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Die Regenzeit war im vollen Gange. Schon seit dem Jahrmarktstag versank die Welt allmählich immer mehr in graue, trübe Regenglasten, so daß die Umrisse der Wälder und des Dorfes blaß geisterten, als wären sie aus durchnäßten Gespinsten gewoben
Es kamen die endlosen, kalten, durchdringenden Herbststürme.
Weiße, eisige Regenpeitschen schlugen auf den Boden ein und durchnäßten ihn bis in die Tiefen, und jeder Baum, jeder Halm bebte im grenzenlosen Schmerz.
Unter den schweren, über der Erde zusammengeballten Wolken tauchten zuweilen aus den grünlichen Regengüssen Flächen geschwärzter, durchweichter und plattgedrückter Felder auf, Rinnsale schaumigen Wassers, das in den Furchen floß, blitzten hervor, oder Bäume, die einsam auf den Feldrainen wuchsen, hoben sich dunkel ab/wie vor Feuchtigkeit niedergedrückt und aufgeschwollen schüttelten sie die letzten Fetzen der Blätter ab und rissen sich verzweifelt hin und her wie Hunde, die man an die Kette gelegt hatte.
Die vereinsamten Wege zerflossen in morastige, faulende Pfützen.
Kurze, traurige, sonnenlose Tage schleppten sich schwer dahin gleich schmalen, von Verwesung zerfressenen Lichtstreifen, und Nächte kamen, finster, dumpf und trostlos in ihrem unaufhörlichen, eintönigen Glucksen.
Eine grauenvolle Stille umklammerte die Erde.
Die Felder verstummten, die Dörfer wurden still, und taub wurden die Wälder.
Die Siedelungen nahmen eine schwärzliche Düsterkeit an und schienen sich noch dichter an die Erde und an ihre Umzäunungen zu schmiegen und tiefer in die entlaubten Gärten zu sinken, die sich leise ächzend ineinander krallten.
Die grauen Dünste der Regen verschleierten die Welt, tranken die Farben aus, verlöschten die Lichter und ertränkten die Erde in Dunkelheiten, so daß alles wie ein Traumspuk erschien, und Traurigkeit sich von den durchfaulten Feldern, erstarrten Forsten und totem Ödland erhob und in schweren Nebeln wallte; sie blieb auf den abgeschiedenen Kreuzwegen stehen unter Kreuzen, die ihre Arme verzweifelt ausbreiteten, auf leeren Landstraßen, wo nackte Bäume vor Kälte bebten und in Qual schluchzten, sah mit leeren Augen in verlassene Nester, in eingestürzte Hütten hinein, trieb sich auf den toten Friedhöfen zwischen vergessenen Grabhügeln, modrigen Kreuzen herum und floß durch die ganze Welt;/durch die nackten, beraubten, geschändeten Felder, durch die versunkenen Dörfer und blickte in die Wohnstätten, in die Stallungen und in die Gärten hinein/bis das Vieh vor Angst brüllte, die Bäume sich mit dumpfem Gestöhn duckten und die Menschen wehmütig aufseufzten in der gräßlichen Sehnsucht/in der unstillbaren Sehnsucht nach Sonne.
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Der Regen sprühte ohn' Unterlaß, als ob jemand die Welt mit seinen Glassplitterchen verhüllte, und ganz Lipce tauchte unter ins dichte Nebelmeer der bösen Regenzeit. Nur die schwarzen Dächer und dunkle, vor Nässe triefende Steinmauern, ragten hier und da hervor, und darüber wanden sich die schmutzigen Rauchsträhnen und schleppten über die Gärten dahin.
Im Dorf war es still, nur hier und da war man in den Scheunen noch beim Dreschen, aber vereinzelt nur, denn das ganze Dorf befand sich auf den Kohlfeldern.
Es war leer auf den schlammigen, aufgeweichten Wegen und leer auf den Zufahrtsstraßen und vor den Häusern, manchmal nur erschien jemand im Nebel und verlor sich gleich darauf, so daß man nur das Schlurfen der Pantinen im Schmutz hörte; oder es schleppte sich langsam ein mit Kohl vollgeladener Wagen von den Torffeldern her und trieb die Gänse auseinander, die hinter den Kohlblättern herwateten, welche von den Wagen herabgefallen waren.
Der Weiher rüttelte an seinen engen Ufern und stieg immerzu, er überschwemmte von der Borynaseite die niedriger gelegenen Teile des Weges, kam bis an die Zäune und spritzte Gischt an die Wände der Hütten.
Das ganze Dorf war mit dem Schneiden und Einfahren des Kohls beschäftigt; die ganzen Tennen, Dielen und Stuben waren voll davon, und bei manchen lagen die Haufen blauen Kohls selbst draußen unter der Dachtraufe.
Vor den Häusern rann der Regen über gewaltige Tonnen, die man in die Nässe hinausgerollt hatte.
Es herrschte große Eile überall, denn der Regen hörte fast gar nicht mehr auf, und die Wege wurden unfahrbar vor Schlick.
Auch bei der Dominikbäuerin schnitt man heute.
Schon am frühen Morgen war Jagna mit Schymek aufs Kohlfeld hinausgefahren, weil Jendschych daheim bleiben mußte, um das Dach zu flicken, sintemal es im Hause da und dort leckte.
Es ging schon gegen Abend und die Dunkelheit schien sich bei kleinem einzustellen, so daß die Alte einmal ums andere vors Haus trat und in die Nebel nach der Mühle zu spähte und hinaushorchte, ob sie nicht schon kämen? ...
Die Arbeit auf den Kohlfeldern, die tief hinter der Mühle auf dem Torfgrund lagen, war aber noch im vollen Gange.
Schwärzliche, nasse Nebel lagen auf den Wiesen, und nur da und dort blinkten breite Gräben voll silberweißen Wassers, und hoch aufgeworfene Kohlbeete waren sichtbar und schimmerten bläulich, blaßgrün, oder sahen rostig aus, wie Streifen von Eisenblech. Hier und da hoben sich aus dem Nebel die roten Frauenröcke und Haufen abgeschnittener Kohlköpfe hervor.
In der nebeldurchsetzten Ferne, am Fluß, der rauschend durch das dichte Buschwerk floß, das wie eine Wolkenwand blaute, zeichneten sich die Torfdiemen und die dastehenden Wagen ab, zu denen man den Kohl in Leinwandtüchern hinbrachte, denn infolge des durchweichten Bodens war es unmöglich, an die Kohlfelder heranzufahren.
Einzelne schnitten schon den Rest und schickten sich an, heimzugehen; die Stimmen ließen sich immer lauter aus dem Nebel vernehmen und klangen von Beet zu Beet.
Jagna war soeben mit ihrem Beet fertig, sie war furchtbar müde, hungrig und bis auf die Haut durchnäßt, denn selbst ihre Holzpantinen versanken in die rotbraune Torferde, so daß sie sie abnehmen mußte, um das Wasser herauszuschütten.
»Schymek, rühr' dich doch schneller, ich fühl' meine Klumpen schon gar nicht mehr!« rief sie kläglich, und als sie sah, daß er das große Bündel nicht aufladen konnte, riß sie es ihm ungeduldig aus den Händen, warf es sich über die Schulter und ging damit zum Wagen hin.
»Bist doch schon so 'n großer Kerl und dabei schwach im Rücken wie 'ne Frau nach dem Wochenbett,« sagte sie verächtlich, den Kohl in den mit Stroh ausgelegten Korbwagen schüttend.
Schymek brummte beschämt etwas vor sich hin, kratzte sein Zottelhaar und spannte das Pferd vor.
»Eil' dich, Schymek, die Nacht kommt!« trieb sie ihn an und trug immer wieder Kohl herbei.
Die Nacht kam auch schon heran und die Dämmerung wurde dichter und tiefer, und der Regen steigerte sich, daß er auf die durchweichte Erde und in die Gräben niedertroff, wie rieselndes Korn.
»Werdet ihr heute fertig?« rief sie zu Borynas Fine hinüber, die mit Anna und Jakob nebenan auch beim Schneiden war.
»Wir kriegen es noch! Wird auch reichlich Zeit, nach Hause zu gehen bei dem Schweinewetter, klitschnaß bin ich. Fahrt ihr denn schon ab?«
»Ja. In einem Nu is Nacht, ist ja schon so finster, daß man den Weg nicht auskennt. Morgen fährt man den Rest ein. Feinen Kohl habt ihr!« fügte sie hinzu und beugte sich zu ihnen hinüber, um auf die sich im Nebel abhebenden Kohlhaufen zu sehen.
»Eurer ist auch nicht schlecht, aber die Steckrüben habt ihr am größten ...«
»Die Setzlinge, die waren auch vom neuen Samen, den sich Hochwürden aus Warschau mitgebracht hat.«
»Jagna,« ließ sich wieder aus den Nebeln Fines Stimme vernehmen, »wißt ihr schon, daß morgen Josef sein Walek mit Schnaps nach Maruschka Potschiotek schickt ...«
»So'n Kiekindiewelt! Is die denn schon so weit! Mir deucht, daß sie noch Kühe gehütet hat im letzten Sommer! ...«
»Das Alter hat sie schon für 'n Mann, und denn noch all das Land, da haben es die Burschen hild.«
»Auch zu dir werden sie es hild haben, Fine, das werden sie ...«
»Wenn Papachen sich 'ne dritte nimmt!« schrie Gusche irgendwo von einem anderen Beet.
»Was euch ankommt, hat doch Mutter erst zum Frühjahr begraben,« warf Anna mit beängstigter Stimme dazwischen.
»Was schadet das dem Mannsvolk. Jedes Mannsbild ist wie 'n Schwein; wenn es sich noch so vollgefressen hat, steckt es doch die Schnauze in einen neuen Trog. Ho, ho, die eine ist noch nicht so weit ... nicht mal richtig kalt, und dann wird sich gleich nach einer anderen umgesehen ... ein Hundevolk ist das ... Und wie hat es der Kohlmeis gemacht? Drei Wochen nach der Beerdigung der ersten hat er die zweite geheiratet.«
»Das ist wahr, fünf kleine Kinder hat ihm aber auch die Selige nachgelassen ...«
»Ihr habt's gesagt! Aber nur 'n Dummer glaubt, daß es wegen der Kinder ist ... für sich selbst hat er die geheiratet, weil es ihm alleine zu langweilig wurde unterm Federbett!«
»Wir würden es Vater nicht erlauben, oho! ...« rief Fine energisch.
»Bist noch jung, darum bist du auch noch nicht klug ... Vaters Boden und Vaters Wille, da gibt's nichts dran zu klimpern!«
»Die Kinder haben auch was dreinzureden und ihnen steht auch 'n Recht zu,« fing Anna wieder an.
»Vom fremden Wagen heißt es heruntergehen, und wenn's auch ins Wasser hinein ist,« brummte Gusche dumpf und verstummte, denn die empörte Fine fing an, nach Witek zu rufen, der sich irgendwo am Fluß herumtrieb; Jagna aber mischte sich nicht in dieses Gespräch hinein, sie lächelte nur von Zeit zu Zeit, denn der Jahrmarkt kam ihr in Erinnerung. Sie trug den Kohl auf den Wagen, und als sie diesen gefüllt hatte, trieb Schymek an und lenkte nach der Landstraße hin.
»Bleibt mit Gott,« warf sie den Nachbarinnen zu.
»Gott auf den Weg, wir wollen auch gleich ... Jagusch, kommst du nicht zu uns, Kohl schälen, was?«
»Sag' nur, wann's nötig ist, Fine, dann komm' ich ... ich komm'! ...«
»Und Sonntags spielen die Burschen zum Tanz auf bei Klembs, wißt ihr es?«
»Ich weiß, Fine, ja, ich weiß ...«
»Wenn ihr Antek trefft, sagt ihm, daß er machen soll, wir warten auf ihn,« bat Anna.
»Gut, gut ...«
Sie fing an zu laufen, um den Wagen einzuholen, denn Schymek war schon ein Stück Wegs voraus, man hörte nur noch, wie er auf das Pferd einschimpfte; der Wagen versank und schnitt bis über die Achsen in den aufgeweichten Torfboden ein/sie mußten beide an den schlechten, tieferen Stellen dem Pferd nachhelfen, um den Wagen aus dem Morast freizubekommen.
Sie schwiegen miteinander, Schymek führte das Pferd, und achtete darauf, nicht umzukippen, denn es waren überall viele Löcher, und Jagna ging von der anderen Seite, stützte mit der Schulter den Wagen und sann nach, daß man sich zu diesem Kohlschälen bei Borynas fein machen müßte.
Die Dunkelheit senkte sich rasch; man konnte kaum noch das Pferd sehen; der Regen schien nachgelassen zu haben; es hing nur noch ein schwerer, nasser Nebel über der Erde, so daß es schwer war, zu atmen, und in den Lüften rauschte dumpf der Wind und schlug gegen die Bäume des Dammes, bei dem sie gerade anlangten.
Die Auffahrt zum Damm war schwer, wegen der Steigung und Glätte; das Pferd blieb stecken und hielt jede paar Schritte an, um auszuruhen, so daß sie kaum den Wagen halten konnten, damit er nicht ins Rollen kam.
»Man hätte nicht soviel laden sollen für ein Pferd!« ließ sich eine Stimme vom Damm herab vernehmen.
»Seid ihr das, Anton? ...«
»Ja, ich bin es.«
»Geht man schnell zu; Anna sieht schon nach euch aus ... Helft uns mal eben ...«
»Wart' 'n Augenblick, gleich komm ich 'runter und helf' nach. So 'ne Dunkelheit, man sieht keine Hand vor den Augen.«
Sie kamen gleich auf den Damm hinauf, denn er hatte so mächtig den Wagen gestützt, daß das Pferd vom Fleck weg anzog und erst oben stehenblieb.
»Gott bezahl's; aber stark seid ihr, Herr Jesus noch mal!« sie hielt ihm die Hand hin.
Sie verstummten plötzlich, der Wagen setzte sich in Bewegung und sie gingen nebeneinander, ohne recht zu wissen, was sie sagen sollten, beide seltsam verlegen.
»Wollt ihr umkehren?« flüsterte sie leise.
»Nur bis zur Mühle bring' ich dich, Jagusch, weil da ein Loch ist auf der Landstraße, das Wasser hat einen Schaden gemacht.«
»Ist das aber düster, was?« rief sie aus.
»Bist du bange, Jagusch?« flüsterte er, dichter herangehend.
»Hale, was sollt' ich da bange sein ...«
Sie verstummten wieder und gingen nun Hüfte an Hüfte, Arm neben Arm weiter.
»Wie euch die Augen leuchten, gerade wie beim Wolf ... es wird einem ganz sonderbar dabei ...«
»Kommst du Sonntag zu Klembs, da ist Musik.«
»Als ob mir das Mutter erlaubt ...«
»Komm doch, Jagusch, komm hin ...,« bat er mit leiser, gedämpfter Stimme.
»Wollt ihr denn das?« fragte sie weich, ihm in die Augen sehend.
»Herr Gott nochmal, für dich allein hab' ich doch den Geiger aus Wola bestellt, und für dich den Klemb noch erst überredet, daß er bei sich aufspielen läßt, für dich doch, Jagusch ...« flüsterte er, und näherte heftig atmend sein Gesicht dem ihren, so daß sie etwas zurückwich und vor Erregung erbebte.
»Geht schon ... man wartet auf euch ... es wird uns noch einer sehen ... geht ...«
»Tust du auch kommen? ...«
»Ich komm' ... ich komm' ...« wiederholte sie, sich nach ihm umsehend, aber er war schon im Nebel verschwunden, und man hörte ihn nur noch durch den Schmutz waten.
Ein plötzliches Frösteln ließ sie erschauern und eine jache Glut durchflog sie von Herz zu Kopf, so daß sie wankte. Sie wußte nicht, wie ihr geschehen war./Die Augen brannten ihr, als ob heiße Asche unter ihre Lider gekommen wäre, sie war ganz atemlos und nicht imstande, das leidenschaftlich pochende Herz zu beruhigen; ohne es zu wissen breitete sie die Arme aus, wie zur Umarmung, alles spannte sich in ihr, denn es faßten sie solche wilden Schauer, daß sie hätte schreien mögen ... Sie holte laufend den Wagen ein, faßte eine der Rungen, und obgleich es nicht nötig war, schob sie so mächtig nach, daß der Wagen knarrte und wankte und Kohlköpfe in den Schmutz kollerten ... vor ihren Augen stand immerzu sein Gesicht mit dem funkelnden, begehrlichen ... brennenden Blick ...
»Ein Ungetüm von Mensch ... es gibt wohl keinen zweiten solchen in der Welt ...,« dachte sie wirr.
Das Rattern der Mühle, an der sie vorbeifuhren, brachte sie zur Besinnung, und das Rauschen des Wassers, das unter dem geöffneten Stauwerk auf die Räder floß, denn der Wasserzudrang war gewaltig, ernüchterte sie. Der Fluß stürzte sich mit dumpfem Gebrüll in die Tiefe, und zu weißem Gischt zerstoben wirbelte das Wasser und war schimmernd auf dem Strom zu sehen, der das Uferbett weit überschwemmt hatte.
Das Haus des Müllers, das gleich am Wege stand, war schon erleuchtet, und man sah durch die mit Gardinen verhängten Scheiben eine Lampe auf dem Tisch stehen.
»Die haben eine Lampe, wie bei Hochwürden oder auf einem Herrenhof ...«
»Sind sie etwa keine reichen Leute? ... Er hat doch mehr Grund und Boden wie selbst Boryna, und Geld leiht er auf Perzente, und beim Mahlen tut er auch betrügen, das ist so,« meinte Schymek.
»Wie die Gutsherrn leben sie ... denen ist es gut sein... Gehen in ihren Zimmern spazieren ... liegen auf den Kanapees herum... sitzen in der Wärme ... essen süß, und die Leute lassen sie für sich arbeiten ...,« dachte sie neidlos, ohne auf Schymek zu hören, der, so sehr er auch brummig war, kein Ende finden konnte, wenn er ins Reden kam.
Schließlich langten sie nach vieler Mühsal vor ihrem Hause an.
In der Stube war es hell und warm, ein Feuer flackerte lustig auf dem Herd. Jendschych schälte Kartoffeln und die Alte setzte das Essen zum Abend auf.
Ein alter, weißhaariger Mann wärmte sich vor der Feuerstelle.
»Habt ihr's fertiggekriegt, Jagusch?«
»Das schon, nur daß da noch ein wenig auf dem Beet nach ist, vielleicht an die drei Leinentücher voll.«
Sie ging in die Kammer, um sich umzuziehen, bald darauf wirtschaftete sie emsig in der Stube umher, und bereitete das Essen, ab und zu nach dem Alten neugierig hinüberäugend, der im tiefen Schweigen dasaß, ins Feuer starrte, die Perlen des Rosenkranzes durch die Finger schob und die Lippen bewegte. Und als sie sich zum Abendessen setzten, legte die Alte einen Löffel für ihn hin und lud ihn ein.
»Bleibt mit Gott ... ich komme noch bei euch einsehen, denn vielleicht bleibe ich für länger in Lipce ...«
Er kniete inmitten der Stube nieder, verneigte sich vor den Heiligenbildern, machte das Zeichen des Kreuzes und schritt hinaus.
»Wer ist das?« fragte Jagna verwundert.
»Ein gesegneter Wanderer, er kommt vom heiligen Grab ... ich kenn' ihn schon lange, denn er war hier schon eher und brachte verschiedene heilige Sachen mit ... An die drei Jahre können es schon her sein ...«
Sie endigte ihren Satz nicht mehr, denn Ambrosius trat herein, gab Gott zum Gruß und setzte sich vor den Herd.
»So 'ne Kälte, und was für ein Sauwetter, mein Holzfuß ist mir ganz steif geworden.«
»Was habt ihr denn bei solcher Nacht und dem Schmutz auch noch herumzulaufen ... da tätet ihr besser, in euren vier Wänden zu sitzen und Gebete zu sprechen ...,« brummte die Dominikbäuerin.
»Die Zeit ist mir lang geworden so allein, da wollt' ich mal nach den Mädchen sehen, du bist die erste, Jagusch ...«
»Sucht euch ein Totengerippe, als erste ...«
»Die Mamsell treibt sich jetzt mit jüngeren herum, mich läßt sie ganz beiseite liegen! ...«
»Wie denn das? ...,« begann die Dominikbäuerin im fragenden Ton.
»Die reine Wahrheit sag' ich. Hochwürden hat den Leib Christi nach dem Bartek, dem hinterm Weiher, getragen.«
»Hör' einer bloß ... auf dem Jahrmarkt hab' ich ihn doch noch mobil gesehen ...«
»Das liebe Schwiegersöhnchen hat ihn so mit dem Knüppel zugerichtet, daß er ihm die Eingeweide um und um geschlagen hat.«
»Nanu, was war denn da, wann denn?«
»Um was denn anders, als um Grund und Boden. Schon ein halbes Jahr zanken sie herum, und heute mittag haben sie abgerechnet.«
»Daß es keine Gottesstrafe für diese Totschläger gibt,« ließ sich Jagna vernehmen.
»Die kommt, Jagna, hab' keine Angst, die kommt noch,« sagte die Alte hart und heftete die Augen auf die Heiligenbilder.
»Und wer schon gestorben ist, der kann nicht wieder aufstehen,« ließ Ambrosius kaum merklich fallen.
»Setzt euch an die Schüssel und nehmt, was da ist.«
»Dagegen hab' ich nichts, nein. Mit einem Schüsselchen werd' ich schon fertig, aber groß muß sie sein,« neckte er.
»Ihr habt nur immer Späße und Spielereien im Kopf.«
»Das ist auch mein Ganzes, was soll ich mit den Sorgen, häh?«
Sie setzten sich an die Bank, auf der die Schüsseln standen, und aßen langsam und schweigend; Jendschych paßte auf, um zuzulegen und zuzugießen, nur Ambrosius sagte von Zeit zu Zeit ein kurzweiliges Wort und lachte selbst am meisten dazu, denn die Jungen, obgleich sie Lust hatten zu lachen, trauten sich nicht, wegen drohenden Blicke der Mutter.
»Ist Hochwürden zu Hause?« fragte sie gegen Ende.
»Wo denn sonst bei solchem Schmutz, wie 'n Jude sitzt er bei den Büchern.«
»Ein Kluger ist sich der, ein ganz Kluger ...«
»Und gut, daß man keinen besseren finden kann ...« fügte Jagna hinzu.
»Versteht sich ... gewiß ... auf den Bauch spuckt er sich nicht, oder einem anderen in den Bart, und was ihm einer gibt, das nimmt er ...«
»Ihr solltet lieber nicht das erste beste Zeug reden.«
Sie standen vom Abendbrot auf. Jagna setzte sich mit der Alten am Herd zu den Wocken und die Söhne machten sich, wie gewöhnlich, an das Aufräumen und Aufwaschen des Geschirrs und an die andere Hausarbeit. Das war schon immer so bei der Dominikbäuerin, daß sie ihre Söhne mit eiserner Hand hielt und sie zu Mägden abrichtete, damit Jagusch ja nicht ihre Händchen beschmutze.
Ambrosius zündete die Pfeife an und paffte in den Kamin oder rückte die glühenden Scheite zurecht und warf neue Zweige hinzu, dabei blickte er hin und wieder die Frauen an und schien etwas abzuwägen und zu bedenken.
»Ich höre, ihr habt die Brautbitter gehabt?«
»Die ersten sind es nicht.«
»Was Wunder, die ist ja wie gemalt, die Jagna. Hochwürden hat gesagt, die in der Stadt kommen der nicht gleich.«
Jagna wurde rot vor Vergnügen.
»Das hat er gesagt, der liebe Gott lasse ihn bei Gesundheit bleiben. Ich wollte schon lange 'ne Frühmesse lesen lassen, lange schon, morgen früh gleich trag' ich es ihm hin.«
»Da würd' noch einer mit Schnaps zu euch schicken, er möcht' schon, aber er hat es noch etwas mit der Angst ...,« leitete er behutsam ein.
»Ein Bauernsohn? ...« fragte die Alte, die auf dem Boden surrende Spindel aufwickelnd.
»Ein Hofbauer, im ganzen Dorf angesehen, ein Erbangesessener ... aber ein Witwer ...«
»Denk' nicht dran, fremde Kinder zu wiegen ...«
»Sind schon großgezogen, da brauchst keine Angst zu haben, Jagusch.«
»Was soll sie mit 'm Alten ... sie kann noch warten, wenn sie Sinn auf einen jüngeren hat.«
»Junge gibt's genug, die werden ihr nicht mangeln! Kerzengerade Burschen, rauchen Zigaretten, tanzen in der Schenke, trinken Schnaps und gucken nur hinter den Mädeln drein, welche ihre paar Morgen hat und etwas bar Geld, damit sie was zum Amesieren haben ... Das sind mir dann schöne Hofbauern, schlafen bis Mittag, und nachmittags da wird Mist mit der Schubkarre gefahren und das Feld mit den Hacken gepflügt ...«
»Einem solchen geb' ich die Jagna nicht, daß sie 'n Schandleben kriegt.«
»Nicht umsonst sagt man, daß ihr die Klügste im Dorf seid ...«
»Aber mit einem Alten zusammen, das ist für eine Junge auch keine Freude ...«
»Für die Freude sind doch Junge genug da.«
»Alt seid ihr wie die Welt, und noch so viel buntes Zeug im Kopf,« sagte sie streng.
»Ii ... wie man so redet, damit die Zunge nicht vermulscht.«
Sie blieben eine Weile stumm.
»Ein Alter wird sie schon zu ehren wissen, und braucht nicht happig sein auf fremdes Geld,« fing Ambrosius wieder an.
»Nein, nein, nur Gotteslästerung kommt davon.«
»Er könnte eine Schenkung vor Gericht machen,« sagte er bedeutungsvoll, die Pfeife auf dem Herd ausklopfend.
»Jagna hat genug Eigenes,« antwortete sie nach einer Weile, schon schwankend und unsicher.
»Der würde mehr geben als nehmen, viel mehr ...«
»Ihr habt's gesagt!«
»Was ich natürlich nicht aus dem Wind gegriffen habe und nicht aus meinem Kopf, nicht von mir aus komme ich damit ...«
Sie schwiegen wieder. Die Alte fuhr lange glättend mit der Hand über die zausige Kunkel, benetzte sodann den Finger und fing an, die Flachsfasern mit der Linken herauszuzupfen und mit der Rechten ließ sie die Spindel kreisen, so daß sie sich wie ein Brummkreisel mit Gesumm auf dem Boden drehte und surrte.
»Wie ist's, soll er denn schicken?«
»Welcher?«
»Wißt ihr's denn nicht? Der da!« er zeigte durchs Fenster auf die kaum über den Weiher blinzelnden Lichter vom Borynahof.
»Erwachsene Kinder, werden kein gutes Wort geben und haben Rechte auf ihr Teil ...«
»Was sein ist, kann er aber verschreiben ... wie wär's denn? ... Ein guter Mensch und nicht der erste beste Hofbauer, und fromm und noch rüstig, ich hab' selbst gesehen, wie er sich 'n ganzen poln'schen Scheffel Roggen auf den Buckel geladen hat. Der Jagna würde da nichts abgehen, der würd' sie sich schon reineweg mit Vogelmilch aufziehen ... und da sich euer Jendschych im Kommenden beim Militär melden muß ... der Boryna kennt sich aus mit den Beamten, er weiß, an wen er sich zu halten hat, der könnt' euch schon helfen ...«
»Wie scheint dir das, Jagusch? ...«
»Mir ist es eins, befehlt ihr, dann tu' ich ... das ist euer Kopf, nicht meiner ...,« sprach sie leise, stützte die Stirne auf die Kunkel und starrte gedankenlos ins Feuer, auf das lustige Knistern der brennenden Zweige horchend. Dieser oder ein anderer, das war ihr ganz egal/ihr schauerte nur leicht, wenn sie an Antek dachte.
»Wie ist's?« fragte Ambrosius, sich von der Bank erhebend.
»Sie sollen schicken ... Versprechung ist noch keine Heirat ...,« antwortete sie langsam.
Ambrosius verabschiedete sich und ging geradeswegs zu Boryna.
Jagna saß immerzu unbeweglich und schweigend da.
»Jagusch ... Töchterchen ... was denn? ...«
»Nichts ... alles ist mir gleich ... wenn ihr wollt, nehm' ich den Boryna ... und denkt ihr nicht, dann bleib' ich bei euch ... geht es mir denn hier vielleicht schlecht? ...«
Die Alte spann weiter und redete leise.
»Das Beste will ich für dich, das Beste ... Gewiß, er ist alt, aber noch rüstig, und gutherzig auch, nicht so wie die anderen Mannsleute, der wird dich in Ehren halten ... Feine Dame wirst du bei ihm spielen können, die Hofbäuerin wirst du sein ... Und wenn er eine Verschreibung macht, so werd' ich ihn schon so richten, daß das Feld neben unserem kommt, neben dem Juden seinem am Hügel ... und wenn er so zum Beispiel sechs Morgen verschreiben würde ... Hörst du zu? an die sechs Morgen! Und irgendein Mannsbild mußt du schon heiraten ... das mußt du ... was sollen sie über dich herziehen und dich auf den Zungen im Dorf herumtragen ... Ein Schwein könnte man schlachten... vielleicht auch nicht ... oder vielleicht ...,« sie verstummte und begann sich den Rest im Kopf zurechtzulegen, denn Jagusch war, als ob sie ihre Worte nicht gehört hätte, sie spann geistesabwesend weiter, als ob sie ihr eigenes Los nichts anginge, so wenig dachte sie über diese Heirat nach.
Und hatte sie es vielleicht schlecht bei der Mutter? Sie tat was sie wollte, kein Mensch mischte sich ein. Was ging sie Grund und Boden an, die Verschreibungen und der Besitz/ so gut wie gar nichts, so gut wie der Zukünftige? Es waren nicht wenig Burschen, die ihr nachliefen/wenn sie nur gewollt hätte, so wären alle in derselben Nacht noch zusammengelaufen ... und ihre Gedanken spannen sich träge, wie der Flachsfaden vom Wocken, und drehten sich immer in gleicher Weise um das Eine herum, daß sie, wenn Mutter wollte, den Boryna heiraten würde ... Gewiß, daß sie ihn besser mag als die anderen, denn er hatte ihr das Band und das Seidentuch gekauft ... gewiß ... aber Antek hätte ihr dasselbe gekauft ... und die anderen vielleicht auch ... wenn sie nur Borynas Geld hätten ... jeder ist gut ... und alle zusammen ... als ob sie einen Kopf dazu hätte, sich erst lange einen auszusuchen! Dazu war Mutter da, um zu tun, was nötig war ...
Und abermals starrte sie vor sich hin, sie sah aufs Fenster, denn die schwarz angelaufenen, verwelkten Georginen, die der Wind schaukelte, guckten in die Scheiben, aber bald vergaß sie auch diese, vergaß alles, vergaß auch sich selbst und verfiel in eine so heilige Gefühllosigkeit, wie die Mutter Erde während der toten Herbstnächte/denn wie die heilige Erde war Jagnas Seele/ganz wie diese Erde; sie lag in Tiefen, die niemand erkennen konnte, in der Wirrnis schlaftrunkener Träume/riesig und unbewußt, mächtig, aber ohne Willen, ohne Wollen, ohne Wünsche, totenstarr und dennoch unsterblich, und wie diese Erde nahm sie jeder Wind, umhüllte sie, schaukelte sie und trug sie dahin, wo er wollte ... sie war wie die Erde, die die warme Sonne zur Frühjahrszeit weckt, mit Leben befruchtet, mit dem Feuerschauer des Verlangens, der Liebe erschüttert/und sie gebiert, weil sie muß; sie lebt, singt, herrscht, schafft und vernichtet, weil sie muß; sie ist, weil sie muß ... denn wie die heilige Erde war Jagnas Seele/ganz wie diese Erde! ...
Und lange saß sie so im Schweigen, nur ihre Sternenaugen leuchteten wie die stillen Wasser zur Frühlingsmittagszeit, bis sie plötzlich erwachte, weil jemand die Flurtür aufmachte.
Fine kam noch ganz atemlos herein, stürzte nach dem Herd hin, schüttelte das Wasser aus den Holzpantoffeln und sagte:
»Morgen wird bei uns der Kohl geschält, Jagusch, kommst du?«
»Ich komm'.«
»In der Stube werden wir schälen. Ambrosius sitzt beim Vater, ich bin heimlich fortgerannt, um dir das vom Kohl zu sagen. Ulischja, Maruscha und Vikta und die anderen Basen werden da sein ... und die Burschen werden kommen ... und Peter mit der Geige hat zugesagt...«
»Welcher denn?«
»Den Michaels ihrer, die hinter dem Schulzen sitzen, er ist, wie wir die Kartoffeln ausnahmen, vom Militär heimgekehrt ... und redet so verdreht, daß man es schwer herauskriegt ...«
Sie plapperte die Stube voll, soviel sie nur konnte, und rannte nach Haus.
Wieder umfaßte Schweigen den Raum.
Manchmal schlug der Regen gegen die Scheiben, als ob jemand eine Handvoll Sand geschleudert hätte, oder der Wind rauschte und spielte im Garten und blies in den Schornstein, daß die Feuerbrände auf den Herd auseinanderstoben und Rauch in die Stube puffte ... Und die Spindeln auf dem Boden surrten immerzu.
Der Abend zog sich langsam dahin, bis die Alte mit einer leisen, zittrigen Stimme das Abendlied anstimmte:
Alle unsere Tagesmühen ...
Und die Jungen mit Jagna sangen halblaut und doch so durchdringend mit, daß die Hühner im Flur auf den Staffeln aufzuschnarren und zu gackern anfingen.