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Es ist Sonnabend, der Tag, an dem sich der Tugendbund, eine ziemlich leichtfertige, aber geniale Gesellschaft, versammelt.
Im Friedrich-Wilhelmsstädtischen Theater hatte Luise Mühlbach sich im »Tage vor Roßbach« patriotisch versucht; kritisirend, lachend, Witze reißend, politisirend und klatschend zieht das lustige Völkchen die einsame Straße am Kupfergraben daher, um in seine Stammkneipe in den Kellern des ehrwürdigen Rathhauses einzufallen, bei dessen Neugeburt der Berliner Magistrat später so schildburgisch schlau sein sollte, die Majestäten im Regenguß eine stundenlange Rede anhören zu lassen. Es sind Herren und Damen, bunt durcheinander: Die Presse hat ihr Contingent gestellt und der Gerichtshof, der kleine Wucher und die Diplomatie, das Theater und der Zunftzwang, die höhere Kleiderverfertigung und die französische Schweiz – selbst die Väter der Stadt haben es nicht verschmäht, ein pockennarbiges Individuum zu liefern – kurz man ist sehr gelehrt, sehr lustig, sehr geistreich und sehr liebenswürdig – nur leider nicht sehr tugendhaft!
»Wastel,« sagt der Journalist, »geh' aus dem Wege, mein Sohn, und sperre mit Deiner unverschämten Peripherie nicht besseren Leuten, als Du bist, die Stiege zur Unterwelt, wo Margaux und Bowle fließen. Es ist nicht nöthig, daß Du den Damen, welche das Trottoir der Königsstraße süß oder unsicher machen, die Enkel siehst. Weiche von hinnen, oder ich gebe der löblichen Gesellschaft Deine Abenteuer vom vorigen Sommer im Campanile oder auf dem San Marco der schönen Venetia zum Besten!«
Wastel der Dicke sieht den Redner mit dem Ausdruck niederschmetternder Verachtung an, schlägt den Carbonari, den er auch im Sommer zu tragen gewohnt ist, über die Schulter, daß die Spitze den Gamsbart auf dem tyroler Hut streift und spricht: »Was ich mir davor koofe!« aber er macht in der That ehrerbietig Platz, denn der Präsident des Bundes schreitet eben den Eingang herab mit einer Dame am Arm und sagt blos die Worte: »Dicker, benimm Dich anständig, Du bist ja noch nicht betrunken!«
Die Gesellschaft ist jetzt in der zweiten Halle versammelt und rückt die Tische und Stühle und schimpft auf Deigmüller, daß er noch immer das Sopha nicht hat polstern lassen, in dem man bis über die Hüften versinkt. Joly, ein abscheulicher Köter der würdigen Junggesellenwirthschaft, bellt alle Mitglieder an. Friedlich mit der gebissenen Wange, der Ober- und einzige Kellner, Buchhalter und naseweise Küfer macht sich nützlich, indem er den Damen die Hüte und Mantillen abnimmt, woran keiner der Herren denkt, und wird dann zu Charlotten, der Antiquität der Küche, geschickt, um Nachricht zu holen über den Bestand der Küche, der sich gewöhnlich auf Ochsenschwanz und Kalbscotelettes beschränkt.
Deigmüller wird vor die Rathsversammlung citirt, um sich auszuweisen, ob Erdbeeren und Eis zur Bowle vorhanden sind – er hat diesmal glücklicher Weise Wort gehalten und erhält die Erlaubniß, sich neben la beauté de la Suisse zu sehen. Der unglückliche Wastel als Proviantmeister des Bundes wird beauftragt, die Bowle zu brauen, krämpelt dazu seine Hemdärmel in die Höhe und streicht seine rabengefiederte Lockenmähne zurück, bereit, Jeden mit Grobheit zu regaliren, der Etwas an seinem Gebräu auszusehen hat.
Jetzt sind die Gläser gefüllt mit den leichten Vorposten des Estèphe und der Präsident schlägt mit dem Rohrstock auf den Tisch und erklärt: »Das Gesprächsel ist eröffnet! Seid tugendhaft, meine Kinder, in Wort und That!« Eine Fluth von Stadtneuigkeiten und Politik, von Theaterklatsch und Anekdoten, von Wissen und Scherz, Liebe und Bosheit, Industrie und Personalien füllt alsbald die Atmosphäre und fällt über den unglücklichen Präsidenten her, der sich die Ohren zuhält.
»Seid Ihr des Teufels, tugendsame Brüder und Schwestern, könnt Ihr nicht der Reihe nach reden, statt einen Lärmen zu machen, wie in einer Judensynagoge oder einer Volksversammlung? Laßt uns ein vernünftiges Gesprächsel führen, wie es sich gebührt und der Zwiebelduft aus Charlotten's Heiligthum es zur würdigen Vorbereitung auf die kulinarischen Genüsse erfordert. Josephine, mein Kind, meinst Du nicht auch?«
»Ich verstehe Nichts von Ihren Dummheiten, Monsieur!« lautet die Antwort der schönen Französin.
»Graf Goltz – der constantinopolitanische Gesandte, tritt das Unterstaats-Secretariat an!« lispelt die Stimme des angehenden Diplomaten hinter dem Glase Rothspon herüber.
»Dann Gnade Dir, Spiegelthal! Fare well, Akropolis von Smyrna und Butterhandel von Holland! Die Gräber von Sardes werden der Wissenschaft hinfüro verschlossen bleiben!«
»Leg' ein Wort ein für ihn, Strambo – Ihr wäret ja wohl Schulkamraden?«
Der Zeitungsschreiber zuckte die Achseln. »Das ist das Schicksal der Welt – ich, die Bürger-Canaille, schlage mich im Staub meines Angesichts – er der Graf, wird einmal Minister der Auswärtigen! Achtundvierzig war er übrigens unter den Conservativen Der, welcher arbeitete, während die Bethmann's und Pourtalès viel Redens machten. Manteuffel hat damals undankbar an ihm gehandelt und ihn zu den Schwerinern getrieben, gerade wie Harkort zur Demokratie. Niemand weiß das besser als ich, da ich mitten im Getrieb stand!«
»Bist Du vielleicht dafür Unterstaatssecretair geworden?«
Der Journalist lachte herzlich. »Wer bei uns in der conservativen Presse nicht nebenbei etwa einen Käsehandel oder derlei betreibt, wird ewig ein Hungerleider bleiben. Die Regierung versteht nicht, sich eine Presse zu erziehen – sie protegirt nur die Apostaten und Ueberläufer von Euch! – Seht den Burschen da an, schlank, groß, geistreich, ein junger Jaguar! Er soll seine Kraft an der Begründung eines Contreblatts der Volks-Zeitung erlahmen, ohne andere Unterstützung zu haben, als hemmende Vorschriften – und ich wette Zehn gegen Eins, daß er, ehe zwei Jahre vergehen, ausgewandert ist!«
»Und glauben Sie, daß ich deswegen weniger ein Preuße bleiben werde?«
Der ältere Journalist reichte ihm die Hand über den Tisch. »Sie wissen, Kollege, welch' große Stücke ich auf Sie halte. Es sind zwei Männer, von deren preußischem Furor: Preußen vor Allem vorwärts, ob mit Reaktion oder Demokratie! ich im Innersten überzeugt bin. Das sind Sie und ...
Der Andere!«
»Ist auch ein Gesandter, draußen in Petersburg, Bismarck. Ich denke oft daran, wie wir Achtundvierzig in der Dessauerstraße so manch' liebes Mal an einem Tisch saßen!«
»Ich kann es nicht billigen,« sagte der jüngere Schriftsteller, »daß Herr von Manteuffel in dieser Weise das Feld geräumt hat.«
»Wie ein Hund, der den Schwanz zwischen die Beine klemmt! Er mußte sich selbst die Gerechtigkeit anthun, den vom Regenten angebotenen Grafentitel und den Sitz im Herrenhause als das Geringste, das man ihm schuldete, anzunehmen. Seine Empfindlichkeit war ein großer politischer Fehler, der sich an uns Allen rächt!«
Die Justiz lachte spöttisch. »Arme Jungens, Eure Zeit ist vorüber – eine neue Aera hat begonnen!«
»So haltet sie hübsch warm und seht vor Allem zu, daß sie die Gehälter der Justizbeamten erhöht, damit sie nicht nöthig haben, schlechte Opposition zu treiben. Ich fürchte stark, die Sparsamkeit im Beamten-Etat wird sich rächen und eine Phalanx von Assessoren und Kreisrichtern erziehen, die jedem Ministerium sehr unbequem sein dürfte. Die Arena ist offen – jeder Referendar trägt das Portefeuille in seinem Maulwerk, wie einst der napoleonische Soldat seinen Marschallstab im Tornister!«
»O Himmel,« flüsterte eine süße Frauenstimme, »können diese Männer denn nicht wenigstens fünf Minuten zusammen sein, ohne von ihrer leidigen Politik zu sprechen? Bitte, erzählen Sie doch lieber Anderes – so etwas Gerichts-Zeitung oder Publizist, – ein wenig Scandal! nicht »Zuschauer«, der ist gar zu fade, seit er fromm geworden. Vielleicht leistet das Volksblatt Etwas!«
Alles lachte. »Wir überlassen das der Preußischen Zeitung!« sagte der Journalist pikirt.
»Kinder, wißt Ihr, was das neue Ministerium Schwerin bereits für die Presse gethan hat?«
»Nun?«
»Kinkel hat seinen »Hermann« offerirt. Man sucht einen Correspondenten zu kleinen Enthüllungen nach London.«
»O – ich wüßte einen – Heu ...«
»Man hat ihn schon, Eichhof heißt der Tapfere. Aber welches Opfer wirft man dem Moloch öffentlicher Meinung hin zum Zerfleischen, wie Nero die Christen den Tigern des Circus?«
»Wen anders als Euch, die Reaction,« sagte der kluge Vater der Stadt!«
»Lieber Freund, seien Sie etwas weniger einfältig. Das zieht nicht mehr. Waldeck'scher Prozeß und Engel'sche Brochüren, Arbeiterfrage und Kirchenpatrone, Vaterlandsverrath und Muckerthum, Kreuzzeitung und Junker, das sind längst überwundene Standpunkte, – darauf beißt kein verständiger Demokrat mehr an. –
»Aber es giebt ja keine Demokratie mehr ....«
»Optime! – Erfinden wir einen neuen Namen für die neue Aera – sagen wir: »Fortschritt!« – also ...
»Angenommen«, brummte die Stimme des Dicken. »Du bist doch ein Hauptkerl, Doktor – ich setze mich morgen in drei Omnibusse und erzähle von der neuen Partei – dann ist die Taufe fertig.«
»Laß das Fahrgeld auf unsere heutige Rechnung setzen, Wastel. Also – der neue Fortschritt will etwas Anderes haben. So etwas Feines – Officielles – das Ministerium muß sich in's eigne Fleisch schneiden und ein Stück aus der Regierung opfern.«
»Sagen wir die Steuern – Patown – die neue Anleihe!«
»Dummkopf – als ob eine liberale Regierung nicht doppelte Steuern brauchte! wovon soll sie denn ihre Macher bezahlen? Nein, es muß Nichts kosten und viel Stoff geben. Die Justiz wäre so etwas, aber es könnte die Kreisrichter unpopulair machen und ihrer Wahl schaden!«
»Mon Dieu, warum zerbrechen so kluge Leute sich ihren Kopf. O Messieurs, Sie seind sehr schwach. Maken Sie's wie wir sonst in Paris, nehmen Sie den Könik – er kann sich jetzt nix vertheidigen – er seind ein kranker Mann!«
»Josephine, – Rebellin! – nein, das ist noch zu früh! aber es wird kommen – man wird einen Vogelheerd bauen zum Zerrupfen des sterbenden Adlers! – nein, ich weiß etwas Besseres! sie werden die Polizei nehmen! Zedlitz, Patzke, Nörner, Stieber ...«
»Hängt ihn! ich bezahle den Strick ...«
»Mein Sohn,« sagte der Präsident zu dem eifrigen Journalisten, »die Nürnberger henken keinen, sie hätten ihn denn zuvor. Ueberdies fühle ich einige Freundschaft für ihn aus süßer Jugendzeit, – damals, am Ufer der Spree, dort wo sie noch Schwan ist, und als er noch Fleischlieferant war. Aber Ihr habt dennoch Recht, nehmt die Polizei – es finden sich da Federn genug zu rupfen, die Sache wird populair sein, und in Betreff der Armee könnte man doch zu empfindlich werden. Man unterhandelt bereits mit Wentzel für die Justiz.«
»Aber wer wird den Angriff wagen?«
»Bah – haben wir nicht Schwark? Er hat sich so tapfer genommen bei der Affaire mit den fünf Kirchenpatronen!«
Ein schallendes Gelächter rings um die Tafel antwortete der kitzlichen Anspielung. »Es muß kostbar gewesen sein, als ihm Graf Wartensleben mit Escorte auf die Bude rückte und die Ehrenerklärung diktirte!«
»Bei den Stiergefechten machen die Bandrillero's, die man in's Fleisch wirft, den Stier desto wilder. Aber ich hoffe es auch noch zu erleben, daß ein Staatsanwalt oder Stadtrichter das Cartel eines Generals annimmt!«
»Politik! Pfui – laßt den Wastel lieber eine Geschichte erzählen. Doktor, wie war es doch mit der italienischen Contessa?«
Der neue Ganymed, der sich nach Erfindung der Photographie blos mit einem Schlachtbeil und einer Jakobinermütze als Visitenkarte für seine Freundinnen hatte aufnehmen lassen, drohte mit der Schöpfkelle herüber. »Ich schlage Dir das ungewaschne Maul ein, wenn Du ihnen Lügen erzählst! Ich will lieber einen Rebus aufgeben!«
»Um Himmelswillen nicht!« Die Damen hielten die Finger gespreizt vor die Augen.
»Man zu, Dicker – die Geschichte kommt nachher!«
Wastel schleuderte ihm ein wüthendes Augenrollen zu. »Seien Sie unbesorgt, meine Damen – ich weiß, wo ich mich befinde – er ist ganz anständig!« Er nahm das Glas seiner Nachbarin und goß es über den Tisch, daß der Wein heruntertropfte und die Schönen schreiend ihre Kleider salvirten. »So – nun rathen Sie?«
»Pfui! – Friedrich! bringen Sie eine Serviette zum Abtrocknen, rasch!«
Der Dicke lachte, daß ihm die Thränen in den Augen standen. »Bei meinem Hosenträger! Sie können doch vortrefflich rathen!«
»Nun den Rebus – Sie haben ihn ja gleich errathen und ich muß dafür von jeder Dame einen Kuß haben!«
»Das fehlte uns noch – Sie gehn immer polnisch betteln auf anderer Leute Unkosten. Aber wie habe ich denn Ihren Rebus errathen.«
»Nun – Servietten!«
»Serviette? – Unsinn, Sie gossen meinen Wein auf den Tisch, daß er überlief!«
»Also! ein »überflüssiges Möbel!« fragen Sie nur Friedrichen!
Das Gelächter wurde homerisch.
»Wastel,« sagte der Journalist, »ich vergebe Dir, daß Du mich am Walchensee um die hübsche Schiffer-Marie betrogen hast und selbst die Geschichte im Münchener Volkstheater!«
»O was war das – bitte, erzählen Sie, Doktor!«
»Nicht viel – eine kleine Anekdote, wie sie auf Reisen passirt. Wir saßen in der Prinzenloge zu 30 Kreuzern und der Dicke glaubte dafür auch die Erlaubniß gekauft zu haben, den Leuten im Parterre auf den Kopf zu spuken!«
»Sie konnten ja aus dem Wege gehn!« murrte der Ganymed.
»Das sagte der persische Gesandte auch im Drurylane. Aber die Logenschließerin meinte, es sei an dem Abend zu voll für dies Vergnügen. Als unser Freund sich nun darin gehindert sah, versuchte er sich in einer andern Weise zu amüsiren und machte eine Attake auf seine Nachbarin, indem er angab, er hätte ein Zweigroschenstück verloren, das er suchen müsse!«
»Wenn die Bayern ihn gekannt hätten, wie wir,« schaltete der Präsident ein, »so hätten sie gewußt, daß das von vorn herein eine Lüge war!«
»Ich hatte immer gehört,« brummte der Beschuldigte, »daß die Mädels in Bayern so schöne Enkel hätten!«
»Ja – aber man sucht sie selbst in München an der richtigen Stelle! Kurz um, schließlich sammelten sich die sämmtlichen Logenschließerinnen und spedirten uns aus der Prinzenloge die Treppe hinunter, – mich, das unschuldige Opfer seiner sultanischen Launen, den leipziger Studenten, den Bösewicht und die Dame!«
»Aber warum in aller Welt denn diese?« »Einfach, weil sie geschrieen hatte! Wir gingen dann selbander friedlich zum Hofbräu!«
»Ich habe seit der Zeit einen Groll auf die Bayern,« sagte der Dicke.
»A propos Sultan – wissen Sie, meine Damen, daß die Odalisken von Tschiragan, die dem kranken Mann das Leben versüßen, in Berlin Conkurrentinnen bekommen?«
»Pfui– Sie meinen doch nicht die abscheuliche Geschichte von der Einrichtung für den Gesandten –«
»Nein! er ist gegenwältig ein Christ! Gestern ist die erste Sodawasser-Bude an der Schloßpuppenbrücke eröffnet worden.
»Ah! Sodalisken!« schrie der Dicke roth vor Vergnügen über sein Begriffsvermögen.
»Dummer Witz!«
»Es ist ein Fortschritt der Cultur. Man kann nicht überall Kapellen bauen. – Höre, Justiz, wie ist der Prozeß gegen Wedicke und Sonntag ausgefallen?«
»Verurtheilt!«
»Ist das derselbe Wedicke,« lispelte der Diplomat, »der die Affaire mit dem Kaiser Nicolaus hatte?«
»Ja – er steckte sich in einem Zimmer des Schlosses in den Kamin, um eine wichtige Unterredung zu belauschen. Aber der Ruß kam ihm in die Nase und er polterte herunter, worauf ihn der Herrscher aller Russen erstechen wollte, bis er sich zuletzt begnügte, ihn tüchtig durchprügeln zu lassen.«
»Der Dummkopf – ich hätte mir die Nase verbunden.«
»Man sagt, in Olmütz sei es Ihnen damals auch nicht recht geglückt,« bemerkte der Journalist boshaft.
»O – Schwarzenberg verbat sich ausdrücklich, daß man mich mitbrachte. Wir kannten uns!«
»Dann wundert es mich nicht! Er hat ja bekanntlich gesagt, daß der Dank Oesterreichs die Welt in Staunen setzen werde. – Ist Jemand bei der Eröffnung des Handwerkvereins in Villa Colonna gewesen?«
»Ich, Herr Doktor!« sagte mit Selbstgefühl der Kellner Friedrich, der gern sein Wort einschob. »Herr Steinert hat eine Rede gehalten.«
»Was sagte er, mein Sohn?«
»O – dies und das – genau kann ich's nicht mehr sagen. Es war sehr feierlich und sehr voll!«
»Schön, Fritz – Du bist ein Mann der Zukunft. Wenn ich Dir rathen soll, laß Dir einen chemikalisch experimentalischen Vortrag halten, wie man die Weine fälscht, ohne der Gesundheit zu schaden!«
»Das weiß ich allein!«
Der würdige Kellervater versetzte ihm zum Dank unter dem Jubel der Gesellschaft einen Tritt.
»Wißt Ihr, daß der Marschbefehl ergangen ist?«
»Ich melde mich als Regimentstochter!«
»Ich auch!«
»Pfui der Untreue – als ob es am Rhein kein schönes Geschlecht gäbe!«
»Mon Dieu,« lispelte die schöne Josephine, ihre Cigarette aus den Lippen nehmend, »sie haben immer so große Füße dort!«
»Noscitur ex pedibus,« parodirte der Jurist. »Es kann nicht Jedermann oder vielmehr jede Frau eine griechische Fußspanne haben. Ueberdies müßte man sich erst überzeugen, Kind, ob Du auch ein Recht zum Tadeln hast?«
»Sie sind ein mauvais sujet! Aber wenn Sie nicht unbescheidener sein wollen – voilà!« Sie sprang auf's Sopha und setzte ihr allerdings sehr hübsches Füßchen in koketter Weise auf den Tisch gerade vor den dicken Ganymed, der darob in Verzückung gerieth.
»Wastel, wie wird Dir?«
»Er beginnt zu schnauben und die Augen zu rollen, um Himmelswillen, Josephine, kommen Sie herunter, oder dieser Joseph läßt seinen Manlel nicht im Stich!«
»Lassen Sie sie reden! kümmern Sie sich nicht um den gemeinen Neid,« lächelte selig der Dicke. »Die Brut gönnte Einem nicht einmal Schweinsknöchelchen, vielweniger Damenfüßchen!«
»Dis donc, Sie Méchant! Ist das ein Vergleich vor die Damen?«
Sie setzte den hübschen Fuß, den er eben fangen wollte, auf seine Schulter und sprang mit einem Satz über ihn weg – in die Arme des Kommissionsrath Bollmann, der unbemerkt eingetreten war, während Wastel mit dem Stuhl am Boden lag.
»Ich muß Dich nur vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit Du siehst, wie leicht sich's leben läßt!
Und so weiter,« sagte der Agent, der den Meisten bekannt war, jovial einstimmend. »Ich höre im Vorbeigehen so herzliches Lachen und das hat mich verlockt, gegen meine Gewohnheit noch Abends ein Fläschchen zu trinken. »Kellner – eine Flasche Jacqueson! es ist der solideste Wein, und wenn Sie erlauben, trinke ich ihn in Ihrer Gesellschaft!«
»Mephisto in Auerbach's Keller,« flüsterte der jüngere Journalist zu seiner Nachbarin, »er brauchte nicht erst die Verse zu citiren.«
»Wollen Sie mein Faust sein?« frug der Andere, der sehr scharfe Ohren hatte, lächelnd. »Ein Gretchen werden wir allenfalls finden.«
»Ich danke, Herr Kommissionsrath – ich lasse mich nicht gern beeinflussen!«
»O mein lieber junger Freund,« sagte der Rath mit Salbung, indem er den Damen Champaguer einschenkte, »wer in aller Welt ist so selbstständig, daß er nicht einem Einfluss unterläge?! Tausendfach sind seine Wege und selbst der stärkste Charakter hat seine Achillesferse. Die Sache ist blos, sie nicht zu fühlen oder fühlen zu lassen.«
»Ich werde gerade in meiner Stellung mir immer volle Selbstständigkeit zu wahren wissen!«
Der Rath lächelte fein. »Ich zweifle nicht daran und eben diese geistige Kraft hat bereits die Aufmerksamkeit in anderen Kreisen auf Sie gelenkt. Daß mit dieser sogenannten neuen Aera Sie hier nicht an Ihrer Stelle sind, wird Ihnen doch gewiß längst eingeleuchtet haben.«
Er hatte sich zu dem Journalisten gesetzt, während die Anderen eben einer schlüpfrigen Geschichte lauschten, die der Dicke mit unvergleichlicher Virtuosität vortrug.
»Gerade jetzt gilt es ernsten Kampf für die conservativen Grundsätze.«
»Eine Kraft wie Sie muß ihr eigenes Feld haben, nicht neben der Kreuzzeitung. Es freut mich, Sie hier getroffen zu haben – seit zwei Tagen habe ich einen Brief des Grafen Thun für Sie.« Er nahm ihn aus der Brieftasche. »Apropos–« er wandte sich an den Schriftsteller »werden Sie uns nicht bald wieder ein Buch zum Besten geben, wie Ihr Sebastopol, oder Nena Sahib? Der jetzige Feldzug in Italien wäre ein nicht übler Stoff.«
»Vielleicht – aber ich müßte so kosmopolitische Figuren haben, wie Sie, Räthchen!«
»O – was mich betrifft, ich gebe Ihnen plein pouvoir – bringen Sie unsere ganze hübsche kleine Gesellschaft hinein, versteht sich mit gehöriger Discretion. Ich könnte Ihnen manche hübsche Geschichte an die Hand geben. Ich sammle, wie Herr Varnhagen van Ense, wenn ich auch keine Nichte habe, der ich die kleinen Scandälchen vererben kann! Noch heute Abend hörte ich eine höchst interessante Geschichte!«
»Darf man sie wissen?«
»O – Sie werden sich der Personen erinnern. Sie lebten einige Zeit hier – selbst in meinem Hause. Erinnern Sie sich der Gräfin Törkyönyi und ihres Freundes oder Liebhabers, eines Doktor Lazare?«
»Gewiß – ein verkappter Jesuit oder Agent der revolutionairen Propaganda!«
Der Rath lächelte. »Ich weiß es nicht, – aber er ist todt!«
»Todt?«
»Ja – er war ein Mann von großer Philosophie, der das Duell verachtete und dennoch ist er im Duell erschossen worden.«
»Wo? wie ist das geschehen?«
»O – in der Schweiz! – es heißt: aus Eifersucht, und daß die Gräfin ihn dabei sekundirt hätte. Es hängt damit noch eine kleine Geschichte zusammen, die ich vielleicht nachher noch zum Besten gebe.«
Er heftete das graue kleine Auge mit einem eigenthümlichen Ansdruck auf die junge Französin, die mit einem Mitgleid der lockern Gesellschaft gekommen war und seit dem Eintritt des Kommissionsraths auffallend still und scheu sich zurückgezogen hatte.
»Nach Allem, was ich höre,« fuhr der Rath fort, »wird es jetzt Ernst mit dem Krieg.«
»So scheint es. Das 7. Corps nimmt Stellung bei Cöln, das 8. und 4te bei Düsseldorf und Wesel, das 3te bei Frankfurt a. M., das 5te bei Mainz, die Garde als Reserve in Thüringen. Die Bundescorps kommen an den Oberrhein!«
»Also 8 Armeecorps, das kann allerdings Marschall Pelissier nicht paralysiren.«
»Lord Russel hat einen neuen Vermittelungsvorschlag gemacht!« sagte der Diplomat.
»Die Weltgeschichte geht über die Vermittelungsvorschläge zur Tagesordnung über. Ich bin neugierig, welche Mängel sich bei Ihrer neuen Mobilmachung herausstellen werden. Man sagt, der Regent gehe schon seit Jahren mit dem Plan einer Reorganisation der Armee um. Schade, daß sie noch nicht ausgeführt ist, sie würde Oesterreich zu Gute kommen.«
»Wenn nicht diesmal, so ein andermal,« sagte der Städtische trocken. »Verlassen Sie sich drauf, daß es geschehn wird. Was übrigens die Mängel der Armee betrifft, so lauten die Berichte aus dem österreichischen Hauptquartier ganz absonderlich. Ich habe mich nur gewundert, daß Sie nicht dort sind?«
Die Frage galt dem älteren Journalisten.
»Die Kammer hat mich so lange aufgehalten; ich hatte die Hand voll gewichtiger Empfehlungen, aber als ich in Wien die Erlaubniß verlangte, schrieb Graf Rechberg einen langen, sehr höflichen Entschuldigungsbrief, dessen Inhalt war, daß man sich nicht durch die preußischen Zeitungen in die Karte schauen lassen könne.«
»Das habt Ihr Reactionaire für Eure österreichischen Sympathieen – es wird noch besser kommen!«
»Das sagt die Schule der Neuzeit – die Aelteren können sich des Gedankens noch nicht entschlagen, daß Preußen und Oesterreich Hand in Hand Europa Gesetze vorschreiben könnten. Aber freilich gehört dazu aufrichtiges Wollen gegenseitig – keine Hinterlist von Olmütz und Dresden. Dieser Zwiespalt wird noch viel Unheil bringen, bis sich der Phönix einer wirklichen neuen Aera aus dem Nebel dieser Versuchspolitik emporringt und ein entschlossener Geist Alles daran setzt.«
Der Commissionsrath war nachdenkend geworden – die Ursach, weshalb er die Gelegenheit benutzt hatte, um in die lustige Gesellschaft hinein zu fallen, war ja großentheils mit, die verschiedenen Stimmungen in der Bevölkerung der Residenz kennen zu lernen.
»Der arme König meinte es gewiß aufrichtig,« äußerte er endlich.
»Das haben traurige Opfer genug gezeigt,« sagte der jüngere Journalist. »Diese ehrliche Gefühlspolitik des Glaubens und Vertrauens hat Preußen nachgerade aus seiner Stellung als Großmacht gedrängt. Heutzutage ist Alles Wettlauf. – Seine Zeit ist vorbei, und dennoch waren es stets große und würdige Ideen, die aus dem Herzen des Sohnes Luisen's zu seinem Haupte emporstiegen.«
»Ist es nicht auch eine erhabene Idee des Königs gewesen, den Johanniter-Orden wieder in's Leben zu rufen zur Pflege der Kranken und Verwundeten? Sie wissen doch, daß die Ballei Brandenburg unter unserem ritterlichen Prinzen Carl sich bereits zur Uebernahme der Verpflegung der Verwundeten erboten hat?«
»Wer hat die Sache in der Hand?«
»Graf Eberhard Stolberg, der Kanzler des Ordens!«
»Ein wahrer Ritter –, das Ideal eines Edelmanns vom Scheitel bis zur Sohle. Ich wünschte, Preußen hätte Viele wie er – dann hätten wir eine wirkliche Aristokratie, wie sie jedes Land haben soll! – Aber jener erhabene Gedanke des Königs wird seine Früchte tragen. Die Schlachtfelder regeneriren das stagnirende Blut der Völker. Es ist Zeit, daß der Preußische Adel dem Lande zeigt, wie er seine Aufgabe erkennt, an der Spitze der Nation zu stehen. Daß die adlige Jugend in Berlin den Wohlstand der Familien an die Herren Meier, Jonas und Lilienthal, oder wie die Gesellschaft heißt! in dreihundert Prozenten vergeudet, und sich nicht schämt, Gaunern gegenüber selbst zu Schwindlern zu werden, – daß sie die Ehre alter Namen an Metzen wegwirft und mit Loretten Arm in Arm Unter den Linden und bei Kroll paradirt – beim Styx! das ist der Demokratie Wasser auf die Mühle. Laßt das Herrenhaus eine wahre Pairskammer sein, die sich nicht hinter Privilegien versteckt, sondern für das Volk klaren Sinn und redliches Herz hat! laßt den Regenten mit fester Hand den jungen Adel der Armee in würdige Bahnen weisen, – laßt die Johanniter zeigen, daß die erhabensten Aufgaben der christlichen Liebe sie beseelen, daß der Muth eine Tugend ist, nicht bloß eine physische Eigenschaft – und bei Gott, alles Gekläff der Demokratie, alles Schmutzwerfen der revolutionairen Presse wird dem Adel in Preußen seine Stellung am Thron nicht rauben und dem Bürgerthum nicht die Achtung für wahre Vornehmheit schmälern können!«
Ein schallendes Gelächter der lustigen Gesellschaft antwortete den ernsten, erregt gesprochenen Worten. Der Sprecher wandte sich unwillig von ihnen. »Ihr seid ein leichtfertiges Gesindel, das nur Sinn für seine Amüsements, nicht für ernste Fragen und Aufgaben der Zeit hat. Per Baccho – auch dem Bürgerthum thut eine tüchtige Aufschüttelung herzlich Noth! – Fülle die Gläser, Wastel – auf einen fröhlichen Krieg mit Frankreich und einen raschen Siegesmarsch nach Paris!«
»Daß ich ein Narr wäre, zu solchen verrückten Toasten meinen guten Wein herzugeben! Der Krieg stört Handel und Wandel, und bringt die Papiere herunter. Wenn wir die Französinnen haben, was brauchen wir Frankreich!«
»Am allerwenigsten die Franzosen! – aber was hat der dicke Commissionsrath mit der kleinen Marianne? Sprecht Deutsch, Kinder, wie es deutschen Männern und Jungfrauen geziemt. Sie schulden uns noch die Geschichte, Räthchen – von dem Duell, oder wie es gekommen!«
»Sie sollen sie haben,« sagte der Agent mit einer gewissen energischen Bosheit, indem er sich von dem Stuhl an der Seite der kleinen Französin erhob, den er während des letzten Gesprächs eingenommen hatte obschon sie so sichtbar von Anfang an sich in möglichster Entfernung von ihm hielt. Hier hatte er seitdem leise in französischer Sprache zu ihr geredet, offenbar sehr eindringlich, während sie nur einzelne ablehnende Worte zur Antwort gab, bis der Widerspruch und der Ruf des Präsidirenden der lustigen Gesellschaft ihn veranlaßte, das Gespräch aufzuheben.
Jetzt nahm er den vorigen Sitz neben dem Journalisten ein, dem er vorhin den Brief gegeben.
»Sie sollen die Geschichte hören,« wiederholte er. »Sie ist pikant genug, um in der Gerichtszeitung oder der Tribüne unter den auswärtigen Criminalfällen eine amüsante Rolle zu spielen, namentlich da Personen in Berlin leben und wahrscheinlich selbst von Ihnen gekannt werden, die nicht ohne Bezug zu den Vorgängen sind. Die Anekdote spielt in Genf!«
Die Gesellschaft sah den Erzähler an, neugierig durch diese Einleitung, sonst hätte vielleicht Einer oder der Andere bemerkt, daß die kleine Französin stark erbleichte und auf den Erzähler einen flehenden ängstlichen Blick warf.
»Doktor Lazare hielt sich in irgend einer seiner politischen oder socialistischen Intriguen in Genf auf und logirte in der »Krone«, erzählte der Rath weiter, ohne die Bitte zu beachten. »In dem Gasthof servirte ein junger Mann als Kellner, der zwei hübsche, noch sehr junge Schwestern hatte. Monsieur Henry, so wollen wir ihn nennen, ließ sich vom Teufel blenden und stahl dem Doktor einen Diamantring. Aber der Doktor Lazare, wie Einige von Ihnen wissen, hatte Luchsaugen, er entdeckte bald den Dieb und wollte ihn der Polizeibehörde übergeben. Die Gräfin, die zufällig die Schwestern gesehen hatte oder kannte, legte sich in's Mittel – vielleicht, daß Monsieur Henry selbst einen Stein bei ihren kleinen Liebhabereien im Brett hatte. Sie schickte die beiden Mädchen zu ihrem Galan, um Gnade zu bitten, und Doktor Lazare war kein Mann, der die Gelegenheit vorbeigehen ließ. Kurz und gut, die beiden Mädchen zahlten für ihren Bruder – ziemlich schwer, denn die jüngste stürzte sich zehn Monat darauf mit ihrem Kind von der prächtigen Brücke an der Rousseau's-Insel in den See! – der anderen bekam der Gnadenpreis zwar nicht so unglücklich – sie ließ bloß den Orangenzweig zurück und ging in's Ausland. Aber sie hätte gewiß auch jenen Preis nicht gezahlt, wenn sie gewußt hätte, daß Lazare sehr vorsichtig nach seiner Gewohnheit alle Beweise jener kleinen Escamotage aufbewahrt hatte, selbst ein handschriftliches Eingeständniß des jungen Burschen, wozu er ihn gezwungen. Ich glaube, die hinterlassenen Papiere des Doktors könnten eine halbe Provinz an den Pranger oder auf die Festung, wenn nicht auf das Schaffot bringen!«
»Und wer ist in ihren Besitz gekommen?«
»Nicht die Gräfin – dazu kannte er sie zu gut! – Genug – der unbesonnene junge Mensch hat seine leichtsinnige Handlung von damals ehrlich gesühnt und sich auf einen besseren Weg gewandt. Er diente in der französischen Armee während des Krimfeldzugs, zeichnete sich bei dem Sturm auf den Malakoff aus und wurde zum Offizier ernannt und dekorirt!«
»Aber was hat das Alles mit dem Duell des Doktor Lazare zu thun – er hat sich doch nicht mit seinem ehemaligen Diebe geschlagen?«
»Nein – aber ein eigenthümliches Verhältniß wollte, daß der französische Offizier einer der Beistände des Russen sein mußte, mit dem sich Lazare, alle seine bisherigen Grundsätze diesmal einem blinden Haß und seiner Geschicklichkeit nachsetzend, schoß. Wahrscheinlich wollte er die Chancen des Zufalls in Voraus corrigiren und scheint Herrn Henry in dieser Beziehung einen Vorschlag gemacht zu haben – was? hat man nicht erfahren. Der Offizier hat die Zumuthung zurückgewiesen, und Lazare ...«
Der Rath schwieg einige Augenblicke und warf einen eigenthümlichen Blick auf die Französin.
»Nun!«
»Lazare hat noch auf dem Todtenbett die Niederträchtigkeit begangen, einen meiner Geschäftsfreunde – von dem ich eben die Geschichte weiß, – zu verpflichten, jenes Papier, das er ihm übergab, die Quittung über den Diebstahl könnte man sagen, zu veröffentlichen, oder an den Regimentskommandeur des Offiziers, der bei Magenta verwundet und Kapitain wurde, zu schicken.«
»Das ist Nichtswürdigkeit! – Wie heißt der arme Mann?«
»So viel ich mich erinnere – ich glaube ...«
Ein tiefer Seufzer unterbrach die Antwort – die Französin Marianne fiel ohnmächtig von ihrem Stuhl, zum Glück auf Joly, den Hund, der aufmerksam daneben gesessen und jetzt heulend und hinkend in einen Winkel flüchtete.
»Zum Teufel mit Ihrer Geschichte,« rief gutmüthig der Dicke, indem er sich eifrig mit dem Corset der Ohnmächtigen zu schaffen machte, »solche Bosheit kann kein Pferd anhören, vielweniger das butterweiche Herz eines Frauenzimmers, noch dazu, wenn von einem Landsmann die Rede ist! Es ist ein Glück, daß der Kerl todt ist, ich glaube, ich hätte ihn selber auf – meinetwegen auf 500 Schritt Distance gefordert!«
Der unangenehme Zufall hatte die ganze Gemüthlichkeit gestört, – die Damen waren um die kleine Französin beschäftigt, die sich unter Eau de Cologne und Wasser erholte, der Präsident erklärte die Sitzung für heute geschlossen und die Herren bezahlten an Friedrich ihre Zeche; dabei war der jüngere Journalist zu dem Kommissionsrath getreten.
»Ich weiß nicht, wie weit Sie mit dem Inhalt des Briefes bekannt sind, Herr Rath,« bemerkte er ernst. »Wenn aber dies der Fall ist, und Sie an den Herrn Grafen schreiben, so sagen Sie ihm, daß ich nicht abgeneigt bin – aber nur unter der Bedingung, – daß ich nicht gegen meine Ueberzeugung und nicht gegen mein Vaterland zu schreiben brauche!«
Der Rath verbeugte sich leicht. »Ich glaube, Herr Doktor, Sie haben nur Ihre Bedingungen zu stellen. Man ist der feilen jüdischen Federn dort müde und wünscht eine frische selbstständige Kraft.«
Er wandte sich zu den Damen und nahm dem Kellner den Hut und die Mantille für die junge Gouvernante ab, auf die seine Erzählung einen so merkwürdigen Eindruck gemacht hatte.
»Erlauben Sie, Mademoiselle?« frug er, die Mantille öffnend, und indem er, sich umblickend, alle Anderen beschäftigt und einige Schritt entfernt sah, fügte er leise hinzu:
»Soll ich den Namen nennen!«
»Ich flehe Sie an – ich gehorche!«
Er ließ einen Schlüssel und ein Papier in ihre Hand gleiten.
»Noch diese Nacht also,« flüsterte er. »In dem Arbeitskabinet – der zweite Schrank von der Thür links. Von oben das dritte Fach – der Zettel enthält die Aufschrift des Aktenstücks. Wann pflegt Se. Excellenz schlafen zu gehen?«
»Um ein Uhr gewöhnlich!«
»Dann warten Sie eine Stunde – und es wird ohne Gefahr sein. Sie werden morgen Vormittag unter einem Vorwand das Hotel verlassen – ich erwarte Sie am Goldfischteich. Der Schlüssel paßt – Muth und ein Bischen Geschicklichkeit, so ist keine Gefahr!«
»Und mein Bruder ...?«
»Auf mein Ehrenwort – wenn Sie mir das Aktenstück bringen, erhalten Sie jenes Papier und damit jeden Beweis!«
»Heda, Kommissionsrath,« rief der Innungsälteste, von der ganzen Gesellschaft der Onkel genannt und gewöhnlich mit der Zusammentrommelung des Tugendbundes beauftragt oder mit der Rolle der Anstandsmutter für die weiblichen Mitglieder betraut – »Sie machen unserer kleinen Marie allzusehr die Cour!«
Der Agent trat zurück: »Ich bin fertig – ich habe dem Fräulein nur meine Entschuldigungen gemacht, daß meine Geschichte von vorhin sie so erregt hat.«
»Vorwärts – vorwärts! sonst giebt's keine Droschken mehr!«
Friedrich hielt die Thür zu der Treppe und die Hand offen.
»Es ist Schade, daß Sie heute so früh gehen – der Herr Wastel hat doch noch so wenig Geschichten erzählt!«
Für die Frechheit, sich des nomme de guerre bedient zu haben, erhielt er kein Trinkgeld – der Dicke wußte immer eine Ursach ausfindig dazu zu machen.