John Retcliffe
Solferino
John Retcliffe

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Villa-Franca.

Es war am Vormittag, Montag den 11. Juli.

Zum Ort der Zusammenkunft der beiden Kaiser war das Städtchen Villafranca, – Station an der Eisenbahn von Verona nach Mantua – also auf dem durch den Waffenstillstand neutralisirten Terrain zwischen den beiden Heeren belegen, bestimmt.

Louis Napoleon machte den Wirth, er war zuerst auf dem Platz. In der Begleitung des Kaisers befanden sich der Marschall Vaillaint und der General Fleury nebst einigen Adjutanten.

Der Kaiser von Oesterreich war bei seinem Eintreffen von seinem bösen Engel in all' den inneren und äußeren Wirrnissen, dem ersten General-Adjutanten Grafen von Grünne, Feldmarschall-Lieutenant Freiherr von Kellner, Freiherr Schlitter von Niederburg, Feldzeugmeister Heß und Generalmajor von Namming begleitet.

Als der Wagen des Kaiser Franz Joseph vorfuhr, kam ihm Louis Napoleon an der Schwelle des zur Zusammenkunft bestimmten und in aller Eil eingerichteten Hauses entgegen und bewillkommnete ihn auf das Zuvorkommendste.

Der junge Monarch von Oesterreich – der Kaiser Franz Joseph ist am 18. August 1830 geboren – erschien gedrückt, verstimmt, er konnte offenbar nur mit Anstrengung seiner trüben Stimmung Herr werden. Dennoch zeigte sich eine gewisse Bestimmtheit in seiner Miene – ein Talleyrand oder Metternich würden die Deutung daraus gezogen haben, daß er entschlossen sei, sich mit dem wirklichen Feind zu vertragen, um dem ihm verdächtigen Freunde zu entgehen.

Der Kaiser Louis Napoleon war ernst, beobachtend ohne den Anschein zu haben, aber überaus zuvorkommend. Kein Wort, keine Bewegung verrieth den Sieger, der die Bedingungen des Friedens diktiren konnte.

Die französischen Wachen salutirten, die Trommeln wirbelten – der Kaiser Napoleon faßte die Hand seines Gegners und führte ihn in das Haus.

Hier folgten zunächst die Vorstellungen des Gefolges und eine kurze allgemeine Unterhaltung. Dann wandte sich der französische Kaiser an seinen erlauchten Gast.

»Sire,« sagte er – »ist es Ihnen gefällig, die Unterredung, die ich Ihnen vorgeschlagen und in die Sie so freundlich gewilligt, zu halten, indem wir diese Herren für einige Zeit sich selbst überlassen.«

»Ich bin zu Eurer Majestät Bestimmung. Ich werde die Ehre haben, Ihnen zu folgen.«

»Sie sind auf Ihrem Grund und Boden, Sire, – ich habe die Pflichten des Wirthes nur für einige Stunden übernommen.« Er öffnete die Thür.

Der Kaiser Franz warf einen Blick auf seine Umgebung, ehe er folgte.

Graf Grünne stand neben ihm.

»Vergessen Euer Majestät den Heiligen Vater nicht!« flüsterte er in ungarischer Sprache.

Der Kaiser nickte schweigend und trat in das nächste Zimmer, dessen Thür der General Fleury hinter den beiden Monarchen schloß. Sie gingen durch die leere Antichambre und traten in ein zweites Gemach, das zu der Unterredung bestimmt war.

In der Mitte stand ein Tisch, rechts und links zwei Lehnsessel. Auf dem Tisch lagen zwei Karten von Ober-Italien und Deutschland.

Mit einer höflichen Bewegung lud Napoleon seinen Gast ein, Platz zu nehmen.

Es ist natürlich Niemand von der jetzt folgenden Unterredung Ohrenzeuge gewesen – und wenn auch der Roman der Phantasie des Schriftstellers eine weite Berechtigung giebt und seiner Darstellung Vieles verzeihen läßt, so hat auch selbst der Romanschreiber nicht das Recht, die Worte der geheimen Unterredung als genau so gesprochen auszugeben, die er eben nur aus den Umständen und später laut gewordenen Mittheilungen für den Zusammenhang seiner ganzen Erzählung zusammenstellen kann.

Was die vertraulichen Annalen der beiden Höfe darüber geben, ist Folgendes.

Der Kaiser Napoleon eröffnete die Unterredung.

»Sire,« sagte er – »ich bin es zunächst, der Sie um den Frieden bittet. Warum sollen wir länger das Blut unserer tapferen Soldaten vergießen, da eine Einigung so leicht ist? Ich komme Ihnen mit der ganzen Offenheit entgegen, die zwischen den Herrschern zweier mächtigen Reiche bestehen kann und bestehen muß. Wir Beide sind die weltlichen Beschützer der katholischen Kirche. Wir haben also ein gemeinsames wichtiges Interesse, das uns immer wieder vereinigen wird, wenn wir aus politisches Mißhelligkeiten uns auch eine Zeitlang im offenen Felde bekämpfen.«

»Euer Majestät,« sagte der junge Monarch – »sind der Verbündete eines Souverains, welcher die Heiligkeit und Unverletzlichkeit dieser Interessen am wenigsten anerkennt.«

»Der König Viktor Emanuel!« Ein leichter Hohn überflog das Marmorgesicht des französischen Kaisers. »Das Haus Savoyen wünscht allerdings die Krone von Italien zu tragen, selbst die dreifache, und ist dafür zu Opfern nach allen Seiten bereit. Lassen Sie uns offen sprechen, Sire. Es ist ein alter Streit, nicht von heute, den Frankreich in Italien auszufechten hat. Von den Anjou's und den Valois's ist er meinem Onkel überkommen und es ist das Schicksal unserer Dynastieen, den Kampf zu Ende zu bringen. Lassen Sie uns die Gelegenheit benutzen – halten wir uns an die Facta. Ich rede ganz offenherzig. Frankreich konnte den überwiegenden Einfluß Österreichs in Italien nicht dulden, weil unter dieser Hülle immer und immer wieder die Bourbonen stecken. Meine Dynastie ist jung, darum kann sie nicht nachgeben, wie die der Habsburger. Frankreich hat den Fuß in Rom und Sie werden mir zutrauen, daß ich nicht Lust habe, ihn zurückzuziehen, außer unter genügenden Garantieen. Auf der andern Seite kann dem Kabinet von Wien unmöglich die französische Suprematie gerade in Rom lieb sein. Nun Sire, wir wollen gemeinsam diesen Schutz üben. Die Thatsache, daß Sie durch das Waffenglück die Lombardei verloren haben, läßt sich nicht läugnen.«

»Aber nicht an den König Victor Emanuel!«

»Kein verständiger Mensch denkt daran! Sie haben die Provinz an Frankreich verloren, und die erste Friedensbedingung ist, daß dieselbe an dieses abgetreten wird. Allerdings bin ich dann verpflichtet, die Lombardei an Sardinien unter gewissen Bedingungen zu geben. Dies Verfahren schont vollständig die militairische und politische Ehre Österreichs.«

»Euer Majestät,« sagte der Kaiser Franz Joseph, »haben noch einen schlimmeren Bundesgenossen als den König Victor Emanuel!«

»Der wäre?«

»Die italienische Revolution!«

»O Sire,« sagte Napoleon lächelnd, »wenn ich es wollte, hatte ich auch die Revolution in Ungarn und Polen zur Disposition. Aber man benutzt diese Bundesgenossen nur im äußersten Fall und auf den verlorenen Posten. Was nun Italien betrifft, so war seit Jahrhunderten die Revolution dort in Permanenz, selbst unter dem strengsten Regime der französischen Bayonnete und ich glaube, wir Beide werden wirklich am Besten thun, Se. Heiligkeit, die Bourbons und den König Victor Emanuel damit selbst fertig werden zu lassen, so gut sie können. Bleiben wir zunächst bei der Hauptsache stehen, daß die Lombardei verloren ist, Sie also kein Opfer mehr bringen, wenn Sie dieselbe auch politisch aufgeben.«

»Das Kriegsglück, Sire, kann sich ändern. Wir sind geschlagen, aber nicht besiegt und stehen jetzt zwischen unseren Festungen. Der deutsche Bund ist gerüstet; seinen Verpflichtungen gemäß bei jedem weiteren Angriff einzutreten.«

»Der Deutsche Bund! Ah Sire – verlassen Sie sich wirklich auf diesen Rattenkönig, der jeden Augenblick bereit sein wird, wenn er Gefahr sieht, sich zu einem neuen Rheinbund zu verwandeln?«

»Preußen allein kann eine Armee von zweimalhunderttausend Bayonneten stellen.«

»Ich glaube, selbst mehr – wenn es ein populairer Krieg wäre. Haben Sie neue Nachrichten von Berlin?«

»Der Marsch der Preußischen Armeecorps wird am 13ten beginnen.«

»Das ist eine ziemlich alte Nachricht, Sire. Außerdem bedenken Sie wohl, daß eine Observationsaufstellung noch lange kein Krieg ist. Preußen hätte sie längst meiner Armee von Chalons gegenüber nehmen müssen. Ich habe heute Morgen über Paris von meinem Gesandten ein Telegramm erhalten, das mich über die Preußischen Absichten vollständig beruhigt. Vielleicht wird es Euere Majestät interessiren, dasselbe zu lesen.« Er nahm von dem Tisch ein Depesche und reichte sie seinem Gegner.

Es ist jenes verhängnißvolle Telegramm des französischen Gesandten aus Berlin, das den Frieden von Villa-Franca diktirte.

»Sire!«

»J'ai l'honneur, d'assurer Vôtre Majesté, que le Prince-Régent de Prusse ne viendra jamais en aide à l'Autriche, à moins que cette puissance ne lui assure la suprematie en Allemangne.

Vôtre Majesté três humble serviteur

Moustier.«

Wer sollte es Napoleon III. verargen, daß er das spätere Telegramm, datirt von Dresden, d. 10. Mittag 12 Uhr, mit jener Nachricht des endlichen Erfolges der Mission des Fürsten Windischgrätz in seinem Portefeuille behielt!?

Eine Todtenblässe hatte das Antlitz des jungen Monarchen überzogen – vielleicht dachte er in diesem Augenblick an jenen Moment, als er an der Seite des Königs Friedrich Wilhelm IV., seines Oheims, an der Spitze des prächtigen Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments vor wenig Jahren durch die Linden von Berlin ritt!!

»Euer Majestät,« fuhr der französische Kaiser nach einer Pause, die er den Gefühlen seines Gegners gegönnt hatte, fort, »haben selbst unsere Unterredung auf einen Punkt gebracht, den ich andern Falls kaum berührt haben würde, um Sie nicht zu verletzen. Ich bitte Sie, meine klare Darlegung der Verhältnisse ruhig anzuhören und danach Ihre Entscheidung zu fassen. Ich bin viel älter an Jahren als Sie, und mein Thron ist ein allen Gefahren weit exponirterer, als der Ihre. Sein Halt ist die französische Armee. Wenn ich sie in ihrem Siegeslauf hemme, müssen die Gründe und Rücksichten also sehr wichtige sein!

»Die Lombardei, Sire, war für Oesterreich stets ein sehr kostspieliger Besitz, welcher Sie zwang, eine große Armee auf den Beinen zu haben, und Ihre Finanzen zerrüttete. Wenn Sie dieselbe aufgeben und dagegen die starke Stellung am Mincio und der Etsch behalten, wird der scheinbare Verlust ein wirklicher Gewinn sein.

»Das Opfer, was ich bringe, ist – wie ich Ihnen bereits angedeutet, – ein weit größeres. Ich bringe es aus mehreren wichtigen Gründen. Ich weiß, daß Ihre Hilfsquellen noch lange nicht erschöpft sind, – daß sich das Kriegsglück bei einer nächsten Schlacht an der Etsch gegen mich wenden kann. Was wird die Folge sein? Meine Flotte wird sich gezwungen sehen, zur großen Befriedigung der Engländer Ihre Küsten im adriatischen Meere zu verwüsten und den orientalischen Handel Triest's zu vernichten. Ich werde genöthigt sein, den Plänen des Herrn Cavour nachzugeben, denen ich so lange um der Ruhe Europa's Willen widerstand, und die Revolution in Ihrem Rücken von der Gränze von Albanien bis Krakau wachzurufen. Bedenken Sie wohl, daß eine Landung französischer Truppen in Dalmatien gleichbedeutend ist mit einer Erhebung Ungarns.

»Und wer, Sire, sind die Bundesgenossen, auf die Sie rechnen könnten? Rußland freut sich jeder Niederlage Oesterreichs und wird nicht verfehlen, im günstigen Augenblick sich die Herrschaft an der unteren Donau zu sichern. England wird sich hüten, activ für Sie einzutreten, weil dies sofort Amerika nachziehen würde. Und der deutsche Bund, oder vielmehr Preußen?!

»Ich habe Ihnen vorhin schon angedeutet, Sire, was von dem deutschen Bund zu halten ist. Er ist allerdings eine nicht zu verachtende Macht – wenn er einig wäre, aber er schwebt wie Mohamed's Sarg zwischen Oesterreich und Preußen. Die Tradition und der Machtbesitz haben bisher Oesterreich die Suprematie in Deutschland gesichert; aber es ist unverkennbar, daß Preußen sich rüstet und intriguirt, um Ihnen diese streitig zu machen. Ich sehe die Zeit kommen, wo man versuchen wird, Sie aus Deutschland zu verdrängen und auf die außerdeutschen Länder zurückzuwerfen. Es ist möglich, daß Preußen mir später den Krieg erklärt, aber es wird dies nicht im Interesse Österreichs thun, sondern in seinem eigenen, zunächst, um sich die Hegemonie in Deutschland zu sichern. – Ihr letzter Antrag am Bundestag beweist, wie sehr Sie selbst dies erkennen und fürchten. Setzen wir den Krieg fort, so sind Sie gezwungen, alle Ihre Reserven aus Deutschland herauszuziehen und Preußen freie Hand zu lassen.«

»König Friedrich Wilhelm ist mein Oheim – er liebt mich, und wird Oesterreich nicht verlassen in der Gefahr!«

»Bah – Sie vergessen, daß König Friedrich Wilhelm IV. aufgehört hat, zu regieren und daß der Prinz-Regent nicht Ihre Tante zur Gemahlin hat, sondern eine Dame von hochstrebendem Geist, die ihrem Sohne schon einmal die deutsche Kaiserkrone sichern wollte. In Berlin ist es nur die gazette de la croix, welche noch Heil im Bündniß mit Oesterreich predigt. Das Höchste, was Sie mit einer Fortsetzung des Krieges erringen können, ist der Wiederbesitz der Lombardei. Wollen Sie ihn mit dem Verlust Ihres Einflusses in Deutschland erkaufen? – Mir, Sire, liegt Nichts daran, daß das protestantische Deutschland sich auf Kosten des katholischen Oesterreichs stärke! Aber wenn Sie mich zwingen, wird den französischen Interessen auch ein Bündniß mit Preußen möglich sein!«

Der junge Monarch kämpfte einen schweren Kampf; – er fühlte, wie bitter sich Dresden und Olmütz rächten.

»Mein Herr und Bruder,« sagte der französische Kaiser mit dem Ausdruck aufrichtiger Cordialität, indem er die offene Hand über den Tisch hinüber bot, – »ich bitte Sie um den Frieden, damit unsere braven Soldaten einer besseren Gelegenheit ihr Blut aufbewahren!«

 

Der Kaiser Franz Joseph ließ langsam seine Hand in die seines klugen Gegners sinken.

 

Nach einer kurzen Pause nahm der Kaiser der Franzosen wieder das Wort.

»Jetzt, Sire, wo wir über die Hauptsache einig sind, werden wir es auch leicht über die Nebenfragen werden. Sprechen Sie Ihre Wünsche aus, und seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen in jeder Beziehung nach Kräften entgegenkommen werde.«

Der Kaiser Franz Joseph verbeugte sich; – ein Lauscher würde sicher bemerkt haben, daß ihm eine große Last vom Herzen genommen war.

»Vor Allem,« sagte er, – »wie denken Euer Majestät über die weltliche Macht des Heiligen Vaters? Die Verpflichtungen des Schutzes, welche Oesterreich hat, können Ihnen nicht unbekannt sein, und wenn Ihre Truppen Rom verlassen, würde dies das Signal zum Einzug der Herren Mazzini und Garibaldi werden.«

»Einen Augenblick, Sire!«

Der Kaiser Napoleon beschrieb ein Blatt, dann reichte er es seinem neuen Verbündeten.

»Sehen Sie zu, mon frère, ob Sie damit einverstanden sein können!«

Der Entwurf lautete:

»Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich und Seine Majestät der Kaiser der Franzosen sind über Nachfolgendes übereingekommen:

Die beiden Herrscher werden die Bildung einer italienischen Conföderation befördern; dieser Bund soll unter der Ehrenpräsidentschaft des Papstes stehen.

Der Kaiser von Oesterreich tritt dem Kaiser der Franzosen seine Rechte auf die Lombardei mit Ausnahme der Festungen Mantua und Peschiera ab, dergestalt, daß die Grenze der österreichischen Besitzungen nunmehr von dem äußersten Rayon der Festung Peschiera ausgehend längs des Mincio bis le Grazie läuft; von da ab über Scorzarolo nach Luzzara am Po, von welchem Punkte ab die bisherige Grenze Oesterreichs bleibt. Der Kaiser der Franzosen wird das abgetretene Gebiet dem König von Sardinien übergeben (remettra).

Venetien macht einen Theil des italienischen Bundes aus, bleibt aber dessenungeachtet der Krone des Kaisers von Österreich.

Die beiden Kaiser werden den heiligen Vater auffordern, in seinen Staaten die durchaus notwendigen (indispensables) Reformen einzuführen.

Eine volle unbedingte Amnestie wird von beiden Theilen den Personen zugestanden, welche sich gelegentlich der letzten Ereignisse auf den Gebieten der kriegführenden Parteien kompromittirt haben.«

Der Kaiser Franz Joseph las diesen Entwurf aufmerksam durch – er holte tief und schwer Athem, als er dabei zufällig auf die vor ihm liegende Karte von Oberitalien einen Blick warf.

»Ich erkenne Euer Majestät Freundlichkeit vollkommen an,« sagte er endlich, – »aber es ist mit meiner Ehre und Verwandtenpflicht unvereinbar, das Schicksal von Toscana und Modena der Willkür der Piemontesen zu überlassen.«

Der Kaiser der Franzosen lächelte. »Ist es nur das, Sire, was Sie beunruhigt? Dem ist leicht abzuhelfen, – wenn nach meiner politischen Ueberzeugung damit auch nur ein Provisorium geübt wird.«

Er schaltete den nachstehenden Satz ein:

»Der Großherzog von Toscana und der Herzog von Modena kehren in ihre Staaten zurück und geben eine allgemeine Amnestie.«

»Das Weitere,« fuhr der Kaiser Napoleon fort, »wird allerdings Sache der Fürsten und ihrer Unterthanen sein, und ich fürchte, Sire, die Sache wird keinen Bestand haben. Um Ihnen jedoch zu beweisen, daß ich – schon in der Erinnerung an die Verwandtschaftsbande meines Oheims – aufrichtige Freundschaft für Ihre Familie hege, will ich Ihnen einen anderen Vorschlag machen.«

Der Kaiser Franz Joseph sah ihn fragend an.

»Sie erinnern sich, Sire, des Attentats Orsini's?«

»Es war ein abscheulicher Frevel!«

»In diesem Licht muß ich es natürlich auch betrachten, da ich der Hauptbetheiligte dabei bin. Und dennoch, Sire, befinden sich in meiner Armee oder in der meines Bundesgenossen, ja in meinem Hauptquartier Leute genug, welche bei jenem Versuch eine Rolle spielten. Wenn Sie eines gewissen Briefes gedenken wollen, den der Mörder aus seinem Gefängniß an mich richtete, wird sich Ihnen die Ursach leicht vor Augen stellen. Der Krieg in Italien war eine Nothwendigkeit für meine Existenz, ohne denselben würde ich wahrscheinlich längst das Opfer einer italienischen Hand geworden sein. Aus derselben Ursach kann ich die Regierung der Herzöge nicht mit Gewalt aufrecht erhalten, so gern ich es thun möchte. Man vergiebt mir Rom des Papstes willen und weil die Revolution nicht mit der ganzen katholischen Christenheit brechen kann, aber Parma, Modena und Toscana, die recht eigentlich der Heerd der Propaganda sind, würde man mir nicht vergeben. Das sind meine persönlichen Interessen! Auf der anderen Seite erlauben die Frankreichs, des Staates, nicht, daß österreichische Bayonnete die italienischen Fürstenthümer besetzt halten. Ihre Souveraine müssen demnach versuchen, mit eigenen Mitteln der Revolution Herr zu werden – sie haben plein pouvoir dazu. Diese Mittel werden hart, selbst grausam sein müssen – was kümmert's uns? Die Kirche selbst hat uns Beispiele genug gegeben und wird dies wahrscheinlich auch wieder thun – die Italiener sind an Blut gewöhnt und ohne Blut nicht zu regieren. Aber ich fürchte, auf die Dauer wird selbst das nicht helfen! Nun, Sire, wenn die Mitglieder Ihrer Familie einen Thron verlieren sollten, bin ich gern bereit, einem oder dem andern – Sie haben ja Brüder, Sire! – zu helfen, sich einen neuen Thron an einer Stelle des Erdballs aufzurichten, wo die Interessen Frankreichs und Oesterreichs nicht collidiren. Zum Beispiel im Orient, in Amerika – selbst in Athen! Behalten Sie dies Versprechen im Gedächtniß!«

»Ich hoffe, wir werden es nicht nöthig haben.«

»Ich will es wünschen. Wenn ich mir erlaube, Ihre Aufmerksamkeit auf einige Punkte der Politik zu richten, so gestatten Sie mir dies, als einem älteren Manne. Ich kann meine Theilnahme für Österreich und Euere Majestät nur in dem Rath zusammenfassen: Vertrauen Sie nicht auf England und hüten Sie sich vor Preußen!«

Die finstere, entschlossene Miene des jungen Monarchen bewies, wie tief die wohlberechneten Worte getroffen.

»Es liegt Etwas in diesem Preußen,« fuhr der Kaiser fort, »was ihm eine Zukunft verheißt, eine gewisse Kraft, die seine Polypenglieder unwiderstehlich concentriren kann. So lange der gegenwärtige König lebt oder – ich darf sagen existirt, – ist wenig zu fürchten, aber der Regent ist ein Mann in der vollen Bedeutung des Wortes; wenn es ihm einst gelingt, die rechte Person für Leitung seiner auswärtigen Politik zu finden, kann Preußen leicht noch in unserer Zeit eine sehr bedeutende Rolle spielen. An der Zähigkeit dieser Nation ging schließlich mein großer Onkel zu Grunde, der sie nicht ohne Vorahnung so klein gemacht. – Hüten Sie sich vor Preußen! – Und da wir einmal beim Kapitel der Warnungen sind, Sire, so erfordert die Wahrheit, Ihnen zu sagen, daß Ihre tapfere Armee die Schlacht von Solferino kaum würde verloren haben, wenn sie nicht einen argen Verräther in ihrer Mitte gehabt hätte!«

»Ein Italiener?«

»Nein, Sire, kein Italiener und kein Ungar – es war ein Deutscher! Ich habe keine Rücksicht zu nehmen, denn der Schurke bot sich selbst an und hat es für schweres Geld gethan. Hier, Sire, ist die am Abend vor der Schlacht mir zugegangene Abschrift Ihrer ganzen Marsch-Disposition mit der vollständigen Ordre de Bataille!«

Der Kaiser Napoleon schob seinem Gegenüber einige Papiere über den Tisch mit einer Miene der Verachtung und des Ekels zu. »Gott im Himmel, Sire!« sagte er, »die schwere Last des Regierens, die uns Fürsten obliegt, wäre um die Hälfte leichter, wenn wir nicht so viele Schufte und Speichellecker in unserer Nähe hätten!«

Der Monarch von Oesterreich warf einen traurigen Blick auf die verhängnißvollen Papiere und nickte zustimmend.

»Darf ich sie mitnehmen, Sire?«

»Gewiß – das Bekanntwerden der Sache kann der Ehre meiner Armee keinen Eintrag thun. Der einzige Mann, den ich dabei zu schonen gehabt hatte, ist todt. – Und nun, mon frère, denke ich, können unsere Minister das Weitere abmachen und ich kann mich dem Vergnügen hingeben, Ihre Gesellschaft zu genießen!«

Die beiden Monarchen erhoben sich und reichten sich die Hände. –

Der Frieden von Villafranca war geschlossen!

 

Unter den Papieren, welche der Kaiser Franz Joseph zu sich steckte, befand sich – durch Zufall und ohne Absicht mit hinübergeschoben und aufgenommen – ein verhängnißvolles Blatt: die Notizen, welche General Montboisier auf den Befehl des Kaisers am Vormittag des Schlachttages aus den Angaben des Flüchtlings gemacht hatte, der sie vor den Husaren von Edelsheim gerettet.

Aber es giebt keinen Zufall! eine dämonische Kette der unbedeutendsten Ereignisse, deren Glieder durch die Verbindung zur Riesengewalt werden – zieht sich durch das Leben des Einzelnen, wie der Völker!

 

Verona! – An den Ufern des mächtigen La Plata im fernen Süden Amerika's begann unser Roman – an dem Ufer der Etsch unter den Trümmern des riesigen Römerwerks geht er zu Ende.

Verona! – Wer, der je von jener großen Tragödie der Liebe gehört, der für Julia's Schatten und für Romeo 's Trauer Begeisterung empfand, nennt diesen Namen ohne Sympathieen?

Verona! Vaterstadt des Catull und Cornel, des Aemilius, jenes treuen Freundes des Sängers der Aeneide, des Pomponius, des größten tragischen Dichters der Römer, des Vetruv und der beiden Plinius's – Schirm Dante's, als Florenz den Dichter der divina comoedia ausstieß, und Erhalterin seines Geschlechts! – wo ist Deine Vergangenheit, wo sind Deine mächtigen Erinnerungen?

Die Rhätier gründeten Dich im sagenhaften Alterthum, die Römer kämpften um Dich mit den sennonischen Galliern. Marius schlug hier in der raudischen Ebene 113 vor Christo die Cimbern, Augustus gab Dir Deine Rechte zurück, Attila verwüstete Dich; Odoaker hielt hier sein Heerlager und unterlag Theodorich; Narses, der Feldherr Justinians, machte es den Griechen unterthan; die Longobarden wichen hier Karl dem Großen und Pipin ernannte es zur Hauptstadt Italiens. – Jene Ruinen der Piazz Brà tragen das Gedächtniß des Antonin und 70 000 Menschen schauten einst von ihren Stufen auf die Arena, in der die Löwen Nubiens die christlichen Märtyrer zerrissen, an derselben Stelle, wo jetzt der Buffo eines Sommertheaters seine Späße macht. Titus Noricus erbaute jenes Thor – Ezelino ließ am San Zeno maggiore die Köpfe seiner Feinde fallen und das mächtige Geschlecht der »Hunde«, die Scalinger, schmückten mit ihren ehernen Bildnissen San Maria antica, bis die Herrschsucht Venezia's die Visconti von Mailand und Carrara von Padua vertrieb und Dich an den schwarzen Mantel seiner Nobiles und die gehörnte Mütze seiner Falieri's heftete.

Nur die Farbenschätze Paul Veronese's, die Venezia sammelte, können die Tyrannei der Lagune in den Gedanken des Wanderers entschuldigen.

Aber auch die Neuzeit knüpft ihre blutigen Erinnerungen an diese Stätte.

In Deiner Nähe bei San Bonifacio wölbt sich die Brücke von Arcole – bei Montebello holte sich Lannes, der neue Roland von Frankreich, den Herzogshut! – bei Caldiero, den römischen Bädern, focht Massena mit den Oesterreichern – im Jahre 1822 tagten hier die Fürsten und Metternich schmiedete seine Fesseln für die armen deutschen Demagogen! –

Verona – ich liebe Dich – um Julia's willen, um jener Erinnerung willen, die noch heute die Pulse des alternden Mannes durchbebt, wenn er an die hohe Gestalt der Contessa Luisa in ihren schwarzen Schleiern denkt, wie sie an der Porta vecchia einer Königin gleich in den Waggon trat und im Canale grande in seinen Schooß sank! –

O Jugend des Mannes'– ich liebe Dich, sonniges Verona!! – –

 

Die österreichischen Uniformen und Bayonnete wimmelten durch alle Straßen – die ganze Bevölkerung war auf den Füßen und füllte die Plätze, die Kaffeehäuser. Die Nachricht von dem zu Villafranca abgeschlossenen Frieden hatte sich mit Blitzesschnelle verbreitet – die österreichischen Gesichter leuchteten Freude und Befriedigung – zwischen den Zähnen der Italiener zischte das verhängnißvolle Wort: il traditore! – Der Feldruf: Frei bis zur Adria! war zum Hohn geworden.

Es war am späten Abend; vor einem Café der Piazza Brà saßen drei Männer in eifrigem Gespräch: der Baron von Neuillat, der Graf Mortara und der Mohrendoktor.

Der Letztere war erst vor einer Stunde wieder mit den französischen Bevollmächtigten, welche die Unterzeichnung des Friedensinstruments beim Kaiser Franz Joseph einholen sollten, nach Verona zurückgekehrt, nachdem er sich mehrere Tage im französischen Hauptquartier aufgehalten hatte, um hier die Nachforschungen nach seinem verlorenen Neffen fortzusetzen.

»Ob Sie es uns zugestehen wollen oder nicht, Herr Graf,« sagte der Maure, – »ich bin überzeugt, daß Ihr Beistand es war, welcher dem armen Burschen davon half. Wenn Sie so freundlichen Antheil an seinem Schicksal genommen, so verweigern Sie uns jetzt nicht Ihre Hilfe, wo wir sie so dringend brauchen, um das geheimnißvolle Dunkel aufzuklären, das über ihm schwebt.«

»Lassen Sie die Todten ruhen,« sagte der Graf finster – »die Gräber von Solferino decken so Viele, und er ist dort einen Soldatentod gestorben.«

»Wenn ich es wüßte, würde ich mich drein fügen. Ich bin so lange ohne Hoffnung und Aussicht gewesen, daß das Blut der alten Könige Granada's mit dem welken Strom in meinen Adern nicht ersterben müsse, daß ich mich daran gewöhnt hatte. Aber jetzt, wo mir die Aussicht, ja die Gewißheit geworden, daß ein Zweig des alten Stammes noch vor wenig Tagen grünte trotz alles Hasses und aller Verfolgung, daß das Kind meiner unglücklichen Schwester lebte, ohne daß sein Dasein mit Schmach für ihr Gedächtniß verknüpft war, kann ich mich nicht entschließen, zu glauben, daß die Allmacht in demselben Augenblick, wo sie mir diese Vergütung eines einsamen und sorgenvollen Lebens gegeben, schon die Fackel wieder verlöscht hat.«

»Theilen Sie uns nochmals genau mit, Doktor,« sagte der Baron – »was Sie drüben herausgebracht haben.«

»Es ist Viel und doch wenig genug! Nach der Erzählung des General Montboisier und Major Laforgne's, der leicht verwundet in Brescia liegt, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß es wirklich der Novize Felicio, mein unglücklicher Neffe war, der bei Ca Marino auf die Suite des Kaisers traf und mit ihnen dem ferneren Gang der Schlacht beiwohnte, bis ihn das Soldatenblut in seinen Adern mit den Zuaven Bazaines, meinen alten Freunden, zum Sturm auf den Kirchhof trieb. In ihrer Mitte soll er gefochten haben, ein Offizier erinnert sich der auffallenden Gestalt im weißen Militairmantel mitten zwischen den Zuaven – aber Niemand kann weiter bestimmte Auskunft geben, ob er gefallen – ob er gefangen worden – ob er sonst verschwunden ist!«

Der Sprecher bedeckte das Gesicht mit den Händen in tiefem Kummer.

»Und Sie haben Alles versucht, um die Sache festzustellen?«

»Sie können denken, wie es bei einer solchen Gelegenheit hergeht. Die Eindrücke sind so rasch aufeinander folgend, so überwältigend, daß das Einzelne keinen Halt hat im Gedächtniß. So kann selbst Graf Montboisier kaum mit Bestimmtheit angeben, ob er wirklich den Unglücklichen unter den Stürmenden erkannt hat. Das halbe Bataillon ist bei jenem Angriff gefallen – auch ein Freund und Schützling des Grafen, von dem wir noch Auskunft hofften, Lieutenant des Chapelles; und dessen unzertrennlicher Gefährte, Sergeant Touron, der das Unglück hatte, ihn selbst zu tödten, ist tiefsinnig und weigert jedes Wort.«

»Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben,« sagte der Baron. »Ich habe unterdeß hier das Mögliche versucht, mich nach den französischen Gefangenen zu erkundigen. Sie befinden sich theilweise hier, zum Theil in Mantua. Aber ich mußte vorsichtig sein, um unserem aufmerksamen Gegner nicht selbst die Spur zu zeigen. Der Superior befindet sich hier, und würde gewiß sofort den Novizen für die geistliche Gerichtsbarkeit reclamiren, die ich mehr fürchte, als die weltliche. – Nach dem Friedensschluß von heute wird eine Auswechselung der Gefangenen schon in den nächsten Tagen erfolgen, und dann werden wir eher Gelegenheit haben, etwas Sicheres zu ermitteln.«

Ein höherer Offizier kam langsam durch das Volksgewühl über den Platz geritten, von seiner Ordonnanz gefolgt. Als er an der Gruppe vorbeikam, grüßte er vertraulich den Grafen, der zu ihm trat und mit ihm plauderte. Nach einigen Minuten erst ritt der Oesterreicher weiter, dem Kastell zu – der Modenese kehrte zurück.

»Es geht Etwas vor da drüben,« sagte er zu dem Baron mit dem Kopf nach der Seite des Kastells winkend.

»Was ist's?«

»Man hat noch spät Abends ein Kriegsgericht berufen. Der General gehört dazu. Er weiß nur, daß nach der Rückkehr des Kaisers ein Offizier des Generalstabs plötzlich verhaftet worden ist.«

»Wahrscheinlich wieder ein Fehler eines Oberen, den ein Untergeordneter büßen muß! Es ist leider so Sitte!« sagte der Baron bitter. »Ich erinnere mich einer Stelle aus Schiller's Wallenstein, die schon diesen Fehler rügt!«

Der Graf Mortara schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es handelt sich diesmal nicht um einen Fehler, sondern um ein Verbrechen. Dem Herzog entfiel vorhin, als ich ihn sprach, eine Andeutung in dieser Beziehung. – Geht weg, Bursche – wir wollen Nichts von Eurem Kram!«

Die letzten Worte galten einem jener zudringlichen Tabuletkrämer, die mit Cigarrenspitzen, venetianischen Perlen, Seife und Bürsten die Gäste der Kaffeehäuser belästigen.

Es war ein kleiner alter Bursche mit kohlschwarzem Bart, eine große blaue Brille vor den Augen, den Hut tief in's Gesicht gedrückt, große Vatermörder – ein Putz, den die niedern Italiener sehr lieben, – bis an die Nasenspitze ragend, ohne daß sie doch deren jüdischen Typus verbergen konnten.

»Gott der Gerechte,« weimerte der Krämer mit schnarrender Stimme, – »so ä vornehme Excellenz wird doch geben an dem Freudentag, da aufhört der grausame Krieg, zu verdienen Eppes em armen Mann? Wenn der Herr General nich will kaufen ä ächten Meerschaum, wird der gnädige Herr hier doch vielleicht kaufen ä Brille mit vortrefflichen Gläsern, die sind so gut, daß man kann sehen was man sucht, und sollt' es auch sein noch so weit, oder gar hinter de Wälle und de Mauern von ä Festung!«

Doktor Achmet, dem diese Anpreisung gegolten, schaute betroffen empor – sein scharfes Auge fixirte den Verkäufer, der rasch einen Finger auf seinen Mund legte.

»Ab....«

»Wenn der gnädige Herr fremd sind in Verona,« fuhr der Krämer hastig fort, – »und er hat noch nicht gesehen den Circus im Mondlicht, könnt er haben jetzt die schönste Gelegenheit dazu. Die Sache is grausam schön und der Herr Verwalter von der Thür is mei Freund und wird uns öffnen den Eingang.«

Der Arzt war aufgestanden. »Das war schon längst mein Wunsch,« sagte er hastig. »Entschuldigen Sie mich eine Viertelstunde, aber ich bitte, verlassen Sie den Platz nicht – ich denke, ich habe noch Wichtiges mit Ihnen zu sprechen.«

Ohne die Antwort seiner Gesellschafter abzuwarten winkte er dem Krämer voranzugehen, und schritt hinüber nach den Verkaufsläden unter den inneren Bogen des riesigen Gebäudes, in welchen sich die Eingänge befinden.

Der kleine Händler wand sich vor ihm her durch die Menge, erst als sie in der Nähe des Eingangs waren, drängte er sich an ihn.

»Gehen Sie hinein,« flüsterte er – »in zwei Minuten werd' ich sein bei Ihnen.«

Damit war er verschwunden. Doktor Achmet zahlte ein Trinkgeld und trat durch die dunklen Bogengänge, in denen man noch die Logen der Gefangenen und der wilden Bestien zeigt, denen sie bestimmt waren, in den weiten Raum des Amphitheaters.

Der bleiche Schein des Mondes lag auf den fünfundvierzig Marmorreihen, die sich hier im gewaltigen Oblong zur Höhe der Arkaden emporheben. Während draußen Alles Leben und Bewegung athmete, herrschte in dem Riesenbau eine feierliche Stille.

Einige Minuten lang verfehlte der Anblick selbst in der gegenwärtigen Erregung seinen Eindruck nicht auf den Sohn des fernen Granada. Er mochte unwillkürlich an den jetzt gleich einsamen Bau der Alhambra und des Generalife denken, an all' die mächtigen Geister, die diese Riesenwerke geschaffen! Dann schauderte er zusammen, denn er gedachte auch des Weibes, dem zu Ehren der fromme Antonin diesen Bau aufgethürmt – Faustina's, der wollüstigen Megäre, und er erinnerte sich der dunklen geheimnisvollen Erzählungen Laforgne's von den Namensschwestern der vom Fluch des Volkes und des Gatten verfolgten Kaiserin zur Zeit des neuen Kampfes Roms auch unter einem Pius, und wie eine derselben im Kloster am Monte Cenere mit den beiden einzigen theuren Wesen, die er auf der Welt hatte, mit Carmen und seinem Neffen zusammengetroffen war und sie in Gefahr gebracht hatte.

Die wirre Erinnerung kam wie eine schlimme Ahnung über ihn und nur der Gedanke, daß er ja Carmen jetzt glücklich in den Armen eines geliebten Gatten wußte, ermannte ihn und gab ihm die Hoffnung wieder, daß auch das andere Kind seines Herzens, das Kind seines Blutes gerettet und glücklich werden möge.

Ueber die Marmorstufen huschte ein dunkler Schatten, er stieg ihm entgegen, – es war der Jude.

»Abramo,« sagte der Doktor – Gott sei gesegnet, daß ich Dich endlich finde. Warum hast Du mich nicht längst aufgesucht, wo ich so dringend Deines Beistands bedarf?«

»Gott Moses,« zischelte der kleine Spion, denn dieser war es in der That unter der Maske des Tabuletkrämers, – »was brauchen Sie so zu schreien, damit hört ganz Verona, daß der arme Abraham wieder ist in seinen Mauern mit Gefahr seines Halses, blos um Ihnen zu leisten einen Dienst! Hab' ich doch verloren beinahe mein Leben, als ich hab' zugesteckt dem jungen Frater, der jetzt ist kein Frater mehr, sondern zu seinem Unglück ä Makkabäer, ä Kriegsmann, den Zettel, den Sie mir gegeben haben für ihn.«

»So weißt Du um seine Flucht?«

»Main! Soll ich nicht wissen von seiner Flucht, da ich doch weiß, daß er gehabt hat das Unglück zu werden wieder gefangen in der grausamen Schlacht und ist geworden getreten, und gestoßen und geschlagen, daß der Athem ist fast ausgegangen aus seiner Brust!«

»Gott sei Dank – also er lebt?«

»Gewiß thut er leben – obschon er ist geworden sehr gemaltraitirt!«

»Und wo ist er – kannst Du mich zu ihm führen?«

»Wo er thut sein? Seit zwei Tagen erst weiß ich's, und hab mich gewagt hierher, um zu suchen seine Freunde, mit großer Gefahr, da ich doch nicht weiß, wie denken die großen Herren über die kleinen Dienste, die geleistet hat der arme Abraham. Gott der Gerechte, wär' ich geblieben bei meinem Herrn in Mantua, würd' er mich gesetzt haben in sein Testament und ich wär' jetzt ä reicher Mann!«

Der Doktor begriff, was der kleine Schurke wollte. »Du sollst zehn Napoleons haben, wenn Du mir Alles sagst, was Du weißt und mich zu dem Unglücklichen bringst. Es ist Alles, über was ich augenblicklich verfügen kann.«

»Gott Moses! Das Leben ist schwer und theuer! – Geben Sie her das Geld!«

Der Arzt schüttete seine Börse in die Hand des Spions. »Der junge Herr – Gott schenke ihm langes Leben und Gesundheit! – sitzt mit den andern Gefangenen drüben im Kastell. Ich weiß es ganz bestimmt, denn der gestrenge Herr Prälat ist gewesen zwei Mal bei ihm.«

»Wie, so hat Don Corpas auf's Neue ihn in seiner Gewalt?«

»Ich weiß doch nicht, wer ist der Don Corpas, aber ich weiß, daß der Monsignore Corpasini ist bei aller Heiligkeit ä schlimmer Feind und ä gewaltig strenger Mann. Wenn ich geben soll Euer Excellenz einen Rath, so ist es der, daß die Freunde von dem jungen Herrn Felicio nicht versäumen mögen die Zeit, ihm zu helfen aus der Klemme.«

»Sind das alle Nachrichten, die Du mir geben kannst?«

»Main! ist das nicht genug für zweihundert Lire, wo ich gesetzt habe doch mein Leben ein? Aber ich weiß, daß Sie werden sein großmüthig, wenn der junge Herr ist frei, und ich werde thun alles Mögliche, um zu erfahren noch mehr.«

»Wo kann ich Dich finden, wenn ich Deiner bedarf?«

»Ich muß doch sein wie der Wind, bald hier, bald da. Wollen Sie mir sagen, wo Sie logiren?«

»Im Aquila nera, bei Baron Neuillat.«

»Gut – ich werde Sie sehen morgen! Aber –« der kleine Schurke zögerte, als habe er noch Etwas auf dem Herzen, doch schien er sich zu besinnen und sagte blos: »Erinnern Sie sich, Signor Dottore, daß der Abramo gesagt hat, zu helfen rasch! – Gute Nacht!«

Er schlüpfte über die Stufen und verschwand durch eine der Oeffnungen.

Doktor Achmet suchte mit sorgenvoller Stirn den Ausgang und kehrte zu seinen beiden Gesellschaftern zurück, die noch im Café seiner harrten. Hier theilte er ihnen mit, was er so eben erfahren, und frug sie um ihren Rath.

Eine unbestimmte Angst erfüllte den Doktor, er drang darauf, noch diesen Abend Schritte zu thun. Aber welche? – Man wußte ja nicht einmal, in welcher Eigenschaft der Novize im Fort gefangen gehalten wurde. Daß er noch nicht an seine geistlichen Obern ausgeliefert worden, obschon der Superior, wie Abramo versichert hatte, von seiner Gefangenschaft wußte, war ein auffallender Umstand.

»Sie sagen,« bemerkte endlich der Graf, »daß Corpasini Ihr Jugendfreund gewesen ist?«

»Er war es, bis eingetretene Verhältnisse ihn zum erbittertsten Feinde und Verfolger unserer Familie machten. Erinnern Sie sich an den Thurm von Azcoitia? – Ich bin ein Hacene, jener Knabe ist der letzte Sprosse Boabdils, des Beherrschers von Granada, und unser Feind weiß es nur zu gut.«

»Wann sind Sie zuletzt mit ihm persönlich zusammen getroffen?«

»Im Garten der Tuilerieen vor vier Jahren! Damals war es, wo sein Haß mir die Existenz eines Kindes meiner Schwester verrieth!«

»Und scheuen Sie sich, ihm persönlich entgegen zu treten?«

»Ich habe Nichts zu scheuen in meinem Leben.«

»Wohl! Dann lassen Sie uns zu ihm gehen,« sagte der Baron entschlossen. »Fordern Sie geradezu von ihm den jungen Mann als Ihren Neffen zurück; ich werde Sie unterstützen, selbst auf die Gefahr hin, daß der Bruch auf einer anderen Seite Mißbilligung erregt. Es liegt Etwas in den Erinnerungen unserer Jugend, das die kühlen Rücksichten und Bedenken des Alters überwindet, wenn es nöthig ist. Begleiten Sie uns, Graf? Sie sind ein Glied in der Kette.«

»Wenn es nicht unbedingt nöthig ist – nein! ich glaube, man beargwöhnt mich schon ohnehin in dieser Angelegenheit, und es giebt augenblicklich eine Sache, weswegen ich nicht mit dem Priester brechen möchte.«

»Wir sind Ihnen dann wenigstens dankbar, für die Theilnahme, die Sie bisher gezeigt. Wir werden nur im Nothfall Ihr Zeugniß anrufen.«

»Und Sie sollen es haben. Sie haben Recht, Baron – man macht im Alter gern eine Schuld der Jugend gut. Ich werde Sie hier erwarten.«

»Wo und wie gelangen wir zum Superior?«

»Er wohnt im Bernardino, wie Sie wissen. Sagen Sie dem Pförtner Ihren Namen, Baron, und er wird Sie gewiß trotz der späten Stunde empfangen. Drohen Sie ihm mit Kardinal Antonelli – das ist der einzige Mann, den er fürchtet, und der mehr Einfluß auf seine Entscheidungen hat, als selbst der General des Ordens.«

»Ich danke Ihnen. – Haben Sie den Trauschein bei sich, Doktor?«

»Ich verwahre ihn auf meiner Brust, seit ich ihn erhielt.«

»Wohlan, – so lassen Sie uns die Schlacht wagen. Kommen Sie!«

Die beiden Männer erhoben sich und verließen nach einigen Worten den Modenesen, der zurückblieb. – –

In einem einfachen, geräumigen Gemach des aus dem 15ten Jahrhundert stammenden Klosters, neben der ehemaligen Bibliothek mit den Fresken von Cavazzolo, saß an einem mit Papieren bedeckten Arbeitstisch der Superior, während ein Frater ehrerbietig harrend, anscheinend reisefertig, in der Nähe der Thür stand.

»Hier ist der Brief an den Präsidenten des Gerichtshofes,« sagte der Prälat. »Wir bestehen auf der Beschlaghaltung des Vermögens des jüdischen Juweliers Mortara, um das Recht der Kirche als Vormund seines Neffen zu sichern, soweit es der Familie selbst hinterlassen und nicht durch besondere Legate bestimmt ist. Setze von dieser letzten Klausel Signor Maffio, unseren Advokaten, in Kenntniß. Es ist am Besten, wir haben nur mit den österreichischen Behörden zu thun, und müssen die Einmischung der fremden Consuln oder Gesandten vermeiden. – Sorge dafür, daß der Brief an den Cardinal-Erzbischof in Neapel sofort von Rom durch eine vertraute Person befördert wird. Don Troja muß in Kenntniß gesetzt werden, welche Gefahr dem Königreich durch diesen abscheulichen Vertrag droht, der offenbar nur aufgestellt ist, um ihn zu brechen. Man muß unnachsichtliche Strenge jetzt gegen jede liberale Agitation in Neapel und Palermo anwenden, wie sie gewiß augenblicklich von Turin aus in's Werk gesetzt werden wird. Das Kastell von San Elmo bietet einen vortrefflichen Aufenthalt für alle unruhigen Köpfe. Es ist jetzt keine Zeit, mit den Schweizern über ihre Fahnen zu zanken. – Du kennst Deine Instruktionen für Rom?«

Der Pater – ein Mann von hagerer Gestalt mit viereckigem massivem Gesicht machte ein Zeichen der Bejahung.

»Füge ihnen bei, daß Kardinal Merode sofort Werbungen beginnen muß. Wir werden durch den Beichtvater der Kaiserin in Paris dafür sorgen, daß ihnen kein Hinderniß in den Weg gelegt wird. Die besten Werbebüreau's werden Sitten, Feldkirch und Gratz sein. Auch im Norden Münster. Man soll um Himmelswillen nicht auf die Herstellung von Modena und Toscana rechnen. In den Legationen müssen die geistlichen Gerichte mit den Rechten der Inquisition versehen werden, oder wir werden die Revolution niemals zu Boden werfen und niederhalten. – Biete jede mögliche Ueberredung auf, den Kardinal zu bewegen, daß er unserem Plan in Betreff des General Lamoricière beistimmt. – Ich wünschte, wir hätten eine gleiche Kraft für Neapel, aber die Unfähigkeit und Eifersucht ist dort zu groß. Man ist zu bornirt, um einen Protestanten zu nehmen – sonst holten wir ihn aus Preußen. Man hat dort Condottieri's genug, die Lust haben, in Spanien oder Italien zu dienen, und ich würde ihnen lieber vertrauen, als nach diesen Proben der ganzen österreichischen Generalität.«

»Die Königin ist so gut wie der beste General!«

»Sie ist eine Kraft und wird ihre Rolle spielen, wie – der Teufel hole alle Schwiegermütter!« fügte der Superior sehr ungeistlich bei. »Die Leute in Neapel sind blind gegen den Sturm, der herauf zieht und selbst in Rom bedarf es klarerer Köpfe und stärkerer Hände. Du bist der Einzige, Fra Ignacio, dem ich vertrauen kann. Leite die Unterhandlungen wegen der Kardinalswahl geschickt. Es ist endlich Zeit, daß man das Versprechen hält. Mattei und Altieri sind die Einzigen, auf die wir mit Bestimmtheit zählen können, die Anderen sind von Eifersucht gegen den Orden verblendet und doch nicht die Männer, um Antonelli die Wage zu halten. Besprich mit ihnen, ob es nicht möglich ist, Hohenlohe zum Verzicht auf die Wahl zu bewegen, dann können sie nicht anders, als mir ihre Stimmen geben. Was ist's?«

Ein Klopfen an der Thür hatte die Unterredung unterbrochen.

Fra Andrea war eingetreten. Er überreichte eine Karte. »Der Signor Barone bittet dringend um eine kurze Unterredung – es befindet sich noch ein zweiter Mann bei ihm.«

»Kennst Du ihn?«

»Es ist derselbe, der in voriger Woche sich hier aufhielt und oft mit dem Signor Ciambellano verkehrte.«

Ein Ausdruck des Hasses zuckte über das strenge Antlitz des Prälaten. »Also doch!« murmelte er – »Nun es sei! es muß zu einem Ende kommen zwischen uns, damit mein Auge wichtigeren Dingen zugewendet werden kann. Wer nicht mit mir ist, ist wider mich! – Nimm meinen Seegen, Bruder Ignacio,« sagte er laut – »und tritt Deinen Weg an. Man wird Deiner Carriola das Festungsthor öffnen, wenn Du diese Karte vorzeigst. – Lasse die Signori eintreten!«

Die beiden Jesuiten entfernten sich – der Superior bedeckte einige Augenblicke das Gesicht mit beiden Händen – ein Kampf schien in ihm vorzugehen, oder alte Erinnerung mächtig zu werden. Aber als er bei dem Geräusch der aufgehenden Thür die Hände entfernte, war sein Antlitz kalt und ruhig, sein Blick freundlich und zuvorkommend.

Der Baron Neuillat, Kammerherr des Grafen Chambord, und der französische Arzt waren eingetreten.

»Seien Sie willkommen, lieber Baron,« sagte der Prälat, seinem Besuch entgegen gehend, und ihm die Hand reichend. »Sie gewähren mir jetzt so selten das Vergnügen Ihrer Gesellschaft, daß ich es um so höher anschlagen muß, Sie bei mir zu sehen an einem so wichtigen und ereignisreichen Tage.«

Eine Bewegung der Hand lud die Besucher ein, Platz zu nehmen. – »Sorge dafür, Fra Andrea, daß wir unter keinen Umständen gestört werden.«

Der dienende Bruder entfernte sich.

»Sie haben Recht, Monsignore,« sagte der Baron, »daß Sie diesen Tag einen wichtigen nennen. Er ist es nicht allein für ganze Staaten, sondern auch für einzelne Personen, und eine solche habe ich mir erlaubt, bei Ihnen einzuführen, – einen Landsmann von Ihnen, der hoffentlich Ihrem Gedächtniß nicht ganz entschwunden ist.«

»Herr Doktor Achmet, französischer Arzt, wenn ich nicht irre?« sagte der Prälat mit einer kalten, aber höflichen Verbeugung.

»Diego Corpas, ich bin es – der Freund und Gefährte Deiner Jugend – später ...«

»Wenn Ihnen oder Ihren Freunden«, unterbrach der Jesuit den Arzt, das letzte Wort besonders betonend, »mein geringer Einfluß in irgend Etwas dienen kann, lieber Baron, so befehlen Sie über mich. Aber Sie wissen selbst, daß die Erinnerungen meiner Jugend nicht so angenehm sind, um sich ihnen bei den wichtigen Anforderungen der Gegenwart ohne Noth zu überlassen.«

»Dennoch Monsignore,« sagte der Baron, »bin ich gezwungen, auf einige Augenblicke Sie darum zu bitten. Sie erinnern sich unseres neulichen Gesprächs über einen jungen Mann, der Novize Ihres Ordens ist.«

»Des Fra Felicio! – ich dächte, die Sache wäre abgethan. Der Undankbare hat alle Wohlthaten, die ihm erwiesen wurden, mit Füßen getreten und sich der Strafe für seine Vergehen durch die Flucht entzogen, wozu ihm Einer behilflich gewesen ist, der besser gethan hätte, seine Hand davon zu lassen, wie er auf Kosten einer gewissen Erbschaft bemerken wird.«

Der Ton der Prälaten war bei dieser Antwort spitz und scharf geworden.

»Ich beklage lebhaft die Unvorsichtigkeit des jungen Mannes,« fuhr der Baron fort, – »denn seine thörichte Flucht hat sicher nur dazu gedient, die Entwicklung seines Schicksals und die Einsetzung in seine bürgerliche Stellung zu verzögern, die von Ihrem Wohlwollen und Ihrem Beistand abhängt.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz, Signor Barone,« sagte der Prälat kalt; »doch wenn Ihre Worte auf gewisse Fragen und Andeutungen zielen, die Sie mir früher über die vorgebliche Herkunft dieses Menschen, machten, so glaube ich Ihnen bereits gesagt zu haben, daß Sie sich im Irrthum befinden.«

»Es ist der Sohn meiner unglücklichen Schwester,« rief der Arzt ungestüm, »und Du weißt es, Diego Corpas, der Du ihrem Tode nicht fern warst!«

»Ich bin der Rector Antonio Corpasini, ein geringes Mitglied der heiligen Kirche und des Ordens Jesu,« sprach der Prälat mit festem Ton. »Nur als dieser werde ich anhören, was Sie mir zu sagen haben.«

»Ich bitte Sie, Signor Dottore,« unterbrach der Baron – »Ihre Gefühle zu zügeln und mich die Verhandlung führen zu lassen. – Es sind jetzt zweiundzwanzig Jahre her,« fuhr er fort, »als wir uns am Thurm Zureda kennen lernten und Ihr Vater, Don Corpas, den Tod dieses Mannes, damals jung wie wir Alle, verlangte. Ein Cavalier, mein Freund, den leider eilf Jahre später ein trauriges Schicksal traf, rettete ihn und seine Schwester Ximene. Der Cavalier – ich will ihn nicht entschuldigen, daß er seine wackere That also schmähte, – brachte das Mädchen nach Azcoitia in den Palast de Narros, um es gegen den Haß Ihres Vaters und Ihren eigenen zu schützen.«

»Ich habe stets gewußt, daß Herr von Neuillat zu den Gegnern meiner Familie gehörte,« sagte der Prälat mit kaltem Hohn, »auch wo wir an einem gemeinsamen Werke arbeiteten.«

»Das Schicksal hat es gewollt, uns in anderen Lebenslagen wieder zusammen zu führen und wenigstens äußerlich zu verbünden. Aber ich fahre fort. Die Intriguen Ihres Vaters machten es nöthig, daß, um das Mädchen zu schützen, mein Freund dasselbe wenigstens scheinbar zu seiner Gattin machte. Ich war Zeuge dieser Trauung.«

»Der Baron Léon von Neuillat, der Kammerherr und Vertraute des rechtmäßigen Königs von Frankreich hat demnach den Helfershelfer eines Wüstlings gemacht, um ein armes spanisches Mädchen zu verführen!«

»Ich dachte damals leichtfertiger als jetzt und lange hat es mir schwer auf der Seele gelegen. Aber die Vorsehung hatte es besser mit uns Allen gemeint, als wir selbst, und eine schlechte That verhindert. Jene Trauung, die ein unbekannter Priester vollzog, war in der That gültig!«

Der Prälat zuckte die Achseln mit einem verächtlichen Blick auf den Arzt. »Man hat es mir schon einmal gesagt. Ihre Geschichte, Herr Baron, ist sehr interessant, aber höchst unwahrscheinlich.«

»Sie irren – wir haben die Beweise!«

»Ihr Zeugniß, Herr Baron, der Sie selbst bei dem Betrug halfen, und das eines Diebes und Galeerensclaven, wie dieser Herr mich in Paris versicherte!«

»Nein, Monsignore, wir haben die legalisirte Abschrift der geheimen Eintragung dieser Trauung in die Kirchenregister des Dominikanerklosters zu Azoitia, und hier ist sie, obschon ich nicht weiß, wie jener uns unbekannte Priester dazu gekommen ist, diese Eintragung zu veranlassen und meinen Namen als Zeugen beizufügen.«

Eine fahle Blässe hatte bei diesen Worten das Antlitz des Jesuiten überzogen und er machte eine hastige Bewegung, als wollte er dem Baron das wichtige ihm so wohl bekannte und so lang verwahrte Dokument entreißen, dessen Diebstahl mit anderen Papieren durch den jüdischen Spion das Geheimniß seiner Rache gefährdete. Aber im nächsten Augenblick ließ er die Hand sinken und unterdrückte mit gewaltiger Anstrengung jedes Zeichen der Aufregung.

»Wenn dieses Papier die Wahrheit spricht,« sagte er kalt, »so soll es mich um jenes Mannes willen, der mich seinen Feind wähnt, freuen, daß eine Tochter Spaniens nicht zur Metze eines polnischen Abenteurers geworden ist, wie ich bisher glaubte.«

»Sie können mehr thun, Monsignore, Sie können seinem Alter Glück und Freude wieder geben und sein Mißtrauen in Dank und Seegen verkehren!«

Der Moriske konnte sich nicht langer halten, er streckte ihm beide Hände entgegen. »O Diego, bei den Tagen unserer Jugend, bei dem Andenken der unglücklichen Ximene, gieb mir ihren Sohn zurück, und ich will Dir Alles vergeben und Dich segnen!«

Der Superior erwiederte den Aufruf mit einem eisigen Blick.

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Hören Sie mich,« sagte der Baron hastig, »und mögen meine Worte Eingang zu Ihrem Herzen finden. Sie selbst haben diesem Mann vor Jahren in ParisZehn Jahre, III. Band gesagt, daß seine unglückliche Schwester, die auf so geheimnißvolle Weise – ich will nicht näher darauf eingehen, ob durch den Haß Ihres Vaters – in der Nacht der Trauung verschwunden war, gestorben ist, indem sie einem Kinde das Leben gab, der Frucht jener Verbindung.«

»So sagte ich!«

»Und Sie sprachen die Wahrheit?«

»Ich sprach sie. Das unglückliche Weib ist, wie ich vernahm, neun Monat nach ihrer Flucht im Kindbett gestorben! Gott rächt Alles! – Barmherzige Menschen haben das Kind zu sich genommen, um es zur Ehre Gottes und zur Sühne der Sünden seiner Eltern zu erziehen. – Weiteres, Herr, können Sie von mir nicht erfahren! – Lassen Sie damit diese Unterredung enden!«

»Nein, Mensch von Stein und ohne Erbarmen,« schrie der Arzt in leidenschaftlicher Aufregung – »nicht eher weiche ich von Deiner Schwelle, als bis Du mir das Kind meiner unglücklichen Schwester, den Sohn meines Blutes, zurückgegeben hast, – denn jener Jüngling, den Du selbst für Deinen Orden erzogen, den Deine Härte in's Verderben getrieben, – der Novize Felicio ist mein Neffe!«

Der Jesuit kreuzte die Arme, zum ersten Mal begegnete sein hartes drohendes Auge dem des ehemaligen Jugendgenossen, zum ersten Mal richtete er das Wort an diesen.

»Du kennst ihn?«

»Ich habe ihn nie gesehen, aber mein Herz sagt mir, daß er es ist, das Zeugniß meiner Freunde und Dein Haß gegen ihn!«

Der Baron mischte sich ein, um die lange zurückgedrängte Leidenschaft des Morisken nicht die einzige Aussicht auf Erfolg verderben zu lassen.

»In der That Monsignore, sprechen alle Beweise dafür, daß Sie hier, ohne es gestehen zu wollen, ein Werk der Barmherzigkeit geübt haben. Wir wissen von dem jungen Mann selbst, daß er seine Kindheit in Biscaya verlebt hat und unter Ihrem Schutz, wenn er Sie auch selten sah, in einem spanischen Kloster erzogen worden ist, bis Sie ihn zur ferneren Vorbereitung für die Kirche auf einige Reisen und nach Italien mitnahmen. Ich darf Ihnen sagen, daß mich schon bei unserem ersten Begegnen in Mailand seine Aehnlichkeit mit meinem verstorbenen Freunde dem Fürsten überraschte, und ebenso erkannte sie Einer, der ihn eben nicht liebte, der General Mortara.«

»Seine Aussichten für das Erbe in Mantua sind sehr schwach!« murmelte der Jesuit.

»Selbst eine furchtbare Scene in einem Kloster des Monte Cenere, der Sie selbst beiwohnten, und von der ein Anwesender, Major Laforgne von der sardinischen Armee dem Doktor Achmet erzählt hat, spricht für die seltsame Aehnlichkeit. Seien Sie großmüthig, Monsignore – geben Sie uns den Beweis seiner Identität, den Sie allein führen können, entlassen Sie ihn seiner Verpflichtungen gegen die Kirche, für die sich der Jüngling nie eignen wird, und machen Sie damit manche Erinnerungen unserer Jugend gut.«

»Und wer sagt Ihnen, Herr Baron, daß jenes unglückliche Kind, gleichviel ob Bastard oder ehelich geboren, nicht ein Mädchen war, daß es nicht längst gestorben ist, daß es jener verworfene undankbare Bösewicht sein muß, der seine Wohlthäter bestahl und der gerechten Strafe sich nur durch die Flucht zu dem Feinde entzog?«

»Es ist es – mir sagt es mein Herz!« rief der Arzt.

Der Rector lächelte spöttisch. »Was kümmert es im Grunde mich! Sie bestehen also auf dieser Person für Ihre Selbsttäuschung?«

»Ja – Mann ohne Herz und Gewissen!«

»Sie wissen, daß der Novize am Tage vor der Schlacht von Solferino seiner Haft entflohen ist?«

»Ich weiß es, denn ein Zufall oder vielmehr die Hand Gottes führte ihn zu seinen Freunden!«

»Und wissen Sie, wo der bethörte Mensch sich jetzt befindet?«

»Seit einer Stunde wissen wir es, Diego Corpas, deshalb kommen wir zu Dir,« rief der Moriske. »Felicio ist als Gefangener in den Händen der Oesterreicher, im Kastell San Pietro, und Du willst ihn auf's Neue als Dein Eigenthum, als den Gefangenen und Sclaven Deines furchtbaren Ordens reclamiren! Wir kommen, ihn dagegen zu schützen!«

Ein seltsames furchtbares Lächeln lagerte sich auf die finstern Züge des Jesuiten – ein Lächeln, das selbst den gewiegten Diplomaten in der Tiefe seines Herzens schaudern machte, ohne daß er sich Rechenschaft über die Ursach zu geben vermochte.

»So wollen Sie sich also begnügen mit der Person des Novizen Felicio?«

»Ja – tausend Mal ja!«

»Und Sie verlangen, daß unsere Congregation ihn aufgiebt, daß die Kirche den Meineidigen und Dieb ihrer Gerichtsbarkeit entläßt?«

»Ja, – Herr – wenn er nur dieser Fesseln frei wird, für das Andere wollen wir sorgen!«

Der Baron nickte zerstreut Zustimmung. Die plötzliche Wandlung des Priesters erregte ihm Unruhe.

Der Prälat trat zu dem Tisch und nahm eine Schrift, die hier lag. »Hier ist die Reclamation der Gesellschaft Jesu, kraft welcher sie die Auslieferung des Novizen Felicio, als bereits der ersten Weihe theilhaftig, von der weltlichen Gerichtsbarkeit verlangt. – Ihr Wille geschehe!« Er zerriß die Schrift, setzte sich an den Tisch und schrieb ein kurzes Dokument.

»Lesen Sie!«

Der Doktor nahm es mit freudezitternder Hand und laß den Inhalt:

»Kraft meines Amtes und der mir ertheilten Vollmacht des Generals vom Orden Jesu erkläre ich den bisherigen Novizen Felicio, gegenwärtig Kriegsgefangener im Kastel San Pietro, aus der Gemeinschaft des Ordens und der Gerichtsbarkeit der Heiligen Kirche entlassen.

Antonio,

Superior der Congregation und Rector des Kollegiums zu Bologna.«

»Genügt dies, und wollen Sie weiter keine Ansprüche an mich erheben?«

»Ich danke Dir, Diego Corpas!«

Wiederum flog jenes dämonische Lächeln über das Gesicht des Jesuiten. Er nahm das Papier aus der Hand seines Jugendgefährten und verschloß es mit dem Siegel der Congregation. Dann schlug er mit einem kleinen Stahlhammer an eine silberne Glocke.

Sogleich öffnete sich die Thür und der dienende Bruder Fra Andrea trat ein.

»Was ich thue,« sagte der Prälat, »liebe ich sogleich zu thun. Ich denke, unsere Geschäfte sind zu Ende. Dieser Mann wird das Schreiben sofort an Se. Excellenz den Gouverneur Feldmarschall-Lieutenant Urban bringen. Vielleicht wollen Sie ihn dahin begleiten, um unseres Verzichtes sicher zu sein.« – Er wandte sich zu seinem Untergebenen. »Du hast meinen Auftrag gehört – in einer Viertelstunde muß das Schreiben in den Händen des Generals sein.«

Steif und kalt blieb er stehn, als mahne er an den sofortigen Aufbruch seiner Besucher. Fra Andrea öffnete ihnen die Thür.

Der Arzt trat auf ihn zu – er bot ihm offen und bieder die Hand.

»Was Du und die Deinen auch verschuldet an uns,« sagte er mit Rührung, »es sei vergeben und gesühnt in dieser Stunde. Gott lohne es Dir, daß Dein Herz sich zur Milde gewendet – Ximenens Geist möge segnend niederschauen auf ihr Kind, dem meine Liebe so spät noch Vater und Mutter ersetzen soll!«

Der Jesuit hatte die Hände auf den Rücken gelegt, sein Auge maß kalt, fast drohend den Gefährten seiner Kindheit, den Bruder des Mädchens, das er einst so sehr geliebt.

»Um 6 Uhr werden die Thore von San Pietro geöffnet,« sagte er kalt – »Du wirst mich dort finden, Achmet Hacena, um von jenem Undankbaren Abschied zu nehmen – auf Nimmerwiedersehen. – Geh, und mögest Du niemals bereuen, ihn der Kirche entzogen zu haben!«

Er winkte auf eine Bewegung, die der Baron machte, ihn anzusprechen, gebieterisch nach der Thür.

Der Kammerherr faßte den Arm des Arztes – mit stummem Gruß verließen die Beiden das Refectorium in Begleitung des dienenden Bruders.

Der Superior blieb allein – sein dunkles Auge fest auf die Thür geheftet, durch welche jene das Gemach verlassen hatten.

Zu seinen Füßen lagen die zerrissenen Stücke Papier – –

»Vengánza á muerte!«

 

Ein Kreis ernster, finsterer Männer, sieben an der Zahl, saß zwei Stunden später um einen schwarz behangenen Tisch in einem Gemach des Kastel San Pietro. Ihre Uniformen zeigten österreichische Militairs aller Grade vom General bis zum Gemeinen – ihre strengen Gesichter wiesen tiefen Ernst und Trauer über das Verbrechen, das sie richteten.

Vor dem Tisch standen zwei Gefangene – der eine in der Uniform eines Offiziers, ein Mann von mittleren Jahren, sehr bleich, die grauen Augen waren fast beständig an den Boden geheftet.

Der Andere war ein junger, krankhaft und leidend aussehender Mann, aber sein dunkles Auge blitzte unaufhörlich von Einem auf den Anderen, auf seinen Wangen glühte ein rother Fleck hektischer Erregung. Von Zeit zu Zeit legte er die Hand auf die Brust, als wolle er dort einen Schmerz unterdrücken, wandte sich zur Seite und spukte Blut aus.

Er trug einen beschmuzten zerfetzten österreichischen Reitermantel über ärmlichen schwarzen Unterkleidern.

Auf dem Tisch selbst vor dem Vorsitzenden, einem alten finstern General, lagen die verhängnißvollen Papiere, welche der Kaiser Louis Napoleon seinem erlauchten Gegner am Mittag in Villafranca eingehändigt hatte, – daneben ein altes schmuziges Notizbuch – dasselbe, in welchem der unglückliche junge Gefangene seine Bemerkungen im Lager von Cavriana eingetragen.

Der Auditeur am Ende des Tisches erhob sich.

»Ich habe jetzt die traurige Pflicht,« sagte er mit leiser aber deutlich vernehmbarer Stimme, »nachdem das Hohe Kriegsgericht die beiden Gefangenen des ihnen zur Last gelegten Verbrechens des Landesverraths und der Spionage zum Nachtheil der kaiserlich königlichen Armee einstimmig für schuldig erachtet hat, gegen Beide laut Artikel 5 des Kriegsgesetzbuchs die Todesstrafe zu beantragen und verlange, daß sie bei Tagesanbruch an die Richtstätte geführt nach Entkleidung ihres Ranges und ihrer Würden durch die Hand des Profoß den schimpflichen Tod durch den Strick erleiden mögen zur Sühne ihrer Vergehen und der beleidigten Ehre des Landes.«

Der Vorsitzende richtete seinen ernsten Blick auf die Angeklagten.

»Haben Sie oder Ihr Vertheidiger noch Etwas dagegen vorzubringen, daß die Todesstrafe nicht über Sie ausgesprochen werden kann?« frug er.

Der ältere Gefangene schwieg, finster zu Boden blickend, der andere rief heftig: »Mit welchem Recht wollen Sie mich verurtheilen? ich bin kein Oesterreicher – ich gehöre nicht unter Ihr Gericht! Ich gehöre zum geistlichen Stande!«

Der Offizier, der neben ihm saß und mit der Vertheidigung der Angeklagten beauftragt war, nahm das Wort. »Die Berufung des Angeklagten ist gegründet. Er hat die ersten Weihen in dem Jesuiten-Kollegium zu Bologna empfangen und gehört der geistlichen Gerichtsbarkeit, wenn diese ihn reklamirt. Ich protestire in deren Namen gegen eine Urtheilssprechung.«

Der Auditeur nahm ein Papier aus seinen Akten.

»Auf Befehl Seiner Excellenz des Festungskommandanten Feldmarschall-Lieutenant Urban habe ich hier die Erklärung der geistlichen Vorgesetzten des Angeklagten zu übermachen, wodurch sie jeder Reclamation seiner Person zu Gunsten der geistlichen Gerichte entsagen und unter Verstoßung aus dem geistlichen Stande ihn dem Urteilsspruch der weltlichen Gerichtsbarkeit überantworten.«

Ein Aechzen war die Antwort auf diese Erklärung, der jüngere Angeklagte sank auf den Stuhl zurück, der hinter ihm stand, und verhüllte das Gesicht mit seinen Händen.

»Der Gerichtshof wird sein Urtheil sprechen,« sagte der Vorsitzende – »ich glaube, es ist unnöthig, daß er sich zurückzieht.«

Ein stummes Zeichen der Zustimmung war die Antwort – die Mitglieder des Gerichts flüsterten einige Augenblicke mit einander, dann erhob sich der alte General.

Ein tiefes feierliches Schweigen herrschte in dem Gemach.

»Kapitain ...« – (wir unterlassen es, den uns wohlbekannten Namen eines Elenden zu nennen, aus Rücksicht für eine tapfere, aber unglückliche Armee, denn der schändliche Verrath ist nicht Erfindung der Phantasie des Romanschreibers, sondern eine traurige Thatsache) – »Kapitain ..., das auf Seiner Kaiserlich Königlichen Majestät Befehl von dem Oberstkommandirenden der Armee eingesetzte Kriegsgericht erkennt Sie nach Anhörung der Anklage und Ihrer Vertheidigung des Landesverraths durch Mittheilung von Dienstgeheimnissen an den Feind im Felde schuldig und verurtheilt Sie, unter Entsetzung Ihres Ranges und Ausstoßung aus der Armee eine Stunde nach Sonnenaufgang durch den Profoß im Rayon dieser Festung an dem Halse aufgehangen zu werden, bis der Tod erfolgt ist.

»Angeklagter Felicio, das Kriegsgericht verurtheilt Sie gleichfalls, wegen Spionage und Kriegsverrath den Tod durch den Strang zu erleiden. – Gott sei Ihrer Seele gnädig!«

»Ich appellire gegen das Urtheil«, schrie der Offizier – »ich appellire an die Gnade des Kaisers!«

Der alte General wandte sich verächtlich von ihm. »Entehren Sie wenigstens nicht durch Feigheit das Kleid, das Sie noch tragen, wie Sie es durch Verrath beschimpft haben,« sagte er streng. »Wache – führt die Gefangenen zurück!«

Die Gewehre der Grenadiere rasselten auf dem steinernen Fußboden der Halle. Zwei Unteroffiziere traten zu den Verurtheilten.

»Haben Sie Mitleid mit meiner Jugend,« flehte der Novize. »Ich beschwöre Sie, den Superior Corpasini von meiner Noth in Kenntniß zu setzen, mich mit ihm sprechen zu lassen!«

»Wenn Sie seinen geistlichen Beistand verlangen, unglücklicher Mann, so soll er davon in Kenntniß gesetzt werden. Führen Sie den Gefangenen fort – das Gericht ist geschlossen!« –

 

Es war 6 Uhr früh – ein sonniger Morgen lagerte über der alten Stadt des Antonin.

Den Weg von der Stadt herauf, an den unterirdischen Eingängen des alten Theaters vorüber kam ein Fiakre. Zwei Männer saßen darin und stiegen am äußeren Wall aus. Es waren der Baron und der maurische Arzt.

Während sie den Wagen verließen, hörte man das entfernte Läuten einer kleinen Glocke. Die Töne kamen aus dem Innern der Citadelle und durchbebten mit klagendem zitterndem Klang die Luft, die Herzen der Hörer erschauern machend.

Vor dem äußeren Thor des Kastels, das noch nicht geöffnet war, hatte sich ein Haufe von Menschen gesammelt, Soldatenfrauen, Handelsleute, Boten, die Geschäfte im Kastel hatten.

Unter dieser Menge machte sich ein auffallendes Paar bemerklich, ein zart gebauter, unansehnlicher Mann in fashionablem englischem Morgenanzug, die Daumen in den Aermellöchern seines Gilets, den Kneifer auf der Nase. Der Andere war offenbar sein Diener von echt britischem Schlage, seine steife Haltung, der Hut im Nacken, die unverschämte stiere Miene über der sauberen Kleidung bewiesen dies.

Der Herr schien sehr unwillig, er perorirte seinem Diener vor, der ihn mit unvergleichlicher Ruhe anhörte.

»Bob!«

»Sir!«

»Du suayn ein Dummkopf! Hab' ich dafür bezahlt fünf Guineen, daß ich komme zu spät? Du hast getroffen die Anstalten miserable schlecht!«

Er wandte sich zu den Ankommenden, deren Aeußeres ihm versprechender erschien, als das seiner bisherigen Umgebung.

»Gooden morning, Gentlemen!« sagte er, höflich an seinen Hut fassend. »Sie wollen hinein in die Fortress

»Ja, mein Herr!«

»Sie suaind geöffnet noch no! Ich werden verlieren das ganze Schauspiel und das Geld dazu, das ich haw gegeben dem Schuft von Feldwuabel, daß ich komm zu sehen dem Galgen.«

»Den Galgen?«

»Yes. Es werden suayn zwei gehenkt am Hals. Ich sehen sehr gern das werden gehenkt! Hören Sie – da hört auf die Glock! Es suaynd abscheulicher Betrug, – ich werde beschweren mir bei dem Gesandten von Ihrer Majestät.«

Den Arzt erfaßte eine furchtbare Angst, obschon er sich selbst keine Rechenschaft darüber zu geben vermochte. Er stieß Kapitain Peard, den Menschenjäger zurück und sprang gegen das Thor.

»Oeffnet! öffnet – um der Liebe Jesu willen, lassen Sie mich ein!«

In diesem Augenblick rollte von der Stadt her ein Wagen heran, zwei Männer stiegen aus in der schwarzen Kleidung von Priestern, – ein Blick des Barons belehrte ihn, daß der Eine Fra Andrea, der dienende Bruder war.

»Wo ist der Superior?« frug er hastig.

»Seit drei Stunden dort –« sagte der Jesuit. »Seine Hochwürden haben es nicht verschmäht, selbst die Beichte zu hören und die Verbrecher zum Tode vorzubereiten. Aber ich muß ihn stören, da Depeschen von Rom gekommen sind.«

Ein kurzer Trommelwirbel erscholl innerhalb der Citadelle – dann hörte man das entfernte Kommando des Abmarsches, den schweren Tritt marschirender Truppen – das Herausrufen der Thorwache und das Kommando der Ablösung.

Nochmals rasselte die Trommel – dann öffnete sich das Thor der Citadelle – Alles drängte herein – – –

Der große Vorhof war noch gefüllt mit Militair, das sich eben erst aus den Kolonnen aufgelöst hatte, und jetzt in Gruppen aller Chargen umherstand.

Trotz dieser Menge herrschte eine gewisse feierliche Stille, alle Augen waren nach dem Zugang des innern Hofes gerichtet.

Der Arzt, von dem Baron gefolgt, eilte ungestüm dahin – Kapitain Peard, gefolgt von seinem langen Bedienten, schlenderte gemächlich hinterdrein, die Hände in den Taschen.

Die Gruppen der Soldaten und Offiziere machten unwillkürlich den Männern Platz – einige Stabsoffiziere näherten sich ihnen, aber schon hatten sie den Durchgang erreicht.

Auf dem innern Plateau bot sich ihren Augen ein schrecklicher Anblick.

In der Mitte des Platzes erhob sich jenes furchtbare einfache Gestell, das 11 Jahre vorher eine so traurige Rolle in Ungarn gespielt hatte.

An dem Fuß dieses Gestells knieten zwei Geistliche – der eine ein Weltgeistlicher, der andere in dem schwarzen einfachen Gewand der Congregation Jesu. In ihrer Nähe gingen zwei Schildwachen, ihren Weg kreuzend, auf und ab.

Jenes Gestell oder Gerüst aber bestand aus drei aufrechten, oben verbundenen Balken, – zwei Leitern lehnten daran – an den Querbalken hingen langgestreckt, das Antlitz mit langen Mützen bedeckt, zwei menschliche Gestalten – regungslos – die Hände auf den Rücken gebunden.

Mit dem Schrei einer zum Tode getroffenen Löwin war der Doktor über dem Platz – unter dem Galgen – seine Hand fiel schwer auf die Schulter des betenden Jesuiten, sein blutunterlaufenes Auge starrte auf ihn – die Stimme klang heiser, wie das Aechzen des Todes.

»Diego Corpas – Diego Corpas! – wo ist mein Neffe?«

Der Superior hatte sich erhoben – er schloß sein Brevier. Sein Angesicht war steinern – sein Auge dämonisch und doch von eisiger Kälte, als er die Hand hob und nach dem Galgen wies.

»Du hast es selbst gewollt – dort! – Dein ist die Schuld!«

Der Mohrendoktor brach mit einem Aechzen zusammen, der Baron unterstützte ihn. Der Jesuit hatte sich nach einem langen finstern Blick auf ihn umgewandt und schritt davon.

Da raffte sich der letzte Sprosse der Maurenkönige Granadas empor – mit einem Sprunge war er an der Seite des Priesters – seine kleine seine Gestalt streckte sich, als seine Hand den Arm des Todfeindes wie mit ehernen Schrauben packte und ihn festhielt, während die andere hinauf zum lichten Morgenhimmel wies.

»Diego Corpas! – Mörder! – Mörder! – denke daran – heute über zwei Jahr wirst Du mit mir vor Gott stehen!«

Er fiel ohnmächtig in die Arme des Legitimisten! –

 

Offiziere und Soldaten hatten sich rasch im Kreise umher gesammelt und schauten fragend auf den Geistlichen und die beiden Männer, während der Engländer sich mit den Schildwachen stritt, die ihm eine größere Annäherung an die Gerichteten nicht gestatten wollten.

»Wer ist der Mann?« frug ein höherer Stabsoffizier, auf den Ohnmächtigen zeigend.

»Es ist ein französischer Arzt,« sagte ruhig der Superior, indem er sich zum Fortgehen wandte. »Der Arme bildet sich irrig ein, in einem jener Unglücklichen, die ich zum Tode vorbereiten half, einen Verwandten besessen zu haben.«

Er machte das Zeichen des Kreuzes, – die Reihen öffneten sich, die Häupter beugten sich ehrerbietig, während er hindurch schritt.

An dem Ausgang des Kastels erwartete ihn der Bruder Andrea mit seinem Begleiter und dem Wagen.

Er verbeugte sich demüthig vor seinem Obern.

»Es ist vor einer Stunde ein Bote von Rom gekommen,« sagte er, »mit einem Schreiben des Generals und dem Befehl, es Euer Hochwürden zur Stelle einzuhändigen. Wir wollten keine Zeit verlieren und ich habe den Wagen mitgebracht, wie Sie befohlen.«

Der Superior warf einen scharfen Blick auf den kleinen spärlichen Begleiter seines brüsken massiven Untergebenen. Der Bote beugte sich demüthig, aber mit einem gewissen lauernden Auge, das dem Prälaten keineswegs entging.

»Geben Sie mir das Schreiben.«

Der Frater überreichte es.

Sie waren bereits außerhalb der Citadelle, auf dem Wege, der zum Thor führt. In der Nähe hielt der Wagen.

Der Rektor Corpasini erbrach das Siegel, nachdem er es vorher sorgfältig geprüft. Die Kenntniß seines Ordens veranlaßte ihn, dabei wie zufällig dem Ueberbringer den Rücken zu kehren.

Trotz dieser Vorsicht – trotz der furchtbaren Selbstbeherrschung, welche dieser Mann besaß, vermochte er nicht, eine Bewegung des Erbebens zu unterdrücken, als er die wenigen Zeilen las, die der Brief enthielt.

Sie lauteten:

»Unser vielgeliebter Bruder in Jesu, der Rektor Antonio, wird Angesichts dieses die Geschäfte seines Kollegiums dem Ueberbringer des Schreibens übergeben und von Ancona am 14. dieses Monats mit dem Dampfer nach Indien abreisen, um die Missionen in China und der Südsee zu inspiciren. Er wird seine Instructionen in Ancona finden.

In nomine Domini, filii et spiritus sancti

Der General des Ordens Jesu:

† † †

gez. Bekx.

Die Hand des Superiors ballte sich krampfhaft in das Papier – ein rother Tropfen quoll von seiner Lippe unter dem Druck der Zähne.

»Antonelli!« murmelte er dumpf. »Die Thoren! ich war der Einzige, der den Stuhl Petri zu retten vermochte! – Mögen sie es haben – zu ihrem Verderben!«

Er wandte sich hastig um, sein stolzer schwarzer Blick traf für einen Moment das lauernde Auge des Boten.

»Fra Andrea,« sagte er ruhig, »wir werden diesen Abend nach Ancona abreisen. Triff Deine Anstalten – Du wirst mich nach Indien begleiten.«

Der große ungeschlachte Mönch erblaßte. – –

 

Zu Ende!

An zwei Gräbern knieen zwei Frauen!

Leser – wenn Dich Dein freundliches Geschick durch die sonnigen Fluren der Lombardei führt und Du weit hinaus in's Land lugend die Spia d'Italia zum Ziel eines Deiner Ausflüge gewählt hast, um auf dem Felde blutiger Erinnerungen zu stehen, einer der scheidenden großen Erinnerungen deutscher Macht auf Hesperiens Fluren, – wirst Du sicher den kleinen Kirchhof von Solferino auf der Höhe des Kastels besuchen.

Als ich – der Schreiber dieser Zeilen, – ihn zuletzt sah, hing das zerschossene Thor noch offen in den gebrochenen Angeln – waren die Mauern noch zerschlagen von den französischen Kugeln!

Ich weiß nicht, wie es jetzt ist – aber ich weiß, wenn Du Deinen Schritt wendest in dem breiten Gang durch den Garten der Todten, dann findest Du an der Nordseite der Mauer einen einfachen Marmorstein. Und auf diesem Stein lies die Worte:

Ci gît Armand de Chapelles, Lieutenant au 3. Regiment des Zouaves.
† le 24. Juillet 1859.

Und am Fuß dieses Steines ist ein anderes Grab, – keine Inschrift deckt es! aber wenn Du die bleiche Frauengestalt fragst, die täglich an jenem Stein ihr Gebet verrichtet, wird sie Dir sagen: »Er rettete mein Leben, Signor, und das Grab zu seinen Füßen deckt den Unglücklichen, der es ihm nahm, seinen Jugendgenossen, der nie, wieder ein Wort sprach, bis er ihm gefolgt zu jenen Gefilden, wo kein Schmerz der Erde und nur seeliges Wiedersehen ist!« –

Und Du Wanderer, der Du den Muth hast, von der Straße des Finstermünz nach dem wonnigen hesperischen Duft athmenden Meran abzubrechen zu den gewaltigen Gletschern des Ortler auf dem eisbedeckten einsamen Terrassenweg des Stilfser Jochs – gehe nicht vorüber dem stillen Friedhof von Trafoi!

Kein Stein deckt hier das Grab eines Armen, der viel gelitten und viel gesühnt. O Fluch der Geburt – der das Beste, in uns zu Sünde und Schmerzen verkehrt! – An dem Grabe des armen Slowaken und ihres Knaben betet ein Tyroler Mädchen – die Jahre ziehen über sie hin und welken ihr Antlitz und trüben ihre Augen – aber die Thränen aus ihnen versiegen nicht!

Die Vornehmen, die Glücklichen – sie freuen sich der bestandenen Prüfungen des Lebens – – die Armen, sie haben nur Thränen!

Und die Weltgeschichte rollt auf gewaltigem Rad – der mächtige Kampf zwischen Monarchie und Republik geht seinen Weg!

Nicht das Provisorium von Villa-Franca vermag das rasselnde Schwert Europa's zu nieten in die Scheide der alten Formen – willst Du mir folgen, Leser, zu den neuen Phasen? – –

Der Autor!
(Ende des Buchs »Villa-Franca«.)

Berlin, Januar 1867.


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