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Wer gedenkt über den gewaltigen Geschicken, die Throne stürzen und das Leben der Völker verändern, der Leiden und Freuden unbedeutender, in dem gewaltigen Wogen der Geschichte verschwindender Menschen?
Und dennoch ist die große mächtige Geschichte der Welt Nichts, als der Ausgang der tausend Fäden, die in der unbeachteten Stille gewebt werden, und Throne werden erschüttert, weil ein armes Mädchen seine Krone einem kecken Verführer giebt, oder ein spitzbübischer Advokat vergeblich nach einem Titel petitionirt.
Die großen Thatsachen haben oft die erbärmlichsten Ursachen – die Vapeurs einer Kokette, – die Spitzbübereien eines meineidigen Beamten!
Wir kennen einen Thron, der an dem schlechten C. eines Opernsängers zu Grunde ging, und einen Kriegsruhm, der die Stütze eines Reiches war, und durch gebackene Pflaumen verloren wurde!
Weil das Große aus dem Kleinen entsteht, deshalb überläßt der Romanschreiber gern dem gelehrten Professor die gedruckte Weltgeschichte, und ist zufrieden, wenn er wieder Schmerz, Liebe und Leidenschaft der Einzelnen malen kann. – –
Ueber den blutigen Schlachten und den Zusammenstoß der Großen und Gekrönten der Erde hat der Leser gewiß längst das arme tyroler Mädchen vergessen, dessen Leid und Liebe ihr Großohm mit dem eigenem Schmerz in die Schluchten der Felsenstraße von Trafoi geflüchtet hatte.
Des Kaisers Aufruf war durch das Land Tyrol gegangen, und wie er noch nie an die Herzen der getreuen Tyroler ohne Antwort geschlagen, so hatte auch diesmal das Klirren der treuen Stutzen und der Jodler der freien Schützen-Compagnie geantwortet.
Die Landes-Hauptmannschaft von Tyrol hatte den Landsturm des Vinschgau's, von Botzen und Meran aufgeboten bis hinauf bis zum Brenner und Innspruck, zur Verteidigung der Gränzen gegen die Wälschen und Franzosen.
Alle Uebergänge und Pässe über die Berninischen Alpen waren von wackern Mannen besetzt zur Unterstützung und Ablösung der wenigen hier postirten regulairen Bataillone und jener besten und schönsten Truppe der österreichischen Armee, der tyroler Kaiserjäger!
Von den letzteren standen zwei Compagnien an der Bergstraße, die an schwindelnden Abhängen hin und durch lange Felsgalerieen, über Gletscher und Thäler, hoch über die gewöhnliche Region des menschlichen Treibens hinaus, von den herrlichen Thälern Süd-Tyrols an der Ortlerspitze hin durch ewigen Schnee und Eis zu den sonnigen Fluren der Lombardei und zu dem Jugendtraum der lombardischen Seeen führt, an der Straße des Wormser und Stilfser Jochs. Außerdem waren die dritten Bataillone von Roßbach-, Mamula- und Erzherzog Ludwig-Infanterie hier versammelt; das Burggrafenamt hatte seine Studenten-Compagnie, Schlanders, Sils und Piad hatten ihre Schützen-Compagnien gestellt.
Der Leser wird sich vielleicht erinnern, daß General Garibaldi bereits vor der Schlacht von Solferino seine Freischaaren an der westlichen Seite des Garda-See's bis gegen Riva hinauf vorgeschoben hatte. Sie waren jetzt in die Pässe der Berninischen Alpen vorgedrungen und hatten die Straße besetzt, die vom Wormser Joch über Trafoi, Spondalunga, Bormio und Sondrio nach dem herrlichen Comer See, dieser Perle der südlichen Alpen führt.
Am 7. Juli hatte Generalmajor Graf Huyn die Nachricht erhalten, daß Garibaldi mit 10 000 Mann in Bormio stand, und ein Angriff auf den Paß, entlang der Straße und vom Kälberthal aus jeden Augenblick zu erwarten stehe. Er hatte sofort durch den Chef seines Stabes, den jungen Hauptmann Gustav von Döpfer, die Stellungen verstärken lassen. Man konnte jedoch nur 3000 Mann dem Feinde entgegensetzen.
Das Centrum der kleinen österreichischen Schaar stand auf der Höhe der Kunststraße, wo diese bereits auf lombardischem Gebiet sich von San Maria am Fuße des Monte Braulio in südlicher Richtung, in schlangenartigen Windungen hinabzieht und bei Spondalunga durch mehrere in den Berg gehenden Galerieen läuft. Zwei Sechspfünder deckten hier den terrassenartigen Aufgang mit voller Sicherheit, wenn die beiden Flanken vor einer Umgehung geschützt waren.
Westlich von San Maria, dem kleinen über 7000 Fuß hoch in der Region des ewigen Schnees gelegenen Weiler, also rechts von der Straße, zieht sich ein Bergsteig gegen den zackigen Kalkfelsen des Monte Braulio hinauf, einen schneebedeckten eingesenkten Sattel bildend, der das Eisen- (Farkola) Thal begränzt, das bei Bormio mündet. Hier – auf der rechten Flanke – hatten eine Kompagnie Kaiserjäger mit einem Schützenzuge als Reserve die Bergspitzen besetzt, um dem Feinde den Uebergang und die Abschneidung des Centrums durch Gewinnung der oberen Straße bei San Maria zu wehren. Es ist der einzige Punkt in der wilden Gebirgsmasse, wo eine solche Ersteigung möglich ist.
Auf dem linken Flügel hatten 50 Jäger unter Lieutenant Aigner in erster Linie mit der Schützencompagnie des Burggrafenamts und einer Abtheilung Roßbach-Infanterie die zum Theil mit Schnee bedeckte Ebene besetzt, welche von der Ferdinandshöhe aus, dem höchsten fahrbaren Punkt in Europa, sich gegen das Veltlin senkt und das von dem ewigen Eise und Schnee der Vorberge des Monto Crystallo umgebene Kälberthal beherrscht, das nach Spondalunga sich öffnend von hier aus eine Ersteigung der Höhe, also gleichfalls eine Umgehung des Centrums möglich machte.
Wohl noch nie ist in einer solchen Höhe, in Mitten, ja über den Wolken ein Kampf geschlagen worden. Man muß diesen Weg mit seinen Windungen hoch über den abfallenden Gletscherwänden hin und mit seinen Felsgalerien gemacht haben, um das Erhabene der Scenerie zu begreifen, deren hehre Einsamkeit, die nur der Flug des Adlers, der Sprung der Gemse oder der Sturz einer Lavine unterbricht, jetzt durch die erbärmlichen Feindseligkeiten der Menschen gestört werden sollte.
Der größte Theil der drei Bataillone Roßbach, Mamula und Erzherzog Ludewig bildete zwischen San Maria und der Ferdinandshöhe eine Reserve, die rechtzeitig nach jedem bedrohten Punkte hingebracht werden konnte.
Es war in der Nacht vom 7. zum 8. Juli, Donnerstag zu Freitag, als unter einem überhängenden, Schutz gegen den eisigen Ostwind von Ortler herüber gewährenden Felsen um ein kleines Feuer eine Gruppe von Kaiserjägern und Landesschützen sich versammelt hatte. Die kräftigen behenden Gestalten der Jäger in ihren stahlgrauen Röcken mit den schwarzbefiederten Hüten und die oft riesigen Figuren der tyroler Bergschützen und Landleute, mit den weittragenden, sichern Tod bringenden Stutzen, mächtigen Partisanen und mittelalterlichen Morgensternen bewaffnet, beschienen von den flackernden auf dem Schnee reflectirenden Lichtern des kleinen Feuers aus Laatschen und Tannenholz, gewährte ein seltsames Bild. Trotz des Frostes der nächtlichen Scene herrschte Fröhlichkeit und lustiges Wort unter der kleinen Schaar, und munteres Gelächter bei dem kreisenden Wermuthbecher weckte oft das Echo der einsamen Bergwände.
Nur eine kleine Gruppe unter der heiteren Schaar bewahrte eine stille ernste Haltung und schloß sich den Gesprächen der Anderen wenig an, wie gern auch die Soldaten das Haupt dieser Gruppe, einen weißbärtigen Greis von mächtiger, kaum vom Alter gebeugter Gestalt hinein gezogen hätten, um ihnen von alten Zeiten und seinem gewiß an Erfahrungen und Gefahren reichen Leben zu erzählen. Der alte Tyroler, dessen weißer Bart bis auf den Brustlatz nieder hing, saß mit dem Rücken gegen die Felswand gelehnt, den Stutzen zwischen den nackten Knieen, und starrte mit finsterer gedankenvoller Miene hinaus auf die aus dem matten Dunkel leuchtenden Schneefelder, während die zwei zu ihm gehörigen Personen an seiner Seite sich leise unterhielten.
Es war dies eine Tyroler-Frau oder Mädchen von etwa 27 bis 28 Jahren, in der Landestracht, gleichfalls einen leichten Stutzen über den Knieen, eine nicht ungewöhnliche Erscheinung unter den Compagnien, da mehrere mit der Büchse wohl vertraute Frauen dem Landsturm sich zugesellt hatten, und ein Mann mit blassem ernstem Gesicht in der bekannten ärmlichen und für die eisige Höhe wenig geeigneten Tracht eines wandernden Slowaken.
Die beiden Männer – der alte Haspinger und Matthias hatten schon seit Wochen ihre einsame Hütte an der nördlichen Senkung der Straße verlassen, um auf dem Joch die Wache zu halten gegen die Feinde des Kaisers, und Nandl oder der Knecht Kolbele waren mehr als ein Mal herauf gestiegen, um ihnen Nahrung und Munition zu bringen.
Am Abend des Tages war es die Enkelin des Greises wieder gewesen, die mit ihrem Korb den langen Weg gekommen war, ihre Lieben zu erfrischen. Jetzt – während der alte Nazi in seine alten traurigen Gedanken versunken war, sprach sie mit dem Freunde und ließ sich wieder und wiederum die Geschichte aus seiner Wanderung nach den Ufern des Gardasees und dem nächtlichen Ueberfall der Villa Elena erzählen, dem er beigewohnt, obschon sie den Bericht bereits früher von seinem Munde gehört hatte. Namentlich schien es ihr Interesse zu erregen, von der schönen vornehmen Dame zu hören, die trotz all ihres Reichthums und Glanzes so unglücklich war und mit solcher Liebe an dem armen Knaben hing, von dessen Tode Matthias natürlich noch nicht wußte.
Es war, als ob die Seele des einfachen Gebirgsmädchens eine gewisse Sympathie ihrer Leiden und Schmerzen ahne.
»Es is halt gar zu schreckhaft« sagte sie mit Thränen des innigen Mitgefühls an den Fremden, »döß der eigene Vadar sin Kind derschossen und döß so a vornehme Dame halt um ihren Liebsten groad so a Leid tragen muaß, wie a gemein Bauerndiarndarl. I möcht wohl wissen, wie's dem armen Bübl 'gangen und ob der Liebst von der Frau, den Du kannt hoast seit Jugend af und der uns g'rettet aus der Lauine, wieder g'sund worden is?«
»Sobald wieder Ruh im Land, Nandl« sagte Matthias, »will ich hinunter wandern, um zu sehen, was geschehen ist. Ich weiß selbst nicht, was mich da hinunterzieht; alle Erinnerungen und alle Schmerzen vergangener Jahre sind damit wieder aufgetaucht, – aber ich will gehen Nand'l Dir zu lieb, wenn nicht ...
Sie sah fragend auf ihn.
Er zögerte einen Augenblick, dann sagte er ernst:
»Wenn ich bis dahin nicht etwa mein Grab unter diesen Eisfeldern gefunden habe.«
»Dös is gar aus! Schaam Di was, Hoisal'« schmälte das Madchen. »I glaub', daß D' z' nicht bist im Kopf und s'is gar nit schön, döß Du mi zum Herzlaid solch' Dinge plauscht. Waißt Dechter, doß i Sorg' g'nug hab' um den Nönl und Di und den losen Bua!«
Die hellen Zähren rannen ihr über die Wangen, – der arme Matthias hätte sie so gern weg geküßt und sie in seine Arme geschlossen, die er so innig liebte, – wenn er nicht den Spott der Soldaten gescheut hätte. Er gab deshalb keine Antwort und hing seinen Gedanken nach, während die Jäger neben ihm eines jener Nationallieder anstimmten, deren naive Melodieen so innig zum Herzen dringen.
So ungesellig und zurückgezogen der alte Haspinger auch lebte, seit dem Tage, daß sie ihn und die Seinen aus dem Schneegrabe der Lauine geschaufelt, hatte er sich nicht ganz der Bekanntschaft der Nachbarn entziehen können, die in der Bergwüste, in der seine Wohnung stand, ohnehin spärlich genug waren, und wenn einer oder der andere, seitdem sie ihm seine Hütte wieder aufbauen geholfen, hinauf wanderte von Trafoi oder von San Maria heimkehrte in's Thal, konnte die Thür ihm nicht verschlossen bleiben, wenn er eintreten wollte, sich die Pfeife anzuzünden und mit einem Grüß Di Gott! dem Greise die Hand zu schütteln, den das ganze Volk umher als einen absonderlich von Gott Beschützten ansah.
Doch hatte der alte Mann es nie zu einer weiteren Vertraulichkeit kommen lassen und wich noch immer vor Allem sorgfältig jeden Fragen und Anspielungen über seine Vergangenheit aus; denn selbst unter diesen einfachen Leuten und in diesen Schneewüsten bewahrte die menschliche Schwäche, die Neugierde, ihren Einfluß. Nur die Freundschaft und vielfach bezeigte Achtung des Leutpriesters von Trafoi sicherte ihn vor größerer Zudringlichkeit. Somit begnügte man sich immer noch mit dem Namen des »Gams-Nazi« und daß seine Hütte wenigstens jetzt dem Besuch der Nachbarn geöffnet war.
In dem Verhältniß der Familie hatte sich übrigens seit jener Nacht im Schneegrabe Manches geändert. Das Bekenntniß ihrer Liebe, das Matthias an seinem Schmerzenslager aus dem Munde des Mädchens gehört, hatte all' seine Entschlüsse der Entsagung erschüttert, und als der alte Mann jetzt selbst mit ihm offen redete und es als eine sich von selbst verstehende Sache betrachtete, daß sie Beide nächstens zur Kirche gehen würden, da hatte der arme gequälte vom Leben mißhandelte Mann geglaubt, daß der Himmel seine Sühne angenommen habe und seine Buße zu Ende sei.
Aber sein offenes Wort hatte an einer anderen Stelle Widerstand gefunden, – das Mädchen selbst war es, das sich des an ihr verübten Verbrechens halber nicht würdig halten wollte, die ehrliche Frau eines von ihr wahrhaft geliebten Mannes zu werden, und es hatte des bestimmten Willens des alten Haspinger und der ganzen religiösen Beruhigung des würdigen Priesters bedurft, um ihr endlich die Einwilligung abzugewinnen, in Jahresfrist mit dem Mann ihrer Liebe zum Altar zu treten.
Diese Frist hatte sie für nothwendig gehalten, um Matthias Gelegenheit zu geben, auch jetzt – nachdem er wußte, wess' Kind der Knabe war, – seine Liebe zu prüfen und zu bewähren. Der Slowak selbst war mit dem Aufschub einverstanden, um auch in seinem Innern die nöthige Ruhe zu gewinnen und sich eine bescheidene Existenz zu gründen. Wir wissen, daß der verrückte Teufels-Toni ihn seiner reichen Erbschaft beraubt hatte. Die Goldstücke, welche der Wahnsinnige bei dem Diebstahl aus den zerrissenen Taschen in der Hütte wieder verloren, und die geliehene Summe, die Graf Stefan ihm wieder erstattet hatte, bildete seine ganze Habe. Aber der alte Haspinger erklärte, daß seine Großnichte seine einzige Erbin sei und einst genug für die geringen Bedürfnisse der Familie haben werde.
Indem der ehemalige Student der Medicin seiner früheren Kentnisse sich wieder erinnerte und sie unter den Bewohnern der benachbarten Thäler und des Joches bei Gelegenheit zur Anwendung brachte, erwarb er sich damit eine kleine Existenz und sicherte sich die Liebe und Freundlichkeit der Bergbewohner, die sich bald an sein fremdes Wesen und seine Tracht gewöhnten; denn nicht eher wollte Matthias das Gewand seiner Niedrigkeit und seiner Reue ablegen, als am Tage, der ihn ganz einem neuen Leben wiedergeben sollte.
Das Jahr der Prüfung war vergangen, bereits hatte der Leutepriester von Trafoi das Paar zum ersten Mal aufgeboten, als der Aufruf des Kaisers seine wackern Tyroler zum Schutz der gefährdeten Gränzen gegen den drohenden Einbruch der Feinde entbot.
Da hatte der greise Gams-Nazi den Stutzen von der Wand genommen, und sein künftiger Eidam hatte erklärt, daß er mit ihm hinauf zur Vertheidigung des Jochs ziehen und der Sache des Kaisers sein Leben weihen werde. Das Tyroler Mädchen aber hatte kein Wort der Einsprache gesagt, sondern gehorsam dem Großohm und Bräutigam den Ranzen mit dem Nothwendigsten gepackt, und als der commandirende General ihrem Geliebten den Auftrag gegeben, hinunter zu wandern nach den Ufern des Garda-See's, um Kunde zu suchen von Freund und Feind, da hatte sie still die Hand auf das angstvoll pochende Herz gedrückt, auf die heilige Jungfrau vertrauend, und nur die Stille der Nacht hatte ihre bangen Thränen gesehen.
Matthias war glücklich zurückgekehrt, und der General und die Offiziere hatten ihn hoch belobt wegen seines Muthes und seiner Umsicht; sie aber drückte ihm dankbar und zärtlich die Hand, als er ihr erzählte, wie er am Sterbelager des Freundes seiner Knabenjahre, des Verlobten seiner armen Schwester gesessen und in der Kirche zu Garda seinem Seelenheil die Messe gewidmet hatte, und wie er dann auf Gefahr schwerer Strafe den Uriasbrief unbestellt in den See warf, um den ritterlichen Landsmann, den unglücklichen Freund der schönen Fürstin zu retten zum zweiten Mal, weil der vornehme Graf sich auch nicht gescheut hatte, ihm, dem Bettler aus verachtetem Volksstamm, einst die Hand zu reichen.
Jetzt – in zwei Tagen – am nächsten Sonntag sollten sie in der Bergkapelle getraut werden, und sie war, den Knaben unter der Aufsicht des lahmen Knechts zurück lassend, nochmals heraufgekommen, um dem Nönl und dem Bräutigam die Botschaft des Leutpriesters zu überbringen und sie zu ermahnen, nicht unvorsichtig ihr Leben zu wagen.
Dennoch, obschon die Erfüllung ihrer Herzenswünsche so nahe war, hatten Beide es nicht vermocht, die muntere Stimmung der wackeren Landesvertheidiger zu theilen und fühlten sich unwillkürlich von dem Trübsinn des Greises angesteckt.
Matthias suchte die trüben Gedanken zu überwinden und weil er wußte, wie gern die Mutter von ihrem Kinde sprach, erwähnte er des Buben und frug nach ihm.
Aber leider hatte sie ihm nichts Gutes zu berichten. Der zehnjährige Wildfang hatte sich am Morgen vorher wieder der Sorge der Mutter zu entziehen gewußt, war viele Stunden in den Bergen umhergeschweift und als er endlich gegen Abend zurückgekehrt war, kurz vorher, ehe sie nach dem Joch aufbrach, hatte er sie mit Gewalt begleiten wollen. Nur mit Mühe war es ihr gelungen, ihn durch Versprechungen in dem Hause und unter der Aufsicht des Knechtes zurückzulassen. Die arme Mutter klagte, daß seit des Großvaters und Matthias' Abwesenheit der Bube immer trotziger und wilder geworden und ganze Tage und Nächte vom Hause abwesend sei. –
Der Jodler der Jäger war unter diesem Gespräch verhallt, – Einer nach dem Andern begann, in die rauhe Kotze sich hüllend, den Schlaf auf dem harten Felsboden zu suchen, um sich für die morgende Arbeit zu stärken, und auch der alte Nazi hatte sein weißes Haupt an die Steinwand zum Schlummer gelehnt. Es wurde stiller und stiller umher, nur der Schritt der ausgestellten Wache auf dem engen Plateau, oder das Knistern der Aeste in der von Zeit zu Zeit durch den Posten gespeisten Flamme unterbrach noch die Stille. Das Brautpaar allein war noch munter und flüsterte leise mit einander von Vergangenheit und Zukunft, oder schaute träumend, wie vorhin der Greis, auf die jetzt vom Lichte des Mondes versilberten Eiswände der mächtigen Gebirgsriesen.
Endlich sank das Haupt des Mädchens ermüdet an die Brust ihres Gefährten und ihre regelmäßigen Athemzüge verkündeten, daß sie im Schlafe Vergessen ihrer Sorgen und ihrer Hoffnungen gefunden habe.
Der Slowak wachte jetzt allein – kein Schlaf kam in sein Auge; er hielt die warme Gestalt der Geliebten an seinem Herzen – – aber unwillkürlich schweiften seine Gedanken zurück zu jener geheimnißvollen Nacht dort in der nordischen Königsstadt, als die räthselhafte weiche Hand das Geschenk des Scheidens in die seine gedrückt hatte.
Seine Hand faßte nach dem Ringe unter dem groben Hemd auf der Brust – er zerriß mit einer energischen Bewegung die Schnur und schleuderte das Zeichen seiner Sünde hinaus in den Abgrund!
Mit dem ersten Morgenroth waren die Jäger und Schützen wach, und als Oberlieutenant Moser kam, den Posten zu revidiren, fand er sie mit dem Frühstück beschäftigt.
Das prächtige Schauspiel der mit den Nebeln und Dünsten im Thal kämpfenden Sonnenstrahlen, während sie die Spitzen der mächtigen Ferner, die gewaltigen Schneefelder und Kuppen im rosigen Licht erglänzen ließen, ging trotz der Gewohnheit nicht ohne Eindruck an den Männern vorüber. Wie wenig die Bewohner des Hochgebirges auch Worte darüber machen, sie haben eine tiefe Empfänglichkeit für die Herrlichkeiten der Alpenwelt und eben dieses Gefühl ist es, das im fremden Lande ihr Herz von Sehnsucht schlagen macht und sie am Heimweh kranken läßt.
Die Offiziere vervollständigten jetzt die Aufstellung, ermahnten die Leute, langsam und sicher ihr Ziel zu nehmen und trafen weitere Anstalten, dem erwarteten Angriff zu begegnen; denn ausgesandte Späher verkündeten, daß der Feind sich dazu rüste und bereits beim ersten Tagesgrauen Bormio verlassen habe.
Vergeblich hatten der alte Nazi und ihr Bräutigam das tyroler Mädchen gebeten, vor Beginn des Kampfes ihren Rückweg nach dem Hause anzutreten; sie weigerte sich dessen auf das Bestimmteste und das Einzige, wozu sie sich verstand, war das Versprechen, aus der Feuerlinie zu bleiben und sich bei der kleinen für etwaige Verwundungen auf dem Platz, wo sie genächtigt, eingerichteten Verbandstätte aufzuhalten, wo Matthias dem Militairarzt seine Hilfleistungen angeboten hatte. Wie man vermuthet, hatte der Feind beschlossen, vom Eisenthal her seine Angriffe zu beginnen, um die Höhen des Monte Braulio zu gewinnen und sich St. Maria's und der Straße im Rücken zu bemächtigen. Da die Aufstellung der Tyroler sich bereits jenseit ihrer Gränze auf italienischem Gebiet befand, hatte es dem Feind an Spionen nicht gefehlt und er war mit der Zahl der österreichischen Streitkraft und ihrer Vertheilung wohl bekannt.
Es war 8 Uhr, als man die Compagnieen der Alpenjäger sich im Thale formiren und mit einer zahlreichen Tirailleurlinie voran den Bergrücken erklimmen sah. Bald knallten die Büchsen und das Gefecht entspann sich auf der ganzen Linie.
Während hier gekämpft wurde, griffen die Freischaaren gleichzeitig das Centrum und den linken Flügel an. In den geschützten Felsen-Galerien unterhalb Spondalunga hatte Garibaldi, der selbst den Angriff leitete, eine Sturmkolonne gebildet, die sich jetzt in drohender Masse, mit einer 16pfündigen Kanone voran, die Straße herauf gegen den Punkt bewegte, wo die beiden leichten österreichischen Geschütze aufgestellt waren.
Die österreichische Artillerie hat von jeher des besten Rufs genossen. Mit großer Ruhe ließ sie die feindliche Colonne bis auf die vorher genommene Distance herankommen und dann erfolgte eine Salve, welche sofort dem beabsichtigten Angriff ein Ende machte. Die Kugel des Sechspfünders tödtete zwei Pferde der Bespannung des italienischen Geschützes und zerschmetterte das ganze Räderwerk desselben.
Kaum war der wohlgezielte Schuß gefallen, als sofort zum großen Aerger ihrer Offiziere die ganze Kolonne der Freischärler ihren eiligen Rückzug nach den schützenden Galerieen nahm. Man hatte durchaus keine Lust, auf einem Wege, auf dem man mindestens eine Viertelstunde zubringen mußte, dem Granaten- und Kartätschenfeuer des Feindes ausgesetzt zu bleiben. Von da ab beschränkte sich das Gefecht im Centrum auf ein gegenseitiges Kanoniren, ohne weiter viel Schaden zu thun.
Ernster war der Kampf auf dem linken Flügel.
Der Plan Garibaldi's war kühn genug und wiederholt kommandirte er selbst hier die ausgesuchten 4 bis 500 Mann, die dazu bestimmt waren, die Ebene des Kälberthals zu nehmen, gegen die Ferdinandshöhe vorzurücken und das Centrum und den rechten Flügel abzuschneiden.
Aber die fünfzig Kaiserjäger, die hier in erster Reihe die Vorposten bildeten, hielten Stand. Wohlgedeckt hinter Felsen und Laatschen ließen sie den schon in weiter Ferne das Feuer eröffnenden Feind bis auf etwa 700 Schritt herankommen und gaben dann ihr Pelotonfeuer, das von schwerer Wirkung war. General Garibaldi ließ sofort seine Leute sich in eine Kette auflösen und so die Schneewände herab steigen. Aber die dunklen Gestalten auf der weißen Fläche gaben den Jägern eine vortreffliche Zielscheibe ab, und Schuß um Schuß aus dem fast unsichtbaren Hinterhalt nahm seinen Mann. Lieutenant Aigner, ein vortrefflicher Schütze, ließ sich unablässig von zwei Jägern die Büchsen laden; – ein Mann rollt die gegenüber liegende Schneewand herunter – ein zweiter will ihn zurücktragen – auch er fällt! – ein dritter nimmt seinen Posten ein, – wenige Augenblicke, und das tödtende Blei, der nie fehlenden Hand wirft ihn nieder! – fünfzehn Mann erschießt der österreichische Offizier einen nach dem andern auf dieser unglücklichen Stelle. Der Kampf wird zum bloßen Schlachten – der General muß endlich den Befehl zum Rückzug geben, denn selbst wenn die schwache Linie der Jäger durchbrochen wäre, wartet der Stürmenden ein furchtbarer Gegner: ein mächtiger Steinwall, den die Studenten des Burgsteinamtes in zweiter Linie aufgethürmt, und der als Lawine in Bewegung gesetzt, jedes lebende Wesen mit sich hinab in den Abgrund reißen würde.
Die Entscheidung des Tages liegt auf dem rechten Flügel, am Monte Braulio.
Ein Bataillon des Regimentes Medici und die Abtheilung der Scharfschützen ist hier beauftragt, den Uebergang über den Bergsattel zu erzwingen. Ein zweites Bataillon des Regiments Cosenza bildet unter Major Laforgne das Soutien.
Mit großer Bravour gehen die Alpenjäger vor, – es sind geübte Schützen aus den rauhen Bergklüften von Savoyen und dem Montblanc, die am Monte Rosa und in den Felsenschluchten des Mont Cenis das Bergschaaf und den Steinbock gejagt, deren Hand niemals fehlt, deren Fuß am Felsen klebt und niemals strauchelt.
Die Gegner, die hier sich gegenüber stehen, sind einander würdig.
Das Echo der Bergwände rollt den Knall der Büchsen zehnfach zurück; die reine Luft des Hochgebirges läßt das Auge auf weite Entfernung jeden Gegenstand, jede Bewegung genau erkennen und ein tödtliches Ziel nehmen. Drei Mal wird Hauptmann v. Döpfer gesendet, um Verstärkungen von der rückwärts postirten Infanterie zu holen, denn trotz des trefflichen Feuers der Tyroler dringen die Garibaldianer langsam vor – sie scheinen jeden Gemssteig, jede Stelle, wo sich ein Menschenfuß bewegen kann, vorher zu kennen, und die Fallenden werden unaufhörlich durch neue Streiter ersetzt.
Hinter einem mächtigen Felsblock mit einem Cadetten der Kaiserjäger und einem Corporal vom Regiment Roßbach liegt der greise Haspinger im Hinterhalt, und sein alter Stutzen hat schon zwei Mal – und niemals vergeblich geknallt.
»Wo zum Teufel, Kamerad, bist Du zu dem alten Schießbuchserl gekommen?« frug der Corporal. »Sie schaut grad' aus wie 'n alt Möbel von Anno Eins oder eine von den Luntenflinten, die ich im Zeughaus zu Prag gesehn!«
Der Alte lächelt grimmig.
»Der Stutzen, Corp'ral, hat schon die Franzosen und Bayern z'sammen g'wettert, as Oes noch nit af der Welt wart! – Aber schaut, wann Oes noch a Mal so mit 'm Kopf über den Stein guckt, werd't Oes bald a Blei schmecken!«
»Erzählt's Gams-Nazi, denn so heißt Ihr ja wohl,« bat der Kaiserjäger – »ich hör die Schnurren aus alter Zeit gar zu gern, Ihr wart am Ende gar am Isel, als der Andreas Hofer die Bayern schlug?«
»Am Isel uod af dem Sterzinger Moos, Bursch! awer den Stutzen da trug i damals noch nit! den hab i erst später kriegt und viel zu früh war's, döß er in mei Hand kam, obschon sie ihm, waiß Gott und seine Heili, kai Unehr gemacht hat!«
Er sah mit einem tiefen Ernst auf das alte Gewehr und klopfte den dunkeln Kolben, als sei es die Hand eines Freundes.
»Nun, was ist's mit der Buchs? Heraus damit, Gams Nazi!«
»S'is a Erbstuck.« sagte der alte Mann feierlich, – »und der sie einst g'führt, schläft im Dom zu Spruck, obschon der Marmorstein af seinem Grab kai bess'res Denkmal is, as jeder Berg im Tyrolerland!«
»Was Mann, Ihr wollt doch nicht sagen ...«
»Der Stutzen da, Herr, war des Andreas Hofer's sei G'wehr, und er hat mir's g'schenkt, als i den General zu ihm führt hab nach dem Passeier, denselbigten, den sie so rüdig gemordet draußen in Wien!«
»General Latour, den Kriegsmimster?«
Der Greis nickte. »I hätt's verhindert gern mit mei Leben, Herr – awer 's half nix. I hab' sonst nit den Stutzen braucht und ihn heili g'halten seit des Andreas Tod; awer annerst, wo's gilt für des Kaisers Dienst, und die Hand ihn bald nit mehr führen wird, durft er nit z'Haus bleiben. – Awer schaut dahin, Herr – der Teufel mag's ihnen verrathen hab'n, döß der Steig dort in die Höh führt, wo sie schlimm für uns hausen könnten. Mei Augen find nit mehr so gut, wie damals am Sterzinger Moos – aber i wollt schwören, döß i schon zwei Mal unter ihnen a Dörcher g'sehn, der nit ausschaut wie a Soldat, und der muß es ihnen verrathen hob'n!«
In diesem Augenblick legte sich eine Hand auf seine Schulter und eine zitternde Stimme flüsterte seinen Namen.
Der Greis drehte sich um – es war seine Großnichte, die todtenbleich mit gerungenen Händen hinter ihm stand.
»Nandl – verhutzelte Diarn – wo kommst hieher?«
»Seid nit fuchtig, Nönl!« jammerte das Mädchen, der dicke Thränen über die Wange rollten, – »'s is a Unglück g'passirt!«
»Was? – der Hoisal?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der Kölbele is da!«
»Wenn's waiter nix is, was soll's mit dem Kölbele?«
»Nönl, der Bros is fort – seit gestern Abend!«
Der Alte zuckte ärgerlich die Schultern. »Hol der Henker den Putz!«
»Was grämst' Dir um den firichen Fratz! – S'is nit dös erste Mal, d'ös a fortläuft!«
»Ja, Nönl, awer der Bua is die ganze Nacht nit nach Haus kommen, und der Kölbele meint – Heili Maria Joseph!« unterbrach sie sich erschrocken und schlug die Hände zusammen, denn der Corporal von Roßbach, der eben wieder unvorsichtig sich über den Felsblock erhoben, stürzte durch den Kopf geschossen über sie hin.
»Sackers!« fluchte der Alte – »Hab i's em nit g'sagt? Ruf den Doktor. Nandl – g'schwind!«
Aber die Tyrolerin achtete nicht des Blutes, das sie bespritzt hatte, noch des Befehls des Alten, der mit dem Jäger um den Sterbenden beschäftigt war. Ihr Auge hing starr auf der Felskuppe, von der her der Schuß gekommen war.
»Nönl! Heili Mueter Gottes – der Bros! der Bros! – der Teufels-Toni hat mai Kind!«
Der Alte fuhr empor – sein Auge richtete sich auf die gegenüberliegende Steinwand, deren schmalen Zugang ihr Feuer so lange bestrichen hatte.
Die wenigen Minuten, die sie mit dem todten Manne sich beschäftigt, hatten genügt, dem Feinde einen gefährlichen Erfolg zu sichern.
Ein Felsengrat erhob sich aus der Schneewand gegenüber der österreichischen Stellung und diese von seinem Gipfel beherrschend. Er schien auf drei Seiten steil abzufallen, und nur wenigen Bergbewohnern war ein schmaler Zugang bekannt, auf dem ein sicherer Fuß, von Stein zu Stein springend, seine Höhe erreichen konnte, die ein vortheilhafter Anstandpunkt für die Gemsjäger bildete, da sie einen Wechsel der Thiere überwachte.
Diesen gefährlichen Weg, der eben nur von dem Posten des alten Tyrolers aus bestrichen werden konnte, hatte ein halbes Dutzend der kecksten Feinde, die augenblickliche Verwirrung ihrer Gegner benutzend, zurückgelegt und als der alte Mann sich erhob, lagen sie bereits wohl gedeckt hinter dem Felsengeröll und der Blitz ihrer Büchsen bewies, daß sie sich sofort ihren Vortheil zu Nutze machten.
Dieser war in der That sehr groß, denn die Stellung überragte und beherrschte vollständig die gegenüberliegenden Postirungen der österreichischen Soldaten, so daß diese nicht wagen durften, sich zu rühren, ohne sich den sichern Kugeln der Feinde bloßzustellen, und als der Greis emporsprang und entsetzt auf jene Stelle schaute, riß ihm das Blei den Hut vom Kopf.
Dennoch duckte der alte Mann sich nicht und schaute, die Hand über die Augen haltend, um sie vor dem Schneeglanz besser zu schützen, gleich einem Steinbild nach jener Seite, während die unglückliche Mutter neben ihm auf den Knieen lag und die Arme hinüber streckte dahin, wo das Kind der Sünde der schrecklichsten Gefahr ausgesetzt schien.
Denn auf der höchsten Spitze des Grates, mit den Füßen sorglos über dem Abgrund baumelnd, saß ein etwa neun- bis zehnjähriger Bursche, bei jedem Schuß jauchzend in die Hände klatschend, und das alte Auge Nazi's erkannte in dem Unvorsichtigen leicht den wilden Jungen, das Kind seiner Großnichte.
Hinter dem Burschen aber, in einen alten zerrissenen Soldatenmantel gehüllt, stand die wüste Gestalt des verrückten Teufelstoni und schwang ihren Stecken gleich einem Gewehr und sprang und schrie mit wahnwitzigen Geberden umher offenbar zum großen Vergnügen des kleinen Unholds.
»Hoho! – Hoi!« klang es herüber durch das Knallen der Büchsen – »der Franzos ist da und bringt Gold, rothes Gold für die Tyroler! Nazi Haspinger! Nazi Haspinger, Dei Fleisch und Blut führt die Franzosen in's Tyrolerland und Du wirst nit mehr verschärzen den Donei!«
»Waiß Gott, der vermaledeite Laninger hat dem Feind den Weg wiesen und den Bua dabei mit g'nommen! I wünscht, i hätt ihm längst Eins auf den Pelz gebrannt! Geb' den Bua heraus, vermaledeiter Dörcher, oder Du sollst an den Nazi denken! Dai Maaß is voll!«
Ein wildes Hohngelächter antwortete seiner Drohung – Schuß auf Schuß krachte herüber und das Blei plattete sich rings an den Felsenwänden. Dazu verstärkte sich der Posten auf dem Felsgrat immer mehr und schon begannen die Alpenjäger ihre Anstalten, um unter dem Schutz des Feuers zu dem Grunde nieder zu steigen und die österreichische Position zu stürmen.
Noch immer stand der alte Tyroler aufrecht, den Stutzen in der Hand, und schien die Kugeln gar nicht zu achten, die um ihn her an das Gestein schlugen. Sei es nun, daß man ihn absichtlich schonte, sei es, daß durch Zufall ihn keine Kugel traf, genug, er blieb unverletzt.
In dieser gefährlichen Situation, während all' seine Aufmerksamkeit auf den gegenüberliegenden Felsgrat gerichtet war und er schon zwei Mal nach dem wahnwitzigen Unhold die Büchse erhoben hatte, indem er sie immer wieder sinken ließ, fühlte der Greis eine leichte Berührung seines Knies.
Als er um sich blickte, sah er am Boden neben sich den kommandirenden Offizier Oberlieutenant Moser, der im Schutz des Gesteins bis hierher gelangt war.
»Gams-Nazi,« sagte der Offizier – »Ihr seid der Aelteste unter den Schützen und ein Mann von Erfahrung, der – wie ich hörte – schon unter dem Sandwirth gefochten hat. Es kann Euch nicht entgehen, daß unsere Lage eine schlimme ist, wenn der Feind nicht von jenem Grat wieder vertrieben wird!«
»Ja, Herr!«
»Wißt Ihr einen Ausweg, Mann?«
Die Antwort des alten Tyrolers war eine Gegenfrage. »Habt Oes Steiger in Eurer Compagnie, Herr?«
»Drei Gemsjäger aus dem Oetzthal und zwei vom Mattrey!«
»Und Oes selber, Herr, wo seid Oes her?«
»Nun, ich bin bei Innspruck zu Haus!«
»Dös g'nügt, Herr,« erwiederte der Tyroler, »obschon i's lieber g'habt, döß der Taufers-Lex und der Schnader-Wastl dabei wesen mären, 's sayend tüchtige Staiger – awerst sie stehen drüben am Kälberthal.«
»Aber was wollt Ihr mit all den Fragen? Die Zeit drängt!«
Der Alte hatte sich jetzt wieder in den Schutz des Felsblocks gezogen. »Sackra, was seid Oes ungeduldig! Oes müßt hübsch statt werden und bedächtig, wann Oes a rechter Schütz werden wollt. Schaut Oes die Spitze da?«
»Den Felsen, der senkrecht abfällt oder nach dem Sattel hinüber hängt?«
»Ja, Herr, – da droben hinauf muaßt Oes mit a besten Steigern.«
»Aber das ist unmöglich, Mann, ohne Hals und Beine zu brechen.«
Der alte Mann lächelte finster. »An'm Tyroler Gamsschütz is Nix unmöglich, Herr! As i so jung wie Oes war, hätt' i dös nimmer g'sagt!«
»Und selbst wenn es möglich wäre, Gams Nazi, es würde Nichts nützen – die Spitze ist nicht höher als das Grat, eher niedriger, und wir würden eine neue Zielscheibe den Wälschen abgeben.«
Der Greis schaute ihn fest an. »Mai Haar is weiß, Herr und Enk sains schwarz! Warum fragt Oes nach mai Erfahrung, wann Oes nit glauben wollt? Die Spitz is zwei Ellen höher, as das Grat un Oes könnt jeden Moa wegschießen wie a Haas, wann Oes droben seid!«
»Auf Euer Wort, Gams Nazi?« »So wahr i mit dem Andree's Seit' an Seit g'fochten!«
»Dann will ich's versuchen. Und Ihr? wollt Ihr uns führen?«
»Naa, Herr – mai Knochen sind zu steif für da Weg! Mai Platz is hier und wann Oes mi zwei oder drei Schützen herschicken wollt, soll ka Mann lebendig den Grat drüben wieder verlassen. Um Eins bitt' i Enk – schont den Fratz drüben – der Teufel muß ihn hin führt hob'n, awerst s'is um seiner Mueter willen!«
Der Offizier versprach es und zog sich in gleicher Weise zurück, während der Alte die weinende Frau zu trösten suchte und sie fast mit Gewalt abhielt, daß sie nicht die Schneewand hinabzuklimmen und in die Linie der Feinde zu dringen suchte, um ihren Knaben wieder zu holen, dem jetzt die Garibaldianer wahrscheinlich befohlen hatten, zu ihnen hinter die Steine zurückzukommen, denn er hatte seinen Platz verlassen und auch der Wahnwitzige war nicht mehr zu sehen.
Unterdeß begann sich am Eingang der Schlucht, vom Eisenthal her eine Sturmkolonne der Freischärler zu formiren, um unter dem Schutz des Feuers der Alpenjäger heranzukommen und die günstigste Stelle zum Ersteigen der Bergwand zu benutzen, auf welcher die Oesterreicher sich postirt hatten und die weit weniger steil war, als die gegenüberliegende.
Die Aufregung des alten Mannes hatte jetzt einen hohen Grad erreicht, der ihn alles Andere nicht beachten ließ, außer den Erfolg der von ihm vorgeschlagenen Maßregel. Er hatte ganz richtig geschlossen, daß der verrückte Bettler, dessen Bosheit und Nichtswürdigkeit er zur Genüge an sich selbst erfahren, den Verräther gespielt und bei seiner genauen Kenntniß des Gebirges den Wälschen den zugänglichsten Weg nach dem Monte Braulio und dann auf den Felsengrat gezeigt hatte. Die Erzählung des Knechts an Nandl ergab ferner, daß er wahrscheinlich den Knaben, für den er seiner gleichen Vorliebe zum Unheilstiften wegen eine besondere Neigung an den Tag legte und der durch keine Strafe abgehalten werden konnte, ihn aufzusuchen und mit ihm durch die Schluchten und Schneefelder des Jochs umherzuschweifen – auch verführt hatte, sich von Hause wegzustehlen und dem Verbot seiner Mutter entgegen mit ihm dem Zusammenstoß der Truppen beizuwohnen, was ganz dem wilden unbändigen Sinn des Burschen entsprach.
Alles dies, die Gefahr des Kindes, selbst der Jammer des Mädchens verschwand jetzt in dem Interesse, das der alte Mann an dem Kampf selbst nahm, nachdem er von den drei Schützen, die ihm der Offizier zum Beistand gesandt, erfahren hatte, daß derselbe wirklich mit sechs Freiwilligen das kecke Wagniß unternommen, die Felsenspitze zu erklimmen.
Es war darüber eine längere Zeit vergangen – die Garibaldianer auf dem Grad hatten ihr Feuer seit einer Viertelstunde gespart, um ihre Gegner zu einer Unvorsichtigkeit zu verlocken und die Hornsignale vom Eingang der Schlucht begannen anzudeuten, daß der Sturm alsbald beginnen würde, als plötzlich, – nachdem er schon alle Hoffnung aufgegeben, – der alte Tyroler von der Höhe der Felsspitze den Blitz einer Büchse sprühen sah und im nächsten Augenblick einen gellen Todesschrei mit dem Knall sich vermischen hörte.
Mit einem lauten Halloh! sprang er, die Gefahr nicht achtend, auf den Steinblock und schwang seinen Stutzen.
»Hurrah, tyroler Bua's – gebt's ihnen – schießt sie dernieder die wälschen Dörcher! Laßt sie a Schädel zerstoßen an den tyroler Bergen, döß ihnen das Wiederkommen vergeht! Hurrah, es leb der Kaiser!«
Schuß auf Schuß krachte unterdeß von der Spitze des Felsens nieder auf den Grat, von wo man vergeblich das Feuer zu erwiedern suchte, und ein Geschrei des Schreckens und der Wuth erhob sich unter den Alpenjägern, als sie sich vertheidigungslos den unbarmherzigen Kugeln ihrer Feinde preisgegeben sahen, denn die Angabe Nazi's hatte sich in der That bestätigt, und die Felsenspitze war wirklich mehr denn zwei Ellen höher, als der schräg gegenüberliegende Grat und bot zugleich einen vortrefflichen und gesicherten Anschlag, der jenen vollkommen von der Seite bestrich.
Dem ersten Schrecken folgte der verzweiflungsvolle Versuch der Gegenwehr; als diese aber als gänzlich nutzlos erkannt worden war, stürzten Alle, die noch ungetroffen oder wenigstens im Stande waren, sich fortzuschleppen, nach der Seite hin, von der man unter der Wegweisung des Tollen den Aufgang gewonnen hatte.
Aber es war zu spät – der Weg der Rettung war versperrt!
Der Gams-Nazi hatte, wie er dem Offizier versprochen, seine Maaßregeln genommen.
In dem Augenblick, wo der erste Alpenjäger aus dem Versteck auf dem Grat den gefährlichen schwindelnden Rückweg betrat, warf er auch die Arme in die Luft und stürzte, von einer Kugel durchbohrt, in den Abgrund.
Der Zweite hatte dasselbe Schicksal, nachdem er einige Augenblicke hin und hergetaumelt war und vergeblich versucht hatte, sich zu halten. Der Dritte stutzte zurück, aber nur um unter einer Kugel von der Felsspitze her zu fallen. Die Wahl war eine schreckliche – die Garibaldianer warfen sich auf den Boden und versuchten, von Stein zu Stein kriechend, die gefährliche Passage zurückzulegen; aber die kleine Truppe des alten Tyrolers – der sich bisher auf das bloße Kommando beschränkt hatte, ohne selbst von seiner Waffe Gebrauch zu machen, war von einer tödtlichen Aufmerksamkeit, und fast Keinem gelang es, wenigstens ohne schwere Wunde den schrecklichen Weg zu passiren.
Vergebens war das Feuer der Italiener von den andern Stellen her. Sowohl die Schützen auf der Felsspitze als auf dem Posten des Gams-Nazi waren nur von dem Grat aus zu erreichen, und die jetzt eilig aus der Reserve herangezogenen Compagnieen der Infanterie-Bataillone beschäftigten auf der ganzen Linie so kräftig die Gegner, daß an den beabsichtigten Sturmversuch nicht mehr gedacht werden konnte.
Plötzlich unterbrach ein Ruf des alten Mannes und ein gellender Aufschrei des Mädchens, das Büchsenfeuer von dem Felsblock her nach dem Grat.
»Maria Joseph – der Bros! der Bros!«
»Halt, Männer – schießt nit!«
Der alte Tyroler hatte durch seine Unerschrockenheit und seine Umsicht bei dem Kampf sich die Achtung der Kaiserjäger in so hohem Grade erworben, daß sie auch ohne die Bestürzung und das Interesse, welche das Schauspiel, das sich ihren Blicken bot, erregte, ihm gehorcht haben würden.
Hinter dem Steinwall jenes Felsgrates hatte sich eine Gestalt erhoben, die einen lebendigen Schirm gegen die Kugeln der Jäger trug.
Es war der Tolle, dem der Mund und der Abscheu des Volkes den Namen »Teufels-Toni« gegeben hatte. Er hielt mit unwiderstehlicher Kraft in seinen Armen den sträubenden und schreienden Knaben, als sei es ein Wickelkind, und streckte ihn den Tyrolern entgegen, während er mit gellendem, triumphirendem Hohnlachen langsam seinen Rückzug antrat.
»Mai Kind, mai Bua – heile Mueter Gottes, mai Buaberle!«
In diesem Augenblick – unbeachtet von der verzweifelnden Mutter – sah man einen eben herangekommenen Mann über die Schützenlinie hinausspringen und mit einer wunderbaren, keine Gefahr achtenden Schnelligkeit an der Schneewand des Berges hinab nach dem Grunde der Schlucht gleiten.
Der Gams Nazi war mit fast jugendlicher Kraft auf den Felsblock gesprungen und hielt den Stutzen zum Anschlag bereit – seine Augen sprühten Feuer, seine Stimme übertönte das Knallen der Büchsen.
»Teufels-Toni – stah! ka Schritt weiter, oder Du bist a Kind des Todes! Setz den Bua nieder!«
Ein wildes Hohngelächter und das Hilfgeschrei des Knaben, den der Tolle um seinen Kopf schwang, als wolle er ihn in den Abgrund schleudern! »Hussah, rother Haspinger, ich kenne Di!« schrie der Tolle. »Af die Knie nieder, Ihr Lüt, döß ich Euch den Segen gebe mit der Teufelsbrut! In nomine Domini, filii et spiritus sancti!« »Zum letzten Mal, Toni – oder baim Herrgott im Himmel – nieder mit dem Bua –«
Der Tolle setzte seinen Weg fort. »Schieß, Haspinger, Du erschießt Dai eigen Verrätherblut! Der Haspinger is a Verräther, a Haspinger hat Tyrol verrathen, – Halloh!«
»Schurke!« Der Kolben war an der Wange des Greises, der Schuß krachte – – mit einem Wehschrei:
»Heili Antoni, Nönl! was hast 'than?« barg das arme Weib das Gesicht in den Händen, um das Schreckliche nicht zu sehn.
Einige Augenblicke schwankte der Tolle hin und her, dann öffnete er die Arme und ließ den Buben fallen. Der Knabe wäre über die Felswand gerollt und in den Abgrund gestürzt, wenn er sich nicht an einem Laatschennetz angeklammert hätte, an dem er jetzt zappelnd um Hilfe kreischte.
Der Teufels-Toni drohte mit der Faust herüber, während er die andere auf die Seite preßte, aus der ein Strom schwarzen Blutes ihm über die Finger quoll, dann schien plötzlich das Bewußtsein seines nahen Endes über ihn zu kommen und die Schatten des Wahnsinns zu zerreißen. Er winkte mit der geöffneten Hand hinüber nach den Schützen. »Sei gesegnet, Nazi Haspinger, für Deinen Schuß! Das Blut von Mantua ist gesühnt – Miserere mei Deus, secundum magnam misericordiam tuam!«
Das wenige Haar auf dem Haupte des Greises begann sich zu sträuben bei dem Ton dieser durch die Nähe des Todes von dem Kreischen des Wahnsinns befreiten Stimme.
»Heili Mueter Gottes – die Stimm' kenn i – Du bischt ...« In diesem Augenblick war der Mann, der sich die Bergwand hinabgestürzt hatte nach dem Grunde der Schlucht – zerfetzt, zerrissen, blutend von dem scharfen Gestein, an der Wand des Felsgrates emporgeklimmt, Fuß um Fuß, nicht achtend der Gefahr, an jedem Vorsprung, an jeder Wurzel sich festklammernd, bis er den Rand des Grates erreicht hatte, auf den er, den Knaben unterstützend und emporhebend mit ihm sich eben schwingen wollte, während angstvoll die Augen der Krieger, die ihre Büchsen ruhen ließen, an jeder seiner Bewegungen hingen.
»Ewige Mueter Gottes – s'isch der Hoisal – er rettet mai Kind – –«
Eine schreckliche unerwartete Katastrophe unterbrach den Dankruf der Mutter und Braut – der Tolle hatte, kaum das dunkle mit Blut und Erde bedeckte Haupt des hochherzigen Retters, von den langen schwarzen Locken umwallt, sich über die Felswand heben sehen, die fremdartige Gestalt mit der zottigen Bunda um die Schultern, als er mit grellem Schrei emporsprang und die Keule ergriff, die seine Hand mit dem Knaben hatte fallen lassen. Der Blitz der Vernunft war im Augenblick wieder verschwunden – der Wahnsinn glühte verstärkt in seinen Augen, während er mit beiden Händen die furchtbare Waffe um seinen Kopf schwang.
»Das ist der Teufel, der Teufel mit dem rothen Gold, der meine Seele zu holen kommt! – Le grand Napoleon et son digne fils ne seront jamais les protecteurs du peuple tirolien! – Apage – Retro Satanas!«
Nieder krachte der furchtbare Schlag – ein Schmerzensschrei – die Hände ließen los den Halt – über den schmalen Felskamm hinweg taumelte der Mörder von der gewaltigen Wucht des Schlages, und in den Abgrund rollten sie Alle, der Knabe und die Keule, der Tolle und sein Opfer – Matthias, der Slowak!
Bis zum Nachmittag hatte der Kampf am Monte Braulio gewährt – dann zogen die Freischaaren sich zurück, indem sie 32 Todte an der Bergwand zurückließen und achtzig Verwundete mit sich führten; – an dreihundert Mann hatte Garibaldi am Tage von Spondalunga verloren!
Die letzten Strahlen der Sonne, die hinter den Fernern und Spitzen der Bernina niedersank, vergoldete die Eiswände des mächtigen Ortler, als im tiefen Schatten des Grundes, auf dessen Wänden gekämpft worden, ein Kreis von Soldaten und Schützen um eine traurige Gruppe stand, während Andere eine Art von Bahre bereiteten, oder ein Grab in den Schneeboden gruben zur Aufnahme der gefallenen Feinde.
Neben den Todten – dem Mann ihrer Liebe und dem Kind ihrer Schmerzen – kniete die arme Mutter und Braut, und Thräne auf Thräne rann über ihre blasse Wange, wie Kugel auf Kugel ihres Rosenkranzes durch die zitternden Finger, während der alte Mann, ihr Großohm, auf das geschwärzte Gewehr des Sandwirths gestützt, stumm und finster an ihrer Seite stand. Der Knabe hatte bei dem furchtbaren Sturz das Genick gebrochen – der Slowak war aller Wahrscheinlichkeit nach schon ein todter Mann, ehe der stürzende Körper den Grund der Schlucht erreichte, – die Keule des Tollen hatte seine linke Schläfe eingeschlagen und all' seinen Prüfungen und Leiden, seiner Reue und seinem Hoffen ein Ende gemacht.
Während die Männer, – mit Schweigen und Flüstern den Schmerz der armen Frau ehrend, welcher der Leutpriester von Trafoi, am Nachmittag heraufgekommen, jene heiligen Verheißungen zusprach, die alle Unglücklichen und Bedrückten auf Erden nach dort Oben weisen!– mit der gefertigten Trage herankamen, die beiden zerschlagenen Körper aufzunehmen, war der Jäger-Offizier zu dem alten Tyroler getreten.
»Ist Euer Name Haspinger, Vater?« frug er in achtungsvollem Ton.
»Ja, Herr! i bin der Nazi Haspinger, der Vetter vom Rothbart und hob' mit em g'fochten bei'm Sandwirth. Der heut'ge Tag hat, denk i zur Genüg' bewiesen, döß der Haspinger dem Kaiser getreu is, wie Anno Neun!«
»Niemand hat daran gezweifelt, Vater. Der Verräther, der die Wälschen auf die Höhe führte, muß Euch gekannt haben, da er Euren Namen rief?«
Der Greis nickte schweigend.
»Es scheint,« fuhr der Offizier fort, »daß Eure Kugel und der Sturz von dem Felsen ihm nicht sofort den Tod gegeben, wie den beiden Unglücklichen, die er erschlug. Er muß erst später auf dem Grunde der Schlucht seine schwarze Seele ausgehaucht und einen langen Todeskampf gehabt haben, denn der todte Körper war noch warm, wie die Jäger berichten, als wir Stunden nachher hier herunterstiegen. Man hat in seiner Hand diese alte Brieftafel gefunden, die für Euch bestimmt scheint, denn sein Finger hat mit dem eigenen Blut das Wort »Haspinger« darauf geschrieben. Seht selbst!«
Er hielt ihm die alte schmutzige Brieftasche hin, auf deren innerem Blatt in der That der Namen in schwankenden Zügen geschrieben stand.
»Ich halte es für meine Pflicht, Euch die Tasche auszuhändigen, aber ich muß zugleich verlangen, daß Ihr den Inhalt alsbald in meiner Gegenwart untersucht, um zu sehen, ob sich vielleicht Papiere darin finden, die Nachrichten vom Feinde enthalten.«
Der alte Tyroler hielt die Brieftafel einige Augenblicke zögernd in der Hand, – er schien offenbar von einem Gedanken schwer bedrückt.
»I' bin ka Gelehrter, Herr,« sagte er endlich, »und les nix außer mei Gebetbüchl. Oes mußt Enk selber überzeugen, Herr – awerst ...«
»Nun?«
Haspinger führte den Offizier einige Schritt zur Seite, wo sie von den Andern nicht gehört werden konnten.
»Der Rock des Kaisers, Herr, is a Ehrenkleid! Oes müßt mir das Wort geben, Herr, döß Oes nit weiter ratschen wollt, was in dem Täschel da is, wenn's nit die Wälschen betrifft.« »Mein Wort darauf!« – Er durchsuchte die Brieftasche, die offenbar sehr alt war, – sie enthielt Nichts, als ein Paar alte gedruckte Blätter und Papiere.
»Der alte Tollhäusler,« sagte der Offizier, »scheint im Tyroler Krieg gleich Euch gedient zu haben, auf der einen oder der andern Seite – das hier ist eine Proklamation des General Baraguay d'Hillier's, – hier der Ausschnitt einer italienischen Zeitung mit dem Bericht über die Erschießung des Sandwirth in Mantua – und da ein altes französisches Paßformular ohne Namen, aber von Eugen Napoleon, dem Vicekönig von Italien unterzeichnet.«
»Ein's von den Vierundzwanzig,« murmelte der Greis – »i war dabei im Sterzing – as er sie bracht!«
»Was meint Ihr?«
»Nix, Herr – schaut weiter im Taschel!«
»Ich finde Nichts weiter – die Papiere sind werthlos, alte Erinnerungen, die höchstens für einen Sammler Interesse haben. Halt, da ist noch eins – aber von gleichem Charakter! Weiß der Teufel, warum der verrückte Bettler das Zeug aufbewahrt hat.«
»Was ist's mit dem Papier, Herr – s'is a Siegel drauf!«
»Es ist eine Verleihung der Kaplanei zu Loretto – ausgestellt in München von der bayrischen Regierung vom Jahr 1807.«
»Und für wen, Herr, für wen?«
»Für Joseph Donei , Priester aus dem Missionscolleg zu Rom – den Namen sollt' ich kennen, – – wenn mir recht ist– –«
»Laßt die alten G'schichten ruhn, Herr,« sagte der Haspinger rauh, indem er sein Gewehr aufnahm. »Der Stutzen hier könt aine erzählen, döß der alte Herrgott im Himmel lebt und jede Sünd' straft, wann wir Menschenkinder auch denken mögen, döß sie längst vergessen sei! – Oes habt Recht, s'is nix as unnütz Papier, dös der verhutzelte Dörcher gefunden oder gestohlen hat, und s' wird am Besten sein, wir legen das Täschel mit em in's Grab. Der Herr Jesu Christ erbarme sich seiner Seele!«
Und ohne weiter zu fragen, nahm er die alte Brieftasche aus der Hand des Offiziers, schritt zu der Grube, in welche die Soldaten eben die Leichen der gefallenen Feinde und des verrückten Bettlers legten, und warf sie hinterdrein zu den Todten, über welche der Leutpriester von Trafoi einen kurzen Seegen sprach.
Der alte Nazi hielt seinen zerschossenen Hut vor die Augen und betete still. Dann wandte er sich um und ohne mit Jemand zu sprechen, folgte er mit gesenktem Haupte der Bahre, auf welcher vier Schützen von Silz die zerschmetterten Körper des Slowaken und des Kindes hinauf zur Höhe trugen.
Als er den Zug erreicht, hinter welchem leise schluchzend die arme Mutter schritt, legte der alte Mann seine schwielige Hand auf das Haupt des unglücklichen Mädchens.
»Der Herr hats 'geben, Nandl, der Herr hats 'nommen! Der Name des Herrn sei gepriesen in Ewigkeit, auch wann Er uns prüft noch so hart! Droben im Himmel wird a Gericht sein für die Schlimmen und a Vergeltung für die Armen, die hier rehren!
Hinter den Felswänden des Monte Stella versank die Sonne – das Land Tyrol war dem Kaiser gewahrt! – –
Am andern Tage brachte ein Parlamentair des General Garibaldi, sein Generalstabschef Major Corti, die Nachricht von dem Abschluß des Waffenstillstandes zu Villa-Franca.