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Die Insel der Flibustiere!

Den schönsten Winter auf der Erde bieten unbestritten die kleinen Antillen. Er dauert nach den verheerenden Stürmen des Herbstes und den Regengüssen des Oktobers von Ende November bis zum Mai. Heiteres und angenehmes Wetter vergütet die Leiden des tropischen Sommers und nördliche und nordöstliche Winde erfrischen die Luft, die mit balsamischen Düften geschwängert ist.

Europa und die Tropen haben auf diesen glücklichen Inseln ihre köstlichsten Früchte und Blumen seit ihrer Entdeckung durch die Spanier im Jahre 1492 vereinigt; die Wildnis erscheint kultiviert durch den Anbau der Menschenhände und die Kultur wird Wildnis durch die üppige, tropische Vegetation. Kein blutgieriges Raubtier durchstreift ihre Berge und Savannen, wie die unter gleichen Breitengraden liegenden Länder anderer Erdteile; selbst von den zahlreichen Schlangen und Skorpionen sind nur gewisse Gattungen auf Sainte Lucie und Martinique giftig.

Eine der schönsten und fruchtbarsten dieser Inseln, gesichert durch ihre Lage »unter dem Winde« und gegen den Wogenschwall des mächtigen atlantischen Ozeans, wie die wilden Sturmfluten des Caraibischen Meers durch jene die Jungferninseln umgebenden, mächtig emporstrebenden Korallenbänke, ist die der dänischen Krone gehörige Insel Saint Croix oder Santa Cruz. – Es liegt durch die auf ihr gegründeten Herrnhuterkolonien ein gewisser Frieden, eine solide Ruhe über der Insel und ihren tätigen Geschäftsverkehr gebreitet. – – – – –

Im Schatten einer prächtigen Gruppe von Pisangs und Kokospalmen auf einer Gartenbank saßen, mit einer Handarbeit beschäftigt, zwei junge Mädchen von sehr verschiedenem Äußern und doch beide schön und lieblich. Die jüngere von ihnen war offenbar eine Kreolin, oder sogar von gemischtem Blut, Kenner desselben, wie die weißen Frauen auf den Inseln, würden gesagt haben: eine Quadrone.

Die junge Dame konnte etwa sechzehn Jahre zählen, aber das Klima dieser Zonen entwickelt rasch die weiblichen Formen zur Vollendung. Der Leser, der sich der Unterhaltung des Grafen von Saint Brie mit dem Kapitän Gauthier während der gefährlichen Bootsfahrt an der Küste von Gaëta erinnert, Band 1 Gaëta-Düppel. wird einer weiteren Beschreibung ihrer Reize nicht bedürfen; denn es war in der Tat, wie der junge Graf sie genannt, die »Königin von Guadeloupe«, die schöne Tochter des Kapitän Lautrec, des reichsten Pflanzers von Basse-Terre, der wir hier auf der dänischen Insel im Hause eines Gastfreundes ihres Vaters an der Reede von Christiansstadt begegnen, der Haupt- und Gouvernementsstadt von Saint Croix.

Dieser Geschäfts- und Gastfreund ist Herr Erich Barthelsen, der Vorsteher und erste Kaufherr der Brüdergemeinde zu Christiansstadt, und das junge Mädchen, das neben Josephine Lautrec sitzt, seine Tochter. Das rote Band an ihrem Häubchen beweist, daß die junge Herrnhuterin ebenfalls noch nicht das achtzehnte Jahr erreicht hat.

Nicht leicht läßt sich ein größerer Unterschied zwischen zwei gleich lieblichen Geschöpfen denken, als der zwischen der jungen, üppig blühenden, in Lebenslust strahlenden Quadrone, aus deren Augen das Feuer eines noch nicht zum Bewußtsein gekommenen glühenden Charakters funkelt, – und dem milden, sittsamen, marienhaften Wesen der Herrnhuter Jungfrau, deren große, blaue Augen noch ungetrübt von Sorgen oder Herzenserregungen ins Leben schauen.

Die Achtung und Freundschaft, die den Kaufherrn Erichsen und den reichen Plantagenbesitzer Lautrec seit langen Jahren verbindet, und die aus einem großen Dienst entsprungen war, den der Kapitän dem Herrnhuter leistete, war auch die Ursache, daß Barthelsen den ungehinderten Verkehr der feurigen Kreolin mit einer so schlicht erzogenen Tochter gestattete, als der Franzose vor einer von ihm zur letzten Ausbildung seiner Tochter beschlossenen Reise nach Europa noch die dänische Insel und den Freund besucht hatte.

Die beiden alten Herren waren eben im Hafen, um nach einer passenden Schiffsgelegenheit zu suchen, mit welcher der Pflanzer die Havanna oder St. Thomas erreichen wollte, und die beiden Mädchen saßen plaudernd und von den Wundern Europas sprechend zusammen, während eine junge Negerin, die Dienerin der schönen Kreolin, zu ihren Füßen kauerte, ihrer Gebieterin die bunten Seiden- und Wollenfäden zureichend, die sie zu ihrer Stickerei brauchte.

Die Arbeit der jungen Herrnhuterin war ernsterer Art, sie nähte Wäsche für die Kinder der Gemeinde.

Die Stelle, auf welcher sie saßen, war zum Teil Lieblingsplatz der Tochter Erichsens, die trotz des Reichtums ihres Vaters ganz in den einfachen Sitten der Herrnhuter erzogen war. Sie lag auf einem niederen Vorsprung, der terrassenartig sich über das Ufer erhob und einen prächtigen Blick über die Reede, den befestigten Hafen und die Stadt gewährte, während im Rücken die große Faktorei des Kaufmanns gelegen war, von der sich die weiten, mit den Vorräten des Handels gefüllten Magazine hinunter zu dem Strande zogen.

Wir würden sagen, daß der Platz zu einem Garten gemacht worden, wenn hier nicht die ganze Natur ein Garten gewesen wäre. Pomeranzen- und Zitronenbäume von gewaltigem Umfang wechselten mit dem geschweiften Laub mächtiger Feigen, den prächtigen Granaten und andern Gewächsen des Südens, während dazwischen die Hand der Kultur einen prächtigen Blumenflor in sinnig eingestreuten Beeten und Gruppen gezogen hatte.

Zwischen diesen Büschen und Blumen erhob sich ein altes, finstres Gemäuer, die Ruine eines Turmes, wahrscheinlich noch aus der Epoche der ersten spanischen Ansiedlungen, der wahrscheinlich früher zu einer Art Wachturm für Reede und Hafen gedient hatte; denn von seiner jetzt zusammengebrochenen Höhe mußte man beide weit überschauen und alle nahenden Schiffe schon in weiter Ferne bemerken können, da seine Lage weit günstiger war, als jene des Kastells, das den Eingang des Hafens deckte! Hinter ihm erhob sich in rauhen Umrissen eine fast unzugängliche Bergwand, deren Schutz gegen die Nord- und Ostwinde es auch wohl zuzuschreiben war, daß hier die Vegetation trotz der unmittelbaren Nähe des Meeres so üppig wucherte.

Epheuartige, immergrüne Lianen umrankten in dichten Massen die Trümmer, die im Volksmunde den Namen des »Turmes der Flibustiere« führten und namentlich von der schwarzen Bevölkerung mit abergläubischer Scheu betrachtet wurden. In der Tat sind die Ruinen das einzige Denkmal, das noch an die Zeit der Herrschaft jener wilden Buccaniers erinnert, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts eine so abenteuerliche und gefürchtete Rolle auf den westindischen Inseln und in den spanischen Kolonien des Festlandes spielten, und ums Jahr 1640 die Insel St. Croix zu einem ihrer wichtigsten und festesten Zufluchtsorte gemacht hatten.

Von der Höhe der Terrasse und der Umgebung des Turmes führten zwei Wege hinunter zum Strande und zur rückwärtsliegenden Faktorei.

»Ich wünschte, teure Marie,« sagte die Kreolin, ihre Arbeit in den Schoß sinken lassend, »dein Vater gestattete dir, mit uns nach Europa zu reisen. Ich habe noch nie eine so gute und liebenswürdige Freundin besessen, wie du bist, und all die Herrlichkeiten, die ich sehen soll, würden einen doppelten Genuß bieten, wenn ich sie mit dir teilen könnte. Vater will zwar nicht viel von Paris wissen und schmäht darauf, aber es war da vor zwei Jahren ein junger, französischer Kavalier einige Zeit auf Guadeloupe, der mir den Hof machte, und zum Entzücken erzählte von all den berauschenden Wundern und Vergnügungen, die Paris bieten soll.«

»Du weißt, daß ich schon unserer Glaubenssitte nach nichts davon sehen dürfte,« meinte lächelnd die Herrnhuterin. »Eigentlich ist es schon Unrecht und verstößt gegen unsere Vorschriften, daß ich von solchen sündigen Dingen und eitlen Weltfreuden auch nur höre. Wir sind nicht zu solchen Dingen erzogen und finden nur in Arbeit und Gebet unsere Freude.«

»Aber Mädchen, Kind,« rief die lebensmuntere Kreolin, »du hast doch auch ein Herz, das seine Wahl treffen soll!«

»Wenn du die Wahl eines Gatten meinst,« entgegnete die kleine Fromme, »so habe ich darin nur meiner Pflicht und der Entscheidung der Ältesten zu gehorchen, die längst über mich beschlossen haben. Auch ich werde nach Europa gehen, wenn die Zeit gekommen ist, um meinen künftigen Gatten aus der Hand unseres Bischofs zu empfangen.«

»Und wer ist denn dieser, dein künftiger Gatte? Auch ein Kaufmann, wie dein Vater?«

»Nein – ich habe ihn nie gesehen, ich weiß nur, daß er ein Schüler unseres Seminars zu Niesky in der Lausitz in Deutschland und ein sehr gelehrter Mann geworden ist, der Doktor Faust heißt. Wo und was er jetzt ist, weiß ich nicht, mein Vater hat lange keine Nachricht von ihm erhalten. Unser ehrwürdigster Bischof hat mich ihm schon, als ich noch in der Wiege war, verlobt, und wenn die Zeit gekommen, wird er mich rufen, oder ich werde zu ihm gehen.«

»Wann aber wird diese Zeit sein?«

»In drei Jahren, wenn ich mein zwanzigstes Jahr angetreten habe.«

»Ihr seid ein seltsames Völkchen,« meinte lachend die Kreolin. »Mein Vater hat mir schon soviel von euren Sitten und Gebräuchen erzählt, daß ich in der Tat neugierig war, die Tochter seines alten Freundes von Angesicht zu Angesicht zu sehen und ihn beredete, unseren Weg nach Europa über deine Insel zu nehmen. Seit den drei Tagen, daß wir hier landeten und im Hause deines Vaters so freundliche Aufnahme fanden, habe ich soviel seltsame Sitten und Gebräuche gesehen, daß ich mich gar nicht dareinfinden kann und oft laut auflachen möchte, wenn ich nicht gar soviel Respekt davor hätte. Kein Gesang –«

»Aber Josephine – wir singen doch auch!«

»Ja, aber was für Lieder! Lange Choräle, die zum Sterben langweilig sind, statt eines munteren französischen Chansons oder einer prächtigen, italienischen Opernarie! Und wenn es nur eines der komischen Negerlieder wäre, wie hier meine kleine Poll,« und sie stieß ihre schwarze Dienerin mit dem Fuß an, »deren so viele kann! – Kein lustiger Ritt auf dem wilden Mustang durch die Savannen, – kein Tanz – Mädchen, sage mir, hast du denn je schon getanzt?«

»Wir tanzen nie – das sind sündliche Zerstreuungen, bei denen sich beide Geschlechter berühren müssen!«

»O über die kleine Heilige, die schon schamhaft errötet, wenn sie nur ein Mann ansieht, und doch so gut Fleisch und Blut hat, wie wir anderen Evatöchter! und dabei so hübsch und lieblich ist, daß sie gewiß längst die Augen aller Männer auf dieser Insel auf sich gezogen hat.«

»Ich bitte dich, Josephine, sprich nicht so, oder ich muß dich verlassen.«

»Närrchen – was schadet's denn? Wenn uns nun einmal von unsern werten Vätern ein Mann beschieden ist, den wir unbesehen heiraten sollen – und ich muß dir nur gestehen, daß es leider mein Brummbär von Papa ebenso macht, so wollen wir uns wenigstens bis dahin nach Herzenslust bewundern lassen!«

Diesmal sah die junge Herrnhuterin mit einer gewissen Neugier ihre schöne und muntere Freundin an.

»Wie, Josephine, es ist also bei euch auch so Brauch, wie bei uns?«

»Bewahre – nicht zu denken daran, obgleich meine Gouvernante mir erzählt hat, daß drüben im alten Lande, in Paris, also in Frankreich, denn Paris ist Frankreich, die Mädchen aus der Pension frischweg von den Eltern oder Brüdern an einen dieser Herren der Schöpfung fortgegeben werden, wie eine Ware durch Kontrakt, und erst nach der Heirat zur vollen Freiheit ihrer Person und ihres Willens kommen und mit ihren Herzen machen können, was sie wollen.«

»Pfui, Josephine – wenn man verheiratet ist, müssen unsere Gedanken doch allein dem Gatten und unseren Pflichten gehören.«

»La la! Was können wir dafür, wenn das arme Herz, das nicht befragt worden ist, die Zügel zwischen die Zähne nimmt und im Galopp mit uns durchgeht, wie zuweilen mein Mustang mit mir tut! Wir Kreolinnen sind keine Sklavinnen und lassen uns nicht so leicht kommandieren. Du weißt, daß ich meines Vaters verzogenes Kind bin, und wenn ich den Kopf aufsetze, ich immer meinen Willen behalte. Aber er ist ein Breton, und die sollen noch einen größeren Eigensinn haben, als wir Glückskinder, und so hat er sich denn in seinen harten Kopf gesetzt, ich solle seinen Neffen heiraten, den einzigen Sohn seiner verstorbenen Schwester, den er als Knaben adoptiert hat, und in Frankreich erziehen ließ.«

»Kennst du ihn?«

»Bewahre, ich weiß nur, daß er ein tapferer Offizier ist, Kapitän Gauthier ist sein Name, und noch nicht zu alt, aber doch alt und verständig genug, um mich wilde Biene im Zügel zu halten, wie Papa sagt, und da alle französischen Offiziere, wenn sie noch jung sind, elegant und hübsch sein müssen, so frage ich nicht viel danach. Ich will schon die Herrschaft über ihn gewinnen und ihn zwingen, mich auf alle Bälle und Soireen zu führen und die glänzendsten Toiletten für mich zu kaufen, Papa ist ja reich genug dazu.«

»So wirst du deinen Bräutigam in Paris finden?«

»Der Himmel weiß es! Papa hat ihn schon zehnmal eingeladen, seinen Abschied zu nehmen, was ich aber gar nicht haben will, da er dann keine schöne Uniform mehr tragen würde, – ach und ich liebe doch so die Uniformen! – und zu uns nach Guadeloupe zu kommen, aber er läßt nichts von sich hören. Seinen Abschied soll er allerdings genommen haben, aber dafür ein Offizier des heiligen Vaters in Rom geworden sein, oder sonst irgendeines heiligen Königs da drüben, – was weiß ich! – und da er nicht antwortet, hat Papa beschlossen, ihn selbst einmal aufzusuchen und ihm den Kopf zurecht zu setzen dafür, daß er sich nicht etwas mehr beeilt, seiner schönen Cousine sich angenehm zu machen. – Aber was kommen denn dort für wilde Gesellen? – Ist es denn den gemeinen Leuten erlaubt, so mir nichts dir nichts durch deinen Garten ihren Weg zu nehmen?«

»Um Himmelswillen, Josephine, – komm, laß uns ins Haus gehen. Es sind so böse und widerwärtige Menschen – ich erkenne die Stimme ihres Führers.«

»Aber wer sind sie denn?« fragte die Kreolin, die gar keine Miene machte, sich zu erheben.

»Siehst du das Schiff dort in der Bucht?«

»Gewiß – warum sollt' ich nicht! Mein Vater hat mir gesagt, daß es ein Kriegsschiff sei.«

»Es ist der ›Lyimfjord‹, eine Dampfbrigg der Regierung.«

»Nun, was hat das mit uns zu tun?«

»Nichts, als daß sie an das Haus meines Vaters konsigniert ist und dieser ihre Geschäfte besorgt.«

»Weiter – aber höre, wie der Mann schimpft! Es sind wohl dänische Scheltworte, du weißt, ich verstehe kein Dänisch!«

In der Tat hörte man unter der Terrasse eine barsche, herrische Stimme sich in jenen argen Seemannsflüchen ergehen, an denen die dänische Sprache besonders reich ist.

»Es ist der erste Leutnant vom Bord des Lyimfjord,« sagte hastig die Herrnhuterin, »ein Mann von sehr schlechtem Charakter, wie vornehm er auch sonst aussieht, denn er behandelt die armen Matrosen schlechter wie Sklaven, namentlich den einen, der ihn doch mit einem Griff seiner Hand zu Boden schlagen könnte. Dabei ist er so dreist und frech und sieht mich immer an, wenn er hierher kommt, als wollte er mich verschlingen. Bitte, Josephine, komm, laß uns ihn aus dem Wege gehen.«

Es war bereits zu spät – denn schon erschienen die Matrosen auf dem oberen Vorsprung und hinter ihnen drein kam scheltend und fluchend über ihre Langsamkeit, obschon sie schwere Lasten trugen, der erste Leutnant der Brigg, ein schmächtiger, noch ziemlich junger Mann aus einer Kopenhagener Adelsfamilie, der mehr deren Einfluß als seinen Verdiensten und seinem Wissen den Posten eines zweiten Offiziers an Bord der Regierungsbrigg verdankte.

Leutnant von Rosen mochte etwa sechs- bis achtundzwanzig Jahre zählen, trug die Seemannsuniform mit möglichster Koketterie und Eleganz und hatte ein hübsches, zartes, nur sehr verlebtes Gesicht, dessen kleine, boshaft und hochmütig funkelnden Augen vornehm durch den Kneifer blickten. Seine Manieren gehörten allerdings der ersten Gesellschaft, doch wurde sein ganzes Wesen durch den absprechenden Hochmut und sein dreistes Auftreten widerwärtig. Der Kriegsminister hatte es für zweckmäßig gehalten, den arroganten Patron in eine so strenge Schule, wie die des Kapitänleutnant Hammer zu geben, wo er zwar nach den überaus strengen Regeln des dänischen Seedienstes seinem Vorgesetzten blinden Gehorsam leisten mußte, im übrigen aber sich durch die Tyrannisierung seiner Untergebenen zu entschädigen: suchte, wobei namentlich die beiden einzigen Deutschen an Bord, der Matrose Claus Hansen, und ein Schiffsjunge, eine arme Waise, am schlimmsten zu leiden hatten, da er als eingefleischter Däne ihre Nationalität geradezu haßte.

Wir haben den Kapitän Hammer als einen rauhen und strengen, nur seine Dienstregeln kennenden Mann, jedoch von gerechtem Sinn und nicht ohne einen gewissen Zug von Wohlwollen kennen gelernt, aber die strenge Beobachtung des Dienstreglements gestattete ihm nicht, sich für gewöhnlich in den innern Schiffsdienst zu mischen, der ganz in den Händen seines ersten Leutnants liegt.

Die kleine Abteilung bestand aus sechs Matrosen, vier Seesoldaten und dem bereits bezeichneten Schiffsjungen. Alle waren mit leeren Fässern beladen, die in der Faktorei des Herrn Barthelsen gefüllt und dann wieder zu Strande gerollt werden sollten, wo der Hochbootsmann Mads-Störe die Ladung erwartete, während Leutnant von Rosen noch längere Zeit am Lande bleiben sollte.

Noch hatte derselbe die jungen Damen nicht bemerkt und fuhr daher rücksichtslos in seinem Schelten und Toben fort.

»He, Schurken, vorwärts und strengt eure faulen Glieder an, daß wir zur Faktorei kommen, oder ich will euch Beine machen. Gott verdamm' eure Seelen, oder glaubt ihr, ihr könnt des Königs Brot umsonst fressen? Was tut der deutsche Lümmel da? Was kümmerst du dich um den nichtsnutzigen Schlingel? Tu deine eigene Arbeit, oder ich will dir den friesischen Dickschädel klopfen, daß du meinen sollst, Ostern und Pfingsten wäre an einem Tage!«

Der Leutnant hob bei der Anrede einen schweren Dornstock, dessen er sich bei dem Emporsteigen zur Stütze bedient hatte.

Die Drohung galt speziell einem einfach, aber mit einer gewissen Sauberkeit gekleideten Matrosen von athletischem Körperbau, dessen offenes, männlich schönes Gesicht ein Alter von etwa acht- bis neunundzwanzig Jahren kündete, aber trotz dieser Jugend einen tiefernsten, fast finstern Ausdruck hatte. Auf der Stirn lagen schwere Falten und um den Mund zuckte es wie ein gewaltsam unterdrückter Kampf und schwer errungener Sieg über sich selbst bei den durch nichts begründeten Insulten des Offiziers; denn der Mann trug auf seinen breiten Schultern das schwerste Gefäß von allen seinen Kameraden.

Er hatte sich eben niedergebeugt und die eine Hand losgelassen, um dem etwa elfjährigen Knaben die weit über dessen Kräfte reichende Last bequemer rücken zu helfen, als die Drohung des Offiziers ihn traf.

»Es ist dem Kinde zu schwer, Herr,« sagte er ruhig. »Sie sollten ein Einsehen haben. Erlauben Sie, daß ich das Stück noch auf meine Schultern hebe.«

»Was? ist der Kerl toll? Will er hier wieder den Kapitän spielen und seinen Offizier hofmeistern? Auf der Stelle pack' dich deines eigenen Weges oder der Teufel soll mich holen, wenn ich dich deutsches Großmaul nicht peitschen lasse. Dem faulen Bankert hier will ich seine Knochen windelweich schlagen, wenn er sie nicht besser braucht.«

»Sie werden nicht schlagen, Herr von Rosen,« sagte der Matrose, indem er sich hoch aufrichtete und aus seinen großen, blauen Augen einen starren Blick auf ihn richtete. »Weder mich noch ihn!«

»Und warum nicht, mein Herr Mörder und Spitzbube?« höhnte der Offizier, den Arm in die Seite stemmend.

»Weil Sie kein Recht dazu haben, und Kapitän Hammer, der ein strenger, aber gerechter Mann ist, es verboten hat. Ihre persönlichen Beleidigungen können mich nicht treffen, da meine Unschuld an jenem Verbrechen klar dargetan ist, durch Ihren und meinen Kapitän selbst. – Komm, Georg – wir haben nur noch eine kurze Strecke und dann kannst du ruhen.«

Der Offizier biß sich auf die Lippen – er wußte nur zu gut, daß der Deutsche Recht hatte und das eben vermehrte seinen Groll. »Ich weiß allerdings nicht, was die beiden Herren Kapitäne untereinander ausgemacht haben,« sagte er höhnisch, »aber das weiß ich, mein Bursche; daß ich mir mein Recht nicht schmälern lassen werde, einer faulen und nichtsnutzigen Bestie, wie diese hier, die hinterm Heckenzaun aufgelesen ist, die gehörige Züchtigung zu geben, wenn sie sich nicht gleich in Trab setzt.«

»Ich bin ehrlicher Leute Kind, Herr,« schluchzte der Knabe. »Mein Vater war ein Seemann auf den Inseln und meine Mutter …«

»Eine Hure aus Hamburg oder Altona. Da nimm das für deine unverschämte Antwort!«

Der Schlag, der fiel, traf wahrscheinlich schwerer, als er beabsichtigt war, denn der Knabe hatte sich gerade gebückt, um den leeren Koffer, den er trug, wieder aufzunehmen. Der Stock fiel bei der Wendung, statt auf die Schultern auf seinen Kopf, so daß er blutend zu Boden taumelte.

»Das ist erbärmlich, das ist schändliche Tyrannei!« sagte eine Stimme auf Französisch, während eine zweite Frauenstimme zugleich auf Deutsch rief: »Barmherziger Gott, er hat das Kind erschlagen!«

Der Offizier wandte sich beim Ton dieser Stimmen, wie von einem elektrischen Funken berührt, und die Röte der Scham, so überrascht worden zu sein, färbte doch einen Augenblick sein Gesicht. Im nächsten hatte er jedoch die hochmütige Blasiertheit wieder gewonnen. »Ah, Fräulein Barthelsen,« sagte er ironisch, – »sehr enchantiert, Sie zu treffen. Es tut mir nur leid, daß Ihr weiches Gemüt Zeuge sein mußte einer kleinen, wohlverdienten Züchtigung, bei der nur das eigene Ungeschick des Burschen ihm die leichte Wunde zugezogen hat. – Es hat nichts zu bedeuten, ein bißchen Heftpflaster und so ein friesischer Dickkopf ist wieder heil. Bitte, beschmutzen Sie Ihr Kleid nicht und Ihre hübschen, weißen Finger, die in der Tat einer Hofdame im Kopenhagener Schloß Ehre machen würden. – Was steht ihr da und haltet Maulaffen feil?« fuhr er die Matrosen und Soldaten an. – »Packt euch sogleich und sorgt dafür, daß die Vorräte gut eingestaut werden! – Der Bengel hier wird schon nachkommen! – Marsch mit euch!«

Die Männer, meist Inseldänen und an die brutale Behandlung gewöhnt, wagten kein Wort der Entgegnung oder längere Zögerung und setzten ihren Weg nach den nahen Magazinen fort. Nur Klaus Hansen – denn der ehemalige Kapitän, der Bruder des Legationssekretärs, des Bräutigams der schönen Edda Halsteen war es, dem die Schmähungen und Drohungen des dänischen Offiziers gegolten, setzte ohne ein Wort zu sagen, seine Last ab, hob den blutenden, bewußtlosen Knaben auf und legte ihn sanft auf die Rasenbank nieder. Dann, nachdem er der jungen Herrnhuterin eine Verbeugung gemacht, die bewies, daß er gleichfalls den gebildeten Kreisen angehörte, sagte er einfach: »Erlauben Sie, Janfrou, diesen armen Knaben Ihrem guten Herzen zu empfehlen!« hob die eigene und die Last des Jungen auf seine Schultern und ging damit nach der Faktorei zu.

Mit blitzenden Augen hatte die schöne Kreolin die Szene verfolgt und – obschon sie weder Deutsch noch Dänisch verstand – doch alles wohl begriffen. Sie stand jetzt, die kleinen, perlenartigen Zähne fest auf die kirschrote Unterlippe gebissen, neben der Freundin und half ihr schweigend dem Knaben das Blut abzutrocknen, mit dem Wasser aus dem nahen Quell die Wunde zu kühlen und aus ihren Taschentüchern einen notdürftigen Verband umzulegen, als der Offizier wieder heran trat.

»Beim heiligen Neptun,« sagte er leichtfertig, »man möchte fast wünschen, an der Stelle dieses schmutzigen Taugenichtses zu sein, um von so reizenden Händen gehätschelt und gepflegt zu werden. Meine schönen Damen, Sie werden in der Tat machen, daß die ganze Mannschaft des Lyimfjord sich Löcher in den Kopf schlägt, wenn sie zur Faktorei kommt, bloß um von Ihnen verbunden zu werden. Darf ich Sie bitten, Fräulein Barthelsen, mich mit Ihrer reizenden Freundin bekannt zu machen?«

Er hatte die widerwärtigen Komplimente französisch gesprochen, da er sich erinnerte, daß die Kreolin jenen eben nicht für ihn sehr schmeichelhaften Ausruf in dieser Sprache getan, – statt jeder Antwort aber maß ihn die Pflanzerstochter mit dem stolzen Blick einer vornehmen Dame vom Scheitel bis zur Sohle und wandte ihm mit einem verächtlichen »Pfui!« den Rücken.

Das Blut schoß dem arroganten Stutzer in die Schläfe, und den Kneifer wieder auf die Nase klemmend, sagte er höhnisch: »Ei meine schöne Dame, wir Dänen sind zwar sehr humane und liberale Leute und haben unsere Neger schon im Jahre Siebenundvierzig emanzipiert, aber wir wissen doch reines Blut zu schätzen und die schönen Quadronen nach ihrer Rangklasse zu taxieren. Dem wievielsten Grad darf ich Sie wohl einrangieren, meine Gnädigste?«

Das heiße Blut, das in ihren Adern rollte, färbte Nacken und Stirn wie mit einer Purpurflut, während ihr großes schwarzes Auge einen Dolchstoß gleich zu ihm hinüber zuckte, der mit kalter Bosheit die Wirkung seiner raffinierten Worte beobachtete; – aber die schöne Tochter des alten Kapitäns war glücklicherweise zu sehr Dame, als daß sie ihrem heißen Blut erlaubt hätte, irgend etwas zu tun, was unweiblich gewesen wäre. Mit den Worten: »Verzeih Marie, daß ich dich einen Augenblick mit diesem Unverschämten allein lasse, um meinen Vater zu holen,« flog sie wie eine junge Pantherin davon, dem Wohnhaus der Faktorei zu, um zu sehen, ob die beiden Freunde bereits aus der Stadt zurückgekehrt wären.

Der Leutnant sah ihr kaltblütig nach und näherte sich dann der jungen Herrnhuterin noch mehr, die den armen Knaben nicht verlassen wollte.

»Nun mein schöner weißer Engel im Quäkerhäubchen,« sagte der Offizier, indem er zudringlich die Hand der jungen Herrnhuterin zu fassen suchte, »da der kleine hübsche Mischling uns verständigerweise allein gelassen hat, werden Sie mir erlauben, die ersehnte Gelegenheit zu benutzen, um Ihnen zu sagen, daß ich ganz rasend in Sie verliebt bin!«

»Mein Herr …«

Das Mädchen zitterte wie Espenlaub.

»Sträuben Sie sich nicht, mein Engel; obgleich ich zum erstenmal auf dieser Insel bin, weiß ich doch recht gut, daß das Blut hier feurig durch die Adern rollt, selbst durch die einer kleinen Quäkerin oder Herrnhuterin.

»Verlassen Sie mich, Herr! Mein Vater wird …«

»Ihr Vater wird ein verständiger Mann sein, wie alle Väter schließlich sind; er weiß sehr gut, was ihm die Verbindung mit der Regierung einbringt, und welchen Einfluß mein Onkel darin hat. Wenn Ihr Alter, wie ich hörte, einen tüchtigen Batzen Geld daran setzen kann, bin ich sogar nicht abgeneigt, Sie zur Baronin Rosen zu machen. Also verständig, meine Kleine, und geben Sie mir geschwind einen Kuß auf Abschlag.«

»Abscheulicher!«

Sie wand sich in den Armen des Frechen, den offenbar eine bei Tafel genossene Libation noch unverschämter gemacht hatte.

»Komm, komm, Täubchen! Das Gebüsch ist dicht genug, daß uns niemand sehen kann!«

»Gott der Herr sieht Ihr Verbrechen! Hilfe! Hilfe!«

Die Hilfe war näher, als sie hoffen konnte. Eine starke Hand faßte den Offizier und schleuderte ihn weit zurück. »Zurück, Herr! schämen Sie sich nicht, ein wehrloses Mädchen zu beleidigen?«

»Schurke! – wagst du Hand an deinen Offizier zu legen?«

Es war der Matrose Klaus Hansen, der sich schützend vor das halb ohnmächtig an der Bank neben dem Knaben niedergesunkene Mädchen gestellt hatte.

»Nicht an einen Offizier, sondern an einen Elenden, der ein Weib überfällt!«

»Das sagst du mir? – Was kümmert dich die Dirne! Auf der Stelle fort oder ich stoße dich nieder wie einen Hund, der du bist! – Fort an deine Arbeit! – im Augenblick!«

»Nicht ohne Sie, oder diese Dame!«

»Was? – Ungehorsam! Meuterei!« Der Leutnant hatte den Kurzdegen gezogen und stürzte gegen den unbewaffneten Mann. Der Hilferuf des geängstigten Mädchens klang weit hin.«

»Feigling! Tyrann!«

Der kräftige hochgewachsene Friese hatte den Stoß des Degens, der seinen Rock zerriß, zur Seite geschlagen und entrang dem Wütenden die Waffe, wobei er mit der scharf geschliffenen Klinge ihm leicht den Arm verletzte.

»Mord! Meuterei! Zu Hilfe, Leute!«

Von zwei Seiten kamen Leute. Über den Terrassenrand schaute das breite harte Gesicht des Hochbootsmanns des Lyimfjord Mads Störe, den ein vergessener Auftrag mit zwei seiner Matrosen heraufgeführt hatte und der sich jetzt mit seiner ruhigen Sicherheit heraufschwang; – von der Faktorei her eilten Matrosen, Speicherdiener und Komptoristen herbei.

»Greift den Mörder! In Eisen mit ihm! Schießt ihn nieder, wenn er sich wehrt.«

»Was ist's, Leutnant?« hörte man die rauhe Stimme des Hochbootsmanns.

»Er hat Hand an mich gelegt – mich seinen Offizier zu ermorden versucht, nachdem er seine Kraft mißbraucht, mir die Waffe zu entreißen. Seht, er trägt sie noch in der Hand!«

In der Tat hatte Claus Hansen den unglücklichen Kurzdegen nicht von sich geworfen, sondern hielt ihn noch, wohl nur durch die krampfhafte Erregung, die sich seiner bemeistert, in der Hand und vor den Augen aller rannen langsam ein paar Tropfen des vergossenen Blutes nieder von der Spitze zur Erde.

»Blixen und Bramtopp, das ist schlimm!« murrte der alte grauhaarige Seemann mit einem ziemlich verächtlichen Blick auf den Leutnant. »Hab's lange gefürchtet, daß es so kommen würde. Aber's hilft nun nichts! Gib dich mein Junge und laß dir die Eisen anlegen.«

Der Friese hatte sich hoch emporgerichtet – jetzt umfaßte seine Hand mit voller Kraft den Griff des scharfen Seitengewehrs. Sein Gesicht wurde bleich wie das eines Toten, aber in den großen hellblauen Augen begann ein unheimliches Feuer zu lodern. Die weißen Zähne des Mannes waren fest auf die blutlose Unterlippe gesetzt, die Adern seiner Schläfe schwollen blau an.

»Gods Blixen Mann,« sagte der alte Seebär, – »ich glaube, du kriegst Berserkerwut! ich sah sie nur einmal bei einem Normann, vergesse sie aber mein Lebtag nicht. Sei vernünftig, Claus Hansen, und gib dich zur Ruh!«

Mit derselben Gleichgültigkeit, als knote er am sichern Bord ein loses Tau und als handle es sich hier diesem Manne gegenüber nicht um sein eigenes Leben, holte er die Handringe, die er immer bei sich trug, aus der weiten Tasche seiner Schiffsjacke, und klappte sie auf zum Gebrauch.

»Erbarmen, beim allgütigen Gott!« flehte das Mädchen, auf ihren Knien, händeringend. »O gnädigster Herr Offizier, bedenkt, welche Sünde Ihr auf Euer Gewissen ladet! Er hat nur ein unschuldiges Mädchen beschützt!«

Der Leutnant von Rosen hatte sich hinter den alten Seemann geflüchtet. »Auf ihn! greift ihn! werft ihn nieder und fesselt ihn! fürchtet ihr euch, so viele gegen einen?«

Noch war keine Silbe über die Lippen des Bedrohten gekommen, aber bei dem neuen Anruf des Offiziers machte er eine Bewegung, als wolle er sich auf ihn stürzen, und es wäre unzweifelhaft dessen Tod gewesen, denn der Hochbootsmann selbst hätte dieser zur höchsten Potenz angespannten Kraft nicht zu widerstehen vermocht, und die Soldaten und Matrosen standen im Kreise, ohne zu wagen, zu Hilfe zu eilen – die Jungfrau stieß einen lauten Angstschrei aus – da plötzlich schien die Absicht des friesischen Recken sich zu ändern, – er wandte den starren furchtbaren Blick zur Seite – dorthin, wo die Ruine des alten Flibustierturms stand und mit einem gewaltigen Sprung war er an der dichtesten Gruppe der Soldaten und Matrosen.

»Platz da!«

Drei der starken stämmigen Männer flogen wie Knaben auf die Seite und zu Boden vor diesem gewaltigen Anprall – ein sausender Hieb, und die Muskete, die der eine Seesoldat ihm entgegengehalten, flog mitten durchgehauen in Stücke – im nächsten Augenblick hatte der Friese den Fuß des alten Gemäuers erreicht und mit jener instinktiven, ans Wunderbare grenzenden Gewandtheit, die den Mondsüchtigen und den Rasenden allein eigen ist, schwang er sich an den einzelnen Steinen, wo sicher der Fuß einer Gemse kaum Platz gefunden, empor und war in einigen Momenten auf der Höhe des Gemäuers. Noch ein gewaltiger Ruck, unter dem dröhnend ein Stück Mauerwerk in das Innere niederrollte und er stand hinter einer Art von Ballustrade, die ihn nötigenfalles eine Zeitlang vor den Kugeln der Verfolger decken konnte.

Einen wie verwunderten Blick sandte er dem in die Tiefe rollenden Gestein nach, dann richtete er die sprühenden Augen wieder auf seine Gegner.

»Wer mir naht, ist des Todes!«

Sie standen alle bestürzt einige Zeit ratlos. Dann schrie der Leutnant: »Mariniers – sind eure Musketen geladen? Feuer auf den Meuterer! Schießt ihn herunter wie einen Spatzen vom Dach – zehn Species dem, der ihn trifft!«

Der Ausführung des Kommandos war ein gebietendes Halt! im Rücken der Menge begegnet, die sich um die Ruine gesammelt hatte.

Drei Männer waren auf den Lärm von der Faktorei hergekommen, der Kommandant des Lyimfjord selbst, Kapitänleutnant Hammer, der alte Plantagenbesitzer von Guadeloupe, der an der barschen strengen Seenatur des Dänen großes Gefallen gefunden hatte, und der Kaufherr und Vorsteher der Herrnhuter Mission Erich Barthelsen. Den Pflanzer begleitete seine Tochter, die schöne Kreolin Josephine.

»Was geht hier vor? Was ist geschehen?« fragte der Kapitän des Lyimfjord streng. »Leutnant von Rosen, rapportieren Sie!«

Der Offizier, die Linke vorschriftsmäßig an den von seinem Fall wieder aufgerafften Hut tippend, den blutenden Arm recht auffallend über die Brust gelegt, berichtete in dienstlicher Haltung, daß er die Leute den kürzeren Weg über die Terrassen heraus zu den Vorratshäusern der Faktorei geführt, wobei schon den ganzen Weg der deutsche Matrose Claus Hansen, wie immer, sich trotzig und störrisch gezeigt, seine Befehle mit böswilligen Worten erwidert und zuletzt, als er sich veranlaßt gesehen, dem Schiffsjungen Jürgen eine Züchtigung zu erteilen, geradezu Widersetzlichkeit geübt, Schmähungen und Drohworte ausgestoßen habe und nur auf seinen strengen Befehl endlich den andern Leuten zur Arbeit nach der Faktorei gefolgt sei. Bald darauf aber, während er, der Leutnant, sich noch mit Fräulein Barthelsen unterhalten, und ihr beim Verband des Jungen Hilfe geleistet habe, sei der Matrose, der den Taugenichts immer in Schutz genommen – in offener Meuterei zurückgekommen, habe sich auf ihn geworfen, ihn – da er an Körperkräften der Schwächere, mißhandelt und als er seinen Degen gezogen, ihm diesen entrissen und ihn damit verwundet. Nur seiner eigenen Gewandtheit und Geistesgegenwart habe er es zu danken, daß er von dem Mörder nicht durch und durch gestoßen worden sei, was gewiß noch geschehen wäre, wenn ihm nicht durch das zufällige Erscheinen des Hochbootsmanns und seiner Leute, sowie durch das Herbeieilen der Leute aus der Faktorei auf den Hilferuf des Fräulein Barthelsen zeitig genug Beistand gekommen wäre. Der Verbrecher habe sich nun geweigert, sich gefangen zu geben, vielmehr mit der ihm entwendeten Waffe sich gewaltsam durch seine Kameraden geschlagen, wie die zerschmetterte Muskete beweise, und so sich auf jenes Gemäuer geflüchtet, von wo er jedem den Tod drohe, der sich ihm nähern wollte.

Mit blitzenden Augen, an dem Arm ihres Vaters hängend, hatte die Kreolin dem Bericht des Offiziers zugehört, dessen Doppelzüngigkeit und Tücke sie wohl ahnen mochte, wenn sie auch die Worte nicht verstand; vergeblich hatte die junge Herrnhuterin mehrfach ihn zu unterbrechen und den Bedrohten zu verteidigen versucht, – die Scham über die erlittene Zudringlichkeit, die zu der traurigen Szene geführt, ließ sie nicht einmal alles sagen; mit ernsten: festem Blick hatte der Kommandant des Schiffes seinem Offizier, dessen Charakter er sehr wohl kannte, zugehört, – aber was er auch über die Ursachen und den Vorgang im Innern denken mochte, – es galt hier zunächst, der Subordination unerbittliche Geltung zu verschaffen.

»Diese Dame hier,« sagte er streng, auf die Kreolin weisend, »hat uns allerdings über Ihr Benehmen, Herr Leutnant, andere Dinge berichtet, indes habe ich jetzt nicht danach zu fragen.« – Er tat einige Schritte gegen die Ruine vor. » Claus Hansen – hörst du mich?«

Der Mann auf der Warte machte schweigend das Zeichen der Bejahung.

»So steige sofort herunter und übergib dich der Wache. Was du getan, muß durch das Kriegsgericht abgeurteilt werden.«

Der Friese rührte sich nicht – die mächtige Aufregung, die ihn vorhin fortgerissen, schien einer starren finstern Ruhe Platz gemacht zu haben.

»Du weigerst den Gehorsam? – Mir – deinem Kapitän?«

Wiederum keine Antwort.

»Leutnant von Rosen!«

»Kapitän!«

»Senden Sie vier Mann nach den Gebäuden dort, um Leitern herbeizuholen. – Sind die Gewehre der Mariniers geladen?«

»Ich befahl es und werde nachsehen!«

Die Musketen waren geladen, die Zündhütchen wurden aufgesetzt.

Der Leutnant rapportierte es.

»Stellen Sie die vier Mann an solche Orte, wo sie das Versteck mit ihren Kugeln erreichen können. Herr Barthelsen!«

»O Kapitän – üben Sie Milde mit dem unglücklichen Mann! Das Gebot des Herrn sagt: ›Tötet nicht, auf daß Ihr nicht wieder getötet werdet.‹«

»Hat diese Ruine im Innern Zugänge oder die Mittel emporzusteigen?«

»Es ist alles ein Trümmerhaufen, Herr – es ist ein Wunder, daß der Unglückliche dort hinauf hat gelangen können. – O Herr – lassen Sie mich mit ihm reden, im Namen des allmächtigen Gottes ihn beschwören, sich lieber der Gnade seiner irdischen Richter anheim zu geben, als seinen göttlichen Schöpfer durch schlimmen Trotz zu erzürnen!«

Eine heftige Szene hatte zwischen dem Pflanzer und seiner Tochter stattgefunden. Die schöne Josephine begriff, was geschehen sollte.

»Vater, du wirst doch nicht leiden, daß dem Mann, der den Frechen strafte, der mich zu beleidigen wagte, etwas Schlimmes geschieht?«

Der alte Brester Kapitän zuckte die Achseln. »Schiffsdisziplin, Kind – die muß aufrecht erhalten werden. Für die Abrechnung mit dem Burschen da, der dich beleidigt, laß mich sorgen.«

»Vater – ich beschwöre dich – um meinetwillen, laß ihn nicht herunterschießen, wie ein wildes Tier.«

Der alte Kapitän trat zu seinem dänischen Bekannten, zu dessen Füßen die junge Herrnhuterin kniend um Milde bat. »Kamerad,« sagte er – »Ihr seid in Eurem Recht und Eurer Pflicht! Aber der Hanswurst da, durch den die ganze Geschichte gekommen, scheint mir nicht den zehnten Teil des armen Kerls da oben wert zu sein. Tut mir's zu Gefallen, versucht's noch einmal in Güte, ihn zum Gehorsam zu bringen.«

»Sie haben recht mit dem Wert der beiden, Kapitän Lautrec, der Mann tut mir aufrichtig leid; denn nach dem Vorgefallenen ist er so wie so verloren, und ich würde wie er es zu tun scheint, eine Kugel dem Strick vorziehen. Aber weil Sie es wünschen, will ich's versuchen.«

Wieder trat er einige Schritte an die Ruine heran, diesmal näher als vorhin.

»Claus Hansen!«

Der Friese nickte.

»Sie dauern mich aufrichtig. Hätte ich das vorher gesehen, hätte ich lieber den Bitten der Janfrou Halsteen nicht nachgegeben.«

Es zuckte wie ein Erdbeben durch den mächtigen Körper des Friesen bei der Erinnerung an jene Szene im Stadthaus zu Kopenhagen, an das Weib, dessen Bild er im Herzen trug und das doch dem eigenen Bruder gehören mußte.

»Wir sind Männer und müssen unser Schicksal als solche tragen. Kapitän Claus Hansen. Das Höchste, was der Mann hat, ist die Treue an seinem Wort. Meinen Sie das auch?«

Der Friese neigte zustimmend das Haupt.

»Wohl denn, Claus Hansen, du hast dein Manneswort gegeben, geheuert zu sein für zwei Jahre auf meinem Schiff und untertan den Gesetzen des Dienstes. Ist es so oder ist es nicht?«

»Es ist so, Kapitän Hammer!«

Die Worte kamen schwer und langsam – die ersten! – aus dem Munde des gefährdeten Mannes, – aber sie klangen deutlich und klar. Jedermann fühlte ihre schwere Bedeutung.

»Wohl! Wort ist Wort, und wer es bricht, und sei es für einen ehrlichen Tod, ein Wortbrüchiger! – So komm herab, Mann, und füge dich den beleidigten Gesetzen, die du geheuert!«

Der Kapitän wandte sich um, ohne auf den Erfolg seines Anrufs zu warten.

»Halt, Kapitän Hammer!«

Die Stimme des Friesen klang so dröhnend, mächtig, daß sie selbst den teilnahmlosesten der Hörer erschütterte.

Der Kapitän wandte sich sogleich zurück.

»Ich werde mein Gelöbnis halten, Kapitän Hammer, und mich dem Kriegsgericht unterwerfen,« sagte Claus Hansen. »Aber ehe ich mich ergebe, wünsche ich den Mann dort zu sprechen.«

»Wen? – den Kaufmann?«

Claus Hansen hatte auf den Vorsteher der Brüdergemeinde gewiesen. »Ja! – er ist mein Verwandter!«

»Das wußte ich nicht! – Dein Verlangen ist gewährt!«

Der würdige Herrnhuter war wahrscheinlich ebenso erstaunt über die angerufene Verwandtschaft, als die anderen Zuschauer der Szene. Der Name Hansen ist so vielfach vorkommend in Schleswig-Holstein, daß seine gelegentliche Erwähnung nicht einmal seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Die Matrosen hatten bereits aus der Faktorei zwei Leitern herbeigeschleppt. Auf den Befehl des Kapitäns wurde die eine an das alte Gemäuer gelegt, und der Kapitänleutnant hieß den Kaufherrn da hinaufsteigen, während er zugleich alle Anwesenden außer Hörweite zurücktreten ließ, sehr zum Verdruß des Leutnants.

Erst nach einigem Zögern entschloß sich der Vorsteher der Brüdergemeinde, seiner Würde so viel zu vergeben, den nicht ganz ungefährlichen Aufstieg auf der Leiter anzutreten. Unter der Mauerkrone, die den Geflüchteten barg, hielt er inne, da er sah, daß der Mann, der ihn angerufen, sich über diese zu ihm niederbeugte.

»Unglücklicher Bruder im Herrn – ist es wirklich wahr, daß wir durch die Bande des Blutes miteinander verbunden sind? Warum hast du diese Verwandtschaft erst jetzt angerufen?«

»Wissen Sie von dem Kapitän Christian Barthelsen in Schleswig?«

»Er ist mein Vetter!«

»Und der leibliche Bruder meiner Mutter, die den Pastor Hansen auf Amrum heiratete. Doch das ist gleich, Oheim Barthelsen ist ein Ehrenmann bis in die Spitze seiner Zehen und ein treuer Sohn seines Vaterlandes. Auf Ihre Ehre und Ihr Gewissen, Kaufherr Erich Barthelsen, frage ich Sie, sind Sie ein Sohn Schleswig-Holsteins geblieben in diesem fernen Weltteil?«

»O – Mann – das ist eine schwierige Frage – wir sind friedliebende Untertanen der Krone Dänemark. Ich bin auf dieser Insel geboren.«

»Aber Ihr Vater und Ihre Mutter waren geboren an den Ufern der Schley, freie deutsche Männer, nicht dänische Sklaven. Bei dem Haupte Ihrer schuldlosen Tochter, die ich aus den unsauberen Händen jenes frechen Dänen gerissen, sind Sie in Ihrem Herzen ein deutscher Mann geblieben?«

Der Vorsteher holte tief Atem. »Ich bin es! – nur …!«

»Mehr verlange ich nicht! Dem deutschen Manne gebe ich mein Erbe. – Sagen Sie, wem gehört der Fleck Erde, auf dem dieses Gemäuer steht?«

»O – niemandem – wer sollte sich um das wüste Ding kümmern, das einst der Sünde und dem Verbrechen gedient. Noch Monkbar, der grimmige Seeräuber soll hier gehaust haben.«

»Aber wer hat den Turm gebrochen?«

»Die Franzosen, die Spanier, die Engländer – Alle haben nach den angeblichen Schätzen der Bouccaniers gesucht, und so ihn zerstört. Es war die Torheit der Habsucht.«

»Aber wenn sie einen Schatz gefunden hätten, wem – würde er gehört haben?«

»Wem anders, als dem Finder! Aber unglücklicher Bruder im Herrn, was beschäftigst du dich mit solchen eitlen Dingen des Aberglaubens, statt um dein Seelenheil oder deine leibliche Rettung bekümmert zu sein; denn, unglücklicher Mann! ich glaube, daß dein sündiger Zorn dich schwer gefährdet hat.«

»Mein Leben ist verfallen, ich weiß es! Aber was ist das Leben eines einzelnen Mannes gegen die Freiheit, das Leben eines ganzen Volkes! Erich Barthelsen, im Namen Gottes und deines Vaterlandes – schwöre mir zu schweigen und treu meinen letzten Willen zu tun.«

»Unsere Rede sei: Ja, ja! und nein! nein! – ich darf nicht eitel schwören und geloben, aber ich sage dir als ehrlicher Mann zu: Ja, ich werde deinen Willen tun, wenn dies ein Trost sein kann aus deinem schweren Wege.«

»Beugen Sie sich herauf! – Hören Sie! – Ich, ich! habe den Schatz der Bouccaniers gefunden, in diesem Augenblick! und er gehört, wie Sie selbst bezeugt, mir – einem toten Mann!«

Der ehrliche Herrnhuter wäre fast von der Leiter gefallen bei dieser plötzlichen Entdeckung.

»Mann – Bruder – frevle nicht mit solchen Dingen!«

»Ich frevle nicht – es ist kein Spiel, sondern schwerer Ernst. Deshalb, um das was Gott mir in dieser bösen Stunde gegeben, meinem Vaterland zu weihen und den gierigen Händen unserer Erbfeinde zu entreißen, deshalb ergebe ich mich und übergebe mich ihrem Gericht und dem sichern Tod. Als ich hier heraufsprang und den Mauerrand erfaßte, riß der Quader sich los und stürzte in die Tiefe. In der Nische, die sich damit geöffnet, sehe ich zehn Tönnchen stehen mit schweren eisernen Reifen gebunden. Das eine ist, vielleicht von der Erschütterung gesprungen und wie ich fürchte ein Teil des Inhalts mit in die Tiefe gerollt. Und dieser Inhalt sind goldene spanische Doublonen! Deshalb rief ich dich, Vetter Barthelsen, und setze dich zu meinem Erben. Wenn sie mich, tot oder lebendig, voll hier herabgeholt, würden sie das Gold entdeckt haben, selbst wenn sie nur in das Innere der Trümmer kämen. Deshalb, Vetter Barthelsen, wähle ich nicht den freien Tod eines freien Mannes, sondern überliefere mich lebendig den dänischen Henkersknechten! An dir ist es, für das weitere zu sorgen.«

»Aber Mann! – Blutsfreund! Unglücklicher! was soll ich tun?«

»Das Gold für den Tag bewahren, wo die Fahnen unseres Vaterlandes noch einmal sich heben zum Kampf gegen den falschen Danebrogk! Das Gold dem Kampf widmen für die Freiheit Schleswig-Holsteins! – Und jetzt, frommer Vetter Barthelsen, sei treu und redlich wie dein Blutsfreund an der Schley – und hinab mit dir, daß die dänischen Henkersknechte nicht länger zweifeln dürfen an dem Wort eines friesischen Mannes.«

Er schleuderte den Kurzdegen, seine einzige Waffe, hinab und nötigte den Herrnhuter, die Leiter hinunterzusteigen, was dieser, kaum Herr seines Bewußtseins tat. Dann folgte er selbst. Eine tiefe Stille herrschte unter allen Anwesenden. Mads Störe, der Hochbootsmann, trat auf den Friesen zu, die eisernen Ringe in der Hand.

Der Matrose zuckte trotz seiner Entschlossenheit zusammen, sein fragender Blick traf den Kapitän.

»Muß es sein?«

Der Kapitänleutnant nickte finster. »Es muß sein. Das Dienstreglement befiehlt so.«

Der Friese bot die Hände dar – einen Augenblick, und die festen Klammern umschlossen sie.

»Claus Hansen,« sagte der Kommandant des Lyimfjord. »Du sollst dein ehrliches Kriegsgericht haben. – Nehmen Sie Ihren Degen dort, Leutnant von Rosen! An Bord mit dem Gefangenen!«


Am Nachmittag nach den eben beschriebenen Szenen hatte em Bord des Lyimfjord ein Kriegsgericht über Claus Hansen, ehemaligen Kauffahrerkapitän, zurzeit Matrose auf Sr. Majestät Kriegsdampfer, stattgefunden. Jedermann wußte vorher, was der Ausgang sein mußte, selbst wenn der Leutnant von Rosen sich selbst preisgegeben hätte, – eine Selbstverleugnung, die niemand von ihm erwartete und an die er selbst noch weniger dachte. Vielmehr hatte er alles getan, was die Schuld des Gefangenen in den Augen der Richter noch erschweren mußte.

Die dänischen Schiffsartikel sind von drakonischer Strenge. Obschon auf Betreiben des Kapitän Lautrec und des Vorstehers der Brüdergemeinde dem Angeklagten der beste Advokat, der aufzutreiben war, zur Seite stand, und die beiden jungen Damen selbst sich nicht scheuten, als Zeugen für ihn aufzutreten, ließen sich die beiden Tatsachen nicht widerlegen: meuterischer Ungehorsam mit bewaffneter Hand und Mißhandlung und Verwundung des vorgesetzten Offiziers! – und darauf stand unabänderlich der Tod – der Tod durch den Strang!

Der Angeklagte hatte, ohne zu zucken, das Urteil gehört, das nach der Schiffsordnung am andern Morgen an ihm vollstreckt werden mußte. Er bat allein um die Erlaubnis, vor seiner Hinrichtung noch einige Briefe schreiben zu dürfen, und schrieb an seine Mutter, an seinen Bruder und Edda Halsteen. Dann, nachdem er noch geistlichen Zuspruch erhalten und ihn als gläubiger Christ entgegengenommen hatte, las er bis zum späten Abend in der Bibel und streckte sich dann in dem zum Gefängnis angewiesenen, von zwei Schildwachen mit aufgepflanzten Bajonett bewachten Raum auf seine Schiffskiste, und schlief so fest und ruhig ein, als handle es sich nicht um seine letzte Nacht auf Erden.

Vergebens hatte sich Herr Erich Barthelsen, der Kaufherr und Älteste, aus seiner gewöhnlichen Ruhe gerüttelt und war zum Gouverneur der dänischen Kolonien – damals Justizrat Birch – geeilt und hatte eine hohe Summe aus seinen eigenen Mitteln für die Begnadigung des Verurteilten oder wenigstens Aufschiebung der Vollstreckung geboten, bis eine Begnadigung von Kopenhagen erwirkt werden könne, – der Gouverneur hatte keine Macht über die militärischen und Marinegerichte – und der Kapitän Hammer kannte nur die Paragraphen der Schiffsartikel.

Ja – wenn der Mann nicht eingelobter Matrose der Kriegsmarine gewesen wäre – aber die Empörung war im Dienst begangen!

Der Verhandlung des Kriegsgerichts, die immer öffentlich ist, hatte auch der französische Pflanzer beigewohnt. Als nach Beendigung derselben der Vorsitzende, Kapitänleutnant Hammer, sich zu seinem eigenen Offizier wandte und ihm mit dürren Worten riet, bei ihrer Rückkehr nach Kopenhagen seinen Abschied zu fordern, klopfte ihn der alte Brester Seewolf lächelnd auf die Achsel. »Wird, so Gott will, nicht nötig sein, Herr Kamerad vom Danebrogk. Der Herr dort hat sich erdreistet, die Mademoiselle Josephine Lautrec, des alten Kapitän Lautrec Tochter, wegen der Farbe ihrer Mutter zu beleidigen, und ein Lautrec hat noch niemals eine Beschimpfung eingesteckt. Ich hoffe, der Herr dort folgt einem besseren Mann, als er ist, in die Ewigkeit!« – – – – – – – – –

Es war Mitternacht vorüber – in dem Geschützraum des Lyimfjord, nur von dem matten Schein einer Laterne erhellt, – schritt die Schildwache schläfrig auf und nieder, die schlaftrunkenen Augen nach der Stelle richtend, wo der verurteilte und gefesselte Mann auf der Schiffslade vielleicht von den frohen Kinderjahren, den einfachen Szenen seiner heimatlichen Watten und dem schönen Frauenbilde dort an den grünen Wogen der Ostsee träumte.

Ihm gegenüber in dem luftigern Raum statt in dem dunstigen Lazarettlokal, hatte die Menschlichkeit des Kapitäns, dem armen noch an seiner Kopfwunde kranken und oft laut phantasierenden Schiffsjungen Jörg die Hängematte aufschlagen lassen.

Die Pforten auf beiden Seiten waren geöffnet, um der frischen Seeluft den Durchzug zu gestatten – kennt doch diese glückliche Zone die Härte des scheidenden Winters nicht.

Mit dem frischen Seewind kamen die Mondstrahlen und fluteten in langen, lichten Streifen durch den Raum, wenn das an seinen Ankern sich stöhnend auf und niederwiegende Schiff die offenen Luken dem vollen, hellen Schein bot, der draußen über Reede und Land so bleich und gespenstig sich verbreitete.

Aber was naht dort im bleichen Mondschein? – ein schwarzer Nebel, ein bewegliches Phantom, wie es der abergläubische Seemann so oft zu erblicken glaubt auf der einsamen Wache, oder im brüllenden Kampf der Elemente! Was schaudert der Posten dort, der langsam den Gangweg auf und nieder schreitet und zuweilen in die Wantung tritt, um hinunterzuschauen auf die im Mondlicht blitzenden Wellen und das Spiel der Delphine und ihrer schlimmeren Kameraden. Ist es das Gespenst der furchtbaren Pest, die so oft diese Inseln Heimsucht? Aber nein, der Wachtmann ist ein alter, befahrener Seemann, und weiß, daß die Zeit für das gefährliche Fieber noch nicht gekommen ist.

Da – da – jetzt huscht es an ihm vorüber und taucht in die Luke – Torheit! es ist der Schatten irgendeines Nachtvogels, der um das Schiff streift. Der Mann auf der Wache wendet sich ab. –

Der kranke Knabe Jürgen im Geschützraum stöhnt laut auf. »Die schwarze Frau! die schwarze Frau!« – Ein heiteres Lächeln liegt auf den Zügen des Schlummernden – die gefesselte Hand macht eine leichte, abwehrende Bewegung, als wenn sie nach dem Schiffsraum deutete, in dem die Kabinen der Offiziere liegen.

»Edda! – Adda!«

Wieder zieht der dunkle Schatten des Vogels leichter, lichter hin über das blitzende Meer – weit hin – nach Osten!

Der Mann auf der Wache reibt sich die Augen, brummt einen Fluch und setzt seinen einsamen Marsch fort.


»Alle Mann auf Deck zur Exekution!« gellt die Pfeife des Hochbootsmanns das traurige Signal, und aus den Luken wälzt sich die Schar der Matrosen und Seesoldaten, nicht mit dem gewöhnlichen Geräusch und Lärmen, sondern ernst und still, wie es sich für den traurigen Auftritt ziemt, dem sie entgegengehen. Wie roh auch der Sinn dieser rauhen Männer sein mag, wie wenig sie auch Sympathien und Freundschaft für den Kameraden aus einer verhaßten Nationalität hegten, der immer so stolz sich abgesondert hielt von ihren Kreisen und ihrer lärmenden Lust – jetzt, im Augenblick, wo er für immer aus ihrer Mitte scheiden soll, sehen sie in ihm nur den bewährten Seemann, den furchtlosen, zuverlässigen Kameraden – den lebenskräftigen Mann!

Die Matrosen und Seesoldaten stellen sich auf beiden Seiten des Vorderdecks auf – manch scheuer Blick schweift nach der Rahe des Vormasts, von der im Morgenwind die verhängnisvolle Schlinge herabschaukelt. Die Deckoffiziere kommandieren sechs Mann, die das andere Ende der Leine zu fassen und damit nach hinten zu laufen haben, wenn der Konstabel dort die Lunte auf das Zündloch der Signalkanone legt.

Längst verschwunden sind die Mondstrahlen, – die Sonne ist aufgegangen in voller Pracht und ihre goldenen Lichter fluten über Land und Meer. Rings um den Lyimfjord her lagern sich die Boote des andern im Hafen ankernden Kriegsschiffes – in den Wanten der Kauffahrer hängt das Schiffsvolk, aus allen Farben und Rahen bunt zusammengewürfelt, – und drüben – da, wo die Faktorei der Herrnhuter Kolonie steht – liegen in einem Schlafzimmer des Wohnhauses zwei schöne, junge Mädchen weinend auf ihren Knien und beten für die Seele des Scheidenden.

Kapitänleutnant Hammer in voller Uniform mit den Offizieren der Schiffsequipage und den Mitgliedern des Kriegsgerichts, – nur der erste Leutnant hatte Urlaub an Land genommen – tritt aus seiner Kajüte, die Schiffsartikel und ein weißes Taschentuch in der Hand. Sein Gesicht ist ernst, beinahe finster. Der Trommelwirbel rollt zur Begrüßung, während sein Auge prüfend über das Verdeck fliegt. Der zweite Leutnant hat das Kommando der Exekution.

»Quartiermeister, holt den Verurteilten!«

Der Quartiermeister verschwindet durch die Luke, – gleich darauf unter dem gedämpften Wirbel der Trommeln steigt er wieder empor, hinter ihm zwei Seesoldaten mit aufgepflanztem Bajonett, dann der Gefangene, hinter ihm wieder die Wache.

Claus Hansen, einfach aber reinlich in seinem besten Seemannsanzug, ohne Hut, den kräftigen Hals entblößt, die Jacke nur über die Schultern und die hinten an den Handknöcheln zusammengeschnürten Arme gehängt, schreitet fest und mannhaft zwischen seinen Wachen nach der verhängnisvollen Stelle. Sein offenes, ehrliches Gesicht ist bleich, aber sein Ausdruck würdig und ruhig. Mit einem leichten Neigen des Hauptes grüßt er die Gruppe der Offiziere und seiner bisherigen Kameraden. Sein Auge richtet sich weit hinaus aufs Meer.

Der kommandierende Offizier senkt den Degen, und die Trommeln schweigen.

Der Kapitänleutnant Hammer tritt einen Schritt vor, er verliest mit ernster, hallender Stimme den betreffenden Paragraphen der Flottenordnung und schließt mit den Worten:

 

»Und somit Claus Hansen übergebe ich deinen sterblichen Leib dem Vollstrecker des Richtspruchs und deine Seele dem gnädigen Gott. Nimm Abschied von dieser Welt. Profoß – tut eure Pflicht!«

 

Der Profoß naht sich mit der verhängnisvollen Mütze, die dem Verurteilten bei der Exekution über das Gesicht gezogen zu werden pflegt.

Aber die Matrosen und die Offiziere sehen sich verwundert an, als fehle noch etwas an der furchtbaren Zeremonie, und einer der Beisitzer des Kriegsgerichts neigt sich zu dem Kapitän.

»Das Gebet, Herr Kamerad, verweigern Sie nicht dem armen Mann das letzte Gebet!«

»Da sei Gott vor! – Es ist seltsam, daß ich das vergaß, ich legte das Gebetbuch noch gestern abend zu dem Zweck auf den großen Tisch in der Vorkajüte. Steward – holt mir das Gebetbuch, wie es dort liegt.«

Es folgte eine tiefe Stille, nur unterbrochen von dem Wink des kommandierenden Offiziers, sich fertig zu machen, da während des Verlesens des Sterbegebetes, das auf kleineren Kriegsschiffen, auf denen kein besonderer Geistlicher an Bord ist, durch den Kapitän erfolgt, die letzten Vorbereitungen getroffen werden, und mit dem Amen das verhängnisvolle Signal gegeben wird.

Die Schlinge lag bereits um den Hals des Verurteilten – der Profoß zog sie zurecht, den Knoten unter das linke Ohr, um ihm das Sterben zu erleichtern.

»Kamerad – bist du bereit?«

»Ich bitte dich, laß mich das Meer sehen, meine und deine Heimat, bis zum letzten Augenblick!«

Die Bitte war zu sehr im Sinne des Seemanns, als daß sie unerfüllt geblieben wäre, – die Mütze blieb in der Hand des Bootsmanns.

Der Steward kam aus der Kajüte und überreichte dem Kapitän das große, schwarz gebundene Gebetbuch – der Offizier auf dem Gangweg machte sich fertig.

Kapitän Hammer schlug das Buch auf und stutzte einen Augenblick. An der Stelle, wo das Sterbegebet beginnt, lag in dem Buch ein großer Brief mit dem bekannten Kuvert und dem Siegel des Königlichen Kabinetts.

 

»An den Kapitän Unseres Schiffes
Lyimfjord
Kapitänleutnant Hammer
Station St. Croix.«

 

und links im Winkel das Wort: »Sofort!«

Der Kapitän sah erstaunt auf den Steward: »Einen Augenblick, meine Herren! Wer gab dir den Brief?«

»Niemand, Kapitän! – Euer Gnaden muß ihn selbst in das Buch gelegt haben.«

»Daß ich nicht wüßte. Laß sehen – Seiner Königlichen Majestät Befehle vor allen andern Geschäften.«

Er prüfte Siegel und Kuvert und öffnete es kopfschüttelnd. Der bekannte Quartbogen aus dem dicken Velin kam heraus, der Kapitänleutnant schlug ihn auf.

»Allmächtiger Gott – was ist das? Seiner Majestät eigene Handschrift – wie kommt die hierher? – Leutnant Hendriks, – die Exekution muß ausgesetzt werden, bis ich weiter geprüft! – Es ist unmöglich! unmöglich!«

Aber in dem Schreiben stand mit klaren, sicheren Worten und die vom Marineminister gegengezeichnete Order unzweifelhaft die königliche Handschrift:

 

»Der Seemann Claus Hansen aus Amrum, zurzeit an Bord des ›Lyimfjord‹ dienend, ist von diesem Augenblick an aus Unserer Königlichen Marine und dem dänischen Untertanenverband entlassen und aus Unseren Landen verwiesen, bei Strafe schweren Kerkers im Fall des Wiederbetreffens.

Frederik

Kopenhagen, am 2. März 1861.

 

»Der zweite März – und wir schreiben heute den fünften! Alle tausend Teufel, wie ist das möglich? wie kommt der Brief hierher? – Dann wäre das Urteil des Kriegsgerichts ja null und nichtig, und das Verbrechen ein bloßer Streit zwischen Leutnant Rosen und einem Fremden! – Nehmt ihm den Strick ab! Hierher Mann und sage mir, weißt du etwas von diesem Brief?«

»Nein, Herr – nichts!«

»Vielleicht eine Fälschung – ein von den Freunden des Verurteilten untergeschobener Befehl,« sagte vorsichtig einer der Beisitzer.

»Unmöglich, Herr Kamerad – ich könnte für die Echtheit der Handschrift und des Siegels mit meinem Kopf bürgen. Prüfen Sie selbst. – Donner und Blixen, schon der alte Hamlet soll gesagt haben: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht begreifen können – aber das ist gleich! Ein dänischer Offizier hat auch ohne daß er's begreift, zu tun, was sein König befiehlt! – Kapitän Hansen, ich habe das Vergnügen, Ihnen zu gratulieren. Sie sind frei und haben vor Verlassen meines Schiffs nur dem Zahlmeister das Marinegewehr zu vergüten, das Sie vorgestern zu zerhauen beliebten! – Hochbootsmann – pfeift zum Abtreten!« – – – – – –


Eine Stunde später brachte ein Boot vom Lande die Nachricht, daß Leutnant von Rosen dort im Spital liege mit einer Kugel in der Schulter, die er im Duell erhalten.

Am dritten Tage darauf hatte sich Kapitän Lautrec mit seiner schönen Tochter an Bord eines amerikanischen Schoners eingeschifft, um in St. Thomas den Dampfer nach Havre zu erreichen. In seiner Begleitung befand sich der ehemalige Kauffahrerkapitän und Matrose am Bord des Lyimfjord Claus Hansen.



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