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Eugenies und Walters Hochzeit wurde ein großes Fest, mit Polterabendaufführungen und all der sinnigen Unruhe, die der Deutsche bei einem solchen Ereignis gerne erregt. Man schwelgte in Familiengefühl – die entferntesten Onkels, die bejahrtesten Tanten wurden eingeladen, waren sehr gerührt bei der Trauung und wärmten nachher in den Ecken mit spitzen Bemerkungen alte Familienzwistigkeiten wieder auf.
Agathe mußte unter ihrem rosaseidenen Kleide die ganze stumme, hoffnungslose Qual verbergen, die ihr Herz seit Monaten folterte. Wie leicht wäre es Eugenie gewesen, die Bekanntschaft von Herrn von Lutz zu machen und ihm eine Einladung zum Polterabend zu verschaffen. Das wäre dann ein Fest für sie geworden . . . . Es war so unrecht von Eugenie – freilich – die dachte immer nur an sich.
Sie würgte fortwährend an ihren Thränen, aber bei einer Hochzeit fiel das nicht weiter auf. Martin Greffinger war ihr Brautführer. Er hatte sich sehr verändert, seit sie ihn zuletzt gesehen. Nachdem er das juristische Studium aufgegeben hatte, war er ein halbes Jahr in England gewesen. Was er dort getrieben, wußte niemand. Um Lord Byrons Willen war er gewiß nicht hingereist. Die höhnische Falte um seinen Mund hatte sich noch vertieft. Schweifte sein Blick feindlich über die Hochzeitsgesellschaft, so richtete er ihn gleich wieder vor sich nieder – in eine Welt, die nur er selbst zu sehen schien.
Trotz Agathes Aufforderung erzählte er nichts von seiner Reise; was er drüben gethan und erlebt habe, interessiere sie ja doch nicht, sagte er. Auch versuchte er keine jener Neckereien, mit denen er sie sonst oft grausam zu quälen pflegte – bemühte sich sogar, freundlich gegen sie zu sein. Aber die Versuche versanken immer wieder in einer großen Gleichgültigkeit, die seine Haltung, jede seiner Bewegungen und vor allem seine Stimme beherrschte. So schleppte sich das Gespräch trübe und gezwungen, durch Pausen völligen Schweigens unterbrochen, während des langen Diners hin. Wie fremd sie sich geworden waren, die sich doch einst so lieb gehabt!
– – Alles ging während des ganzen Festtages glatt und gut von statten. Nur einmal hörte die Tischgesellschaft Frau Wutrow von der Küche her mit dem Lohndiener wegen des großen Weinverbrauchs zanken. Ihr Gesicht trug, als sie wieder hereinkam, vor Aerger fast die Farbe ihres rot und blau changierenden Seidenkleides. Aber, wie gesagt, mit Ausnahme dieses kleinen Zwischenfalls war es eine ideale Hochzeit.
Die grüne Myrtenkrone saß Eugenie tadellos auf dem blonden Kopf, der Brautschleier fiel wohl zwei und einen halben Meter lang über die königliche Schleppe; bei der Trauung hatte er auch ihr Antlitz verhüllt – das fand man so poetisch!
Sie war fast die Munterste unter ihren Gästen. Walter dagegen schien bewegt und still.
Nach dem Diner nahm Eugenie ihren Kranz vom Haupt und setzte ihn Onkel Gustav auf. Die meisten fanden diesen Scherz sehr anstößig. Mit einem Myrtenkranze spaßt man nicht. Der dicke rosenrote Onkel sah außerordentlich komisch in dem unerwarteten Schmucke aus. Es war das einzige Mal, daß Greffinger in ein lautes Lachen verfiel. Eugenie blickte aus ihren Schleierfalten wie aus leichtem Gewölk zu ihm hinüber. Mit der rauschenden milchweißen Schleppe, das Champagnerglas in der Hand, ging sie um den Tisch und stieß mit ihm an. Ihre Lider waren gesenkt, und die goldigen Wimpern zitterten ein wenig, wie die eines Kindes, das um Verzeihung bitten möchte. Sie hob sie zögernd, in ihren Augen lag eine sanfte Bitte. Agathe hörte, wie sie leise zu ihm sprach: »Auf gute Freundschaft!« Er machte ihr eine tiefe steife Verbeugung.
Agathe begleitete sie hinaus, ihr beim Umkleiden zu helfen, sie war aufgeregter als die kühle Braut, welche umsichtig die letzten Anordnungen für die Reise traf.
Nachdem das junge Paar abgefahren war, zog sich Agathe in Eugenies Schlafzimmer zurück und blieb dort mit dem ausgedienten Hochzeitsstaat, der auf den Stühlen umherlag, allein. Sie schluchzte recht von Herzen. Endlich trocknete sie ihre Augen, wusch sich das Gesicht und ging wieder in die untere Etage hinab.
Die Gesellschaft hatte sich zerstreut, die Fremderen waren verschwunden. Im Salon fand Agathe ihre Eltern und den alten Wutrow müde und einsilbig zwischen einem großen Kreise von Verwandten sitzen. Frau Wutrow teilte unter ihre Leute Kuchen aus und begann das Silber fortzuschließen. In dem Erker des Eßsaales hatten sich Cousine Mimi von Bär mit ihrem Bruder, Lisbeth Wendhagen, die dritte Brautjungfer, Onkel Gustav und der Prokurist des Geschäftes um einen Rest Bowle versammelt. Jenseits des langen Korridors, nach dem Garten hinaus lag Eugenies Boudoir. Sie hatte, als sie in den Wagen stieg, Agathe gebeten, dort ihren Schreibtisch zuzuschließen und den Schlüssel in Verwahrung zu nehmen. »Mama kramt sonst in allen Schubladen herum – Du bist diskreter, das weiß ich.«
Müden, leisen Schrittes ging Agathe, ihr Versprechen zu erfüllen. Sie hob den Vorhang. Da stand Greffinger, dem Eingang den Rücken wendend, neben dem kleinen Sofa, wo er oft mit den beiden Mädchen gesessen und vergnügten Unsinn geschwatzt – er hatte den Kopf in die wollene Fenstergardine gewühlt – seine breiten Schultern zuckten, Agathe hörte sein stoßweises röchelndes Weinen. Bestürzt stand sie vor diesem Schmerz – zum ersten Mal sah sie die Leidenschaft, die ihre eigene Gesundheit still und rastlos untergrub, bei einem kräftigen Manne ausbrechen. Sie machte eine Bewegung – sie hätte ihn gern in den Arm genommen und mit ihm geweint, ihn gestreichelt und getröstet. In ihrer Schwäche fühlte sie sich jetzt stärker als er – ein solches Elend paßte besser zu ihr, als zu dem derben Greffinger.
Aber sie wagte nicht, ihrem Wunsche nachzugeben und schlich vorsichtig zurück. Er hatte sie nicht bemerkt.
* * *
Nach der Hochzeitsreise zogen die jungen Heidlings in die obere Etage des Wutrow'schen Hauses, die für sie mit modernen Tapeten, altdeutschen Oefen und Parquetfußböden neu hergerichtet worden war.
Eugenie spielte nun ein reizendes Hausmütterchen. Walters Kameraden feierten sie als das Muster der deutschen Offiziersfrau. Es bildete sich ein Sport bei den jungen Herren aus: Heidling zum Dienst abzuholen, nur um in der frühen Morgenstunde Eugenie in den neuen Negligés und dem koketten Spitzenhäubchen an der Kaffeemaschine zu sehen und eine von ihren geschickten Händen schnell bereitete Tasse Mokka im Stehen herunterzustürzen.
Abends konnte man regelmäßig ein bis zwei Lieutenants, auch wohl einen unverheirateten Hauptmann bei Heidlings finden.
Der fröhliche Jugendverkehr zog nach Walters Heirat ganz natürlich zu den jungen Leuten hinüber. Man bekam hier ein eben so gutes Abendessen und durfte sich doch ungenierter gehen lassen, als unter den Augen des Regierungsrates.
Agathe war zwar von Eugenie ein für allemal eingeladen, aber sie mochte die Eltern nicht viel allein lassen. Papa hatte es gern, wenn sie vorlas. Manchmal freilich war er auch zum Hören zu angegriffen und saß schweigsam, verstimmt mit seiner Cigarre in der Sofaecke. Oder er mußte auch noch arbeiten und liebte es dann, von seinen Akten aufblickend, durch die geöffnete Thür ihren braunen lockigen Kopf unter dem Lampenlicht zu sehen, wie sie der Mama half Wäsche stopfen. Das waren eintönige Abende. Agathe konnte die Einsamkeit, in der sie früher endlosen, glücklichen Träumereien nachhing, nicht mehr gut ertragen.
Die Eltern hatten mit Wutrows und den jungen Leuten zusammen im Theater abonniert. Das Billet kam nur selten an Agathe – es war jedesmal ein aufregendes Ereignis. Früher hatte sie nur Sinn und Begeisterung für Tragödien gezeigt – das hatte sich nun geändert. In den großen Dramen gab es selten Rollen für die Naive. Und nur wenn die Daniel auftrat, war Agathe sicher, Lutz im Theater zu finden.
Eugenie wußte das freilich ganz genau, aber sie und ihr Mann zogen auch Lustspiele und Possen vor, und bitten konnte Agathe nicht um ein Billet – nein – es war furchtbar, wie sie sich schämte und fürchtete, um dieser unglückseligen Liebe willen.
Lutz stand meist im Hintergrunde der Proszeniumsloge. Agathe konnte seinen Kopf nur sehen, sobald er sich vorbeugte. Auf diese flüchtigen Sekunden wartete sie mit einer bebenden Gespanntheit.
Unbegreiflich blieb es ihr, wo Fräulein Daniel bei ihrer fragwürdigen Erziehung diese leichte und anmutige Vornehmheit des Wesens hatte erwerben können. Die anderen Bühnendamen erschienen neben ihr plump und roh. Selbst eine gewisse Affektation verzieh man ihr, sie kleidete sich gut. War ihr Näschen, ihr ausdrucksvoller Mund ganz geistreiche Schelmerei – die Augen blieben immer ernst, sie konnten gemütvoll und traurig blicken. Agathe begriff es nicht, warum Lutz oft nur zu einer Scene kam und bald wieder verschwand. Nein – er liebte die Daniel nicht . . . . Applaudierte er auf eine nachlässige, diskrete Weise, so tauchten seine schmalen, weißen, unruhigen Hände gleichsam körperlos aus dem Dunkel der Loge hervor.
Dann hörte Agathe Bemerkungen unter ihren Nachbarn über seine Beziehungen zur Daniel.
». . . . Er soll ihr schon seit Jahren den Hof machen, aber sie weist ihn konsequent ab.«
»– So – so – da werden doch auch andere Dinge geredet. Eine zeitlang war sie ganz auffällig von der Bühne verschwunden – es ist übrigens schon lange her.«
»Ja – damals hatte sie ein Halsleiden.«
»Ach – die Halsleiden der Schauspielerinnen . . . .«
»Im übrigen hat er im letzten Sommer der Professor Wallis in Norderney rasend die Cour gemacht. . . .«
»Lieber Gott, was will denn das besagen?«
Solche Redensarten bereiteten Agathe ein unerträgliches Weh. Wie konnten die Leute nur über ihn reden wie über einen beliebigen jungen Mann?
* * *
Inzwischen wurde die Begegnung mit ihm, die das Mädchen sich zu jeder Stunde fieberhaft wünschte, Eugenie zu teil. Sie erzählte ihrer Schwägerin davon, ein spöttisches Lächeln huschte um ihren Mund.
»Ich habe heute Deinen Lutz gesprochen.«
»Du –? Wo?« fragte Agathe atemlos.
»Höchst komisch war's. Ich hole mir bei dem Musikschmidt neue Noten . . . Außerdem habe ich noch zwei Pakete, Muff – Schirm. Dazu mein Kleid aufzunehmen. Ich versuchte, das alles mit meinen zwei einzigen Händen festzuhalten. Wer kommt, als ich die Stufen runtersteige? Lutz! – bemerkt meine Bemühungen – lächelt. Er hat übrigens ein entzückendes Lächeln. Und denke Dir – ich Gans! Lasse meine Notenblätter unter dem Arm hervorrutschen – ihm gerade zu Füßen – alle auseinander geflattert. Er bückte sich natürlich und wir haben sie dann ganz artig vom Schnee wieder aufgesucht. – Ich dankte ihm für seine Mühe und er antwortete: »O – bitte sehr!« – Wenn er dieses »bitte sehr« zu Dir gesagt hätte – was Agathe?«
Sie brach in Thränen aus.
»Mein Gott – geht's Dir denn so tief?« rief Eugenie erschrocken.
»– Ich habe ihn mir um Deinetwillen ziemlich genau angesehen,« begann sie verständig. »Es ist einer von den Gefährlichen – das ist keine Frage. Aber Kind – glaubst Du denn, daß Du auch nur einen Gedanken mit dem Manne gemein hast?«
»Ich hab' ihn lieb,« murmelte Agathe leise.
Eugenie seufzte. Sie schnippte zierlich mit den Fingern ein Brosämlein von ihrer neuen Tischdecke und ihre Bewegung deutete an, sie lege nicht viel mehr Wert auf das Gefühl, von dem Agathe bewegt wurde, als auf diesen spärlichen Ueberrest eines genossenen und abgetragenen Mahles.