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Es gibt Frauengesichter, in denen ein langjähriges, wechselvolles Spiel der Leidenschaften in immer steigender Weise verschönernd wirkt. Eine beträchtliche Dosis von dieser mehr oder minder seltenen Himmelsgabe hat die »pikante« Französin. Für ein etwas empfängliches Männerherz ist bekanntlich die beauté du diable einer Pariser Grisette ein Magnet von zauberischer Kraft. Und – verfolgen wir hier und da die Lebensgeschichte eines solchen weiblichen Schmetterlings, so würden wir Momente finden, von denen wenige genügten, um das Antlitz einer weniger elastisch gearteten Sterblichen mit jenen Furchen zu durchziehen, deren Anblick dem philosophischen Beschauer unwillkürlich die Reminiszenz aus jenem alten Volksliede auf die Lippen zaubern dürfte:
– – – Hast manchen Sturm erlebt! – –
Man kann ein Gleiches von der Tochter der bella Italia nicht behaupten. So früh die italienische Sonne die unter ihr blühenden Mädchenblumen zur köstlichsten Vollreife zu bringen fähig ist, so rasch wirkt sie auch verdorrend. Von dieser allgemeinen Regel bildete nun freilich die Fürstin Camilla von Bentivoglio eine ebenso auffällige, wie glänzende Ausnahme. Ihrer phänomenalen Schönheit, obwohl sie in jedem Zuge den unverfälschten Stempel der italienischen Rasse trug, hatte das aufregende Treiben der Politik, in welches sie sich, wie wir wissen, mit Leib und Seele gestürzt hatte, auch nicht das Geringste anzuhaben vermocht. Der Dämon der Schönheit thronte noch in voller Majestät auf diesem Antlitz im ebenholzfarbenen Rahmen und die roten, vollen, nach echt hellenischem Muster geformten Lippen atmeten noch jugendliche Frische. Nur der Ausdruck der Augen war einigermaßen verändert, seit wir zuletzt in dieselben geblickt.
Wir sahen in der eleganten Villa der Allée d'Antin zu Paris die schöne Principessa zuletzt, als sie träumend vor dem Bilde ihres Jugendgeliebten Orsini saß und die Betrachtung jenes Ringes mit der Aufschrift: » Sorella, anche te chiama la patria!« ihren Geist in ferne, stürmische und kampfvolle Tage versetzt hatte. Damals lag etwas wehmutsvoll Sinnendes in diesem schönen Augenpaare, der letzte scheidende Lichtreflex einer schwärmerischen, hochidealistisch veranlagten, doch reinen und unschuldsvollen Seele. Allein wir wissen auch, daß damals schon der zarte Schmetterlingsstaub von dieser Seele zum Teil hinweggeweht war, daß das Weib, dem Rufe des Vaterlandes folgend, dem französischen Imperator selbst ihre Ehre geopfert und die Ideale der Politik vor den reinsten Idealen der Frau in den Hintergrund getreten waren. Die Menschenseele hat Stunden der Reaktion, wie der Wahnsinn seine lichten Augenblicke, das Verbrechen seine Momente wehmutsvoller Einkehr und Reue. In einer solchen Stimmung, welche die guten Eigenschaften des Menschenherzens noch einmal sichtbar an die Oberfläche treibt, trafen wir damals Camilla an, und lasen aus ihren Augen tiefe und warme Gefühle, die ihre Nahrung in schönen Erinnerungen fanden. Doch zwischen dem Damals und dem Jetzt liegen zwei volle Jahre, die aus der gefühlvollen Schwärmerin eine – rücksichtslose Zelotin gemacht, deren seelische Gefühle sich nur in einem Punkte konzentrierten: die Freiheit der Völker! An der Spitze ihrer ehrgeizigen Pläne stand selbstverständlich noch, in ungeschwächter Kraft, die Sehnsucht nach einem freien, geeinten, republikanischen Italien, aber ihr Gedankenflug ging jetzt weit höher und malte ihr Bilder vor von ganzen Völkern in Waffen, ringend nach jenem chimärenhaften Ideale der Freiheit, wie sie Träumer und Demagogen sich gedacht, jener falsch verstandenen Freiheit, der zu Liebe
»Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!«
Kurz – unsere schöne Fürstin war Revolutionärin im großen Stile geworden, die mit herzlosester Koketterie alle ihr zu Gebote stehenden Mittel, alle die herzzerbrechenden Ränke und Verführungskünste eines dämonisch schönen Weibes mit rücksichtslosester Energie in Anwendung brachte, wo es galt, ihr Ziel zu erreichen.
Das Haus des Bäckers Asti war keine Villa in den Champs-Elysées und die Räume in demselben paßten eigentlich herzlich schlecht zu Boudoirs für eine Dame von fürstlichem Stande und von luxuriösen Neigungen. Doch die obwaltenden Verhältnisse, welche in erster Linie Vorsicht und Verborgenheit vor den Augen der neugierigen Turiner Polizei erheischten, machten die dunklen Zimmer mit den verräucherten Tapeten und primitiven Möbeln, deren Fenster auf die enge, dunkle, von »Gevatter« Schneider und Handschuhmacher bewohnte Strada di Giovanni hinausblickten und deren eigentlicher Besitzer und Eigentümer vermöge seiner geradezu lächerlichen Häßlichkeit und Plumpheit ganz verzweifelt schlecht zu einem fürstlichen Majordomo paßte, dennoch zu einem ganz geeigneten Aufenthalte für die Fürstin von Bentivoglio, in ihrer Eigenschaft als mazzinistische Verschwörerin.
In dem Augenblicke, wo wir das Zimmer in dem genannten Hause betreten, befand sich die Fürstin Camilla in der Gesellschaft des ehrsamen Fornajo Bäcker. und Hausherrn, des eben erwähnten Signore Asti. Ein prächtiger Kontrast zu der auf dem Sofa zurücklehnenden, herrlichen Frauengestalt, welche selbst diesem altersschwachen, mit verblichenem Kattun überzogenen Möbel für den Augenblick den Nimbus einer salonberechtigten Chaiselongue zu geben vermochte. Signore Asti war ungefähr nach dem Muster einer Mohrrübe gebaut mit der stilvollen Zugabe eines mächtigen Höckers, der sich mit mathematischer Akkuratesse genau in die Mitte zwischen die Schultern des würdigen Herrn plaziert hatte. An dem auffällig großen, runden Kopf hing ein dünner, nach unten hin immer mehr sich zuspitzender Körper, und die an Wurzelfasern erinnernden, zu beiden Seiten herabhängenden Arme waren so auffällig dünn, daß man ernsten Zweifel in die Fähigkeit derselben setzen mußte, am Backtroge irgendwelche nennenswerte Arbeit zu verrichten. In dem Gesichte des kleinen, etwa bis an die Hüften eines »Potsdamer Riesengardisten« reichenden Mannes thronten allerlei wunderbare Kobolde. Dicht unter den buschigen Augenbrauen, welche die kleinen, verschmitzt hin und her oszillierenden Augen fast ganz verdeckten, schoß eine ebenso lange, wie nach den anderen Dimensionen hin sehr kräftig entwickelte Nase hervor, welche die stark aufgeworfenen, von sinnlichen und begehrlichen Neigungen zeugenden Lippen in nicht gerade sehr anmutiger Weise beschattete. Das Eigentümlichste aber an diesem klassisch häßlichen Gesicht war die kautschuckartige Beweglichkeit der Gesichtsmuskeln, welche dem größten Mimen alle Ehre gemacht haben würde und dem Signore Asti etwas Chamäleonartiges verlieh. Eben noch lag der Ausdruck devotester Bescheidenheit und fast weinerlicher Demut auf seinen Zügen, da blitzte urplötzlich ein höllisches Lächeln in demselben auf, verwandelte sich im Nu in ein teuflisches Grinsen, ging in den Ausdruck gemütlichster Bonhommie über, machte der Miene ausgesuchtester Dummheit Platz, um vielleicht am Schluß das Gesicht wie glühend von heiligem Zorne und sittlicher Entrüstung erscheinen zu lassen.
In diesem Augenblicke, wo die großen, von langen Wimpern beschatteten Augen der Principessa auf ihm ruhten, atmete unser Chamäleon aus jeder Faser seines dünnen Körpers tiefste und maßloseste Ergebenheit. Das einzige blitzartige changement de decoration, das sich sein Antlitz gönnte, war hier und da ein rascher Blick der Begehrlichkeit, mit welchem er in unbewachten Momenten die üppigen Formen der vor ihm liegenden Frauengestalt überflog. Letzteres konnte ein unparteiisches Gemüt ihm eigentlich nicht verdenken, denn Camilla sah in ihrer nachlässigen Stellung geradezu berückend schön aus.
» Ebbene, Signore Asti,« sagte sie mit ihrer klangvollen Stimme, den kleinen Mann mit den freundlichsten der ihr zu Gebote stehenden Blicke musternd, »so meinen Sie, daß wir in Ihrem kleinen Hause so sicher sind, wie bisher. Hat sich darin im Laufe der Zeit nichts geändert, und ist Ihre werte Polizei inzwischen nicht schlauer geworden?«
Der Bäcker hob, wie beteuernd, einen seiner dünnen Arme in die Höhe.
»Oh, Principessa –«
» Zitto là, Signore,« unterbrach ihn Camilla, mit dem Finger drohend. »Sie wissen, daß ich hier nichts anderes bin, als Signora Camilla. Wenn man wirklich überall sein Inkognito aufrecht erhalten will, so muß man seine Umgebung strikt daran gewöhnen, dasselbe auch dann zu respektieren, wenn scheinbar keine äußerliche Notwendigkeit dafür vorliegt. Sie wissen, daß mein Name hier in Turin nicht genannt werden darf, ebensowenig wie in Rom!«
»Verzeihen Sie, Signora,« erwiderte Asti mit tiefster Verbeugung. »Ich werde mich allezeit daran erinnern, so schwer es mir auch fällt, bei Ihrem Anblick die Fürstin zu vergessen. Doch, in der Tat, mein Haus ist so sicher wie Abrahams Schoß, und unser Meister selbst brauchte sich nicht zu fürchten, unter meinem Dache zu schlafen. Signore Ormelli wird Ihnen sagen können, in welcher Achtung ich bei der hiesigen Polizei stehe, und meine ganze Umgebung ist so sorgfältig aus den loyalsten Elementen von Turin gewählt, daß selbst der durchtriebenste Sbirre in meinem Hause nicht einen Schlupfwinkel für unser Nationalkomitee, das die heilige Jungfrau beschützen möge, zu wittern vermöchte.«
»Gut, gut,« erwiderte die Fürstin lächelnd. »Um so besser für Sie und uns. Sie wissen ja auch, daß Ihnen die Politik mehr einbringt, als Ihre Brote und Semmeln. Doch, wie kommt es, daß es der anderen Partei unter unseren werten Gegnern, ich meine den schlauen Jesuitenspionen, nicht auffällt, wenn hier in der stillen Strada di Giovanni häufig eine größere Anzahl von Personen zusammenkommt, denen ein Kind ansehen kann, daß sie eigentlich nicht hierher gehören?«
Diesmal steckte der Bucklige sein widerwärtiges Lächeln auf.
»Sehr einfach, Signora,« sagte er. »Wenn Sie die Gewogenheit haben wollen, gelegentlich das Schild an meinem bescheidenen Hause zu betrachten, so werden Sie sehen, daß unter dem » mestiere di fornajo« Bäckerei. auch noch » albergo per fornaji« Herberge für Bäcker. zu lesen ist. Nun, Signora, obwohl, wie Sie ganz richtig andeuteten, die Spione der frommen Herren in Rom weit durchtriebener sind, als unsere braven Sbirren, und es sich auch wohl viel eifriger angelegen sein lassen, uns auf die Spur zu kommen, als jene, so kann es doch selbst dem Schlauesten der Schlauen nicht auffallen, wenn in einer Herberge oft eine größere Anzahl stellensuchender und durchreisender Bäckergesellen zusammen kommen. Sehen Sie, Signora« – und bei diesen Worten zog er ein feuerrotes, baumwollenes Taschentuch aus der Tasche seiner Samtjacke – »eine gewisse, verabredete Bewegung mit diesem ebenso harmlosen, wie unentbehrlichen Gegenstande – Verzeihung, Signora, daß ich Ihre Augen mit demselben belästige – läßt mich sofort erkennen, wer wirklich meinem ehrsamen Handwerk angehört, und wer in anderer Absicht, in Angelegenheiten unserer gemeinsamen guten und edlen Sache meine Herberge betritt. Denn alle Mitglieder unserer Partei hier in Turin zu kennen, das, Signora, ist schlechterdings unmöglich, es sind ihrer zu viele. Bin ich nun meiner Sache sicher, dann öffne ich ganz wie unversehens eine Türe hinter meinem Pulte im Herbergszimmer und von dort aus führt eine Treppe in einen sehr geräumigen Keller, welcher hinter meiner Backstube gelegen, aber durch eine sehr dicke Mauer von derselben getrennt ist. Selbst wenn meine Gesellen dicht daneben bei der Arbeit sind, können sie nicht einen Laut von dem hören, was in dem anstoßenden Raume vor sich geht. Signore Ormelli wird Ihnen sagen können, daß in ganz Turin für unsere Zwecke kein besseres Haus gefunden werden kann, als das meinige.«
Ein leises Klopfen störte in diesem Augenblicke den Bäcker in seinem beredten Panegyrikus. Gleich darauf öffnete sich auch die Türe und ein schwarzlockiger Kopf mit einem wunderbar prächtigen Paar dunkelblauer Augen zeigte sich in der Öffnung.
»Erlaubt Signora?« tönte es mit heller Stimme.
Die Fürstin richtete sich aus ihrer bequemen Stellung etwas auf und winkte mit einem freundlichen Lächeln die Fragerin zu sich heran. »Du weißt, Marianna, kleiner Schelm, daß es bei dir keiner besonderen Erlaubnis bedarf!« rief sie der Eintretenden entgegen, welche nicht versäumte, dem höflich zur Seite tretenden Signore Asti einen so koketten Feuerblitz zuzusenden, daß diese menschliche Mohrrübe sich bis ins innerste Mark getroffen fühlte und vor lauter Wohlgefallen die Wurzelfaserarme in nervöser Weise hin- und herschwingen ließ. Der edle Bäckermeister war keineswegs unempfänglich für weibliche Schönheit und es wäre daher ungerecht gewesen, wollte man es ihm in diesem Falle übelnehmen, daß ihn »wonniges Behagen« ergriff. Marianna war in der Tat ein reizendes Geschöpf, wenn auch ihre Schönheit von der strahlenden der Fürstin Bentivoglio wesentlich verschieden war. Wir haben gesehen, daß der schwarze Lockenkopf auf der Veranda des Café di Parigio dem kecken Vicomte de Résancourt ganz gewaltig imponiert hatte.
Marianna meldete, daß die beiden Herren sich pünktlich einstellen würden und daß Signore Ormelli soeben den Fuß auf die Treppe gesetzt habe, um der Signora seine Aufwartung zu machen. Marianna stand zu der Fürstin in dem oft sehr schwer definierbaren Verhältnisse einer Dame de compagnie, und die phantastische Dame hatte an dem reizenden Geschöpfe sich – wie die plumpe, aber ehrliche deutsche Sprache sagt – einen Narren gefressen. Die Art und Weise, wie die beiden schönen Weiber sich kennen gelernt, war eine äußerst romantische.
* * *
Marianna war ein Sproß des wendischen Landes – eine echte Lausitzer Schönheit. In einem sehr bekannten Städtchen der sächsischen Oberlausitz, war sie, die Tochter wohlhabender Eltern, welche dem verwöhnten einzigen Sprößling eine treffliche Erziehung angedeihen ließen, den Versuchungen eines reichen Rittergutsbesitzersohnes anheimgefallen, der in Stadt und Umgegend als notorischer Wüstling bekannt war, aber die Vorzüge imponierender körperlicher Schönheit und eines unabhängigen, von der Mutter ererbten Vermögens auf seiner Seite hatte. Mächtige Hebel, um feurige Mädchenherzen zu gewinnen und – leichtsinnige Mädchenköpfe zu betören. Die Eltern Mariannens wehrten sich ganz energisch gegen die Ehre, diesen Lausitzer Don Juan ihren Schwiegersohn zu nennen, und sie wandten selbstverständlich ihre ganze elterliche Autorität an, um den jungen Geier von ihrer Taube fernzuhalten, als sie seine häufige Annäherung merkten. Aber diese Autorität scheiterte an einer sehr harten und scharfen Klippe, nämlich an dem eigenwilligen und verschrobenen Köpfchen der verhätschelten Tochter. Dieser Trotzkopf behielt insofern den Sieg, als die Inhaberin desselben eines schönen Morgens vor Sonnenaufgang mit dem reichen Roué aus dem Städtchen verschwand. Den armen Eltern brachen die Herzen vor Gram und den männlichen und weiblichen Klatschbasen die Zungen vor Anstrengung in der Kritisierung dieses sensationellen Ereignisses. Beides kümmerte aber weder das leichtsinnige Mädchen, noch den viel gewissenloseren Galan, welcher beschlossen hatte – so sagte er wenigstens zu seiner »Braut« – herrliche Flitterwochen mit ihr in der russischen Metropole zu verleben. Diese Honigwochen waren in der Tat in gewissem Sinne ganz herrlich, nur hatte die Sache einen Haken, insofern nämlich, als der »Bräutigam« absolut keinen Geistlichen irgendwelcher Konfession finden zu können schien, welcher diesem eigenmächtig geschlossenen Bunde die kirchliche und somit rechtliche Weihe gab. Hätte Marianna damals freilich gewußt, daß ihr teurer, innigstgeliebter Benno – so hieß der Verführer – die Zeit, die er angeblich zur Regulierung der obenerwähnten, sehr wichtigen und – sehr eiligen Angelegenheit verwandte, in Gesellschaft der Veuve Cliquot und noch einer anderen, sehr hübschen und sehr jungen Petersburger Witwe verbrachte, so würde sie vielleicht etwas eher und vielleicht zu rechter Zeit aus ihrem schönen Traume aufgewacht sein. Doch die Liebe ist bekanntlich blind, und so war Mariannen das Erkennen der furchtbaren Wirklichkeit bis zu dem Tage vorbehalten, an welchem Freund Benno, unter Hinterlassung eines rosafarbenen Billetts und einer Handvoll grüner Rubelscheine aus Petersburg verschwand, um, wie er sagte, seine durch das Petersburger »Klima« etwas angegriffene Gesundheit in dem sonnigen Italien wieder auf die Beine zu bringen. Der Schlag war freilich ein bitterer und hätte ein sensitiveres Herz, als das Mariannens war, wohl vollständig gebrochen, um so mehr, als sich Benno von seiner Angebeteten alle holden Gaben eheweiblicher Liebe hatte pränumerando zahlen lassen, ein Umstand, welcher auf die Situation des jungen Mädchens nicht ohne Einfluß geblieben war. Doch statt daß finsterer Gram oder gar bittere Reue sich in das Herz der Betrogenen einschlich, erfaßte sie ein wilder Trotz, ein Übermut der Verzweiflung. Zu stolz, zu eigensinnig vielleicht, zu ihren Eltern zurückzukehren, zu stolz selbst, sich und der Welt zu gestehen, daß ihr Verführer sie zugrunde gerichtet und ihr Herz gebrochen habe, schlug sie dem Schicksal ein Schnippchen und lief stolzerhobenen Hauptes, mit wildem Humor – tiefer hinein in den Sumpf. Ihre Karriere fand einen Stillstand in einer öffentlichen Anstalt der russischen Metropole, in welcher Frauen und Mädchen der schwersten Stunde entgegen sehen, welche die Bestimmung der Frau für dieselbe mit sich bringt. In einer solchen Anstalt, wo viel Sünde und Schande und auch viel unverschuldetes Elend mit dem Mantel christlicher Toleranz und Barmherzigkeit zugedeckt wird, fehlt es natürlich nicht an geistlichem Trost für die Insassen. So kam es denn, daß Marianna, welche der Wahrheit gemäß, sich als Angehörige der römisch-katholischen Kirche ausgegeben – mit um so größerer Genugtuung, als sie durch diese Erklärung den geistlichen Tröstungen und Ermahnungen langhaariger Popen entging, deren »spirituelle« Veranlagung sich schon durch ihren Atem verriet – eines Tages an ihrem Lager einen in jeder Beziehung aalglatten, aber sehr frommen Pater erblickte. Marianna hatte insofern Glück gehabt, als das Schicksal ihr nicht die Schuld aufbürdete, einem Nachkommen des galanten Benno das Leben gegeben zu haben. Das kleine Wesen, welches dem unseligen Verhältnis sein Dasein verdankte, hatte kaum das Licht der Welt erblickt, als es die Augen wieder für immer schloß. Einen Augenblick, als Marianna das Kind in den Armen hielt, waren weiche und wehmütige Empfindungen in ihrer Seele aufgewacht, doch mit dem davonfliegenden kleinen Seelchen flüchteten auch diese warmen, auf dem heiligen Boden der Mutterliebe entsprossenen Regungen, und die alten, bösen Dämonen nahmen wieder ihren alten Platz im Herzen des schönen, verlorenen Mädchens ein. Gegen diese Dämonen schickte sich der ehrwürdige Pater Josephus an zu kämpfen. Vergeblich! Er hatte vielmehr Gelegenheit, einen der bizarrsten und rücksichtslosesten Mädchencharaktere zu studieren, denen er jemals bei seinen Beichtstuhlerfahrungen begegnet. Und – merkwürdig – je mehr der Priester sich in dieses Studium vertiefte, um so mehr wuchs auch sein Interesse für Marianna, um so mehr schien er den salbungsvollen Ton abzulegen, welchen er, in mechanischem Pflichtgefühl, der jungen Sünderin gegenüber angenommen. Dies gefiel Marianna, die ohnehin in dieser russischen Umgebung ganz bedeutend an langer Weile zu leiden begann, und so entwickelte sich zwischen der Patientin und ihrem geistlichen Berater ein Verhältnis ganz wunderbarer Vertraulichkeit. Als Marianna schon längst außer Bett war, wurde sie durch den Einfluß des katholischen Priesters noch, als angeblich zu schwach, in der Anstalt gehalten, und dieser Priester hatte unten in seinem Sprechzimmer mit einem der jungen Doktoren der Anstalt, der zufälligerweise gleichfalls der alleinseligmachenden Kirche angehörte, sehr eifrige und sehr geheime Konferenzen, an denen Marianna einigemale teilnahm. Eines Abends kehrte sie in das ihr zugewiesene Zimmer mit einem kleinen, in schwarzes Leder gebundenen Büchelchen, das sie sehr eifrig studierte, und mit einem schlichten Goldring zurück, den sie mit befriedigtem Lächeln betrachtete. Der Ring war ohne alle Verzierungen. Nur auf der Innenseite desselben war ein winzig kleines Kreuz und ein Schwert eingraviert.
Wenige Tage darauf stattete die Fürstin von Bentivoglio, welche, wie wir wissen, sich einige Zeit in Petersburg aufhielt, dem Frauenhospital einen Besuch in voller Glorie ab, aus reinem Interesse natürlich für die humanitären Institute der großen Metropole, wie sich das für eine so hochstehende Dame ja nicht anders gehörte. Bei diesem für die weiteren Schicksale der schwarzäugigen kleinen Sünderin höchst denkwürdigen Besuche diente der oben bereits erwähnte junge Arzt der schönen Fürstin als Führer durch die Räume des Hospitals. Marianna saß, sehr vorteilhaft in ein Morgenkleid von jener koketten Einfachheit gehüllt, welche einer jugendfrischen Schönheit so trefflich zu Gesicht steht, am Fenster des als Lese- und Unterhaltungszimmer für die Patientinnen bestimmten Raumes. Der Arzt stellte sie der Fürstin vor mit der geschäftsmäßigen Ruhe und Gleichgültigkeit eines professionellen Stellenvermittlers. Auch der aufmerksamste Beobachter hätte nicht eine Spur davon entdecken können, daß der Arzt irgendwie näher mit Marianna bekannt war, oder daß irgendein dieses Interview mit der Fürstin betreffendes, geheimes Einverständnis zwischen ihnen existierte. Marianna war sehr munter und gesprächig und schien eine ganz auffällige Freude zu empfinden, als ihr von seiten der Fürstin von Bentivoglio erklärt wurde, daß sie eine ihr ergebene, treue und vor allem gebildete und heitere Gesellschafterin suche, daß man ihr, da sie zufälligerweise mit dem jungen Arzt, der ihre Gesellschaften besuche, bekannt sei, Marianna empfohlen und sie mit einem Teile von ihren, Mariannens, traurigen Lebensschicksalen bekannt gemacht habe, und daß sie auf den ersten Blick hin glaube, in ihr gerade die Person gefunden zu haben, welche sie suchte. Die Fürstin versicherte übrigens wiederholt, Marianna möge sich nicht etwa wundern, oder irgend etwas Unerklärliches dahinter suchen, daß sie sich nicht in andern Kreisen nach einer dame de compagnie und Reisebegleiterin umgesehen habe. Einerseits sei die Empfehlung eine sehr warme gewesen, andererseits habe sie bei Anhörung der abenteuerlichen Schicksale Mariannens sofort ein so lebhaftes Interesse für sie empfunden, daß sie, selbst ein extravaganter Charakter, wie sie lächelnd hinzusetzte, sofort entschlossen gewesen sei, dem Institute einen Besuch abzustatten und sich Marianna wenigstens einmal anzusehen. Auch hatte es nicht an der Versicherung gefehlt, daß die Fürstin eine ihr sympathische Gefährtin haben wolle, keine Dienerin, daß somit die Stellung Mariannens eine in jeder Beziehung angenehme sein werde. Natürlich schlug das schöne Lausitzer Kind mit Freuden ein, diesmal eigentümlicherweise, ohne erst die Ansicht des frommen Paters, ihres geistlichen Beraters, zu hören, den Marianna sonst, wie dies ihre Gefährtinnen im Hospital wohl wußten, in allen, auch in weltlichen Dingen allezeit zu Rate zog. Ja, dieser ehrwürdige Seelenhirt schien überhaupt seit jenem Tage alles Interesse für das verirrte Schaf verloren zu haben. Er ließ sich mit Ausnahme der regelmäßigen Betandachten gar nicht mehr oben bei Marianna sehen, und die übrigen Patienten waren nicht abgeneigt zu glauben, daß es dem Geistlichen nicht gelungen sei, die verhärtete kleine Sünderin zu bekehren. Offenbar lag es allen dreien, dem Jesuitenpater, dem jungen Arzte und der schönen Deutschen, welche in dem schwarzen Büchlein mit großem Eifer studierte, viel daran, ihrer Umgebung, vor allem auch der Fürstin, die Marianna häufig besuchte, klar zu machen, daß sie eigentlich einander durchaus gar nichts angingen, und daß sie absolut kein gegenseitiges weiteres Interesse aneinander hätten, als die Zufälligkeit der Verhältnisse es gerade erheischten.
So zog denn Marianna, nachdem sie die vorschriftsmäßige Zeit in dem Institute verblieben und vollständig wieder hergestellt war, ohne Sang und Klang, nach einer scheinbar sehr flüchtigen Verabschiedung von dem katholischen Seelsorger, aus der gastlichen Anstalt hinaus in die äußerst elegant ausgestattete Wohnung der schönen Fürstin Camilla, und eine neue Phase ihres wahrhaft abenteuerlichen Lebenslaufes hatte begonnen.
Marianna, mit ihrem übermütig heiteren, an die äußerste Grenze des tollen Leichtsinnes heranstreifenden Wesen, mit der geradezu rührenden Zärtlichkeit, welche sie für ihre schöne » lady« zeigte, gewann unschwer das Herz und das vollste Vertrauen der mit ihren zelotischen Völkerbefreiungsplänen im Grunde doch einsamen Fürstin von Bentivoglio. Diese war anfangs bei aller ausgesuchten Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit doch mehr oder minder vorsichtig gewesen, Marianna mit ihren Plänen und Schritten in Angelegenheit der »roten Internationalen« bekannt zu machen. So hatte sie dieselbe unter anderm von den Gesellschaften, welche sie gab und auf welchen Herren und Damen aller Nationalitäten verkehrten, unter dem Vorwande bisher ferngehalten, daß ihre angegriffene Gesundheit noch großer Schonung bedürfe, und sie sich daher zunächst von anstrengenden Vergnügungen fern halten müsse. In der Zwischenzeit schien jedoch die Fürstin ihre niedliche Gesellschaftsdame zu beobachten, ja zu studieren, wie der Arzt seinen Patienten. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß die Fürstin ganz bestimmte Pläne hinsichtlich Mariannens hatte, ja es war sogar ganz wahrscheinlich, daß diese Pläne ihre politisch-patriotischen Ideen und Bestrebungen sehr nahe berührten, und jetzt schien die Fürstin durch fortgesetzte aufmerksame Beobachtung sich überzeugen zu wollen, ob sie in der Wahl dieses leichtfertigen, aber offenbar gutherzigen und zweifellos entzückend hübschen Lausitzer Kindes, einen Mißgriff getan hatte, oder nicht. Ein Examen, welchem Marianna scheinbar ganz ohne ihr Mitwissen unterworfen ward, wenigstens wies ihr völlig argloses Gebühren darauf hin, daß sie nicht das Geringste von irgendwelchen Plänen und Absichten seitens der Fürstin auch nur im entferntesten ahnte. Genug, es gelang Marianna, das Vertrauen ihrer Herrin zu gewinnen, und nun kam für die dame de compagnie die Ära der Vertraulichkeit. Da gab es lange Auseinandersetzungen, lange Konferenzen, und eines schönen Tages trat Marianna mit einem Lächeln stillen Triumphes und dem Ausdrucke der höchsten inneren Befriedigung auf den Lippen in ihr durchaus ladylike ausgestattetes kleines Boudoir und nahm wieder das geheimnisvolle schwarze Buch in die Hand, blätterte eifrig darin und begann sofort mit bewundernswerter Ausdauer einen Bogen feinen Postpapieres nach dem andern mit zierlichen Schriftzügen zu stillen. An wen der Brief gerichtet war, das zu konstatieren dürfte der Fürstin sowohl, wie auch sonst irgend jemand von den Hausgenossen oder der Dienerschaft, wohl sehr schwer gefallen sein, denn Marianna verbarg denselben, nachdem sie die Aufschrift auf das Couvert gemacht, äußerst sorgfältig in ihrer Tasche, und wer sich die Mühe gegeben hätte, ihr eine Stunde darauf zu folgen, als sie ausging, um am Neuen Quai entlang »frische Luft zu schöpfen«, der hätte zweifellos das Vergnügen gehabt zu sehen, wie die zarten, kleinen Fingerchen den Brief aus seinem Versteck hervorholten und denselben dann einem von dem Hause der Fürstin möglichst fernen Briefkasten anvertrauten. Noch auffälliger freilich dürfte es einem neugierigen Beobachter gewesen sein, daß sich diese ganze Manipulation in regelmäßigen Zwischenräumen wiederholte, so daß es ganz den Anschein hatte, als statte die liebenswürdige Vertraute der Gräfin Camilla irgendeiner dritten Person regelmäßige Berichte ab. Billets-doux können es schwerlich gewesen sein, da die reizende Deutsche, so zahlreiche Verehrer ihr auch in den Salons der Fürstin zu Füßen lagen, ihr Herz nicht verschenken zu wollen schien. Sie ließ diese Gold- und Silberfische an der Angelrute ihrer verführerischen Reize mit Wohlbehagen zappeln, sie entwickelte ihre körperlichen und sonstigen Vorzüge in der raffiniertesten Weise, allein – lieben? – nein, dieses Wort schien seit dem Geniestreich des schönen Benno vollständig aus ihrem Vokabularium gestrichen zu sein.
Mit Ausnahme jenes geheimnisvollen Treibens, wie wir es oben geschildert, war Marianna allem Anscheine nach der Fürstin in jeder Beziehung treu ergeben. Sie half durch die Mittel der Koketterie und Überredungskunst die Männerwelt nach Kräften in den Zauberkreis dieser politischen Sirene bannen und Proselyten machen für die Idee der Völker in Waffen im allgemeinen, für das geeinigte Italien im besonderen. Die Korrespondenz der Fürstin mit Mazzini und Garibaldi war in jener Zeit eine außerordentlich rege, und hier diente Marianna der Fürstin als ebenso geschickte, wie zuverlässige Sekretärin, die es auch nicht an selbständiger Produktion guter Ideen und Vorschläge mangeln ließ und dabei eine solche Begeisterung für den Sieg des Kreuzes von Savoyen zeigte, daß man hätte glauben mögen, ihre Wiege habe unter dein glutstrahlenden Himmel Italiens, statt auf dem weit nüchterneren Boden der sächsischen Oberlausitz gestanden.
Eines Tages eröffnete ihr die Fürstin, daß sie, Marianna, nun, nach der bei ihr genossenen Schule, auf dem Standpunkte angelangt sei, wo sie selbständig handelnd für ihre gemeinsame gute Sache auftreten könne. Sie teilte ihr nunmehr auch ganz offen mit, daß sie lange Zeit in Petersburg nach einer geeigneten Kampfesgenossin gesucht habe, die hauptsächlich mit den Waffen körperlicher Vorzüge und weiblicher Schlauheit in den verschiedenen Ländern Europas Propaganda machen und Rekruten für das im Dunkeln arbeitende Heer der Revolutionäre und speziell der Mazzinistischen Partei anwerben sollte. Durch den jungen Arzt sei sie auf Marianna aufmerksam gemacht worden und alsbald habe sie sich entschlossen, sie zu einer der ihrigen zu machen. Die Stunde sei nun, wie gesagt, gekommen, wo Marianna beginnen sollte, ihre Mission, zu der sie die Natur mit so herrlichen Gaben ausgestattet, anzutreten.
Marianna erklärte sich natürlich mit allem einverstanden und sicherte der Freundin, welche sie liebend in die Arme schloß, zu, daß sie mit warmer Begeisterung an die Erfüllung ihrer Pflichten gehen würde. Sehr bald nach dieser Unterredung war das allerliebste Geschöpf schon in London und empfing dort von dem Herrn und Meister des Bundes, Mazzini, an den sie natürlich mit den wärmsten Worten von der Fürstin empfohlen worden war, alle nötigen Instruktionen, und begab sich mit diesen und mit einer sehr artigen Summe Geldes nach Turin, wo es galt, die Arbeiten des Nationalkomitees zu fördern und mit Hilfe ihrer bestrickenden Persönlichkeit und des ihr als Gehilfe und quasi Pflegevater beigegebenen Signore Ormelli die Ideen eines freien und unabhängigen Italiens unter der jungen Männerwelt zu verbreiten, in erster Linie auch den dunkelen Bestrebungen der päpstlich-jesuitischen Partei, welche auf Katzenpfötchen durch das ganze Land schlich, ein Paroli zu bieten.
Diese zeitweilige Trennung der beiden femmes de politique machte auch den Umstand möglich, daß der Vicomte de Résancourt in dem Blumenmädchen nicht sogleich die Vertraute der Fürstin Camilla erkannte. Eben zu jener Zeit, als Marianna ihre Mission in London und dann in Begleitung des der Fürstin und Marianna übrigens schon bekannten Signore Ormelli in Turin antrat, war es, daß die in St. Petersburg zurückgebliebene Agitatorin die Bekanntschaft des jungen Gesandtschaftsattachés machte und ihn so vollständig mit ihren Netzen umstrickte, daß er ihr blinder, ergebener Sklave wurde. Daß freilich gerade in diesem Falle die Siegende zugleich zur Besiegten ward, ohne es sich selbst oder dem Vicomte anfangs zugestehen zu wollen, daß in den Beziehungen Camillas zum einstigen Gesandtschaftssekretär und jetzigen Hauptwerkzeuge der revolutionären Clique die Liebe die Überhand gewonnen hatte über die Politik, werden uns zukünftige Ereignisse zeigen. – – Durch diese zeitweilige Trennung der beiden Abenteuerinnen kam es, daß der Vicomte, – wie wir aus seinem eigenen Munde wissen, einer der fleißigsten Besucher der interessanten Salons auf Wassili Ostrow, – das verführerisch schöne lusatische Blümchen, welches in dem Hause der Fürstin blühte, niemals mit eigenen Augen gesehen hatte.
Diese interessante junge Dame selbst erfüllte indessen ihre Aufgabe in Turin in ganz trefflicher Weise. Das, was die Fürstin in Petersburg war – der strahlende Mittelpunkt der haute volée offiziell, im geheimen aber die Zentralsonne der internationalen Verschwörer – das war, in kleinerem und bescheidenerem Maßstabe natürlich, die liebliche Marianna in Turin. Der historische Keller im Hause des Bäckers Asti auf der Strada di Giovanni konnte sich rühmen, oft genug der Empfangssalon dieser kleinen politischen Huldgöttin zu sein, wo die jugendlichen Anhänger der mazzinistischen Partei neben Erfüllung ihrer politisch-konspiratorischen Aufgaben auch die Galanterie nicht vergaßen und nach Kräften Süßholz raspelten.
Mariannens Privatleben vor den Augen der Welt, im Hause ihres Pflegevaters Signore Ormelli war übrigens ein so außerordentlich einfaches und zurückgezogenes, daß der loyale Teil der Turiner Bevölkerung wohl niemals auch nur den geringsten Verdacht hätte schöpfen können, daß hinter diesem ruhigen, lieblichen Mädchen, das bescheidenen Blickes am Arme des stattlichen Greises die Straßen der Stadt durchwandelte, und höchstens die Augen der verliebten Männerwelt wegen ihrer pikanten Schönheit und Jugendfrische auf sich zog, eines der raffiniertesten Werkzeuge des geheimen Nationalkomitees zu suchen war.
Wir dürfen nicht verschweigen, daß die uns in St. Petersburg bekannt gewordene Schreibseligkeit Mariannens in Turin keineswegs abgenommen hatte. So manche stille Abendstunde, während ihr Pflegevater, die Gazetta di Torino studierend oder halbverwischte Bilder aus seiner stürmischen und wechselvollen Vergangenheit im Geiste wieder auffrischend, auf dem Sofa lag, saß Marianna in ihrem weit einfacher als in St. Petersburg eingerichteten Stübchen und schrieb und schrieb. – – – Die vorsichtige Manipulation bei der Besorgung der Briefe war ganz die gleiche, wie damals bei den harmlosen Spaziergängen am Newa-Kai – mit einem Wort, diese mysteriöse Seite von Mariannens Tätigkeit, von welcher selbstverständlich Ormelli keine Ahnung hatte, war von der sonstigen vermehrten Beschäftigung, die dem jungen Mädchen oblag, keineswegs in den Hintergrund gedrängt worden. Was derselben zugrunde lag, das freilich war bei der ungemeinen Verschlagenheit und Vorsicht Mariannens, die auf diesem Gebiete nicht einen einzigen Vertrauten zu haben schien, außerordentlich schwer zu erraten. Die Zukunft wird den Schleier von diesen wunderlichen Mysterium lüften.
Möge die Lüftung einer einzigen kleinen Ecke dieses Schleiers einstweilen genügen – der Scharfsichtige und Phantasiebegabte wird sich das, was weiter darunter befindlich ist, zur Genüge ausmalen können.
Einmal vielleicht hätte Marianna, wenn sie gewollt, die Weihe der reinen Liebe empfangen können und vielleicht wäre dann aus der schönen Sünderin noch eine büßende Magdalena oder gar ein treues, liebevolles Weib geworden. Doch Amors Pfeil prallte machtlos an dem ehernen Panzer herzloser Koketterie ab. Es hatte sich ihr ein Mann genähert – oder vielmehr sie hatte den jugendlichen, talentvollen Mann – es war ein junger, deutscher Arzt – in ihren Zauberbann gezogen, und hatte sein Herz, das bisher kalt und teilnahmslos dem schönsten Frauenbilde gegenüber geblieben war, in ungeahnter Weise entflammt. Sie brauchte ihn, seinen Einfluß, seine Kenntnisse, seinen Geist. Dichter und dichter hatte die Sirene ihre Netze um ihn gesponnen und hatte die Minen ihrer Verführungskunst soweit springen lassen, daß sie sogar ihr ganzes vergangenes Leben ihm offenbarte und ihm, mit dem Scheine kindlichen, naiven Vertrauens, erzählt hatte, welcher Weg sie zur mazzinistischen Spionin geführt. Zum ersten Male in seinem Leben war in der Brust des jungen Mannes, der bisher von seinen Freunden Weiberfeind gescholten worden war, das mächtige Feuer heißer Liebe entbrannt, zugleich aber auch ein bitterer, quälender, aufreibender Zwiespalt entstanden. Er gehörte jenen Männern von gefestigter Urteilskraft an, deren Sinne nur zeitweise die Vernunft betören und blenden können. Er durchschaute nur zu bald die ganze Hohlheit, die ganze Falschheit dieses berückend schönen Geschöpfes und sein ehrenfester Sinn kämpfte mit der Liebe einen schweren Kampf. Schließlich, als Marianna ihn schon völlig besiegt zu haben glaubte, näherte er sich ihr mit der seinem Charakter eigentümlichen Offenheit und erschloß vor ihr einen glänzenden Schatz warmer, inniger Liebe, der ein weniger verhärtetes Mädchen sicherlich auf den Weg zurückgelenkt hätte, welchen Natur und Moral dem Weibe vorgeschrieben. Doch – er verlangte ein vollständiges Aufgeben aller ihrer gegenwärtigen Verbindungen, aller ihrer politischen Hirngespinste und – das genügte ihr, um zu erkennen, daß, gerade in dem Punkte, wo sie ihn besiegt glaubte, und in welchem es ihr ausschließlich um den Sieg zu tun war, er ihr widerstanden hatte. Mit einem Schlage kehrte sie den Spieß um und spielte die Entrüstete über die Anmaßung des jungen Mannes, der die harmlose Koketterie eines etwas verwöhnten Mädchens für bare Münze nehmen und das artige Märchen, welches sie ihm über ihre Lebensgeschichte aufgebunden, für Wirklichkeit halten konnte. Und die Folge!? – – Ein einsames kleines Häuschen in einem entlegenen Winkel Turins kann von einem bleichen, schattenhaften Mann erzählen, der, nachdem ein heißes, zehrendes Fieber ihn wochenlang ans Bett gefesselt gehalten und dem Rande des Grabes nahe gebracht, stumm und apathisch, mit den unheimlichen Todesrosen auf den sonst blutlosen Wangen, tagelang am Fenster saß und die Straße hinauf und hinab schaute, ob nicht eine schlanke Gestalt mit braunem, lockigem Haar und feurigen, schwarzen Augen, elastischen Schrittes sich dem Hause näherte, – voll Reue, voll Liebe.
Doch sie kam nicht. Sie war auch nicht da, als sie ihn, der nur einmal in seinem Leben, doch um so heißer geliebt, hinaustrugen zur letzten Ruhestätte, ihn in die Erde betteten und einen schlichten Hügel über seinem Grabe aufhäuften, auf den keine lebende Hand einen Kranz legte.
Es ist unschwer zu erraten, daß der durchtriebene Schwarzkopf eine doppelte Rolle spielte und in einer Person den Kampf repräsentierte, welcher sich damals am allerlebhaftesten hinter den Kulissen des weltgeschichtlichen Theaters in Italien abspielte.
Rouge et Noir! Die Roten und die Schwarzen rangen um den Besitz der Macht auf der appenninischen Halbinsel, und beide Parteien, sowohl die, welche ihre Karte auf Schwarz setzten und in majorem Dei gloriam konspirierten und agitierten, sowie diejenigen, welche in der blutrotesten Demokratie spekulierten und im Brauen einer allgemeinen Revolution das Heil der Welt suchten, sie arbeiteten mit gleicher Vorsicht, mit gleicher Schlauheit und mit gleichen gewissenlosen und doppelzüngigen Werkzeugen der Verräterei und Spionage. Wird die Kugel auf Rouge oder auf Noir fallen? Werden sie beide das Spiel verlieren? – – Faites votre jeu, messieurs! –