Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Peard, der Menschenjäger.

Jenseits des Uruguay, der hier die Breite der Donau bei Sistowo oder Rustschuk hat, befand sich das Lager der föderalistischen Truppen gegen Konkordia, wo Oberst Silveira aufs neue die Fahne für die Union und den Präsidenten Joaquin Suarez erhoben hatte.

Der Kampf war schon seit länger als zwei Monaten mit gleicher Lauheit und häufigen Unterbrechungen von beiden Seiten geführt worden, und beide kühne Anführer hatten während dessen häufige Streifzüge nach dem Innern des Landes unternommen. Einige kleinere Fahrzeuge, der Rest der Flotte von Buenos-Ayres, behaupteten den Uruguay und vermittelten die Verbindung ihrer Partei mit beiden Ufern.

Das Lager der Föderalisten war etwa eine Legua südlich von Concordia am Rande des Stromes aufgeschlagen und bestand aus einer Reihe von Zelten und fliegenden Hütten, wie sie die Gauchos und die Indianer in den Pampas zu errichten pflegen. Eine kleine Batterie von vier Geschützen, von denen auf den Befehl des Generals jetzt zwei nach der Mission gebracht worden waren, diente mehr dazu, die Bewohner von Concordia zu beunruhigen, als ihnen zu schaden. Die kleine Armee des Föderalisten-Generals bestand außer den wilden Verbündeten aus etwa dreitausend Mann, von denen die Hälfte vor der Stadt zurückgelassen worden war, als seine Späher ihm die Nachricht von der Annäherung des Kommodore brachten.

Besorgt jedoch vor einem Ausfall des kühnen Silveira, hatte er alsbald, nachdem die Schar Garibaldis geschlagen und in die Flucht getrieben worden, dem Führer der Milizen den Befehl gegeben, über den Uruguay zurückzukehren, da er sich stark genug wußte, mit den Gauchos und den Indianern den Rest seiner Feinde zu vernichten, der sich in die Mission geflüchtet hatte.

Die Empfindungen der jungen Frau, als sie sich so plötzlich von Gatten und Kind hinweggerissen und in den Händen grausamer Feinde sah, wären noch schwerer und schmerzlicher gewesen, hätte nicht der letzte Blick auf das Schlachtfeld ihr gezeigt, daß der Kommodore sich wieder unter den Seinen befand. Auch wußte sie ja, wie unbesieglich sein Mut, wie groß seine Umsicht und Entschlossenheit in der Gefahr war. Was das Kind betraf, so vertraute sie unbedingt auf die Treue und die Ergebenheit des Negers und wußte, daß er nicht zurückkehren würde, ohne dem Verräter seinen Raub abgenommen zu haben. Freilich genügte dies Vertrauen so wenig, um die Liebe der Gattin, wie die Angst der Mutter zu beruhigen.

Gegen Mittag erreichte die Gefangene mit ihrer Eskorte den Fluß und setzte alsbald auf flachen Booten über den Strom. Den Befehlen Don Estevans gemäß wurde sie in sein Zelt gebracht, und ein Posten vor den Eingang gestellt. Da sich das Zelt mitten im Lager befand, schien eine Flucht unmöglich; dennoch hörte die junge Frau keinen Augenblick auf, daran zu denken, und sie sah sich kaum allein, nachdem man ihr die schmählichen Bande abgenommen, als sie sorgfältig ihre Umgebung prüfte und jeden Gegenstand im Zelt betrachtete. Es befanden sich verschiedene Waffen darin; sie nahm ein starkes spanisches Messer und verbarg es unter ihren Kleidern, während der Soldat, der vor der Öffnung des Zeltes auf- und niederschritt, sich gerade abgewandt hatte.

Ihre sehnsüchtigen Blicke fielen auf den Strom und seine breite gelbe Fläche. Hinter jenem entfernten waldigen Ufer kämpfte vielleicht in diesem Augenblick der tapfere Gatte seinen letzten Kampf gegen die Übermacht. Wilder Schmerz überkam sie, wenn sie bedachte, daß sie selbst durch ihr Vertrauen auf den verräterischen Pardo dazu geholfen, so viele tapfere Männer in das Verderben zu locken.

Von dem Zelt aus, in dem man sie jetzt bei der steigenden Hitze des Tages ungestört der Siesta überließ, konnte sie den Fluß und das jenseitige Ufer übersehen und bemerkte nach einigen Stunden die Ankunft Don Estevans und seines Trupps, die sich zum Übersetzen anschickten.

Das Herz schwoll ihr bis zum Ersticken, als sie bedachte, daß alles vorüber sein müsse, da der Offizier mit seinen Milizen zurückkehrte. Das wilde Triumphgeschrei, mit dem der Major am Ufer von den Seinen begrüßt wurde, zerschnitt ihr das Herz. Sie begrub das Gesicht in die Hände und weinte bitterlich.

Plötzlich schlug ein Wort an ihr Ohr, das ihre Aufmerksamkeit erregte und aufs neue die Hoffnung in ihrem Herzen lebendig machte. Es war ein Soldat des gelandeten Trupps der Milizen, der sich mit der Wache vor dem Zelt unterhielt.

» Carámba!« prahlte der Mann, »ich schwöre Dir, Remigio, bei San Antonio, meinem Schutzpatron, wir haben die erbärmlichen Hunde grimmig zusammengehauen. Kein einziger wird seine Zunge heimbringen, um diesen unitaristischen Schurken zu erzählen, wie die Männer von Buenos-Ayres ihre Machete zu führen verstehen!«

»Und warum, amigo mio, holt man jetzt die Kanonen?«

»Bah!« meinte der andere, indem er eine neue Cigarette rollte und sie an der seines Kameraden anzündete, »es ist eine Laune seiner Excellenza. Der Bote holte uns ein, als wir das Ufer erreichten. Der General will sich das Vergnügen machen, die alte Ruine zusammenzuschießen, die in der Nähe der Stelle unseres glorreichen Sieges liegt, und wohin sich einige dieser hartköpfigen Schurken zurückgezogen haben müssen. Ich wette mit Dir fünfzig Realen, daß sie um Gnade bitten, wenn sie unsere gewaltige Artillerie sehen.«

» Cárajo! Ich glaub' es wohl, aber es wird ihnen wenig helfen auf dem Weg zur Hölle, denn es sollen verteufelt viele Ketzer unter ihnen sein, die nicht einmal die Gnade des Fegefeuers verdienen. Statt einer Kugel oder eines guten Messerstichs wird der General den Ast eines Korkbaumes und einen guten Strick für sie haben. Hast Du keine Beute gemacht an den vielen Ungläubigen, die Du erschlagen, Señor Don Truxillos?«

»Nicht viel. Diese Schurken von Unitaristen und Ausländern berauben uns um unser rechtmäßiges Eigentum, indem sie nichts in ihren Taschen führen, wenn man ihnen die Ehre anthut, ihnen den Kopf abzuschneiden. Diese zwei Ringe und zwanzig Pesaros sind alles, was ich den Gefangenen in der Eile abnehmen konnte.«

»Ist es Ihnen gefällig, Señor Don Alvaro Truxillos de Esta La Mancia,« fragte die Schildwache, zu der noblen Grandezza altspanischer Höflichkeit übergehend, »mit mir um die Ringe und das Geld gegen diese goldene Toquilla Hutschnur. zu spielen?«

»Mit Vergnügen, Señor Don Remigio Vasquez. Sie wissen, daß ich einem Freunde nie einen solchen Dienst abschlage!«

Der Posten lehnte sein Gewehr an das Zelt, zog ein sehr schmutziges Spiel Karten aus der Tasche, und die beiden etwas stark zerlumpten Caballeros setzten sich auf ihre Ponchos und begannen sofort ihr Spiel, indem alles andere um sie her für sie nicht mehr vorhanden war.

Das Herz schlug der jungen Frau hoch bei der Nachricht, die sie aus dem Gespräch entnahm und die ihr zugleich erklärte, warum der Major der Milizen noch nicht bei ihr erschienen war. Jetzt wußte sie, daß es ihrem Gatten gelungen sein mußte, sich bis zur Mission durchzuschlagen und hier dem Feinde erfolgreichen Widerstand zu leisten. Sie zweifelte keinen Augenblick, daß es seinem mutigen Geiste auch ferner gelingen werde, sich und die Seinen zu retten, und ihr Entschluß, zu entfliehen und wieder zu ihm zu gelangen, befestigte sich immer mehr.

Zugleich bemerkte sie, wie am Ufer oberhalb des Lagers Anstalten getroffen wurden, die von dem General verlangten Geschütze einzuschiffen. Die drei oder vier kleinen Fahrzeuge, die auf dem Flusse kreuzten, ruderten nach jener Stelle, und Aniellas heiße Gebete um irgend einen Unfall oder eine Verzögerung begleiteten die Boote, welche die Kanonen trugen.

Die verschiedensten Pläne hatte sie bereits für einen Fluchtversuch entworfen, aber alle erwiesen sich bei näherer Prüfung als unausführbar; dagegen erschien ihr für alle Fälle als das Notwendigste und Nächste, ihre Wächter und vor allem Don Estevan über ihre wahren Gesinnungen zu täuschen. Alles weitere mußte dann dem Zufall überlassen bleiben.

So empfing sie denn den Major, als dieser endlich erschien, zu seiner großen Verwunderung mit ruhiger, ja heiterer Miene.

»Señor,« erwiderte sie auf seine höfliche Frage nach ihrem Befinden und ob seine Leute auch für sie gesorgt, »das Kriegsgeschick hat mich in Ihre Hände gegeben, und obschon Sie mich anfangs nicht gerade als Caballero behandelt haben, beginne ich doch einzusehen, daß ich vielleicht den Heiligen Dank sagen kann für die Wendung, die mein Geschick genommen. Wenn ich wüßte, was aus meinem armen Kinde geworden, das Manuelo mir entrissen, würde ich ganz ruhig sein.«

»Dann beruhigen Sie sich, schöne Señora,« sagte der Major galant. »Der Pardo ist mein Alferez und wird bald zurückkehren, wenn er nicht schon zu Don Urquizas Schar gestoßen ist. Aber por el amor de Dios! Sie sehen mich verwundert, Doña, über Ihre Rede. Man sagte mir, daß Sie diesen schurkischen Fremdling aus Liebe geheiratet hätten und ihm wie sein Schatten folgten?«

»Señor,« erwiderte die junge Frau mit verstellter Trauer, »es war bitterer Zwang, der mich an seiner Seite hielt, ich war nicht viel besser, als eine Gefangene. Tausendmal habe ich den thörichten Schritt bereut, der mich dem Schutz Seiner Excellenz des Diktators entfliehen ließ und mich fast all meines Vermögens diesseits und jenseits des La Plata beraubt hat.«

Der Milizen-Offizier rückte ihr eifrig näher. Er war ein Mann der Berechnung, hatte schon früher sein Auge auf die reiche Erbin gerichtet gehabt und war nur der Furcht vor dem Einfluß des Obersten Adeodato und der blutigen Rotte der Mazorceros gewichen. »Ich küsse Ihrer Schönheit tausendmal die Hände für diese Nachricht,« sagte er galant. »Ich glaubte eine widerspenstige Gefangene zu finden, und begegne dem besten Glück für meine Hoffnungen! Ich habe ein Anrecht auf Sie, reizende Doña, denn ich gewann Sie dem Coronel Adeodato, der beiläufig ein Caballero von ziemlich schlechten Sitten war, im ehrlichen Monte ab. Es sind noch Zeugen genug vorhanden. Was Ihre Güter betrifft, so zweifle ich nicht, daß Seine Excellenz der Diktator sich ein Vergnügen daraus machen würde, meine Verdienste damit zu belohnen, wenn die rechtmäßige Erbin zu ihrer Pflicht zurückkehrt und ihren gehorsamsten Diener zum Glücklichsten der Sterblichen machen wollte.«

»Aber Señor! bedenken Sie, ich bin verheiratet!«

» Cáramba! Sie werden es in einigen Stunden nicht mehr sein. General Urquiza hat geschworen, diese italienischen Landstreicher zu vernichten. Es ist so gut wie geschehen, und ich gratuliere Ihnen zur Witwenschaft!«

Die Hand Aniellas zuckte nach dem verborgenen Dolch, aber sie bezwang sich. »Selbst wenn ich so glücklich wäre, Witwe zu werden, Señor Don Estevan, dürfte ich nicht daran denken. Sie zu erhören. Ihr Alferez Manuelo erhebt ältere Ansprüche an mich.«

»Der Schurke mit dem unreinen Blut? ich will ihn in den Uruguay werfen, wenn er sich je wieder blicken läßt. Bekümmern Sie sich nicht um ein so niedrig geborenes Geschöpf, und nehmen Sie meine Huldigungen an!«

Der galante Major befahl, Erfrischungen vor das Zelt zu bringen, und setzte seine Bewerbung mit dem Übermut und der Sicherheit eines Siegers fort, der wußte, daß ihm nichts verweigert werden dürfe. Aniella mußte sich oft mit Gewalt bezwingen, um ihrem Zorn und ihrem Schmerz nicht freien Lauf zu lassen; ihre Angst wuchs mit jeder Minute, und die Hoffnung auf eine Gelegenheit zur Flucht schwand immer mehr bei dem Anblick der Dinge um sie her.

Die Milizen und zurückgebliebenen Gauchos hatten sich gelagert, von ihren zurückgekommenen Gefährten den nähern Bericht der Schlacht zu hören; die Offiziere waren zu gleichem Zweck herbeigekommen, da sie überdies gewohnt waren, daß der Major alle Abend, wenn der Dienst es erlaubte, Bank hielt. Man hatte große Feuer angezündet, um die lästigen Mosquitos zu verscheuchen, und in zahlreichen Gruppen lagen, saßen und standen Offiziere und Soldaten umher, rauchend, plaudernd und spielend, während sie dazu den scharfen Mescal oder den duftigen Paraguaythee tranken.

In einiger Entfernung sah man die dunklen Gestalten der Schildwachen in ihre Ponchos gehüllt mit den glühenden Cigarren, die wie Leuchtkäfer schimmerten. Vergebens hatte die Gattin des tapfern Kommodore gehofft, daß der Sieg der Föderalisten ihnen zu einem Gelage Veranlassung geben würde, das ihre Wachsamkeit einschläferte. Señor Estevan war kein Freund berauschender Getränke, wie ihr alter Verlobter Adeodato gewesen war und hielt in diesem Punkt auch bei seinen Leuten ziemlich strenge Ordnung. Er selbst begnügte sich mit dem starken Thee, und die einzige Leidenschaft, die er zu haben schien, war das Spiel, denn seine Augen folgten mit lebhaftem Interesse dem Monte, das beim Schein eines Feuers in seiner Nähe von zwei jüngeren Offizieren um bedeutende Summen gespielt wurde.

» Caràjo!« sagte der eine, indem er die Karten auf den Boden warf, »Sie haben zu viel Glück heut, Señor Don Baraja! Was meinen Sie wohl, Major, daß ich in fünf Abzügen verspielt habe? Hundert bare Dublonen und mein Pferd El-Noro.«

»Ich kenne es, Señor, es ist unter Brüdern die gleiche Summe wert, und ich würde sie Ihnen längst geboten haben, wenn ich nicht den ›Sausenden Wind‹ besäße!«

» Cáramba! Sie wollen doch nicht sagen, Major, daß Ihr Pferd das meine übertrifft?«

»Mit Ihrer Erlaubnis, Señor Capitano, gewiß will ich das!«

»Den Teufel auch! Wollen Sie wetten, daß ich jene Palmen an dem Hügel dort auf dem äußersten Vorposten mit ›El-Nero‹ eher erreiche, als Sie?«

»Mit Vergnügen, Señor Capitano, vorausgesetzt, daß Ihnen Don Baraja das Pferd leiht, das, wie Sie sich erinnern werden, nicht mehr das Ihre ist.«

Der Alferez bezeigte mit Vergnügen seine Einwilligung.

»Was gilt die Wette, Señor Don Estevan? Sie haben eine prächtige Anguera. Satteldecke. Wollen Sie dieselbe gegen meine Pistolen mit dem Silberbeschlag setzen?«

»Es sei. Lassen Sie die Pferde bringen.«

Diese befanden sich in der Nähe und wurden bald herbeigebracht. Es waren schöne Tiere, das eine von andalusischer Zucht, das andere von der wilden indianischen Rasse.

Man bedarf in den Pampas nicht so vieler Vorbereitungen zu einem Wettrennen, als in Europa. Die Sättel waren bald aufgelegt, und die Reiter in den Bügeln. Die Mannschaft sammelte sich umher und bildete ein langes Spalier – einer der Offiziere gab das Zeichen, und dahin flogen die beiden Renner unter dem lauten Hurra der Reiter und der Zuschauer.

Der »Sausende Wind«, das Pferd der Pampas, gewann anfangs den Vorsprung und bereits wurden Wetten auf seinen Sieg gemacht. Aber es dauerte nur wenige Augenblicke. Gestachelt von seinem Reiter griff der edle spanische Hengst in weiten Sprüngen aus, und ehe sie noch dem Hügel mit den drei Palmen sich genähert, war Don Estevan zurückgeblieben, und sein Gegner erreichte unter dem Jubelgeschrei der Menge das Ziel.

Im Galopp, der gewöhnlichen Gangart der amerikanischen Pferde, kamen sie zurück, der Major ziemlich ärgerlich, weniger über den Verlust der Anguera, als über die Niederlage seines bisher für unübertrefflich gehaltenen Pferdes.

In diesem Augenblick fielen Aniellas Blicke auf ihr eigenes silbergraues Pferd, das unfern des Zeltes in den Reihen der Miliz-Rosse stand.

»Der Teufel hat sein Spiel getrieben, schöne Señora,« sagte der Major ärgerlich. »Ich glaubte heute den ›Sausenden Wind‹ Ihren Augen in seinem Triumph über alle anderen Pferde zeigen zu können, und das tückische Tier hat mich im Stich gelassen. Quien sabe? Was weiß ich! es ist das erste Mal, daß er es thut, und ich will ihn in seine Querenzia zurückschicken, sobald wir wieder in den Grenzen von Buenos-Ayres sind. Bringe die Anguera, Jaime, sie ist das Eigentum des Señor Don Ruperto Alava.«

Die Gattin des Kommodore war an das Pferd herangetreten und liebkoste es. »Es ist ein wackeres Tier, Señor,« sagte sie, »und hat geleistet, was möglich ist. Aber ich kenne nur ein Roß, das imstande ist, jenem Andalusier die Spitze zu bieten!«

» Carámba! Und das wäre?«

»Es ist in Ihrem Besitz, Señor Don Estevan!«

»In meinem Besitz? Was meinen Sie, schöne Señora?«

»Jenen Grauschimmel dort!«

»Teufel – das wäre! Er sieht aus, als könne er höchstens mit einem Mulo um die Wette rennen.«

»Und doch, Señor Major, versichere ich Sie, daß er jenes spanisches Vollblut aus dem Felde schlagen würde.«

»Kennen Sie denn das Pferd?«

»Es war das meine und gehört jetzt Ihnen.«

»O,« sagte der Major galant, »ich küsse Ihre Hände, mögen Sie tausend Jahre leben, Señora. Sie wissen sehr wohl, daß ich Ihr Sklave bin, und alles, was ich besitze, Ihnen gehört. Aber führt das Pferd herbei, Bursche, wir wollen einen Versuch damit machen. Wer wettet darauf, Caballeros?«

Zehn Stimmen erboten sich, dagegen zu wetten. Das Aussehen der Stute, wenn sie auch stark und muskulös war, versprach doch keinen besonderen Renner.

Man hatte das Pferd gesattelt, und der Major schwang sich in die Bügel. Aber obschon er ihm Zügel und Sporen gab, rührte sich das Roß nicht von der Stelle.

Aniella lachte heiter. Sie wußte, daß jede Miene, jedes Wort zu viel oder zu wenig noch im letzten Augenblick ihr keckes Spiel verraten konnte und bot alle Kaltblütigkeit auf.

»Sie werden sich vergebliche Mühe geben, Señor,« sagte sie. »Der Graue wird nicht von der Stelle gehen und ist nichts als ein gewöhnliches Pferd, wenn er nicht seine Herrin auf dem Rücken fühlt. Aber lassen Sie mich ihn einen Augenblick besteigen, und ich will Ihnen zeigen, daß er jenes spanische Pferd, daß Sie El-Noro nennen, weit hinter sich läßt.«

Der Major schaute sie mißtrauisch von der Seite an. »Das wäre eine treffliche Gelegenheit zur Flucht, Señora mia!«

Die Dame lachte laut. »Wohin denn, Señor? Ihre Posten stehen überall. Fürchten diese Caballeros eine unbewaffnete Frau? Indes wie Sie wollen, ich mochte nur dem Señor dort nicht die Ehre des Abends lassen und hoffte, ein Caballero, der Aniella Crousa zu gewinnen wünscht, würde einige Dublonen auf ihr Wort verwetten!«

Sie wandte ihm unwillig den Rücken, Don Estevan aber sprang schnell aus dem Sattel. »Bei San Antonio, Señora, Sie mißverstehen mich gänzlich. Die Einwendungen, die ich machte, galten nur der Bewahrung meines Glücks. Heda! nehmt zehn Mann Eure Pferde und galoppiert zu jener Gruppe von Biberbäumen dort, wo der Posten nach Süden steht. Das Terrain am Fluß entlang wird sich besser zu dem Ritt eignen, als nach der anderen Seite. Ich wette fünfzig Gold-Dublonen auf unsere schöne Gefangene, Caballeros!«

Die Amazone war auch in der ganzen Armee ihrer bisherigen Gegner als eine kühne und gewandte Reiterin bekannt, und das Vertrauen, das sie auf ihr Pferd zeigte, erwarb diesem daher noch mehr Aufmerksamkeit, als früher. Die Gauchonatur ihrer Sieger war jetzt aufgeregt, jeder hatte ein Wort für die beiden Pferde, und hundert verschiedene Geschichten und Bemerkungen über die wilden Ritte und Renner der Pampas kreuzten sich während der Vorbereitungen zu dem Wettlauf.

Diese wurden von dem Major vor den Augen der Dame mit etwas größerer Sorgfalt als vorher getroffen. Sie that jedoch, als achte sie nicht darauf, daß man das etwa zweitausend Schritt entfernte Ziel, das in der sternenklaren Nacht deutlich zu sehen war, stromabwärts bestimmt hatte, damit sie nicht etwa den Versuch mache, über die Posten hinaus nach Konkordia zu entfliehen, so wie, daß auf einen Wink des Majors mehrere der berittenen Caballeros sich auf der Landseite der zum Wettlauf gewählten Richtung aufstellten, die auf der anderen Seite von dem ziemlich hohen steilen Ufer des Flusses begrenzt wurde, der nur an dem Lagerplatz eine bequeme Landungsstelle bot.

Ihr Herz klopfte, als wollte es die Brust zersprengen, und dennoch galt es, ruhig und kalt zu bleiben. Um die fieberhafte Röte ihrer Wangen zu verbergen, beschäftigte sie sich eifrig mit ihrem Pferde.

»Nun denn, Señora,« sagte der Major, nachdem alles vorbereitet war, »geben Sie uns eine Probe Ihrer Geschicklichkeit als Reiterin. Lassen Sie mich die fünfzig Dublonen gewinnen, ich verliere dafür mein Herz und meine Freiheit!«

»Ich werde das Möglichste thun!«

Er bot ihr galant das Knie zum Aufsteigen; sie setzte den Fuß darauf und schwang sich nach der Art der spanischen und südamerikanischen Frauen, die wie die Männer reiten, wie ein Vogel in den Sattel.

»Sind Sie bereit, schöne Señora?«

»Ich warte, Señor Don Estevan!«

Der Blick, mit dem sie diese Worte begleitete, der Ausdruck ihres schönen Gesichts waren so eigentümlich, daß der Milizen-Major stutzte und schon ihren Zügel ergreifen und die Wette zurücknehmen wollte: aber schon hatte seine Hand unwillkürlich das Zeichen gegeben und dahin stürmten beide Pferde, unter dem anfeuernden Geschrei der Menge, im Galopp, der bald zum rasenden Karriere wurde.

Der Graue hielt sich wacker, aber schon nach den ersten zweihundert Schritt hatte der spanische Renner einen Vorsprung, der sich mit jedem Augenblick vergrößerte.

Plötzlich sah man das Pferd der Dame von der geraden Richtung abbrechen und dem kaum fünfzig Schritt entfernten Ufer des Flusses zujagen.

Im ersten Moment glaubte man, daß das Roß mit seiner Reiterin durchgehe, und Schrecken lag auf aller Gesichter – im nächsten aber machte dieser dem Ausbruch drohenden Zornes und leidenschaftlichen Ärgers Platz; denn man sah deutlich, wie am Rande des Ufers die Señora ihr Pferd hob und mit Sporen und Zuruf es stachelnd in gewaltigem Sprung hinunter in die Tiefe setzte.

Man hörte das Aufspritzen des Wassers, dann den Triumphruf der kühnen Frau: » Viva la unidad!« als sie wieder emportauchte.

» Mordito! Die Hexe hat uns betrogen! Sie entflieht – ihr nach, Kameraden! Fangt sie! fangt sie!«

Der Major stürzte wütend nach dem Ufer; von allen Seiten eilten die Zuschauer des seltsamen Wettrennens, die ausgestellten Wachen mit leidenschaftlichem Durcheinanderschreien herbei.

»Wo sind die Schiffe? Ruft sie herbei! Treibt Eure Pferde ins Wasser – verfolgt sie! verfolgt sie!«

Aber die Boote und Fahrzeuge waren weit oberhalb zumeist am jenseitigen Ufer, wohin sie die Kanonen geschafft hatten – und selbst die kühnen Hacienderos und Vaqueros wagten sich nur vorsichtig mit ihren Pferden an das Ufer hinab und kaum zehn, zwanzig Schritt weit in den Fluß, dessen Tiefe und Strömung hier sehr bedeutend war.

»Bei San Jago! der weibliche Teufel wird entkommen! Schießt auf sie – möge ihr verräterisches Blut den Uruguay färben!«

Viele Musketen entluden sich und sandten ihre bleiernen Boten über die dunkle Fläche des Wassers hinter der Flüchtigen drein. Aber keiner traf die kühne Frau, die im Strom sich mit jener Kaltblütigkeit des wahren Mutes, die selbst in der größten Gefahr jeden Vorteil, jeden Umstand berechnet, sogleich von ihrem treuen Pferde geworfen und langsam hinter ihm drein schwimmend sich von ihm mit fortziehen ließ, indem sie sich an seinem Schweif festhielt.

Das treffliche Roß, von der Last der Reiterin befreit, arbeitete sich ruhig weiter, indem es, die Nüstern ihr entgegen, die Strömung zu durchschneiden suchte und weit von ihr mit seiner Herrin hinabgeführt wurde. Aber die ungeheure Breite war dennoch zu viel für die Ausdauer des edlen Tieres, wie für die Kräfte der unglücklichen Frau.

Das Wasser ging ihr häufig über den Kopf und drohte sie zu ersticken, da sie nur mit einer Hand sich oben zu halten vermochte. Die Muskeln des linken Armes, mit dem sie sich festhielt, erschlafften und begannen nachzulassen, während das gurgelnde Schnauben des edlen Tieres ihr zeigte, daß auch dessen Kräfte zu Ende gingen.

Mit einer letzten Anstrengung erhob sie sich aus dem Wasser und richtete ihre Blicke nach dem rettenden Ufer – ach, die dunklen Schatten desselben waren noch weit, weit entfernt und sie fühlte, daß ihre Kraft nicht mehr ausreichend war, es zu erreichen.

» Ave Maria purissima! Sin pecade concebida –« Zweimal schon hatte die erstarrende Hand den Schweif des Pferdes verloren, das mit seinen letzten Anstrengungen weiter schwamm, sie hielt sich jetzt an die lange Mähne des Tieres angeklammert und zog im Todeskampf damit seinen Kopf unter das Wasser; der Graue machte eine heftige Bewegung und Aniella fühlte die nassen Haare aus ihrer Hand gleiten –

»José, mein Gatte! mein Kind – –«

Die arme Frau verlor das Bewußtsein; wie im Traum nur war es ihr, als erfasse sie eine fremde Kraft und trage sie über die Wellen – ob in das Leben ob in das Jenseits – die schwindenden Sinne wußten es nicht.

Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich auf dem Lande, auf einer flach auslaufenden Stelle des Ufers von Montevideo, und ihr treues Pferd, mit seinem Gebiß ihr Gesicht und ihre Hände beschnubbernd, neben sich. Erst nach einigen Augenblicken gewann sie Besinnung genug, sich an das Vergangene zu erinnern. Die Spuren der Zähne an ihren Kleidern zeigten ihr, daß das Tier allein ihr Retter gewesen. Es hatte in dem Augenblick seiner vollen Erschöpfung Grund auf einer Sandbank gefunden, die von dem Ufer weit hinein reichte in den Fluß, und in dem Moment, wo die Wellen den Körper seiner Herrin an ihm vorbei rissen, hatte es diesen erfaßt und bis zum Ufer mit den Zähnen über Wasser erhalten.

Sie schüttelte das Wasser aus ihren Haaren und warf einen Blick zurück auf das nasse Grab, dem sie soeben entronnen. Drüben am jenseitigen Ufer brannten die Wachtfeuer der Föderalisten und über die Fläche des Stromes sah sie ein großes Boot mit schwellendem Segel daherkommen.

»Noch einmal, Mola, meine treue Stute,« sagte sie, schmeichelnd den Hals des Pferdes klopfend, »die Verfolger kommen dort, sie dürfen uns nicht mehr hier finden!« Das treue Tier wieherte ihr zu, gleich als verstände es die Worte seiner Gebieterin, die sich jetzt rasch in den Sattel schwang und mit ihm im Schutz der hohen Bäume und dichten Büsche davon galoppierte.

Der Morgen dämmerte über die hohen Wipfel des Urwalds, als Aniella Garibaldi, den Zügel ihres Pferdes um den Arm geschlungen, vorsichtig auf der Nordseite des » válle de páz« auf dem Gipfel einer der umgebenden Höhen aus dem Hochwald trat und durch die Büsche bis zu einer freien Stelle sich Bahn machte, von der aus sie eine volle Aussicht auf das einst so liebliche Thal gewann. Während des nächtlichen Rittes hatte ein mächtiger Feuerschein ihr den Weg gezeigt und mit banger Ahnung ihr Herz erfüllt.

An der Stelle der Indianerhütten, die sich an den Hügeln und Berghängen hinaufgezogen, lagen nur einzelne verkohlte Trümmermassen. Aus dem geborstenen massiven Gemäuer der Mission, dessen Festigkeit selbst dem entfesselten Element widerstanden, wälzten sich dunkle Rauchwolken hinauf in den Morgenhimmel. Alles war Trümmer und Ruinen – Tod und Vernichtung.

Um diese Ruinen her lagerte die Schar der Föderalisten: Gauchos und Indianer, deren einzelne die Trümmer durchforschten, während andere sich bereit machten, die Gegend umher zu durchstreifen. Die Mehrzahl lag, von der Anstrengung des vorhergegangenen Tages erschöpft, noch tief im Schlaf, teils im freien Felde oder unter dem Schutz der Bäume, in ihre Ponchos gehüllt, teils um niedergebrannte Feuer.

Es konnte kein Zweifel sein: Garibaldi, der Tapfere, Kühne, Hochherzige, der Vater ihres verlorenen Kindes – er lag tot und starr mit seinen Kriegern unter jenen Ruinen.

Die junge Frau sank in die Knie; ein Thränenstrom bedeckte ihr Gesicht und erleichterte ihr Herz. Sie betete für den Toten, den sie nie wiedersehen, dessen Leiche sie nicht einmal suchen und begraben durfte.

Die Sonne stieg empor über den Höhen im Osten und der grünen Mauer des Urwaldes, im Thal erwachte das Leben, nicht die Glocke der Mission rief die friedlichen Bewohner mehr zur gemeinsamen Andacht – die Trompete schmetterte, und der gellende Ruf der Wilden weckte das Echo der Höhen. Wie zum Hohn der Gefallenen wurden die beiden Kanonen gelöst, die am Abend vorher allein den tapfern Widerstand bezwingen und die letzte Zuflucht der italienischen Legion brechen konnten.

Aniella begriff, daß jeder Augenblick längern Verweilens sich einer nutzlosen Gefahr preisgeben hieß. Die Pflicht der Gattin endete an jenem steinernen Sarge, den rauchenden Trümmern der Mission, und die Erbschaft der Mutter begann.

Aniella warf noch einen Blick auf die Stätte des Ruhmes und des vermeintlichen Endes des geliebten Gatten, dann faßte sie den Zügel ihres Pferdes und führte es zurück in den Urwald.

Sie umging das Thal nach der Richtung, die sie den Pardo und den Neger hatte einschlagen sehen. Als sie in die Nähe der Stelle kam, wo die Quebrada mit dem Waldbach in das Thal mündete, kreuzte sie die noch frische Spur Bonplands und seiner Indianer. Nachdem sie dieselbe sorgfältig untersucht, schloß sie daraus, daß die Bewohner des Thals und der Mission sich durch die Flucht gerettet, und setzte ihren eigenen Weg, den Spuren des Pardos und La-Muertes folgend, nach Nordost in die Tiefe des Waldes fort.

Kaum fünfhundert Schritt zur Rechten, und sie hätte die breite Fährte gefunden, die der Rest der italienischen Legion auf seiner Flucht zurückgelassen, die deutliche Sprache der Einöde für das scharfe Auge der Rostreadora.

Ermüdet von den Anstrengungen des vorhergegangenen Tages und den überstandenen Gefahren der Nacht, konnte die junge Frau mit ihrem ebenso erschöpften Pferde nur langsam ihren Weg durch die Öde des Waldes verfolgen, der immer großartiger sich entfaltete.

Je weiter die kühne Reisende kam, desto stiller und majestätischer wurde der Urwald; schauerlich wilde Thäler, wo kühle ewige Dämmerung herrscht, wechselten mit tiefen Schluchten und ansehnlichen Höhen ab. Hier verblühten an den jetzt meist vertrockneten Wald-Corregos Waldbäche. unbekannte Prachtblumen, fern und unbewundert vom menschlichen Auge. Nur der einsame Tritt des jagenden Patacho, der des Äta und der Unze stören die stille Ruhe dieser abgeschiedenen Wildnisse.

Nach einer kurzen Rast für sich und das Pferd, das reiche Nahrung an Gras fand, während sie selbst Hunger und Durst mit Früchten und Wurzeln und dem klaren Trunk der Quelle stillte, setzte Aniella unerschrocken ihren Weg fort, in der Hoffnung, am andern Tage die Spur des Kindesräubers und seines Verfolgers wieder zu kreuzen. Sie hatte deren Richtung verlassen müssen, da sie gegen Mittag nach jener Seite hin die frischen Zeichen zweier großen Jaguars gefunden hatte.

So drang sie immer tiefer ein in die Öde des Waldes, und eine wie geschickte und kundige Jägerin sie auch in den Pampas und den niederen Regionen an der Küste des Meeres und des Amazonenstroms gewesen war, hier hörte ihre Erfahrung auf, und als die Nacht völlig hereinbrach, hatte sie jede feste Richtung verloren, da das dichte Blätterdach der Bäume kaum dem Mondstrahl einen Durchgang gestattete.

Sie beschloß daher, an der Stelle, wo sie war, zu übernachten, ohne zu wagen, in solcher Nähe der Mission ein Feuer anzuzünden.

Sie breitete ihr Lager von Farnkraut und Moos zwischen den seltsamen Wurzeln eines großen Barrigudo-Baumes. Fünf bis sechs Fuß hoch von der Erde entspringen aus seinem unten dünnen Stamm Leisten, die sich zu förmlichen Bohlen und Brettern an den Seiten platt zusammengedrückt gestalten und dann schräg in die Erde hinablaufen, wo sie die großen dicken Wurzeln dieser Bäume bilden, während über ihnen der Stamm in riesiger Dicke und Höhe sich erhebt. Dem Sinken der Sonne folgte schnell die Nacht. Eben noch war des Glockenvogels Ruf verhallt, der Papageien kreischendes Geschrei – und jetzt war alles totenstill! Dann begannen das schnurrende Murren des Nachtaffen, das Winseln und Pfeifen des Sagajou und plötzlich die entsetzlichen Laute des Brüllaffen, der, in ganzen Gesellschaften auf dem weiten Geäst eines Mahagonibaumes verteilt, in Pausen die grause Stimme erhob. Aus einem entfernten Sumpf mischte sich der dumpfe Schrei der Riesenkröte mit dem gedehnten Geheul des gefährlichen Chibi-Guazu, der gefleckten Wildkatze, dem grellen Katzengeschrei des Margay und dem grollenden Gebrüll des Jaguarette.

Aber selbst dies höllische Konzert und der Gedanke an alle Gefahren der Wildnis vermochte nicht, die Augen der erschöpften Frau auch nur Minuten länger offen zu halten, und indem sie ihre Seele und ihren Leib der Obhut dessen empfahl, der in der gewaltigen Einsamkeit des Urwalds herrscht, wie unter den Gewölben gotischer Dome, schlief sie ein, dicht an den Leib ihres treuen Pferdes gepreßt und allein von der Decke geschützt, die ein glücklicher Zufall noch an dessen Sattel hatte befestigt sein lassen, der ihr jetzt zum Kissen diente.

Die Sonne stand schon hoch über dem Horizont und ihre Strahlen brachen durch das gewaltige Blätterdach, als Aniella durch eine warme Berührung ihrer unter der Decke hervorragenden Hand und einen quiekenden Ton erweckt wurde. Die Augen aufschlagend erkannte sie durch die Falten der Decke, daß ein junges Pecari sich in ihrer Nähe befand, und den Nutzen des Fanges rasch einsehend, stieß sie dem Tier das Messer, das sie während des Schlafes zu ihrem Schutz nicht aus der Hand gelassen, in den Hals und sprang empor.

Der Silbergraue weidete einige Schritte weit von ihr das saftige Sabélé-Gras, und um sie her war nichts als die Einsamkeit des Waldes.

Das erste, was sie als notwendig erkannte, war, sich eine bessere Waffe gegen die Tiere der Wildnis herzustellen. Indem sie sich an den gefährlichen Speer ihres treuen schwarzen Haushofmeisters erinnerte, schnitt sie einen jungen Stamm von zähem festen Holz und etwa sechs bis sieben Fuß Länge ab, und befestigte an seiner Spitze das starke spanische Messer, das sie aus dem Zelt Don Estevans genommen, mit Riemen, die sie aus dem überflüssigen Lederzeug des Zaumes schnitt, und zähen Schlingpflanzen, so daß sie sich einen festen und starken Speer damit herstellte. Dann suchte sie zu ihrer eigenen Nahrung einige Waldfrüchte, weidete das junge Pecari aus, um es mitzunehmen, und sattelte den mit freudigem Wiehern herbeikommenden Grauen. Nachdem sie sich durch den Stand der Sonne einigermaßen orientiert, schwang sie sich auf und verfolgte mutig ihren Weg hinein in die Öde des Waldes.

Aber vergeblich war ihr Suchen nach der Spur des Mestizen und des Negers; sie vermochte kein Zeichen mehr davon zu entdecken, und der Tag verging in vergeblichen Nachforschungen, die sie nur immer tiefer in die Wildnis führten.

Am Abend zündete sie ein Feuer an einer verdeckten Stelle an und briet das mitgenommene Fleisch des Pecari, denn ihre Kräfte waren jetzt durch zweitägiges Fasten erschöpft.

Im Schutz des Feuers brachte sie die Nacht zu; der dritte und vierte Tag vergingen wie der zweite, und unbewußt war sie auf ihren Irrwegen wieder in die Nähe der Mission gekommen.

Dies war um so gefährlicher, als die Witterung der zahlreichen unbegrabenen Leichen eine Menge von Raubtieren in die Nähe des Schlachtfeldes gelockt hatte. Bereits im Laufe des Tages war sie zweimal auf solche gestoßen, die jedoch bei ihrem Anblick entflohen waren.

Der Abend sank nieder, als sie sich unfern der Quelle des Corrego fand, an der der Pardo mit ihrem Kinde die erste Nacht zugebracht hatte.

Aniella hatte trockenes Holz gesammelt, und ein Feuer im Schutz des Hügels angezündet. Der Rest des Fleisches war verzehrt, und das Haupt in die Hand gestützt, saß sie da und dachte des geliebten Toten und des verlorenen Kindes.

Plötzlich wurde sie durch die Unruhe des Pferdes erschreckt, das mit weit geöffneten Nüstern und gesträubter Mähne sich zitternd neben sie stellte und wild nach verschiedenen Seiten schnob, als wittere es einen gefährlichen Feind.

Zugleich ließ sich von einer Seite aus dem dunklen Waldkreise, der den Feuerschein begrenzte, ein leises klagendes Miauen hören; heiseres Gebrüll antwortete von der anderen Seite her.

Das mutige Herz der jungen Frau erbebte. Sie hatte diese Stimme des Waldes in den letzten Tagen schon oft gehört und erzitterte vor ihrer Bedeutung.

Es war der amerikanische Tiger, der Jaguar.

Sie warf in ihrer Angst neue Brände auf das Feuer und weithin leuchtete der Schein. Wer die Augen des Adlers gehabt und hoch wie dieser über den Wipfeln des Urwalds geschwebt hätte, würde gesehen haben, daß das Feuer der jungen Frau nicht das einzige war, was um diese Zeit und in dieser Gegend leuchtet. An drei Stellen, so weit von einander entfernt, daß eine Partei von der andern nichts wissen konnte, aber nahe genug, um sich leicht zu erreichen, brannten drei verschiedene Feuer und verkündeten die Anwesenheit dreier Gruppen.

Die lodernde Flamme, welche die Hand der jungen Frau nährte, schien jedoch diesmal ihre einschüchternde Wirkung nicht auf die gefährlichen Bewohner der Wildnis zu üben. Das Miauen und Brüllen der beiden Katzen scholl lauter und näher, und das Pferd sträubte sich, schlug aus und gebärdete sich wie rasend vor Furcht, obschon es seine Herrin wiederholt zu beruhigen und ihm zu schmeicheln suchte.

Die arme Frau wußte, daß der Verlust ihres Pferdes sie selbst verderben mußte. Sie band es daher an den Stamm eines nahen Baumes fest und machte sich bereit, mit ihrem eigenen Leben das des Tieres zu verteidigen, das sie aus den Wellen des Uruguay gerettet.

Sie legte einen Brand zurecht, um sich seiner im Augenblick der Gefahr zu bedienen, und faßte ihren Speer, die einzige Waffe, die sie besaß.

So mutig sie war und so manche Gefahr sie schon bestanden, der Gedanke an den Tod unter den Zähnen und Klauen wilder Bestien machte sie erbeben und verursachte ihr tiefes Grauen. Nur der Gedanke an ihr Kind gab ihr Kraft, der Gefahr die Stirn zu bieten.

Mehrere Male hatten die Tiere den Platz umkreist, ohne sich an den Schein des Feuers zu wagen, aber mit jedem Augenblick wurde ihr Geheul grimmiger, ihre Dreistigkeit größer. Sie mußten durch irgend einen Zufall von dem Leichenmahl verjagt oder sonst vom grimmen Hunger getrieben sein, sich so kühn in die Nähe der Menschen zu wagen. Sie hatten sich wieder getrennt und belauerten den Platz von entgegengesetzten Seiten. Plötzlich stieß das Männchen ein wütendes Gebrüll aus und sprang mit weitem Satz in den Lichtkreis.

Aniella hatte kaum Zeit, sich vor das Pferd auf ein Knie zu werfen und ihren Speer vorzustrecken, als der Sprung des Jaguars erfolgte.

In diesem schrecklichen Augenblick bewährte sich das sichere Auge und die feste Hand der Jägerin. Das scharfe Messer an der Spitze ihrer Lanze traf mitten auf die weißgelbe Brust des Raubtieres und durchbohrte sie. Aber obschon die Klinge bis an das Holz eindrang, war die Kraft des Sprunges doch so mächtig, daß der zähe Schaft der Lanze ihr aus der Hand gerissen und sie zu Boden geworfen wurde.

Das Pferd befreite sich mit gewaltigem Ruck von seinen Banden und galoppierte den Hügel hinab in die Finsternis des Waldes. Zugleich schlug mit dem wütenden Schnauben des verwundeten Jaguars, dessen Brust ein breiter Blutstrom entquoll, und der vergeblich sich von dem Eisen loszumachen strebte, ein wütendes Geheul nahe an ihre Ohren.

Sie erhob sich auf ihre Kniee und blickte nach der anderen Seite, von wo das zweite Geheul erscholl. Entsetzen! – Kaum zwanzig Fuß weit von ihr kauerte das Weibchen des Jaguars auf seinen Hintertatzen.

Und sie war ohne jede Waffe; sie wußte, daß es selbst vergeblich gewesen wäre, die Hand nach dem Feuerbrand zu strecken; denn in diesem Stadium der Wut konnte nichts mehr die sonstige Scheu der Bestie erregen, selbst wenn sie rasch genug ihn hätte ergreifen können.

Der Jaguar stieß einen kurzen Schrei aus und erhob sich zum Sprung – –

Aniella war verloren!

In diesem Augenblick hörte sie ein Schwirren dicht über ihrem Haupte, den ihr aus den Schlachten bekannten Ton, mit dem das Blei die Luft zerreißt, und den Knall einer Büchse, mit dem sich das Geheul des zurückfallenden Raubtiers mischte.

Aber bevor sie selbst noch den Gedanken einer unverhofften Rettung zu fassen vermochte, gellte ein Geheul, zehnfach wilder als das der erschossenen Bestie, in ihre Ohren; dunkle Gestalten sprangen vor ihren entsetzten Augen durch die Flammen, sie fühlte ihre Arme gefaßt und im Nu zusammengeschnürt, und eh' sie einen Laut von sich geben konnte, sich emporgehoben und unter gellendem Triumphgeschrei fortgetragen.

Als sie, halb wahnsinnig vor Angst und Abscheu, die Augen um sich warf, starrten ihre Blicke in die grimmigen, mit grellen Farben bemalten Gesichter indianischer Krieger, sie befand sich in den Händen der wilden Puelches!


Etwa eine halbe Legua von dem Hügel, aus dem Aniella ihr Lager aufgeschlagen, flammte unter einem riesigen Mahagonibaum ein stattliches, von trockenem Holz genährtes Feuer, an dem zwei gabelförmige Hölzer aufgesteckt waren. In ihnen drehte sich statt des Bratspießes ein eiserner Ladestock mit zwei fetten Hockohühnern und der Keule eines Pecari, während dicht daneben in eisernem Topf das Wasser zum duftigen Paraguaythee brodelte.

Eine zierliche, mit so großer Sorgfalt gearbeitete Menage von gediegenem Silber, daß alle Gegenstände zusammengepackt einen, zum Transport bequemen, überaus kleinen Raum einnahmen, stand ausgebreitet auf dem schwellenden Moosteppich, und der Anblick des Luxus civilisierten Lebens mitten in der Öde des wilden Urwalds machte einen eigentümlichen Eindruck.

Am Boden weiterhin lagen vier leichte Zeltstangen mit der vollständigen Decke eines Zeltes aus starkem, mit Gummi getränktem Zeug, eine Büchse und eine Doppelflinte mit schön geschnitztem Schaft und damaszierten Läufen, und ein Paar trefflich gearbeiteter Revolver, zu jener Zeit eine neuerfundene und in Amerika in Gebrauch gekommene Waffe. Desgleichen ein großer Packsattel mit einer Menge von Taschen, Etuis und Futteralen, wie sie der Komfort eines reichen und bequemen Reisenden auf den Heerstraßen des civilisierten Europa oder die sybaritische Verwöhnung eines englischen Nabobs in Calcutta oder Madras erfordert.

Drei starke stattliche Pferde, für raschen Lauf und Strapazen gleich geeignet, weideten unfern des Lagers im Bereich des Feuerscheins mit gekoppelten Beinen, so daß sie nicht zu entweichen vermochten.

Einen gleichen Kontrast, wie das üppige Gerät mit den Strapazen der Wildnis, bildete die Persönlichkeit der beiden Männer, welche hier ihr Lager aufgeschlagen.

An dem Feuer, den Bratspieß sorgfältig drehend und aus einer indianischen Thonpfeife rauchend, saß ein Mann von wahrhaft riesiger Statur. Er war mindestens sechs Fuß sechs Zoll hoch, und die Breite seiner Schultern, der Umfang seiner Arme und Schenkel entsprach dieser kolossalen Größe. Der Riese mochte etwa fünfundvierzig bis fünfzig Jahre zählen, und das schlichte blonde Haar, das seinen für die kolossalen Verhältnisse seiner Figur etwas kleinen Kopf allein bedeckte, während seine Biberfell-Mütze neben ihm lag, wie die großen grauen Augen, deren Blick ruhig und gleichgültig war, bewiesen seine nordische Herkunft.

Der Mann trug ein Jagdhemd von grünem, schmutzigem Kaliko, unter dem sich hier und da die nackte Brust zeigte, Beinkleider und Gamaschen von Hirschleder, ein Paar plumpe mir Nägeln beschlagene Schuhe und an einem derselben einen langen mexikanischen Sporn, mit dem er das arme Pferd, das ihn tragen mußte, oft genug zu stacheln genötigt war, wenn er nicht vorzog, zu Fuß zu gehen. In seiner linken Gamasche steckte ein großes Bowiemesser mit schwerem hölzernen Griff, mit Nägeln beschlagen. Die Jagdtasche mit dem daran befestigten Pulverhorn und Kugelbeutel lag neben ihm, und eine lange und schwere kanadische Büchse von kleinem Kaliber lehnte im Bereich seiner Hand an den Wurzeln des mächtigen Baumes.

Das Gesicht des Mannes, ursprünglich von weißem und zartem Teint, war von Sonne, Wind und Regen gebräunt und gefurcht. Es zeigte keinen hervorstechenden Zug vielmehr nur eine gewisse Gutmütigkeit und phlegmatische Gleichgültigkeit. Seine Stirn war breit und knochig und deutete mit dem viereckigen Kinn auf ruhigen Mut und zähe Ausdauer.

Es war ein Kanadier von Geburt und einer der seltsamen und unerschrockenen Helden der Einöden, der Rangers of the woods oder Waldgänger, welche in den Steppen der Felsgebirge von Texas und der Sonora die immer mehr verschwindenden Übergänge zwischen der europäischen Civilisation und der wilden Freiheit der Urstämme bilden.

Zwei oder drei Schritt von ihm hing eine Hängematte, von Kokosfasern geflochten, von einem weit ausstehenden Ast des knorrigen Mahagonibaumes herab, etwa drei oder vier Fuß über dem Boden. In ihr, bequem ausgestreckt und mit einer gewissen apathischen Abspannung dem Thun des Riesen zuschauend, lag ein anderer Mann, dessen Alter schwer zu bestimmen sein mochte, wenn man allein nach den schlaffen verlebten Zügen seines feinen und regelmäßig schönen Gesichts hätte schließen wollen. Dennoch war er höchstens achtundzwanzig bis dreißig Jahre, von zierlicher, fast mädchenhafter Gestalt, die jedoch ungeahnte Muskelkraft barg, und höchstens von Mittelgröße, so daß er sich, wenn die beiden neben einander standen, wie ein Knabe neben dem Riesen ausnahm. Er hatte trotz seiner Jugend spärliches rötlich blondes Haar, das jetzt von einer goldgestickten griechischen Mütze bedeckt war, und trug einen starken Backenbart nach englischer Form, unten stark und lang mit freiem Kinn. Seine Augen waren hellblau, gewöhnlich ohne allen Ausdruck und durch perennierendes Blinzeln noch mehr entstellt; sein Teint war fast krankhaft zart und nur durch die dunklen Schatten unter den Augen unterbrochen.

An diesem Manne fehlte nichts, um ihn selbst in der Wildnis des Urwalds zum fashionablen Stutzer des Londoner Yachtklubs oder der exklusivsten Coterie der Almaks zu machen. Er trug einen kurzen gesteppten Schlafrock von chinesischer Seide, durch eine Goldschnur um die Taille zusammengehalten. Beinkleider und Gilet entsprachen ziemlich der neuesten Mode; der von einer Rubinnadel zusammengehaltene Knoten des Halstuchs war so fashionabel geschlungen, daß sich Lord Palmerston selbst für keine Abendgesellschaft dessen geschämt haben würde.

Der seltsame Stutzer dehnte sich in der rekelhaften englischen Manier, entfernte mit der mit Lila-Glacées behandschuhten Hand die Havanna-Cigarre aus seinem Munde und gähnte laut und lange. Dann kniff er das Lorgnon in die linke Augenhöhle, wandte den Kopf nach dem Kanadier und betrachtete seine Zubereitungen.

»Felsenherz,« sagte er lispelnd und mit schnarrender Stimme.

»Sir!«

»Sind Sie bald fertig mit Ihrer Zubereitung? Fleurette hat Appetit; das arme Tierchen ist so erschreckt worden!«

Der Riese murmelte etwas, was nicht deutlich zu verstehen war, aber keineswegs wie eine Schmeichelei für Fleurette klang.

»Das arme Tier!« fuhr der Stutzer fort, indem er ein kleines Bologneserhündchen, das er an der Brust unter dem Schlafrock wärmte, liebkoste, »denken Sie nur, Felsenherz, wenn es bei seinem lieblichen Umherspringen von diesen Bestien, den Jaguars, gefressen worden wäre, die vorhin bei uns vorüber rannten.«

»Wie zum Teufel mögen Sie sich um den Hund ängstigen, Sir,« sagte ungeduldig der Riese, wo Sie selbst so nahe daran waren, gefressen zu werden.«

»Bah! das ging Sie an! Sie vergessen unseren Kontrakt!«

»Ich vergesse nichts, Sir, wofür ich mein Wort verpfändet habe,« erwiderte der Waldgänger, indem er den Bratspieß von seinen Gabeln hob und sich ziemlich plump anschickte, das kräftige Mahl der Wildnis auf der silbernen Schüssel zu servieren. »Aber wissen möcht' ich doch, warum Sie für das nutzlose Vieh solche Sorgfalt hegen?«

Der Engländer – denn ein solcher vom bizarresten Schlag war offenbar sein Herr oder Gefährte – küßte den kleinen Hund und setzte sich, nicht ohne Stöhnen über die Mühseligkeit, aufrecht in seiner Hängematte, indem er die Beine herabhängen ließ.

»Aber by Jove, Felsenherz, ich begreife Sie nicht, und Sie tragen Ihren Namen mit Recht. Denken Sie doch das arme liebe Tierchen zwischen den Zähnen dieser Jaguars! Der Gedanke daran macht mich schon übel.«

»Dann begreife ich nicht, Sir, wie es Ihnen Vergnügen machen kann, Menschen zu erschießen und sterben zu sehen!«

»O, die Aufregung, Felsenherz, die Aufregung. Überdies sind es ja nur Wilde. Sie wollen mir ja leider nicht gestatten, einen weißen Mann zu schießen, obschon das ganz gewiß weit interessanter wäre.«

»Ich glaube, daß dem roten Mann die Kugel und der Tod so weh thut, als einem weißen.«

»O, sagen Sie das nicht, Felsenherz,« lispelte der Brite, indem er zärtlich mit dem Hunde spielte. »Es muß ein großer Unterschied sein. Denken Sie sich, wenn ein Mann wie ich – nein, ich kann den Gedanken gar nicht denken! – wissen Sie, ein Mann wie Sie, obschon Sie von den kostbaren Genüssen des Lebens wenig genug wissen und nie bei Véfour gespeist haben, oder die Taglioni und Cerito tanzen sahen – also wenn Sie sterben müßten, so in voller Kraft und Gesundheit – denken Sie, Sie würden sich doch ganz anders sträuben, als so ein Wilder, der nichts hat als seinen – fi donc! räucherigen, unangenehm riechenden Wigwam!«

»Ich denke, ich bin ein Christ, Herr,« sagte der Waldgänger, »wenigstens hat mich's meine arme Mutter gelehrt, so viel es in ihren Kräften stand, und ich hoffe, ich werde meiner Farbe keine Schande machen, weder wenn mich Kugel oder Tomahawk im Gefecht treffen sollten, noch, wenn Gott es will, an ihrem verdammten Marterpfahl. Ich schieße das Gewürm nieder, wo mir's in den Weg tritt, aber ich thu's doch nur, um es unschädlich zu machen und meine arme Mutter und die kleinen blondhaarigen Mädchen zu rächen, die sie skalpierten, als ich noch ein Knabe war.«

» Damned! ich möchte gern einmal das Sterben eines Skalpierten sehen, aber Sie wollten immer Ihr Messer nicht brauchen, als wir damals mit den Comanchen oft genug Gelegenheit gehabt hätten. So ein Kerl muß merkwürdige Zuckungen machen, wenn ihm die Kopfhaut herunter ist, und dieser abscheuliche Tod kommt.«

Der Waldmann antwortete nicht, sondern reinigte seinen Ladestock, den er mit den Fingern aus dem gebratenen Fleisch gezogen, von den daran hängen gebliebenen Resten.

»O Felsenherz! die Gabel, die Gabel!« rief der Engländer, indem er einen Fuß langsam und vorsichtig auf den Boden setzte. »Sie haben noch viel zu sehr die schlechten Sitten der Wildnis! – Sagen Sie: wie viel Hirsche oder Büffel haben Sie wohl schon mit jener ungeschlachten Büchse dort erlegt?«

Der Waldgänger lachte. »Wie soll ich das wissen? es mag ihrer eine hübsche Anzahl sein!«

»Und empfinden Sie besonderes Vergnügen, wenn es Ihnen gelingt, einen guten Schuß anzubringen und das Wild niederzustrecken?«

»Gewiß, Sir, goddam! ich müßte kein echter Jäger sein, wenn das nicht der Fall wäre!«

»Nun wohl, lieber Freund! Sehen Sie, wie Sie Vergnügen dabei empfinden, wenn ein Hirsch, von Ihrer Kugel getroffen, in die Höhe springt, oder die kräftige Gestalt eines Büffels wankt und fällt, so empfinde ich jetzt denselben Genuß, wenn ein Mensch die Arme in die Luft wirft und allerlei Kapriolen schneidet, die ein unvernünftiges Tier gar nicht zu machen versteht, weil sein Gliederbau nicht so vollkommen ist, wie der unsere.«

» Schocking!« Abscheulich.

»Darüber, mein Bester, sind wir verschiedener Ansicht,« meinte der andere, indem er gleichmütig seinen zweiten Fuß auf die Erde stellte und Anstalt machte, die Hängematte zu verlassen. »Ein Hirsch ist so gut ein Geschöpf wie ein Mensch. Überdies ist der Tod ein wissenschaftliches Studium, welches das höchste Interesse für uns haben muß. Jeder Doktor in Europa bringt in seiner Ignoranz zehnmal mehr Menschen ums Leben, als ich für mein Vergnügen und zur Bereicherung meiner Betrachtungen über das abscheuliche Sterben thue, denn ich gestehe, ich fürchte mich selbst ganz außerordentlich davor und studiere es daher um so eifriger. Sagen Sie selbst, hat irgend ein anderer Mann, vom Großmogul oder Selbstherrscher aller Reußen bis zum schmutzigen Häuptling einer Bande Sioux herunter, mehr Recht, Menschen für Zänkereien oder aus Habsucht totschießen zu lassen, als ich es habe, alljährlich einige Dutzend armer Teufel statt der Hirsche oder Rehböcke zu meinem Vergnügen niederzuschießen? Aber by Jove, Mann! Ihr Braten duftet ganz vortrefflich, obgleich ihm die Trüffelfüllung fehlt, und Sie wissen, daß Sie nach unserem Kontrakt verpflichtet sind, täglich für drei Mahlzeiten für mich, Fleurette und die drei Pferde zu sorgen.«

Damit näherte er sich dem Feuer und betrachtete durch sein Lorgnon die Vorbereitungen zur Mahlzeit.

»Hier ist das Essen, Sir,« sagte kurz der Waldgänger. »Wenn Sie Hunger haben, langen Sie zu.« Er nahm eines der Hühner, zerriß es mit den Fingern, ohne sich die Mühe zu geben, das Messer anzuwenden, und begann seine Mahlzeit.

Der Engländer sah ihm erst mit prüdem Ekel, dann mit einem gewissen Neid zu. Endlich, da sich der andere durchaus nicht weiter um ihn bekümmerte, bequemte er sich, sich auf eine der Decken niederzulassen, schnitt mit größter Zierlichkeit einen Flügel des zweiten Huhns ab, schälte das Fleisch von den Knochen und fütterte damit das Hündchen, worauf er selbst den zweiten Flügel zu verspeisen begann.

»Es ist erstaunlich, Felsenherz,« sagte er, »was Sie für einen Appetit haben. Aber ich wiederhole Ihnen, Sie braten das Fleisch etwas zu viel. Fleurette liebt den Saft so sehr; das arme Tier hat ja nicht einmal Milch in dieser schändlichen Wüstenei. Bitte, holen Sie mir den Senf und bringen Sie meinen Becher mit.«

Der Riese stand gehorsam auf und holte aus einer Tasche die Senfbüchse und das Futteral mit dem Becher.

Dieser war von Gold; auf seiner Fläche war eines der ältesten und berühmtesten Wappen Englands graviert.

»Dies Indianerbrot ist wahrhaft abscheulich,« fuhr sein Gefährte fort, »man zerbricht sich die Zähne daran. Strapazen, Ärger, Anstrengung – nichts als Anstrengung in diesem verwünschten Lande!«

»Warum zum Teufel sind Sie dann hierher gekommen, Sir?«

»O, ich hörte so viel von dem Stoizismus Ihrer Wilden beim Sterben. Haben Sie Cooper gelesen und seinen letzten Mohikaner?«

»Gott sei Dank, ich kenne Ihre verdammten Buchstaben nicht und weiß nicht, was Sie mit dem letzten Mohikaner meinen. Der Stamm hat unter den Delawaren existiert, wie ich gehört, aber es ist schon lange her, daß er verschwunden ist.«

»Mit Uncas und Chingachgook, mein Lieber. Bitte gießen Sie mir etwas von Ihrem Paraguaythee in meinen Becher, er regt so sanft die Nerven auf! Also der Herr Cooper schildert so schön den Tod Ihrer Wilden; aber ich finde, er hat sehr übertrieben. Wissen Sie, Felsenherz, wie viele Löwen ich am Cap geschossen?«

»Nein, Sir!«

»Zehn, mein Lieber, und ich kann Sie versichern, es waren ganz andere Burschen, als Ihre Pumas. Es liegt etwas in dem Auge des Löwen, wenn man so mit der Büchse dabei steht, die ihm eben den Rest gegeben, und der stolze Bursche so unter den Mähnen hervor das Auge im letzten Zucken auf einen richtet. Aber sagte ich Ihnen, wie viel Tiger ich in Singapore schoß?«

»Jaguars, Sir?«

»Nein! wirkliche Tiger, nicht ihre Katzen. Fünfzehn Stück, mein Alter. Ich kann Sie versichern, es ist ein eigentümliches Gefühl, wenn der gestreifte Leib sich streckt, und das blutige Auge zum letztenmal auf den Feind rollt. Selbst der sanfte traurige Blick der wilden Elefanten erregt kein so angenehmes Prickeln, und ich erlegte ihrer doch über dreißig. Aber ich sage Ihnen, es ist alles nichts gegen einen geschossenen Menschen, wenn der Bursche halbwegs ein wenig Gefühl hat.«

Der Kanadier sah ihn mit einem finstern Blick von der Seite an und beschäftigte seine Kinnbacken eifrig mit dem Pecari-Braten, während der Engländer sorgsam ein Stück Brust des Huhns tranchierte. »Man wird der Löwen und Tiger und der Elefanten so müd', es ist immer dasselbe – nichts Aufregendes! Das einzige wahre Vergnügen, das ich hatte, war, als ich einmal so glücklich war, auf Borneo einen echten Orang zu töten; die Kapriolen, die der große Bursche schnitt, brachten mich zuerst auf den Gedanken, selbst Menschen zu schießen, obgleich ich ihrer genug schon vorher hatte sterben sehen, und zwar auf die verschiedenste Weise. Bitte, langen Sie mir den Jamaica herüber. Still, Fleurette, still, mein Hündchen – da, dieser beste Bissen ist für Dich, mein zärtliches Tierchen!«

Er goß sorgfältig einen Theelöffel voll Rum – keinen Tropfen mehr, keinen weniger, und schüttete ihn in den Becher.

»Wissen Sie, Felsenherz, es ist aber alles nichts gegen einen selbst gethanen Schuß. Ich sah einem Kerl in China den Leib aufschneiden und die Eingeweide herausnehmen, während er noch lebte. Es war interessant, aber wenig aufregend. Für den Burschen selbst mochte es vielleicht mehr sein! Die Wilden auf Neuseeland zerschmettern mit einem einzigen Schlage ihrer Keulen einen Kopf wie eine Nuß – was haben sie davon? es ist unsinnig! In Konstantinopel sah ich drei Arnauten, die ein bißchen gemordet, den Kopf abschneiden; ich hatte dem Bimbaschi fünfhundert Piaster gegeben, daß er mich neben sich stehen ließ – aber das Geld war wirklich fortgeworfen! Die Köpfe wurden so ruhig heruntergeschnitten, wie sich ein Kohlkopf abschneiden läßt!«

Der Waldgänger griff hastig bei der abscheulichen Beschreibung nach der Rumflasche und trank mit gewaltigen Zügen.

»Selbst diese vielgerühmten Thugs in Bengalen und dem Karnatie, so geübt sie sind, haben nur wenig Genuß von ihrem Handwerk. Sie töten nur, um zu vernichten, nicht um zu beobachten, ja, sie verhüllen sogar gewöhnlich das Gesicht ihres Opfers mit dem gefährlichen Tuch. Obschon das Erwürgen wenig fashionable ist, wollte ich mich doch unter sie aufnehmen lassen, und wandte mich an Faringhea, der damals in Cawnpoor saß. Aber der Schurke wollte nichts davon wissen, obgleich ich ihm all meinen Einfluß anbot, ihm vom General-Gouverneur seine Freiheit zu verschaffen, bloß weil ich das Unglück hatte, als Christ geboren zu sein.«

Man konnte nicht sagen, was empörender war, diese fast naive Gleichgültigkeit, mit welcher der Menschenjäger von fremdem Mord sprach, oder die abscheuliche Idiosynkrasie, die er selbst dafür zeigte. Selbst in der rohen, an Kampf und Blutvergießen gewöhnten Natur des Waldgängers sprachen diese Gefühle sich deutlich in der Weise aus, wie er weiter fortrückte.

»Diese Suttihs oder Witwenverbrennungen entziehen der Beobachtung gleichfalls gerade den interessantesten Augenblick. Die Schufte von Brahminen machen die armen Geschöpfe sogar ganz unempfindlich durch ihre Kampher-Präparate. Ich sah ein junges Weib von siebzehn Jahren so gleichgültig sich auf den Holzstoß setzen, als keiner Ihrer gerühmtesten Krieger am Marterpfahl stehen würde.«

»Wie, Kapitän,« sagte entrüstet der Kanadier, »und Sie konnten es ansehen, daß ein schwaches Weib wirklich verbrannt wurde? Das ist eine Teufelei, die selbst bei den Sioux nicht vorkommen würde!«

»O – ich mußte mich im Palankin fünfhundert englische Meilen weit tragen lassen, um einem solchen Fest beizuwohnen, denn die Regierung Ihrer Majestät fängt nachgerade an, selbst in Indien so alberne Humanitätsgrundsätze aufzustellen, daß das Volk in seinen interessantesten Sitten verkürzt wird!«

Der Kanadier murmelte etwas vor sich hin, was der Benennung »Schinderknecht« überaus ähnlich klang.

»Ich wiederhole Ihnen,« fuhr der Kapitän fort, »alle diese Todesarten kommen der Aufregung, die man bei einem guten Schuß empfindet, während man sich sicher weiß, nicht im entferntesten gleich. Ich machte den ersten Versuch in Australien bei einer Buschfahrt, und obgleich es nur ein roher Schwarzer war, mehr Vieh als Mensch, empfand ich doch so viele Aufregung, einen so angenehmen neuen Reiz dabei, daß mich aller Spleen, dem ich mich bereits hingegeben, völlig verließ, und es seitdem mir zur wahren Notwendigkeit geworden ist, mein Nervensystem von Zeit zu Zeit wieder dadurch anzuregen. Schon dieses Zielen auf ein mit Seele gleich uns begabtes Geschöpf, dieses Aufwerfen der Arme, wenn es die Kugel empfängt, dann dieses Umdrehen um sich selbst und Zusammenstürzen, und vor allem nachher die Beobachtung der Zuckungen und des Arbeitens der Gesichtsmuskeln, während das Auge immer starrer und starrer wird – es ist das Pikanteste, was man in dieser langweiligen Welt noch finden kann, und es ist nur traurig, daß Sie mir nicht erlauben wollen, Versuche mit Weißen anzustellen, die selbst in diesem Lande in der Kultur immer noch höher stehen, als jene nur halb empfindlichen Wilden, die in Wahrheit von Natur aus gegen das Sterben weit gleichgültiger sind!«

» Goddam! Sie mögen es auf Ihre Gefahr hin wagen,« sagte der Kanadier mit einem grimmigen Seitenblick und indem er bedeutsam nach seiner Büchse griff. »Dieser verfluchte Kontrakt spricht nur von Wilden!«

» A propos – von unserm Kontrakt, Felsenherz,« sagte, vollständig gleichgültig gegen die Drohung, der Kapitän. »Sie erinnern sich doch der Bedingungen?«

»Zum Teufel ja! Der Satan hat mich dazu verleitet! es ist demütigend genug, daß ich sie erfüllen mußte, wie ein Mann!«

»Nicht ganz, Felsenherz, nicht ganz! Sie erinnern sich wohl, wenn Sie darüber nachdenken!«

»Wie, Sir?« fragte der Riese wild. »Wagen Sie es, zu behaupten, daß Felsenherz sein Wort gebrochen hat?«

»O nicht doch, mein Lieber, ich möchte nur eine kleine Vergeßlichkeit andeuten.«

Felsenherz störte verlegen in dem Feuer, man konnte bemerken, daß es ihm unangenehm war, die Sache zur Sprache gebracht zu sehen, und daß er es so lange als möglich hinausschieben wollte.

»Hab' ich Sie nicht, allen Gefahren zum Trotz, sicher durch ganz Amerika von den Felsgebirgen bis hierher begleitet, und ist Ihnen ein Finger geritzt oder ein Haar gekrümmt worden von einem Feinde?«

»Nein, Felsenherz, das sage ich nicht. Sie haben im Gegenteil Ihr wertes Leben häufig allzusehr exponiert für meine Sicherheit. Sie haben den § 2 ganz vortrefflich erfüllt.«

»Nun, was wollen Sie noch? Hab' ich nicht für das, was Sie Ihre Bequemlichkeit nennen, gesorgt, als wäre ich eine indianische Squaw oder gar ein besorgtes Weib aus den Städten des Ostens? Goddam yous eyes! ich begreife in der That nicht, wie ein Mann, den ich in der Stunde der Not wie eine Eiche stehen und Strapazen und Hunger mit Gleichgültigkeit habe ertragen sehen, wie ein Affe sich an hundert weibische Dinge hängen kann!«

Der Kapitän lachte herzlich, indem er sich nach der Mahlzeit in einem mit Gold und Perlmutter ausgelegten Taschenspiegel beäugelte und seinen Backenbart kämmte. » By Jove, das verstehen Sie nicht, Felsenherz, das verstehen Sie nicht! Sie sind ein ganz vortrefflicher Kerl in Ihrer Art, aber Sie haben keinen Begriff vom Komfort.«

»Aber, Sir, wenn Sie sich so verweichlichen – sagen Sie mir, wie Sie zu anderen Zeiten Entbehrungen und Anstrengungen so leicht zu ertragen vermochten, die ein Mann wie ich kaum zu besiegen vermochte?«

In der That hatte der Dandy auf ihren abenteuerlichen Wanderungen davon wunderbare Proben abgelegt.

Der Menschenjäger lachte. » Damn! das macht das Blut! Haben Sie nie gehört, daß ein Pferd von echter Rasse, wenn es gilt, härtere Anstrengungen erträgt, als jedes Roß aus den Querenzias der Savannen? Ich bin durch die indische Thur gewandert, zehn Tage, ohne mehr als eine bittere Wurzel zur Nahrung und den Tau des Himmels zum Getränk, während selbst die eingeborenen Beludschen um mich her wie die Fliegen verschmachteten. Ich war am Bord eines Schiffs, das auf der Fahrt ums Kap die Nordwestwinde bis zur arktischen Region verschlagen hatten, und die Pumpen arbeiteten drei Tage und drei Nächte, und jeder Mann an ihnen für sein Leben. Und als wir das Wasser bewältigt, fehlte es uns an demselben, und hundertundzwanzig Mann, Weiber und Kinder, mußten vierzehn Tage lang ausharren, unter der brennenden Hitze des Tages und der Kälte der Nacht, jeder kaum täglich ein Weinglas voll der eklen schlammigen Flüssigkeit. Pah! – das ist es alles nicht, was ich meine, Mann. Sie wissen recht gut, worauf ich ziele.«

Felsenherz murmelte einige unverständliche Worte als Entgegnung.

»Erinnern Sie sich des Datums unsers Vertrages?«

»Der Teufel hole ihn! Es war der dreißigste März!«

»Und heute haben wir den neunundzwanzigsten.«

»Gott sei Dank! Ich will dem Teufel lieber dienen oder einer alten Siouxhexe, als Ihnen länger, Sir, und werde die Stunde segnen, die mich meiner Verpflichtungen enthebt.«

Dem Kapitän schien die Artigkeit höchst gleichgültig. Er zog sein Taschenbuch aus der Brust und blätterte darin. »Richtig! wir schlossen den Vertrag am dreißigsten März in Sanct Louis – in vierundzwanzig Stunden ist Ihr Jahr um, und ich schulde Ihnen hundert Pfund Sterling, zwei Fäßchen Pulver, Blei und jene Doppelflinte dort, nebst der Rückfahrt nach New-Orleans. Aber sollten Sie mir nicht selbst noch einiges schulden?«

Das Gesicht des Waldgängers verzog sich finster, und er murmelte etwas in den Bart, was der andere nicht verstand oder verstehen wollte. Der Kapitän blätterte in dem Buch.

»Am zehnten Mai bei dem Überfall in den Felsgebirgen drei Arapahoes erschossen. Ist es nicht so?«

Der Kanadier nickte.

»Drei Tage darauf jagte ich dem Cherokeesen, der mir das Rasierfutteral stahl und den Sie mir gebunden zurückbrachten, Felsenherz, die Kugel durch den Kopf.«

Der Führer warf ihm einen Blick zu, der seine Verachtung für die That zeigte.

»Macht vier. Nun kommt ein stattlicher Posten, als wir in Gesellschaft der Osagen, der schmutzigen Hunde, gegen die Creeks zogen. Ich erlegte fünfzehn aus dem Hinterhalt der Insel, eigentlich sechzehn, aber der Kerl, den ich mit dem Tomahawk niederschlug, zählt nicht, da unser Kontrakt dahin lautet, daß Sie sie mir zum Schuß bringen.«

Felsenherz starrte finster in das Feuer.

Der Kapitän blätterte weiter. »Am zehnten Juli zwei Mimbrennos; die Bursche sträubten sich anständig gegen den Tod, ich muß es gestehen – ich traf den einen unter der rechten Schulter und es dauerte lange, ehe er starb. Am Fünfzehnten auf der Flucht vor der Tejuas- und Apachen-Rotte fünf davon, während Sie mir den Rücken deckten. Es ist wahr, ich hatte verteufelt wenig davon, da ich im Galoppieren schoß und jedes Verweilen mir den Skalp hätte kosten können; aber Sie sind in Ihrem Recht und können sie zählen, denn ich habe leider vergessen, in dem § 5 hinzufügen, daß es mir darauf ankam, die Halunken sterben zu sehen. Also sechsundzwanzig!«

Die Stirn des Waldgängers zog sich immer finsterer, drohender zusammen.

»Nun kommt eine lange Pause,« fuhr der Engländer fort. »Es war, als ich in der Sierra Verde krank lag, in den Wigwams der Yamos. Der alte Häuptling war ein merkwürdiges Exemplar und oft auf dem Kriegspfade gewesen. Ich hätte ihn gern geschossen, aber es ging doch anständiger Weise nicht an. Sein Sohn, der ›Schnelle Pfeil‹, fiel in unserer Verteidigung gegen die Comanchen. Erinnern Sie sich dessen, Felsenherz?«

Der Ranger bedeckte das Gesicht mit den Händen; aus seiner breiten Brust drang es, wie Stöhnen. Es war eine der schmerzlichsten Erinnerungen dieses empörenden Vertrages, trotz seines allgemeinen Hasses gegen das rote Geschlecht, daß er einen jungen und tapfern Krieger hatte opfern müssen, um diesen Mann zu retten!

»Wir machten damals gute Geschäfte, Felsenherz. Sie töteten zwölf von diesen Comanchen, ich in drei Monaten einundzwanzig, ehe wir den Rio Grande hinunterfuhren und uns in Brownsville einschifften nach Venezuela. Seitdem ist es spärlich genug gegangen, drei von den häßlichen lehmfressenden Amorias; wir durchzogen ganz Bolivia und Paraguay, und diese sogenannten Llanos de Manso, die zahmen Indianer, hielten nicht ein einzigesmal Stich; zwei Cayapos in den brasilianischen Gebirgen – das war alles in vollen drei Monaten.«

»Die Rothäute des Südens,« sagte der Waldführer finster, »sind feig oder friedlich; sie haben uns nichts zu leide gethan.«

»Richtig, Felsenherz, und deshalb kamen wir den Uruguay herab, weil wir hörten, daß die Pampas-Indianer an den Kriegen dieser spanischen Narren und Meuchelmörder teil nehmen. Nun, da sind wir; aber nach unsrer Rechnung, Felsenherz, fehlen mir noch acht Schüsse zu den sechzigen, die ich innerhalb eines Jahres von Ihnen zu fordern hatte, und – morgen um Mittag läuft das Jahr ab!«

Der Kanadier hatte das Haupt in die Hand gestützt und starrte finster vor sich hin. Mit Gewalt riß er sich jetzt empor. »Sir,« sagte er, »kein Mann wird leugnen, daß Sie in Ihrem Recht sind, aber das ewige Wesen dort oben, das wir Gott, und das jene Rothäute den großen Geist nennen, möge mir vergeben, daß ich jenen höllischen Kontrakt mit Ihnen geschlossen habe. Als Sie mir den Vorschlag machten, glaubte ich einen Mann in Ihnen, der wie ich, schweres Unrecht an den roten Männern zu rächen hätte, und ich schlug in die Hand eines Kameraden, nicht in die eines Mörders. Gott hört uns beide, geben Sie mir mein Wort zurück und begnügen Sie sich mit den traurigen Thaten, die wir gethan, und ich will nichts von Ihrem Gold und Ihrem Reichtum!«

» By Jove, Felsenherz, Sie sind ein Narr,« lachte der Kapitän. »Machen Sie sich nicht albern mit Ihrem Gewissen, Sie, der schon hundert rote Männer zu Boden gestreckt hat! Der Kontrakt ist morgen zu Ende, aber ich werde kein Tor sein, daß ich Ihrer Skrupel wegen die beste Lust verliere. Wenn meine Büchse still liegen muß – very well – so ist's Ihre Sache, mein Wild mir nachzuliefern!«

Der Riese richtete sich stramm empor und griff nach seiner Büchse. »Wenn Sie denn durchaus darauf bestehen, so kommen Sie. Es ist wahr, ich hätte ein leichter Gewissen gehabt für die kommenden Jahre, aber mein Wort muß gehalten werden.«

Der Engländer sah ihn erstaunt an. »Wie? – jetzt? es ist Nacht, und es ist doch hier keine Gelegenheit zu unsrer Jagd?«

Der Waldgänger lächelte verächtlich. »Seit vierundzwanzig Stunden sind wir auf der Fährte eines Trupps von Puelches.«

Der Kapitän sprang, wie von einer Stahlfeder geschnellt, empor. »Wie? und Sie sagten mir nichts davon? – Wie viele sind ihrer?«

»Genug, Sir, um meine Schuld an Sie abzutragen, und zu wenig, um für Ihr kostbares Leben zu fürchten. – Teufel! was bedeutet das?« Das Echo eines entfernten Schusses hatte den Ausruf veranlaßt, zugleich hörte man in den Gebüschen ein Geräusch, wie das Durchbrechen eines großen Tieres – dann ein Wiehern, dem die Pferde der beiden, die Ohren spitzend, antworteten. Der Kanadier hatte seine große Büchse schußbereit in der Hand, auch der Engländer seine Doppelflinte aufgenommen, als ein silbergraues Pferd zwischen den hohen Stämmen des Waldes wild daher galoppierte und sich wie aus Instinkt der Stelle näherte, wo das Feuer und die Nähe der Menschen ihm Schutz versprach.

Der Waldgänger hatte sofort seine schwere Büchse fallen lassen, war mit einer Schnelligkeit, die bei seinem kolossalen Gliederbau überraschte, dem fremden Pferde in den Weg gesprungen und hatte es an dem schleifenden, zerrissenen Zügel erfaßt. Er versuchte, es zu beruhigen, führte es zu den anderen Pferden und untersuchte seine Zäumung und den lose von dem Rücken hängenden und niedergerutschten Sattel auf das Sorgfältigste. Dann, nachdem er ihm die Vorderbeine gleich den anderen Pferden gekoppelt hatte, wandte er sich zu seinem Begleiter. Sein Gesicht drückte Freude und Befriedigung aus, und seine Augen leuchteten vor Kampflust.

»Machen Sie sich fertig, Kapitän! wir werden eine ehrliche Verfolgung und einen gerechten Kampf haben, keinen Mord. Dieses Pferd gehört einem Weißen; es müssen weiße Männer in der Nähe sein, von welcher Partei, ist gleichgültig, und wahrscheinlich von den Rothäuten überfallen. Lassen Sie uns aufbrechen, so rasch als möglich.«

Den Engländer schien eine gewaltige Schüchternheit zu überkommen, seine Bewegungen waren zaudernd, unschlüssig. »Aber die Gefahr?« sagte er endlich; »wir könnten in einen Hinterhalt fallen und unser eigenes Leben verlieren!«

Der Riese sah ihn mit Verachtung an. »Bah! es sind ihrer nur zwölf! für was bin ich da? – aber wenn Sie Furcht haben, so bleiben Sie hier, ich werde allein gehen, denn vielleicht können wir noch einem oder dem anderen Christenmenschen helfen gegen diese roten Teufel!«

»Furcht? – o nein,« sagte rasch der Kapitän, indem er seine Büchse aufnahm; »ich war nur besorgt, und Sie wissen, Felsenherz, daß Sie mir noch acht Schüsse schulden. Nehmen wir die Pferde?«

»Es ist unnötig und gefährlich in der Nacht; sie müssen Zurückbleiben, bis wir Näheres wissen. Sie sind sicher hier – es sind ihrer vier, und kein Raubtier wird sich demnach an ihre Hufe wagen. Die Natur lehrt sie, sich vereint zu verteidigen.«

Er hatte, während er sprach, das Geschirr schnell zusammengerafft und mit einer der Decken bedeckt. Dann belud er sich mit dem Schießbedarf für beide und nahm seine schwere Büchse und die seines Gefährten auf.

»Aber was thu' ich mit Fleurette?«

»Zum Teufel mit dem Vieh! Stecken Sie es in eine Schachtel; ich habe nicht Lust, noch einmal durch sein Gekläff mir eine Büchsenkugel durch die Mütze zuzuziehen, wie am Rio Grande.«

»O, Felsenherz! was sind Sie grausam und unbillig gegen das liebe Tier! Aber Ihr Rat ist in der That gut; ich werde Fleurette in das Küchenfutteral stecken und ihr Luft lassen. Aber warten Sie und lassen Sie mich nicht allein nachlaufen. Ich möchte um alles in der Welt keine hundert Schritte allein in dieser Wildnis thun!«

Und dennoch, nachdem er sich einmal auf dem Wege befand, zeigte der Zärtling eine Ausdauer und Eile, vorwärts zu kommen, die von der Vorsicht seines Führers mehrmals zurückgehalten werden mußte. Indem sie der Richtung folgten, aus welcher der Graue gekommen, erblickten sie nach dem Marsch von zehn Minuten über dem hügeligen, häufig mit Unterholz bedeckten Boden den fernen Schein eines Feuers. Die schwere, nie fehlende Büchse schußfertig im Arm, schlich der Kanadier näher, hinter ihm drein der Kapitän mit gleicher Vorsicht. Aber nachdem sie eine Zeitlang aus dem dichten Busch die Stelle beobachtet hatten, wo das Feuer noch immer brannte, überzeugten sie sich, daß kein menschliches Wesen in der Nähe war, und betraten den freien Platz.

Der Waldgänger ließ seinen Begleiter unter dem Hügel Halt machen und prüfte sorgfältig alle Spuren. Das Feuer war auseinander geworfen, Spuren von den Füßen mehrerer Menschen in der Nähe so wirr durcheinander, als habe ein Kampf stattgefunden; an einem dünnen Stamm hing der abgerissene Zügel des Pferdes, auf der einen Seite des Feuers lag ein toter Jaguar, eine Lanze in der Brust, auf der andern das Weibchen, durch den Kopf geschossen. Spuren von Tritten, dicht zusammengedrängt, führten nach entgegengesetzter Seite in den Wald.

Nachdem Felsenherz lange und sorgsam alle diese Zeichen betrachtet und den Speer aus der Leiche des Jaguars entfernt hatte, kehrte er zu dem Engländer zurück.

»Es ist ein seltsamer Umstand vorhanden,« sagte er, »der jeden sichern Schluß erschwert. Ein Weißer hat hier gelagert, er ist zu Pferde gekommen, und der Graue, den wir gefangen, war dies Pferd. Aber seine Fußspuren sind so klein, daß sie eher einem Kinde, als einem Manne anzugehören scheinen. Dann hat ein Kampf stattgefunden mit zwei Jaguars und fünf Indianern. Einen der Jaguars hat der Weiße getötet, denn das Messer, das ich in seiner Brust fand, gehört offenbar einem Weißen, und der Stoß ist mit großer Kraft und sicherer Hand geführt worden, was wiederum nicht mit den Kinderspuren zusammenpaßt. Aber ich finde nirgends eine Spur von der Leiche des weißen Knaben; also müssen sie ihn als Gefangenen mit sich fortgeführt haben, und wir können ihn vielleicht befreien oder wenigstens rächen.«

Sein Gesicht hatte bei dem Gedanken einen drohenden Ausdruck angenommen und er schwang die schwere Büchse wie eine Weidenrute durch die Luft.

»So ist's recht, Felsenherz,« sagte der Kapitän; »ich hoffe, Sie werden aber daran denken, daß ich meine bestimmte Zahl haben muß!«

»Seien Sie unbesorgt, Sir! es werden schon immer einige noch für mich übrig bleiben. Aber nun vorwärts, Sir, da ihre Spuren noch warm sind, und bevor die Schurken vielleicht noch mehr Unheil anzetteln.«

Er schritt eilig in der Richtung, welche die Spuren zeigten, davon, der englische Kapitän folgte ihm auf dem Fuße.

Die Nacht erschwerte allerdings die Verfolgung der Zeichen, aber der jetzt aufgegangene Mond beleuchtete von Raum zu Raum die freien Plätze des Waldes, über die ihr Weg führte, und dort fand der Waldgänger die weiteren Spuren der geraden Richtung, die er verfolgte.

Sie hatten etwa eine Viertelstunde lang diesen Weg fortgesetzt, als Felsenherz plötzlich still stand und die Hand auf den Arm seines Gefährten legte.

»Sehen Sie, Kapitän, den Schein? Wir sind am Ziel!«

In der That leuchtete in einiger Entfernung durch die hohen Stämme der Bäume ein matter roter Schein.

»Ich sehe das Licht,« flüsterte der Engländer, indem er sein Gewehr fertig machte, »aber ich kann nicht begreifen, wo die Indianer sein können!«

Der erfahrene Waldgänger lachte still vor sich hin. »Die Sache ist sehr klar: die Schurken lagern in einer der Quebradas. Lassen Sie uns mit aller Vorsicht näher gehen für den Fall, daß sie Wachen ausgestellt haben, und überlassen Sie mir dann das Nötige.«

Behutsam schlichen beide vorwärts, der Waldgänger voran, aber nirgends zeigte sich die Spur einer Schildwacht – die Indianer glaubten sich vollkommen sicher.

Auf diese Weise gelang es Felsenherz und dem Engländer, bis an den steil abfallenden Rand der Waldschlucht vorzudringen. Der Anblick, der sich ihnen, die das dichte Gebüsch vollkommen verbarg, bot, war allerdings geeignet, ihre Nerven zu erschüttern und ihre Teilnahme zu erregen.

Die Quebrada zog sich tief und steil unter einem Hügel hinab und mündete weiterhin in eine größere thalartige Öffnung, in der ein Waldbach seinen Lauf nahm. Die Schlucht war etwa fünfzig Schritt breit und der Rand von hohen Waldbäumen überragt, das Versteck für das Nachtlager also mit all der Vorsicht gewählt, welche die Indianer gewöhnlich anzuwenden pflegen.

Dennoch war von diesen ein wichtiger Punkt außer Acht, oder vielmehr infolge der Tragödie im Innern der Schlucht vernachlässigt worden. Die Pferde der kleinen Bande befanden sich, ziemlich entfernt von deren Lagerplatz, zusammengekoppelt, aber ohne Aufsicht am Ausgang der Quebrada.

An ihrem entgegengesetzten Ende, dicht unter dem Hügelsturz, brannte ein großes Feuer in der Nähe eines jungen Acajoubaumes. Zwölf Indianer, deren Malerei in weißer und roter Farbe und deren Aufputz mit den Wolfsschwänzen an ihrem Gürtel, ebenso wie ihre Bewaffnung sogleich erkennen ließ, daß sie sich auf dem Kriegspfade befanden, waren mit verschiedenen schlimmen Vorbereitungen beschäftigt. Die einen prüften die Schneide ihres Tomahawk oder die Schärfe ihrer Messer, andere, die sich im Besitz schlechter spanischer Karabiner befanden, untersuchten diese oder erprobten die Schnellkraft ihrer Bogensehnen, und zwei oder drei machten die eisernen Spitzen ihrer langen Lanzen im Feuer glühend.

Die Bande bestand, wie der Waldgänger richtig vermutet hatte, aus Puelches von den Scharen Urquizas, und war von einem jungen Krieger geführt, der zum erstenmal den Schmuck eines Häuptlings, die Adlerfedern, in der Skalplocke seines Hauptes trug; es war Taloga-Teh, die »Lauernde Schlange«, ein Sohn des Schwarzen Raben, durch Bosheit, List und Grausamkeit selbst bei seinem Stamme gefürchtet und verabscheut.

Am Tage nach der Einäscherung der Mission hatten die umherstreifenden Indianerbanden die breiten Spuren der unter Führung des Kommodore entkommenen Schar entdeckt, aber erst nach längerer Nachforschung auch den Ausgang des unterirdischen Ganges unter dem Wasserfall durch die von Mato-Topah niedergeschnittene Buschwand gefunden. Die Wut Urquizas, als er sah, daß auf diese Weise ihm wahrscheinlich der größte Teil der gehaßten Feinde entgangen, war unbeschreiblich, und er sandte sofort Späher und Abteilungen aus, sie zu verfolgen. Da die Entdeckung jedoch erst am Nachmittag geschehen war, und die Verfolgung im Urwald nicht mit Anwendung aller Schnelligkeit der Pferde geschehen konnte, war der Vorsprung der italienischen Legion zu bedeutend, um die Fortsetzung ihrer Flucht wirksam hindern zu können, und die ausgesandten Trupps kehrten schon am zweiten Tage zurück, ohne mehr ausgerichtet zu haben, als erfolglose und mit Verlust zurückgeschlagene Scharmützel mit dem Nachtrab der tapfern Schar.

Überdies ist der Waldkrieg nicht die Sache der Indianerstämme der Pampas, die nicht an die Gefechte und Wanderungen zu Fuß gewöhnt sind, und deren halbes Leben der Sattel, deren Kraft und Erfolg das Pferd ist.

Während Urquiza bereits über den Uruguay zur Belagerung Concordias zurückgegangen war, die Banden der Indianer aber noch diesseits und jenseits des Flusses umherschwärmten, entdeckte eine derselben in der Nähe der válle de páz die Anwesenheit Mato-Topahs, der mit großer List sich in das Lager der Föderalisten geschlichen und dort die Flucht und den wahrscheinlichen Tod Aniellas in dem Strom erfahren hatte, worauf er alsbald nach dem anderen Ufer zurückkehrte. Eine geheime Ahnung sagte ihm, daß die schöne Weiße den Gefahren des Wassers glücklich entkommen sei, und daß er am ersten Aussicht habe, sie in der Nähe des Missionsthales wiederzufinden, wo sie sich gewiß versteckt, um Auskunft über das Schicksal ihres Gatten und der Seinen zu erforschen. Indem er sein Gesicht und seine Brust mit den Kriegsfarben seiner Feinde bemalte, wagte er sich in ihr Lager, um Kundschaft zu sammeln, ob man die Spuren der jungen Frau entdeckt oder sie selbst wieder gefangen genommen, und ob es dem »Weißen Adler« und seinen Freunden gelungen sei, sich glücklich zurückzuziehen.

Bei dieser Gelegenheit wurde seine Anwesenheit durch einen unglücklichen Zufall verraten. Es war bekannt unter den Puelches, daß ihr berühmter Kazike durch ein Weib der Weißen und einen jungen fremden Indianer getötet worden, und nur durch seine vollständige Ortskenntnis, und indem er alle seine Waffen, mit Ausnahme seines Beils, auf der eiligen Flucht verlor, gelang es Mato-Topah, der Wut und Rache der Wilden zu entkommen und sich in den Urwald zu flüchten, dessen Verstecke und Geheimnisse ihm wohl bekannt waren und ihn vor seinen Verfolgern schützten.

Die schlimmste Bande derselben, die Talogas oder der »Lauernden Schlange«, war eben auf dem Rückweg nach dem Uruguay begriffen, nachdem sie, so weit es für die Pferde möglich, vorgedrungen war, als sie auf die unglückliche Gattin des Kommodore stieß, die ihr Irrweg bis auf etwa drei oder vier Leguas in die Nähe der Mission zurückgeführt hatte. Während die Bande in der Schlucht ihr Feuer anzündete und das Nachtlager bereitete, hatte Taloga mit einigen seiner Männer die Nachbarschaft durchstreift, das unvorsichtig an offener Stelle flammende Feuer der Montevideerin bemerkt und war gerade zur rechten Zeit herbeigekommen, um durch seinen Schuß ihr Leben vor den Zähnen des Jaguars zu retten und sie einem noch schrecklicheren Schicksal aufzubewahren.

Der junge Wilde mochte etwa vier bis fünf Jahre mehr zählen, als Mato-Topah, und war von gedrungener Gestalt, unter Mittelgröße. Sein Kopf hatte auffallend viele Ähnlichkeit mit der platten Bildung des Tieres, von dem er seinen Namen führte, und die scheußliche Malerei seines Gesichts schien absichtlich diese Täuschung noch zu vermehren. Er trug auf seinem sonst nackten Oberkörper die blaue, mit goldenen Tressen geschmückte Uniformjacke eines der Offiziere der Unitarier, die er nach dem Gefecht der Leiche abgezogen, und um den rasierten Kopf die Schärpe mit den italienischen Farben geschlungen, so daß die Enden hinten lang herunterhingen und mit den drei oder vier Wolfsschwänzen umherflogen, die als Zeichen eines Kriegers hinten vom Gürtel und seinen mit Federn und Haaren benähten Beinkleidern von Wildleder bis über die Mokassins niederfielen. Der Indianer war mit Messer und Tomahawk bewaffnet und führte die Flinte Mato-Topahs in seiner Hand. In ähnlichem, bunten und in seiner grotesken Zusammensetzung abscheulichen Kostüm befanden sich seine Begleiter.

Taloga schien in großer Aufregung; die Grimassen und Bewegungen, die er machte, zeigten wilde und leidenschaftliche Drohungen, und die Züge seines scheußlichen Gesichts waren so abschreckend, der Ausdruck seiner kleinen funkelnden Augen so furchtbar und blutdurstig, daß ein starker, dem Tode mit Mut auf den Schlachtfeldern Trotz bietender Mann davor hätte erbeben können.

Vor ihm, an den Stamm des Baumes gebunden, stand die junge Frau des Kommodore, und ihre Augen verfolgten mit Entsetzen die Vorbereitungen zu einer schrecklichen Marter, welche die Wilden trafen. Die spanische Jacke und das Hemd waren von ihren Schultern gerissen, und der entblößte Oberkörper, die volle weiße Brust des armen Weibes schien mit jedem Moment die rote Todeswunde zu erwarten, während das dunkle Haar wirr und fessellos um das bleiche, schöne Gesicht hing.

Die Ärmste wußte, daß jede Bitte bei den grausamen Wilden verlorener Hauch war, und suchte alle ihre Kräfte zu sammeln, um dem unvermeidlichen Tode mit jenem Mute zu begegnen, der allein auf die Indianer Eindruck zu machen imstande ist. Taloga hatte mit seinen Gefährten beschlossen, die weiße Frau, die man als diejenige wiedererkannt, bei deren Bedrohung der »Schwarze Rabe« gefallen war, ihrer Rache zu opfern, da sie wohl wußten, daß, wenn sie dieselbe als Gefangene in das Lager brächten, sie ihnen von Urquiza oder Estevan als willkommene Beute wieder abgenommen werden würde. Aber man hatte mit jener empörenden Grausamkeit, welche die wilden Krieger der Pampas wie der Prairien und Savannen auszeichnet, verabredet, die junge Frau vor ihrem Tode den Martern zu unterwerfen, da sie glaubten, sie wisse um die Verstecke Mato-Topahs und könne ihn in ihre Hände liefern.

Aniella verstand nur einzelne Worte und Ausrufungen von der Sprache der Indianer, und als Taloga ihr in schlechtem Spanisch die Frage nach dem jungen Aroge vorlegte und die schrecklichsten Drohungen gegen sie ausstieß, wenn sie seinen Aufenthalt nicht verraten werde, begnügte sie sich, keine Antwort zu geben, denn sie wußte, daß jede Beteuerung ihrer Unkenntnis nutzlos sein werde.

Die »Lauernde Schlange« malte ihr eben in gräßlichen Bildern die Martern aus, die alsbald beginnen sollten, und schwang den Tomahawk so dicht vor ihren Augen, daß die scharfe Schneide jeden Augenblick sie zu verletzen drohte, als Felsenherz mit dem Kapitän auf dem hohen Rand der Schlucht erschien und die wilde Scene erblickte.

» By Jove!« flüsterte der Engländer, »da haben Sie die Erklärung Ihrer Skrupel über die Spuren, Felsenherz; es ist ein Weib, und ein weißes dazu, und wenn mich mein Augenglas nicht trügt, sogar ziemlich jung und hübsch. Lassen Sie mich sehen!«

Er zog ein Opernglas aus der Tasche, öffnete das Futteral und richtete das Glas auf die Unglückliche.

»Gott verdamm' Ihre Augen, Sir,« murmelte der Waldläufer, indem er seine schwere Büchse spannte. »Sehen Sie nicht, daß die roten Schurken die Unglückliche martern wollen, und daß wir keinen Augenblick zu verlieren haben, um ihr zu Hilfe zu kommen?«

»Aber mein Bester,« sagte der Brite in gleichem Ton, und indem er die Waffe des andern niederdrückte, »das ist eben eine Sache, die ich noch keineswegs beabsichtige. Ich sah nie in meinem Leben ein Weib zu Tode martern, denn die Anwendung des ›Kittie‹ und des ›Zimmermannskäfers‹ Vergleiche Retcliffes Roman »Nena Sahib«, II. Teil. bei den indischen Weibern ist wohl schmerzlich, aber doch nicht absolut tödlich. Eine so vortreffliche Gelegenheit dürfte ich nie wieder haben – dieses vortreffliche Glas wird mir bei dem Licht des Feuers jede Miene des hübschen Geschöpfes zeigen. Schade nur, daß wir nicht auch ihre Reden verstehen können. Mit den Indianern können wir nachher fertig werden, wenn alles vorüber ist, und wissen Sie, Felsenherz, ich erlasse Ihnen zwei Schüsse, wenn Sie das Schauspiel dort unten nicht voreilig stören wollen.«

Der Alte stieß eine bittere Verwünschung statt jeder Antwort aus.

»Nun, wenn Sie denn nicht wollen,« meinte ärgerlich der Kapitän, »so lassen Sie mich wenigstens den ersten Schuß auf die junge Frau thun, damit der Kerl sie da mit seiner Axt nicht länger ängstigt. Ich werde sie dicht unter der linken Brust nehmen, damit sie nicht lange zu leiden hat.«

»Ich schlage Ihnen den Schädel ein, wenn Sie dem Weibe ein Haar krümmen, und möchten die Schurken mich nachher auch skalpieren,« drohte der Jäger, indem er mit finsterm entschlossenem Blick den schweren Kolben seiner Büchse hob.

» Damned! Felsenherz, Sie tyrannisieren mich wirklich! Aber wenn Sie in der That so läppisch eigensinnig sind, so lassen Sie uns beginnen, denn der Bursche dort unten in dem Hanswurst-Kostüm gebärdet sich immer wilder, und ich gebe keinen Sixpence für das Leben des Weibes!«

»Fürchten Sie nichts! noch ist es nicht so weit, und ich werde zur rechten Zeit da sein! Ein Indianer – ob in den Pampas oder an den Rocky-Mountains, ihre Natur bleibt sich gleich – wird sich nicht leicht um den Genuß langsamer Qualen seines Feindes bringen, wenn er Zeit dazu hat. Aber sagen Sie mir offen, Sir, haben Sie den Mut, hier allein zu bleiben, um das ganze Gewürm zu vernichten, das eine Frau zu martern wagt?«

»Bah – was den Mut betrifft! Aber es ist langweilig, so allein zu sein, und das Laden der Gewehre ist so mühsam! Überdies verpflichtet Sie der Kontrakt, für meine Sicherheit zu sorgen!«

»Es soll Ihnen kein Haar gekrümmt werden, Sir, so weit ein Mensch das verhindern kann. Sie haben die Büchse und die Doppelflinte, also drei Schüsse – überdies die Puffer da mit zehn Kugeln in ihren Läufen, die freilich nicht viel taugen; aber ich sah Sie doch zwei Osagen damit erschießen, die Ihnen zu nahe kamen. Sie sollen die acht Schuß haben, die ich Ihnen schuldig bin; überdies sind Sie hier auf der steilen Seite der Schlucht und können mit Bequemlichkeit jeden niederschießen, der es wagt, hier herauf zu klimmen. Aber kurz und gut, entschließen Sie sich, denn das Gewürm macht wahrhaftig Anstalt, mit der Feuermarter zu beginnen! Geben Sie mir zwei Stücke von dem Schwamm, mit dem Sie Ihre Cigarren gewöhnlich anzünden!«

»Nun, wenn Sie meinen, Felsenherz,« sagte gähnend der Engländer, indem er ihm die Patentschwämmchen aus seiner Cigarrentasche reichte, »ich will Sie an Ihrem Operationsplan nicht hindern. Aber die Feuermarter, wie Sie die Sache nennen, könnten Sie mich doch sehen lassen!«

Der Waldläufer hielt es nicht der Mühe wert, ihm auf diesen menschenfreundlichen Vorschlag zu antworten, und nachdem er seinem Gefährten anempfohlen, nicht eher zu schießen, als bis er den Knall seiner eigenen Büchse gehört, und dann sich zu begnügen, den Ausgang der Schlucht zu bestreichen und die Flucht dorthin mit seinen Kugeln zu verhindern, verließ er ihn so geräuschlos, daß der Kapitän seine Entfernung nicht eher bemerkte, als bis er ihn, umschauend, nicht mehr an seiner Seite fand.

Felsenherz glitt, trotz seines kolossalen Körpers und seiner Schwere, in gebückter Haltung, leicht wie eine Schlange durch das Buschwerk und Unterholz am Rande der Schlucht entlang, nicht mehr Geräusch machend, als ein Eichhörnchen, das durch die Zweige sich schwingt, und erreichte in Zeit von etwa fünf Minuten die Stelle, wo die Pferde der Puelches nach der gewöhnlichen Manier der Pampas angepflockt waren, indem der Lasso um ihren Hals geschlungen und das Ende desselben in die Erde vergraben und festgestampft wird. Hier warf sich der Kanadier flach auf den Boden, und nachdem er sich nochmals überzeugt, daß keine Wache dabei war, kroch er bis zu der Stelle, wo die Enden der langen Lassos in eine gemeinschaftliche Grube festgemacht waren. Die Pferde, die eine langen Tagemarsch gemacht und reichlich geweidet hatten, lagen auf dem Grase, und der Waldläufer war zu sehr mit der Natur der Tiere vertraut, um sie durch allzu rasche Annäherung scheu zu machen.

Nachdem er daher, ohne mehr als ein gelegentliches Aufschnauben und Wälzen dieses oder jenes Pferdes veranlaßt zu haben, bis zu jener Stelle gekommen war, lockerte er mit seinem Messer die festgetretene Erde, so daß die Enden der Leinen nur lose lagen, und zog sich dann in gleicher Weise aus dem Kreise der Tiere zurück. Dann ließ er die beiden Schwämmchen, die er sich von seinem Gefährten hatte geben lassen, sprühen, hüllte jedes in zwei frische Blätter und steckte das eine in die Nüstern, das andere unter den Schweif der beiden nächsten Pferde. Sobald dies geschehen, setzte er vorsichtig seinen Weg fort und gelangte auf diese Weise unentdeckt an die andere Seite der Schlucht, wo er, ungefähr seinem Gefährten gegenüber, im Rücken der bedrohten Gefangenen sich das für sein Vorhaben geeignete Versteck aussuchte.

Unterdes hatten die Indianer ihre Vorbereitungen zu der Marter beendet. Auf ein Zeichen Talogas kamen alle Mitglieder der Bande herbei, stellten sich in einen Halbkreis um die Gefangene, und indem sie ihre Messer, Tomahawks und Speere schwangen, begannen sie ein wildes Geschrei, vor dem die zarten Nerven des Engländers erbebten.

Aniella begriff, daß der Augenblick ihres Todes gekommen; sie wandte ihre Seele zu Gott, um Kraft und Ergebung zu bitten.

Die »Lauernde Schlange« hob die Hand und augenblicklich schwieg das gellende Geheul der Puelches.

»Die Tapferen der Pampas,« sagte er giftig, »haben hundert Mittel, die Zunge ihrer Feinde zu lösen. Meine Männer verlangen zu wissen, wo dieser Feigling von Aroge geblieben? – Will die weiße Frau ihren Mund öffnen, es freiwillig zu sagen?«

»– – Du bist voll der Gnaden – der Herr ist mit Dir!« betete die Gefangene.

»Ich will Deine Zunge ausreißen und sie den Hunden vorwerfen,« tobte der Wilde. »Die roten Männer werden der Mutter der weißen Teufel das Fleisch von den Gliedern brennen!«

»Heilige Mutter Gottes, bitte für uns Sünder in der Stunde des Todes – Amen!«

Taloga stieß einen Schrei der Wut aus. »Mögen meine Tapferen die Marter beginnen! Das Geschrei der weißen Hündin soll Wollust sein für die Ohren der roten Krieger!«

Er trat mit der nachgeahmten Würde eines Häuptlings zurück, und die zwei Jüngsten der Horde schritten sogleich vor, Feuerbrände in den Händen, um sie an die entblößte Brust der Märtyrerin zu halten. Mit scheußlichem, grinsendem Lachen näherten sie sich.

»Fluch der Hündin! Fluch der Hündin! Martert sie – martert sie!«

Die Teufel schwangen die Brände, daß die Funken umherstoben und ihr schönes Haar versengten – Aniella schloß die Augen –

Ein gellender Schrei fuhr aus ihrem Munde – die Flamme hatte ihre zarte Haut berührt –

In diesen Schrei mischte sich der Knall einer Büchse – der Schurke, der das hilflose Weib berührt, warf den Brand in die Luft, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden.

Der zweite der roten Henkersknechte hatte nicht Zeit, die mit dem brennenden Span bereits ausgestreckte Hand zurückzuziehen, als ein Schuß von der andern Seite jenem gleichsam antwortete, und die Kugel ihm durch den Rücken ins Herz fuhr. Wie ein gefällter Stamm fiel er vorn über auf die gefesselte Gefangene, sie mit seinem Blute bespritzend.

»Verrat! Verrat! Zu den Pferden! zu den Pferden!« gellte die Stimme des erschrockenen Taloga, der sich sofort zur Flucht wandte. Aber Schnauben und Wiehern schlug in demselben Augenblick an sein Ohr und gleich darauf der Galopp der Rosse, die, von dem Schlagen der beiden verbrannten Tiere erschreckt, nicht mehr zurückgehalten von den Leinen und durch den Knall der Flinten in Furcht gesetzt, in wildem Rasen davon rannten.

Die ganze noch übrige Bande stürzte sofort nach dem Ausgang der Schlucht, aber der Schnellfüßigste hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als eine Kugel ihm durch den Leib fuhr und gleich darauf der Nächste fiel.

Die acht Puelches flüchteten jetzt, ihr Kriegsgeschrei ausstoßend, so schnell sie konnten, unter den hohen Uferrand, von dessen Höhe sie die letzten drei Schüsse kommen gesehen, in der Meinung, daß dort die größere Zahl ihrer Feinde verborgen sei, und in der Hoffnung, daß die fast überhängende Wand der Schlucht ihnen Schutz gewähren könne; denn der Boden der Quebrada bot ihnen, mit Ausnahm einiger dünnen Bäume, keinerlei Versteck.

Felsenherz wußte jedoch sehr wohl, daß es zu gefährlich sein dürfte, sich auf ein langes Gefecht einzulassen oder eine List der Wilden abzuwarten, und ohne sich die Zeit zu nehmen, seine Büchse wieder zu laden, steckte er seine Bibermütze auf den Lauf und hob sie vorsichtig seitwärts auf einen Zweig des Gebüsches. Sogleich feuerten die drei mit Karabinern bewaffneten Indianer in dieser Richtung, und die anderen schossen ihre Pfeile dahin ab, aber der Waldgänger war ein zu alter und erfahrener Krieger, um das nicht vorausgesehen und sich gehörig gedeckt zu haben. Die Kugeln rasselten durch die Zweige und Blätter, und nur ein Pfeil streifte kraftlos seinen Arm, ohne ihn zu verwunden.

Felsenherz ließ ein höhnendes Lachen erschallen, das die Indianer zur Wut entflammte, und wie vorsichtig und feig auch sonst ihre Natur sein mochte, riß dieser Hohn sie doch fort, und sie stürzten zusammen aus dem Versteck und nach der gegenüberliegenden Wand der Quebrada.

Die ganze Bewegung war so rasch vorgegangen, daß auch der Engländer keine Zeit gefunden, seine Gewehre wieder zu laden. Aus die geringe Entfernung vertrauend, bediente er sich daher der Revolver und feuerte rasch hinter einander fünf Schüsse ab, die zwei der Puelches verwundeten, ohne jedoch sie zu töten.

Diese neue Niederlage erhöhte die Verzweiflung der Angegriffenen noch mehr, und Taloga, in der Gefangenen die Ursache des Angriffs glaubend, ergriff einen der Speere, deren Spitze die Seinen in der Flamme geglüht, und schleuderte ihn nach der unglücklichen Frau.

Nur eine rasche Bewegung des zum Glück nicht gefesselten Hauptes rettete sie. Die gewichtige Lanze fuhr so dicht an ihren Schläfen vorüber, daß die scharfe Eisenspitze ihre dunklen Haarflechten durchschnitt und an den Stamm des Ahorn festnagelte.

Taloga hatte kaum das Mißlingen seines Wurfes erkannt, als er ein wildes Geschrei ausstieß und, von seinen Kriegern gefolgt, mit erhobenem Messer auf die Unglückliche zustürzte.

Aniella schien verloren, denn der Kapitän lud ruhig seine Flinte, ohne sich um ihre Gefahr zu kümmern, als mit der Schnelle des Blitzes die riesige Gestalt des Waldgängers an dem Abhang herunter glitt und fast im selben Moment des Sturzes sich aufraffte und zwischen die Frau und die rasenden Wilden warf.

Ein Schlag der schweren Büchse zerschmetterte dem nächsten der Puelches den Kopf – die »Lauernde Schlange«, der Häuptling, entging nur dadurch einem gleichen Schicksal, daß er sich rückwärts zu Boden warf.

Die Erscheinung dieses furchtbaren Gegners erschreckte die Wilden, aber Taloga war kaltblütig genug, im Augenblick der höchsten Aufregung zu erkennen, daß der Feind über keine Kugel gebot und nur durch seine Körperkraft ihnen gefährlich sei. Indem er seinen Tomahawk nach dem Kanadier schleuderte und ihn leicht an der linken Schulter verwundete, versammelte er durch Zuruf seine sechs Gefährten um sich und stürzte mit ihnen der Erdwand zu, auf deren Höhe der Engländer seinen bis jetzt so sichern Hinterhalt gefunden.

Dies war das Werk eines Augenblicks. Zwei Schüsse knallten ihnen entgegen, und einer der bereits Verwundeten und ein anderer der Krieger stürzten zur Erde; aber noch immer blieben fünf gefährliche Gegner zurück, und diese erklommen jetzt an verschiedenen Stellen die Erdwand.

Der Waldläufer hatte mit einigen Schnitten seines Messers die Bande getrennt, welche die junge Frau an dem Stamm festhielten, aber der Schreck und die entsetzlichen Eindrücke der letzten Stunde waren zu stark selbst für ihren Geist. Kaum befreit, sank sie ohnmächtig auf die Leichen der beiden erschossenen Puelches.

Felsenherz hatte nicht die Zeit, sich mit ihr weiter zu beschäftigen, denn sein »Kontrakt« rief ihn zum Beistand seines Gefährten.

Als er mit der Gelenkigkeit eines Hirsches nach der entgegengesetzten Seite der Schlucht sprang, nur mit seinem Messer bewaffnet, da er die schwere Büchse bei der Befreiung Aniellas hatte fallen lassen, warfen sich ihm die beiden letzten der Indianer entgegen, nachdem sie eine vergebliche Anstrengung gemacht, die Erdwand zu erklimmen, was ihren Gefährten bereits zur Hälfte gelungen war. Es waren zufällig die beiden ältesten und stärksten Männer der Bande, Krieger von Mut und Erfahrung, und mit jener verzweifelten Aufopferung, welche die roten Kämpfer bei einem nicht mehr zu vermeidenden Handgemenge auszeichnet, beschlossen sie im Augenblick, mit Aufopferung ihres Lebens die Flucht oder den letzten Kampf des Sohnes ihres berühmtesten Kaziken zu decken.

Ihr furchtbarer Gegner war zu dicht hinter ihnen, als daß sie von ihren Karabinern oder Pfeilen noch hätten Gebrauch machen können, und indem sie Messer und Tomahawk schwangen, stürzten sie mit gellendem Kriegsgeschrei auf den Kanadier los.

Felsenherz begriff, daß er nur einen Stoß oder Hieb mit seiner Waffe werde parieren können und zugleich dem andern ausgesetzt bleibe, und indem er sein Messer fallen ließ, ergriff er mit sicherm Blick und bloßer Faust den bewaffneten Arm jedes der beiden Indianer und drehte ihn mit riesiger Kraft aus dem Gelenk, so daß sich das Krachen der Knochen und der weichenden Bänder mit dem Schmerzensruf der beiden Verletzten mischte. Dann die kraftlos gewordenen Arme niederfallen lassend, faßte er den ersten der Krieger, schwang ihn wie ein Kind in die Luft und schleuderte den betäubten Körper über seinen Kopf hinweg mitten in die Glut des Feuers, an dem sie noch vor kurzem die Marter ihrer Gefangenen bereitet.

Wandodoh oder »Büffelauge«, wie der zweite Indianer seiner roten vorstehenden Augen wegen bei seinem Stamme hieß, sank bei diesem Beweis der furchtbaren Körperkraft des Weißen in die Knie, und ohne zu wagen, den unverletzten Arm auch nur zur Verteidigung zu erheben, empfing er den Faustschlag des Kanadiers auf sein nacktes Haupt und fiel ohne Laut tot auf sein Gesicht.

Als sich Felsenherz auf diese Weise von seinen Feinden befreit hatte, sah er sich nach seinem Gefährten um, diesem Beistand zu leisten.

Aber der Kampf war auch hier bereits entschieden.

Mit einer, bei diesem bizarren, für seine Person so ängstlich besorgten Charakter kaum zu begreifenden Kaltblütigkeit hatte der Kapitän die drei Indianer die Erdwand der Quebrada heraufklimmen lassen und erst, als er sie nahe genug sah, um seines Schusses sicher zu sein, erhob er sich und schoß mit dem ihm gebliebenen Revolver die beiden vordersten, ruhig zielend, durch den Leib.

Sie öffneten die Arme, stießen einen wilden Schrei aus, und die Augen mit dem Ausdruck des Hasses und der Verzweiflung auf ihn gerichtet, stürzten sie zurück in den Grund.

Der Engländer verfolgte sie mit befriedigter Spannung, wie sie von Wurzel zu Wurzel vergeblich suchten sich festzuhalten. Noch nie hatte er den ersten Effekt eines Schusses in solcher Nähe beobachten können, und er hätte über dem teuflischen Behagen, das ihn erfüllte, fast das eigene Leben eingebüßt, denn Taloga schwang sich währenddes über den Rand der Schlucht, und nur einen einzigen und anscheinend seiner Kraft nicht gewachsenen Feind vor sich sehend, stürzte er auf ihn zu und schwang den Karabiner zum vernichtenden Schlage.

Der Brite sah den Kolben über seinem Haupte schweben und hatte kaum Zeit, sich zur Seite zu werfen, um dem herabsausenden Schlage zu entgehen. Er parierte ihn mit dem Revolver, der ihm aus der Hand geschleudert wurde, und waffenlos sah er sich dem Feinde preisgegeben, der zum neuen vernichtenden Hiebe ausholte.

Dieser Mann, der sich fürchtete, sich den Finger zu ritzen, der um die Kräuselung jedes Barthaars besorgt war und Nervenzuckungen beim Stich eines Mosquitos bekam, stürzte jetzt, ohne einen Moment zu zögern, auf den Indianer los, unterlief ihn und umschlang ihn so fest, daß der Karabiner zur nutzlosen Waffe wurde, und jener ihn fallen ließ. Im nächsten Augenblick rollten beide Kämpfer fest umschlungen auf den Boden und drehten sich wie zwei Schlangen vier, fünfmal um sich selbst, die Gesichter dicht auf einander gepreßt, die Augen in einander gebohrt.

Aber während der Wilde mit der Wut und dem Haß der Verzweiflung unter krampfhafter Anspannung aller Muskeln rang, behielt sein Gegner volle Ruhe und Kaltblütigkeit, selbst während sein Gesicht unter der Faust Talogas, die an seiner Gurgel lag, sich rötete und seine Adern schwollen; denn seine Rechte behielt ebenfalls den Hals des Feindes umspannt und seine Muskeln schienen von Stahl. Die Kraft des Indianers erlahmte; seine Augen schienen unter dem Druck aus ihren Höhlen zu treten. Taloga öffnete daher seine Hand und suchte das Messer in seinem Gürtel zu erfassen. Diese Bewegung benutzte der Brite, ihn unter sich auf den Rücken zu werfen und ihm das Knie auf die Brust zu setzen. Die »Lauernde Schlange« machte einen Versuch zum Stoß, aber der Engländer hatte seine Hand bereits dicht unterm Gelenk gepackt, und indem er sie mit unwiderstehlicher Kraft niederdrückte, zwang er sie, die scharfe Klinge selbst über den Hals ihres Eigentümers zu ziehen.

»Dieser Lump von Felsenherz,« murrte der Kapitän, »nötigt mich wahrhaftig, mein bestes Vergnügen zu opfern und diesem Kerl die Gurgel abzuschneiden. Ich bin neugierig, wo er bis morgen einen andern hernehmen wird!«

Ein Strom von schwarzem Blut sprang aus den durchschnittenen Adern und beschmutzte sein Jabot. »Es ist abscheulich,« jammerte er, »ein anständiges Hemd ist in dieser Wildnis gar nicht zu haben, und dieser Schurke von Indianer thut's mir zum Possen!« Er führte noch einmal die zusammengepreßte Hand durch die klaffende Halswunde, daß die Klinge bis auf den Nackenwirbel schnitt; die Augen des Puelches rollten wild, sein Mund öffnete sich schnappend und ergoß Ströme von Blut, und der Körper erbebte in den letzten Zuckungen.

»Verdammt unfashionable,« sagte der Brite, indem er sich erhob, mit seinem Cabric-Taschentuch das Blut von den Händen wischte und es dann auf die Leiche warf.

»Wo zum Teufel bekomm' ich hier Wasser her, um mich zu säubern? Es wird mich meinen ganzen Rest von Eau de Cologne kosten, um mich von der Umarmung dieses schmutzigen Burschen zu reinigen, und das, Master Felsenherz,« fuhr er, zu dem Waldgänger gewandt, fort, der eben die Höhe erstieg, »ist allein Ihre Schuld. Sie versprachen mir acht bequeme Schüsse, und nun habe ich nur sieben und dazu meine Wäsche besudeln müssen, daß mir der Geruch Migräne machen wird, und meine Manchetten zerrissen!«

»Sparen Sie Ihre Thorheiten, Sir, nachdem Sie gefochten wie ein Mann,« erwiderte rauh der Kanadier. »Folgen Sie mir rasch und lassen Sie uns die Frau fortschaffen. Es ist ein blutiges Nachtwerk, das wir gethan, und der Knall der Flinten könnte uns leicht Gefährten dieser roten Teufel auf den Hals ziehen; denn ich glaube diesen Mittag die Spuren von mehr als einer Bande bemerkt zu haben. Lassen Sie uns eilig den Ort verlassen, es ist genug des Kampfes!«

»Ei bewahre, Felsenherz, was denken Sie! drei der Männer müssen noch Atem haben, denn ich zielte mit Absicht unterhalb der Brusthöhle und auf die Lungen, und Sie wissen, meine Hand ist sicher. Ich kann wenigstens bei denen noch meine Beobachtungen machen.«

Der Kanadier warf ihm einen Blick des Unwillens Zu und stieg, ohne ein Wort zu sagen, wieder in die Schlucht hinunter; der Engländer folgte ihm mit äußerster Behutsamkeit, nachdem er seinen Revolver wieder zu sich gesteckt.

Es war, wenigstens zum Teil, wie er gesagt. Einer der beiden Indianer, welche er bei dem Anlauf gegen die Erdwand getroffen, saß mit dem Rücken an die Seite der Schlucht gelehnt und preßte die Hand auf seine Wunde. Die Kugel war durch die Lungen gegangen, und jeder Atemzug ließ das Blut aus seinem Munde strömen. Er erwartete mit finsterm Blick die Nahenden.

Der zweite Indianer war bereits verschieden, aber der durch die ersten Revolverschüsse leicht Verwundete, der mit der »Lauernden Schlange« die Wand der Quebrada zu ersteigen versucht und dabei einen neuen Schuß empfangen hatte, hatte bei dem Sturz den Fuß gebrochen und wälzte sich hilflos und stöhnend in seinem Blute auf dem Boden. Er war noch sehr jung und zum erstenmale auf dem Kriegspfad.

» By Jove!« schnarrte der Kapitän, als er zu dem älteren Indianer trat, seine Toilette möglichst wieder in Ordnung brachte und nach seinem Lorgnon griff – »dieser Spitzbube da oben hat mir das Glas zerbrochen, und in dieser Wildnis ist kein anderes zu bekommen. Fatal, äußerst fatal, sich auf seine eigenen Augen verlassen zu sollen! Nichts als Unannehmlichkeiten, die mir passieren! Sie müssen sterben, mein Bester,« wandte er sich zu dem Indianer, indem er seine Uhr zog. »Ich sehe aus dem hellen Blut, das aus Ihrem Munde kommt, daß ich richtig gezielt; der linke Lungenflügel – in fünf Minuten werden Sie bei Ihrem großen Geist sein und mit den berühmten Kriegern Ihres Stammes auf der Prärie des Paradieses die unermeßlichen Herden von Büffeln und Hirschen jagen.«

Der sterbende Krieger, der zum Glück nicht die ekelhaft rohe Rede seines Feindes verstand, rollte wild die Augen, während das Blut bei jedem Atemzug zwischen seinen Fingern und seinen Zähnen hervorquoll.

»Assaunah-Lungh,« murmelte er, »ist ein tapferer Krieger. Er wird eingehen zu seinen Vätern ohne Klage, und indem er den blassen Gesichtern flucht!«

»Sie regen sich unnötig auf, Lieber,« sagte der Kapitän, indem er sich über ihn beugte. »Jedes Wort in Ihrer Lage ist halber Mord an sich selbst; sehen Sie, da kommt der Tod – dies Starren der Augen und der Schauder der Glieder – die Kinnlade fällt herunter – schade, daß ich mein Glas nicht habe – jetzt – jetzt sind Sie tot, mein Bester, und ich kann von Ihrem Kameraden profitieren.«

Er wandte sich, behaglich sich die Hände reibend, zu dem jüngern Verwundeten. »Die Reihe kommt nun an Sie – aber ich glaube wahrhaftig, ich habe wie ein Stümper geschossen – die Sache wird zu lange dauern!« Er prüfte überlegend den Revolver, den er in der Hand trug, und richtete das zwinkernde wässrige Auge bald auf die Waffe, bald auf den im Schmerz der dreifachen Wunden sich krümmenden Jüngling. »Ich habe noch nie in solcher Nähe einen Schuß durch das Rückgrat versuchen können,« meinte er, »die Gelegenheit wäre vortrefflich!«

Der Revolver, den er bereits gespannt, wurde ihm aus der Hand geschlagen. Der Kanadier trug die ohnmächtige Frau auf seinen Armen. »Lassen Sie die Rothaut sterben, wie Gott es ihr beschieden,« sagte er, »und folgen Sie mir, oder bei der Seele meiner armen Mutter, Sie sollen allein hier zurückbleiben an diesem Orte des Blutes.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er mit seiner Last vorwärts dem Ausgang der Schlucht zu und wandte sich dann in den Wald nach der Richtung, aus welcher sie gekommen waren.

Der Kapitän zauderte einige Augenblicke, überlegend, ob er dem Führer folgen, oder den Tod seines Opfers abwarten und nötigenfalls beschleunigen sollte; aber die Besorgnis, allein in der Wildnis zurückzubleiben, überwog, und nachdem er seinen Revolver wieder aufgesucht, folgte er dem Waldgänger.

Die Bürde, die dieser noch immer trug, schien ihn nur wenig zu hindern, und ohne sich irgendwie über den Weg zu bedenken, schritt er rüstig vorwärts, während der Engländer hinter ihm drein trabte.

Bald fanden sie in der That auch die Stelle wieder, wo noch die Kohlen des Feuers glimmten, das Aniella hier angezündet. Hier machten sie kurzen Halt, um der jungen Frau, die während des Weges ihr Bewußtsein wieder gewonnen, Zeit zu gönnen, sich zu erholen.

Ihr Erstaunen, sich aus der höchsten Gefahr so wunderbar gerettet und befreit zu sehen, war groß. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß ihre beiden Retter Reisende waren und nicht zur Partei ihrer weißen Gegner gehörten, erzählte sie ihnen kurz die Geschichte ihrer Gefangennahme, die Niederlage und Vernichtung der Ihren und ihrer Flucht, ohne den Namen ihres Gatten zu nennen, und wie sie aufs neue in die Hände noch grausamerer Feinde gefallen war.

Während der kurzen Erzählung hatte der Waldgänger mit geübter Hand das Fell des Jaguars abgestreift, und indem er es über die Schulter warf, fragte er die junge Frau, ob sie sich stark genug fühle, ihren Weg fortzusetzen; denn ihre Erzählung hatte ihn auf den Schluß geführt, daß sie sich in der Nähe der Mission befänden und noch zahlreiche Feinde in deren Umgebung gleich der Bande umherstreiften, die sie soeben vernichtet hatten.

In der letzteren Annahme ging allerdings die Besorgnis des erfahrenen Jägers und Kriegers zu weit, denn die Bande Talogas war die letzte gewesen, die von der Verfolgung der italienischen Legion und Mato-Topahs zurückkehrte; aber es befanden sich an dem diesseitigen Ufer des Uruguay immer noch genug Indianer, um für ihre Sicherheit eine möglichst weite Entfernung wünschenswert zu machen.

Aniella erklärte, daß sie Kraft genug gewonnen, um ihre Befreier nicht länger aufhalten zu müssen, und der Waldgänger schlug sofort die Richtung nach dem Lagerplatz ein, wo sie ihr Eigentum und die Pferde zurückgelassen hatten.

Der Kapitän, jetzt ganz wieder der süßliche näselnde Stutzer, beeilte sich, der Dame, die ihre Kleidung möglichst geordnet, den Arm zu bieten, aber Aniella erklärte sich kräftig genug, um allein zu gehen, und so setzten sie ihren Weg fort, indem der Engländer die Dame bald mit Bemerkungen über die letzten ihm bekannten Pariser Moden und neuesten Almanachs – Dinge, von denen Aniella keine Silbe verstand, – bald mit seinen empörenden Detaillierungen über den Todeskampf der erschossenen Indianer unterhielt, die ihr Herz noch kränker machten, als es schon durch die Erinnerung an die überstandenen Gefahren und den Verlust von Gatten und Kind sich fühlte.

So gelangten sie an den Ort ihres Lagers, und hier machte Felsenherz, da die Pferde bereits mehrere Stunden geruht hatten, den Vorschlag, sofort aufzubrechen und bis zum Anbruch des Tages in der Richtung nach Südosten weiter zu ziehen, wo, wie er von Aniella hörte, die Niederungen und Ansiedelungen beginnen mußten. Die Absicht, die diesem Vorschlag zu Grunde lag, war, sobald als möglich eine weitere Entfernung zwischen die kleine Gesellschaft und die Scene des letzten Kampfes zu bringen, damit, wenn das Echo der Schüsse andere Indianerbanden oder Gauchos herbeigelockt haben sollte, sie nicht überfallen werden möchten. Denn das Verfolgen ihrer Spur unterlag bei Nacht viel bedeutenderen Schwierigkeiten.

Der Kapitän machte erst große Einwendungen, indem er es für unmöglich erklärte, seine Bequemlichkeit zu opfern und seine kostbare Gesundheit einer nächtlichen Wanderung auszusetzen; aber die Bemerkung des Waldgängers, daß sie nur dadurch ihre Skalpe retten könnten, bewog ihn alsbald seine Zustimmung zu geben, und Felsenherz machte sich rüstig daran die Pferde zu satteln und das Packroß zu beladen. Der zerrissene Zügel von Aniellas Pferd war bald wieder hergestellt, und nachdem Felsenherz sich mit einer Anzahl Späne von harzigem Holz versehen, löschte er das Feuer aus, und die Gesellschaft machte sich auf den Weg.

Zunächst führte Felsenherz sie zwei- oder dreimal in sich erweiternden Kreisen um das bisherige Lager, machte falsche Fährten in den Wald und schlug erst dann die Richtung ein, die er von Anfang an beabsichtigt.

Der Führer ritt oder ging voran, je nach der Beschaffenheit des Grundes, das Packpferd führend; Aniella und hinter ihr der über jede Mühseligkeit stöhnende Engländer folgten. An den Stellen, wo der Mondschein durch die hohen Wipfel der Bäume in die Säulenhalle des Urwaldes niederdrang oder freiere Flächen beschien, setzte die kleine Gesellschaft mit geringerer Mühe ihren Weg fort, in dem Dickicht des Waldes aber, dessen Laubdach weite Strecken hindurch zu einem dichten, jeden Strahl des Himmels ausschließenden Gewölbe wurde, konnte man nur mit Hilfe der angezündeten Holzspäne sich weiter bewegen, deren Schein zugleich dazu diente, die wilden Tiere des Waldes zu verscheuchen.

Die kleine Gesellschaft setzte ihren Marsch bis eine Stunde nach Sonnenaufgang fort, dann erst hielt der Waldgänger sie für genügend sicher und suchte einen Lagerplatz, um Rast zu halten, da die Kräfte seiner Begleiter und der Tiere erschöpft waren, während seine Muskeln von Eisen und Stahl schienen, die keine Anstrengung berühren konnte. Die junge Frau hatte in den letzten Stunden nur mit seiner Unterstützung sich auf ihrem Pferde zu erhalten vermocht, und als man jetzt anhielt, sank sie halb bewußtlos auf den Boden und verfiel sogleich in tiefen Schlaf.

Felsenherz schlug das kleine Reisezelt des Kapitäns auf einem Hügel auf, der eine freie Aussicht über die sich lichtende Waldlandschaft gestattete, unter dem Schatten mehrerer hochwüchsiger Kuhbäume mit ihren schirmförmigen Kronen, und prächtiger großblätteriger Bananen, deren milchartiger Saft und köstliche Früchte ihnen Labung und Nahrung versprachen. Der Kapitän erklärte, mit einer Decke auf dem Rasen und seiner Hängematte vorlieb nehmen zu wollen, und so trug der Kanadier die junge Frau in das Zelt und bettete sie dort so bequem wie möglich.

Nachdem der Brite unter der Wache seines Begleiters mehrere Stunden im Schatten der Bäume geschlafen hatte, erwachte er gegen Mittag unter der steigenden Hitze des Tages von selbst, dehnte und reckte sich und begann seine Toilette zu machen.

»Wenn Sie hier ein paar Stunden Siesta halten wollen, Felsenherz,« sagte er, »so will ich gern die Wache für Sie übernehmen. By Jove! ich bewundere Ihre Ausdauer, aber Sie sind immerhin nur ein Mensch. Es ist eine verteufelte Hitze hier, und der Platz sehr exponiert. Sie werden schuld sein, daß ich mir vollends meinen Teint verderbe. Bitte, langen Sie mir doch aus dem Gepäck meinen Sonnenschirm her; diese gelben Schufte, die Chinesen und Hindus, verstehen in der That, was zum Komfort gehört. Ich wünschte nur, ich hätte so eine gazellenartige Bayadere hier zur Stelle, um mir etwas Luft zu fächeln. Aber vielleicht thut das Frauenzimmer da im Zelt mir den Gefallen; es wäre nicht mehr als billig für die Anstrengung, die ich gestern Abend um sie gehabt habe.«

Der Waldgänger, der unterdes aus der Milch des Kuhbaumes und gerösteten wilden Kaffeebohnen, die er auf ihrem Wege von vereinzelten Büschen gesammelt hatte, nebst dem Maté- oder Paraguaythee ein Mahl bereitet hatte, warf ihm einen finstern Blick zu. »Lassen Sie die Miß schlafen, Sir, und stören Sie die Arme nicht mit Ihren Thorheiten,« sagte er. »Wenn Sie nach der Sonne sehen und sich erinnern, daß heute der 30. März ist, werden Sie wissen, daß in einer Stunde unser Kontrakt gelöst ist, und ich werde es niemals zugeben, daß das junge Wesen an unserer Seite von Ihnen beleidigt wird!«

Der Kapitän lachte laut auf. »Ich glaube gar, Felsenherz, Sie sind verliebt in die Spanierin! Damned! es fällt mir nicht im Traum ein, die hübsche Witwe beleidigen zu wollen. Aber – bon Dieu – zu was wären denn die Frauenzimmer auf der Welt, als zu unserer Bequemlichkeit?«

»Es sind hilflose Geschöpfe, Sir, und nur solche verdammten Rothäute können es über ihr Gewissen bringen, sie zu quälen.«

»Bah! die Schöne da drinnen scheint mir nach ihrer Erzählung ziemlich geeignet, sich selbst zu helfen. Aber was die Indianer betrifft – was sagten Sie soeben von unserm Kontrakt?«

»Daß in einer Stunde die Sonne am Mittag steht und er dann zu Ende ist.«

»Nichts da, nichts da, mein Alter – Sie sollen pünktlich Ihre Bezahlung haben, aber Sie bleiben mir noch für eine Rothaut verpflichtet.«

»Was meinen Sie, Kapitän?«

»Nun, zum Henker – Sie können den Burschen doch nicht rechnen, dem ich gestern die Kehle abschneiden mußte? Sechzig Schuß – so lautet unser Abkommen, und ich habe erst, ganz genau gerechnet, wie Sie gestern selbst einräumen mußten, neunundfünfzig gehabt. Demnach fehlt mir noch einer, und eher lasse ich Sie nicht los!«

»Nimmermehr, Sir, ich bin es müde, Ihr Mordgehilfe zu sein!«

»Pfui, Felsenherz, was sind das für plebejische Ausdrücke!« Der Kapitän steckte sich mit freundlichem Lächeln eine Cigarre an. »Aber auf Ehre, Freundchen, ich bin durch Ihre Eile ohnehin um das Sterben der beiden Kerle gekommen, und ich werde Sie nicht eher loslassen, als bis ich noch einen der roten Bursche vor dem Rohr gehabt. Legen Sie sich nieder, Felsenherz, und ruhen Sie ein wenig, Sie werden dann besondern Humors sein, wenn wir nach der Siesta aufbrechen.«

»Sie werden die Wache halten, Sir, und werden der Müdigkeit nicht nachgeben?«

»Zum Henker, Mann, ich denke, Sie kennen mich! Überdies habe ich wichtige Dinge zu thun. Ich bin seit zwei Tagen nicht rasiert und muß aussehen wie ein Barbar. Bitte, reichen Sie mir das Toilette-Necessaire aus dem Gepäck und meine Büchse.«

Er war zu bequem, um aufzustehen und die Hand auszustrecken und dennoch wußte der Kanadier aus Erfahrung, daß, wenn der Engländer einmal die Wache übernommen, er sich fest auf seine Aufmerksamkeit verlassen könne.

»Wohl, Sir,« sagte er; »wecken Sie mich nach zwei oder drei Stunden, die Hitze wird dann vorüber sein und ich habe genug geschlafen – wir wollen dann aufbrechen.«

» Bon!« Der Kapitän blies den Rauch seiner Cigarre in die Luft und betrachtete bereits sein Gesicht in einem Handspiegel.

Felsenherz warf sich auf der Schattenseite des Zeltes auf den Boden, die Jagdtasche unter seinem Kopf, die Büchse in der Hand, und war in wenigen Augenblicken fest eingeschlafen.

Der Waldgänger mochte etwa eine Stunde ungestört geschlafen haben, als das leise Knacken eines Flintenhahns sein Ohr traf und ihn sofort weckte.

Er erhob vorsichtig den Kopf, schob, ohne sich zu erheben, seinen Körper bis über den Rand des Zeltes hinaus und schaute sich nach seinem Gefährten um.

Der Kapitän bot einen halb komischen, halb drohenden Anblick. Verschiedene Kämme, Bürsten, Pomadenbüchschen und sein Rasierzeug lagen ausgebreitet neben ihm auf dem Rasen, er selbst hockte, den Kopf mit einem Taschentuch verbunden, das Gesicht eingeseift und erst zur Hälfte rasiert, hinter dem Sattel seines Pferdes, die Büchse im Anschlag.

Das Auge des Waldgängers folgte rasch der Richtung des Laufs und sah mit nicht geringem Schrecken den Gegenstand, welcher die Besorgnis des Kapitäns erregt hatte.

Aus einem etwa dreihundert Schritt entfernten Oleandergebüsch kam langsam und vorsichtig die Gestalt eines Indianers hervor, der seine Aufmerksamkeit auf den Lagerplatz der Weißen richtete.

Er trug eine Flinte in der Hand, Messer und Tomahawk im Gürtel, seine Scheitellocke war mit drei Adlerfedern geschmückt und sein Gesicht zeigte jene bunte Malerei, welche die roten Männer anlegen, wenn sie sich auf dem Kriegspfade befinden.

Einen Augenblick schaute der Indianer umher, dann schien sein scharfes Auge den Feind auf dem Hügel zu erspähen, er trat rasch einen Schritt vor und streckte die Hand in die Höhe, mit der Fläche nach außen gekehrt.

»Vorsicht, Sir, schießen Sie nicht – es kann ein Freund sein!«

Die halblaute Warnung des Kanadiers kam zu spät – die Büchse des Kapitäns krachte, der fremde Indianer that einen Sprung, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden.

»Diesmal,« sagte der Engländer, gemütlich lachend, indem er sich zu erheben Anstalt machte und den Waldgänger bereits neben sich sah, »diesmal, Felsenherz, hab' ich den Burschen so recht con amore aufs Korn nehmen können; es ist der beste Schuß, den ich seit einem Jahre gethan, und obschon er eigentlich auf meine eigene Rechnung fällt, soll er Ihnen doch zu Gute kommen. Der Bursche muß die Kugel zwei Zoll unter der Herzgrube haben und lebt sicher noch eine Viertelstunde, so daß wir Zeit haben, ihn zu beobachten!«

Der Waldgänger drückte ihn nieder. »Vorsicht, Sir, jede Unvorsichtigkeit kann Ihnen das Leben kosten, wenn mehr Indianer in der Nähe sind!«

»Ah bah, Felsenherz,« sagte unbekümmert der Kapitän, indem er sich erhob – »ich beobachte den Burschen seit fünfzehn Minuten und sah, wie er sich allein heranschlich. Was hat der Kerl? er macht es uns wahrhaftig bequem und kommt uns den halben Weg entgegen gekrochen!«

Der Kanadier war gleichfalls aufgesprungen. »Lassen Sie uns hin zu ihm, Sir, ich sah, wie er das Friedenszeichen machte – und ich fürchte, der Schuß war übereilt und eine schlimme That!«

Sie liefen beide dem Indianer entgegen, der mit Anstrengung aller seiner Kräfte in der Richtung nach dem Lager fortgekrochen war und jetzt, als er sie herankommen sah, am Fuß einer Fächerpalme erschöpft liegen blieb.

»Das ist nicht die Malerei der Schurken von Puelches,« sagte der Waldgänger, als er näher kam; »die Farben sind mir unbekannt. Der Indianer ist fast noch ein Knabe, und dennoch trägt er die Adlerfedern bereits auf dem Skalp.«

Beide Männer blieben vor dem Verwundeten stehen, der den Rücken an den Stamm der Palme gelehnt hatte und die eine Hand auf die Wunde gepreßt hielt, die in der That sich an der von dem Schützen beschriebenen Stelle befand. Ein Strom von Blut drang bei jedem Atemzug des Verwundeten zwischen seinen Fingern hindurch.

Sein Gesicht war trotz der Malerei, die es entstellte, von edlem, offenem Ausdruck, und er unterdrückte männlich die Zuckungen des Schmerzes, die darüber hinflogen, während sein großes dunkles Auge mit ruhigem Vorwurf auf seinem Mörder haftete.

»Rothaut,« sagte der Waldgänger in spanischer Sprache, »ich fürchte, wir haben uns übereilt. Nach den Farben Deiner Malerei gehörst Du nicht zu den Spitzbuben von Puelches!«

Ein Zug bittern Hohns flog um die zuckenden Lippen des Verwundeten. »Sind die Augen der weißen ›Bärenhand‹ so schwach, daß sie den Kondor der Anden nicht von den Krähen der Pampas zu unterscheiden vermögen? Seit wann ist die Kraft ohne Weisheit? Die Väter Mato-Topahs haben ihm bei seiner Geburt dies Zeichen gegeben!«

Er schlug die blutige Decke von seiner Brust und zeigte die Tätowierung der beiden Geierköpfe. Es war in der That der unglückliche Jüngling, der letzte Zweig von dem edlen und tapfern Stamme der Aroge, den die mörderische Kugel des Menschenjägers getroffen hatte.

»Ich wollte ein Horn des besten Pulvers drum geben, Knabe, wenn ich eine Minute eher vom Schlafe erwacht wäre,« sagte mit einem ihm selbst noch unerklärlichen Bedauern der Riese, indem er neben dem Indianer niederkniete und Anstalten machte, die Wunde zu untersuchen. »Aber vielleicht läßt sich noch etwas für Dich thun; Du bist jung, und kräftig und kannst die Wunde überdauern.«

Der Indianer hob drei Finger in die Höhe. »Mato-Topah zählte elf tote Feinde in der Quebrada, und drei von ihnen haben die gleiche Wunde. Der letzte Aroge geht zu dem großen Geist, der über die Jagdgründe seiner Väter, wie über den Himmel der Christen herrscht!«

Der Waldgänger versuchte, den unglücklichen Jüngling in eine bequemere Stellung zu bringen. »Ich liebe zwar im ganzen die Rothäute nicht, Knabe,« sagte er, »und ich habe wahrhaftig keine Ursache dazu, aber es freut mich doch, daß ich es nicht bin, der Dir die Kugel zugeschickt hat.«

»Mato-Topah weiß es! Der Mann mit dem kalten Auge ist ein guter Schütze, aber er hätte nicht in dieses Land kommen sollen, wo des Krieges genug ist, wenn er die Zeichen des Friedens nicht versteht!«

Der Kapitän hatte den Sinn der Worte begriffen, obgleich er nur wenig spanisch verstand. »Zum Henker auch – was braucht der rote Vagabund hier umherzustreifen!« brummte er; »ich muß meinen sechzigsten Schuß haben, und ein Indianer ist so gut wie der andere; Futter fürs Pulver! Futter fürs Pulver! sagte der lustige John!« Fallstaff.

»Wie kamst Du zu der Puelches-Bande und warum verfolgtest Du uns, Knabe?« fragte der Kanadier den sichtlich schwächer Werdenden.

»Der ›junge Kondor‹ sucht den ›Singenden Vogel‹. Er gab dem verwundeten Krieger, der um Wasser flehte, sein Cacho Ein Horn als Gefäß. mit Wasser, und der sterbende Feind vertraute ihm, daß zwei große Krieger der weißen Männer den ›Singenden Vogel‹ von dem Marterpfahl gerettet und ihn davon geführt hätten. Mato-Topah folgte ihrer Spur, denn er schwor einen Eid dem ›Weißen Adler‹, sein Weib zu suchen und ihr Botschaft zu bringen – aber nirgends kann er sie sehen und die Schatten kommen über seine Augen!«

»Wenn ich Dich recht verstehe, so meinst Du das spanische Weib, das wir den Puelches entrissen. Was ist mit ihr? – sie ist hier, Knabe!«

»Wo? wo? tragt mich hin zu ihr, wenn Ihr Christen seid! – Heilige Jungfrau, sei gebenedeiet – ich sehe sie wieder – –«

Er breitete die Arme empor und versuchte sich aufzurichten – die Schatten des Todes schienen von seinem Antlitz zu weichen, seine Augen strahlten neues Feuer –

Ein Schrei des Schmerzes, der Angst und doch des freudigen Wiedererkennens machte die Männer sich umschauen. Aniella, die der Schuß aus dem tiefen Schlaf geweckt, die in Besorgnis das Zelt verlassen hatte und – ihre Beschützer am Fuß der Palme um einen Fremden beschäftigt sehend – sogleich herbeigeeilt war, erkannte mit scharfem Auge, trotz seines wilden Kriegerschmucks, den jungen Indianer, der im Kampfe ihr Leben beschirmt, und stürzte auf ihn zu.

»Mutter Gottes! was ist geschehen? Wie kommt der indianische Knabe hierher? Santa Aloysia! wer hat das gethan? Laßt ihn nicht sterben, ohne daß er mir Nachricht giebt von dem Tode meiner Geliebten!«

Der leidende Jüngling zog aus seinem Busen ein gefaltetes Blatt, bedeckt mit seinem Lebensblut, und streckte die Hand mit nach der weinenden Frau. »Möge der ›Singende Vogel‹ mit seiner süßen Stimme wieder den Wald und die Ebene erfreuen und seine Thränen trocknen,« flüsterte er, »der ›Weiße Adler‹ ist gerettet, und Mato-Topah kann heimgehen zu seinen Vätern, denn er hat sein Wort gehalten!«

»Knabe – um der Heiligen willen – stirb nicht – rede – sprich! José wäre gerettet – wo? wo ist er?« Sie hatte krampfhaft seinen Arm gefaßt und beugte sich mit flammenden Augen über den Sterbenden, der in die Arme des Waldgängers zurückgesunken war.

»Jetzt kommt der Tod, passen Sie auf, Felsenherz,« flüsterte der Kapitän, die Uhr in der Hand. »Ganz das hippokratische Gesicht; ich wünschte nur, er hätte vorher die verteufelte Malerei abgewaschen – und very well – genau fünfzehn Minuten nach dem Schuß!«

Der Kanadier schleuderte ihm einen so grimmigen Blick zu, daß er unwillkürlich zurückfuhr und schwieg.

»Mato-Topah ist ein Krieger; die Tapferen seines Volkes werden ihn willkommen heißen im Paradiese und die Mutter der Gnade wird für ihn bitten,« murmelte der Sterbende, den Glauben seiner Väter und die heiligen Lehren seiner Erziehung im Delirium des Todeskampfes vermischend, »wo ist der ›Weiße Adler‹, daß er der ›Großen Medizin‹ sagt, wie ein Aroge sein Wort gehalten? Ich sehe die Engel am himmlischen Thron und der ›Singende Vogel‹ ist unter ihnen – Mato-Topah ist ein Knabe, aber er erschlug den großen Kaziken der Puelches – er ist – er ist –«

Das Blut gurgelte aus der Kehle, ein Schauder ging durch die jugendlich kräftigen Glieder, und sein Kopf sank zur Seite.

Der Stamm der Aroge war erloschen! Die junge Frau kniete, aufgelöst in Schmerz und Bekümmernis, an der Seite des Toten, leise Gebete sprechend, bis der Kapitän sie unterbrach, indem er das blutige Blatt, das vor der erhabenen Nähe des Todes bis jetzt unbeachtet geblieben und ihrer Hand entfallen war, aufhob und ihr überreichte.

» By Jove, Mistreß,« sagte er in seinem Idiom, »hätten ich gewußt, daß Sie weinen würden um dieses indianische Mensch – I hätten wollen ihn lassen leben sehre gern. Aber Goddam! – dieser Brief seind geaddressiert an Señora Garibaldi? Was den Teufel! Sie thun doch nicht sein die Gattin von das berühmte Kommodore? No – no!«

»Ich bin Aniella Garibaldi, Señor,« sagte die junge Frau, nachdem sie das Blatt überflogen und mit einem dankenden Blick zum Himmel an ihre Brust gedrückt, »und Gott und die heilige Jungfrau haben mein trauerndes Gebet erhört und mir den geliebten Gatten erhalten. Sie haben mein Leben gerettet, Señor, und ich habe darum kein Recht, Ihnen einen Vorwurf zu machen. Aber das Wenige, was ich mein noch nenne auf der Welt, möchte ich drum geben, wenn ich dieses Leben, das Ihre Hand zwecklos vernichtet, zurückkaufen könnte, denn auch er hat nicht nur das meine bewahrt, sondern mir auch das teuere des Gatten gerettet!«

»Auf Ehre, Mistreß, es thun mir selber leid jetzt – aber c'est un fait accompli! was lassen sich da thun?«

»Ich werde für Sie bitten, Sir, daß Gott Ihnen diesen – Tod nicht anrechnen möge. Ich glaube Sie der Sorge für mich überheben zu können und ohne fernere Gefahr die Colonia del Carmen erreichen zu können, wohin mein Gatte sich nach diesen Zeilen mit den Seinen gewendet hat, wenn ich die letzte Pflicht an diesem Toten erfüllt habe.«

Der Waldgänger begann indessen mit seinem breiten Bowiemesser und seinen Händen ein Grab zu graben.

Der Kapitän, der vergebens ein Gespräch anzuknüpfen versucht hatte, ging, eine Zeitlang französische Opern-Melodieen pfeifend oder seine Nägel besehend, auf und nieder, dann erinnerte er sich plötzlich, daß er seine Toilette noch nicht vollendet, und eilte erschrocken zum Zelte zurück, um das wichtige Geschäft des Rasierens fortzusetzen.

Nach einer Arbeit von zwei Stunden, die nur die riesige Körperkraft des Kanadiers hatte fördern können, war die Grube lang und tief genug; der Waldgänger legte unter den Thränen Aniellas den Körper des Jünglings in das Grab und bedeckte ihn mit Erde, Zweigen und Steinen. Indem er sich der Gewohnheit seiner Kindheit erinnerte, und wie seine Mutter ihn beten gelehrt, kniete der rauhe Mann an dem Hügel nieder, der ein edles Herz deckte, wenn es auch unter einer roten Haut geschlagen, und betete stumm und mit schwer beladener Seele für die des Gemordeten.

Dann stand er auf und ging nach dem Lagerplatz zurück, während er die junge Frau unter der Palme ließ. Dort sattelte er das silbergraue Pferd, hing seine Büchse und Jagdtasche um, und den Grauen am Zügel führend, trat er zu dem Engländer, der eben mit seiner Toilette fertig geworden war.

»Kapitän Peard,« sagte der Kanadier, indem er den Gefährten zum erstenmal mit seinem Namen anredete, »ich bitte Sie, mir den Vertrag zu zeigen, den ich heute vor einem Jahre mit Ihnen eingegangen bin!«

»O, Sie haben ihn erfüllt, mein Alter, ich weiß es,« rief der Kapitän, indem er ihn freundlich auf die Schulter klopfte. »Ich bin ganz zufrieden mit Ihnen, und by Jove! Sie sollen es auch mit mir sein, sobald wir nach Montevideo, Buenos-Ayres oder sonst einem vernünftigen Ort kommen, wo man eine Tratte auf London kassieren kann!«

»Das Papier, Sir, das Papier!« sagte, ungeduldig mit dem Fuß stampfend, der Waldgänger.

»Nun, wenn Sie darauf bestehen, Felsenherz, hier ist es.« Er nahm es aus seiner Brieftasche. »Hier sind Ihre drei Kreuze, aber ich sage Ihnen, es ist so gut bei mir aufgehoben, wie bei Ihnen selbst, wenn ich auch jetzt Ihr Schuldner bin.«

Der Kanadier nahm es ihm aus der Hand und riß es in hundert kleine Stücke, die er in der Luft davon fliegen ließ.

»Ei zum Henker! was machen Sie denn da, Felsenherz?« rief der Kapitän erstaunt. »Doch Sie sollen nichts verlieren dabei, wenn auch meine Unterschrift zerrissen ist. Nun aber, dächte ich, träfen wir Anstalten zum Aufbruch, damit wir vor Nacht noch einige Stunden weiter kommen. Satteln Sie die Pferde und packen Sie das Zelt ein, ich …:«

Der Waldgänger hob die Hand nach der sinkenden Sonne. »Seit vier Stunden, Sir,« sagte er mit finsterm Ernst, »habe ich aufgehört Ihr Diener zu sein, und Gott möge mir vergeben, daß ich mich vom Teufel blenden ließ, es je zu werden. Unser Kontrakt ist gelöst, Sir, und unsere Wege trennen sich hier!«

»Aber Felsenherz! sind Sie toll? Ihr Lohn – Ihr Geld –«

»Ich war es, Sir, als der Teufel der Habsucht mich verführte, jenen schändlichen, blutigen Handel mit Ihnen zu schließen. Behalten Sie Ihr Gold – ich mag es nicht; es klebt Blut daran, das schwer auf meiner Seele brennen wird, wenn meine Stunde gekommen! Gehen Sie Ihre Wege, Sir, wie ich die meinen! Denn bei dem Andenken meiner Mutter und dem Eid eines ehrlichen Mannes! ich schieße Sie nieder wie einen tollen Wolf, wenn Sie je wieder wagen, auf die Weite einer Büchsenkugel mir zu nahe zu kommen!«

Er kehrte ihm den Rücken und schritt, den Grauen führend, nach dem Platz zu, wo er die junge Frau zurückgelassen.

Der Kapitän eilte ihm nach. »Aber, Felsenherz, Sie werden mich doch hier nicht allein in der Wildnis lassen! Ich muß für Ihre Rückfahrt nach New-Orleans und Saint-Louis sorgen!«

Der Waldgänger kehrte sich um – der Blick, mit dem er nach seiner Büchse faßte und an das Schloß griff, war so drohend, daß der Engländer zurückbebte und verstummend stehen blieb.

Felsenherz ging weiter. Als er zu der Dame gekommen, hob er sie auf den Sattel ihres Tieres, und indem er es am Zügel ergriff, schritt er schweigend, ohne einen Blick nach rückwärts zu thun, mit ihm in der Richtung nach Osten weiter.

Der Kapitän war ihm einige Schritte gefolgt, dann blieb er stehen und sah dem Paare nach, bis es zwischen den Stämmen der mächtigen Waldriesen verschwunden war.

» Goddam!« murmelte er, »eine fatale Geschichte! Felsenherz ist ein Narr oder hat den Spleen bekommen. Wahrhaftig, ich werde gezwungen sein, mich selber zu bedienen und für meine zarte Gesundheit zu sorgen! Shocking! auf Ehre!«

Er blickte um sich, sein Fuß berührte das Grab des armen indianischen Knaben, der letzten Beute seiner Jagd! – über ihm rauschten die langen Fächerblätter der Palme wie Geisterstimmen:

» Mörder

»Fatal! sehr fatal! Dies Land und die Menschen sind, auf Ehre! ganz unkultiviert!« Er zog sein Taschenbuch, um den »Sechzigsten« zu registrieren.

 

(Schluß des ersten Bandes).

 


Herrose & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.


 << zurück