblick gleich wichtig wäre. Aber alle wußten alsbald, daß das, was da vor ihnen geschah, nicht mehr mit den Maßen ihres Theaters und selbst nicht mit dem großen Maße, das sie an ihr erfindungsreichstes Talent, an Sarah Bernhardt, anzulegen gelernt hatten, gemessen werden könne. Sie wußten es zuerst mit ihren Sinnen und ihrem Verstande, alle diese Menschen des Esprits und der Medisance, dann mit ihrem Herzen und endlich in einer Region, die vordem nicht vom Theater und kaum von den größten und erschütterndsten Dingen aller ihrer privaten Schicksale berührt worden war. Und sie dankten dieser Marguérite Gautier, die sie an dem Abende, jeder für sich, auf eine so ganz und gar neue Weise erfahren hatten, mit einem Beifalle, in dem nichts mehr von dem Wohlgefallen an der gelungenen Anwendung wohlgewählter Mittel, nichts mehr vom Kennerentzücken an großem Virtuosentum war, sondern nur noch räsonnementlos hingerissenes Gefühl von einem alle angehenden Menschenschicksale und eine wunderbare Liebe für die, die es ihnen vorgelebt hatte.
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