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Rouge et Noir.

I.
Im Zeichen der Zypresse.

In dem Kellergewölbe des Bäckers waren die Mitglieder aus den Lagern des Nationalkomitees und der engeren Sekte der Mazzinisten versammelt. Die Zahl der in dem außerordentlich primitiv ausgestatteten und durch wenige Öllampen erhellten Raume Versammelten war keine große, doch eine bunte. Die zwanzig bis fünfundzwanzig Männer, welche in verschiedenen Gruppen umherstanden, repräsentierten offenbar die verschiedensten Klassen der Turiner Gesellschaft, vom italienischen Nobile bis herab zum pechbeschmierten ciabattino, der an der Straßenecke seinem Gewerbe obliegt. Doch war die Klasse der Menschen mit struppigerem Haar, mit trotzigerer und verwegenerer Miene, mit derberen, schwieligeren Fäusten entschieden stärker vertreten, und zwar hielten diese sich von ihren Gesinnungsgenossen, deren Äußeres eine höhere gesellschaftliche Stufe verriet, mehr oder minder abgesondert. Es sah aus, als ob die Majorität in der Arbeitsbluse von der Minorität in Gala zu einer Art von Kontrollversammlung zusammenberufen worden wäre. An einem nicht allzulangen Mahagonitisch, der sich etwas sonderbar in dieser primitiven, kalkduftenden Umgebung ausnahm, jedoch durch die wenigen Schriftstücke, die auf demselben lagen, dieser Versammlung wenigstens einigermaßen einen geschäftsmäßigen Anstrich verlieh, saßen drei Herren in halblauter Unterhaltung. Um diese hatte sich der größte Teil der Vertreter der »feineren Welt« gruppiert, während die übrigen, etwas lauter plaudernd und in der lebhaften italienischen Manier mit den Fingern gestikulierend, Zigaretten rauchend oder in kleine, flüsternde Gruppen verteilt, das Kellergewölbe des Bäckers bevölkerten.

»Maldiere!« rief einer der am Tische sitzenden Herren, dessen glattes Gesicht und dünnes, anliegendes Haar ihm weit mehr das Aussehen eines Geistlichen, als das eines mazzinistischen Konspirators verlieh, einem schlankgewachsenen, blondbärtigen Manne zu, welcher, nachdenklich in einem kleinen Notizbuche blätternd, in der Nähe des Tisches stand. »Maldiere, seien Sie doch so gut, Freund, und erzählen Sie Signore Menotti noch einmal die skandalöse Szene auf dem Kirchhofe in Rom, die Sie mir heute nachmittag so lebhaft geschildert.«

Der Gerufene, dessen feine Manieren und aus offenbar edlem Holze geschnitzte Gestalt den Gebildeten ebenso sicher verrieten, wie sein blaues Auge und sein blondes Haar deutlich auf das germanische Blut in ihm hinwies, trat mit einem leichten Lächeln auf den Lippen näher.

»Ei, Herr Abbé,« sagte er in gutem, aber nicht ganz akzentfreiem Italienisch. »Wer weiß, ob Signore Garibaldi ein solches Interesse, wie Sie selbst, an diesen römischen Szenen hat, welche wir der Saat Ihrer Herren Kollegen in der Soutane verdanken. Der Sohn seines großen Vaters hat, wie letzterer selbst, wohl weniger die Ausrottung des Papismus, wie wir Mazzinisten pure sang, als vielmehr die endgültige Einigung Italiens ausschließlich im Auge.«

»Pah, Dottore, verstellen Sie sich nicht,« erwiderte lachend der abtrünnige Mann der Kirche. »Sie wissen so gut wie ich, daß wir Mazzinisten jetzt mit den Garibaldinern vollständig Hand in Hand gehen wollen. Können wir Rom mit offener Unterstützung des Königs zur Hauptstadt Italiens machen – nun, so stecken wir unsere republikanischen Ideen vor der Hand in einen großen Sack und werfen ihn in die Tiber, wenn nur in ihren Fluten sich das savoyische Kreuzbanner spiegelt.«

» Si, si,« warf Menotti Garibaldi ein. »Mein Vater wird Aspromonte gern vergessen und mit Mazzini vereint, der Parole: Roma o morte wieder Geltung und ein weites Echo im ganzen Lande verschaffen. Sie wissen, Dottore, daß mein Vater ein guter Katholik ist, aber – er wird mit Ihnen gern über den Trümmern des Vatikans in Rom einziehen. Wir werden ja heute hören, was es für Neuigkeiten aus Paris oder Biarritz gibt. Zwischen Napoleon und Viktor Emanuel ist, wie ich höre, etwas zustande gekommen, was für uns alle von Wichtigkeit sein kann.«

»Ja wahrlich, Signore,« rief der deutsche Arzt, dessen eigentlichen Namen, Oswald Malder, der Abbé vorhin in »Maldiere« italienisiert hatte, »wahrlich, ehe der Vatikan, oder richtiger, die Macht des Vatikans und noch mehr die der päpstlichen Camarilla in Trümmern liegt, wird Rom niemals die Hauptstadt Italiens sein können, selbst wenn Viktor Emanuel im Quirinal säße. Verstehen Sie mich recht, meine Herren. Ich meine, daß auf gütlichem, vertragsmäßigem Wege nichts zu erreichen sein wird, am allerwenigsten mit der Vermittelung des kaiserlichen Abenteurers in den Tuilerien. So lange noch ein Schatten von Macht in den Händen des Papstes und seiner Leute bleibt, würde, selbst wenn Rom nominell die Hauptstadt Italiens wäre, jede Aktion der italienischen Regierung von den ans Unglaubliche grenzenden Intrigen der päpstlichen Partei unterminiert werden. Das Volk, das in Rom von der päpstlichen Camarilla geistig vergiftet wird, müßte erst das Ansehen der Vatikanbewohner, zu denen es mit abergläubischer Verehrung emporblickt, bis in die letzten Reste vernichtet zu seinen Füßen liegen sehen. Dann erst hat Rom als italienische Hauptstadt Aussicht auf Gedeihen. Glauben Sie mir, daß aus mir nicht der Protestant, sondern nur der Politiker spricht.«

»Ich habe Signore Garibaldi schon eine Schilderung von der gegenwärtigen Intrigenwirtschaft in Rom gegeben, wie ich sie heute aus Ihrem Munde gehört,« sagte der Abbé. »Nun erzählen Sie mir rasch Ihr Erlebnis, das Sie noch am Tage vor Ihrer Abreise von Rom hatten, ehe die Principessa kommt und unser Interesse mit den Neuigkeiten von Paris in Anspruch nimmt.«

»Nun, Signori,« sagte der Doktor mit ernster Miene; »was ich gesehen, ist eigentlich kein ungewöhnlicher Vorfall in Rom, wo der priesterliche Fanatismus, wie gesagt, den gesunden Menschenverstand des größten Teils der Bevölkerung vergiftet und zugrunde gerichtet hat. Sie sind ja bekannt genug in Rom, um zu wissen, daß auf dem protestantischen Kirchhofe die ›heilige‹ Kirche ihren Mitchristen nicht gestattet, Kreuze auf den Grabhügeln ihrer Lieben zu errichten. Als ich, es war gerade einen Tag vor meiner Abreise nach Turin, wohin mich die Order unseres Zweigvorstandes Signore Ormelli berufen, zur Erholung eine Spazierfahrt um die Stadt herum machte, stieß ich in der Nähe des protestantischen Gottesackers auf einen furchtbaren Tumult. Ich ließ halten und fragen, was es denn gebe, worauf man mir sagte, daß die Totenbrüderschaft hinausgezogen sei, um ein Kreuz wegzuschaffen, das ein englischer Lord seiner Tochter setzen ließ, die vor zwei Tagen dort auf so lange beerdigt worden, bis von Frankreich die Särge kämen, die zum Transport der Leiche nötig wären, die in Rom aber niemand habe machen wollen, weil die Verstorbene protestantisch war. Der ganze Vorgang beruht auf wirklichen Tatsachen! Als wir dem Friedhöfe näher kamen, sah ich die Equipage des Lords und ihn, wie er mit Hilfe seiner Domestiken gegen die Abgesandten der Totenbrüderschaft kämpfte, die soeben im Begriff waren, das Kreuz aus dem Grabhügel herauszureißen, und, wie es in solchen Fällen in Rom immer geschieht, zugleich das Grab zu zerstören, so daß selbst die Leiche in Gefahr war, zerstückelt zu werden, weil sie auch den Sarg in Trümmern zu schlagen versuchten. Man denke sich die Verzweiflung des trauernden Vaters! Plötzlich hörte ich einen Schrei, dann einen dumpfen Fall und sah – den Lord blutend am Grabe seiner Tochter zu Boden sinken. Entrüstet fragte ich den Kutscher, ob denn die Polizei bei einer solchen Szene nicht eingreife? Lachend antwortete er, daß die sich wohl hüten werde, den Bösen zu schützen; denn die Protestanten seien ja doch alle verdammt, und so sei es ein Verdienst, wenn es der Confrerie gelinge, wieder einen aus der Welt zu schaffen, damit er den Christen nicht weiter mehr schaden könne! Sie können mir glauben, Signori, daß es mir selbst hart ans Leben ging, als ich hinzusprang, um den Blutenden aus den Händen seiner Angreifer zu befreien, und daß es mir mehr als Überredung kostete, meinen Kutscher, der sich mehr vor der Rache des frommen ›Mob‹ fürchtete, zu bewegen, mich mit dem halbtoten Lord nach dem nächsten deutschen Hotel zu fahren.«

»Es ist Ihnen aber doch gelungen, und Sie haben ihn gerettet?« fragte der Abbé.

»Gerettet?« entgegnete der junge Mann achselzuckend. »Nun ja, insofern, als ich ihn glücklich nach dem Hotel brachte, dort seine schweren Kopfwunden – die Halunken hatten ihm fast den Schädel eingeschlagen – verband, und nachdem ich seinen Namen, Earl of Duncombe, Wir sehen uns genötigt, hier einen fingierten Namen an die Stelle des tatsächlichen zu setzen. durch seine Papiere ausfindig gemacht, seine Gattin in der Casa Grimaldi, wo die Familie wohnte, von dem Vorfall in Kenntnis setzte. Ob er mit dem Leben davon gekommen, davon hatte ich nicht Gelegenheit mich zu überzeugen, da ich, wie Sie wissen, der mir erteilten Order gehorchend, mich schon am nächsten Tage nach Turin begeben mußte.«

»Nun, Sie werden vermutlich bald wieder nach Rom zurückkehren,« sagte der Abbé, »und ich hoffe, daß Sie sich alsdann um Ihren Schützling kümmern werden. Jedenfalls lassen Sie mich wieder von der Sache hören, sie interessiert mich aufrichtig. Und, caro Dottore, halten Sie sich den Lord warm. Er ist Ihnen zu Dank verpflichtet, und vielleicht« – setzte er mit einem schlauen Lächeln hinzu – »vielleicht können Sie durch ihn oder richtiger durch sein Geld unserer guten Sache nützen. Sie wissen, das Konspirieren kostet Geld, und das ist unsere schwache Seite gegenüber unseren Feinden, namentlich denen von der Sippe Loyolas.«

Ein etwas verächtliches Lächeln umzuckte die Lippen des jungen Garibaldi sowohl, wie des Deutschen bei dieser spekulativen Äußerung des Exgeistlichen, doch der Eintritt mehrerer Personen, welche von der ganzen Versammlung mit einem »Ah« halb der Bewunderung, halb der Spannung begrüßt wurden, schnitt beiden jede Erwiderung, die sie etwa hätten machen wollen, ab.

Die schöne Fürstin von Bentivoglio, am Arme eines stattlich aussehenden, alten Herrn, dessen Äußeres in jedem Zuge das deutliche Gepräge des alten Militärs trug, trat ein. Ihnen folgte, das Kreuzfeuer der vielen glühenden Blicke der Bewunderung, welches sie bei ihrem Eintritt begrüßte, mit einem entzückenden Lächeln schelmischer Koketterie beantwortend, Marianna, die schöne Sünderin.

Nachdem die Damen an dem erwähnten Beratungstische Platz genommen, ward die Konversation an demselben bald eine lebhaftere. Einem uneingeweihten und an derartige Szenen ungewohnten Ohre hätte es erscheinen müssen, als sei dieses dumpfe, matterleuchtete Kellerloch auf der Strada di Giovanni der Hexenkessel, in dem die ganze geheime Politik Europas gebraut werde, so summte es umher von diplomatischen Neuigkeiten, pikanten Hof- und Boudoirgeschichten, Geheimnissen aus den Antichambres der Gesandtschaftshotels, von den Frühstückstischen aller europäischen Potentaten, und Namen wie Napoleon, Bismarck, Viktor Emanuel, Mazzini usw. schwirrten sinnverwirrend umher.

Inzwischen traten unter dem Geleite des Quasimodoartigen Hauseigentümers, der gar nicht genug Verbeugungen für die im Hintergrunde des Raumes sitzenden Damen finden konnte, zwei neue Gäste ein.

Es waren unsere beiden Bekannten von der Veranda des Café di Parigio, Heribert Hilgard und der Vicomte de Résancourt.

Ormelli, der alte, militärisch aussehende Herr, der vor kurzem in Begleitung der Fürstin und ihrer Gesellschaftsdame eingetreten war, hatte sich, als die Türe aufging und das Gesicht des Buckligen mit seinen beiden Begleitern in derselben erschien, gerade erhoben, um zu der Gruppe der »dienenden Geister« zu treten, jener Männer aus der Arbeiterklasse, die sich von dem Tische etwas abgesondert hielten.

Ormellis Blick streifte die Eintretenden, grüßte mit dem Ausdrucke des Erkennens den ihm freundlich zunickenden Vicomte, und blieb plötzlich starr auf dem Gesicht Heriberts haften. Offenbar hatte der alte Herr, in dessen Händen allem Anschein nach die Leitung der Versammlung lag, etwas sprechen, irgend eine Auseinandersetzung machen wollen. Er war für den Augenblick sichtlich unfähig, auch nur ein Wort über seine Lippen zu bringen, und seine Züge hatten eine solche Starre angenommen, seine Blicke hingen mit einem so maßlosen Ausdrucke des Erstaunens, gemischt halb aus Freude, halb auch aus Schreck, an dem Gesicht Heriberts, daß die Männer, welche seine Anrede erwartet, ihn erstaunt anblickten. Ihr Erstaunen wuchs, als Ormelli sich rasch umdrehte und auf die beiden Neueingetretenen zuschritt.

Die Augen des Vicomte de Résancourt schweiften indessen sofort bei seinem Eintritt wie suchend in dem Raume umher. Auf dem Gesichte Camillas von Bentivoglio blieben sie mit unbeschreiblichem Ausdrucke haften. Die schöne Frau war in eine interessante Konversation mit dem Abbé verflochten und es vergingen einige Momente, ehe sie, mit ihrem Fächer nachlässig sich Luft zufächelnd, nach der Tür blickte und den Vicomte bemerkte. Wunderbar! das Auge des Franzosen schien Zündkraft zu haben, denn eine tiefe Glut entflammte auf den Wangen und dem alabasterweißen Nacken der schönen Frau.

Auf Heribert hingegen schienen die Blicke des alten Ormelli keinerlei magnetische Kraft auszuüben. Er sah dieselben wohl kaum, denn seine Augen hatten bereits ein weit anziehenderes Objekt gefunden, auf welchem sie seinem befriedigten Lächeln nach zu urteilen, mit außerordentlichem Wohlgefallen ruhten. Dieses interessante Objekt war der pikante Lockenkopf der kleinen Lausitzerin, die ihrerseits mit schelmischem Kopfnicken und einem koketten Lächeln, das ihr trefflich zu Gesichte stand, dem bewundernden jungen Manne zu Gemüte führen zu wollen schien, was sich alles hinter einem Turiner Blumenmädchen verbergen könne.

Diese pantomimischen Szenen spielten sich natürlich rascher ab, als wir erzählen können, und sie wurden daher auch von keinem der Anwesenden sonderlich bemerkt oder beobachtet. Die beteiligten Personen selbst fielen rasch wieder in ihre verschiedenen politischen Rollen, die sie an diesem geheimnisvollen Orte zu spielen hatten, zurück.

Während der Vicomte der Fürstin galant die Hand küßte, und diese ihn mit einer gewissen kameradschaftlichen Freundlichkeit, welcher jedoch jede innere Erregung völlig fern zu sein schien, begrüßte, war Menotti Garibaldi zu Heribert getreten, um ihm Grüße von Caprera zu bringen, woselbst »der Mann mit dem Büffelkopfe« nach seiner kurzen Gefangenschaft und einem Ausfluge nach England wieder weilte.

»Es freut mich, Signore Hilgard, Sie hier zu sehen,« sagte er. »Ich sehe, daß die Empfehlung meines Vaters an Mazzini gute Früchte getragen hat. Per Bacco, das ist auch ein besseres Feld für einen Mann wie Sie, denn als garibaldinischer Capobombardiere bei der Haubitze stehen.«

»Ich war stolz, dem General dienen zu können, Signore,« erwiderte Heribert, »und ich hoffe, daß ich das rote Hemd nicht zum letztenmal angehabt.«

»Das weiß ich sowohl, wie der General, mein Vater,« erwiderte Menotti. »Sie haben es durch Ihre Tapferkeit bei Aspromonte bewiesen, und was das rote Hemd anbetrifft, nun – ich glaube, es liegt so manches in der Luft, was dazu angetan ist, dasselbe eher wieder zur Geltung zu bringen, als wir alle vielleicht denken.«

Ormelli war inzwischen hinzugetreten und mischte sich ins Gespräch. »Wissen Sie, meine Herren, daß, wenn unsere Partei jetzt in Turin geschickt anbindet, vielleicht sehr bald ein Weg nach Berlin gangbar gemacht wird. Die Ereignisse, scheint es, rufen Preußen auf den Platz, und nach den Ideen, welche jetzt die Herrschaft haben, ist es sehr leicht möglich, daß es im Konzert der politischen Mächte sehr bald die erste Violine spielen wird.«

»Und was geschieht dann mit dem Kaiser von Frankreich?« fragte Heribert gespannt.

»Der erhält den Lohn, der ihm gebührt,« erwiderte Ormelli. »Er wird einfach als schlechter Schauspieler von der Weltbühne abtreten, wie er hingekommen ist – als schlechter Schauspieler. – Schade nur, daß sein Spiel soviel Blut kostet! Seien Sie versichert, daß nichts für Italien schmerzlicher ist, als daß dieser Abenteurer von Ham jemals befreit worden ist. Schließlich ist sein Ziel in allem seinen Tun und Handeln doch nur stets das eine: das Wachsen und Gedeihen seiner Dynastie. Wer das Recht dieser Dynastie mit einem Worte anzutasten wagt, der weckt den Tiger in ihm, der unter der ruhigen Oberfläche schlummert.«

»Das ist allerdings richtig,« erwiderte Heribert nachdenklich. »Ich habe, als ich kürzlich im Auftrage Mazzinis in Paris war, hiervon eine eigentümliche Bestätigung gefunden, welche aus Napoleons Jugendzeit datiert, und beweist, wie dieser dämonische Ehrgeiz schon in dem Knaben Napoleon geschlummert. Ich lernte da eine Milchschwester und frühere Spielgefährtin Napoleons kennen, die später eine in jeder Beziehung ausgezeichnete Dame wurde und auch jetzt noch einen nicht unbedeutenden Einfluß auf den Kaiser ausübt. Sie schilderte uns eine frappante Szene aus Napoleons Kinderzeit. Der Prinz mochte etwa zwölf Jahre alt sein, als sie einmal im Garten von Arenenberg unter den Fenstern des Schlosses mit ihm plauderte und, bei irgend einer Wendung des Gespräches, ihn wegen seiner Kaiserträume mutwillig verspottete. Es blitzte auf in seinen Augen; aber er nahm sich zusammen, blieb ganz freundlich, lockte sie unbefangen scherzend, vom Schlosse hinweg in den Park, bis er an einer einsamen Stelle, vor jeder Beobachtung sicher, plötzlich auf sie zusprang, mit beiden Händen ihren Arm packte und heiser vor Wut sie anschrie: ›Widerrufe, was du gesagt hast, oder ich zerbreche dir den Arm!‹ So scharf, sagte sie, habe er zugegriffen, daß sie mehrere Tage lang den Arm nicht habe frei bewegen können.«

»Das ist allerdings sehr charakteristisch!« rief Ormelli, welcher während der Rede Heriberts nicht einen Blick von dessen Gesicht verwendet hatte. »Und daß er unsere Partei auch sobald er könnte heftig am Arme packen und gehörig durchschütteln würde, darauf können Sie sich verlassen.«

»Ich kann mich aber doch des Gedankens nicht entschlagen,« warf der junge Garibaldi ein, »daß Napoleon, wenn er seinen Thron auf festem Boden stehend fühlt, die Liebäugelei mit Rom doch aufgeben wird.«

Ormelli griff in die Tasche und zog ein voluminöses Notizbuch heraus.

»Unser Meister Mazzini hat,« sagte er, in dem Buche blätternd, »wie Sie wissen werden, einige Fühlung mit gewissen Personen aus der Umgebung des österreichischen Botschafters, Fürsten Metternich, in Paris. Wollen Sie gefälligst hören, was der kaiserliche Excarbonari einmal zu Metternich, gelegentlich eines sehr vertraulichen Gespräches auf einer Jagd zu Rambouillet gesagt hat. Ich zitiere wörtlich: ›Man wirft mir vor, daß ich eine doppelte Politik habe; es ist wahr, denn es liegt in der Notwendigkeit meiner Stellung. Ich kann die unitarische Partei in Italien nicht völlig verleugnen, nachdem ich sie zwei Jahre lang unterstützt habe; ich kann dort das allgemeine Stimmrecht nicht verleugnen, welches hier die Grundlage meiner eigenen Stellung ist. Auf der andern Seite wünsche ich die Revolution nicht zu ihren letzten Konsequenzen kommen zu sehen!‹ Nun, Signori, hier haben Sie es schwarz auf weiß, was wir zu gewärtigen haben von der Doppelpolitik in Paris. Doch – Sie wollen mich entschuldigen, Signore Garibaldi, es sind heute abend noch wichtige Geschäfte zu erledigen. Daraus, daß dieser Herr in Gesellschaft des Vicomte de Résancourt hier eintrat, schließe ich, daß er der Freund desselben ist, welchen ich heute mit ersterem im Café di Parigio zu treffen beabsichtigte, daß er somit in dem kleinen Putsch, den wir in Turin vorhaben, eine Rolle zu spielen haben wird und – ich habe noch nicht die Ehre, seinen Namen zu kennen.

» Cospetto« – rief Menotti Garibaldi lachend, »daran habe ich wirklich nicht gedacht, daß Sie Signore Hilgardo nicht kennen. Ebbene – aber, was fehlt Ihnen denn, Ormelli – sind Sie unwohl?« –

Ormelli war in der Tat bleich und rot geworden und hatte plötzlich, wie in der heftigsten Erregung, die Hand des ihn mit unverhohlenem Erstaunen, ja fast mit Schrecken anblickenden Heribert erfaßt. Er ermannte sich jedoch, als er die Überraschung seiner beiden Bundesgenossen bemerkte.

»Es ist nichts, nichts,« sagte er, sich mit der Hand leicht über die Stirn fahrend. »Nur – Sie sagten Hilgardo, nicht wahr, Hilgardo, Signore Menotti? Ich – es war nur eine Erinnerung, welche mir durch den Kopf fuhr, eine Erinnerung an meinen einstigen Aufenthalt in Deutschland. Ich glaube Ihren – Ihren Vater sehr wohl zu kennen, Signore,« wandte er sich im trefflichsten Deutsch an den erstaunten Heribert.

Bei der Erwähnung seines Vaters zog eine Wolke über die Stirn des jungen Mannes.

»Wenn Sie früher in meiner Vaterstadt in Deutschland gelebt haben, so werden Sie wohl meinen Vater, der als Arzt einen über die Grenzen der Stadt hinausgehenden Ruf genoß, gekannt haben. Indessen – ich kann nicht verhehlen, daß ich nie von einem Freunde meines Vaters gehört habe, auch nicht glaube, daß er je einen besessen hat, jemals überhaupt imstande gewesen ist, sich jemand zum Freunde zu machen. – – Nicht einmal seine eigenen Angehörigen!« setzte er etwas leiser hinzu.

Es klang eine auffällige Schärfe und Bitterkeit aus dem Tone, in welchem der junge Mann diese Worte sprach. Die alten Wunden waren noch nicht vernarbt und offenbar stand die furchtbare Nacht, in welcher Heribert seinen »Vater« zum letztenmal gesehen und gesprochen, in diesem Augenblicke mit erschütternder Lebendigkeit ihm vor der Seele.

Ormelli, welcher sich inzwischen von seiner Erregung völlig erholt zu haben schien, blickte dem jungen Mann prüfend und mit augenscheinlich tiefstem Interesse ins Gesicht.

»Entschuldigen Sie mich,« sagte er mit seltsam weichem Tone, indem er Heribert aufs neue die Hand hinstreckte, »wenn ich unsympathische Akkorde in Ihrer Seele berührt habe. Es war die Erinnerung an vergangene sehr – sehr glückliche Tage, die ich in Ihrer Vaterstadt verlebt, welche mich für den Augenblick übermannte. Wollen Sie mir später Gelegenheit geben, Sie nach einigem zu fragen, was mich interessiert?«

»Gewiß, gewiß, aber –« wollte Heribert erwidern.

»Keine Sorge, mein Freund, keine Sorge,« unterbrach ihn Ormelli lächelnd. »Ich habe keineswegs die Absicht, allzu neugierig oder allzu zudringlich zu sein. Wir werden uns schon verständigen. Nachher, nachher! Nun ans Geschäft, meine Herren!«

Mit diesen Worten wandte er sich wieder der Gruppe von Männern zu, mit welcher er eben hatte beginnen wollen zu konferieren, als ihn der Eintritt Résancourts und Heriberts unterbrochen. Alle Sentimentalität war hiermit auch aus seinem Wesen wie mit einem Schlage geschwunden. Er war wieder der politische » leader« vom Scheitel bis zur Zehe.

» Ebbene, meine Herren!« rief er den Leuten zu. »Ich habe Ihnen gestern schon gesagt, was es zu tun gibt. Heute und morgen erhalten Sie Ihre genaueren Instruktionen. Signore Masati,« wandte er sich an einen kleinen, schwarzhaarigen Mann, dessen scharfe, stechende Augen von einer blauen Brille verdeckt wurden. »Mit Ihrer Gazetta ist's richtig, nicht wahr?«

Der Redakteur der »Gazetta di Torino« lächelte.

»Gewiß, Signore,« erwiderte er. »Mein Leitartikel ist völlig in Ordnung, entsprechend den Ideen, die Sie mir angegeben. Aber das Objekt, über das ich meinen Panegyrikus ergehen lasse, fehlt noch: Der Wortlaut des famosen Vertrages!«

»Nun, den können Sie heute haben,« rief die Fürstin vom Tische her. »Und vielleicht noch mehr dazu.«

»Einen Augenblick, Signora,« sagte Ormelli, sich höflich nach der Richtung hin verbeugend, wo die Fürstin saß. »Ich muß noch diese Leute instruieren. Also es bleibt, wie ich euch gesagt, Landsleute. Ihr macht morgen und übermorgen in euren Kreisen böses Blut, und dann, übermorgen mittag bringt ihr soviel Gesinnungsgenossen als ihr könnt auf die Piazza del Castello. Diese beiden Herren,« er wies auf den Vicomte, welcher näher herangetreten war, und auf Heribert, »werden auf dem Platze sein und euch alsdann weitere Instruktionen geben. Der Vicomte hat ja wohl schon gut vorgearbeitet. Spricht man von geheimen Abmachungen der Regierung in der Stadt?«

» Si, Signore,« erwiderte eines dieser mazzinistischen Werkzeuge. »Gestern gab es schon einen kleinen Krawall in der Taverna von Mighetti auf der Strada di Roma. Die Leute hatten gehört, der König wolle nach Florenz, und habe Rom ganz in die Hände des Franzosenkaisers gegeben. Sie wollten vor das Haus des Podesta ziehen und sich Auskunft holen. Ein Paar Gendarmen mußten die Leute beruhigen!«

»Gut, gut,« rief Ormelli lächelnd. »Ich sehe, wir werden unsern Willen haben. Im übrigen seid vorsichtig, übereilt nichts und wartet, wie gesagt, vor dem eigentlichen Losschlagen auf genaue Instruktionen. Ist Vegliano hier?«

Ein junger Mensch, kaum dem Knabenalter entwachsen, trat naher.

»Hier bin ich, Signore.«

» Bene, mein Sohn, hat Dir gewiß Mühe gekostet, aus Deiner caserna und dem bunten Rock herauszukommen. Weißt du genau, wann eure nächste Waffenübung stattfindet?«

»Übermorgen, vormittags elf Uhr.«

»Prächtig. So stimmt alles aufs Haar! Erinnerst du dich genau, was ich dir gestern gesagt habe?«

»Ganz genau, Signore.«

»Gut. Also vergiß nicht: erst ein Steinwurf. Das ist für dich das Signal. Deine Carabina geht, natürlich unversehens, meinetwegen durch einen auf das Gewehrschloß gefallenen Stein, los und – das weitere findet sich, Abbate, wollen Sie die Leute auszahlen?«

Der Abbé war inzwischen beschäftigt gewesen, Goldstücke in Papierröllchen zu packen. Er trat jetzt an die Gruppe heran und verteilte die klingende Ermunterung unter die Männer.

»Nun, Signori, ihr kennt jetzt alle eure Pflichten und könnt in wenigen Augenblicken gehen. Nun sollt ihr erst noch den Wortlaut dessen hören, womit ihr unsere lieben Turiner im allgemeinen bekannt zu machen habt. Signora,« sagte Ormelli, zur Fürstin gewandt. »Sie haben das interessante Dokument. Soll ich es jetzt lesen?«

»O, lassen Sie das, mein Freund. Ich werde das selbst besorgen.« Mit diesen Worten ergriff die Fürstin, welche sich innerhalb dieser Gesellschaft vollständig frei, ohne jegliche Reserve, die man von einer Dame im allgemeinen und insbesondere von einer Dame so hohen Standes hätte erwarten können, bewegte, ein vor ihr liegendes Blatt Papier und sagte mit klangvoller Stimme:

»Dies also, Signori, ist die Konvention, welche der französische Kaiser mit Viktor Emanuel am 15. September abgeschlossen hat. So, wie ich sie ihnen vorlesen werde, wird sie vielleicht in wenigen Tagen schon offiziell kundgegeben werden. Das nicht offizielle – doch,« unterbrach sie sich, nach einem raschen Blick auf Ormelli – »davon später. Sie sehen aus diesem schändlichen Vertrage, daß unser König beabsichtigt, der treue Vasall des französischen Kaisers zu bleiben. Man denkt, wir sollen vor Freude, die französische Okkupationsarmee aus Rom los zu werden, übersehen, daß durch diesen Vertrag Frankreich nicht einen Deut von seiner Oberhoheit über Rom aufgibt, und Italien von seinem Ziele, Rom als Hauptstadt begrüßen zu können, zurückkommt, statt sich demselben zu nähern. Doch hören Sie selbst. Der famose Pakt lautet:

» Artikel I. Italien verpflichtet sich, das gegenwärtige Gebiet des Papstes nicht anzugreifen und, selbst mit Gewalt, jeden von außen darauf versuchten Angriff zu verhindern.«

»Vergessen Sie nicht, Signore Garibaldi,« unterbrach sich hier die Fürstin, indem sie sich an Menotti wandte, der mit leichtem Stirnrunzeln diesen ersten Passus der Konvention angehört hatte, »vergessen Sie nicht, den General, Ihren Vater, besonders darauf aufmerksam zu machen, daß ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen Napoleon und Viktor Emanuel gegen alle etwaigen Invasionsbestrebungen Ihres Vaters gar nicht kerniger beginnen könnte, als mit diesem trefflichen Passus. Vielleicht, Signore,« fügte sie lächelnd hinzu, »trägt das mit dazu bei, ihn davon zu überzeugen, daß wir Mazzinisten recht haben, wenn wir die nationale Sache über die politische setzen, und seine Unternehmungen zur Einigung Italiens ›im Namen des Königs‹, sein blindes Vertrauen auf die persönliche Freundschaft Viktor Emanuels niemals zum Ziele führen wird, so lange il re galantuomo mit Napoleon zugunsten des römischen Pfaffenkönigs konspiriert. Sagen Sie Ihrem Vater offen, was wir Mazzinisten wollen, und sagen Sie ihm, Signore, daß ich unseres Meisters eigene Worte zitiere: Die Regierung, das Parlament und das Volk sind übereingekommen, Italien zu einer Nation zu machen, mit Rom als Hauptstadt. Diese Konvention hat unsern Pakt zunichte gemacht. Das Volk Italiens muß und wird sich erinnern, daß, wenn Vereinbarungen von einer der kontrahierenden Parteien verletzt werden, dieselben dann in den Augen der anderen Partei null und nichtig sind. Wir Republikaner haben uns dem Willen des Volkes unterworfen, aber diese Konvention gibt uns unsere Freiheit zurück. Wir haben geschworen, Italien einig zu machen, mit, ohne oder gegen die bestehende Regierungsgewalt. Wird die Konvention vollzogen, dann sind die ersten beiden Wege nicht mehr möglich. Wir sind gezwungen, den dritten zu wählen!«

Das Auge der schönen Sprecherin blitzte vor innerer Erregung; sie hatte sich von ihrem Sitze erhoben, und ihre formvollendete, hohe Gestalt, ihre helle, klare Stimme wirkte imponierend auf die Versammlung. Der Vicomte verwandte kein Auge von den schönen Zügen, die ihn mit magnetischer Gewalt fesselten.

Auch der junge Garibaldi konnte sich des faszinierenden Eindruckes dieser republikanischen Sirene nicht erwehren. Es dauerte einige Augenblicke, ehe er einzuwerfen vermochte:

»Aber, Signora, offenbar muß doch Napoleon in dem Vertrage Gegenleistungen geboten haben.«

»Allerdings,« erwiderte die Fürstin, die sich inzwischen wieder niedergelassen hatte, mit ihrem gewöhnlichen ruhigen, aber in diesem Momente etwas sarkastischen Lächeln. »Allerdings, es stehen Gegenleistungen auf dem Papiere, die ganz schön klingen. Aber – wenn es nun ungeschriebene Abmachungen gäbe?«

»Ungeschriebene?« fragten gespannt mehrere der Anwesenden wie aus einem Munde.

» Vederemo!« sagte Camilla achselzuckend. »Lassen Sie uns fortfahren.«

Und sie griff wiederum zu dem Papiere.

» Artikel II. Frankreich wird seine Truppen allmählich, nach Maßgabe der Reorganisation der päpstlichen Truppen zurückziehen. Die Räumung soll in zwei Jahren vollzogen sein.

» Artikel III. Die italienische Regierung verzichtet auf jede Reklamation gegen die Bildung einer päpstlichen Armee in einer zur Aufrechterhaltung der Autorität des heiligen Vaters, der Ruhe im Innern und an den Grenzen genügenden Zahl aus katholischen Freiwilligen, unter der Voraussetzung, daß diese Macht nicht in ein Angriffsmittel gegen die italienische Regierung ausarte.

» Artikel IV. Italien erklärt sich bereit, in ein Übereinkommen zu treten, nach welchem es einen verhältnismäßigen Teil der Schuld der früheren Kirchenstaaten übernimmt.

» Artikel V. Die gegenwärtige Übereinkunft wird nach Ablauf von vierzehn Tagen ratifiziert sein.«

»Und nun ist diesem Pakt noch ein Protokoll beigefügt, welches für uns heute ganz besonderes Interesse hat. Dieses lautet: Die Konvention vom heutigen Tage wird nur dann exekutorische Kraft haben, wenn der König die Verlegung der Hauptstadt des Königreichs in eine später von ihm zu bestimmende Stadt dekretiert haben wird. Die Verlegung soll innerhalb der Frist von sechs Monaten von Abschluß der Konvention an stattfinden. Das gegenwärtige Protokoll hat die gleiche Wirksamkeit, wie die Konvention selbst.

» Voilà, Messieurs – hier haben Sie die Medizin, welche in Paris gegen die Uneinigkeit unseres Vaterlandes gebraut worden ist. Ich hoffe, sie ist bitter und scharf genug, um Sie zum Handeln anzufeuern!«

»Nun wahrlich,« sagte der Vicomte, nachdem der Ton dieser für ihn so unendlich verführerischen Stimme verhallt war. »Allen Respekt vor der Schlauheit meines Souveräns. Dieses Protokoll schlägt sozusagen dem Faß den Boden ein. Diese Form ist natürlich nur gewählt, um einen Schleier über den Zwang auszubreiten, welcher dem Re Galantuomo auferlegt wird!«

»Allerdings,« sagte Ormelli. »Es ist eine Schmach für unser Vaterland. Muß es doch selbst dem schwächsten Menschenverstande klar sein, daß die Bestimmung der Hauptstadt für Italien ausschließlich eine innere Frage ist, und deshalb griffen diese fuchsschlauen Diplomaten zu diesem Auswege eines Anhängsels an die Konvention. Beide Teile mußten sich das Ansehen geben, als ob Italien aus freier Wahl diese Bestimmung getroffen hätte.«

»Sollte aber nicht doch das eine und wichtigste Faktum dieses Vertrages mit Freude zu begrüßen sein,« wandte Heribert ein. »Rom wird doch geräumt werden. Bisher war hierzu keine Aussicht vorhanden. Die zusammengewürfelten päpstlichen Truppen haben nie etwas Wesentliches geleistet und – kann der König schließlich seitens Napoleons dafür verantwortlich gemacht werden, wenn eine große, nationale Bewegung, angeregt durch Mazzini und Garibaldi, zu einer Invasion Roms drängt?«

»Ich möchte ein Gleiches behaupten,« rief Menotti Garibaldi. »Seien Sie überzeugt, Signora, daß ich selbst mein Blut für die Gewinnung Roms einzusetzen bereit bin, und daß ich dieser Versammlung auf Wunsch meines Vaters nicht umsonst beigewohnt habe, daß ich jedes Ihrer begeisterten Worte meinem Vater getreulich wiedergeben werde, allein – ich kann, wie gesagt, diese Konvention nicht so ganz in dem pessimistischen Lichte betrachten, wie die meisten von Ihnen.«

»Bah,« rief der Abbé, »vergessen Sie nicht, Signore Garibaldi, daß der Schatten der französischen Fahne Rom und die Kurie ebensogut schützt, als es ein Paar französische Regimenter können!«

»Daran ist gar nicht zu zweifeln,« mischte sich Doktor Malder ins Gespräch. »Entschuldigen Sie, wenn ich als Protestant und Deutscher meine Meinung kundgebe. Allein, Sie wissen, ich habe einige Erfahrungen in Rom sowohl, wie in Paris gesammelt. Auch nach zwei Jahren wird es in Frankreich mächtige Parteien und Männer geben, welche dabei interessiert sind, daß der, wenn auch verkleinerte päpstliche Staat fortbesteht, wie ein Steinsplitter zwischen Wundrändern, der die Vernarbung verhindert. Glauben Sie mir, daß die Zahl derjenigen sehr groß ist, die es für ein Fundamentalprinzip der französischen Regierung, ob sie nun absolutisch oder konstitutionell oder republikanisch sei, halten, die vollkommene Einigung Italiens zu verhindern. Man wird der Priesterregierung mittelbar Geld, Soldaten und Waffen liefern, so daß ein Selbstbefreiungsversuch den Römern sehr erschwert werden dürfte, während die Italiener durch den Vertrag selbst zu Gendarmen des Papstes gemacht werden. Läßt aber Italien Freiwilligen, welche den Römern zu Hilfe kommen, den Weg offen, läßt es gar reguläre Truppen in den Kirchenstaat einrücken, so wird Frankreich kraft des Vertrages intervenieren, der zwar den Schein hat, der Intervention ein Ziel zu setzen, diese aber in der Tat zuläßt. Und so wird die Intervention in Rom, welche bisher eine Rechtsverletzung war, sobald entweder die Konvention von Italien verletzt wird oder Italien deren Verletzung durch andere zuläßt, eine auf dem Boden des Rechtes sich gründende Handlung.«

» Bene, bene, eccellentissime,« rief der Abbé. »Deutlicher konnte man die Teufelsklaue nicht malen, die unter dem glänzenden Gewande dieser famosen Konvention hervorguckt. – A propos, Signore Ormelli, mit der einen Hälfte der Versammlung sind wir wohl fertig!«

Er warf dabei einen bezeichnenden Blick auf die Agenten zweiten Grades.

»Ganz recht,« erwiderte der Angeredete und wandte sich an die für die Aktion der kommenden Tage auserkorenen Aufwiegler. »Sie sind jetzt eingeweiht soweit es nötig ist, und kennen Ihre Rollen, Landsleute. Gehen Sie ans Werk und denken Sie daran, daß das Auge unseres Meisters überall ist. Wo wohnen Sie doch gleich, Heri –, Signore Hilgardo?«

»Im Hôtel Europa, wie der Herr Vicomte.«

»Gut. Also alle weitere Auskunft, Signori, die Sie sonst etwa noch brauchen, werden Sie durch die genannten beiden Herren im Hôtel Europa erhalten. Aber Vorsicht und Schlauheit. Ich entlasse Sie jetzt und danke Ihnen im Namen unseres gemeinsamen Vaterlandes.«

Einer nach dem andern verließ geräuschlos den Raum.

Marianna flüsterte in diesem Augenblick der Fürstin lächelnd etwas ins Ohr. Diese nickte mit dem Kopfe, und gerade als der würdige Bäcker und Hausbesitzer, der vor der Eingangstüre Wache zu halten schien, diese hinter dem letzten der mazzinistischen Agenten zu schließen im Begriffe war, schlüpfte Marianna hinaus.

Wären wir ihr gefolgt, so hätten wir ein sonderbares Tête-à-Tête zwischen der hübschen Lusatin und dem verkrüppelten Bäcker sehen können. Beide sprachen im Flüstertone und hastig. Sie schien dem Alten einen Zettel aufzudrängen. Er schien zu zögern, während zugleich seine glühenden Augen das Gesicht und die zierliche Gestalt des schönen Mädchens förmlich zu verschlingen schienen. Ihr Flüstern wurde eindringlicher und sie legte, wie schelmisch bittend, ihre kleine Hand auf die Schulter des häßlichen Gesellen, der sichtlich unter der Berührung zuckte und zitterte. Sie beugte ihre roten Lippen so nahe zu dem Kleinen hinab, daß ihr warmer Atem seine Wange streifen mußte und – mit einem unartikulierten, fast tierischen Laute entriß er ihr den Zettel und eilte davon.

Marianna blickte ihm mit einem Ausdrucke halb des Triumphes, halb des höchsten Abscheues einen Moment nach. Ein düsteres Feuer leuchtete in ihren dunklen Augen auf. Doch blitzschnell veränderte sich ihr Gesicht wieder und trug die naive, gleichgültige Miene zur Schau, die sie so trefflich anzunehmen verstand. So schlüpfte sie ebenso geräuschlos wieder in den halbgeleerten Versammlungsraum hinein und trat auf Heribert zu, diesen mit einem wahren Pelotonfeuer von verführerischer Koketterie überschüttend.

Der Vicomte betrachtete mit starrem Gesichtsausdrucke, der in eigentümlichem Widerspruche zu dem leichtsinnigen, fast frivolen Wesen stand, welches wir in einem früheren Kapitel an ihm bemerkt, den deutschen Arzt, der in einem äußerst lebhaften Gespräch mit der Principessa begriffen war. Es war zweifellos ein schönes Paar. Die hohe, männliche Gestalt Malders, das edel geformte Gesicht mit den, Geist und eisernen Charakter verratenden Augen, die in diesem Momente offenbar bewundernd auf der berückend schönen Frau vor ihm ruhten, paßten trefflich zu den junonischen Reizen der Italienerin, welch letztere nicht minder durch die interessante Erscheinung des Deutschen gefesselt zu sein schien.

Signore Ormelli unterbrach die Causerie der beiden.

»Dottore,« rief er. »Ich habe gesehen, daß Sie die ganze Inhaltsschwere dieses Vertrages erfaßt haben. Deshalb ersuchte ich Sie, hierher zu kommen. Ihre Aufgabe wird nun sein, alsbald nach Rom zurückzukehren und uns genau und regelmäßig zu informieren, welche Eindrücke die Affäre dort im Volk und in der Klerisei hervorruft.«

Der Doktor verbeugte sich stumm.

»Sie, Signore Masati,« fuhr Ormelli an den Redakteur der »Gazetta di Torino« gewandt fort, »sind nun auch genügend instruiert und ich glaube, Ihr Blatt wird unsere Turiner Freunde tüchtig in Bewegung setzen. Mit Ihnen, meine Herren« – zu Heribert und dem Vicomte – »bespreche ich noch morgen im Hotel einige Details, und eine andere wichtige Angelegenheit speziell mit Ihnen, Mr. de Résancourt. Sie gedenken wieder nach Petersburg zurückzukehren, Principessa?«

»Nein, zunächst nach Paris,« erwiderte die Fürstin, und eine kaum merkliche Röte färbte ihre zarten Wangen. »Sie wissen, es gilt jetzt, sich genau zu informieren, was man in Biarritz und den Tuilerien plant.«

»Werden Sie auch an Berlin denken?«

»Zweifellos, sobald ich mich in Paris genau instruiert habe. Wenn mich meine prophetische Gabe nicht vollständig täuscht, so werde ich noch in diesem Herbste das Vergnügen haben, Herrn von Bismarck zu sprechen.«

»Vortrefflich! Und nun, meine Herren, hören wir noch zum Schluß die wichtigste Nachricht, die wir der unermüdlichen Tätigkeit unserer schönen Principessa zu verdanken haben. Vergessen Sie nicht, Signore Garibaldi, dem General auf Caprera das, was Sie jetzt hören werden, wörtlich mitzuteilen. Es ist zur Beurteilung unserer würdigen Diplomaten von der höchsten Wichtigkeit. Darf ich bitten, Signora?«

Die Fürstin ergriff wiederum ein vor ihr liegendes Blatt Papier und sagte, indem ein fast verächtliches Lächeln ihre Lippen umspielte:

»Es widerstrebt mir fast, Ihnen eine Mitteilung zu machen, welche die höchsten Personen unserer Regierung, denen das Wohl und Wehe unseres schönen Vaterlandes anvertraut ist, als Verräter an der Ehre Italiens erscheinen läßt. Ich erwähnte heute abend bereits einen ungeschriebenen Vertrag. Nun, so hören Sie denn, daß, außer jenem offiziellen Protokoll zu der Konvention, noch ein geheimes Protokoll von den ehrenwerten Diplomaten in Paris unterzeichnet worden ist, eine Klausel, die Viktor Emanuel zum machtlosen Vasallen des Franzosenkaisers machte. Dieser Abmachung zufolge verpflichtet sich der König nicht nur, sich jedes Versuches, Venetien an sich zu reißen, zu enthalten, sondern auch die Aktionspartei an jedem dahinzielenden Versuche energisch zu hindern. Es heißt ferner in diesem schändlichen Protokoll, daß, wenn die Macht der Umstände es dem Könige unmöglich machen sollten, die Abmachungen dieses schimpflichen Vertrages einzuhalten, wenn also Rom und Venetien dennoch durch das unwiderstehliche Drängen der italienischen Nation an Italien fallen sollten, Napoleon alsdann zu einer Rektifikation der französischen Grenzen berechtigt sein solle.«

Ein Gemurmel der Entrüstung ging durch die kleine Versammlung.

»Ja, Signori – die Manen der Tapferen, welche für die Einheit Italiens geblutet und ihr Leben gelassen, müssen mit Zorn und tiefster Verachtung auf uns blicken, auf uns, deren geheimes Bundessymbol die den Gefallenen geweihte Trauerzypresse ist. Ehren wir wirklich ihr Andenken, wenn wir das ruhig dulden und warten, bis zufällige Umstände oder diplomatische Ränke uns in die Hände spielen, was zu besitzen unser heiliges Recht ist?! Wissen Sie, worin diese Rektifikation der französischen Grenzen besteht? Das ganze Gebiet von Piemont, zwischen Savone an der ligurischen Küste und der Sesia, soll in dem erwähnten Falle Frankreich einverleibt werden! Blicken Sie auf die Karte und Sie werden sehen, daß dieses kostbare Arrangement Frankreich alle Apenninenpässe von Savone bis Acqui und bis an die Alpenpässe des kleinen St. Bernhard in die Hände gibt!«

Ormelli war aufgesprungen, als die Fürstin, welche erregt das Papier zu Boden geworfen hatte, geendet. Seine Faust donnerte auf den Tisch, als er rief:

»Freunde und Bundesgenossen! Wir wollen und wir werden das nicht dulden. Es steht jedem, der unserem Bunde angehört, klar vor Augen, daß es fortan unsere heilige Aufgabe sein muß, mit allen Mitteln, auf krummen oder auf geraden Wegen, das italienische Volk auf die Gefahr aufmerksam zu machen, in der es schwebt, und es zum Handeln zu begeistern. Das Zögern und Zagen muß ein Ende haben. Es gilt, gemeinsame Sache zu machen mit den anderen Nationen, welche unter österreichischem Joche schmachten, und es in Venetien anzugreifen. Es gilt, Rom im Namen der italienischen Volksrechte zu erobern, die Freiheit des Gewissens mitten im Herde des religiösen Despotismus zu proklamieren, eine Konstitution zu schaffen, welche der wahrhaftige Ausdruck des Nationalwillens und eine Bürgschaft für die Zukunft bildet. Das ist der Weg, meine Freunde und Bundesgenossen, welcher vor uns liegt, das ist der Weg, in dem auch unser edler Meister Giuseppe Mazzini, der treueste Sohn seines Vaterlandes, das einzige Heil Italiens sieht. Nieder mit allen Hindernissen, welche sich uns in den Weg stellen! – – Findet sich unter diesen Hindernissen, die sich auf unserem Wege nach Rom und Venetien vor uns auftürmen, auch die Monarchie, nun denn – im Namen Gottes und Italiens – fürchten wir uns nicht vor einem Phantom und schwingen wir die Fahne der Republik

Die Principessa hatte sich erhoben. Mit glühenden Augen und Wangen ging sie auf den Sprecher zu. In diesem Momente war sie Zelotin vom Scheitel bis zur Zehe. Jenes fanatische Feuer brannte in ihren Augen, wie es nur auf den Gebieten der Religion und der Politik die wildeste Leidenschaft zu entzünden vermag. Ihre Arme umfingen den Greis und Tränen der Begeisterung entstürzten ihren Augen, als sie rief:

»Haben Sie Dank für diese Worte, mein Freund! Sorella, anche te chiama la patria! Ist mir's doch, als ob dieser Mahnruf aufs neue laut und gewaltig aus Ihren Worten an mein Ohr geklungen sei. Nun denn, bei Gott und Italien, bei meiner Verehrung zu Giuseppe Mazzini, bei dem ewig unverlöschlichen Andenken an Felix Orsini, bei dem tapferen Schwerte Giuseppe Garibaldis, bei dem Hasse gegen den Dämon im Kaiserpurpur, dem ich meine Frauenehre geopfert – ich bin bereit, mit verdoppeltem Eifer, mit allen Mitteln die Ziele zu verfolgen, die Sie, mein Freund, aufs neue uns zur Pflicht gemacht. Ja, weg mit dem Zaudern und Zagen. Die Stunde des Handelns ist gekommen, die Rücksichten müssen schweigen und das Werk der Vorbereitung zu einem großen, allgemeinen Schlage muß beginnen. Signore Ormelli – lassen Sie uns alle, die wir hier im Namen Mazzinis versammelt sind, noch einmal schwören, daß wir den Spuren seines leitenden Geistes folgen wollen, daß wir auf unserem Wege vorwärts schreiten wollen, allen Lauen, allen Zagenden zum Trotz!«

War's ein Wunder, wenn die Begeisterung des schönen Weibes alle Anwesenden mit sich fortriß?! Das Kellergewölbe auf der Strada di Giovanni war in diesem Augenblicke zu einem italienischen Rütli geworden, auf dem begeisterungsvolle Patrioten die Hände zum Schwur der Einigkeit, der Tatkraft, des unverrückten Vorgehens auf die gesteckten Ziele sich reichten. Was auch immer die Irrungen dieses Häufleins Menschen waren, worin auch immer ihr Idealismus krankte und ihre Ziele den Stempel der Utopie trugen, – die Weihe des heiligen Patriotismus verklärte ihr Wollen und Tun, und das stille Wirken der Ideen, die in diesem kleinen, geheimnisvollen Winkel Turins aufs neue geboren wurden, sie haben auch ihr Teil beigetragen zu dem endlichen Siege des Kreuzes von Savoyen!

»Es sei, meine teure Schwester und Bundesgenossin!« rief Signore Ormelli, indem er aus seiner Brusttasche eine kleine, längliche Ebenholztafel zog, auf welche ein zierlicher, silberner Zypressenzweig genietet war. »Laßt uns den alten Schwur, der die Glieder von Jung-Italien einst verband und einte, wiederholen, und laßt uns hiernach mit erneuter Kraft an unsere hohen, heiligen Aufgaben gehen!«

Die Anwesenden hatten sich alle erhoben und umstanden in einem Halbkreise den alten Mann, dessen Stimme vor innerer Erregung zwar zitterte, doch voll und feierlich in dem kleinen Raum widerhallte.

»Ihr habt gehört, meine Freunde,« rief er, »zu welchen Aufgaben uns die gegenwärtige politische Lage ruft. Die italienische Regierung selbst komplottiert mit dem Usurpator in Paris und legt Steine in den Weg, den Italien zu gehen hat. Wollt ihr allesamt dazu beitragen, dem italienischen Volke die Lage der Dinge klar zu machen? Wollt ihr unsere Bundesgenossen in den anderen Städten Italiens, ja ganz Europas zu demselben Tun begeistern, das wir uns heute zum Ziele gesteckt? Wollt ihr mit Hilfe der reichen Mittel, die uns zu Gebote stehen, mit Hilfe des Netzes geheimer Anknüpfungen und Verbindungen, die wir allenthalben haben, Fühlung suchen mit anderen Nationen, welche unter dem Szepter antinationaler Unterdrücker geknechtet sind? Wollt ihr unverrückt alle Stimmen, die nach Mäßigung rufen, überhören und die Namen Rom und Venetien aufs neue den Söhnen Italiens immer und immer wieder mahnend zurufen?«

Eine kleine Pause. Hierauf ein lautes, fast einstimmiges: »Wir wollen es!« von seiten der Versammelten.

»Nun denn, so sprecht den Schwur nach, den Giuseppe Mazzini uns einst auferlegt!«

Mit diesen Worten erhob er die kleine Tafel mit dem Zypressenzweige und hielt sie den Anwesenden vor die Augen. Diese erhoben sämtlich die Arme und sprachen langsam und feierlich Wort für Wort den Schwur nach, welchen Ormelli ihnen vorsagte:

»Im Namen Gottes und Italiens;

»Im Namen aller Märtyrer der heiligen italienischen Sache, welche der fremden oder heimischen Tyrannei zum Opfer gefallen sind;

»Bei der Pflicht, die mich dem Stück Erde, auf das Gott mich gestellt hat und den Brüdern, die Gott mir gegeben hat, verknüpft;

»Bei der Liebe, – jedem Menschen angeboren – welche ich für das Land fühle, wo meine Mutter geboren und wo meine Nachkommen ihre Heimat haben werden;

»Bei dem Hasse, – jedem Menschen angeboren – welchen ich gegen alles Üble, alle Ungerechtigkeit, alle Vergewaltigung fühle;

»Bei der Sehnsucht nach der Freiheit, die meine Seele durchzittert, nach der Freiheit, zu der sie geboren war, die sie aber nicht genießen darf, nach dem Gute, das das Ziel meiner Seele sein soll, das sie aber nicht erreichen kann in der Stille und Vereinsamung der Sklaverei;

»Bei dem Andenken an unsere einstige Größe und unseren tatsächlichen Verfall;

»Bei den Tränen der italienischen Mütter, die ihre auf dem Schafott, im Kerker oder im Exil gestorbenen Söhne beweinen;

»Bei dem Leiden von Millionen von Mitmenschen;

»Vertrauend auf die Mission, welche Gott Italien anvertraut hat, und überzeugt, daß es die Pflicht eines jeden Italieners und eines jeden wahren Freundes Italiens ist, für die Erfüllung dieser Mission zu kämpfen; wissend, daß, wenn Gott einer Nation geboten hat, zu sein, er ihr auch die nötige Kraft zur Existenz geben wird; in Erwägung, daß die Völker die Verwahrer dieser Kraft sind, und daß von der rechten Leitung dieser Kraft durch das Volk und für das Volk der Sieg abhängt, daß die wahre Tüchtigkeit und Tugend im Handeln, in der Opferfreudigkeit, in der Einigkeit und der mutigen Ausdauer besteht,

» schwöre ich: mich ganz und für immer Italien zu weihen; zu kämpfen, um aus Italien ein freies, einiges, unabhängiges und republikanisches Land zu machen; zu arbeiten mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln, mit Taten oder mit Worten, an der Erziehung meiner italieni-Brüder; sie zu leiten zu dem Ziele, welches unser Bund sich gesteckt, zur Vereinigung, dem einzigen Mittel des Erfolges, zur Tugend, die allein dieser Eroberung Dauer zu verleihen vermag;

»Mich keiner andern, diesen Zielen widersprechenden, Verbindung anzuschließen, den Befehlen, welche ich von unseren vorgesetzten Repräsentanten erhalte, unbedingt zu gehorchen; das Geheimnis dieser Befehle und Instruktionen hoch und heilig zu bewahren, selbst auf Gefahr meines Lebens; meine Brüder mit Rat und Tat zu unterstützen:

» Jetzt und immerdar.

» Alles das schwöre ich, und rufe hernieder auf mein Haupt den Zorn des allmächtigen Gottes, den Haß der Menschen und den Schimpf der Meineidigkeit, wenn ich jemals diesen meinen Eid oder auch nur einen Teil desselben breche! Der mitgeteilte Eid ist in jedem Worte historisch. Derselbe wurde schon im Jahre 1831, als Mazzini den Geheimbund »Jung Italien« stiftete, von ihm verfaßt. Und er war auch der Erste, welcher ihn schwur und – treulich gehalten hat bis an sein Lebensende.

Signore Ormelli hatte bei den letzten Worten seine Stimme erhoben. Ernst und feierlich hallten sie wider in dem niedrigen Raume, welcher der Versammlung in diesem Augenblick den Anstrich eines heimlichen Gerichtes der heiligen Feme gab, die im fernen Mittelalter in Höhlen und Waldschluchten auf »roter Erde« in des Kaisers Bann des Rechtes waltete.

War es der tiefe, eindringliche Ernst dieser Szene, war es die Erregung, – oder was sonst war es, was die Wange Mariannens bei den letzten Worten erbleichen machte? Sicherlich war's ein Zufall, daß das Auge des Sprechers ihr hübsches, sonst stets in ausgelassener Heiterkeit strahlendes Gesicht streifte, als er mit volltönender Stimme den letzten Satz der Eidesformel der Versammlung vorsprach. Und doch – das junge Mädchen erbebte unter diesem Blicke. Ein Zittern durchlief ihren Körper, und ihr schlanker Arm, den sie gleich den andern zum Schwure erhoben, schien zu zucken, als wolle er niederfallen.

»Ich rufe hernieder den Zorn des allmächtigen Gottes – – –«

Ein lautes, zweimaliges Klopfen erscholl an der Türe und gleichzeitig wurde sie geöffnet. Das häßliche, bleiche Gesicht Astis erschien in derselben, und ein rascher Blick aus seinen kleinen, listigen Augen zuckte zu Mariannen hinüber, nachdem er mit dem Ausdrucke des Erstaunens einen Moment die feierliche Gruppe betrachtet hatte.

Während die Worte des letzten Satzes verklangen, ruhte Mariannens Auge starr auf dem Kleinen und schweifte mit fast angstvollem Ausdrucke nach dem Täfelchen mit der silbernen Zypresse, das Ormelli noch immer hoch erhoben hielt, hinüber. Gleich darauf erfaßte sie die Lehne eines neben ihr stehenden Sessels, Totenblässe überzog ihr Gesicht und sie sank mit einem leichten Schrei neben dem Sessel zu Boden.

Welch furchtbare, erschreckende Vision hatte Marianna im Zeichen der Zypresse erblickt?

II.
Im Zeichen des Kreuzes.

Es ist zwei Tage nach den Ereignissen, die wir soeben in der italienischen Haupt- und Residenzstadt sich haben abspielen sehen. In Turin sah um diese Zeit so manches verändert aus. In Rom, wo wir jetzt uns befinden, war, äußerlich wenigstens, noch alles unverändert, wie wir es bei unserem letzten Besuche daselbst gefunden.

Noch steht sie uns lebendig vor Augen die Chiesa al Gesù, im winkligsten Viertel der ewigen Stadt, und das düstere Kloster des mächtigen Ordens der Loyolajünger, nebst der unheimlichen Jesusgasse, die sich mit ihren altertümlichen Häusern längs des Klosters hinzieht. Es ist alles beim Alten. Über dem ganzen Viertel brütet noch immer jene scheue Stille, jene unnatürliche Ruhe, welche wir – etwa unter einem Haufen zitternder Sklaven finden, die unter der Aufsicht des, mit der schneidigen Peitsche bewaffneten Aufsehers, von der Arbeit ruhen. Jeder Vergleich hinkt, pflegt man zu sagen, aber so viel ist sicher, daß der mit dem Namen des ersten und edelsten Priesters der allgemeinen Menschenliebe sich schmückende Orden – lucus a non lucendo! – den Vergleich mit einem Sklavenhalter, der über Tausende von demütig, in blindestem Gehorsam gekrümmten Rücken die »neunschwänzige Katze« schwingt, ganz vortrefflich aushält; und die beneidenswerten Bewohner der Via del Gesù, von dem gelehrten Librajo et Antiquario, namens Vergilio Gozzoli, bis herab zu dem von Maccaroni und aqua vita in jener halbverfallenen Baracke dicht am Kloster lebenden Schuhflicker, waren nach wie vor getreue Sklaven der frommen Loyola-Patres, und verrichteten zur größeren Ehre Gottes jede geforderte Sklavenleistung, sei es ein einfacher Botengang zum Kardinal-Staatssekretär, sei es – eine kleine, aber verhängnisvolle Handbewegung mit dem zwölfzölligen Stilett im Interesse der ehrwürdigen Väter.

Wo soll unter dem Drucke all dieser frommen Verpflichtungen das zarte und süßduftende Pflänzchen der Heiterkeit gedeihen! Die »gedrückte« Stimmung erstreckt sich, wie gesagt, von den Menschen auf die Häuser, die sie bewohnten, auf die ganze, schmutzige Straße, und an jenem Septemberabend, der uns in diese gottbegnadete Gegend führt, sah es erst recht trübselig daselbst aus, denn der Regen floß in Strömen, und die schattenhaften Gestalten, die durch die matterleuchtete Straße huschten, sahen aus, als seien sie selbst die bösen Genien, welche in irgendeinem benachbarten, dunklen Winkel das »Hundewetter« zusammenbrauten, das an diesem Abende so mancher ketzerischen Seele auf den Straßen Roms ein ärgerliches » maledetto!« entlockte.

In dem katafalkartig drapierten Zimmer des Hauses, das der uns dem Namen nach nicht unbekannte Antiquar Vergilio Gozzoli bewohnte, brannte der Kronleuchter, ungeachtet der Düsterheit des regenschwangeren Abendhimmels, so klar und hell, wie in jener Nacht, wo wir in demselben Raume die interessante Konversation des Pater Mariano mit der pikanten Albionstochter und dem sarkastischen Marquis zu belauschen Gelegenheit hatten. Dort saßen an dem schwarzbedeckten Tische zwei Personen, die uns beide bekannt sind und die wir auch beide – unverändert, wie sie unserem Auge sich präsentieren, mit Leichtigkeit wieder zu erkennen vermögen: Der Pater Mariano, hager, düster und fahlgelb wie vor zwei Jahren, und der französische Bonvivant aus der lustigen Schule der Legitimisten mit demselben zynischen Lächeln auf den Lippen und mit derselben Eleganz à quatre epingles, von dem zierlich gedrehten Schnurbärtchen bis herab zu den glänzenden Lackstiefeln. Zur Seite des Jesuitenpaters stand ein kleiner, magerer Mann in schwarzem, ziemlich abgetragenem Anzuge, dessen tief in den Höhlen liegende Augen und pergamentartige Haut ihm ein mumienartiges Aussehen gaben. Er sah aus, als sei er jahrhundertelang in irgendeiner Nische dieses unheimlichen, altersgrauen Hauses eingemauert gewesen und endlich durch eine kräftige Beschwörungsformel aus seinem langen Totenschlafe wider seinen Willen in die Gegenwart lebendiger Menschen zurückgerufen worden. Der Marquis blickte diese sonderbare Erscheinung unverwandt mit einem aus Neugier und Widerwillen gemischten Ausdrucke an.

»Sind die Pariser Briefe expediert, Tommaso?« fragte Pater Mariano, eifrig beschäftigt, unter eine Anzahl vor ihm liegender Schriftstücke seine Namensunterschrift zu setzen.

»Alles besorgt, Hochwürden,« krächzte das pergamenthäutige Männchen mit tonloser Stimme.

»Irgend etwas Wichtiges unter der heutigen Post gefunden?«

»Es war nicht viel durchzusehen, Hochwürden. Wir bekommen nicht mehr viel.«

»Was meint Ihr damit?«

»Hm,« erwiderte mit einem leichten Anflug von spöttischem Lächeln der Sekretär. »Seine Eminenz der Herr Kardinalstaatssekretär wendet in letzter Zeit der Post mehr Aufmerksamkeit zu, als früher.«

»Kann Marucci ihm nicht zuvorkommen?«

»Marucci ist tot, wie mir gestern gemeldet wurde, Hochwürden,« erwiderte Tommaso lakonisch, »und die andern sind noch nicht geschult genug.«

»Tot?« fragte der Priester, die kleinen, stechenden mit einem leisen Ausdrucke von Erstaunen zum ersten Male zu seinem Sekretär erhebend. »So plötzlich?«

»Er hat sich den Hals durchgeschnitten, Hochwürden,« entgegnete der Sekretär, ohne eine Miene zu verziehen. »Liebe, wie ich hörte. Er hat irgendwo ein protestantisches Mädchen aufgefischt und sich in sie verliebt. Von seiten Pater Antonios wurde ihm mit der Officia Sacra gedroht. Er blieb trotzdem nachlässig in seinen Diensten für den heiligen Orden und lief dem Mädchen nach. Das Frauenzimmer ist eingesperrt worden von den frommen Vätern und – und –« hier ließ der Alte eine Art heiseren Lachens hören, das einem häßlichen Hüsteln ähnlich sah, – »er hat sich's so zu Herzen genommen, daß er sich eben die Kehle durchschnitt.«

»Der Narr!« murmelte Pater Mariano zwischen den Zähnen. »Schade um ihn. Er war der Geschickteste unter den Postbeamten. Also, Ihr habt nichts unter den Postsachen gefunden?«

»Meist Liebesbriefe, Hochwürden,« grinste der Sekretär. »Nur zwei, die vielleicht interessant sind.«

Bei diesen Worten entnahm er einem Portefeuille, welches er bisher wie ein Brustschild an die abgeschabte, schwarze Weste geschmiegt gehalten hatte, zwei Briefe, einen in zierlichem, rosenfarbenem Couvert, und einen zweiten von mehr geschäftsmäßigem, weniger billet-doux-artigem Aussehen. Beide Couverts waren in geschickter Weise auf der vorderen, gummierten Seite geöffnet und zwar so, daß sie mit Leichtigkeit wieder geschlossen werden konnten, ohne daß der Verschluß auch nur im geringsten den Verdacht des Empfängers hätte erregen können.

Der Pater betrachtete beide Briefe mit teuflischem Lächeln.

»Lord Henry Duncombe und Doktor Oswald Malder! Sonderbares Zusammentreffen!«

Er zog die Briefe aus den Couverts und ließ seinen Geierblick flüchtig über den Inhalt derselben hinschweifen. Den kleineren der Briefe las er sorgfältiger durch und zog darauf ein kleines Ebenholzkästchen zu sich heran, in dem er den Brief verschloß. Dann reichte er das an den englischen Lord gerichtete Schreiben dem Sekretär wieder hin.

»Ich danke Euch, Tommaso. Die Briefe waren beide allerdings interessant genug für mich. Allein dieser hier kann expediert werden. Es genügt mir vollständig, den Inhalt zu kennen. A propos,« fügte er, zum Marquis gewandt, welcher offenbar mit Interesse diese Szene beobachtet hatte, hinzu, »entschuldigen Sie mich, daß ich diese kleinen häuslichen Angelegenheiten mit meinem Sekretär zuerst erledige. Ich stehe Ihnen alsdann gleich zu Diensten.«

» Parbleu, Paterchen«, rief lachend der Marquis. »Ihre kleinen ›häuslichen‹ Machinationen machen mir so unbändigen Spaß, daß Sie ruhig noch ein Stündchen so fortfahren können. Sie wissen übrigens, daß Sie sich vor mir nicht zu genieren brauchen!«

Mit diesen Worten zog der Marquis nachlässig eine Zigarre aus der Tasche, zündete sie an und lehnte sich aufs neue behaglich in seinen Fauteuil zurück.

Der Jesuitenpater wandte sich wiederum an den Alten.

»So, Tommaso, ich bin jetzt fertig«, sagte er, »hier sind die Berichte von Turin und die deutschen von Berlin, Dresden und Wien. Sie stimmen mit den Originalen überein und ich habe sie sämtlich unterzeichnet. Wann kommt der Bote von Pater Bekx?«

»Morgen mittag, Hochwürden.«

»Das ist zu spät, wegen des Turiner Berichtes. Ich muß weitere Instruktionen haben und kann nicht erst eine Konziliumsitzung abwarten. Tommaso, diese Papiere müssen morgen früh zum General besorgt werden.«

»Soll geschehen, Hochwürden.«

»Gut. – Tommaso, noch einen Augenblick. Wer war das junge Mädchen, das heute mittag, als Ihr hinten im Hofraume Euren Spaziergang machtet, mit Euch über die Mauer vom Nachbargarten aus sprach?«

Blässe und Röte wechselten auf dem Gesichte des vertrockneten Männchens, in dessen Zügen man kaum eine solche, wenn auch nur momentane Regsamkeit hätte für möglich halten können.

Er zögerte einen Augenblick.

»Nun, Tommaso?« Es lag eine solche unbeschreibliche Härte und Drohung in diesem Tone, daß der alte Mann zusammenzuckte.

»Meine – Tochter, Hochwürden.«

»Ich wußte es. Sie ist von Mailand, wo sie bei ihrer Tante erzogen wurde, hierher gekommen. Es war das letztemal, daß Ihr sie gesprochen habt!«

»Hochwürden« – wollte der Sekretär beginnen, indem er einen seiner mageren Arme wie beschwörend emporhob.

»Tommaso?«

Es war eine einfache, kurze Frage, aber der sie begleitende Blick, so kalt und durchbohrend, der Ton, in welchem sie gestellt war, so schneidend und drohend zugleich, ließ hinter derselben eine ganze Reihe der furchtbarsten Bilder erscheinen.

Der Sklavenhalter schwang die unsichtbare Peitsche über dem Rücken seiner gehorsamen, ohnmächtigen Kreatur!

Tommaso schien diese vielsagende Frage recht wohl zu verstehen. Er beugte, in sein Schicksal ergeben, das Haupt. Oder richtiger gesagt: er ließ seinen Kopf resigniert auf die Brust fallen, als habe sein Nacken unter einem unsichtbaren, eisernen Fuße alle Spannkraft verloren.

»Ihr könnt gehen, Tommaso,« sagte der Pater mit bemerkenswerter Ruhe, hinter welcher man auch nicht eine Spur verborgener Erregung hätte vermuten können. »Vergeßt nicht, welche Strafen unser Orden für die Ungehorsamen hat, und erinnert Euch auch daran, daß zwischen Euch und der Außenwelt eine Schranke aufgerichtet ist – für immer!«

Wortlos raffte der Sekretär die ihm übergebenen Papiere zusammen. Kaum ein leichtes Vibrieren der schmalen, runzeligen Lippen verriet ein Aufbäumen seiner inneren Natur gegen die unerbittliche Tyrannei, der selbst das einzige warme Gefühl, das in seinem Herzen vielleicht noch lebte, die Liebe zu seinem Kinde, sich beugen mußte. Er machte dem Pater, sowie dem Marquis, welcher mit einem leisen Ausdrucke von Mitleid auf diesen Sklaven der Gesellschaft Jesu blickte, eine tiefe, eckige Verbeugung und schwebte, wie ein schwarzes Gespenst, das in einem altersgrauen Schlosse sein Wesen treibt, über den mit Matten bedeckten Fußboden lautlos dem entgegengesetzten Ende des Zimmers zu. Eine Tür war nicht zu erblicken. Das Unheimliche der Erscheinung ward daher nicht wenig erhöht durch die geheimnisvolle Art und Weise, wie der Sekretär die mit Silbersternen und Kreuzen geschmückte, schwarze Wanddraperie behutsam zurückschob und plötzlich dahinter verschwand. Man hörte einige Riegel zurückschieben, eine Tür fiel ins Schloß – dann war alles still.

Der Marquis unterbrach zuerst das Schweigen.

»Ihr Herr Sekretario scheint ein recht beneidenswertes Dasein zu führen, Pater Mariano,« sagte er mit einem Anfluge von Spott.

»Er dient der Kirche und muß sich in sein Schicksal finden,« entgegnete kurz und trocken der Priester.

»Hm,« knurrte der Marquis mit etwas malitiösem Gesichtsausdrucke und warf einen Blick auf das rosenfarbene Briefchen, welches der Pater wieder aus der erwähnten Ebenholzschatulle herausgenommen, um es nochmals aufmerksam durchzulesen. »Gehören solche duftigen Billetts mit verteufelt verdächtigen, feinen Schriftzügen, bei denen man unwillkürlich an eine zarte, weiße Damenhand denkt, auch zu den rebus ecclesiasticis?«

Der Jesuit zog offenbar etwas ärgerlich die Brauen zusammen. »Vergessen Sie nicht, Marquis, daß Sie mit all dieser Spötterei nicht die Tatsache wegspotten können, daß die heilige Kirche gegen die Narrheit und Sündigkeit der Welt zu kämpfen hat und daher gezwungen ist, nicht nur zu den verschiedensten, oft verwerflich scheinenden Mitteln zu greifen, sondern auch mit allerlei eigentlich unkirchlichen Dingen in Berührung zu kommen. Sie müssen das doch eigentlich sehr genau wissen, da Sie unserem Orden schon lange und, ich darf sagen, in sehr zuverlässiger und geschickter Weise dienen. Sie müssen ja auch wissen, wie streng unsere Regeln sind, und sollten sich über gar nichts wundern!«

Es lag etwas wie eine ferne, versteckte Drohung in den mit ruhiger Stimme gesprochenen Worten des Jesuiten, welche den Marquis daran zu erinnern schienen, daß ja auch er ein Werkzeug in den Händen dieses furchtbaren Bundes war, ein Werkzeug, das, wenn es schartig würde, sehr leicht in Gefahr geraten könnte, weggeworfen zu werden.

» Eh bien – ehrwürdiger Herr! Nichts für ungut!« rief er, etwas nervös an seinem Schnurrbarte zupfend. »Ich kenne ja die verschiedenen Aufgaben der Herren Patres sehr genau. Wollte auch nur meine Verwunderung über Ihr pergamentartiges Faktotum aussprechen. Sagen Sie mir um Gotteswillen, Pater Mariano, kommt der Unglücksmensch denn niemals aus dem Hause?«

»Solange er bei mir arbeitet, hier sein Brot essen will, sicherlich nicht!« entgegnete der Priester mit Nachdruck. »Ich kann und darf die Geheimnisse, die hier niedergeschrieben werden müssen, nicht dadurch preisgeben, daß ich den Menschen herumlaufen lasse, und ihm dadurch Gelegenheit zum Ausplaudern gebe. Wer hier in meinem Hause solche Vertrauensdienste leisten will, wie Tommaso sie zu leisten hat, der kennt seine Stellung schon zuvor. Ob er den Dienst übernehmen will, hängt zunächst natürlich von seinem freien Entschlusse ab; hat er ihn aber übernommen, so darf er lebend nicht mehr zurück. Der Mann ist arm und hat für eine Tochter zu sorgen, deren Mutter längst gestorben ist, und er muß daher nun froh sein, wenn er versorgt ist. Mein Koch bringt ihm sein gutes Essen, seinen guten Wein, und wenn ich ihn nicht dringend gebrauche, darf er ja jeden Tag sich mindestens eine Stunde in dem kleinen Garten hinten am Hause vergnügen. Ist das nicht genug für einen armen Teufel? Glauben Sie mir, cher Marquis,« fügte er mit bitterem Lächeln hinzu, »da gibt es noch härtere Dinge hier in Rom und speziell in Diensten unseres Ordens zu tun, und es finden sich auch dazu Leute. Not bricht Eisen. Sein Vorgänger hat in dem Archivzimmer des ehrwürdigen Bruders, der vor mir in diesem Hause gewohnt hat, bis zu seinem Tode gesteckt, und hatte sich so daran gewöhnt, daß ihm schließlich niemals der Gedanke ans Ausgehen gekommen ist. Doch genug hiervon, – wie sieht's in Paris aus!«

»Nun – von der famosen Konvention haben Sie doch gehört?« – erwiderte der Marquis.

»Allerdings,« sagte der Priester kopfnickend, »und sogar von den wahrscheinlichen Folgen derselben in Turin!«

»Teufel,« rief der Franzose, »was weiß man in Turin davon?«

»Was? Ebensoviel wie Sie und ich; oder glauben Sie, daß die Herren Mazzinisten sich neuerdings die Ohren mit Wachs zugestopft haben?«

»Der Teufel soll diese roten Eisenfresser holen,« rief der Marquis ärgerlich, den Rauch seiner Havanna in großen Wolken ausstoßend, als wolle er den Begründer von Jungitalien mitsamt seinen Anhängern in dem dichten Tabaksqualm ersticken. »Ich möchte wohl mal konstatiert sehen, wo diese Bande überall ihre Leisetreter und Spione hat. – Pater, Pater – unsere Schlauheit fängt an, den Krebsgang zu gehen,« fügte er spöttisch lächelnd und scherzhaft mit dem Finger drohend hinzu.

Der offenbare Spott des ewig mokanten Gascogners schien diesmal den Jesuiten nicht im geringsten zu verletzen. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, während er aufstand und dem Marquis die Hand auf die Schulter legte.

»Urteilen Sie nicht so vorschnell, liebster Freund. Ich will Ihnen heute noch etwas zeigen, was Sie vielleicht zu einer etwas veränderten Meinung über unsere Kapazität zum Intrigiren und Kombinieren veranlassen wird. Doch vorerst eine Frage: was haben Sie über die Verhältnisse des Ordens von St. Croix in Erfahrung gebracht?«

Der Marquis zuckte mit den Achseln.

»Ich gestehe Ihnen offen, mon père, daß mir diese Leute durchaus nicht so gefährlich für den Einfluß des Jesuitenordens auf Se. Heiligkeit den Papst erscheinen.«

»Aber ihre Gesinnung ist ganz entschieden unserem Orden feindlich. Ich habe bestimmte Beweise davon.«

»Ja, verehrter Pater,« sagte der Franzose, »wenn das Können mit dem Wollen immer im Einklänge stünde, dann wollte ich allerdings zugeben, daß die Väter von St. Croix sehr bald dafür sorgen würden, daß der Heilige Vater nicht einen einzigen Bruder von der Gesellschaft Jesu mehr im Vatikan empfängt. Allein – vor der Hand hält Monseigneur Antonelli zu sehr die Augen offen.«

»Antonelli?« erwiderte der Jesuit. »Pah! Antonelli liebt die Politik des Mephisto und würde es heute mit den Brüdern von St. Croix halten, wenn er sich irgend persönliche Vorteile davon verspräche. Und die Kardinäle sind fast sämtlich in seiner Hand.«

» Pas du tout!« erwiderte lachend der Marquis. »Die Kardinäle sind zunächst in den Händen ihrer Maitressen, deren sie sich, wie Sie, mein frommer Freund, recht wohl wissen, ohne Ausnahme erfreuen. Diese Damen beeinflussen die Herren Kardinäle in so hohem Grade, daß es ebensogut wäre, man überließe gleich diesen Sitz und Stimme im heiligen Kollegium. In den meisten Fällen geschieht doch nur, was bei ihnen ausgemacht wird, allerdings mit Ausnahme der peinlichen Urteile der Officia Sacra.«

»Aber Ihre eigenen, politischen Gesinnungsgenossen, Marquis, die Legitimisten, halten es mit den Brüdern von St. Croix. Das wissen Sie doch jedenfalls.«

Ein Schatten flog über das Antlitz des Franzosen und er erwiderte ernster, als er sonst bei seiner spöttisch-frivolen Natur zu tun pflegte:

»Ich weiß es leider. Und sogar noch mehr. Ich weiß, daß namentlich die legitimistischen Damen, die hier in Rom wohnen, tägliche Zusammenkünfte im Kloster von St. Brigitta haben, und daß fast sämtliche französische Diplomaten, welche hierherkommen, beim Herrn Superieur absteigen. Ich habe aber auch ferner in Erfahrung gebracht, daß der Superieur mit Napoleon persönlich bekannt ist, und daß er überdies Beisitzer der heimlichen Inquisition ist. Sehen Sie, Pater, das bringt diese Leute in eine Doppelstellung, welche ihre Macht ganz bedeutend lähmt. Überdies ist der Orden weder vom heiligen Stuhle, noch von irgendeiner Regierung anerkannt, sondern nur als eine Gesellschaft geduldet!«

»Ganz richtig,« entgegnete der Jesuit, »aber sie haben eine Macht für sich und das ist – die Geldmacht.«

»Das heißt,« betonte der Marquis scharf, »sie haben Leute, welche mit Glück und Geschicklichkeit die Chancen der Börse unter Napoleon zu benutzen verstehen. Freilich, so lange Antonelli an der Spitze steht, wird auch in Rom ein solcher Orden prosperieren können. Allein Antonelli ist gehaßt, mon père,« setzte er mit leiserer Stimme, und jedes Wort mit Nachdruck aussprechend, hinzu, » das wissen Sie so gut wie ich, und – er ist nicht unsterblich

Ein häßliches Lächeln zuckte über die scharfen Züge des hagern Jesuitenpaters.

»Nun – abgesehen davon. Der Orden prosperiert doch jetzt, und das gibt zu bedenken. Als der Superieur Pater Drouelles im Auftrage seines Ordens das kleine Kloster St. Brigitta kaufte, war es kaum mehr bewohnbar, und schon nach einem Jahr war dort ein bedeutendes Pensionat für die Söhne der französischen Aristokratie eingerichtet. Und jetzt haben sie die Vignia Pia, eine reizende Besitzung, – ein Waisenhaus –«

»Dessen arme Insassen – wahre Jammergestalten – im Schweiße ihres Angesichtes in diesen reizenden Weinbergen der frommen Brüder arbeiten müssen, ohne jeden Unterricht und ohne was Ordentliches in den Magen zu kriegen,« unterbrach ihn der Marquis lachend. »O, Pater Mariano, ob des Erwerbes dieser allerdings prächtigen Besitzung seitens des Ordens von St. Croix, brauchen Sie sich kein graues Haar wachsen zu lassen. Das geht auf sehr natürlichen Wegen zu. Ein bißchen Durchtriebenheit, voilà tout. Ich habe die Geschichte erfahren und kann sie Ihnen erzählen, wenn es Ihnen Spaß macht. Sehen Sie, der Superieur ging unserm Heiligen Vater etwas um den Bart – verzeihen Sie diesen ketzerischen Ausdruck, mein Bester – und riet ihm, den hübschen, mit wildem Wein bewachsenen Berg doch urbar zu machen, und bot hierzu die Brüder des Ordens an. Alsdann bat er ihn, doch einmal hinauszufahren und den Erfolg der Arbeiten sich anzusehen. Bei dieser Gelegenheit verfehlte der schlaue Superieur nicht, dem Heiligen Vater vorzustellen, wie sauer es den Brüdern würde, zweimal des Tages den weiten Weg von der Piazza Farnese bis zur Vignia Pia zu machen. Auch sei es zur Erhaltung der hübschen Pflanzungen notwendig, daß man für die Arbeiter ein Häuschen aufführe, das ihnen als Obdach dienen könne, gleichzeitig zu dem Zwecke hier eine Aufsicht zu halten, damit kein Mutwilliger die Anlagen beschädige. Der Vorschlag gefiel dem Heiligen Vater so, daß er ihn sofort genehmigte, und hierzu sogleich die nötigen Gelder anwies. Die schlauen Brüder richteten sich schon gleich dieses Häuschen so ein, daß ihnen ein Paar Zimmer zur Aufnahme von Waisen übrig blieben. Bald wuchs die Anzahl der letzteren so, daß sie sich genötigt sahen, das Haus zu vergrößern, was sie natürlich ohne Zustimmung des hohen Protektors nicht wagen durften. Inzwischen trachteten sie aber fort und fort, die Zahl der Waisen zu vermehren. Das ist, wie Sie sich denken können, in Rom keineswegs ein Kunststück, wo es Familien genug gibt, die ihre Kinder verschenken und sich freuen, eine drückende Bürde auf einigermaßen anständige Weise los zu werden. Den Brüdern war das natürlich Wasser auf ihre Mühle: sie konnten den Heiligen Vater, ohne für sich Ansprüche zu erheben, leicht bestimmen, in Rücksicht auf die vielen, armen Waisen, die sie aus purer christlicher Nächstenliebe und Barmherzigkeit adoptierten, einen verhältnismäßig größeren Bau aufzuführen, also dem Kloster auch größere Fonds anweisen zu lassen. So kamen die frommen Herren ohne Anstrengung und Geldopfer zu einer in Rom für ihren Orden notwendigen Besitzung, und gewannen nach und nach Arbeitskräfte, die sie sich selbst heranbilden –«

»Und für ihre Zwecke verwerten können, wie es ihnen am besten paßt,« ergänzte der Jesuit.

» Mais oui,« versetzte der Marquis lachend. »Wenn diese glücklichen Waisenknaben, die bis dato noch im Schweiße ihres Angesichtes in den Weinbergen des Herrn arbeiten, große, kräftige Lümmel geworden sind, dann steht eine formidable Armee auf den Beinen, welche die Brüder von St. Croix gegen das Ordenshaus derer von Loyola zum Sturme führen werden, um es vom Erdboden zu vertilgen.«

Ein leichtes Lächeln zuckte bei diesem ironischen Ausfalle des lustigen Gascogners, hinter welchem ein deutliches Stückchen Schmeichelei für den Jesuitenorden verborgen war, um die schmalen Lippen des Paters.

»Nun, wir werden jedenfalls auf dem qui vive sein,« sagte er, »um diese Ordens-Parvenus ein wenig in Schach zu halten. Auf Ihre Unterstützung können wir ja selbstverständlich rechnen, Marquis?«

»O, Pater,« sagte der Franzose, sich wohlgefällig seinen Schnurrbart streichend und mit seinem feinen Stöckchen kokett die Spitzen seiner eleganten Lackstiefeletten bearbeitend. »Sie wissen ja, daß ich mit den schönen Damen unserer Legitimistenpartei gut Freundschaft zu halten verstehe. Verdanken Sie nicht auch meinem Glücke beim schönen Geschlechte den kleinen, interessanten Fang, den Sie kürzlich gemacht? Scherz beiseite, mein wertester Freund, wenn wir nicht diese kleine, blauäugige, schwärmerische Deutsche, die kürzlich nach Rom kam, um unserm guten Herrn im Vatikan den Kopf warm zu machen, und ihn zu bestimmen, die Vorschläge einer Partei anzunehmen, durch welche wir alle überflüssig geworden wären, sogleich mit offenen Armen empfangen – wer weiß, was geworden wäre!«

Der Jesuit lachte jetzt hell auf.

»Wahrhaftig,« rief er, »das ist die köstlichste Geschichte, die uns seit lange passiert ist. Selten ist uns ein Vogel so wunderbar ins Garn gegangen, wie bei dieser Gelegenheit. Nachdem Sie uns einmal auf die Spur gebracht hatten, Marquis, war es uns natürlich auch ein leichtes, die Briefe, die ihr nachgeschickt wurden, auffangen und öffnen zu lassen. Dadurch kamen wir in den Stand, uns einen klaren Überblick über den Plan, den sie durchzuführen hatte, zu verschaffen. Und was folgte – nun, Sie wissen es ja wohl!«

» Parbleu!« rief der Franzose mit komischer Entrüstung, »gar nichts weiß ich, und Ihr ungeistliches Lachen hat mir eine ganz abominable Neugierde in den Leib gejagt. Erzählen Sie, Verehrtester, erzählen Sie rasch. Aber – halt, ehe Sie ein Wort sprechen, bedenken Sie, daß ich nicht enragierter Asketiker und Verächter der weltlichen Freuden bin, und daß ich genau über die Tatsache instruiert bin, daß sich hinter irgendeiner Stelle dieser interessanten Wanddraperie ein geheimnisvoller Wandschrank befindet, welcher einige Flakons vom besten griechischen Malvasier enthält. Paterchen, Paterchen,« setzte er, ein Auge zukneifend und mit dem Finger drohend hinzu, »tun Sie doch um Gotteswillen nicht, als ob Sie nicht wüßten, daß Havannazigarre und Konferenzen in majorem Dei gloriam die Kehle trocken machen!«

Dem unverwüstlichen Humor dieses sonderbaren Streiters für die Kirche, der, nebenbei bemerkt, gerade ob seiner aalglatten und gefälligen Tournure, ob seiner glänzenden Suade und seiner anscheinend harmlosen, humoristischen Veranlagung ein ganz unschätzbares Werkzeug in den Händen des Jesuitengeneral Bekx und seiner Leute war, konnte selbst der priesterliche Ernst des dürren Paters nicht widerstehen. Lachend ging er nach dem Hintergrunde des Zimmers und holte daselbst, nach einigen Manipulation an der Wand, welche der Gaskogner schmunzelnd verfolgte, eine Kristallflasche mit zwei Gläsern hervor, welche er zwischen sich und den Marquis auf den Tisch setzte.

»Ich will Ihnen diesen Genuß nicht vorenthalten,« sagte er lächelnd zum Marquis, indem er die Gläser mit dem verführerisch schillernden und duftenden Wein anfüllte, »um so mehr, als wir nachher noch einen kleinen Gang durch den Regen miteinander zu machen haben.«

»Ah, vraiment, Pater,« rief der Marquis, »heute sind Sie charmant und äußerst unterhaltend. Ich schwärme für interessante Geheimnisse. Eh bien – auf das Wohl Ihres ins Garn gelaufenen Vögelchens, von dem ich mir schleunigst etwas zu erzählen bitte. Alsdann gehe ich mit Ihnen durch diesen römischen Morast, auf der äußerst anheimelnden Via del Gesù, meinetwegen bis ans Ende der Welt.«

Nachdem beide mit sichtlichem Wohlbehagen, der Priester nicht ohne jene schlürfenden und gurgelnden Laute, welche den Weingourmand charakterisieren, der Franzose mit einem himmelnden Augenaufschlage zum Ausdrucke seines Entzückens, getrunken hatten, begann der Jesuit, mit einem Lächeln, das etwas unnennbar Mephistophelisches hatte:

»Wie gesagt, die Geschichte ist reizend, und ich will sie Ihnen erzählen, ganz kurz allerdings, denn meine Zeit ist gemessen. Also wir steckten uns rasch hinter unseren Freund im heiligen Konzilium, den Kardinal Principe B…o, und durch diesen wurde dann veranlaßt, daß besagtes Dämchen sofort nach ihrer Ankunft durch einen vertrauten Abbé, im Namen der Damen von Sacre Cœur, eingeladen wurde, auf dem Monte Pincio Wohnung zu nehmen. Es wurde ihr äußerst plausibel gemacht, daß sie nirgends besser Gelegenheit habe, den Heiligen Vater zu sehen und zu sprechen als dort, wo er jeden Dienstag in der heiligen Fastenzeit den Damen von Sacre Cœur selbst die heilige Kommunion spende. Es wurde ihr sogar vorgehalten, daß ihr Schreiben dem Heiligen Vater nur unter der Bedingung zugestellt werden könne, daß sie einen geistlichen Begleiter annehmen und auf dem Monte Pincio wohnen wolle, und daß sie selbstverständlich völlige Freiheit genießen werde, selbst betreffs der für sie einlaufenden Briefschaften, die sonst in Klöstern stets erst durch die Hände der Oberin zu gehen pflegten. Als wir sie endlich so weit hatten, handelte es sich für uns nur noch darum, auf ihre Phantasie so zu wirken, daß sie ihre Tätigkeit selbst als eine höhere Mission betrachtete. Zu diesem Zwecke sandte man ihr zwei Beichtväter, die natürlich genau instruiert waren und in der geschicktesten Weise auf sie, die übrigens, wie Sie wissen werden, an sich etwas schwärmerisch veranlagt ist, einzuwirken verstanden. Sie brachten sie durch geistliche Übungen so weit, daß sie sich schließlich einbildete, die Mutter Gottes käme zu ihr und erteile ihr eine Sendung an den Heiligen Vater. Das war schon ein Schritt zum Ziele. Es galt nun nur noch durchzusetzen, daß sie sich, womöglich vor Zeugen gehörig kompromittiere. Kardinal Principe B…o wollte dies zunächst selbst übernehmen –«

»Entschuldigen Sie, verehrtester Freund,« unterbrach der Marquis hier den Erzählenden – »halten Sie es meinem völlig unklerikalen Gehirn zugute, aber ich verstehe Sie nicht recht. Inwiefern sollte sich unser – Vögelchen – bleiben wir bei diesem zarten Namen – kompromittieren und zu welchem Ende?«

Der Jesuit blickte sein Weinglas an, als wolle er daraus die Antwort lesen.

»Hm, Sie kennen doch die Officia Sacra?«

»Dieses moderne Inquisitionsgericht? – Brrr! Ich habe die Ehre, doch der heiligen Jungfrau sei Dank, nicht als Delinquent!«

»Nun wohl, – will man jemand richten, so muß doch ein äußerer, beglaubigter Grund zu einer Anklage vorhanden sein! …«

»Ah – ah, vortrefflich, mon père,« rief der Marquis mit häßlichem Lächeln. »Jetzt glaube ich Sie zu verstehen; bitte fahren Sie fort!«

» Ebbene,« nahm der Jesuit seine Erzählung wieder auf, »um kurz zu sein, es wurde dem Dämchen klar gemacht, daß durch den Kardinal Principe B…o der einzige Weg zum Papste ginge. Voll Vertrauen auf den Rat der guten Beichtväter, an die sie sich während der kurzen Dauer ihres geistlichen Verkehrs schon so angeschlossen hatte, daß sie dieselben als Wesen höherer Art betrachtete, schrieb sie denn auch ein Briefchen an den hohen, geistlichen Würdenträger, um durch ihn eine Spezialaudienz beim Heiligen Vater zu erwirken. Sehr bald erschien denn auch der Kardinal bei ihr und hatte eine längere Unterredung. Aber leider war der Erfolg gleich Null. Der Kardinal hatte absolut keinen Anhaltspunkt für unsere Zwecke finden können. Es kam nun schließlich dazu, da die Zeit drängte und wir notwendigerweise irgendeine Basis zur Formulierung einer Klage haben mußten, ehe etwa unsere Donna Lunte roch und uns entwischte, daß mir die Angelegenheit übertragen wurde.«

»Einzig richtige Wahl,« bemerkte der Marquis mit etwas ironischem Lächeln. »Fortan war das Täubchen natürlich in trefflichen Händen!«

Der Pater reagierte auf diese Bemerkung nicht, sondern fuhr, nachdem er sich mit einem Schlucke des feurigen Malvasiers gestärkt, fort:

»Ich ließ die Dame durch ihre Beichtväter vom Kardinal Principe B…o grüßen und ihr mitteilen, daß es sein Wunsch sei, daß sie alles, was sie dem Heiligen Vater mitzuteilen habe, schriftlich aufsetze und ihm, dem Kardinal, versiegelt zusende. Er wolle es dem Heiligen Vater überreichen und zugleich auf denselben so einzuwirken suchen, daß ihr eine längere Audienz erteilt werde. Darüber, daß die Antwort nicht lange auf sich warten lassen werde, dürfe sie sicher sein.

»Die Dame befolgte den Rat äußerst gewissenhaft und legte das verlangte Schreiben schon zwei Tage darauf in die Hände ihrer Beichtväter, mit der Bitte, ja mit allem Eifer darauf hinzuwirken, daß sie beim Heiligen Vater bald Audienz erhalte, denn sie könne sich nicht mehr allzulange aufhalten, ihre Mission rufe sie baldigst von hier ab und sie müsse deswegen angelegentlichst an die Rückkehr denken. Nach zwei Tagen erging an sie die Aufforderung, ein zweites, ausführlicheres Schreiben an den Heiligen Vater zu richten, – man habe sie nicht in allem genau verstanden, und der Papst wolle doch, ehe er ihr Audienz erteile, ganz genau über ihre Angelegenheit unterrichtet sein. Auch dieses Schreiben dürfe sie dem Kardinal einsenden und überzeugt sein, daß er alles pünktlichst besorgen werde.

»Auch darin leistete die Dame Folge. Sie ahnte nicht, daß ihre Auseinandersetzungen Erwägungen hervorrufen könnten, die möglicher Weise sehr zu ihrem Nachteile ausfielen. – Man ließ jetzt einige Wochen vorübergehen, die zur Instruierung der Klage nötig waren. Erst dann, als sie ungeduldig wurde und drohte, sich selbst in den Vatikan zu begeben, kündigte man ihr an, daß ich sie zuerst und zwar als Abgesandter des Heiligen Vaters besuchen werde. Sie freute sich ganz außerordentlich auf diesen Besuch.«

Es lag in diesen letzten Worten des Jesuiten eine fuchshafte Schadenfreude, die mit solcher, fast ans Komische grenzenden Naivität ausgesprochen, so unwiderstehlich auf die Lachmuskeln des Gascogners wirkte, daß dieser sich in seinen Sessel zurücklehnte und in ein lautes, schallendes Gelächter ausbrach.

» Parbleu,« rief er endlich, sich die Tränen aus den Augen wischend, »die Freude hatte jedenfalls den Vorzug, auf Gegenseitigkeit zu beruhen.«

Der Jesuit, welcher in der angenehmen Erinnerung sich eines eigentümlichen »herzlichen« Lachens, das mehr dumpf in ihn hinein, als hell aus ihm herauszuschallen schien, nicht hatte erwehren können, erwiderte, während seine Augen, offenbar vor innerer Zufriedenheit, wie Kohlen funkelten:

»Allerdings, allerdings! Doch hören Sie nur erst weiter: Um sie nicht ohne Zeugen zu sprechen und sie doch auch wieder nicht durch die Anwesenheit einer dritten Person mißtrauisch zu machen, ließ ich sie bitten, sie möge sich in den Garten herunterbemühen, wo in dem schönen Lorbeerhaine es sich viel angenehmer und traulicher plaudern lasse, als zwischen vier Wänden. Darauf ging sie mit Vergnügen ein, und ließ auch nicht lange auf sich warten. Als sie kam, hatte ich längst hinter den Gebüschen meine Zeugen aufgestellt und die Ruhebänke so ordnen lassen, daß sie unmöglich die hinter den Gebüschen Stehenden wahrnehmen konnte. Ich empfing sie natürlich mit aller Liebenswürdigkeit, nahm sie bei der Hand und sagte: ›Wenn die Kirche in unserer Zeit auch über viele, die abtrünnig geworden sind, zu trauern hat, so darf sie doch frohlocken über eine Seele, deren geistlicher Duft so viele anzieht und stärkt, die sonst aus sich selber nie die Kraft fänden, auf dem schlüpfrigen Boden der Versuchung sich aufrecht zu halten. Eine so schöne Seele, wie die Ihre, genau kennen zu lernen, ist für jeden, besonders für einen Mann des geistlichen Berufes, ein wahres Labsal, und ich bitte daher, mir diese Ihre Seele ganz enthüllen zu wollen. Je offener Sie mir gegenüber sind, desto mehr werde ich dazu beitragen können, daß Sie Ihr Ziel beim Heiligen Vater erreichen.‹«

» Diantre!« rief der Marquis. »Das verfehlte sicherlich den gewünschten Erfolg nicht!«

»Allerdings nicht. Unsere Schöne wußte vor Rührung kaum eine Antwort zu finden. Endlich sagte sie zu mir:

»›In der Tat, ich fühle es, in Ihnen hat mir Gott einen Engel des Trostes gesandt; schon war ich versucht zu glauben, ich würde getäuscht und sollte abreisen. Nicht wahr‹, fuhr sie vertrauensvoll fort, ›das wäre ein unverzeihliches Verbrechen gewesen? – Nun, ich will, was ich doch etwa verbrochen haben mag, dadurch sühnen, daß ich Ihnen jetzt die tiefsten Tiefen meiner Seele enthülle; wollen Sie das alles dem Heiligen Vater berichten. Nicht mein Rat ist es, sondern der der Himmelsmutter, die ihn mir eingegeben hat, damit der Heilige Vater die Wege einschlage, die nötig sind, um unser Jahrhundert vor einem Schisma zu bewahren, das in seinen Folgen viel schrecklicher sein würde, als die Reformation gewesen ist.‹

»Als sie mir alle ihre Gedanken und Erfahrungen und dazu ihr Vorhaben vollständig mitgeteilt, kurz ihr ganzes inneres Sein enthüllt hatte, erfaßte ich ihre beiden Hände und sagte dem Anscheine nach ganz gerührt:

»Meine Dame! Gott und die Heilige Jungfrau vergelte Ihnen diese Stunde! Beten Sie für mich, daß die Gottesmutter auch auf mich einen Blick der Gnade werfen und meine kranke Seele laben möge, ich werde diese Stunde nie vergessen und baldigst zurückkehren, um Ihnen recht gute Nachricht zu bringen.‹«

»Damit trennte ich mich von ihr und begab mich mit meinen Zeugen in die Officia Sacra, um unsere Klage instruieren zu lassen. Über den Rest der Geschichte kann ich mich nun kurz fassen. Nachdem die Sache einmal ordnungsgemäß anhängig gemacht worden war, konnten wir der Dame auch bald die gewünschte – Nachricht« (hier wieder jenes unbeschreibliche mephistophelische Lächeln) »geben. Nach zwei Tagen, also gestern, war bereits das Urteil gesprochen und ihr in einem versiegelten Schreiben zugestellt.«

»Hm,« knurrte der Marquis nachdenklich, in dessen ursprünglich chevaleresken Natur sich eine Art von Unwillen über diese empörende jesuitische Schurkerei gegen ein wehrloses und blind vertrauendes Weib zu regen begann. »Ich gestehe Ihnen offen, Pater, ich selbst hätte es nicht als Vergnügen betrachtet, Überbringer dieser Hiobsbotschaft an das bedauernswerte Frauenzimmer zu sein.«

Der Jesuit zuckte die Achseln und maß den Franzosen mit einem seiner kältesten Blicke.

»Je nun – die heilige Kirche darf zur Erreichung gottgefälliger Ziele nicht auf das Individuum sehen. Nicht durch weltliche Finten, sondern durch geistige Ausdauer und Gewandtheit erreicht die Kirche ihr Ziel. Nur so bekommt sie alle Fäden in ihre Hand, und kann ohne Aufsehen den Weizen von der Spreu sondern. Geht hier und da auch nach irdischen Begriffen ein Weizenkörnlein zugrunde, so muß nur dagegen jedesmal auch der Vorteil in die Wagschale gelegt werden. Doch« – hier sah der Pater nach der Uhr – »meine Zeit ist abgelaufen, Marquis!«

»Aber der Schluß, das Urteil, mon Dieu, lassen Sie mich doch nicht mitten drin stecken!« rief dieser.

»Das Urteil? Nun – als die Dame das Schreiben empfangen, zeigte sie natürlich große Freude, sank aber, nachdem sie es gelesen, ohnmächtig zu Boden. Wir hatten das vorausgesehen und berechnet, und darum hatte auch der Überbringer des Schreibens den Auftrag, dieses Ereignis sogleich zu benutzen, und er vollführte den Auftrag auch sofort, indem er die Dame gleich in das ihr bestimmte Gefängnis trug, wo man sie auf ein Bett legte, ihrem Zustande überließ und einfach absperrte. Als sie erwachte, glaubte sie zu träumen und schrie um Hilfe – doch vergebens. Erst am Morgen des darauf folgenden Tages brachte man ihr das Büßerkleid und machte ihr begreiflich, – daß sie der Häresie angeklagt und zu lebenslänglichem Kerker verurteilt sei

Der Marquis stürzte ziemlich rasch ein Glas des schweren Weines hinunter, als wolle er irgendeine Bemerkung, die ihm direkt aus dem noch nicht ganz jesuitisch verknöcherten Herzen in die Kehle gestiegen war, an Ort und Stelle ertränken. Aus Politik natürlich! Und diese war am Platze. Gäbe selbst die himmelschreiende Erzählung des würdigen Pfaffen von der Jesusgasse ein weniger flagrantes Bild von seiner geheimen Macht, seinem Einfluß und seiner im Zeichen des Kreuzes unbegrenzten Rücksichtslosigkeit – der Marquis kannte sie aus tausendfachen Erfahrungen, und hatte allen Grund, sie zu fürchten.

Und doch – regte sich etwas vom gentleman in ihm, eine Stimme, welche ihn, den jesuitischen Agenten und Spion, anklagte, daß er, wenn auch indirekt, die Hand im Spiele gehabt, um ein unglückliches Weib in die Hände priesterlicher Mörder zu liefern! – – ›Der Hehler ist nicht besser wie der Stehler‹, sagt ein altes Sprichwort!

»Nun, die wäre also gut aufgehoben,« sagte er endlich, »und ich wünsche Ihnen viel Glück zu dem Fange, Pater Mariano. Aber – wie steht's mit der anderen Affäre? Voila!«

Bei diesen Worten ließ er das Gehäuse seiner goldenen Remontoiruhr aufspringen und hielt sie dem Pater vor die Augen.

»Die zehnte Stunde ist bei diesem – hm – interessanten Geplauder unbemerkt verstrichen, und ich gestehe Ihnen offen, Pater, entweder Ihr Wein, den die Jungfrau segnen und allezeit mehren möge, oder Ihre Erzählung hat mein Blut so in Wallung gebracht, daß ich auf neue interessante oder pikante Enthüllungen brenne, selbst auf die Gefahr hin, einen Spaziergang durch den Ghetto machen zu müssen!«

Der Priester hatte inzwischen aufs neue den mehrfach erwähnten, von einer Damenhand geschriebenen Brief herausgezogen, und schien nach nochmaliger Durchlesung desselben in Nachdenken zu verfallen. Während der Marquis sich eine neue Zigarre anzündete und zwischen den Rauchwolken hindurch das Gesicht des Priesters aufmerksam zu studieren schien, war dieser aufgestanden und ging, oder vielmehr angesichts der Lautlosigkeit, mit der dies geschah, glitt einigemale sinnend in dem ziemlich großen Saale auf und ab.

Endlich blieb er vor dem Franzosen stehen und sagte:

»Ist mein Aussehen ein auffällig klerikales?«

Zunächst beantwortete der Marquis diese abrupte Frage mit einem zweifellos aufrichtig gemeinten Blicke des Erstaunens. Dann glitt ein verständnisvolles und zugleich etwas spöttisches Lächeln über sein Gesicht.

»Pater, Pater,« sagte er. »Ich glaube Sie zu verstehen. Sie wollen gewiß ein bißchen ›mimen?‹ Vielleicht gar in der Tracht eines spanischen Edelmannes die schöne Ketzerin im Gefängnisse der Engelsburg, oder wo sonst Sie dieselbe interniert haben, besuchen? He? –«

»Es ist jetzt keine Zeit zum Scherzen,« erwiderte der Jesuit etwas ungeduldig. »Im übrigen haben Sie insofern richtig geraten, als ich in der Tat mich entschlossen habe, eine kleine Metamorphose mit meiner Person vorzunehmen.«

»Die erste?« fragte der Gascogner etwas spitz.

Der Pater biß sich auf die Lippen.

Er schien offenbar die erste Frage an den Marquis nur getan zu haben, um denselben glauben zu machen, daß ihm eine solche Metamorphose etwas Neues sei, während doch der Marquis zu der leisen Ironie, welche in seiner kurzen Frage lag, die vollste Berechtigung hatte.

Der Pater mochte sich wohl mehr oder minder durchschaut fühlen. Er ließ indessen die Bemerkung des Marquis unbeachtet und sagte, indem er sich mit der knochigen Hand über das kahle Kinn strich und ein launig sein sollendes Lächeln auf seinen Lippen erschien:

»Sie dürfen sich daher nicht verwundern, wenn ich auf einen Augenblick verschwinde, und Sie mich dann mit etwas mehr Bartwuchs am Kinn und in einer von der würdevollen Soutane etwas verschiedenen Tracht wiedersehen!«

»Venetianischer Gondoliere, Stierfechter oder – Bravo? He? Welche Rolle, Pater? Sie spannen meine Neugier auf die Folter!«

»Mazzinist!« erwiderte der Jesuit ruhig.

»Heilige Mutter Gottes von Loretto!« rief der Marquis aufrichtig erstaunt. »Wollen Sie in Feindes Lager gehen, ohne die Parole zu kennen? Pater, ich will mein Lebtag nicht Austern mit Chablis mehr berühren, wenn ich begreife, zu welchem Zwecke sie sich in ein Mitglied des ehrenwerten Nationalkomitees verwandeln wollen!«

» Nil admirari, mein Freund, sagt Horaz. Beherzigen Sie das; warten Sie wenige Augenblicke und begleiten Sie mich alsdann, – und Ihre Neugierde soll sehr bald gestillt sein!«

Mit diesen Worten trat der Jesuit an das über dem Tische an der Wand hängende Kruzifix und drückte den Finger auf einen an demselben befindlichen Messingknopf. Derselbe repräsentierte bei dieser Statuette einen der Nägel, welcher die linke Hand des Gekreuzigten durchbohrte. Ein vibrierender Klingellaut, wie von einer elektrischen Glocke, wurde hörbar, und der Pater stand einen Augenblick aufmerksam lauschend da. Da erscholl wieder das eigentümliche Klirren im Mauerwerke, das wir schon gelegentlich unseres ersten Besuches bei Pater Mariano gehört. Noch einmal nickte der Pater dem Marquis mit vielsagender Miene zu, ging dann rasch auf die Stelle zu, hinter welcher das erwähnte Geräusch erschollen war, und verschwand alsbald in der geheimnisvollen Weise, die alle Dinge und Personen dieses Hauses zu charakterisieren schien, hinter dem Getäfel der Wand.

Der Marquis war inzwischen aufgestanden und vor das Kruzifix getreten, vor welchem er in Nachdenken versunken stehen blieb. Zogen wohl am Geiste des Jesuitenagenten bei Betrachtung des Dulders am Marterholze Bilder von den Greueln, den Morden, den schamlosen Ränken und Betrügereien, welche unter dem Deckmantel dieses hehren, heiligen Namens Tag für Tag verübt wurden, vorbei? Erinnerte er sich vielleicht der Jugendtage im Ahnenschlosse auf französischem Boden, wo ihn gelehrt worden war, nächst Gott nichts heiliger zu halten, als die Ehre und die Freiheit des Vaterlandes? Und rief ihm vielleicht jetzt das Bild des Welterlösers mahnend in Erinnerung, daß er seine Seele einer im Finstern schleichenden Gesellschaft verkauft hatte, die sich mit den verächtlichsten und verwerflichsten Mitteln der List und Heuchelei dem Siegeslaufe einer nach Einigung, nach Selbständigkeit, nach geistiger Freiheit strebenden Nation hindernd in den Weg warf, aus rücksichtslosester Herrschsucht und Eigenliebe? Oder schweiften seine Gedanken zu einem jungen Weibe, das, hineingeworfen in den Strudel des politischen Parteilebens, erfüllt von dem Gedanken an eine edle Mission, in die ewige Stadt gekommen war, um durch sein Zutun in die Hände ränkesüchtiger Pfaffen zu fallen, und den Lohn für ihre Harmlosigkeit und schwärmerische Vertrauensseligkeit – in einem Büßerhemd und einer Kerkerzelle zu finden? – –

Eine Hand berührte die Schulter des im Augenblicke völlig von seinen Gedanken Absorbierten. Er drehte sich um und blickte überrascht auf einen schwarzbärtigen Mann, mit dunklen, ausdrucksvollen Augen, bekleidet mit einem einfachen, aber durchaus feinen Gesellschaftsanzuge, welcher unter den Falten eines weiten Radmantels, wie ihn wohl Künstler und sonstige Personen der »genialen« Richtung zu tragen pflegen, hervorguckte. Einen Augenblick starrte der Marquis den Fremden mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens an. Erst als dieser, offenbar befriedigt durch den Eindruck, den er hervorrief, in ein leises Lachen ausbrach und dem ihn Anstarrenden zurief: » Eh bien, Monsieur le Marquis, me voilà« – zuckte ein Blitz des Erkennens über das erstaunte Gesicht des Franzosen.

» Jarnidieu, Pater Mariano,« rief er. »Sie sind entweder mit dem Gottseibeiuns im Bunde, oder haben ein Praktikum beim Garderobier der Opéra comique durchgemacht. Das ist doch etwas mehr, als ich von Ihrer schauspielerischen Geschicklichkeit erwartet habe!«

»Kommen Sie, kommen Sie, mein lieber Marquis,« rief der in der Tat aufs täuschendste metamorphosierte Jesuit dem Franzosen, ihn am Arme fassend, zu. »Sie wissen: nil admirari! Im übrigen – wir haben keine Zeit zu verlieren, und ich habe Ihnen versprochen, Ihnen einen kleinen, aber eklatanten Beweis davon zu geben, daß die Jünger des heiligen Ignatius von Loyola in puncto Schlauheit und Kombinationsgabe, sich doch nicht so leicht um ihr altbewährtes Renommee bringen lassen werden durch die Ketzer und Revolutionäre des Signore Mazzini. En avant, mon ami!«

Der Marquis, dessen Erwartung nun in der Tat aufs höchste gespannt war, beeilte sich, seinen eleganten Paletot umzunehmen, um seine zierliche, französische Figur mit dem tadellosesten Hut zu krönen. Der Jesuit stülpte, in Rücksicht auf die Gesetze der Harmonie, einen zu seinem weiten Radmantel trefflich passenden, breitkrempigen Kalabreser auf und öffnete dem Marquis dieselbe Tapetentüre, durch welche wir vor etwa einer Stunde den unglücklichen Sekretär Tommaso verschwinden sahen. Ein matt erhellter Korridor lag vor ihnen. Sie gingen einige Schritte vorwärts und gelangten an eine zweite Türe, die auf eine dunkle Treppe führte. Der Jesuit zog eine kleine Taschenlaterne aus seinem Mantel hervor, zündete sie an und ging dem Marquis voran, die Treppe hinab. Bald waren sie in einem von ziemlich hohen Mauern eingeschlossenen Hofraum angelangt. Sie gingen quer über denselben hinweg und standen wiederum vor einer kleinen, eisernen, in die Mauer eingefügten Türe.

»Bitte, folgen Sie mir jetzt vorsichtig,« flüsterte Pater Mariano dem Marquis zu. »Wir haben hier einige steile Stufen hinabzugehen.«

» Fichtre!« rief der Marquis, als ihm, nachdem der Pater die eiserne Pforte geöffnet hatte, dumpfe, feuchte Kellerluft entgegenwehte. »Mir scheint's, Sie wollen mich ein Kapitelchen aus dem Grafen von Montechristo erleben lassen, Pater. Verteufelt geheimnisvoll das!«

»Sie haben vielleicht eine lebhafte Phantasie,« erwiderte der Priester mit leisem Lachen. »Mir sind diese sogenannten ›Geheimnisse‹ Alltäglichkeiten, und von der Ausübung der mir durch Gott und meine Obern auferlegten Pflichten unzertrennlich.«

» Congratulor spectasissime pater!« sagte der Marquis, sorgfältig seinen eleganten Paletot zusammennehmend, um denselben möglichst vor Berührung mit den schmutzig-feuchten Wänden des dunklen Ganges, dessen steile Stufen sie jetzt hinabstiegen, zu schützen. »Wenn Ihre Pflichten Sie veranlassen, häufig solche Touren durch unterirdische Kellergänge mit halsbrecherischen Treppen und moderfeuchten Wänden zu unternehmen, dann sind Sie wirklich aufrichtig zu beglückwünschen. Parbleu, ich möchte wohl wissen, was meine parkettgewohnten Lackstiefeln zu diesem Boden von zweifelhafter Färbung sagen werden!«

In der Tat war der Weg, welchen die beiden jetzt beschritten, nicht gerade ein sehr angenehmer zu nennen, denn selbst nachdem die Stufen glücklich zurückgelegt waren, setzte sich der Gang, welcher so niedrig war, daß beide Männer nur mit tiefgebeugtem Rücken darin gehen, und so schmal, daß sie nur einer hinter dem andern langsam sich vorwärts bewegen konnten, noch eine beträchtliche Weile fort, doch nicht in gerader Linie, sondern oft scharfe Ecken nach rechts oder links, oder beträchtliche Kurven beschreibend. Der Pater sprach während dieser unterirdischen Wanderung kein Wort, und auch der Marquis schien in dieser, keineswegs mit einem großen Prozentsatz atembarer Gase gefüllten Luft, seine ganze, sonst so glänzende Redseligkeit eingebüßt zu haben.

Endlich blieb der Jesuit stehen und warf den grellen Schein seiner kleinen Blendlaterne auf die Stufen einer zweiten, der vorher beschriebenen ähnlichen Treppe.

»So, Herr Marquis, nun haben wir bloß noch diese Stufen zu überwinden; und alsdann werden wir uns sogleich im Freien befinden.«

»Desto besser!« knurrte der Marquis. »Ich werde ganz zufrieden sein, wenn ich die Regionen der Unterirdischen verlassen habe. Für die Katakomben von Rom habe ich niemals ein großes faible gehabt.«

Die Stufen waren alsbald zurückgelegt, und der Jesuit schloß wiederum eine niedrige, eiserne Pforte. Als sie dieselbe passiert hatten, atmete der Franzose tief und erleichtert auf. Was waren die Unbilden des herniederströmenden Regens gegen das angenehme Gefühl, die frische, würzige Nachtluft wieder einatmen zu können.

Sie standen wiederum in einem Hofraume, ähnlich dem hinter dem Hause des Pater Mariano befindlichen, umgeben von hohen, nackten Mauern, nur bei weitem größer noch und düsterer, als der vorerwähnte. Der Regen plätscherte auf den mit glatten Fliesen gedeckten Fußboden des Hofes nieder, während die beiden Männer auf das hohe, den Hintergrund des Hofes abgrenzende Gebäude zuschritten. Es war alles totenstill ringsum, bis auf das eintönige Geräusch des niederfallenden Regens und den leisen Widerhall, den die Schritte der nächtlichen Wanderer ringsum erweckten. Düster und gespenstisch ragte das Gemäuer des hohen, mit einem Turme geschmückten Gebäudes aus einer Gruppe von Bäumen hervor, welche eine Art von Promenade quer vor dem Eingange zu dem Hause zu bilden schienen.

Der Pater blieb stehen und wandte sich an den Marquis. Seine kleinen, scharfen Augen ruhten fest auf dem Gesichte des Franzosen, und seine Hand legte sich schwer auf die Schulter desselben.

»Marquis,« sagte er, »Sie kennen die Regeln, welche unser Orden seinen dienenden Mitgliedern vorschreibt?«

Es lag etwas in dem Tone, in welchem der Jesuit diese Frage stellte, was dem Marquis verbot, dieselbe in seiner gewöhnlichen, sarkastisch-spöttischen Weise zu beantworten. Er erwiderte daher, jedoch nicht ohne eine deutliche Nuance von Erstaunen:

»Gewiß, Pater, ich kenne, wie Sie wissen, diese Regeln zur Genüge.«

»Erinnern Sie sich auch der Strafen, welche auf deren Verletzung gesetzt sind?«

»Zweifellos.«

»Sie waren noch nie im Kloster des Heiligen Ignatius?«

»Einmal, im Refektorium, um meinen Vetter zu besuchen, welcher, wie Sie wissen, dem Orden angehört.«

»Ganz recht. Im Inneren waren Sie niemals?«

»Niemals!« lautete die Antwort.

» Bene. Sehen Sie dieses Gebäude? Es ist der hintere Flügel des Klosters.«

Der Marquis blickte nicht ohne Neugier zu dem düsteren Hause empor, dessen dunkle, große Bogenfenster wie die lichtöden Augen eines Erblindeten in die Nacht hinausstarrten.

»Es ist selten, daß irgend jemand, der in dem Verhältnisse wie Sie zu unserem Orden steht, diese Stätte betritt. Daß ich Sie heute bitte, mich zu begleiten, hat seine Gründe, die Ihnen später klar werden dürften. Allein ich darf Sie nicht mit mir die Schwelle dieses Hauses übertreten lassen, ohne Sie, wie ich soeben getan, an das abgelegte Gelübde des Gehorsams und des Schweigens zu erinnern. Marquis – was Sie auch sehen mögen – kein Wort darf draußen in der Welt davon über Ihre Lippen kommen!«

»Sie wissen, Pater,« erwiderte der Franzose sehr ruhig und fest, abweichend von dem Tone, den er für gewöhnlich anzuschlagen beliebte, »daß einem französischen Edelmann sein Wort heilig ist – oder sein Eid, wenn Sie das lieber hören. Im übrigen, glaube ich, kennen Sie mich.«

»Ich wollte Sie nicht verletzen, Marquis,« entgegnete der Priester. »Nur Sie zu warnen hielt ich für meine Pflicht. Nun noch eins: Ich werde Sie jetzt an einen Ort führen, wo ich Sie alsdann auf einige Zeit allein lassen und Sie bitten muß, sich möglichst ruhig zu verhalten, so daß die betreffende Person, mit welcher ich eine Unterredung habe, nichts von Ihrer Anwesenheit ahnt. Sie werden sowohl hören, was gesprochen wird, als auch die Person, zu welcher ich sprechen werde, sehen. Insbesondere bitte ich Sie, letztere Gelegenheit nach Kräften zu benutzen. Prägen Sie sich die Züge der betreffenden Person genau ein. Und – nun bitte, kommen Sie.«

Sie schritten auf die Baumallee zu und standen bald an einer Pforte, deren massive Konstruktion und eisenbeschlagenes, altertümlich geformtes Schloß den Marquis an den Eingang zu einem wohlverwahrten Gefängnisse erinnerte.

Der Jesuit drückte dreimal an einem Messingknopf, der sich dicht unter dem Schlosse befand, und nach Verlauf von wenigen Minuten, welche dem in Erwartung gespannten Franzosen Stunden zu sein dünkten, erschien plötzlich hinter einer durch einen Schieber verdeckt gewesenen Öffnung die im Dunkel der Regennacht kaum deutlich wahrnehmbare Form eines menschlichen Kopfes. Rasch beugte sich der Jesuit vor und flüsterte leise einige Worte. Der Schieber schloß sich und die Tür sprang auf. Beide traten ein und befanden sich in einer Art von Rotunde, in deren Mitte von der Decke herab eine Ampel ihr mattes Licht über den mit schlichter, schwarzer Holztäfelung ausgestatteten Raum ergoß. Von dieser Rotunde, welche nur zwei nach der Piazza hinausgehende Fenster hatte, zweigten sich vier anscheinend lange Gänge in verschiedenen Richtungen ab. An der der Eingangstür gegenüber liegenden schmalen Wand, die von der Ausmündung zweier Korridors begrenzt ward, stand ein kleiner Altar, mit schwarzem, silbergesticktem Samt bedeckt, über dem sich ein hohes, mit bemerkenswerter künstlerischer Vollendung ausgeführtes Kruzifix von weißem Marmor befand. Kein menschliches Wesen, außer dem Priester und seinem Begleiter, war in diesem kapellenartigen Raume, in welchem selbst die Schritte durch schwere Strohmatten gedämpft wurden, zu erblicken. Der Jesuit bekreuzigte sich und kniete vor dem Altare nieder. Der Marquis folgte als frommer Katholik seinem Beispiele. Fast gleichzeitig erhoben sich beide.

»Nun kommen Sie,« sagte Pater Mariano, »und denken Sie an das, was ich soeben zu Ihnen gesprochen.«

Gleich darauf waren beide in dem links vom Altare sich abzweigenden Korridor verschwunden.

Leise verhallten ihre gedämpften Schritte in der Ferne.


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