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Der nächste Tag war ebenso regnerisch und düster. Jeden Augenblick trat einer vor sein Haus und blickte lange und besorgt in die neblige Welt, ob es sich nicht irgendwo aufhellen wollte/aber es war nichts zu sehen als graue Wolken, die so niedrig zogen, daß es schien, als ob sie sich an den Bäumen zerrissen; der Regen rieselte ohn' Unterlaß, gegen Mittag aber steigerte er sich zu einem solchen Wolkenbruch, als hätte einer die himmlischen Schleusen geöffnet; es trommelte nur so auf die Dächer.
Die Leute drückten sich in den Stuben herum; der eine oder der andere schleppte sich durch Schmutz und Regen zu den Nachbarn, um sein Klagelied anzubringen. Man schimpfte auf das Wetter, in das man nicht einmal einen Hund hätte hinausjagen mögen, und manch einer hatte doch noch seine Nadelstreu im Wald liegen, ein anderer hatte sein Holz nicht eingefahren, ein dritter nur »fast alles«/die eine hatte noch den Kohl nicht zu Ende geschnitten, wegen dessen heute gar nicht hinauszufahren war, denn der Weiher war in der Nacht so gestiegen, daß man schon bei Tagesanbruch die Schleusen öffnen mußte, um das Wasser in den Fluß abzulassen, der dadurch aus den Ufern trat; sogar die Wiesen kamen unter Wasser und die Kohlfelder ragten wie Inseln mit den schwarzen Rücken ihrer Beete aus dem weißlichen schaumbedeckten Strudel auf.
Bei der Dominikbäuerin hatte man ebenfalls den Rest, der noch im Felde geblieben war, nicht eingefahren.
Jagna wußte schon vom frühen Morgen an nicht recht wohin, sie ging von einer Ecke zur anderen, dann sah sie wieder durchs Fenster auf die Georginenbüsche, die das Wasser zu Boden gelegt hatte, starrte in die verregnete Welt hinaus und seufzte sehnsüchtig.
»Man langweilt sich zum Gotterbarmen!« flüsterte sie ungeduldig in Erwartung der Dämmerung und des kommenden Abends, an dem bei Borynas Kohl geschält werden sollte, und der Tag schleppte sich gerade so langsam wie ein Bettler durch den Dreck, so langweilig und so eigentümlich traurig, daß es schon gar nicht mehr zum Aushalten war. Gereizt war sie auch, so daß sie in einem fort auf die Jungen einschrie und mit allem, was ihr nur unter die Hände kam, herumstieß; obendrein hatte sie noch Kopfschmerzen, so daß sie sich die Schläfen mit gebrühtem Hafer, den sie mit Essig besprengt hatte, belegen mußte/da erst ging es vorüber. Trotzdem konnte sie sich keinen Platz finden, und die Arbeit glitt ihr aus den Händen, weil sie sich immer wieder in den Anblick des aufgepeitschten Weihers vertiefte, der, wie ein Vogel, schwere Flügel ausbreitete, damit um sich schlug und rauschend aufzufliegen versuchte, so daß das Wasser auf den Weg spritzte, und doch konnte er nicht auffliegen, als ob seine Füße mit dem Boden verwachsen wären. Hinter dem Wasser aber stand Borynas Haus, man konnte gut das altersgrüne Dach sehen, die neu mit Holzschindeln beschlagene Frontgalerie, deren Dächlein noch gelb leuchtete, und die Wirtschaftsgebäude hinter dem Obstgarten; doch sie wußte gar nicht, worauf sie sah...
Die Dominikwittib war von früh an außer Haus, denn man hatte sie aufs andere Ende des Dorfes zu einer Gebärenden geholt, da sie für eine Heilkundige galt und sich auf verschiedene Krankheiten auskannte.
Es war ein Drängen über Jagna gekommen, hinaus unter die Menschen zu gehen, sobald sie aber die Schürze über den Kopf schlug und über die Schwelle in den Schmutz und ins Regenwetter hinaustrat, verließ sie alle Lust... so daß sie sich zuletzt dem Weinen nahe fühlte, unter der Gewalt einer seltsamen Sehnsüchtigkeit... Da sie sich nicht anders helfen konnte, öffnete sie ihre Lade und fing an, aus ihr den Sonntagsstaat hervorzukramen und über die Betten auszubreiten... In der Stube wurde es bunt vor gestreiften Beiderwandröcken..., Schürzen... Jacken... Doch all das wollte sie heute nicht freuen... mit gleichgültigem, gelangweiltem Blick sah sie auf ihr Hab und Gut und zog schließlich von unten das Tuch und das Band hervor, die sie von Boryna hatte; sie schmückte sich damit und besah sich lange im Spiegelchen.
»Nicht schlecht... man muß das für den Abend umtun,« dachte sie, und nahm es gleich ab, denn irgend jemand kam zwischen den Hecken auf das Haus zu.
Mathias trat ein... Jagna schrie auf vor Staunen, denn es war dieser, um den man sie am meisten beschuldigte, daß sie mit ihm des Nachts im Garten zusammenträfe und ihm auch öfters anderswo Einlas gewährte ... Er war ein älterer Bursche, mochte gut über die Dreißig sein, und noch Junggeselle, aber heiraten wollte er nicht, der Schwestern wegen, die noch nicht untergebracht waren, und, wie Gusche sich zusammenredete, weil ihm die Mädchen und andermanns Frauen besser schmeckten ... Ein breitgewachsener Kerl war es, wie eine Eiche, kräftig und selbstbewußt, dabei so hochmütig und unnachgiebig, daß ihn die meisten fürchteten. Und geschickt war das Luder zu allem; auf der Flöte spielte er, daß es einem bis an die Seele ging, konnte einen Wagen zurechtzimmern, baute Häuser, klebte Ofen aus und machte alles mit solcher Geschicklichkeit, daß ihm die Arbeit unter seinen Fäusten nur so hinflog/nur das Geld wollte an ihm gar nicht haften bleiben, obgleich er gut im Verdienst war, denn er vertrank und verspendierte gleich alles, oder borgte es aus ... Täubich war sein Vatername, obgleich er eher einem Habicht ähnlich war seinem Gesicht nach und in bezug auf seine Hitzigkeit.
»Gelobt sei Jesus Christus! ...«
»In Ewigkeit ... Mathias!«
»Ich bin's schon selbst, Jagusch, ich bin's ...«
Er drückte ihr die Hand und sah ihr so feurig in die Augen, daß das Mädchen errötete und unruhig nach der Tür sah.
»Warst ein halbes Jahr in der Welt ...,« murmelte sie verlegen.
»Ein ganzes halbes Jahr und dreiundzwanzig Tage ... ich hab' gut gezählt ...«; ihre Hände aber ließ er nicht los.
»Ich will Licht machen!« rief sie, da es schon tüchtig dunkelte und um von ihm loszukommen.
»Willst du mich nicht begrüßen, Jagusch,« bat er leise und wollte sie umfassen, aber sie entglitt ihm schnell und ging zum Herd, um Licht zu machen, sie hatte Angst, daß sie die Mutter oder irgend jemand anders im Dunkeln überraschen könnte, aber sie kam nicht dazu, weil Mathias sie um die Hüften faßte, stark an sich drückte und wütend zu küssen begann ...
Sie wand sich wie ein gefangener Vogel, aber sie hatte nicht die Macht, sich einem solchen hungrigen Drachen zu entwinden, der sie an sich preßte, daß die Rippen fast knackten und dermaßen küßte, daß ihr ganz schwach wurde; die Augen umnebelten sich, sie konnte keinen Atem fangen, und nur mit dem Rest ihrer Beherrschung bettelte sie:
»Laß ... Mathias ... die Mutter ...«
»Noch ein bißchen, Jagusch, noch einmal, sonst werd' ich ganz toll ... Und er küßte sie so, daß das Mädchen ganz willenlos wurde und ihm zwischen den Händen durchglitt, wie Wasser, aber er ließ sie mit einem Male los, denn es wurden im Flur Schritte laut; er zündete noch eigenhändig das Lämpchen über dem Rauchfang an und machte sich dran, eine Zigarette zu drehen, mit vor Vergnügen funkelnden Augen Jagusch betrachtend, die noch nicht zu sich kommen konnte und schwer atmend sich fest gegen die Wand stützte.
Jendschych trat ein und fing an, das Feuer auf dem Herd anzufachen, setzte Töpfe mit Wasser auf und machte sich in einem fort in der Stube zu schaffen, so daß sie nur wenig mehr miteinander sprachen, und nur mit glühenden, gierigen Augen einander betrachteten, als ob sie sich am liebsten auffressen wollten ...
In Bälde, es mochten kaum ein paar Paternoster vergangen sein, kam die Dominikbauerin heim, sie mußte wohl böse sein, denn schon im Hausflur riß sie das Maul gegen Schymek auf und als sie Mathias gewahr wurde, blickte sie ihn streng an, ließ seine Begrüßung unbeachtet und ging in die Kammer, sich umzukleiden.
»Geh schon, sonst wird die Mutter mit dir zanken ...,« bat Jagna leise.
»Kommst du zu mir heraus, Jagusch, was?« bat er.
»Bist schon aus der Welt zurückgekehrt?« sagte die Alte, als hätte sie ihn soeben erst entdeckt.
»Das bin ich, Mutter ...,« sprach er sanft und wollte ihr die Hand küssen.
»Was da, Mutter, such dir 'ne Hündin als Mutter, nicht mich!« knurrte sie auf, ihm die Hand wütend entreißend. »Wozu bist du hierhergekommen? Hab' ich dir nicht schon gesagt, daß du hier nichts zu suchen hast ...«
»Zu Jaguscha bin ich gekommen, nicht zu euch,« rief er trotzig, denn die Wut packte ihn.
»Bleib' du mir von der Jagna ab, verstanden! Komm du mir hier noch einmal, daß man sie dann durch dich im Dorf auf den Zungen herumträgt, wie irgend so eine ..., daß dich nicht noch einmal meine Augen hier sehen ... brüllte sie los.
»Ihr schreit, wie eine Krähe, das ganze Dorf wird's hören!«
»Laß sie hören, laß sie zusammenlaufen, laß sie wissen, daß du dich an Jagna gehängt hast, wie 'ne Klette an einen Hundeschwanz, daß man dich selbst mit einer Feuergabel nicht verjagen kann ...«
»Wenn ihr nicht ein Frauenzimmer wäret, dann würd' ich euch mal an die Rippen fassen, für solches Reden ...«
»Versuch' du, Bube, versuch' du bunter Hund ...,« sie griff nach einem eisernen Feuerhaken.
Aber dabei blieb es, denn Mathias spie aus, schmiß die Tür ins Schloß und ging rasch fort, wozu denn auch, sollte er sich vielleicht mit einem Weibsbild herumschlagen und sich zum Gelächter des ganzen Dorfes machen?
Die Alte aber, als sie seiner nicht mehr habhaft werden konnte, machte sich über Jagna her, und nu mal gleich los und auf sie eingeifern und alles herholen, was sie schon lange auf der Leber hatte ... Jagusch saß indessen still dabei, fast wie erstorben vor Schreck, als ihr aber die Worte der Mutter schon bis aufs Blut gingen ... kam sie zur Besinnung, fing an zu heulen und steckte klagend den Kopf in die Federbetten ... Sie war heftig erbittert... denn sie hatte keine Schuld ... sie hatte ihn doch nicht ins Haus gerufen ..., er war ja von selbst gekommen ..., und was die Mutter ihr da vom Frühjahr vorhielt, da hatte er sie nur am Zaunüberstieg getroffen ...; konnte sie sich solchem Ungeheuer entwinden? ... wo es ihr so in alle Glieder gefahren war, daß sie ... und später konnte sie sich ihn da vom Leibe halten? ... Immer ist es so mit ihr, wenn sie nur einer scharf ansieht oder stark anpackt ... dann bebt in ihr alles, die ganze Kraft geht von ihr ab und es wird ihr so schwach im Magen, daß sie schon nichts mehr weiß ... was kann sie dafür?
Sie klagte still und unter Tränen, bis die Alte sich begütigte und ihr besorgt die Augen und das Gesicht abtrocknete, über den jungen Kopf strich und sie zu beruhigen begann.
»Nu, sei man still, Jagusch, weine nicht ... nein ... sonst kriegst du rote Augen, wie ein Karnickel, und wie sollst du denn so auf den Borynahof gehen?«
»Ist es denn schon Zeit?« fragte sie nach einer Weile, schon etwas beruhigt.
»Natürlich, daß es Zeit ist, und mach' dich recht fein, viele Leute werden da sein und auch Boryna selbst gibt acht ...«
Jagusch erhob sich gleich und fing an, sich anzuziehen.
»Soll ich dir nicht Milch kochen?«
»Nein, ich hab' gar keinen Hunger, Mutter.«
»Schymek, du mißratene Kreatur, wärmst dich hier, und da nagen die Kühe an den Krippen,« schrie sie mit dem Rest ihrer Wut, und Schymek rannte davon, um nicht etwas abzukriegen.
»Es scheint sich mir,« sprach sie stiller, indem sie Jagna beim Ankleiden behilflich war, »daß der Schmied mit Boryna in gutem Einvernehmen ist. Ich bin ihm begegnet, wie er vom Alten ein feines Bullenkalb wegholte ... Schade ... gut seine fünfzehn Papierer war es wert ... vielleicht ist es aber doch gut, daß sie miteinander in Frieden sind, weil der Schmied ein großes Maul hat und sich aufs Recht auskennt ...« Sie trat ein paar Schritte zurück und sah ihre Tochter mit Wohlgefallen an. »Aber diesen Dieb, den Kosiol, haben sie, scheint mir, schon wieder freigelassen, man wird wieder alles zuschließen müssen und Obacht geben ...«
»Ich geh' schon!«
»Ja, geh' du nur und scharmezier' mit den Burschen bis über Mitternacht 'rum,« platzte sie noch einmal mit dem Rest des Ärgers los.
Jagna ging hinaus, aber noch vom Weg her hörte sie die Alte, wie sie auf Jendschych einschimpfte, daß die Schweine nicht eingetrieben wären und die Hühner auf den Bäumen nächtigten.
Bei Boryna waren schon viele Leute.
Ein Feuer flammte auf dem Herd und erleuchtete die große Stube, daß die Scheiben der Bilder gleißten und die Weltkugeln Weltkugeln: Aus den geweihten, buntfarbenen Weihnachtsoblaten, die der Organist von Haus zu Haus herumschickt und die man am Weihnachtsabend vor der Mahlzeit unter gegenseitigen Glückwünschen teilweise verzehrt, werden von Dorfmädchen Kugeln geklebt, die man an bunten Fäden an die Deckenbalken hängt. Diese Kugeln, die aus vier verschiedenfarbenen Teilen bestehen, nennt man Welten, Weltkugeln. Welten werden auch besonders kunstvoll aus Strohhalmen angefertigt. aus farbigen Oblaten, die an Fäden von den schwarzen, rußigen Deckenbalken herabhingen, hin und her schaukelten; inmitten der Stube lag ein Haufen Rotkohl und drum herum in einem weitgezogenen Halbkreis mit den Gesichtern nach dem Feuer hingewandt, saßen Mädchen und ein paar ältere Frauen beisammen/sie schälten den Kohl und warfen die Köpfe auf ein am Fenster ausgebreitetes Leinwandtuch.
Jagusch wärmte sich die Hände am Herd, stellte ihre Holzpantinen unters Fenster und setzte sich gleich am Rand neben die alte Gusche zum Arbeiten nieder.
Das Stimmengewirr stieg immer mehr, denn es kamen noch immerfort Frauen hinzu und auch etliche Burschen, die mit Jakob zusammen Kohl aus der Scheune trugen, mehr aber noch Zigaretten rauchten, den Mädchen lachend die Zähne zeigten und sich untereinander neckten.
Fine, die doch eigentlich noch der reine Kiekindiewelt war, war überall die erste an der Arbeit und beim Amüsieren, denn der Alte war nicht zugegen, und Anna kroch wie gewöhnlich herum, als ob sie eine Nachteule oder ein Brummkater wäre.
»Das ist hier rot in der Stube, wie von Mohnblumen,« rief Antek, der die Fässer auf den Flur gerollt hatte und jetzt etwas abseits vom Herd die Krauthobel aufstellte.
»Huch! Die haben sich geputzt wie für eine Hochzeit!« ließ sich eine der älteren Frauen vernehmen.
»Und Jagusch hat sich wohl in Milch gewaschen,« fing Gusche an zu sticheln.
»Laßt das,« murmelte sie errötend.
»Freut euch, Mädel, Mathias ist schon hergewandert aus der Welt, gleich fangen hier wieder die Musiken und Tänze und das Herumstehen in den Obstgärten an ...,« redete sie weiter.
»Den ganzen Sommer über war er nicht da.«
»Versteht sich, hat doch das Herrenhaus in Wola gebaut.«
»So 'n Luder, versteht alles, läßt selbst Seifenblasen aus der Nase fliegen,« sagte einer der Burschen.
»Und auf die Mädchen versteht er sich, daß man nicht einmal drei Quartal zu warten braucht ...«
»Von der Gusche kriegt keiner 'n gutes Wort ab,« fing eines der Mädchen an.
»Paß auf, daß ich über dich nicht was zu sagen wüßte ...«
»Wißt ihr schon, man sagt, der alte Wanderer ist angekommen?«
»Er kommt zu uns heute,« rief Fine.
»Ganze drei Jahre war er in der Welt.«
»In der Welt? ... Am heiligen Grab war er doch!«
»Hale! Hat ihn da einer gesehen? Lügen tut das Biest und die Dummen werden nicht alle; ebenso erzählt ja auch der Schmied von überseeischen Ländern, alles was er sich in den Zeitungen zusammenliest ...«
»Sagt das nicht, Gusche, denn selbst Hochwürden hat es der Mutter zugesichert.«
»Das ist ja wahr, daß die Dominikbäuerin so gut wie ihr zweites Haus auf dem Pastorat hat und immer weiß, wann der Pastor Leibschmerzen hat, sie ist doch 'ne Heilkundige ...«
Jagna verstummte, aber sie hatte große Lust, sie mal mit dem Kohlmesser zu stechen, denn die ganze Stube brach in schallendes Gelächter aus; nur dem Gregor seine Ulischja neigte sich zur Klembbäuerin hin und fragte:
»Woher ist er denn?«
»Woher? Von weit her, wer kann das wissen!« sie beugte sich etwas vor, legte einen Kohlkopf auf ihre Handfläche, säuberte ihn von den Blättern und sprach rasch und immer lauter, damit es auch die anderen hörten: »Jeden dritten Winter kommt er nach Lipce und nimmt bei Boryna Quartier./ Rochus ließ er sich nennen, obgleich gewißlich sein Name nicht Rochus ist ... Ein Bettler ist er und auch kein Bettler, wer kann das wissen ... aber ein frommer Mensch ist er und ein guter ... es fehlt ihm nur der goldene Reif um den Kopf, dann wäre er richtig, wie die Heiligen auf den Bildern. Rosenkränze hat er um den Hals hängen, damit hat er übers heilige Grab gestrichen ... Heiligenbilder schenkt er den Kindern, und manchen auch solche mit Königen, die früher aus unserem Volke kamen ... und fromme Bücher hat er, auch solche, in denen alles steht und auch verschiedene Geschichten über die Welt ... meinem Walek hat er sie doch vorgelesen, da haben wir, ich und der Meine, mit zugehört, nur daß ich es wieder vergessen habe, weil's auch schwer herauszubringen ist ... Und so fromm wie der ist, einen halben Tag kniet er oft durch, manchesmal unterm Kreuz am Wege oder auch irgendwo im Feld; und in die Kirche, da geht et immer nur zur Messe. Hochwürden hat ihn schon zu sich auf die Propstei eingeladen, da hat er ihm gesagt:
Beim Volk ist es mir zu bleiben, nicht in den feinen Zimmern ist mein Platz.
Alle tun auch 'rausfinden, daß er wohl nicht vom Bauernstand ist, obgleich er auch spricht, wie alle, und gelehrt ist er; das ist er auch, mit dem Juden hat er deutsch geredet und auf dem Herrenhof in Tschasgowa/hat er mit dem Fräulein, das für die Gesundheit in warmen Ländern war, auch auf ausländ'sch sich besprochen ... und von keinem nimmt er was an, nur vielleicht den kleinen Tropfen Milch und einen Brotknust, und dafür lernt er noch den Kindern was ... man sagt ...«/die Klembbäuerin unterbrach sich plötzlich, denn die Mädchen brachen in ein solches Gelächter aus, daß sie fast auf den Rücken fielen.
Sie lachten über Jakob, der in einem Leinwandtuch Kohl hereintrug und, durch irgendwen angestoßen, mitten in der Stube so lang er war hinpurzelte, so daß der Kohl nach allen Ecken auseinanderrollte, er versuchte sich mühevoll auszurichten; doch jedesmal, wenn er auf allen Vieren hochkrabbeln wollte, wurde er von neuem angestoßen und fiel wieder um.
Fine kam ihm zur Hilfe und stand ihm bei, wieder hochzukommen, was er da aber geflucht und geflucht hat ...
Und langsam ging das Gespräch auf etwas anderes über.
Alle sprachen halblaut durcheinander, und ein Gesumm von Stimmen entstand darob, wie in einem Bienenstock vor dem Ausschwärmen, und ein Gekicher, ein Geneck und ein Spaß war in der Runde, daß die Augen nur so funkelten und die Münder lachten. Die Arbeit ging dabei blitzgeschwind vorwärts, nur die Messer knirschten gegen die Strünke und die Kohlköpfe flogen wie Kugeln in dichten Abständen hintereinander auf das Leinwandtuch und häuften sich zu einem immer größeren Berg. Antek aber schnitt den Kohl klein über einem großen Zuber am Herd; er hatte seine Oberkleidung abgelegt und stand nur noch im Hemd und in den gestreiften Beiderwandhosen da, er war ganz rot geworden, und über der Stirn unter dem zerzausten Haar perlten die Schweißtropfen; er schaffte mächtig, lachte in einem fort, neckte sich weidlich herum und sah so wohlgestaltet aus, daß Jagna auf ihn, wie auf ein Bild schaute und nicht nur Jagna allein ...; er aber hielt hin und wieder an, um Atem zu schöpfen und sah sie mit seinen frohen Blicken so an, daß sie die Augen senkte und errötete. Doch niemand sah es, außer Gusche, die tat, als ob sie nichts merke und legte es sich im Kopf zurecht, wie sie das im Dorf erzählen würde.
»Marzicha ist, sagt man, niedergekommen, wißt ihr das?« fing die Klembbäuerin an.
»Das ist nichts Neues bei ihr, jedes Jahr macht sie sich das.«
»Ein Frauenzimmer wie 'n Stier, das Kind zieht ihr nur das Blut vom Kopf ab,« brummte Gusche und wollte sich darüber noch besser ausbreiten, aber die anderen Frauen wiesen sie zurecht, daß sie über solche Sachen rede bei den Mädchen.
»Die wissen auch über bessere Bescheid, braucht euch nicht zu sorgen. Heut sind schon solche Zeiten da, daß, wenn man selbst einem Gänsemädchen vom Storch redet, dann lacht sie dir ins Gesicht ... das war so früher nicht, nein, nein ...«
»Na, ihr habt schon alles gewußt, wie ihr noch hinterm Vieh war't ...,« sagte die alte Wawschjonbäuerin ernst, »ich weiß schon noch, was ihr da auf den Weidenplätzen getrieben habt.«
»Wenn ihr es wißt, könnt ihr es behalten,« krächzte Gusche schrill.
»Damals war ich schon verheiratet ... mit Mathias scheint mir ... nein, mit Michael, ja, stimmt, denn Wawschjon war doch der dritte ...;« murmelte sie, ohne recht zu treffen.
»Heda, ihr sitzt hier so und wißt nicht mal, was passiert ist!« schrie Nastuscha Täubich, Mathias seine Schwester, atemlos hereinstürzend.
Von allen Seiten wurden neugierige Fragen laut, und aller Augen hafteten an ihr.
»Dem Müller seine Pferde sind gestohlen!«
»Kaum drei Paternoster her. Soeben hat es Jankel dem Mathias erzählt.«
»Der Jankel, der weiß immer alles gleich und manchmal selbst ein bißchen früher...«
»Solche Pferde, die reinen Riesen!«
»Aus dem Stall haben sie sie hinausgeführt. Der Knecht war in der Mühle um Hafer zu holen, kommt zurück, und, hast du nicht gesehen, weder Pferde noch Geschirr, und der Hofhund vergiftet, denkt nur!«
»Zum Winter geht es, da fängt manch Verschiedenes an.«
»Das kommt davon, weil keine Strafe für die Diebe da ist. Hale, viel werden sie ihm machen, stecken ihn ins Kriminal, geben ihm zu essen, in der Wärme wird er sitzen, lernt verschiedene Praktiken mit den Kollegen, und wenn sie ihn rauslassen, dann gibt's noch einen besseren Dieb, einen studierten.«
»Wenn man mir so mein Pferd herausholen würde und ich würde einen solchen zu fassen kriegen, dann würd' ich ihn auf dem Fleck umbringen, wie einen tollen Hund,« rief einer der Burschen.
»Nur das hätte so einer verdient, die Dummen warten nur auf Gerechtigkeit. Jeder hat das Recht, wenn ihm Unrecht geschieht, sich Recht zu verschaffen.«
»So einen müßte man einfangen und dann gemeinsam umbringen, dann gibt's auch keine Strafe, denn alle können sie doch nicht bestrafen?«
»Ich weiß schon... das haben sie bei uns so gemacht... gleich, da war ich schon mit dem zweiten verheiratet... nein, ich glaube, Mathias war es noch...«
Aber diese Ausführungen unterbrach Boryna, der gerade in die Stube trat.
»Ihr flüstert hier so schön miteinander, daß man es von der anderen Seite des Weihers hört!« rief er lustig, nahm die Mütze ab und begrüßte alle der Reihe nach. Er mußte schon einen sitzen haben, denn er war rot wie ein Spitzhahn, den Knierock hatte er aufgelassen und sprach laut und viel, was sonst nicht seine Gewohnheit war. Er hatte Lust, sich neben Jagna zu setzen, aber er wägte ab, daß es wohl nicht gut anginge so vor den Augen der ganzen Versammlung, solange sie nicht mit ihm versprochen war; so redete er denn lustig darauf los und besah sie sich mit Wohlgefallen, wie schön sie heute war und wie fein sie sich mit dem von ihm geschenkten Kopftuch aufgeputzt hatte.
Gleich darauf trugen Witek und Jakob eine lange Bank an den Herd heran, Fine wischte sie mit einem reinen Linnen ab und fing an, die Schüsseln und Löffel für das Essen aufzusetzen.
Und Boryna brachte aus der Kammer eine dickbäuchige, zwei Quart große Buttel Aquavit und begann damit, alle der Reihe nach abzugehen und jedem zuzutrinken.
Die Mädchen zierten sich etwas, bis schließlich einer der Burschen sagte:
»Die sind auf Schnaps lecker, wie die Katz' auf die Milch, nur wollen sie sich erst bitten lassen.«
»Selbst der richtige Säufer, sitzt immerzu bei Jankel, da denkt er, daß alle dasselbe!«...
Und sie tranken, drehten sich weg, versteckten ihre Gesichter hinter der Hand, gossen den Rest auf den Boden aus, zogen eine Fratze, sagten: »Stark is er« und gaben Boryna das Glas zurück.
Nur Jagna versteifte sich und trank nicht, trotz der Bitten und Überredungen.
»Selbst den Geschmack von Branntwein kenn' ich nicht, und bin nicht neugierig darauf,« sagte sie.
»Na, setzt euch nur hin, liebe Leute, was da ist, wollen wir essen,« lud der Alte ein.
Sie setzten sich nach vielen Umständen, wie das die gute Sitte wollte und aßen gemächlich, zwischendurch miteinander redend.
Aus den Schüsseln stieg der Dampf und hüllte alle in eine Dunstwolke ein ... aus der nur das Schaben der Löffel, Schmatzen und gelegentlich ein Wort zu hören war.
Sie hatten ein leckeres Essen gekocht, manch einer wunderte sich selbst darob. Es gab Fleischbrühe mit Kartoffeln, gekochtes Fleisch mit gerösteter Gerstengrütze und Kohl mit Erbsen – es war eine ehrliche Bewirtung, wie es ein Hofbauer zu spendieren hat, und außerdem tat Boryna immerzu auffordern und mehrmals nötigen, und Fine ihrerseits sowohl wie Anna paßten auf, um zuzulegen und zuzugießen ...
Witek warf trockene Klötze aufs Feuer, das lustig knatterte, und Jakob trug in der Zeit, da gegessen wurde, Kohl in die Stube und schüttete ihn aus einen Haufen, zog begierig die Düfte ein, leckte sich den Bart und seufzte vor sich hin.
»Einen halben Ochsen würd' ich runterschlucken, mit einem oder zwei Schüsselchen Grütze ... und die Biester fressen so wie die ausgehungerten Pferde, bringen's noch fertig, einem nicht mal einen Knochen übrigzulassen,« dachte er mit Unbehagen und schnallte den Gurt fester, denn es knurrte ihm nur so vor Hunger in den Eingeweiden.
Sie waren bald zu Ende und erhoben sich mit einem »Gott bezahl's!« für die Wirte.
»Laßt es euch wohl bekommen!«
Ein Lärmen entstand; der ging hinaus, um sich durchzulüften und die Knochen zu recken, der war begierig nach dem Wetter zu sehen, ob es sich nicht aufhellte, und die Burschen, die machten, daß sie zu den Mädchen auf die Galerie kamen, um mit ihnen herumzutollen.
Jakob aber saß auf der Schwelle mit einer Schüssel zwischen den Knien und aß, daß ihm die Ohren bebten, ohne auf Waupa zu achten, der sich verschiedenartig in Erinnerung brachte, und als er sah, daß nichts zu holen war, auf die Galerie zu den Hunden hinausschob, die den Menschen nachgefolgt waren und sich um die Knochen balgten, die Fine ihnen hingeworfen hatte.
Sie machten sich gerade abermals an die Arbeit, als Rochus unter die Tür trat mit einem: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»In Ewigkeit, Amen!« antworteten sie im Chor.
»Beeilt euch, Wanderer, setzt euch her/solang noch nicht die Schüssel leer ... Verspätet habt ihr euch, aber es wird noch für euch reichen ...,« rief Boryna und schob ihm einen Stuhl an den Herd heran.
»Gib mir Milch und Brot, Fine, das wird schon reichen.«
»Es ist auch noch ein bißchen Fleisch,« ließ sich Anna schüchtern vernehmen.
»Nein, Gott bezahl's, aber Fleisch esse ich nicht.«
Sie schwiegen erst und betrachteten ihn mit einer freundlichen Neugierde; als er sich aber ans Essen setzte, erhoben sich Gespräche und Gelächter aufs neue.
Nur Jagna sah oft mit Staunen auf den Wandersmann, daß ein solcher Mensch, ganz wie alle anderen, doch am heiligen Grabe gewesen war, die halbe Welt gesehen hatte und so viele Wunder ... »Wie mag es denn da in dieser Welt sein? Wohin muß man gehen, um da hinzukommen? ... Ringsherum sind doch nur Dörfer, Felder und Wälder, und hinter ihnen wieder Dörfer, Felder und Wälder ... An die hundert Meilen muß einer wohl gehen, oder vielleicht auch an die tausend,« dachte sie und hatte eine seltsame Lust, zu fragen, aber wie hätte sie das wagen können, er hätte sie gewiß noch ausgelacht ...
Rafus sein Sohn, dieser, der vom Militär zurück war, hatte eine Geige gebracht, sie gestimmt, und fing an, verschiedene Lieder aufzuspielen.
Eine Stille entstand, nur der Regen peitschte gegen die Scheiben und die Hunde geiferten vor dem Haus. Und er spielte immerzu und immer wieder etwas Neues, mit den Händen fingerte er und strich so mit dem Bogen über die Saiten, daß die Melodie wie von selbst herauskam ... Er spielte fromme Lieder, als ob sie für jenen Wandersmann bestimmt wären, der das Auge nicht von ihm wandte; und darauf wiederum spielte er andere, ganz weltliche, vom Hans, der in den Krieg gemußt/jenes Lied, das die Mädchen so oft auf dem Feld anstimmten ... und so klagend stieg es aus jenen Hölzern, daß ein Frösteln durch alle Knochen ging, und Jagusch, die auf Musik empfindlich war, wie selten eine, fühlte, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Hör' doch auf, denn Jagusch weint ...,« rief Nastuscha hinüber.
»Nein ... das ist nur so ... es nimmt mich immer mit ... das Spiele n... nein ...,« flüsterte sie beschämt und verbarg das Gesicht hinter der Schürze.
Es half aber nichts, denn obgleich sie nicht wollte, tropften ihr die Tränen von selbst aus jener seltsamen Sehnsüchtigkeit, die ihr im Herzen geblieben war, Gott weiß wonach ...
Doch der Bursche hörte nicht auf zu spielen, nur daß er jetzt feurige Mazurken und solche Obereks vom Ohr ausholend über die Fiedel schnitt und geigte, daß die Mädchen sich nicht mehr zu helfen wußten und vor lauter Lust die bebenden Knie aneinanderpreßten, dabei mit den Armen schwingend, und die Burschen hell aufjuchzten und hin und wieder im Takte trampelten ... Die Stube füllte sich mit solchem Lärm, Getrampel und Gelächter, daß die Scheiben klirrten.
Plötzlich fing aus dem Flur ein Hund an, zu winseln, und heulte so furchtbar auf, daß alle verstummten.
»Was ist geschehen?«
Rochus stürzte so schnell nach dem Flur hin, daß er fast über die Krauthobel zu Fall gekommen wäre.
»Ist nichts ... irgendein Junge hat dem Hund den Schwanz zwischen die Tür geklemmt, darum schrie er,« rief Antek, nachdem er auf den Flur geguckt hatte.
»Das ist gewiß Witek seine Arbeit,« bemerkte Boryna.
»I, wie denn, Witek würde einem Hund was zuleide tun, er, der das ganze krüpplige Tierzeug vom Dorf zusammentreibt und auskuriert ...,« verteidigte Fine empört.
Rochus kehrte stark aufgebracht zurück, er mußte wohl den Hund befreit haben, denn man hörte das Winseln nur noch irgendwo fern zwischen den Hecken.
»Auch der Hund ist Gottes Kreatur und fühlt, wenn man ihm Unrecht zufügt, ganz wie ein Mensch ... Herr Jesus hatte auch seinen Hund und ließ ihm von niemand was antun ...,« sagte er leidenschaftlich.
»Herr Jesus sollte da einen Hund gehabt haben, wie alle Menschen?« zweifelte Gusche.
»Daß ihr es wißt, daß er einen hatte, und Burek hat er ihn genannt ...«
»Hale ... Na! Sieh mal an ...!« ließen sich neugierige Stimmen vernehmen.
Rochus schwieg eine Weile, dann aber hob er seinen weißen Kopf, der mit langen, über der Stirn gerade geschnittenen Haaren gekrönt war, heftete seine hellen, wie blaßgeweinten Augen auf die Feuersglut und ließ sich leise vernehmen, indem er mit den Fingern die Perlen des Rosenkranzes abtastete.
»... In jener fernen Zeit ...
Als der Herr Jesus noch auf Erden wandelte und das Volk selber regierte, ist also geschehen, was ich hier sagen werde ...
Es ging sich der Herr Jesus zur Kirchweih nach Mstow, und kein Weg war nirgends da, nur böse glühende Sande überall, denn die Sonne brannte und es war eine solche Hitze, als wie wenn Gewitter kommt ...
Und kein Schatten und kein Schutz.
Herr Jesus ging mit vieler Geduld, denn zum Wald war noch ein gutes Stück Wegs, und da er seine lieben heiligen Füße schon nicht mehr fühlte vor Müdigkeit und arg zu leiden hatte wegen dem Durst/so setzte er sich eins ums andere Mal, wenn es da auch noch so mächtig brannte, auf einen der Flugsandhaufen, wo nur lauter Ziegenbart wuchs. Schatten war da nur so viel, was die verdorrten Stauden der Königskerzen hergaben, so daß selbst ein Vöglein dort keinen Unterschlupf gefunden hätte ...
Und kaum hatte er sich zum Sitzen niedergelassen und hatte nicht einmal redlich aufgejapst, als auch gleich der Böse, wie dieser häßliche Habicht, der von oben herab auf ein müdes Vöglein stößt, dahergefahren kam, und so hatte der Verpestete mit seinen Hufen den Sand aufgeschlagen und hat sich so wie 'n Vieh herumgewälzt, daß eine solche Staubwolke aufkam und eine solche Finsternis entstand, daß die Welt nicht mehr zu sehen war.
Herr Jesus, obschon es ihm den Atem in der Brust einklemmte und ihm die Glieder matt wurden, stand allemal auf und ging seiner Wege weiter, und lachte sich nur über den Dummen, denn er wußte ja, daß der Böse ihm den Weg verwirren wollte, damit er nicht zur Kirchweih ankäme, dem sündigen Volk Vergebung zu bringen ...
Und so wanderte der Herr Jesus ... und wanderte ... bis er denn zum Wald hinkam ...
Er ruhte sich nicht schlecht in diesem Schatten aus, labte sich an dem Wasser und langte sich einen Bissen aus dem Bettelsack, danach brach er sich einen tüchtigen Stecken aus dem Buschwerk 'raus, bekreuzigte sich und stapfte in den Wald hinein.
Und der Forst war alt und dicht, und die Sümpfe ungangbar, und die Moräste und Moorwasser so fürchterlich, daß der Böse wohl dort hausen mußte, und das Dickicht so groß, daß selbst manchem Vogel nicht leicht war, da durchzudringen. Kaum ist da der Herr Jesus drin, da fängt auch schon der Böse an, den Forst zu schütteln, zu heulen, und die Tannen wegzubrechen./Und der Wind, da er doch ein Höllenknecht ist, half ihm so schnell er konnte, riß das Dürrholz ab, riß die Äste zu Boden, riß die ganzen Eichen um, dröhnte und knatterte im Forst herum, wie nur 'n Dummer kann.
Eine solche Dunkelheit kam über den Wald, daß man sich ruhig hatte das Auge ausstechen lassen können und hätte grad soviel gesehen/und dazu ein Rauschen und ein Knacken ... und dazu ein Wirbelwind ... und plötzlich springt ein solches Tiergezeug hervor, bleckt die Zähne... und knurrt ... und schreckt... und leuchtet mit den Glotzen und langt schon fast ... fast mit den Krallen zu ... aber natürlich, daß sie sich nicht trauten, denn wieso denn sollten sie ... es war doch Herr Jesus in der eigenen heiligen Person ...
Doch auch der Herr Jesus hatte es satt, dieses dumme Scheuchen, und da er es eilig zur Kirchweih hatte, so machte er das Zeichen des heiligen Kreuzes über dem Forst, und gleich versank der Böse mit seiner ganzen Anverwandtschaft in den Moorwassern.
Es blieb nur so ein wilder Hund nach, denn zu jener Zeit waren die Hunde noch nicht mit den Menschen verbrüdert.
Dieser Hund da war zurückgeblieben, kam hinter Herrn Jesus hergestürzt, bellte, und machte sich an seine lieben heiligen Füße heran, das eine Mal schnappte er mit den Hauern nach den Hosen, das andere Mal riß er ihm den Kapottrock entzwei, griff nach den Bettelsacken und versuchte mit Gewalt an das lebendige Fleisch heranzukommen ... Herr Jesus aber, da er barmherzig war und keiner Kreatur etwas zuleide getan hätte/und er hätte ihn doch mit dem Stecken leicht zuschanden machen können oder selbst mit einem einzigen Gedanken vernichten/sagte nur:
›Da hast du ein Brötlein, Dummer, wenn du hungrig bist,‹ und er warf ihm etwas aus dem Sack zu.
Der Hund aber war so böse und verstockt, daß er gar nichts danach fragte, seine Hauer bleckte, knurrte, geiferte, immer dichter herandrängte und schon ganz dem Herrn Jesus seine Hosen verdorben hatte.
›Brot hab' ich dir gegeben, dir kein Unrecht getan und du reißt mir hier die Kleider vom Leib und bellst drauflos. Dumm bist du, mein Hündchen, weil du deinen Herrn nicht erkannt hast. Das wirst du noch beim Menschen abdienen müssen und wirst ohne ihn nicht auskommen können ...« Herr Jesus sagte das so stark, daß der Hund sich mit eins auf den Hintern setzte; er drehte um, tat seinen Schwanz einklemmen, heulte auf und rannte wie besessen in die Welt hinein.
Und Herr Jesus kam zur Kirchweih.
Auf der Kirchweih war so viel Volk wie Bäume im Wald oder Gras auf den Wiesen/ganz dicht.
In der Kirche war aber es leer/denn in der Schenke wurde gespielt, und gleich an der Kirchentür wurde Markt abgehalten, getrunken und Lotterei getrieben, Gott zum Verdruß, wie das um solche Zeit sich trifft.
Es tritt Herr Jesus nach dem Hochamt heraus und schaut, er sieht das Volk wogen wie das Korn unterm Wind, einmal nach dieser Seite, einmal nach der andern, und rennen; einer rennt mit einer Peitsche, ein anderer reißt eine Latte vom Zaun, ein dritter langt sich eine Runge, und noch einer sucht sich einen Stein, die Weiber kreischen und klettern auf die Zäune und auf die Wagen, die Kinder heulen los und alles schreit:
›Toller Hund, toller Hund!‹
Und der Hund mitten durch das Volk, wie durch eine plötzlich aufgerissene Gasse mit heraushängender Zunge schnurstracks auf Herrn Jesus zu.
Es erschrak nicht unser Herr, nein ... er erkannte, daß es derselbe Hund aus dem Wald war, so breitete er denn seinen heiligen Kapottrock aus und spricht zum Tier, das plötzlich stehengeblieben war:
›Komm her, Burek, bei mir bist du noch sicherer geborgen, wie selbst im Wald.‹
Er deckte ihn mit dem Kapottrock zu, legte die Hände über ihn und sprach:
›Tötet ihn nicht, Leute, das ist auch Gottes Geschöpf, und es ist arm, hungrig, gehetzt und herrenlos.‹
Aber die Bauern fingen an zu schreien und zu schimpfen, zu brummen und mit den Rungen auf den Boden zu schlagen: ›Das wäre ein wildes und tolles Tier, und hätte ihnen schon so viel Gänslein und Lämmlein gestohlen, und Schaden machte es immerzu und kein Respekt habe es vor den Menschen, und wäre gleich mit den Zähnen bereit ... so daß niemand ins Feld ohne Stock gehen kann, denn es gäbe keine Sicherheit vor dieser Teufelsbrut ... und man müßte ihn durchaus erschlagen.‹
Und sie wollten den Hund mit Gewalt unter dem Herrn Jesus seinen Kapottrock hervorholen und umbringen.
Bis Herrn Jesus der Zorn ankam und er sie anfuhr:
›Rührt nicht an, alle miteinander! Den Hund, den tut ihr fürchten, ihr Liederjahne und Säufer, aber den Herrgott, den fürchtet ihr nicht, was? ...‹
Sie wichen zurück, denn er hatte mit Macht gesprochen, und weiter sagte ihnen Herr Jesus, daß sie Liederjane wären ... zur Kirchweih wären sie gekommen und täten hier nur in den Schenken herumsitzen, und Gott zum Zorn sein, und keine Buße täten sie, und wären Schandmäuler und Schinder füreinander und Diebe und gottloses Pack, und Gottes Strafe würde sie schon erreichen.
So schloß Herr Jesus, erhob seinen Stecken und wollte fortgehen ...
Aber das Volk hatte ihn schon erkannt und nu hin, da, auf die Knie, und nur so losgeheult und geweint und gewimmert ...
›Herr, bleibe mit uns! Bleibe, oh Herr Jesu Christ! Bleibe! Treu wollen wir zu dir halten, wie 'n Hund ... wir Säufer, wir Gottvergessenen, wir schlechten Menschen, oh bleibe, bestrafe, schlage, aber bleibe ..., wir verlassenen Waisen, wir herrenlosen Menschen ...‹ Und sie weinten so und bettelten so und küßten seine Hände und seine heiligen Füße, daß das Herz des Herrn weich wurde; ein paar Paternoster lang blieb er mit ihnen, belehrte sie, sprach sie der Sünden ledig und segnete alles.
Und dann, als er schon im Weggehen war, sprach er:
Hat euch der Hund unrecht getan, so soll er von nun an euch dienen. Die Gänslein wird er hüten, die Lämmlein beschützen, und so du der eine oder der andere dich besäufst/ wird er dein Hab und Gut bewachen und wird euch von nun an Freund sein.
›Aber ehren sollt ihr ihn und kein Unrecht tun.‹
Und unser Herr Jesus ging fort in die weite Welt.
Und als er sich umsieht/sitzt Burek auf demselben Platz.
›Burek, was kommst du nicht, willst du Dummer denn allein dableiben? ...‹
Und der Hund ging mit und folgte jetzunder dem Herrn auf Weg und Steg so sacht und bedachtsam und so treu, wie der beste Knecht.
Und sie gingen fortan miteinander.
Durch die Wälder, über die Wasser/und durch die ganze Welt.
Und wenn sie manchmal Hunger zu leiden hatten, dann spürte der Hund wohl ein Vögelein oder ein Gänslein auf oder brachte ein Schaf, und so lebten sie gemeinsam.
Und manches gute Mal, wenn der liebe Herr ermüdet ruhte, jagte Burek die bösen Menschen fort oder vertrieb ein wildes Tier und gab unsern Herrn Jesus nicht heraus, mitnichten ...
Als die Zeit kam, daß die häßlichen Juden und die bösen Pharisäer den Herrn zur Richtstätte brachten/warf sich Burek auf alle und biß um sich und verteidigte so gut er konnte, seinen Herrn, das arme, liebe Tier:
Und Herr Jesus sprach zu ihm unter der Last des Kreuzes, das er für seine heilige Marter schleppen mußte.
›Das Gewissen wird sie stärker beißen ... Du kommst da nicht gegenan ...‹
Und als sie den Gemarterten ans Kreuz geschlagen hatten, setzte sich Burek hin und heulte ...
... Am zweiten Tag, als alle fortgegangen waren und weder die allerheiligste liebe Jungfrau noch die heiligen Apostel da waren ... blieb nur noch Burek allein ...
... Er leckte immerzu die heiligen, mit Nageln durchbohrten, absterbenden lieben Füße des Herrn Jesus und heulte ... und heulte ... und heulte ...
... Und als schon der dritte Tag gekommen war ... erwachte Herr Jesus und sieht, daß niemand mehr am Kreuze geblieben ist, nur einzig der Burek winselt kläglich und drückt sich dicht an seine Füße ...
... Da sah unser allerheiligster Herr Jesus Christus mitleidig aus ihn herab in jener Stunde und sagte mit dem letzten Hauch:
›Komm mit mir, Burek!‹
— — — — —
Und in diesem Augenblick ließ das Hündlein seinen letzten Atem und folgte dem Herrn.
Amen.«
»So war es, wie ich sagte, liebe Leute!« sprach er sanft, als er beendigt hatte, bekreuzigte sich und ging auf die andere Seite, wo ihm schon Anna seine Schlafstätte bereitet hatte, denn er war sehr ermüdet.
Tiefes Schweigen lag über die Stube gebreitet, alle ließen sich die seltsame Geschichte durch den Kopf gehen, und einige Madchen, wie Jagna, Fine und Nastuscha wischten sich ein paar heimliche Tränen ab, so hatte sie das Los des Herrn und Bureks Abenteuer mit Rührung erfüllt; und das schon allein, daß sich ein solcher Hund in der Welt fand, der besser und treuer unserm Herrn diente, als die Menschen, gab allen nicht wenig zu denken ... und sie fingen allmählich an, langsam verschiedene leise Bemerkungen zu machen und sich über diese Bestimmung Gottes zu wundern, bis Gusche, die aufmerksam zugehört hatte, den Kopf erhob, höhnisch auflachte und sprach:
»Eia popei, der Bauer pflückt Pflaumen und es sind ihrer zwei! Ich werd' euch was Besseres sagen, wie der Mensch zum Ochsen gekommen ist:
Es schuf Gott einen Stier,
Und der Stier war allhier,
Und der Bauer nahm ein Messer
Und machte es besser.
Hat ihm von unten abgeschnitten.
Ein Ochse kam sich angeschritten ...
... Und der Ochs ist da,
Ju-hi-vallera.
Meine Wahrheit ist grad so gut, wie dem Rochus seine.« Sie fing an zu lachen.
Auch alle in der Stube brachen in ein Gelächter aus und bald schwirrten Scherze, lustige Reden und verschiedene Erzählungen durch den Raum.
»Gusche, die weiß alles ...«
»Warum denn auch nicht, Witwe von drei Männern, da lernt man schon was.«
»Natürlich, der eine lehrte ihr was des Morgens mit dem Peitschenstiel ... der zweite mittags mit dem Riemen, und der dritte trieb's ihr oft abends mit der Runge ein ...,« schrie Raphus.
»Einen vierten würd' ich auch noch heiraten, aber nicht dich, denn du bist mir zu dumm und läufst mit einer Rotznase herum, wie 'n Judenjunge.«
»Wie es dem Herrn Jesus seinem Hund ohne Herrn erging, geradeso kann ein Frauenzimmer nicht ohne Prügel auskommen ... Der Gusche ist dabei auch nicht gut zumut,« warf einer der Burschen ein.
»Dumm bist du ... paß du nur auf, wenn du dem Vater seine Quärtchen zu Jankel trägst, daß dich niemand sieht, und die Witwenschaft laß mal in Ruh, das ist nichts für deinen Verstand,« knurrte sie ihn scharf an, daß sie allesamt schwiegen, denn sie fürchteten, daß sie in der Wut alles laut sagen würde, was sie wußte, und sie konnte eine Menge wissen. Ein eigensinniges Weib war sie, ein unverträgliches, und hatte über alles ihr Urteil fertig, und manchmal ein solches, daß den Menschen ein Schauer über die Haut lief und die Haare sich sträubten, denn sie achtete nichts, nicht mal den Priester und die Kirche, so daß Hochwürden sie schon öfters ermahnen mußte und ihr ans Herz legen, es nicht wieder zu vergessen. Das hatte aber nicht geholfen, und sie erzählte bann noch obendrein im Dorf herum:
»Auch ohne Priester findet jeder den Weg zum lieben Gott, wenn er nur ehrlich ist; es ist besser, er paßte auf seine Wirtschafterin auf, denn sie läuft jetzt mit noch einem und wird wieder irgendwo was ablegen ...«
Das war Gusche ...
Sie wollten schon auseinandergehen, als der Schulze mit dem Schultheiß eintraten. Sie gingen gerade von Hütte zu Hütte, um zu sagen, daß man morgen, laut Verordnung, auf dem Weg hinter der Mühle zum Scharwerk zu kommen habe, denn die Regengüsse hätten die Erde unterspült ...
Kaum daß er eingetreten war, breitete der Schulze die Arme auseinander und rief:
»Die besten Mädchen hat sich das alte Biest zusammengerufen!«
Er hatte wahr gesprochen, denn es waren ja wirklich nur lauter Hofbauerntöchter, von guter Abkunft und mit einer guten Mitgift.
Denn Boryna war doch auch der erste im ganzen Dorf, sollte er sich denn da Dienstvolk und Kätnerinnen oder solche Armut, die zu zehnen an einem Kuhschwanz hängt, zusammenholen und zu sich einladen!
Der Schulze trat mit dem Alten beiseite, redete aber so leise, daß niemand etwas hören konnte, schäkerte mit den Mädchen herum und ging bald darauf, denn er hatte noch die Hälfte des Dorfes für morgen zusammenzurufen. Es dauerte auch nicht mehr lange, daß sie alle auseinander gingen, da es spät war und Kohl zum Schälen fast schon fehlte.
Boryna dankte allen und jedem einzeln, und was die älteren Frauen waren, so öffnete er ihnen die Tür und brachte sie vors Haus ...
Aber Gusche sagte noch im Weggehen ganz laut:
»Gott bezahl's für die Bewirtung, aber ganz gut war es nicht.«
»Hale! Na ...«
»Eine Wirtin fehlt euch, Matheus, und ohnedem kann keine Ordnung sein ...«
»Ih du mein, was soll man machen, was soll man machen, ist schon Gottes Fügung, daß sie gestorben ist ...«
»Gibt es denn wenig Mädchen! Jeden Donnerstag lauern sie doch im Dorf, ob nicht zu irgendeiner Brautbitter von euch gehen ...,« sprach sie listig, um ihm die Zunge zu lockern. Boryna aber, obgleich er schon die Antwort fertig hatte, kratzte sich nur über den Kopf, lächelte und suchte unwillkürlich mit den Augen nach Jagusch, die sich zum Gehen anschickte ...
Darauf hatte schon Antek gelauert, er zog sich unmerklich an und ging zuerst hinaus.
Jagusch ging allein nach Hause, denn die anderen wohnten auf der anderen Seite nach der Mühle zu.
»Jagusch!« flüsterte er, sich in der Dunkelheit hinter irgendeinem Zaun hervorschiebend.
Sie blieb stehen und erbebte, denn sie hatte seine Stimme erkannt.
»Ich werd' dich heimbringen, Jagusch!« Er sah sich um, die Nacht war dunkel und ohne Sterne; der Wind brauste in den Lüften und fuhr über die Baumkronen.
Er umfaßte sie fest, und so aneinandergeschmiegt verschwanden sie in den Dunkelheiten.