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Die Bärenjäger.

(Fortsetzung.)

Der Graf von Lerida hatte seinen Zuhörern gesagt:

»Hier haben Sie die Unterredung!«

Dann gab er sie ihnen, wie er sie gehört hatte und sich ihrer erinnerte, in seiner lebendigen, dramatischen Erzählungsweise, indem er die Redenden selbst einführte. –


Signor Legroni war mit den beiden Herren mit zwei mächtigen Wachskerzen, die vielleicht einer seiner Stammgäste aus irgendeiner Kirche oder Kapelle hatte mitgehen heißen lassen, vorangeschritten und hatte unter hundert Bücklingen und Komplimenten die Leuchter auf den Tisch gesetzt, sich angelegentlich erkundigend, ob sie nichts mehr zu befehlen hätten.

»Nichts weiter, Ihr alter Narr,« sagte der Herr von Villafranca, »als daß Ihr Euch endlich Eurer Wege scheert; und wenn Ihr wieder heraufkommt, um diesem Herrn zu melden, daß die Tiere bereit und Meister Andrea ausgeschlafen hat, so bringt das Fell von dem Bock mit und hängt es an meine Tür. Fort mit Euch!«

Der Wirt verließ rückwärts schreitend das Zimmer und schloß die Tür.

Die beiden seltsamen Gäste der Osteria waren allein.

Der Herr von Villafranca warf sich ungestüm in einen alten Lehnsessel, daß das Holz knackte.

»So!« sagte er halb verdrießlich – »da hast du mich in der Klemme. Und nun, Pest und Doria, schieße los, Mann!«

»Verzeihung Euer …«

»Halt da! Ich bin der Herr von Villafranca, das hast du nun schon dreimal gehört und damit Basta – sonst hör ich dich mit keinem Wort an. Du verdienst es überhaupt nicht, Graf; ein Mann, der seinen Freunden eigensinnig den Stuhl vor die Tür setzt, wenn es ihm nicht gleich nach Willen geht, hat gar kein Recht, diesen Freunden politische Gardinenpredigten zu halten.«

»Aber Sie wissen am besten, daß ich es nur getan, um unsere Pläne für die Zukunft möglich zu halten und sie vorzubereiten. Einen Frieden von Villafranca kann der König abschließen, aber nicht Camillo Cavour.«

»Holla, Freund, ich glaube du wirst grob!«

»Ich weiß nicht, wie lange oder kurz ich noch zu leben habe, aber Italien würde mit Recht das Gedächtnis des sardinischen Ministers mit Schande bedecken, der Nizza und Savoyen für nichts weiter verkauft hätte, als den Preis eines Friedens von Villafranca!«

Ein schwerer Schlag des Stiefels auf den Fußboden zeigte die Meinung des andern.

»Mach mich nicht toll mit deiner Erinnerung! ich werde es mir mein Lebelang nicht vergeben! Ich weiß nicht, wie ich je wieder das Auge vor diesem Mann, Garibaldi, werde erheben und das seine aushalten können.«

»Er hat zum Glück noch keine Ahnung davon, und es muß ihm vorerst verborgen bleiben, bis der Köder des Aufstands in Sizilien alle seine Gedanken in Anspruch nimmt. Aber wie kommen Sie hierher, Si – Signor Villafranca?«

»Schwerenot! glaubst du, daß du allein auf der Bärenhaut liegen und im Lande herumlaufen kannst! Ich will auch mein Vergnügen und meine Erholung haben, Pest und Doria!«

»Ich glaubte Sie bei der Fürstin Fiora,« sagte der andere mit einem Lächeln.

Der Herr von Villafranca murmelte etwas in den langen überhängenden Schnurrbart, das alles andere eher, als eine Höflichkeit war.

»Im ganzen,« fuhr Herr Camillo fort, »bin ich hocherfreut, Sie schon heute abend getroffen zu haben. Ich muß noch heute Nacht fort und hoffe, in zwei Tagen spätestens das Glück zu haben, Sie in Turin …«

»La, la! Mach dir keine Illusionen. Ich habe mir Ferien gegeben, und es müßte stark kommen, wenn ich sie mir kürzen lassen sollte. Hast du die Dirne hier im Hause gesehen? Sie hat ganz verfluchte Augen!«

»Erlauben Sie, daß ich über diese zur Tagesordnung übergehe. Haben Sie Depeschen aus Zürich?«

»Das mußt du Ratazzi fragen, nicht mich! – Weißt du, Camillo, daß der Kerl so albern gewesen ist, sich in das Weibsbild, die sogenannte Prinzessin von Solms, zu verlieben?«

Signor Camillo zuckte die Achseln, während sein Gefährte sich vor Lachen schüttelte.

»Nun – ehrlich gestanden, ich fürchte von dieser Züricher Konferenz gerade soviel, wie von dem neuen Kongreß, den der Kaiser Napoleon ausschreiben will, – beide haben keine innere Wahrheit!«

»Nimm dich in acht, Camill, mit dem, was du da sagst. Verträge werden geschlossen, um gehalten zu werden, mein Freund!«

»Österreich hat noch nie einen Vertrag gehalten, außer wenn es zu seinem Vorteil war. Bleibt Sardinien auf der Stufe stehen, auf der es sich befindet, so haben wir in Zeit von zwei Jahren Mailand und die Lombardei eben so wieder verloren, wie wir sie jetzt gewonnen haben. Nizza und Savoyen werden geopfert für die Einigung des andern Italiens. Daß der Kaiser Napoleon sich von der Aktion zurückzieht, ist erklärlich, der gezahlte Preis gilt auch bloß für das Zusehen. Sobald in Preußen ein Staatsmann ans Ruder kommt, der sich nicht vor der nationalen Idee scheut, sondern, statt sie als Rebellion und Hochverrat zu betrachten, sich ihrer bemächtigt, werden wir an Preußen unseren mächtigsten Bundesgenossen haben, denn was Rom für Italien, ist Wien für Deutschland, Beulen im Fleisch!«

»Bleib' mir mit Rom vom Halse! ich sage dir, am Felsen Petri wirst du dir die Zähne ausbeißen!«

»Wir sind noch nicht so weit. Das Glied, das man abbindet vom Ganzen, erstirbt von selbst. Der kluge Mann an der Seine, der am Napoleonstage seinen Parisern mit den zwei eroberten österreichischen Fahnen Sand in die Augen gestreut hat, wird finden, daß er sich schwer geirrt mit dem Glauben, Italien als sein Mündel behandeln zu können. Ich bin deshalb gegangen, um – um dem König freie Hand wieder zu geben. Die Dinge kommen uns von selbst. Haben – haben Sie die Nachrichten über den Aufstand der schweizer Regimenter in Neapel?«

»Vom 13. Dieser Bourbon muß mit Blindheit geschlagen sein! Seine besten Truppen zu ruinieren wegen eines albernen Streites, der ihnen die Kantonwappen von den Fahnen nehmen will!«

»Nach den Nachrichten, die ich erhalten, waren sechzig Schweizer gefallen. 290 waren von der Camarilla auf die Galeere geschickt. Am 19. hat Ratazzi die offizielle Anzeige auf meinen Rat an den Schweizer Bundesrat vermittelt, und in acht Tagen wird allen Kantonen offiziell von der Regierung jede Werbung für Rom und Neapel untersagt sein!«

»Das ist allerdings ein Schachzug!«

»Rekapitulieren wir die jüngsten Ereignisse. Am 9. sind die Bevollmächtigten in Zürich zu den Friedensverhandlungen zusammengetreten, und schon die nächsten Tage haben gezeigt, wie man diesen Frieden ansieht. Toskana hat am 16. die Ausschließung der lothringischen Dynastie und die Einverleibung in das künftige Königreich Italien beschlossen, Farini haben wir am Tage darauf von Modena nach Parma geschickt, um die Diktatur zu übernehmen, bis die Einverleibung erfolgen kann.

Modena hat sich am 21. erklärt, und mit Toskana, Parma und der Romagna das Schutz- und Trutzbündnis gegen Österreich und den Papst geschlossen, der einzige Schachzug, den dafür Graf Rechberg gegen uns hat tun können, ist, daß er den jungen Metternich als Gesandten nach Paris schickt!«

»Du liebst ja die emanzipierten Weiber!«

»Nur in die Politik dürfen sie mir nicht pfuschen! Ganz Ober-Italien gehört also uns. Da General Garibaldi das Kommando der vereinigten Truppen des mittelitalienischen Bundes übernommen hat, wird es keinen Anstand finden, daß unsere Soldaten bei der ersten Gelegenheit Parma und Modena besetzen. Dann möge einer der königlichen Prinzen, z. B. Prinz Carignan, von der Regierung der Emilia zum Regenten ernannt werden.«

»Der Kaiser wird Einsprache tun!«

»Gewiß, aber was schadet das? Der Prinz lehnt ab und überträgt die Regentschaft dem sardinischen Gesandten. Nach und nach wird – immer auf Verlangen des Volks, die sardinische Verfassung eingeführt, und da der Kaiser Napoleon nicht umhin können wird, vor den Augen Europas die Komödie einer Volksabstimmung in Nizza und Savoyen aufzuführen, über die ich mich bereits mit Pietri verständigt habe, so wiederholen wir die Posse in Toskana und der Emilia, alle österreichischen Einsprüche sind damit aus dem Sattel gehoben und – das Königreich Italien erwartet seinen Herrn!«

» Ola! Ola! Du reitest im Galopp, guter Freund! Aber in der Tat, an dir ist ein Ballettmeister verdorben. Den Teufel auch, wie du die Figurantinnen bildest und die Figuranten tanzen läßt. Mann, ich muß mit Nigra sprechen, daß er dir einstweilen die Stelle gibt. Nur eins tu' mir dabei zu Gefallen!«

»Und das wäre?«

»Ziehe den Figurantinnen nicht auch grüne Trikots an, wie sie in Neapel tun!«

Signor Camillo mußte unwillkürlich lachen. »Ich verspreche es Ihnen, übrigens werden Sie schon selbst dafür sorgen, so weit es Ihro Excellenca die Frau Gräfin Fiora erlaubt!«

»Mensch, du bist wieder impertinent! – Aber um Ernstes zu sprechen, du hast in deinem Kalkül zwei Hauptfaktoren vergessen, Neapel und Rom.«

»Ich habe nichts vergessen, nur braucht es mehr Zeit, als wir in den Herzogtümern nötig hatten. Nehmen wir zuerst Neapel.«

»Wohl! ich höre dich.«

»Die innern und äußern Zustände sind dort bereits unerträglich. Die neapolitanischen Bourbonen stehen ganz isoliert. Spanien hat mit sich selbst zu tun, nötigenfalls können wir den Karlisten einen Wink geben; Österreich ist durch England und Frankreich in Schach gehalten. Ich habe die bestimmte Zusicherung Lord Russels, daß England keine Einmischung in die Ordnung der innern Frage Italiens dulden wird! – Bei erster Gelegenheit wird es den europäischen Kabinetten in der Anerkennung des Status quo vorangehen.«

»Sprich ehrlich, was hast du dafür bezahlt?«

»Sie scheinen die Engländer gut zu taxieren!«

»Der Teufel auch! Kann es eine offenkundigere Gemeinheit geben, als die Antwort, die der Minister Wood vor drei Wochen dem Anti-Opium-Verein auf seine Bittschrift um Abstellung des Opiumhandels gegeben hat, den selbst Metternich und Montalembert einen Schandfleck auf dem Wappen Englands genannt haben? Wood erklärte, der Opiumhandel sei den englischen Kaufleuten unentbehrlich. Die lieben Chinesen sollten sich gewöhnen, das Opium nur mäßig zu genießen, dann sei es ihnen unschädlich!«

»Nun – der Schwefel ist eine andere Opiumfrage! – Die Regierung des künftigen Königreichs Italien braucht sich nur zu gewissen Konzessionen für die Schwefelgruben und die Ausfuhr in Sizilien verbindlich zu machen, und die englische Presse, also die öffentliche Meinung, wird wie ein Mann zu uns stehen.«

»Aber nimm es nicht übel, Freund Camillo – könnte dieser würdige englische Leoparde nicht Lust bekommen, bei der Gelegenheit selbst das ganze Sizilien zu verschlucken?«

»Frankreich würde es nicht zugeben. England ist in diesem Augenblick voll von der Befürchtung einer französischen Invasion, und diese Furcht hat sich bis zum Lächerlichen gesteigert, da man sich sehr wohl der augenblicklichen Schwäche bewußt ist. Die französische Flotte ist bereits durch die Anstrengungen des Kaisers mindestens der britischen gewachsen, und während sie scheinbar entwaffnet wird, werden die Seerüstungen im stillen fortgesetzt. England hat während des indischen Krieges 123 000 Mann nach Ostindien senden müssen, ist gegenwärtig ziemlich wehrlos und muß in jeder Weise einen Konflikt mit Frankreich vermeiden. Diese Schwäche erhält uns Sizilien bei der bevorstehenden Umwälzung.«

»Aber warum benutzen wir alsdann nicht den günstigen Zeitpunkt zur Beilegung des Ausbruchs?«

»Weil wir eben eine gewisse Wiedererstarkung Englands dazu brauchen, die in etwa Jahresfrist vollzogen sein wird.«

»Ah – ich danke dir für diese Lektion in der höheren Politik.«

»Die öffentliche Meinung in England und Frankreich kann es Neapel nicht vergessen, daß es die Koalition gegen Rußland im Krimkriege weigerte. Rußland würde in der Tat die einzige Stütze für Neapel sein, und der Charakter des Kaisers Alexander ist derart, daß man sich einer aktiven Einmischung von ihm versehen könnte, wenn zur Zeit der Entscheidung das Petersburger Kabinett seine Augen nicht nach einer andern Seite würde richten müssen.«

»Bitte, sprich nicht in Rätseln, Graf.«

»Das ist sehr leicht getan; die polnische Propaganda ist im stillen wieder in voller Bewegung. In Turin allein leben vierzig Mitglieder derselben. Rußland wird vollständig Beschäftigung haben, und aus diplomatischen Demonstrationen brauchen wir uns nichts zu machen.«

»Gut – das wären die äußeren Verhältnisse. Aber nun die inneren.«

»Ich habe vor fünf Tagen eine Zusammenkunft mit General Garibaldi und Crispi gehabt. Ich wollte wissen wie weit wir dem Briefe Mazzinis zu trauen haben. Hier ist in kurzen Worten das Resultat.«

Der Herr von Villafranca hatte sich in seinem Lehnsessel zurückgelehnt, das wüste wilde Wesen war jetzt aus seiner Miene verschwunden und hatte einer ernsten würdigen Aufmerksamkeit Platz gemacht.

»Ich habe Ihnen bereits früher ausführlich dargelegt,« fuhr Signor Camillo fort, »in welche drei Parteien augenblicklich Italien gespalten ist. Die eine ist die der unbedingten Republikaner, das heißt die Partei des Herrn Mazzini, die von sozialen und politischen Utopien schwärmen, seit zwanzig Jahren von Schafott und Galeere bedroht werden, und doch als unermüdliche nicht zu vertilgende Maulwürfe der großen National-Idee das Feld geackert haben.«

»Die zweite Partei ist die der Camorra, das heißt der Egoisten, sei es in der Form von Anhängern des Königtums oder der Religion; denn Sie wollen mir erlauben, dem Herrn von Villafranca eine zweite politische Lektion zu geben, indem ich ihn darauf aufmerksam mache, daß es heutzutage nur sehr wenige Royalisten aus Anhänglichkeit an die Person oder die Legitimität gibt, sondern daß die meisten der Monarchie und der Kirche nur anhängen, weil sie darin mehr Vorteil sehen als in der Republik.«

»Betrübend, aber wahr!«

»Die dritte Partei endlich sind die sogenannten Nationalen, das heißt, die Leute, welche ein patriotisches Herz haben für die Entwicklung ihres Landes zur Größe und zu freien, zeitgemäßen Zuständen; diese wirken nach Kräften dafür, ohne daß ich behaupten will, daß ihre Mittel immer die besten und richtigsten sind.«

»Dazu gehören wir beide!«

»Einverstanden. Ich bin mit ganzem Herzen Italiener und wünsche Italien groß und frei zu sehen. Dies ist nur in Form eines mächtigen Gesamtstaates möglich unter einer festen Hand, nicht unter dem Flickwerk von Republiken, das um nichts besser sein würde, als die bisherige dynastische Zerstückelung. Das Rezept des Kaisers Louis Napoleon, eines Staatenbundes unter dem Vorsitz Sankt Peters, ist eine Farce, kaum ernstlich gemeint, obschon der Gedanke ihr zugrunde liegt, Italien ohnmächtig zu erhalten. Das Werk der nationalen Einigung ist nur durch das Königtum Sardinien möglich. Der piemontesische Charakter hat den Ernst und die Zähigkeit, das Feuer des Südens in richtige Bahnen zu leiten und der bisherigen Versunkenheit und Schmach ein Ende zu machen. Deshalb bin ich nicht nur Italiener, sondern auch fester Monarchist.«

»Das heißt ein konstitutioneller!«

»Mag sein, jedenfalls kein Republikaner. Der italienische Charakter neigt zu Konspirationen. Um des großen Zweckes willen müssen wir diese Richtung benutzen. Der Brief des Herrn Mazzini verlangt nur, daß man ihm vorläufig freie Hand läßt. Er sagt: »Den Süden zu revolutionieren ist leicht, wenn man es nur will. Ich verlange nicht, daß Piemont in erster Linie vorgehe und die Initiative ergreife. Die Initiative werden wir ergreifen.« Er verlangt die Versicherung: »daß General Garibaldi jenseits der gegenwärtigen Reichsgrenzen hinsichtlich seiner Handlungen die stillschweigende Billigung Piemonts für sich habe, daß er dessen Mitwirkung erhalte, wenn Österreich oder die andern Mächte zwischen den Italienern und ihren bisherigen Herren intervenieren wollen.« Mit andern Worten, er verlangt, daß wir die Bildung von Freischaren gestatten, mit denen General Garibaldi die Revolution in Sizilien, in Neapel und in Rom zum Ausbruch bringen will, und verspricht dafür die Annektion von ganz Süd-Italien an Piemont. Geheime Klauseln sind Geld, Waffen und taktische Unterstützung.«

»Aber wie vereinigst du diesen Vorschlag mit dem starren Republikanismus des Signor Mazzini?«

»Es ist die Kunst der Politik, wie unser großer italienischer Meister derselben viel zu offen ausgesprochen hat, daß einer den andern betrügt, daß der eine die Kastanien aus der heißen Asche holt und der andere die Frucht genießt. Wenden Sie den Satz auf die gegenwärtige politische Lage Italiens an. Zwei Spieler stehen einander gegenüber. Der Republikaner Mazzini und der König Vittorio Emanuele. Beide wollen den Herrn Garibaldi und einander benutzen, die Kastanie des einigen Italiens aus dem Feuer zu holen. Oder glauben Sie etwa nicht, daß Herr Mazzini überzeugt ist, sobald man ihn nur hat Sizilien und Neapel von den Bourbonen befreien lassen, den Piemontesen ein Schnippchen schlagen und die Republik trotz aller Versprechungen proklamieren zu können?«

Der Herr von Villafranca lachte herzlich. »Gewiß glaube ich das. Wir würden es nicht anders machen.«

»Das wollen wir auch nicht! Darum soll General Garibaldi alle mögliche geheime Unterstützung haben, Sizilien und Neapel mit Freischaren zu nehmen. Aber die königlichen Truppen und die königlichen Beamten sollen ihm auf der Ferse folgen unter der Erklärung, Ordnung stiften zu müssen, und wir werden dann die Kastanien haben, ehe Herr Mazzini Zeit gehabt, seine Republik zu konstituieren. Haben wir aber erst Fuß gefaßt, dann mögen die Republikaner ihrer Wege gehen, wenn sie nicht auf den Weg gebracht werden sollen.«

»Unser Soutien wird ohnehin nötig sein, da die Freischaren doch nur aus Gesindel besteht, das einer geordneten Armee nicht gewachsen ist.«

»Ich komme sogleich auf diesen Punkt und will nur noch anführen, daß die neapolitanische Armee nach der törichten Auflösung der Fremden-Regimenter meist kein Haar besser ist als die künftigen Freischaren. Crispi und Liborio Romano übernehmen die Verhandlungen. Es wird acht bis zehn Millionen kosten, um die Offiziere der neapolitanischen Armee und der Flotte zu bestechen, aber sie werden bestochen sein, ehe ein Jahr vergangen ist. Die eigenen Verwandten des Königs Franz werden uns helfen, denn sie hassen ihn.«

»Es ist eine ziemlich schlechte Handlungsweise für einen ehrlichen Mann,« sagte kopfschüttelnd der Herr von Villafranca, »und ich gestehe dir, ich persönlich will nichts damit zu tun haben. Ich jage lieber die Steinböcke und Mouffles in den Alpen. Wann soll die Expedition Garibaldis stattfinden?«

»Nicht vor dem nächsten Frühjahr oder Sommer; ich erwähnte bereits, daß man England erst Zeit lassen, und daß die Presse mit ihrem Notschrei über das Elend Italiens erst gehörig auf die öffentliche Meinung wirken muß. Öffentliche Meinung! Lieber Himmel, welche käufliche Allerweltsmetze! – Zunächst muß, sobald die Verhältnisse in der Emilia geordnet sind, General Garibaldi das Kommando der vereinigten mittel-italienischen Armee niederlegen, um einem der Unseren Platz zu machen, und freie Hand für die Organisation des Einfalls zu gewinnen.«

»Pest und Doria, es wird heidenmäßig Geld kosten!«

»Man wird eine Nationalversammlung veranstalten für die Anschaffung einer Million Gewehre. Revolutionen sind einmal nicht billig. Für was sind denn am Ende die Kirchengüter da?«

»Apropos, Kirchengüter! Mit Neapel wären wir fertig. Nun kommt Rom, die schlimmste Kastanie. Ich sage dir, Herr Camillo, an dem tarpejischen Felsen Petri hat sich schon mancher den Schädel eingerannt.«

»Darum eben, wenn wir nicht zum Felsen Petri kommen können, müssen wir ihn zu uns kommen lassen. Die Romagna haben wir, Umbrien und die Marken müssen folgen. Dann haben wir einen Landweg nach Neapel, den wir brauchen, um uns mit der Revolution von Süden her ein Rendezvous zu geben. Denn ich gestehe allerdings, an Rom können wir uns nicht wagen, so lange den Herren Franzosen beliebt, sich dort sehr lästig zu machen!«

»Den Teufel – so willst du also wirklich den heiligen Vater berauben? Du bist ein Heide, Camillo, und wirst noch in den Kirchenbann getan werden!«

»Letzteres kann höheren Leuten, als ich bin, passieren,« sagte lachend der angebliche Gutsverwalter. »Ich will auch die heilige Kirche nicht berauben, sondern nur von Auswüchsen beschneiden, die sie von ihrem wahren Beruf abhalten. Das Kardinals-Kollegium soll sich mit geistlichen Dingen beschäftigen, nicht mit weltlichem Regiment. Die Christenheit braucht eine Kirche, nicht einen Kirchenstaat. Schon wenn wir Sr. Heiligkeit dem Papst Pius IX., der in Wahrheit vor 12 Jahren die ganze neue italienische Bewegung angestiftet hat, nur das Stadtgebiet Rom lassen, obschon die »ewige Stadt« besser die Hauptstadt des neuen Königreichs Italien wäre, werden die Herren Garibaldi und Mazzini wenig damit zufrieden sein. Übrigens ist die Wirtschaft im Kirchenstaat wirklich eine hilflose, und der Wunsch der Bevölkerung nach einer Änderung in der Tat vorhanden. Rom ist durch und durch revolutioniert, die Geheimbünde haben trotz aller päpstlichen Polizei dort ihren Sitz. Die Associazone dell Alta Italia, die unser Geschäftsträger Marchese Migliorati vor 3 Jahren dort gründete, hat sich jetzt mit der Massoniera, der Carbonaria, der Giovile Italia und der Italia del Popolo verschmolzen, und selbst General Goyon kann die Erhebung nicht aufhalten, wenn wir sie wirklich wollten.«

»Wir haben keinen Anlaß, weiter zu gehen, wenn man uns nicht herausfordert!«

»Aber man wird es tun. Kardinal Antonelli ist ein harter Kopf und wird nicht in ein gütliches Aufgeben der Romagna willigen. Ich habe zuverlässige Berichte, daß Merode an die Bildung einer päpstlichen Armee denkt und Werbebüreaus in Österreich, an der Grenze und am Rhein errichtet werden sollen. Die französischen und belgischen Legitimisten schwärmen dafür, es wird auch an Deutschen nicht fehlen, denn man will aus dem Verlust der weltlichen Herrschaft ein Martyrium machen und ruft die Religion zu Hilfe, die auswärts mehr gilt als zu Hause. Die Kirche bedarf keiner weltlichen Armee, und wenn sie sich eine solche schafft, tritt sie in die Reihe der gewöhnlichen Staaten, die wir das Recht haben zu bekämpfen um des großen Zweckes willen!«

Es folgte eine Pause, der Herr von Villafranca schien nachzudenken, bevor er eine Antwort gab.

»Höre, Graf,« sagte er endlich, »ich bin ein guter Soldat und Jäger, aber ein ziemlich schlechter Politiker. Dennoch möchte ich dir für die vorigen Lektionen einen guten Rat geben. Sei zufrieden mit dem, was du bereits erlangt hast und laß dem Stuhl Petri den Rest. Weibern und Pfaffen ist nie zu trauen, sie sind unberechenbar. Ich fürchte, ich fürchte, wenn man der Mutter Kirche zu sehr ihren Brautschatz beschneidet, könnte sie auf schlimmere Dinge kommen, als einige unzufriedene Carbonaris in die Engelsburg zu sperren, oder für die Nonnenklöster das Privilegium einer Hebammenanstalt zu reservieren. So lange die Herren im roten Hut ihr Stück Italien zu regieren haben, werden sie sich mit dem Zank darum begnügen; nimmt man es ihnen aber, so könnten sie leicht einen Zank der Geister anfangen, der die ganze Christenheit in Brand setzt. Wenn auch die Bannflüche keine Kraft mehr haben, Konzile und Dogmen haben sie immer noch!«

Der Graf Camillo schien betroffen von dieser Bemerkung. »Wir müssen es darauf ankommen lassen,« sagte er endlich. »Wir müssen eine Verbindung zwischen dem Norden und Süden wenigstens an der östlichen Küste haben. – Aber ich höre Schritte im Korridor – man kommt, mich zu rufen. Darf ich die Versicherung mitnehmen, daß der Herr von Villafranca morgen diese – gerade nicht sehr passende Villeggiatura aufgeben wird? Ich wage nicht einmal von persönlicher Gefahr zu sprechen.«

»Unsinn! ich denke du kennst mich. Ich gebe dir mein Wort, in 24 Stunden in Turin zu sein.«

»Und die schwarzen Augen der Signorina Theresa werden kein Hindernis werden?«

»Jetzt ist es genug, jetzt packe dich, Hofmeister. – Kommt herein Bursche und krebst nicht da an der Tür umher. Ich kann die Horcher und Schleicher nicht leiden!«

Die Tür ging auf und Meister Legroni trat ein.

»Es ist Zeit, gnädiger Herr, die Muli stehen gesattelt und der Andrea ist bereit.«

»Habt Ihr das Fell mitgebracht?«

»Es hängt draußen an der Tür, Excellenza!«

»Nun dann gute Nacht, Camillo, da du doch nicht bleiben willst. Ich bin müde und will schlafen. Vergiß nicht, was ich dir über die Pfaffen gesagt. Gute Nacht!«

Signor Camillo ging! – – – – – – – – –


»Dies Sennores war die Unterredung – ich würde sie Ihnen nicht zum besten gegeben haben, wenn alle die Worte nicht längst als Tatsachen der ganzen Welt bekannt wären. Es fehlt in der Tat nichts mehr daran, als die Revanche der Kirche und ich möchte darauf wetten, daß sie auch kommen wird zur gehörigen Zeit.

Es bleibt mir nicht mehr viel zu erzählen übrig. – Als Signor Camillo fortgeritten war, schien alles in dem alten Gebäude zur Ruhe zu gehen, und ließ sich wohl eine Stunde lang kein Laut hören.

Dann kam es mir vor, als schlüpfte und raschelte es in dem alten dunklen Klostergang, und als taste es an der Tür meiner Zelle.

Aber meine Tür war mit einem guten Nachtriegel gegen alle Gespenster geschützt. Mein Nachbar schien nicht so vorsichtig gewesen zu sein – ich hörte seine Tür sich öffnen, – doch Caramba!! was kümmern mich die Spukgeschichten der alten Klöster, mögen die Geister der Mönche oder der Nonnen darin umherwandeln und sich noch einmal auf der Oberwelt amüsieren, wie die schöne Helene mit Herrn Robert von der Normandie im Kloster der heiligen Clara zu Palermo.

Genug, am andern Morgen war ich zeitig auf, und holte meinen wackern Banditen aus den Federn. Wir sattelten selbst unsere Pferde, ich legte Herrn Legroni, der noch von seinen splendiden Gästen träumte, ein passendes Stück Geld auf den Tisch und war im Begriff, französischen Abschied zu nehmen, als das hübsche Gesicht Theresas in der Pforte erschien.

Es hatte einen ganz merkwürdigen Ausdruck, als sie zu mir trat und mich frug, wohin wir schon so zeitig aufbrechen wollten.

»Fort, schönes Alpenröschen – zunächst nach Nizza und dann so rasch als möglich nach England, wo die Ketzer wohnen und man Füchse und Fasanen schießt, aber kein so gefährliches Wild, wie die Steinböcke!«

»Wie, Signor Giovanni, Sie wollen im Ernst uns verlassen?«

»Gewiß, Signora!«

»Und die Ursache?«

Ich beugte mich zu ihr und sagte ihr einige Worte ins Ohr, damit sie der würdige Herr Sta Lucia nicht hören möge.

Ich denke noch an den Blick, den die schöne Theresa mir zuwarf. Mit dem Sprung einer Tigerin war sie zurück über die Schwelle und ich hatte kaum Zeit, mich auf mein Maultier zu werfen und meinen Reitstock zu gebrauchen, als sie am offenen Fenster der Gaststube erschien, den über dem Kamin hängenden Stutzen ihres würdigen Papas in der Hand. – Im nächsten Augenblick krachte der Schuß und die Kugel riß eine Ecke von meinem Gebirgshut. Ich hielt mich jedoch nicht auf, ihn reparieren zu lassen, sondern jagte, was mein Muli laufen wollte, den Bergabhang hinunter, gefolgt von dem tapfern Korsen, der – obschon an Flintenschüsse gewöhnt – sehr erstaunt war über diese Art der Verabschiedung.

»Das, Sennores, war meine Bockjagd in den Alpen!«


Der junge Caballero schwieg und steckte sich eine Zigarre an, ohne anscheinend darauf zu achten, daß die Gesellschaft aus verschiedenen Gründen sich wenig befriedigt von seiner Geschichte zeigte.

»Sennor Conde,« sagte endlich der Hausherr, »ich will Sie als Gast nicht beleidigen, aber ich sollte meinen, der Graf von Lerida, Ihr Vater, würde nicht gesäumt haben, dem armen Bourbon in Neapel einen Wink zu geben von dem schändlichen Anschlag gegen seinen Thron.«

»Und es würde ein christlich gottseliges Werk gewesen sein,« meinte salbungsvoll der Padre, »wenn Sie die heilige Kirche durch Ihre Warnung vor der Beraubung durch die Ketzer gerettet hätten!«

Don Juan sah die beiden Sprecher höchst unbefangen an. »Was wollen Sie, Compadre! Ich habe mit meinen Angelegenheiten genug zu tun, um mich noch in Dinge zu mischen, die mich nichts angehen. Überdies bin ich nicht gewohnt, Geheimnisse anderer zu verraten, die ich auf solche Weise gehört! Jeder folgt seiner Natur!«

»Und haben Sie nichts wieder von der schönen Theresa gehört?« fragte der spanische Oberst.

»Gewiß, Sennor Colonel. Noch vor ganz kurzem drüben in Frankreich. Man hat mir sogar vorgeworfen, daß die hübsche Theresa sich um meinetwillen das Leben genommen hätte, blos weil sie am zweiten Morgen aus der Osterie ihres Vaters verschwunden war.«

» Qien sabe! Wenn ich nächstens nach Piemont komme, hoffe ich der Marchesa Villamarina meine Aufwartung machen zu können und mich über die Enthaltsamkeit dieser Nacht zu entschuldigen.«

»Wir haben in der Tat Ihre Tugend bewundert, Sennor Don Juan,« sagte lachend der Prinz.

»Ich bin es gewohnt verkannt zu werden! doch ich vergaß noch, hinzuzufügen, daß Signor Legroni, der würdige Ostiere, außer seiner Tochter auch eine blutjunge Nichte in seinem alten Neste hatte, die ganz allerliebste Donzella Cecca Franzeska., und daß ich unmöglich meine Türe hätte den Gespenstern offen lassen können, ohne sie zu kompromittieren!«

Der Padre war der einzige, welcher lachte. – – –


»Und nun, werter Freund,« nahm der Oberst wieder das Wort, indem er sich an Kapitän Welmore wandte, »wäre die Reihe an Ihnen, uns eines Ihrer Jagdabenteuer zum besten zu geben.«

Der Engländer zuckte die Achseln. »Was könnte ich Ihnen von meinen indischen Tiger- und Elephantenjagden erzählen, was Sie nicht in den Feuilletons zehnmal interessanter gelesen hätten!? – Aber halt – mir fällt ein, daß wohl schwerlich einer von Ihnen schon im höchsten Norden gejagt hat!«

»Wie jetzt mein werter Vetter bei Kamschadalen und Eskimos! Prrr! ich liebe Wärme und Sonnenschein!«

»Nun, Mylord,« sagte der Engländer, – »den Sonnenschein würden Sie dort vielleicht weniger vermissen, denn in den Gegenden, von denen ich spreche, sinkt die Sonne ein Vierteljahr lang nicht unter den Horizont.«

»Sie haben also eine Polar-Expedition mitgemacht?« fragte der Oberst. »Das ist das erste, was ich höre, mein Freund!«

»Nicht so ganz, obwohl ich dem Pol ein hübsches Stück näher war als hier. Aber vielleicht hat meine kleine Geschichte aus anderen Gründen einiges Interesse für Sie. Haben Sie schon einmal von den wandernden Seelen lebender Menschen gehört?«

»Die Seele wandert in der Phantasie und im Traume über Länder und Meere.«

»Das ist es nicht wovon ich spreche. Ich meine eine förmliche zeitweise Trennung der Seele vom Körper, wobei der letztere leblos zurückbleibt, während die Seele als besonderes körperliches aber wahrnehmbares Wesen sich in die weite Ferne begeben und Menschen und Dinge dort sehen kann!«

»Zum Teufel – das klingt ja schaurig! Sind Sie vielleicht ein Anhänger von dem Possenreißer Home, dem Vertrauten meines sehr klugen Vetters, des Kaisers?« sagte der Prinz.

»Ich habe Herrn Home nie gesehen. Ich kann Ihnen bloß mit den Worten meines Landmannes Shakespeare im Hamlet antworten: Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen deine Weisheit, Horatio, sich nichts träumen läßt. Die Sache, auf die ich anspiele, mag außerhalb Ihres Landes wenig bekannt sein, aber in Schweden und Norwegen kennt man sie wohl.«

»Ich erinnere mich,« mischte sich der Marquis zum erstenmal in das Gespräch, »daß Herr von Persigni erzählte, es sei einmal zurzeit als er Gesandter in Berlin war und mit einem norwegischen Bischof von Drontheim an der Tafel des Königs von Preußen in Sanssouci speiste, von dieser Sache die Rede gewesen, und der Bischof, ein alter ehrwürdiger und hochgebildeter Mann, habe erklärt, daß es im hohen Schweden Personen gebe, welche allerdings die somnambüle Kraft hätten, ihre Seele vom Körper zu lösen und in beliebige Ferne zu senden.«

Der Aberglaube der Basken ist sehr groß; der alte Bärenjäger und seine Landsleute rückten näher. »Erzählen Sie, Sennor Kapitän, das wird uns besser belehren, als alle die ketzerischen Spöttereien. Ich bin auf meinen Reisen nie so hoch nach Norden gekommen, wo die Welt im Eise untergeht, aber ich habe seltsame Dinge davon vernommen.«

»Auch wir bitten darum, Herr Kapitän,« fügte der Graf bei.

»Wohlan denn, so will ich Ihnen von meinem Jagdausflug nach Norwegen erzählen,« sagte endlich der englische Offizier, »und mein Abenteuer nennen:


1. Das Seelenwandern.

»Es sind jetzt vier Jahre her, als ich von meiner Station im britischen Guiana abgelöst wurde. Das Klima ist dort ein so schlimmer Feind, daß ich mich gezwungen sah, für ein Jahr Urlaub zu nehmen, um meine trotz aller Mäßigkeit und steter Bewegung sehr angegriffene Gesundheit wieder herzustellen, und ich nahm die Einladung meines Bruders an, auf seinem Schloß in Northumberland diesen Urlaub zuzubringen.

Die stärkende reine Luft der Cheviot-Gebirge übte eine so wohltätige und anhaltende Kraft auf mich aus, daß ich schon nach einem halben Jahr mich völlig wieder hergestellt fühlte, und da in England die Jagdsaison noch nicht eröffnet war, kam ich auf den Gedanken, einmal eine Fahrt nach dem hohen Norden zu unternehmen und mir das dortige jagdbare Getier, wie Wölfe, Bären, Seehunde, wilde Renntiere, Luchse, vor allem die berühmten Vogelberge anzusehen. So schiffte ich mich denn in Leith auf einem Schooner ein, der nach Drontheim segelte, half mir von dort mit allerlei Gelegenheiten weiter und ruhte nicht eher, als bis ich das Nordkap besucht hatte.«

»Ist das nicht die nördlichste Spitze von Sibirien?« fragte mit der geographischen Naivetät der Franzosen der kaiserliche Ordonnanzoffizier.

»Nicht so ganz! Es ist die nördlichste Spitze der norwegischen Insel Magerö und somit die nördlichste Spitze von Europa.«

»Bitte, Sennor,« sagte der Baske, »erzählen Sie uns davon. Es muß verteufelt kalt dort sein.«

» Well! Ich hatte in Hammerfest ein Boot mit vier Ruderern gemietet, um beim ersten günstigen Wind die Inseln zu passieren, die hier in dichtem Gewirr fast aneinanderstoßen und ein Bild von Zerrissenheit der Küste geben, wie ich es nirgends gefunden habe.

Sie haben wahrscheinlich oft von der Masse der Wasservögel aller Art gehört, die diese Inseln bevölkern und auf ihnen ihre Brutplätze haben; aber alle Beschreibung verblaßt vor der Wirklichkeit, wo der Eindringling in diese Einöden buchstäblich mit jedem Schritt auf Nester tritt, wo jede Bewegung Wolken von Vögeln in die Höhe scheucht, deren Massen den Tagesschein verdunkeln.

Das ist keine Jagd mehr, das wäre ein Morden, und höchstens der Naturforscher findet da ein Feld für seine Flinte.

Jenseits Maagö hört diese Inselwelt auf, das Boot tritt in das offene Meer. Bald bemerkt man die drei Spitzen von Staggen, die sich gleich Obelisken aus dem Meere erheben und deren mittlere ein heiliger Ort für die Lappen ist, ein Tiorfwigardi, in dessen Hörnerkreis sie dem Tiermes, ihrer Hauptgottheit opfern, der den Aijekewetschera, den Hammer führt über die Welt, und mit seinem strahlenfarbenen Bogen Aijeke Dauge Der Regenbogen. die Menschen und die untergeordneten Götter beherrscht.

Obwohl das Christentum bis in diese entfernten Gegenden jenseits des Polarkreises gedrungen ist, und auf Maagö für die wenigen dort hausenden Familien eine Kirche stand, obschon von König Magnus I. im Jahre 1275 – später durch Gustav Wasa, Karl IX. und Christian IV. voll Dänemark viel für die Bekehrung der Lappen geschah, oft leider mit Blut und Gewalt, hat im höheren Norden doch noch heute das Heidentum seine zahlreichen Anhänger, selbst der Bekehrte begnügt sich mit den Zeremonien der Taufe und Trauung und hört mehr auf die Wahrsagungen seiner Zauberer, wenn sie die Ringe der Arga auf den Guobdas schlagen, als auf die Stimme der seltenen Wanderprediger.

Louis Philipp unternahm im Jahr 1795 eine Reise nach dem Nordkap und brachte dabei eine Nacht bei dem Sakristan auf Maagö, eine andere bei einem Fischer in Staggen zu. Noch jetzt, nach mehr als fünfundfünfzig Jahren, erinnerten sich die alten Leute aus ihrer Kindheit des fremden Herrn, dem eine alte Nordländerin, der er ein Almosen gab, gesagt hatte: »Die Leute in unserem Lande halten dich für einen Reisenden gewöhnlicher Art, ich aber weiß, du bist größer als der Vogt und der Amtmann, ja selbst als der Bischof von Trondjem. Du bist ein Prinz und gedenke dessen, was die alte Brite dir sagt, du wirst noch ein König sein!«

Ob sie ihm auch gesagt, daß er in der Verbannung sterben werde, weil er zu wenig König war, weiß ich nicht!

Dem kleinen Eiland Staggen gegenüber liegt die felsige Küste der Insel Magerö, deren äußerste Spitze das Nordkap ist.

Es war zu Ende Mai, als wir Gjestvär, die einsame kleine Ansiedlung eines Händlers an einem Fjord erreichten, der mit den wenigen russischen Küstenschiffen, die im Juni erscheinen und im September davoneilen, einen Tauschhandel in Pelzwerk, Tran, Branntwein, Leder und Zwirn treibt, während in den andern acht Monaten des Jahres nur die Stürme, das Eis und die Nacht die Genossen der Familie sind.

Ich ruhte einige Stunden in der Hütte des Händlers, bis um Mitternacht sich wieder die Sonne über dem Horizont hob und die Nebel zerriß. Das Meer, die Felsen lagen in weiter Ausdehnung vor meinen Augen – gleich einer Riesenmauer, wie die Basaltwände der Orkneys, stieg das Gestade der Insel zu unserer Rechten in die Höhe, als unser Boot vor dem starken West an ihnen entlangtrieb. Auf der Höhe weder Strauch noch Gebüsch zu sehen, nicht ein Grashalm, während um den Fuß die Brandung tobt und hochauf ihren weißen Schaum schleudert, selbst wenn kein Wind die weite Fläche bewegt. Vor dem Auge alles schwarz, das Meer, die Felsen und die Höhlen, die der Andrang der See seit Jahrtausenden in die Bergwände gerissen hat.

Nirgends ein Segel, nirgends eine Spur von Leben – – nur die Möve strich über uns hin, und der schwarze Pelikan reckte seinen Hals von der Spitze der Klippe, zu sehen, wer die Eindringlinge in sein einsames Reich wären.

Mehr als zwei Stunden fuhren wir an diesen Felsenwänden hin, dann zeigte mir der Lotse den an tausend Fuß hohen, weit in die See hineinragenden Vorsprung – es war das Nordkap.

Es glich einem gigantischen Turm, an dessen Mauern die Wogen des Feindes sich brechen. Und Feinde waren diese Wogen, die fort und fort fluteten gegen das Bollwerk, ohne es vernichten zu können. In einer kleinen Bucht auf der Ostseite des Vorsprungs landete unser Boot und ich suchte den Weg zu der einsamen Höhe.

Öde und Einsamkeit überall – im Brausen der Brandung verhallt die schwache Stimme des Menschen. Aber wie Gott oft in die größte Kümmernis der verzweifelnden Seele den Lichtstrahl einer Hoffnung fallen läßt, so traf unsere Augen auch hier ein Anblick des Lebens in dieser furchtbaren Wüste.

Vor uns lag die Felsenwand in großen schieferartigen Streifen, wie Lava durchlöchert, zwischen ihr das dunkle Wasser der Bucht, durch den Wind geschützt, ruhig wie ein Eisspiegel. Aber am Ufer der Bucht, um den Fuß des mächtigen Felsens, blühte und grünte in diesem Schutz eine Oase, ein Rasenfleck, von einem silbernen Bach durchströmt und mit blauen und gelben Feldblümchen besetzt.

Es ist eine unpassende Gelegenheit, hier solcher Empfindungen sich zu erinnern, und dennoch muß ich Ihnen wiederholen, daß ich mich nach diesem Anblick nicht mehr so einsam und verlassen fühlte, als ich bald darauf auf der Höhe des Kaps stand und meine Augen und Gedanken in die Unermeßlichkeit des Raums versenkte, um mich nur das Heulen des Windes, das Brüllen der Wogen und das Gekreisch der Möwen. Ich habe mancher Gefahr getrotzt, ohne zu zagen, hier aber trotz des sicheren Standpunktes schauerte der Gedanke mir kalt durch das Herz, daß ich am fernsten Ende der menschlichen Zivilisation stand.

Am andern Tag war ich, da der Wind uns günstig blieb, wieder auf der Fahrt nach Hammerfest. Wiederholt trafen wir Züge von Lappen, die ihre Renntierherden an die Küste getrieben hatten oder mit ihnen hinübersetzten über die schmalen Seebuchten nach den Inseln, um sie während des kurzen, kaum zehn Wochen dauernden Sommers die fast sichtbar aufsprossenden Kräuter und Moose abweiden zu lassen.

Einer der Bootsleute, ein riesiger Norweger von herkulischen Kräften, der ziemlich gut englisch sprach, war nicht nur Seemann und Fischer, sondern auch Jäger, und erzählte mir von einigen Jagdzügen, die er im Innern des Landes gemacht hatte. Der Mann, Asbiörn war sein Name, gefiel mir, und ich schlug ihm vor, mich wenigstens bis Tromsoe zu geleiten, von wo ich einen Abstecher in das Land hinein machen wollte. Ich hatte ihn mit meinen Absichten und Plänen bekannt gemacht und holte seinen Nat darüber ein.

»Du willst also die wilden Renntiere jagen?« fragte er. – »Renntiere und was sich sonst schießen läßt. Die Frage ist nur, wo wir Wild finden.«

»Das wird nicht schwer halten, Herr, in den Gebirgen zwischen dem Torne und Luleä See gibt es nicht bloß das wilde Reen, sondern auch seiner Feinde genug, Bären und Wölfe. Sie folgen den Herden, die um diese Zeit von den Hochebenen an die Ufer der Flüsse und Seen kommen.«

»Gut – so will ich an den Torneä gehen.«

»Es ist das Gebiet Torne-Kaitums,« sagte der Norweger, mich etwas zweifelhaft ansehend.

»Meinetwegen, was kümmert das mich. Ich denke, die norwegischen Alpen gehören schwerlich einem Grundbesitzer, und die Jagd ist überall frei.«

»Mag sein,« meinte Asbiörn, sich den Kopf kratzend, »aber Torne-Kaitum ist ein Samulad-Kong und ein gewaltiger Noaide Zauberer, Wahrsager. dazu, und sieht es nicht gern seit dem Verlust seiner Tochter, daß Fremde in sein Gebiet kommen.«

»Er wird es sich doch gefallen lassen müssen, wenn sonst kein Hindernis obwaltet, den Plan auszuführen. Unterdes erzähle mir etwas mehr von deinem Renntierfürsten. Kennst du ihn persönlich?«

»Ich erfuhr nun von Asbiörn, daß er vor mehreren Jahren dem Nomaden während eines Sommers an der Küste gedient hätte, und als ich ihn erst damit zum Sprechen gebracht, kramte er bald die wundersamsten Geschichten über den Samulad Namen der Lappländer. aus, der unter den Bewohnern des Nordlandes so großes Ansehen genoß, aber zu gleicher Zeit so viel Scheu zu erregen schien, daß selbst die Amtleute und Vögte seine Autorität respektierten.

Was ich mir aus seinen Erzählungen zusammenstellte, war nach dem gehörigen Abzug der abergläubischen Ausschmückungen etwa folgendes.

Torne-Kaitum, wie der Samulad genannt wurde, war das Haupt einer Lappen-Familie, die seit undenklichen Zeiten mit ihren Herden die Gegend um das Rainis-Gebirge zwischen dem Lainio und Torneä-Elv (Fluß) innegehabt und beweidet hatte. Obschon er seine bestimmten Sommer- und Winterquartiere hatte, war er doch ein Nomade wie die meisten Renntier- oder Gebirgslappen, als deren reichster und vornehmster er galt, denn man rechnete seine Herden auf 2000 Tiere. Nach Asbiörns Behauptung war dies jedoch der geringste Teil seines Reichtums; denn danach sollte er die Kenntnis gewisser Silberminen in den Bergen besitzen, die aber ein vom Vater auf den Sohn überkommenes Geheimnis sei. Als Tatsache behauptete der Norweger, daß Torne-Kaitum mehr als einmal Reisen nach Drontheim gemacht, um dort große Silberklumpen zu verwerten.

Torne war ein alter Mann, ein Greis, der eigentlich stets ein gutes Herz gezeigt und den Armen ohne Unterschied der Nationalität wohlgetan hatte, auch im Handel und Wandel den Ruf eines streng rechtlichen Mannes genoß. Seit einer Reihe von Jahren aber war er finster und menschenscheu und kam nur selten bis an die Seeküste oder in die wenigen norwegischen Kirchspiele, die an dieser spärlich zerstreut liegen. Man erzählte, daß vor vier- oder fünfundzwanzig Jahren auf einer Reise nach Drontheim, wohin er eine Tochter, sein einziges Kind, mitgenommen hatte, diese von einem Fremden entführt worden sei, da sie für eine Lappländerin ungewöhnliche Schönheit besessen und mit ihrem schlanken Wuchs mehr einer Normännin, als den noch nicht 5 Fuß hohen Abkömmlingen der alten Finnländer geglichen habe.

Kurzum, Torne-Kaitum kam von dieser Reise ohne sein Kind zurück und verließ seitdem nie mehr seine Einsamkeit. Von dem verschwundenen Lappenmädchen hatte man nie wieder gehört, wohl aber war nach etwa fünfzehn Jahren in der Horde Tornes plötzlich ein junges Mädchen zum Vorschein gekommen, dem der alte Renntierfürst große Zuneigung bewies. Sie glich ebensowenig, wie die verschwundene Tochter des Alten, den gewöhnlichen Lappenfrauen und sollte einen schlimmen und bösen Charakter haben.

Das, was indessen Torne-Kaitum am meisten in den Augen des Volks Interesse verlieh, war nicht sein Reichtum oder sein trauriges Schicksal, sondern der Ruf, daß er ein Zauberer und Wahrsager sei, mit den Geistern, die das Gebirge und das Meer hüten, im Verkehr stehe und ein Seelenwanderer sei.

Hier zum erstenmal hörte ich diesen Ausdruck und erkundigte mich natürlich sofort nach seiner Bedeutung.

Asbiörn erzählte mir folgendes:

Die Fähigkeit des Seelenwanderns existiere in wenigen alten Familien der Lappmarken und erbe sich vom Großvater auf das Enkelkind, Mann oder Frau nach dem Tode des ersteren fort, trete aber bei den Frauen in schwächerer Kraft auf. Der Scheidende übertrage sie im Augenblick seines Todes nach seinem Willen. Im ganzen werde die unheimliche Kunst selten geübt, denn sie habe stets eine große körperliche Schwäche zur Folge. Geschähe es, so würden allerlei Zeremonien dabei vorgenommen, der Noaide fiele in einen todähnlichen Schlaf und die Seele trenne sich dann vom Körper und wandere in jene entfernten Regionen, aus denen man Bescheid haben wolle, während die Nachbarn oder Familienglieder einen Gesang unterhielten, den sie jedoch während der ganzen Abwesenheit, die ja nach der Entfernung länger oder kürzer dauere, aber nie über 24 Stunden, ununterbrochen fortsetzen müßten, damit die Seele sich wieder zu ihrem Körper zurückfinden könne. Eine Unterbrechung des Gesanges verhindere das, und der Körper bleibe tot, während der Geist zur ewigen Wanderung durch die Zhiaepper-Aimo, die finstern Regionen, verdammt sei.

Eine solche Fähigkeit besaß nach der Behauptung des Norwegers der Samulad Torne-Kaitum, der Reen-Kong Renntierkönig. der Luleä und Torneä-Lappmarken.

Ich begnügte mich, im stillen über den Aberglauben zu lachen und hütete mich wohl, dies zu zeigen, denn ich hatte bereits bei mir selbst beschlossen, unter allen Umständen den alten Lappen aufzusuchen. Alle Völker, die mit einer großartigen gewaltigen Natur in stetem Verkehr leben, huldigen dem Aberglauben, der mehr oder minder den Naturereignissen, deren Zeuge sie täglich sind, entspricht. Ich muß offen gestehen, ich hege viel Nachsicht mit dem Naturglauben der Völker und habe stets mit großem Interesse seine Spuren verfolgt. Der Drang nach dem Unsichtbaren, Geheimnisvollen, Unerklärlichen lebt in den Kulturvölkern wie in den Wilden, und wer vermag selbst von den einfachsten Erscheinungen der Sympathie und Antipathie, von den täglichen Beweisen des Zusammenhanges der Geister, ja von der wunderbaren Kraft der Phantasie, welche uns in die fernsten Gegenden, in Szenen und Umgebungen der Zukunft oder Vergangenheit versetzt, eine genügende Erklärung zu geben!

Doch ich will mich nicht von Ihnen als Gespensterseher verspotten lassen und kehre deshalb zu meiner Erzählung zurück.

Ich hatte genügendes Gepäck nach Hammerfest mitgebracht, um von der Küste des Festlandes aus eine Wanderung durch die Finnmarken unternehmen zu können. Ich beschloß deshalb, mich zu Boote in dem Alten-Fjord bis nach dem kleinen Flecken Altengaard zu begeben, und von dort mit eingebornen Führern über die Nuppi, Kivi und Raggis-Vaaras Gebirge. und die zum Meer fließenden Jokis Fluß (auf finnisch). nach dem Torneä-See vorzudringen, von dem ich dann leicht den Ofoten-Fjord und die große Insel Hindö erreichen konnte, wo ich in dieser Jahreszeit leicht Gelegenheit nach Drontheim fand. Der Weg, den ich mir vorgenommen, betrug in gerader Richtung etwa 20 norwegische oder 140 englische Meilen, ich durfte also hoffen, mit den Hindernissen und dem Jagdaufenthalt ihn in 14 bis 16 Tagen zurückzulegen. Dabei führte er durch die norwegischen, russischen und schwedischen Lappmarken, und ich hatte also volle Gelegenheit, meiner Wander- und Jagdlust zu fröhnen.

Nachdem ich diesen Plan auf Grund meiner Karte festgestellt hatte, war es meine Aufgabe, den wackern Asbiörn, der mir für jede Anstrengung und Gefahr gleich tüchtig geeignet erschien, zu meiner Begleitung zu gewinnen.

Mit einiger Überredung und der Zusage einer kleinen Belohnung, deren zehnfachen Betrag sicher der bescheidenste Engländer gefordert hätte, gewann ich endlich seine Einwilligung und sobald diese gegeben war, zeigte sich der wackere Normanne als der tätigste und umsichtigste Förderer des Unternehmens.

Wir verweilten in dem traurigen und öden Hammerfest nur einen Tag, um einige Vorräte für die Wanderung zu beschaffen, und dann machten wir uns in demselben Boot, mit dem wir die Fahrt nach dem Nordkap unternommen hatten, wieder auf den Weg, durchschifften den Varg-Sund am Seiland und Niernö vorüber und drangen in den Alten-Fjord. Am zweiten Tag nach unserer Abfahrt von Hammerfest landeten wir in Altengaard zum großen Erstaunen der kleinen Bevölkerung, der ein solcher Besuch ein sehr ungewohntes Ding war und die mich geradezu für einen englischen Narren halten mochte, als ihnen Asbiörn den Zweck unserer Ankunft erklärte.

Dennoch hält gegen die gewaltige Macht des Goldes auch in diesen Einöden kein Vorurteil Stand und so fügte man sich dem Glanz einiger Sovereigns gegenüber bald in meinen Willen, und wir gewannen einen Führer und zwei Träger, die sich anheischig machten, uns bis zum Köngärnä zu bringen. Der Führer und einer der Träger waren Lappen, der zweite Träger ein Schwede aus den südlicheren Gegenden, den irgendein Schicksal hierher verschlagen hatte.

Obschon jetzt bereits der Juni eingetreten war und die Witterung gelinder, war unser Marsch keineswegs ohne Gefahr, vielmehr war diese durch das Auftauen des Schnees und das Anschwellen der Gebirgsbäche vergrößert. Es ist überhaupt ein seltsames gewaltiges Land, dieses Norwegen. Schroffe, fast senkrechte Felswände steigen bis zur Höhe von 4-6000 Fuß aus dem dunklen Gewässer der Fjorde auf, der Sturm braust plötzlich mit der Kraft des asiatischen Typhon aus den Schluchten der Gebirge, Wasserfälle stäuben viele hundert Fuß hoch als Gischt in die Tiefe, unzugängliche Gletscher senken sich von der Höhe der Alpen und zwischen den Felsen und Schluchten grünen ernste Täler, winken einsame Sennhütten dem Wanderer. Über das dunkle Wasser der Fjorde gleitet der Kahn von Tal zu Tal, Balkenhäuser mit seltsamem Schnitzwerk erheben sich auf den Talhügeln oder im Schutz der Felswände, dunkle Tannenwälder steigen an den Bergen in die Höhe, aus den Spalten des festen Quarzgesteins hebt sich der kümmerliche Wuchs der Birke, bis sie als Strauchwerk nur noch am Boden kriecht und der Flechte und dem Moos Platz macht, das zuletzt der trostlosen Öde des grauen Gesteins und des weißen Schnees weicht.

Durch dieses Land, meist an der Grenze der Schneeregion, führte unser einsamer Weg.

Ich hatte außer meiner tüchtigen Büchsflinte ein zweites Gewehr bei mir, mit dem ich Asbiörn bewaffnete. Sven, der Schwede, trug als Stütze und Waffe eine Art Spieß von festem zähem Holz und in einem Holzgestell auf dem Rücken unsere Decken und die Schneeschuhe, der Lappe die Mundvorräte, und Baiwon, der Führer, Beil und Stricke. So machten wir uns am dritten Morgen von Altengaard aus auf unsern weiten und gefährlichen Weg.

Ich will Sie nicht mit der Anführung unserer Jagd- und Wanderfährlichkeiten ermüden und sage daher nur, daß ich vielfach Gelegenheit hatte, meiner Jagdlust zu fröhnen, indem wir auf Herden wilder Renntiere stießen und zweimal auf Bären, von denen ich den einen in der etwas gefährlichen Jagdweise der Norweger erlegte, die ich morgen, wenn das Glück mir einen der zottigen Gesellen so nahe führen sollte, auch an dem Meister Braun der Pyrenäen zu probieren gedenke. Was die Reens oder Renntiere betrifft, so sind die wilden von weit kräftigerem Wuchs als die zahmen, und erreichen ein Gewicht bis zu 240 Pfund. Im Mai treiben die Lappen ihre zahmen Herden zur Seeküste und die wilden folgen an die einsamern Stellen des Meeres und der großen Binnenseen, wo sie bis in den August verweilen, und die Kühe ihre Kälber werfen. Die Männchen haben jetzt zwei Zoll hoch Fett auf den Rippen und hären sich, wobei die Haut wieder die tiefen Löcher verliert, welche die Larven einer gefährlichen Bremse, der größten Plage der Tiere, im Frühjahr ihr verursachen.

Den zahmen und wilden Herden folgen vom Hochgebirge her ihre ewigen Feinde, der Luchs, der Bär und der Wolf, und hausen jetzt in den Schluchten und dunklen Tannenwäldern.

Es erwies sich bald, daß außer Asbiörn auch unser lappländischer Führer Baiwon ein gewandter, mit allen Listen wohlvertrauter Jäger war. Er lehrte uns, daß das Reen stets gegen den Wind zieht und für jede Witterung weit scheuer und empfindlicher ist, als für das Auge, obschon es ein sehr scharfes Gesicht hat. Die Neugierde treibt wie die Strauße in den Pampas Südamerikas diese Tiere häufig in die Nähe des Jägers, und dieser hat es alsdann in seiner Macht, das beste Stück auszuwählen.

Es wird Sie als Jäger interessiren, von einer dieser Jagdkünste zu hören.

Als ich das erste wilde Renntier geschossen, trennte Baiwon sorgfältig den Kopf mit dem Geweih vom Halse, dessen Haut er jedoch in langen Lappen daran hängen ließ. Sven mußte diese Jagdtrophäe am nächsten Morgen auf seinen Korb laden, während die beiden Lappen einige lange Stöcke schnitten und sonstige Vorbereitungen trafen.

Wir befanden uns damals in der Nähe des Ortasflusses und hatten ein breites Schneefeld betreten. Baiwon übernahm sogleich die Verfolgung, und als wir durch einen Tannenwald gekommen waren und die gegenüberliegende Lichtung erreichten, erblickten wir am Rande des Brae eine Herde von wohl hundert Stück weiden.

Baiwon erteilte hierauf seine Instruktionen. Der lange Asbiörn mußte den auf einen Stock gesteckten Renntierkopf tragen und vor sich hin und herbewegen, während an seine Handgelenke Streifen von Fellen befestigt wurden; dabei nahm er die Läufe unserer beiden Gewehre unter die Arme, während ich auf beiden Seiten, hinter seinen Rücken geduckt, die Kolben trug und die Anweisung erhielt, immer gleichmäßig mit meinem Vordermann die Füße zu heben.

Während diese Vorbereitungen getroffen wurden, sandte Baiwon den Schweden und seinen Landsmann ab, in weitem Bogen die Herde zu umkreisen und ihre Flucht im geeigneten Augenblick zu hindern.

Nachdem wir den beiden Zeit gelassen, ihre Posten zu erreichen, gab Baiwon das Zeichen, zu beginnen.

Indem wir den Wald verließen, Asbiörn voran, ich dicht hinter ihm, bewegten wir den Kopf des Reen hin und her und schritten langsam in gleichmäßigem Tritt auf die Herde zu.

Die Tiere, nachdem sie anfangs neugierig geäugt, ließen uns ganz unbesorgt herankomen, ja mehrere schritten uns neugierig entgegen. Asbiörn bewegte tapfer das Renntierhaupt, und so kamen wir bis dicht an die Herde. Nachdem jeder ein Tier gewählt, faßten wir unsere Flinten, Asbiörn ließ die Vermummung fallen, und wir gaben Feuer. Der Schrecken der Tiere war so groß, daß sie wie verwirrt hin und her im Kreise rannten, und als sie endlich davongaloppierten und nun auf allen Seiten sich zurückgescheucht fanden, hätten wir in der Tat leicht den größeren Teil des ganzen Rudels erlegen können, wenn dies in unserer Absicht gelegen hätte.

Am zehnten Tage erreichten wir den Köngärnä und die kleine Ansiedelung Ranula. Zum Glück war es Sommer und wir durften daher ohne Gefahr für unsere Tugend die Gastfreundschaft des Bauern Inger Hadanger und seiner hübschen Tochter annehmen.«

»Ich verstehe nicht, was der Sommer mit der Bewahrung Ihrer Tugend gemein hatte, Kapitän,« fragte der spanische Oberst.

» By Jove, Freund, es herrscht im hohen Schweden und Norwegen eine Ausdehnung der Gastfreundschaft, die mehr als patriarchalisch ist. Wenn im Winter der Reisende auf der Skytsort, der Station, ankommt und dort übernachten muß, legt ihm der Hausherr seine Tochter, Schwester, Magd, ja die eigene Frau als Wärmer in das hohe Daunenbett, nur daß sie, – während in Norwegen sonst das Landvolk gewöhnlich ganz nackt schläft – mit dem langen, bis zur Ferse reichenden Hemd bekleidet ist, dessen hinteres Ende sie durch die Beine zieht und so fest zwischen den kräftigen Zähnen hält, daß keine Gewalt diesen Keuschheitsschild ihr zu entreißen vermag.«

» Caramba!« lachte der Graf, »das Reden gehört doch sonst zur Natur der Weiber. Ich will nächsten Winter nach Schweden reisen und versuchen, meine Nachbarin, wenn es der Mühe lohnt, zum Schwatzen zu bringen.«

»Versuchen Sie es nicht, Sennor,« meinte der Kapitän, »denn die Normänner verstehen in Beziehung ihrer häuslichen Ehre wenig Spaß, und das Beil, das hinter der Tür jedes Hauses steht, ist schwer und scharf.

»Doch, um in meiner Erzählung fortzufahren, am Köngärnä erklärten die beiden Lappen, uns verlassen zu müssen, da hier die Grenze ihrer Marken sei, und selbst ein höheres Geldanerbieten vermochte Baiwon nicht zum weitergehen zu bewegen. Er scheute sich, wie ich später hörte, das Gebiet Torne-Kaitums ohne dessen Erlaubnis zu betreten.

Da augenblicklich kein anderer passender Führer zu haben war, auch Asbiörn behauptete, die Ufer des Torneäsees sicher finden zu können, machten wir uns nach Erneuerung unserer Vorräte von Gerstenbrot und Renntierschinken allein auf den Weg, nur von Sven begleitet.

Das Wagstück hätte uns übrigens schlecht bekommen können, denn wir verloren bald die uns von den Eingebornen bezeichnete Richtung und irrten bereits seit vier Tagen in der immer wilder und grausiger werdenden Einöde umher, ohne den Torneäsee finden zu können.

Am Abend des dritten Tages, als wir eine Schlucht aufwärtsstiegen, sahen wir plötzlich auf der Höhe eine scheue Herde Reens vorübertraben und hinter ihnen eine menschliche Gestalt auf einem kräftigen Tier ihnen nachjagen. Es ist selten, daß die Renntiere zum Reiten und Lasttragen benutzt werden und Asbiörn hatte anfangs große Neigung, die Erscheinung für irgend einen schlimmen Geist des Gebirges zu halten, aber ich rief sie sofort mit aller Kraft an und hatte die Freude, sie anhalten zu sehen.

Der Reiter war offenbar erstaunt, in dieser Öde Menschen zu sehen, kehrte sein Tier gegen uns und hielt unbeweglich auf der Höhe der Schlucht, indem dadurch auf dem nebligen Hintergrund die Gestalt des Menschen und Tieres eines über die gewöhnlichen Verhältnisse hinausragende Größe anzunehmen schien.

Als wir weiter kamen, bemerkte ich, daß der Reiter in gewöhnlicher Weise ganz in Renntierfelle gekleidet war, eine Art von Kapuze trug und in der Hand einen Renntierspieß führte, das heißt eine Stange, an deren Spitze ein Bajonett befestigt war.

Aber als ich näher kam, sah ich mit Erstaunen, daß unter dieser rauhen Kopfbedeckung langes lichtbraunes Haar bis auf die Schultern, freilich wirr und nachlässig, aber trotzdem von großer Schönheit niederfloß, und aus der Öffnung ein Gesicht hervorsah, das offenbar einem jungen Mädchen gehörte.

Obschon von Schmutz und Schweiß entstellt zeigte die Haut doch an andern Stellen eine blendende Weiße, der kleine Mund mit schmalen Lippen war geschlossen und hatte etwas Strenges, die Nase hatte die edle griechische Form aber das große Auge einen starren finstern Ausdruck.

Im ganzen machte diese Erscheinung einen etwas unheimlichen Eindruck.

Da ich nur wenige finnische Worte verstand, hieß ich Asbiörn auf Englisch, sie fragen, wer sie sei und wie weit wir vom Torneä-Sö entfernt wären. Aber bevor der Norweger dies noch tun konnte, sagte sie spöttisch in englischer Sprache: »Wenn du nicht mit Blindheit geschlagen bist, Fremder, kannst du die Wässer des Torneä sehen, ehe du den Saum jener Tannen erreicht hast.«

»Wie, du sprichst englisch, Mädchen?«

»Englisch, dänisch und deutsch, wenn du fragst und ich antworten will.«

»Das ist in der Tat eine seltsame Kenntnis in dieser Einöde,« sagte ich erstaunt. »Wie kommen Sie hieher, Miß, und wer sind Sie?«

Sie lachte spöttisch auf. »Ich bin keine Miß! Nenne mich du! Nicht dir, sondern mir steht es zu, zu fragen. Was wollt Ihr auf Torne-Kaitums Gebiet?«

»Wir sind Reisende, Jäger und wollen die Gastfreundschaft des Häuptlings der Same-Laz in Anspruch nehmen.«

Ich hatte bemerkt, daß das seltsame Wesen vor uns bei ihrer Frage den Rennspeer fester gefaßt hatte und uns mißtrauisch betrachtete.

»Du bist ein Christ, ein Engländer?«

»Beides!«

»Dann schwöre mir bei deiner Ehre und bei deinem Glauben, daß du keinen andern Zweck hast!«

»Auf mein Wort als Gentleman!«

»Und die beiden – sind es Dänen?«

»Der eine ist ein Normane, der andere ein Schwede. Sie kommen mit mir von Altgaard quer durch das Land!«

Sie sah mich mit einigem Erstaunen an und nickte dann mit dem Kopf. »Du scheinst ein Mann von Mut, Engländer,« sagte sie. »Wenn Ihr keine Dänen seid, sollt Ihr in der Jurte Torne-Kaitums willkommen sein. Folgt mir – ich bin Adda, Torne-Kaitums Enkeltochter.«

Wir waren froh, durch diese Worte die Gewißheit zu erlangen, daß unsere mühselige Irrfahrt nun zu Ende und wir unser Ziel erreicht hatten. Das seltsame Mädchen wendete ihr Reittier und ich ging neben ihr her und versuchte ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, um sie näher auszuforschen. Das, was Asbiörn mir von der verschwundenen Tochter des alten Lappenfürsten mitgeteilt, hatte bei dieser seltsamen Bewegung aufs neue mein Interesse rege gemacht und die Persönlichkeit des Mädchens war vollkommen geeignet, dieses Interesse zu erhöhen. Aber was ich auch sagen mochte, ihre Antworten blieben einsilbig und ausweichend, und ich mußte mich damit begnügen, von ihr die Auskunft zu erhalten, daß Torne-Kaitum seinen Lagerplatz am östlichen Ende des Sees, da wo der Torneä-Fluß aus demselben entspringt, aufgeschlagen habe und wir Aufnahme dort finden sollten.

Wir hatten etwa eine halbe Stunde unsern Weg über die Bergfläche fortgesetzt, als das Lappenmädchen ihr Tier anhielt und in die Tiefe zeigte, die sich zu unsern Füßen ausbreitete.

Obschon die Sonne jetzt unter den Horizont getreten war, ist in diesen Regionen und zu dieser Jahreszeit die kurze Nacht doch so überaus klar und hell, daß wir deutlich das weite Tal des Torneä vor uns übersehen konnten.

In der Tat lag zu unsern Füßen, von Berg- und Felsenwänden umgeben, der prächtige Spiegel des Torneä-Sees.

Die Lappin wies nach einer Stelle am Ufer des Gewässers. »Siehst du dort unten die schwarzen Jurten? Es ist das Sommerlager unseres Stammes. In einer Stunde könnt Ihr dort sein. Ich aber gehe, Torne-Kaitum Eure Ankunft zu verkünden!«

Und ohne weitere Auskunft oder ohne einen Gruß an uns zu verschwenden, trieb sie ihr Tier an und trabte mit einer Kühnheit, die jede Besorgnis für ihren Hals ausschloß, den steilen Abhang hinunter.

Wir folgten langsam nach, ich mit Gedanken über die seltsame Persönlichkeit des Mädchens beschäftigt.

Wir brauchten, wie sie richtig gesagt hatte, etwa eine Stunde, ehe wir am Ufer des Sees ankamen und fanden, daß man dort bereits auf unsere Ankunft vorbereitet war.

Etwa ein halbes Dutzend Lappen erwarteten uns am Ausgang der Schlucht, durch welche wir herunter stiegen, und als sie uns kommen hörten, entzündeten sie Fackeln aus Tannenreisern, die mit Tran und Teer getränkt und mit Moosflechten umwickelt waren. Ihr eintöniger, in drei und vier Noten sich bewegender Gesang schien eine Art Willkomm zu sein, mit dem sie uns voranschreitend den Weg zu dem Lager zeigten. Wie mir Asbiörn sagte, enthielt der Gesang eine Beschwörung, welche die Rut-Aimos und Mubben-Aimos, die bösen Geister von unserem Eintritt fern halten sollte.

Die Wohnungen des Stammes bestanden aus Hütten von Birkenzweigen und Zelten aus Renntierfellen, die über Stangen und Pfähle ausgespannt waren. Wie seinen ganzen Lebensunterhalt, so liefert das Reen dem Lappen auch seine Wohnung. Das größte Zelt gehörte dem alten Häuptling, und vor seinem Eingang, auf Häuten kauernd und aus einer Pfeife von dem Gehörn des Tieres rauchend, erwartete uns der Greis, während um ihn her die kleinen Gestalten seiner Stammesgenossen und Knechte in ihrer seltsamen Kleidung bei dem Schein der Tranfackeln hockten und die mächtigen Geweihe der lagernden Tiere unter den Lichtstrahlen sich bewegten. Eine große Anzahl Hunde trieb sich zwischen Menschen und Tieren umher; sie schienen die Wächter des Lagers zu bilden.

Torne-Kaitum war ein Greis von gebeugter Haltung und einem alle Kennzeichen seiner Rasse zeigenden runzelvollen, aber nicht unintelligenten Gesicht. Er war wie fast durchgängig dieses Volk, wo es sich nicht mit den stattlichen Figuren des normännischen Bluts vermischt, was allerdings nur in seltenen Fällen geschieht, da der Lappe von seinen Nachbarn verachtet wird, – etwa 4½ Fuß hoch, hatte ein plattgedrücktes, breites und bleiches Gesicht und einen dünnen, jetzt ganz weißen Bart. Die Lappen sind im ganzen ein lebhafter, gutmütiger und ehrlicher Menschenschlag, abergläubisch, aber treu, gehorsam und friedliebend, und hängen mit großer Liebe an ihrem Lande.

»Sei willkommen, Fremder, in dem Lande der Same-Laz und in dem Gebiet Torne-Kaitums. Seine Armut ist zu deinen Füßen. Iß und trink von dem Seinen und laß sein Zelt dein Obdach sein, solange es dir gefällt.«

Dies war der in dänischer Sprache ausgesprochene Gruß des alten Lappen, mit dem er mir aus einer Renntierhaut neben sich einen Platz anwies. Ich bemerke zu Ihrem Verständnis, daß die dänische Sprache noch heute durch ganz Norwegen verbreitet ist und fast von allen Eingeborenen gesprochen und verstanden wird. Nur in dem Innern der Gebirge und an den nördlichen Küsten spricht das Volk die alte norwegische Mundart in verschiedenen Dialekten. Die Lappen haben ihre eigene, der finnischen entstammende Sprache von rauhem Klang. Das Englische ähnelt dem Plattdeutschen und Dänischen bedeutend, und da ich in früheren Jahren Helgoland und Kopenhagen besucht hatte, wurde es mir leicht, die Worte des Greises zu verstehen.

Nachdem wir uns niedergelassen, brachte man uns Renntiermilch, Brot aus Moos und Gerste gebacken, Käse und gedörrtes und geräuchertes Fleisch, das wir uns nach dem tüchtigen Marsch trefflich schmecken ließen.

Ich ließ nun durch Asbiörn dem alten Häuptling sagen, daß ich ein englischer Jäger sei und in seinem Distrikt zu fischen und zu jagen wünsche, wozu er nach verschiedenen an mich gerichteten Fragen seine Einwilligung gab, obschon ich merkte, daß es nicht gern geschah und daß er durch Aufzählung der Beschwerlichkeiten und Gefahren des Landes mir die Lust zu längerem Aufenthalt verleiden zu wollen schien. Da er aber im Grunde gesetzlich keine Macht besaß, mir die Benutzung der Berge und Gewässer zu verbieten, auch Asbiörn, den er mit vieler Freude wiedererkannte, sich für mich verbürgte, gab er sich den Anschein der Bewilligung einer besonderen Gunst und versprach, uns durch seine eigenen Jäger und Spürer in die Einöden geleiten zu lassen und uns in seinem Lager zu behalten.

Ich ließ dem alten Mann gern die kleine Eitelkeit und hütete mich wohl, sein Mißtrauen durch eine Nachfrage nach seiner kleinen Enkelin zu erwecken, die ich mit einiger Verwunderung vermißte.

Dies Benehmen schien in den nächsten Stunden und Tagen seine Wirkung zu tun, um so mehr, da ich gleiches auch meinen Begleitern anbefohlen hatte, und das anfängliche Mißtrauen der Lappen schwand nach und nach, ja der alte Häuptling schien sogar ein gewisses Vertrauen zu mir zu fassen und gern sich mit mir zu unterhalten. Er war nicht ohne Intelligenz, hatte früher, wie ich schon bemerkte, nicht bloß jährlich die Seeküste, sondern häufig selbst die größeren Städte besucht, besaß eine scharfe Beobachtungsgabe und war jedenfalls einer der Gebildetsten seiner Nation. Anfangs war er eifrig bemüht, mir zu zeigen, daß er der christlichen Religion angehöre, als wir aber näher vertraut wurden und er sich überzeugte, daß ich kein Spion der strengen Geistlichen und Missionäre war, ließ er in seiner Sprechweise und seinem Gebahren nach und offenbarte seine mystischen, an dem Glauben seiner Väter hängenden Neigungen.

In den nächsten drei Tagen hatte ich zwei Jagdzüge in verschiedenen Richtungen unternommen und es war mir dabei gelungen, ein Elen und einen Luchs zu schießen, während ein Bär, den meine Kugel nach der schweißigen Fährte verwundet hatte, bei der einbrechenden Dämmerung uns entgangen war. Ärgerlich darüber war ich nach dem Lager zurückgekehrt und hatte beschlossen, mit Sonnenaufgang, also zu dieser Zeit etwa eine halbe Stunde nach Mitternacht, die Spur aufs neue aufzunehmen. Ich mußte mich dabei auf unsern eignen Spürsinn verlassen, denn die Hunde der Lappen sind zur Jagd untauglich.

Die kurzen Sommermonate in diesen Breiten zeichnen sich durch drückende Hitze und eine so rasche Vegetation aus, daß wir selbst in den Tropen von dieser schnellen Entwicklung der im Norden heimischen Vegetation keinen Begriff haben. Ich hatte noch wenig Lust zu schlafen, und um dem unangenehmen Schwirren der Insekten zu entgehen, die in der Nähe der Tiere die Feuer des Lagers in Myriaden umschwärmten, forderte ich Asbiörn auf, mich in einem der schmalen Kähne, die zum Fischen auf dem See dienen, auf das Wasser hinaus zu rudern.

Der Torneä-Sö Sö = See. erstreckt sich ungefähr 7 norwegische Meilen Gleich 10 deutschen. lang mit verschiedenen Ausläufern und Buchtungen von Westen nach Osten und hat auf seiner weitesten Stelle die Breite einer Meile. Sein westliches Ende, in das ein kleiner Fluß, der Nord-Joki, Joki, auf finnisch: Fluß. mündet, ist durch das Reuri Fjeld Fjeld: Gebirge. von dem Meer, d. h. Ofoten-Fjord nur etwa fünf Meilen weit getrennt. In dem See nimmt der Torneä-Elv seinen Ursprung, der sich am östlichen Ausgang zuerst nach Osten, dann nach Süden wendet und seit 1810 die Grenze zwischen dem schwedischen und russischen Finnland bildet. An seinem breiten Ausfluß in den botnischen Meerbusen liegen auf beiden Seiten die kleinen aber als die nördlichsten der Ostseeländer bekannten Städtchen Torneä und Haparanda, berühmt auch, weil man von dem in der Nähe liegenden und von den Naturforschern aller Länder besuchten Berg Awasaxa vom 16. bis 30. Juni das seltene Schauspiel sieht, daß die Sonne niemals untergeht!«

Die baskischen Mitglieder der Zuhörerschaft sahen erstaunt und ziemlich ungläubig auf den Erzähler. Sie hatten wohl gehört, daß in alten Zeiten im Gebiet der Könige von Spanien die Sonne niemals unterging, aber daß dies auch noch in einem andern Lande und in anderer Weise der Fall sein könne, davon hatten sie keine Ahnung.

Die Achtung der Gastfreundschaft hinderte jedoch selbst den alten Bärenjäger eine Bemerkung zu machen, und der britische Offizier setzte seine Erzählung fort.

»Der Torneä-See ist rings von hohen Felsenwänden eingeschlossen, gleich den Bergseen Schottlands und der schweizer Alpen. Im Nordosten erhebt sich der Raggis Vaara, im Süden Luosa Vaara, mit ewigem Schnee bedeckt. Es ist eine der großartigsten und einsamsten Gegenden, die man sehen kann, und wer zum Träumen geneigt ist, sieht im Mondschein über sein dunkles Gewässer die finstern Geister der Asawelt gleiten.

Wir mochten zwecklos etwa eine halbe Stunde auf den dunklen Wässern umhergeirrt sein, als ich plötzlich die leisen Töne einer Harfe durch die Nacht erklingen zu hören glaubte. Diese Töne hier im fernen Norden und in der Einöde eines lappischen Sees hatten etwas so Unerhörtes, daß ich in der Tat kaum wußte, ob nicht wirklich eine der heiligen Jungfrauen der Zauberwelt die Saiten rührte, bis eine melodische Altstimme sich dazu erhob und eine klagende Melodie in unbekannter Sprache sang.

Ich gab Asbiörn ein Zeichen, die Ruder einzuziehen und unseren Kahn im Schatten der Berge forttreiben zu lassen, um unbemerkt der Sängerin nahe zu kommen, die keine andere sein konnte, als das seltsame Mädchen, das wir auf der Höhe getroffen hatten.

So kamen wir in der Tat der Stelle näher, wo sie gleich der Lorelei des Rheinstroms, eine Sage, die sich bei vielen Völkern und wie ich später hörte, auch bei den Norwegern wiederholt, auf dem hohen Vorsprung eines Felsens saß. Die Dämmerung, die um diese Zeit nicht mehr schwindet, ließ die Gestalt deutlich erkennen, wie sie sich, in einen Mantel von Renntierfell gehüllt, an dem die Kopfhaut und die Hörner gelassen waren, über die Harfe lehnte.

Da ihre Gestalt sich am matt beleuchteten Horizont deutlich abzeichnete, unser Kahn aber in tiefem Schatten trieb, konnten wir sie ungestört beobachten. Als ich bei einer plötzlichen Bewegung die Hand auf die Schulter des Norwegers legte, fühlte ich, daß der kräftige, in hundert Gefahren erprobte Mensch zitterte.

»Laß uns umkehren, Herr,« sagte er. »Es ist ein Zauberweib. Ich höre, wie sie von Jabme-Akko der Todesmutter singt, die das Land der Verstorbenen regiert.«

»Tor – schweig still! Siehst du nicht, daß es Adda, die Enkelin des Kaitum ist, die wir hier finden!«

»Eben darum!«

Bevor ich ihn weiter beruhigen konnte, änderte sich der Charakter des Gesanges. Schrille wilde Akkorde klangen durch die Nacht, lauter und lauter wurde ihr Gesang, als rufe er die Geister der Tiefe, und wiederholt hörte ich den Namen Rutu darin, von dem ich bereits wußte, daß es den Geist der Rache bedeutete. Wie ein Sturm rauschten Töne und Klänge, bis plötzlich ein greller Aufschrei diese wilden Melodien unterbrach.

Im selben Augenblick verschwand die Gestalt des seltsamen Mädchens von dem Felsen, – unser Kahn war in den Lichtkreis eines kleinen Feuers getreten, das vor einer Jurte in einer Seitenschlucht brannte, – sie hatte uns offenbar gesehen, und einige Minuten darauf erlosch auch das Feuer in den Felsen.

Ich muß gestehen, es war uns wie eine Last vom Herzen, als wir nichts mehr sahen und hörten um uns, als den einsamen See. Wir griffen beide hastig zu den Rudern und arbeiteten, daß uns der Schweiß von den Stirnen rann, um aus der unheimlichen Nähe zu entweichen.

Als wir uns endlich dem Lager wieder näherten, befahl ich, Halt zu machen und befrug dann meinen Gefährten, ob er seither nichts von dem Mädchen gehört hätte. –

Es dienten als Renntierknechte zwei Norweger gegen ziemlich hohen Lohn bei dem alten Lappen, die zugleich den Verkehr mit der Küste besorgten, an der zahlreiche Herden Kaitums nach dem Stammgebrauch weideten. Von ihnen hatte Asbiörn gehört, daß vor etwa fünf Jahren, zwei Jahre, nachdem er den Kaitum verlassen hatte, dieser infolge einer Botschaft von einem Küstenort, dorthin gewandert war. Er blieb eine Zeit aus, und als er zurückkam, brachte er ein etwa 14- bis 15jähriges Mädchen mit, von der er beim Bezirksvogt erklärte, daß sie seine Enkeltochter und Erbin sei. Über alle näheren Umstände schwieg er und verfiel bald wieder in die alte finstere und menschenscheue Stimmung, die ihn seit dem Verschwinden seiner Tochter nicht verlassen hatte. Die Mitgebrachte war Adda, unsere Wegweiserin, die Sängerin. Sie schien in den dürftigsten Umständen gelebt zu haben, denn ihre Kleidung, obschon von städtischem Schnitt, war armselig und zerrissen. Die Harfe, mit der wir sie soeben den Gesang begleiten sahen, und die sie mit sich brachte, schien ihr bestes Eigentum. Sie war von so ganz anderer Art als alle anderen Weiber aus der Horde, und ihr Charakter so furchtlos und despotisch, daß sie bald ebenso gefürchtet wie gescheut war trotz ihrer Jugend, um so mehr, da sie auf den alten Häuptling bald einen unbeschränkten Einfluß gewann.

Sie machte davon jedoch nur insofern Anwendung, als sie sich von den ihr nicht passenden Sitten und Gebräuchen des Stammes emanzipierte und ein einsames abgesondertes Leben führte, bei dem sie oft Tage und Nächte lang allein in den Gebirgen und in den Einöden der Schneefelder umherstrich, oder am Fuß der wilden Wasserfälle saß. Die Sprache der Lappen mußte sie von ihrer Mutter gelernt haben; daß sie auch andere trotz ihrer Jugend redete, hatte sie mir selbst gesagt.

Obschon dies alles meine Neugier reizen mußte, beschloß ich doch streng bei dem bisherigen Verfahren zu bleiben, um das Vertrauen des Häuptlings nicht einzubüßen und so womöglich zu meinem Zweck zu gelangen, was große Vorsicht erheischte, da Torne-Kaitum das Gespräch stets auf andere Dinge wendete, wenn ich auf die geheimnisvollen Zauberkünste und Kräfte seines Volks anspielte.

Ans Land gekommen schlief ich ein paar Stunden in meiner Jurte, bis nach Mitternacht mich die Lappen weckten.

Außer Asbiörn und Sven hatte ich zwei oder drei der Eingeborenen, die als die besten Fährtensucher bekannt waren, mir von dem alten Häuptling erbeten und wir machten uns alsbald wohlbewaffnet und mit einigem Mundvorrat versehen auf den Weg. Nach zwei Stunden des Steigens und Suchens hatten wir die Stelle erreicht, wo ich am Nachmittag vorher die Bären angeschossen hatte.

Die Lappen fanden sofort die Fährte und wollten, als sie über eine kurze Schneefläche führte, aus gewissen Kennzeichen wissen, daß es sich um eine alte große Bärin handelte. Kurzum, nachdem wir weitere zwei Stunden der Fährte gefolgt waren, trafen wir auf das Tier, das vor einer mit Steinen und Reisern förmlich verpallisadierten Felsenspalte saß, offenbar schwer verwundet und dem Verenden nahe. Wie sich nachher ergab, hatte ihm meine Kugel den rechten Schulterknochen zerschmettert. Trotzdem war während der Nacht die Bärin noch über eine Meile gelaufen, um zu ihrem Lager zu gelangen, in dem sich die zwei im Februar geworfenen Jungen bargen.

Diese Jagdbeute, zu der alsbald auch die beiden Jungen gesellt wurden, machte uns allen großes Vergnügen, und unsere Lappen tanzten wie toll um den toten Körper ihres Feindes und priesen den Leib-Olmai, den Jagdgott, der auf ihren heiligen Bergen seinen Wohnsitz hat. Dann machten wir uns daran, eine Schleife aus Birkenstangen zusammen zu zimmern, legten die Bären darauf mit den zusammengebundenen schreienden Jungen und spannten uns davor, diese Beute nach dem Lager zu ziehen.

Ich weiß nicht mehr, was mich veranlaßte, unterwegs unsere kleine Gesellschaft zu verlassen und noch eine Streiferei allein durch die Einöde zu unternehmen. Wahrscheinlich geschah es, weil die Tageszeit noch nicht weit vorgeschritten war und ich nicht so zeitig zu den schmutzigen Jurten zurückkehren mochte, während mich hier die freie und reine Luft der Höhe umwehte. Es geschah etwa in der Nähe der Stelle, an welcher wir vor einigen Tagen auf die Enkeltochter unseres Gastfreundes gestoßen waren, und ohne eine bestimmte Absicht damit zu verbinden, schlug ich unwillkürlich die Richtung nach der Seite des Sees ein, an welcher sich die Jurte des Mädchens befinden mußte. Ich trug meinen Kompaß bei mir, hatte meine Büchsflinte, und es war daher nicht die geringste Ursache zu fürchten, daß ich mich verirren oder in irgendeine andere Gefahr laufen konnte.

Ich folgte einem emporsteigenden Bergrücken, der in einem Schneefeld endete, und schritt endlich auf diesem fort, als es sich in der Richtung des Sees senkte und zu einer Fläche von Geröll und Felstrümmern wurde, ohne daß irgend etwas meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte.

Die Felswand schien endlich plötzlich mit jähem Sturz in die Tiefe abzubrechen, und ich wollte mich eben umschauen, wie ich meinen Weg fortsetzen, und niedersteigen könnte, als eigentümliche Laute mein Ohr trafen.

Es war ein gebellartiges Heulen von verschiedenen Stimmen, wütende heisere Laute, die sich mit lang anhaltendem klagendem Geheul verbanden. Ich erkannte diese Töne sofort – es war das Geschrei von Wölfen, die in der Nähe eine Beute gefunden haben mußten. Seltsamer Weise hörte ich aber deutlich zwischen diesem Gekläff ein lautes höhnisches Menschenlachen und zuweilen Worte und lustige Ausrufungen, die ich aber nicht verstehen konnte.

Die gespannte Büchse im Arm eilte ich rasch vorwärts und gelangte in einigen Minuten an den Rand des Plateaus.

Der Anblick, der sich mir bot, war allerdings ein seltsamer.

Etwa 20 Fuß unter mir befand sich eine zweite, reich mit größeren oder kleineren Felstrümmern besäete Bergebene.

Dicht unter mir, gerade der Stelle gegenüber, auf welcher ich von einigen Birken versteckt stand, lag ein großes, etwa sechs Fuß hohes Felsstück, das oben eine ziemliche geräumige Platte zeigte. Auf dieser kleinen gefährlichen Fläche lag ein menschliches Wesen, bald lang ausgestreckt, bald auf den Knien rutschend, oder aufspringend, um sich soweit als möglich vornüber zu beugen. Während die Linke dann sich ans Gestein klammerte, schwang die Rechte kräftig einen langen Spieß, an dessen Ende ein stählernes Bajonett funkelte, und stieß ihn hinunter in eine Schar brauner Gestalten, die heulend und fletschend um den Stein sprangen und vergeblich sich bemühten, hinauf zu gelangen oder einen Gegenstand, der dicht am Felsblock lag, hinwegzuzerren.

Jedesmal, daß die Lanze einen glücklichen Stoß vollführt, lachte die Inhaberin hämisch auf und reizte durch ihren tollen Jubel und ihre Gebärden, die trotz oder wegen der zahlreichen Verwundungen immer wilder werdenden Wölfe, denn aus einem ganzen Rudel dieser Bestien bestand die heulende Meute.

Die Gestalt aber auf dem Stein, die so mutig, mehr zu ihrem Vergnügen, als zu ihrem Schutz die gefräßigen Tiere von dem Stein abhielt, erkannte ich leicht an ihrer Kleidung und ihrem fliegenden Haar. Es war Adda, die Enkelin des alten Lappen-Fürsten, und dicht am Stein, von den Zähnen der Bestien zerfleischt, lag ihr braunes Renntier, das sie sonst über die Höhen und durch die Täler zu tragen pflegte.

Zwei Wölfe lagen bereits verendet auf und neben dem gefällten Tier, ein paar andere hinkten verwundet aus dem Kreis der gefährlichen Waffe, saßen auf den Hinterbeinen und heulten grimmig aus den weit geöffneten Rachen. Die anderen Tiere, wohl ein Dutzend an der Zahl, viele aus kleineren Wunden blutend, schienen jedoch ihre gewöhnliche Scheu vor der menschlichen Nähe ganz abgelegt zu haben und wiederholten, sei es von Hunger und Blutgier getrieben, sei es durch die Aufreizung des einzelnen Feindes zur Wut entflammt, mit roten Augen und fletschenden Zähnen fortwährend ihre wilden Angriffe.

Aber je wilder sie an dem glatten Block in die Höhe sprangen, je grimmiger ihr Geheul ertönte, desto mehr schien die Lust der kühnen Jägerin zu wachsen, ja diese selbst zur grimmigen Wölfin zu werden; denn sie stimmte ein in das Geheul ihrer Feinde, ahmte höhnisch ihr Gebell nach, wies ihnen die eigenen Zähne und gefiel sich in den wildesten Worten und Gebärden.

Ich hörte mit Erstaunen, daß die junge Halbwilde sich hierbei nicht der Sprache ihres Volks, sondern der dänischen bediente.

»Ha, junge Wölfin, die du mein Recht gestohlen – da nimm dies, verhaßtes Tier! – Dänischer Wolf fletsche die Zähne nicht so! Die Beute entgeht dir, Schurke! – Bist du lüstern wieder nach Mädchenfleisch? – Hast du auch eine Mutter gehabt, Untier mit den falschen Augen? – Aus der Brust will ich das Herz dir schneiden, falscher dänischer Wolf, und Pescal der Höllengott, soll meine Gebeine zermalmen, wenn ich dich nicht treffe!«

Ich sah deutlich, wie ihr wohlgezielter Stoß das Eisen in den fletschenden Rachen des Ungetüms bohrte, daß das Blut bis zu ihr emporspritzte.

Ein wilder Jubel malte sich auf dem schönen, jetzt von dämonischem Geist entstellten Gesicht des Mädchens; sie sprang empor und tanzte in wilden Sprüngen auf dem Stein umher. In den nächsten Augenblicken war sie aber schon wieder bei ihren Feinden und ließ sie die Schärfe ihres Eisens fühlen.

»Hussah! seid ihr nicht die Olmaks Geister, Dämonen. der schlimmen Menschen? zerfleischen ihre Zähne nicht schlimmer Mutter und Kind, als die euren das Reen und sein Kalb? Wißt ihr, wie der Hunger tut und die Schande? Fluch über euch und sie. Rache will ich, Rache, weil ihr die Mutter zerfleischt, das schuldlose Reen. Seine Künste soll mich der Greis lehren, daß ich sie alle vernichte, die fletschenden Bestien! Da! da! – herunter reiße ich euch den zottigen Balg, mit dem ihr prahlt! Nackt und bloß soll sie sein wie ich, bluten in Hunger und Kälte, die junge Wölfin mit den falschen Augen, wie sie der Bettlerin den Schilling zuwarf; Fluch über sie und mich! Fluch über die dänischen Wölfe, die das verachtete Same-Lazmädchen verschlingen!«

Und mit beiden Händen ihren Speer fassend, stieß sie ihn so gewaltig nach allen Seiten in die heulende Schar, daß die Wölfe, schnaubend zurückwichen!

Ich hatte bisher dem grausigen Auftritt erstaunt zugesehen, ohne mich bemerklich zu machen. Jetzt aber sah ich, daß der wilden Siegerin eine Gefahr drohte, die dem Spiel leicht ein schreckliches Ende machen konnte. Ein alter kräftiger Wolf war, während sie mit den andern Bestien kämpfte, im Rücken auf einen nahe liegenden höheren, aber leichter zugänglichen Stein unbemerkt gekrochen, hatte dessen Höhe erreicht und schickte sich eben zum Sprunge an. Der Satz gelang wenigstens halb, denn die Bestie erreichte mit den Vorderklauen die Höhe des anderen Steins, klammerte sich fest und bemühte sich, mit den Hinterfüßen eine Stütze zu suchen, um sich vollends hinaufzuschwingen.

Es wäre dem Wolf wahrscheinlich gelungen, obschon die wilde Jägerin in diesem Augenblick selbst die Gefahr bemerkt hatte und dem Tier mit geschwungenem Speer entgegentrat, – aber schon lag ich im Anschlag, der Finger berührte den Drücker, und der Wolf stürzte mit zerschmettertem Kopf zurück unter seine Kameraden, die bei dem Knall des Schusses eilig entflohen und das Reen und ihre Feindin im Stiche ließen.

Das Mädchen blieb aufrecht auf dem Steine stehen und schaute mehr zornig und erstaunt nach oben, wo ich mich durch die Birkenzweige gedrängt hatte.

»Wer gibt dir das Recht, Fremder,« sagte sie mit einer drohenden Gebärde, ihre Linke gegen mich erhebend, »dich in Addas Rache zu mischen?«

Aus der Wahl der englischen Sprache bei diesen Worten sah ich, daß sie mich wiedererkannt hatte. Ich hielt mich nicht lange mit einer Antwort auf, sondern glitt, die noch dampfende Büchse über die Schulter werfend, so gut es ging, an dem felsigen Abhang hinunter und stand bald neben dem Stein, auf dem sie sich noch immer befand.

»Ich mache Ihnen mein Kompliment, Miß Adda,« sagte ich, »über ihre Bravour. Vier tote Wölfe und wahrscheinlich doppelt so viele mit einem Denkzettel heimgeschickt, der ihnen verleiden wird, je wieder einen Menschen anzufallen! Ich bewundere Sie, Miß!«

Sie sah mich finster an. Da sie ihren Mantel mit dem seltsamen Kopfschmuck von sich geworfen, konnte ich in dem hellen Tageslicht genauer die Schönheit und Regelmäßigkeit ihrer Züge erkennen, deren Wirkung eben nur der finstere dämonische Ausdruck schadete, der auf ihnen lag.

»Ich habe dir bereits gesagt, daß ich keine Miß bin, sondern Adda, des Torne-Kaitum Enkelin, ein verachtetes Same-Lazmädchen, die ärmste und schlechteste von allen. Wer hieß dich auf die Wölfe schießen? Sie zerrissen mein Reen! Aber die menschlichen Wölfe sind schlimmer als sie, sie zerreißen die Herzen!«

»Armes Kind, ich kann nicht annehmen, daß Sie so jung schon so bittere Erfahrungen gemacht haben sollten. Sie waren in Gefahr, Adda, darum schoß ich!«

Sie wies höhnisch auf den toten Wolf. »Meinst du, daß ich seiner nicht Meister geworden wäre? Du kennst Adda schlecht! Wie kommst du hierher ohne deine Sklaven?«

»Wir hatten einen Bären erlegt und ich habe meine Begleiter verlassen, die ihn zum Lager schleppen, um noch ein wenig zu jagen. So wurde ich zufällig Zeuge Ihres Kampfes.«

Indem sie sich ihrer Lanze als Springstock bediente, sprang sie von der Höhe des Steins mitten zwischen die toten Wölfe. Einen Augenblick betrachtete sie das verendete Reen. »Arme Lula,« sagte sie, »ich konnte dir nicht helfen. Aber es sind bessere wie du das Opfer der Wölfe geworden. Ha – wenn ich alle unsere Feinde töten könnte, wie diese!« Und sie ging von einer der toten Bestien zur andern und versetzte den unempfindlichen Körpern Stiche mit ihrem Bajonett. Der Haß, der sich dabei in dem geöffneten Mund, in den funkelnden Augen spiegelte, hatte etwas Furchtbares.

Plötzlich wandte sie sich zu mir. »Hast du etwas zu trinken bei dir, Engländer? Die Bestien haben mich warm gemacht.«

Ich zuckte die Achseln. »Nichts als ein kleines Fläschchen Rum – kein Getränk für ein Mädchen!«

»Gib!«

Ich reichte ihr erstaunt die Korbflasche. Sie setzte sie an den Mund und tat einen langen kräftigen Zug. Obschon der Rum überaus scharf und ihre Haut fast durchsichtig zart war, zeigte sich doch keine Spur von Röte nach dem Getränk auf ihrem Gesicht.

»So – das erfrischt!« – Sie setzte sich auf einen kleinen Stein und stieß den vor ihr liegenden Körper des Wolfes mit ihren trotz der plumpen Schuhe auffallend kleinen Füßen. »Wann wirst du fortgehen von hier, Engländer?« fragte sie.

»Wann ich den Torneä-Sö verlassen werde?«

»Ja!«

Ich zögerte mit der Antwort; vielleicht fand sich hier ein Anknüpfungspunkt für die Erreichung meines Wunsches.

»Ich habe mir vorgenommen, den Charakter dieser Gegend und die Sitten ihrer Bewohner kennen zu lernen. Vielleicht in acht oder vierzehn Tagen, wenn Ihr Verwandter mich so lange dulden will.«

Sie lachte spöttisch. »Dulden? Als ob Ihr Engländer nicht glaubtet überall die Herren zu sein. – Aber warum nennst du mich nicht Du, wie es die Sitte unseres Landes fordert?«

»Ich muß gestehen, Adda, Sie sind so ganz, anders als die anderen Lappenmädchen, daß ich es nicht wagen wollte, Sie wie die anderen Weiber anzureden. Sie haben, wie ich gehört habe, wohl in den Städten gelebt?«

»Ha – bist du ein Spion? – was kümmert's dich! ich bin eine Same-Laz – die Verachtetste unter den Verachteten. Frage mich nie wieder danach – nicht mich, nicht den alten Mann nach dem was vergangen ist!«

»Ich habe kein Recht dazu und wünsche nicht, in Eure Geheimnisse mich zu drängen. Aber ich habe gehört, daß Torne-Kaitum die anderer Menschen kennt, wenn er es will, daß sein Geist über Länder und Meere wandert und sieht, was anderen sterblichen Augen verborgen ist!«

Sie warf einen raschen kurzen Blick auf mich. »Torne-Kaitum ist ein großer Noaide,« sagte sie.

»Ich wünschte, ich könnte eine Probe seiner Kunst sehen. Aber er würde einem Fremden mißtrauen, wenn er ihn darum bäte.«

»Welchen Weg wirst du auf deiner Heimkehr nehmen?«

»Über Drontheim und Hamburg – es ist der rascheste Weg.«

»Das ist der Weg nach Kopenhagen?«

»Von Hamburg, ja!«

»Und du möchtest gern sehen, wie die Seele Torne-Kaitums im Zauberschlaf nach den glücklichen Regionen wandert?«

»Ich gestehe, es ist ein großer Wunsch!«

»Du sollst es sehen – unter einer Bedingung!«

»Welche?«

»Du sollst geloben, eine Bitte zu erfüllen, die ich an dich richten werde, wenn die Seele des Kaitums zurückgekehrt ist in ihren Leib!«

»Was betrifft die Bitte?«

»Mich selbst!«

» Well! – ich gebe dir mein Wort als Gentleman, daß ich sie erfülle, wenn es in meiner Macht steht und mit der Ehre sich verträgt.«

»Ich weiß nichts von deiner Ehre! – komm!«

Sie ging, ohne noch einen Blick dem toten Reen zuzuwenden, das sie so oft getragen, vor mir her und stieg den Felsenhang hinab nach dem See.

Vergebens versuchte ich mehrmals ein weiteres Gespräch mit ihr anzuknüpfen, indem ich auf ihren Gesang und ihr Harfenspiel am vorigen Abend hindeutete. Sie setzte allen weiteren Bemühungen ein hartnäckiges Schweigen entgegen, und zuletzt schwieg auch ich, ärgerlich über diesen Trotz.

Nach der Wanderung von einer starken Stunde kamen wir an das Lager des Stammes und fanden alles in großer Aufregung, denn meine Begleiter waren glücklich mit dem Körper des erlegten Bären eingetroffen und hatten dadurch großen Jubel erregt. Es war beschlossen worden, ein Festmahl zu halten, und bereits hatte man Meister Petz den Pelz abgestreift und ihn in Stücke zerlegt.

Die Ankunft des Mädchens in meiner Begleitung schien übrigens Erstaunen zu erregen, und der Kaitum, der vor seinem Zelte saß, machte ein finsteres Gesicht. Als Adda aber sich neben ihn setzte und ihm von ihrem Kampf mit den Wölfen erzählte und wie mein Hinzukommen und mein Schuß diesem ein Ende gemacht hatte, änderte sich der Ausdruck seines Gesichts. Ich konnte allerdings nicht verstehen, was sie gesagt hatte, da sie in der Volkssprache redete, sie mußte mich aber wohl mit Absicht über Verdienst rühmen, denn der alte Mann reichte mir die Hand und sagte: »Du hast das Kind meines Herzens beschützt, Fremder – meine Herden und meine Habe sind dein Eigentum!«

»Ich habe dem Fremdling ein Zeichen deines Dankes versprochen!«

»Du hast wohl daran getan! Er möge wählen.«

»Er hat gewählt. Er ist fern von der Heimat – er wünscht zu wissen, wie die Seinen leben. Er will den großen Noaiden der Same-Laz zu ihnen senden!«

Das Gesicht des alten Lappen verfinsterte sich merklich bei diesem Verlangen, das übrigens von dem Mädchen in dänischer Sprache gestellt worden war, damit ich ihre Worte verstehen konnte.

»Die Tochter meiner Tochter hat nicht wohl daran getan,« sagte er mürrisch, »den Fremden von den Geheimnissen ihres Volkes zu sprechen.«

»Der Ruf des großen Noaiden ist weit verbreitet über die Grenzen dieses Landes. Will der Vater meiner Mutter ihr Kind wortbrüchig machen?«

Der alte Mann machte allerlei Geberden, welche seine Unschlüssigkeit verrieten. Er wandte den Kopf hin und her, rang die Hände und sah bittend auf das Mädchen. Aber sie blieb blind und taub für alle diese Zeichen. Endlich wandte sich der Alte zu mir.

»Fremdling,« sagte er, »Torne-Kaitum hat dich in sein Lager aufgenommen und Milch und Brot mit dir geteilt. Er hat dir die Fische des Sees und die Tiere des Waldes überlassen. Warum willst du ihn betrüben und ihm Schmerz verursachen? Glaubst du, daß die Seele aus dem Körper geht, ohne daß er die Leiden des Todes fühlt?«

Ich wollte ihm versichern, daß ich weit entfernt sei, von ihm etwas zu verlangen, das er so ungern täte, aber Adda gab mir einen Wink, und so begnügte ich mich mit einigen Worten, die bloß ausdrückten, daß ich begierig sei, zu prüfen, ob der Ruf dieser geheimnisvollen Gabe Wahrheit sei.

Ich sah, wie große Schweißtropfen der Angst und eines innern heftigen Kampfes über sein welkes Gesicht rannen, und schon war ich entschlossen, meinen Wunsch lieber ganz aufzugeben, als der alte Mann sich plötzlich fest entschlossen in die Höhe richtete.

»Die Tochter der Same-Laz wird ihr Wort halten und die Seele ihres Vaters über das Wasser schicken. Morgen, wenn die Sonne über den Gipfel des Raggis tritt, wird er bereit sein. Geht – sein Geist bedarf der Sammlung.«

Der alte Mann erhob sich und kroch in sein Zelt, dessen Türleder er hinter sich niederfallen ließ.

Von jetzt bis zur bestimmten Stunde, nach unserer Zeit etwa um neun Uhr vormittags, nahm er weder Speise noch Trank. Die Mitglieder der Horde ließen sich dadurch keineswegs in ihren Anstalten zum Festmahl stören, sie betrachteten vielmehr das Versprechen ihres Häuptlings als die Gelegenheit zu einem Feiertag, und hätten dabei um keinen Preis mehr die Ailekes-Olmaks, die Festtagsgötter, die drei Begleiter der Sonne, durch irgendeine profane Arbeit, wie Holzfällen und dergleichen, beleidigt.

Mehrere der älteren des Stammes entfernten sich, gewisse Vorbereitungen zu treffen, während wir unser Zelt aufsuchten, um darin zu ruhen; denn ich war entschlossen, auf das genaueste alle Vorgänge zu beobachten, und während der Zeit, – man hatte mir gesagt, daß 24 Stunden über dem Zauberschlaf vergehen könnten, selbst kein Auge zu schließen.

Und jetzt, Sennores, bitte ich Sie, bei dem, was ich Ihnen erzählen werde, mich nicht für einen abergläubischen, durch einen Betrug leicht zu täuschenden Menschen zu halten. Was ich Ihnen sage, habe ich mit nüchternen klaren Sinnen erlebt und mißtrauisch auf das schärfste geprüft; aber es ist so seltsam und in unserem bisherigen Wissen unerhört, daß ich es niemand übelnehmen kann, daran zu zweifeln. Nur muß ich Sie bitten, sich stets erinnern zu wollen, daß ich Ihnen hiermit mein Ehrenwort als Gentleman und Offizier gebe, daß ich mir keinen Scherz mit Ihnen erlaube, sondern alles, was ich sage, buchstäblich wahr ist.«

Der Kapitän machte eine kleine Pause und sah in dem Kreise umher. Auf allen Gesichtern zeigte sich eine ernste Spannung. Dann fuhr er in seiner Erzählung fort:

»Etwa eine halbe Stunde vor der bestimmten Zeit holte mich Adda ab. Ich folgte ihr mit Asbiörn. Die ganze Bevölkerung des Stammes war vor der Jurte des Häuptlings versammelt, nur die beiden norwegischen Hirten fehlten, man hatte sie mit meinem Begleiter Sven unter einem sie zwei Tage entfernt haltenden Vorwande nach einer entlegenen Senne geschickt, um weiter keine Zeugen bei den heidnischen Zeremonien zu haben, die sie dem christlichen Geistlichen verraten könnten, was wahrscheinlich dem Kaitum manche Unannehmlichkeit zugezogen hätte. Asbiörn schien er mehr Vertrauen zu schenken und seiner aus der früheren Dienstzeit gewiß zu sein.

Die Weiber des Stammes, auch Adda, saßen zur Seite, denn kein mannbares Weib darf sich dem mit Zweigen umsteckten Steintisch nahen, der von den Knochen der geopferten Renntiere im Kreise umgeben, hinter den Hütten stand und den rohen Birkenklotz, das Sinnbild der Hauptgottheit Tierme trug.

Um eine Elenhaut vor dem Eingang des Zeltes, in dem der Häuptling noch immer verborgen war, war ein Zaun von Renntiergeweihen, ein Tiorfwigardi, errichtet, wodurch der Platz zu einem Storjunkar, einem heiligen Ort, gemacht worden war, in den die bösen Geister nicht dringen konnten, um etwa den leblosen Körper während der Abwesenheit seiner Seele zu entführen. Die Trommel aus Birkenholz, Gobdas genannt, auf deren Fell mit dem roten Saft gewisser Beeren die Bilder der Götter und derlei Gegenstände gemalt waren, lag auf dem Fell bereit, an ihr die Arga, ein Büschel an Fäden gereihter Ringe, die beim Schlagen mit einem aus Renntierhorn gefertigten Hammer auf der Trommel herumhüpfen, und aus deren Gebilden und Lagen der Zauberer seine Wahrsagungen schöpft.

Man führte mich an den Zaun und hieß mich niedersetzen, dann, auf ein Zeichen, verließ Torne-Kaitum sein Zelt und setzte sich auf die Elenhaut. Er sah blaß und übernächtigt aus, und man erzählte mir, daß er die Nacht im Gebet an Jabme Akko, die Todesgöttin, zugebracht habe, die den Aufenthalt der Verstorbenen beherrscht, sowohl den der Verdammten, dem der Höllengott Peskal, als dem der Seligen, welchem Städian vorsteht, und zu dem nach langer Wanderung diejenigen als Hausgeister in verschiedenen Tiergestalten eingehen, die sich im Leben von Meineid, Diebstahl und Streitsucht freigehalten haben, und wo sie alles in Fülle finden, was den Lebenden erfreut, Tabak rauchen und Branntwein trinken.

Zu meiner Verwunderung trug der alte Häuptling statt seines gewöhnlichen Rockes von Renntierhaut einen langen, breitschößigen Tuchrock, wie ihn die norwegischen Bauern statt der weißen Wochentagsjacke an Sonn- und Festtagen zu tragen pflegen. Sein Haupt war unbedeckt und zeigte seine langen weißen Haare.

Er setzte sich langsam neben die Trommel und winkte mich dann heran an den Kreis der Geweihe, der so eng war, daß meine Hand ihn leicht berühren konnte.

»Fremdling,« sagte er, »Torne-Kaitum ist bereit, von dir seine Seele auf die große Wanderung schicken zu lassen. Reiche mir deine linke Hand und dann sage mir, wohin sie gehen und was sie schauen soll, um es dir zu erzählen, wenn Jabme Akko es gestattet, daß sie in diesen Leib zurückkehrt.«

Ich hatte bereits bei mir beschlossen, dem zu folgen, was Adda mir am Abend vorher bei ihrer Forderung an den Häuptling untergeschoben hatte. Es war eine Unmöglichkeit, daß der alte Mann je in meinem väterlichen Hause, jetzt dem Familienerbe meines Bruders, des Baronets, gewesen sein oder seine Familie kennen sollte. Ich wollte daher verlangen, daß er mir Nachricht aus Welmore-Hall in Northumberland bringen solle und zwar aus der Familienhalle und meinem eigenen Zimmer im zweiten Stockwerk des nördlichen Turms, das ich stets bei meinen Besuchen auf der Besitzung meiner Familie zu bewohnen pflegte, und das, wie ich wußte, sonst verschlossen gehalten wurde, da ich dort die meisten meiner Jagdtrophäen aufbewahrte.

Ich glaubte, auf diese Weise am leichtesten seine Täuschung ans Licht zu stellen und ihn zum Eingeständnis seiner Unfähigkeit bringen zu können, mir die verlangte Nachricht zu geben.

Ich reichte ihm also meine linke Hand, die er während der folgenden Unterredung in der seinen behielt, und rief Asbiörn herbei, um uns, so weit nötig, als Dolmetscher zu dienen.

»Wohin willst du, daß mein Geist wandern soll?«

»Nach unserm Familiensitz Welmore-Hall in der Grafschaft Northumberland im Osten von England.«

»Torne-Kaitum muß also über das Meer gehen?«

»Ja! Die Nordsee liegt zwischen deiner und meiner Heimat.«

»Es ist gut – er wird gehen. Sage mir die Richtung nach der Sonne, damit mein Geist nicht unnütz umherwandert.«

Obschon ich voller Unglauben war, ja alle diese Phrasen mir lächerlich erschienen, wollte ich ihm doch bis zum Schluß allen Willen tun, nahm meinen Taschenkompaß und deutete ihm die ungefähre Richtung nach dem gegenwärtigen Stande der Sonne an, die sich jetzt über den Gipfel des Raggis erhoben hatte.

»Ich danke dir,« fuhr der Alte fort, »Baiwe und ihr Gatte werden mir leuchten. Jetzt sage mir, was ich tun soll an dem Ort, den du mir genannt hast?«

»Du sollst durch die große Halle im Erdgeschoß gehen und mir sagen, wer darin war, dann die Treppe in dem nördlichen Turm hinaufsteigen und – wenn dein Geist durch die verschlossenen Türen so wenig aufgehalten wird, wie unsere einheimischen Gespenster, – in das sogenannte Kapitänszimmer treten.«

Er sah mich mit trauriger Miene an. »Du spottest meiner, Fremder,« sagte er mild, »und glaubst nicht an den Zauberschlaf. Sage mir, was ich in dem Zimmer tun soll?«

Ich war einigermaßen frappiert von diesem hartnäckigen Vertrauen, da ich schon geglaubt hatte, gewonnen Spiel zu haben.

»Du wirst gerade gegenüber der Tür einen Spiegel sehen. Rechts und links befinden sich Tierköpfe. Sage mir, was du an dem zur Linken finden wirst.«

»Ist das alles?«

»Ja – ich dächte, es wäre genug, und wenn du diese Aufgabe zu lösen imstande bist, will ich dich in Wahrheit für einen Zauberer halten.«

Torne-Kaitum begnügte sich, mit dem Kopf zu nicken, dann ließ er meine Hand los und kniete mit dem Gesicht nach der Gegend hin, die ich ihm angedeutet.

Er nahm die Gobda, ordnete die Ringe der Arga darauf, sodaß sie um das rohe Bild der Sonne zu liegen kamen und nahm den Hammer in die Hand.

»Lebe wohl, Fremdling,« sagte er, »und Maderatja und der Christengott mögen geben, daß ich dir gute Nachricht zu bringen vermag.«

Darauf begann er mit heller Stimme einen Gesang, der, wie mir Asbiörn sagte, die Olmaks, die Berg- und Hilfsgeister der Zaubereien anrief, ihm beizustehen, während er zugleich die Trommel schlug, anfangs schwach, dann immer stärker und stärker, während zugleich sein Gesang kräftiger wurde und seine Stammesgenossen in einer Art Chor einfielen. Immer kräftiger schlug der Alte auf die Trommel, bis er zuletzt wie im Paroxismus umfiel. Noch hatte er die Kraft, die Trommel auf seinen Rücken zu schieben und dann fiel er anscheinend in einen tiefen Schlaf.

Während dies geschah, setzte der Chor der Männer und Weiber seinen Gesang fort. Ich bemerkte, daß sie sich in zwei oder drei Parteien teilten, um sich in diesem Gesänge abzulösen, denn nach dem herrschenden Aberglauben darf er zur Rückkehr des Lebens in den toten Körper keinen Augenblick unterbrochen werden, weil die umherwandernde Seele sonst ihren Weg verlieren und in andere Regionen geraten und den Körper nicht mehr wiederfinden würde.

Ich beobachtete jetzt den schlafenden Greis und sah, daß alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen war und konnte auch nicht bemerken, daß ein Odemzug seine Brust hob. Die Augen waren geschlossen, die Lippen weiß. Als ich ihn noch betrachtete, hörte ich eine Stimme neben mir: »Fasse seine Glieder an, Fremder – was du siehst, ist ein toter Leib.«

Es war Adda, die zu mir gesprochen hatte. Ich folgte in der Tat ihrer Anweisung, bog mich über den Kreis der Geweihe und faßte die Hand des Schlafenden. Sie war von jener schauerlichen Kälte, welche das Verschwinden alles Lebens mit sich führt, und das ich oft genug beobachtet hatte. Als ich sie emporhob und wieder ließ, fiel der Arm schwer und haltlos zurück. Mein Taschenspiegel, den ich dem Alten vor den Mund hielt, wurde von keinem Hauch getrübt – der Mann war tot oder wenigstens in einem Zustand, wo jede Funktion des Lebens aufgehört hatte.

Ich kehrte ziemlich betroffen auf meinen Platz zurück, obschon ich noch immer an eine geschickte Täuschung glaubte. Wissen doch auch bei uns manche Gaukler, z. B. bei dem Jahrmarktskunststück des Enthauptens, dem menschlichen Körper die Regungslosigkeit des Todes zu geben. Wie ich schon vorhin erwähnt, hatte ich daher beschlossen, bis zu dem angeblichen Wiedererwachen den Körper des Zauberers nicht aus den Augen zu lassen.

Meine Aufgabe wurde mir indes nicht leicht. Stunde auf Stunde verrann, noch immer zeigte sich keine Spur von Leben in dem unbeweglichen Leichnam – während der ununterbrochen fortdauernde eintönige Gesang der Lappen auf die Dauer etwas nervenerschütterndes, kaum erträgliches hatte.

Die einzelnen Gruppen der Lappen lösten sich in dem Gesänge ab, und während die einen ihn ununterbrochen unterhielten, zechten und schmausten die anderen unbekümmert um den Zustand des Häuptlings.

Es bedurfte aller meiner Willenskraft, um auf meinem Posten auszuhalten. Nur auf wenige Augenblicke, wenn ich mich entfernte, überließ ich Asbiörn die Überwachung des Körpers.

Die Sonne war untergegangen, die Lappen hatten während der kurzen Zeit ihres Verschwindens mehrere Feuer angezündet, – noch immer nicht das geringste Zeichen des Lebens an dem Manne. – Sie trat wieder über den Horizont – es blieb dasselbe.

Mich fing an zu schaudern und ich begann zu glauben, daß ich wirklich einen Leichnam vor mir habe, und ich machte mir Vorwürfe, daß ich die Sache so weit getrieben.

Endlich – es war nach meiner Uhr fünf Uhr morgens, – bemerkte ich eine Veränderung in dem Aussehen des Toten.

Ich sah deutlich, daß auf der Stirn des alten Mannes dicke Schweißtropfen hervortraten und über das gefurchte Gesicht rannen. Dann öffneten sich die Lippen – eine leichte Röte, wie von einer Anstrengung hervorgerufen, erschien auf den eingefallenen Wangen, die Brust begann sich zu heben und als auf meinen Ruf die Lappen herbeieilten und der letzte Ton ihres Gesanges verklang, öffnete der Kaitum die Augen und erhob sich zum Sitzen, indem er verwirrt umherstarrte.

Ein Freudengeschrei erscholl unter den Lappen und dann stürzten alle nach dem Steintisch hinter der Hütte, in dessen Nähe bereits das Reen angebunden stand, das zum Opfer bestimmt war. Der gurgelnde Ton verkündete den Tod des Tieres und dann brachte man dem Erwachten zwei Becher aus Birkenrinde, den einen mit dem frischen Blut des Tieres, den andern mit Milch gefüllt. Er leerte sie alle beide, strich sich das lange weiße Haar aus dem Gesicht und sah umher. Als sein Blick auf mich fiel, ging es wie ein Schatten über sein Gesicht, er erhob sich und winkte mir.

»Torne-Kaitum,« sprach er langsam, »ist zurückgekehrt von der Wanderung im Reiche der Schatten. Soll er dir hier vor aller Ohren die Kunde bringen, die du verlangtest, oder willst du sie an einem Orte hören, wo nur das Gestein der Erde und die Lüfte des Himmels ihre Zeugen sind?«

»Ich bitte dich, mir hier zu sagen, was du mir mitteilen kannst.«

Er neigte das Haupt und wies nach einem Stein, daß ich mich setzen solle. Er selbst tat das Gleiche. Um uns her im Kreise hatte sich der ganze Stamm versammelt, Adda stand an der Seite des alten Mannes und hatte die Hand auf seine Schulter gestützt.

»Die Saiwo-Olmaks,« begann er, »sind Torne-Kaitum günstig gewesen. Ich erzähle, was meine Augen gesehen. Es ist ein großes und schlimmes Meer, über das ich ging. Biag-Olmai und Aszchiegadze peitschten die Wässer. Wo die Wellen am Strande brüllen, steht mitten unter vielen Bäumen ein hohes Haus von Stein gebaut. Ein Turm sieht nach Mitternacht, ein anderer nach Mittag. Es währte lange, bevor die Seele Torne-Kaitums den Ort fand – Baiwe hatte die Erde verlassen und ihr Mann zog am Himmelsbogen. Aber in dem Haus war es hell und viele Lichter. Die große Pforte war geöffnet und viele Leute zogen ein und aus. In der großen Halle aber, die zur Rechten des Eingangs liegt, waren viele Frauen und Männer und Kinder, und alle waren schwarz, und alle weinten, denn die Todesgöttin Jabme-Akko war eingekehrt in das Haus!«

»Heiliger Gott – Mann, sprich die Wahrheit!«

»Still – unterbrich mich nicht. Ich sah sie deutlich stehen zu Häupten des schwarzen Sarges und sie nickte mir zu, als ich durch die Halle ging. Viel Lichter standen um den Sarg und viele Blumen lagen darauf, aber Blumen wecken die Toten nicht, und der Knabe, der im Sarge lag, war tot!«

»Ein Knabe,« stieß ich hervor – »wie alt? und wie sah er aus?«

»Er mochte fünfzehn Sommer gesehen haben. Sein Haar war blond und er hatte ein dunkles Mal auf der linken Seite seines Kinns!«

Ich hatte seinen Arm gefaßt und schüttelte diesen. »Mann – um Himmelswillen, was erfindest du? Die Beschreibung paßt auf Percival Welmore, meinen Neffen, den ältesten Knaben meines Bruders!«

»Es stand ein hoher Mann AM Sarg,« sprach der Lappe eintönig weiter, »er hatte deine Augen und dein Haar, Fremder, und am Zeigefinger seiner rechten Hand einen großen Ring mit blauem Stein. Er hielt den Arm um eine weinende Frau, und ein Mädchen in Addas Alter und zwei jüngere Knaben standen neben ihnen.«

Mein Entsetzen stieg mit jedem Wort, das er weiter sprach. Er beschrieb auf das deutlichste die Familie meines Bruders – alles paßte genau, selbst der Ring an dem Finger des Baronets, ein altes Erbstück mit dem Wappen der Familie. So konnte nur jemand berichten, der sie wirklich gesehen hatte!

»Dem hohen Manne gegenüber,« fuhr der Lappe fort, »stand ein anderer Mann in dem Gewande der christlichen Priester, wie ich sie in unsern Kirchen gesehen; er hielt ein Buch in der Hand und sprach Worte des göttlichen Trostes Aber ich hielt mich nicht auf, sie zu hören, sondern schritt durch die Halle und suchte die Treppe zum Turm, in den du mich gehen geheißen.«

Er machte eine Pause – ich klammerte mich an die letzte Hoffnung an – wenn er auch durch einen seltsamen Zufall von meinen Verwandten gehört haben sollte und diese Kenntnis benutzte, um mich arglistig in Schrecken zu setzen, unmöglich konnte er etwas von dem Innern meines Zimmers wissen.

»Ich stieg die Treppen hinauf,« erzählte der Greis, »und begegnete auf der ersten einem der Diener, dann am Ende der zweiten fand ich einen Vorplatz und ging durch die Tür in das Kapitänszimmer. Die Vorhänge waren vor den Fenstern und viel Staub auf den Möbeln. Überall an den Wänden die Köpfe und Hörner grimmiger Tiere, wie ich sie niemals gesehen. Aber ich kümmerte mich nicht darum, sondern ging zu dem Tisch der Tür gegenüber zwischen den beiden verhangenen Fenstern, über dem der Spiegel hing, von dem du gesprochen.«

Ich erinnerte mich deutlich der Worte meines Auftrags. »Was befand sich neben diesem Spiegel?«

»Auf der einen Seite zur Rechten war der Kopf eines schwarzen mir unbekannten Tiers, das aussah wie die Schweine in den Bauerhöfen, und weiße Zähne hatte.«

Ich fühlte, wie sich mein Haar zu sträuben begann – es war ein Eberkopf, den er beschrieb, und der sich wirklich an jener Stelle befand.

»Aber zur Linken? zur Linken?«

»Ah – es war ein Hirschkopf.«

Ich atmete auf!

»Aber mit seltsamen graden und langen spitzen Hörnern von Ringen umgeben!«

Mein Entsetzen wuchs.

»Und an dem einen Horn hing an einer Kette von Stahl ein langes scharfes Messer in einer Scheide von Leder und mit einem Griff von weißem Knochen!«

Ich stieß ein tiefes Stöhnen aus, ich konnte nicht mehr zweifeln. Der Kopf des Tieres war der einer seltenen Gazelle, die ich am Kap geschossen, das Messer mit dem Elfenbeingriff mein Jagdmesser, das ich erst am Tag meiner Abreise an das Horn gehängt und zu meinem großen Ärger dann vergessen hatte.

»Auf dem Tisch vor dem Spiegel,« fuhr der alte Mann fort, »lagen fünf Briefe. Geister haben keine Macht, irdische Dinge über Land und Meer zu tragen, sonst, Fremder, hätte ich sie dir mitgebracht, zum Beweis, daß der Same-Laz Torne-Kaitum in deinem Zimmer war.«

Er schwieg; – ich war so betäubt, alles, was ich hier gesehen und gehört, war so unglaublich, daß es meine Kraft, meinen Verstand völlig überwältigte. Ich konnte nichts tun, als mein Gesicht in die Hände verbergen und mit tiefem Leid an den Schmerz meines wackern Bruders und seiner Familie über den Tod ihres Erstgebornen denken, der unser aller Liebling gewesen war, denn – ich gestehe es – nach dem, was ich zuletzt vernommen, zweifelte ich keinen Augenblick mehr an der Wahrheit der traurigen Nachricht.

Ich hatte mich endlich so weit gefaßt, daß ich aufstand und das Felsenufer erstieg, um mit meinen Gedanken allein zu sein.

Wie Sie wohl denken können, betrafen diese nach der Besiegung des ersten Schmerzes den denkwürdigen Vorgang, an den meine Vernunft sich zu glauben sträubte, während ich doch den Beweis vor mir hatte.

Während ich in dieser Stimmung da saß und nachdachte, legte sich eine Hand auf meine Schulter und eine Stimme sagte in englischer Sprache: »Sind Sie befriedigt, Sir?«

Es war Adda. Ich wunderte mich über den Ton der Anrede, die sie zum erstenmal brauchte.

»Ich muß gestehen,« erwiderte ich, »daß ich vor Erstaunen über diese seltsame Fähigkeit, die ich nicht mehr zu leugnen wage, nicht zu mir selbst komme. Ich weiß nicht, was ich denken und glauben soll.«

»Glauben Sie, was Sie gesehen und gehört, Sir, aber reden Sie nicht mit Torne-Kaitum darüber, denn er würde Ihnen keine weitere Antwort mehr geben. Er liebt es nicht, in den Zauberschlaf zu fallen und hat es nur auf mein ausdrückliches Verlangen getan. Auch schwächt es auf lange Zeit hin seine Kräfte. – Ich bin gekommen, Ihnen zu sagen, daß ich bereits einen Boten abgesandt habe, um den Schweden, ihren Diener, zurückzuholen, und daß das Boot bereit sein wird, Sie über den Tornea-Sö zu tragen, sobald er angekommen ist.«

Ich sah sie erstaunt an – hatte denn auch das Mädchen die Fähigkeit, Verborgenes zu sehen?

»Ich denke, Sie wollen so rasch als möglich dieses Land verlassen, um nach ihrer Heimat zurückzukehren.«

»Gewiß – das ist meine Absicht!«

»Dann, Sir, erinnere ich Sie an das Versprechen, das Sie mir gegeben!«

»Ich werde es erfüllen, wenn es irgend in meiner Macht steht. Was verlangen Sie?«

»Daß Sie mich unter Ihrem Schutze mit sich reisen lassen!«

Ich fuhr betroffen zurück – dies Verlangen berührte mich sehr unangenehm.

»Ich meine nicht nach England,« fügte Sie rasch hinzu, und ein gewisser Spott klang durch ihre Worte, »sondern nur bis zu einem Ort, wo ich Gelegenheit finde, eine Reise fortzusetzen, zu der ich entschlossen bin, bis Trondhjem oder schlimmstenfalls bis Hamburg. Ich werde Sie in keiner Weise belästigen, sondern will nur Ihren Schutz und die Gelegenheit benutzen. Auch will ich die Kosten der Fahrt tragen. Sehen Sie her, ich kann dies verwerten, sobald ich zu einer Stadt komme.«

Sie zog aus der Tasche ihres Rocks eine Erzstufe von etwa drei bis vier Pfund Gewicht – ich hatte davon genug in Amerika gesehen, um sofort zu erkennen, daß es ganz schlackenreines Silber war.

Die Erinnerung an den geheimen Reichtum des alten Lappen, von dem mir Asbiörn erzählt hatte, überkam mich.

»Das ist es nicht, Adda, weswegen ich mich sträube,« sagte ich ernst. »Ich bin Gott sei Dank wohlhabend genug, um die Kosten für Sie zu bestreiten. Aber dreierlei Gründe sind es, die es mir schwer, ja unmöglich machen, Ihren Wunsch zu erfüllen.«

»Welche?«

»Zuerst ist es die Rücksicht, die ich Ihrem Verwandten schuldig bin. Beantworten Sie mir die Frage, ob Torne-Kaitum mit Ihrer Absicht einverstanden ist?«

»Nein! er würde mich mit Gewalt zurückhalten. Eben deshalb will ich Ihren Schutz!«

»Dann verbietet es mir schon die Dankbarkeit, die genossene Gastfreundschaft dadurch zu vergelten, daß ich Sie seinem Schutz entführe.«

»Er wird sich in das Unvermeidliche finden. Er weiß, daß ich zurückkehren werde, wenn es Zeit, und wird mich rufen, wenn seine Stunde gekommen ist.«

»Bedenken Sie den Schmerz des alten Mannes. Ich fühle allerdings, daß Sie nicht in diese wilde unkultivierte Umgebung gehören, aber erinnern Sie sich – ich muß aussprechen, was ich gehört habe – daß die Flucht Ihrer Mutter in fast ähnlicher Weise vor Jahren sein Herz auf das bitterste traf. Ich habe genug in der Welt gelebt, um zu wissen, daß die menschlichen Gefühle dieselben sind unter dem Kleid der Zivilisation, wie unter der rauhen Felldecke des Wilden.«

Es fuhr wie ein Gewitter über ihr Gesicht bei der Erwähnung ihrer Mutter, und sie faßte wild meinen Arm.

»Was wissen Sie von meiner Mutter, Sir? wer hat Ihnen das gesagt?«

»Ich weiß nur, daß sie bei einer Reise Ihres Großvaters nach Drontheim verschwand und wahrscheinlich dem Mann ihrer Wahl folgte.«

»Meine Großmutter war eine Norwegerin,« sagte das Mädchen finster. »Es tut nicht gut, wenn die Stolzen, die sich die Herren dünken, mit dem Blut der Verachteten sich vermischen. Die Frucht erbt ihre Sünden. Aber wie dem auch sei, ich muß meine Aufgabe vollenden und meine Mutter und mich selbst an denen rächen, die uns ins Verderben gestürzt haben. Wenn Sie sich weigern, Ihr Versprechen zu erfüllen, muß ich auf die eigene Kraft vertrauen, und über Sie komme dann mein Fluch. Möge jedesmal, wenn Sie in die Heimat zurückkehren, Tod und Trauer Sie erwarten, wie jetzt!«

Ich schauderte vor diesem dämonischen Charakter zurück, der das Verderben aus Unschuldige herabbeschwor, nur weil ein Fremder sich weigerte, ihren Willen zu erfüllen. Ich will gestehen, daß das eben Erlebte einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, der Glaube an die geheimnisvolle Macht dieser Familie mich so tief bewegt hatte, daß ich unwillkürlich Furcht für die Meinen empfand und nachgab.

»Wollen Sie Ihr Wort halten? Wollen Sie mich mit sich nehmen oder nicht?«

»Ich will,« sagte ich erschüttert. »Ich will es tun unter der Bedingung, daß Sie mir ein Mittel geben, dem alten Mann nach Ihrer Flucht mitzuteilen, daß er keinem Schurken Gastfreundschaft gewährt hat.«

Nachdem ich meine Einwilligung gegeben, war die junge Norwegerin wie verwandelt. Der dämonische Trotz war verschwunden, ihre Sprache war wie sonst, ja, sie bemühte sich, Demut und Dankbarkeit zu zeigen. Unsere Verabredungen waren bald getroffen. Ich sollte noch denselben Abend eines der größeren Boote des Stammes leihen und auf diesem mit meinem wenigen Gepäck die Fahrt bis zum westlichen Ende des Sees machen. Dort am Einfluß des Nord-Joki sollte ich ihrer Ankunft harren, die nicht lange auf sich warten lassen würde. Zum Rudern des Bootes sollte ich außer Asbiörn und Sven einen der norwegischen Renntierknechte ihres Großvaters verwenden, der nach dem Antritt ihrer Wanderung das Boot zum Lagerplatz der Horde zurückführen und Torne-Kaitum die Botschaft seiner Enkelin wie meine eigenen Versicherungen überbringen sollte. Sie selbst wollte am frühen Morgen das Lager verlassen und eine ihrer einsamen tagelangen Wanderungen in das Gebirge antreten, an die die Lappen gewöhnt waren. So würde ihre Flucht nicht eher entdeckt werden, als bis der Mann mit dem Boote zurückkehrte.

Nachdem alles dies besprochen war, und ich nochmals mein Wort verpfändet hatte, sie am Ende des Sees erwarten zu wollen, trennten wir uns, und ich kehrte zum Lager der Horde zurück, um meine Vorbereitungen zu treffen.

Obschon Adda mir gesagt hatte, wie vergeblich es sein werde, von dem alten Mann noch genauere Mitteilungen erhalten zu wollen, konnte ich doch den Versuch nicht unterdrücken. Aber er schlug vollständig fehl. Entweder hatte Torne-Kaitum alle Erinnerungen seines Traumes bereits vergessen, oder er wollte nicht daran erinnert werden. Dazu kam, daß sich sichtlich eine große körperliche Abspannung seiner bemächtigt hatte.

Um so unangenehmer war es mir, zu der Flucht seines Großkindes die Hand bieten zu sollen. Aber ich hatte einmal mein Wort gegeben und konnte es nicht zurücknehmen. So nahm ich denn von ihm Abschied, was er in halbem Stumpfsinn kaum zu bemerken schien, trug seiner Umgebung die Bitte auf, er möge meiner in Freundlichkeit gedenken, und beschenkte die Personen, die mir während meiner Anwesenheit Dienste geleistet hatten.

Nachdem ich diese Dinge geordnet, packten wir unsere Sachen in eines der Fischerboote und machten uns auf den Weg.

Von den beiden normannischen Hirten des Kaitum begleitete uns der eine, um das Boot zurückzubringen.

Ich war während der ganzen Fahrt verstimmt, teils von Besorgnis über den Todesfall in der Familie, teils über das Versprechen, was ich gegeben hatte. Wir ruderten die ganze Nacht hindurch und am andern Morgen, etwa 24 Stunden nach dem Wiedererwachen, befanden wir uns an dem Eingang des Nord-Joki, der Stelle, an der uns das Mädchen treffen sollte.

Wie sie es möglich gemacht, uns so rasch zu folgen, weiß ich nicht. Kurz, wir hatten noch nicht geruht, als sie plötzlich vor mir stand.

Sie hatte ihre Kleider aus Renntierhaut und rotem Tuch mit einem einfachen, weniger auffallenden Gewand vertauscht, wie es die Bürgerfrauen in den Küstenorten zu tragen pflegen. Ein großes Regentuch bildete ihren einzigen Schutz gegen Sonne und Wetter. Der Umstand, daß sie ihre Harfe trug, ließ mich schließen, daß sie den Weg nicht allein gemacht, sondern durch Geschenke oder Versprechungen einen Begleiter gewonnen hatte.

Asbiörn und seine beiden Gefährten erschraken anfangs gewaltig über die Erscheinung des Mädchens und noch mehr, als sie von ihrer Absicht hörten, uns begleiten zu wollen, ja ich konnte bemerken, daß sie zuerst ein gewisses Mißtrauen gegen mich hegten. Erst als ich auf das bestimmteste erklärte, daß ich nichts mit ihrem Entschluß zu tun habe und mich nur durch das gegebene Versprechen gebunden fühle, ihr so lange Schutz zu gewähren, als unser Weg der gemeinsame sein würde, wurden die Männer wieder ruhig und zeigten mir das frühere Vertrauen.

Ich überließ es natürlich dem Mädchen, sich weiter mit den Männern zu verständigen und die Erklärung ihrer Flucht an Torne-Kaitum zu senden, und es mußte ihr in einer oder der andern Weise gelungen sein, denn als ich bald darauf den Aufbruch befahl, hatte sich Asbiörn selbst mit ihrer Harfe beladen und trug sie über das Gebirge.

Am andern Tage waren wir an der Küste in dem Fischerdorf Ancenes am Ofoten-Fjord. Hier gelang es mir ein Fahrzeug zu finden, das uns nach Lödingen auf Hindö brachte, wo Aussicht war, mit einem der größeren Küstenfahrer Drontheim zu erreichen.

In Lödingen auf Hindö trennte sich Asbiörn von uns, um nach den nördlichen Inseln zurückzukehren, Sven aber hatte sich entschlossen, mich weiter zu begleiten, um wieder Stockholm zu erreichen. Auf der ganzen Fahrt hatte ich mir so wenig als möglich mit dem Lappenmädchen zu schaffen gemacht und nur für ihren Schutz und Unterhalt gesorgt, aber es war mir im Grunde sehr lieb, daß einer der Leute sich entschlossen hatte, weiter mitzukommen, da ich nun nicht genötigt war, allein mit ihr zu reisen.

Es hat kein Interesse, Ihnen den weiteren Verlauf unserer Fahrt zu erzählen. Genug, wir erreichten nach etwa zehn Tagen Drontheim und ich hörte mit Vergnügen, daß bereits am zweiten Tage darauf ein Dampfer nach Hamburg abging, was alle Monate nur zweimal geschah. Seltsam war es, daß – als ich es übernommen, die Silberstufe des armen Mädchens zu verwerten, damit sie nicht übervorteilt würde, – ich durch Zufall an denselben alten Goldschmied geriet, welcher vor neunzehn oder zwanzig Jahren dem alten Lappen eine Anzahl ähnlicher Stufen abgekauft hatte. Von ihm erfuhr ich, daß das Gerücht nicht gelogen habe, als es den Same-Laz als einen reichen Mann bezeichnete; der Juwelier erzählte mir vielmehr, daß er in früheren Zeiten mehrfach einen solchen Handel mit ihm gemacht habe, und er erinnerte sich auch deutlich des Mädchens, seiner Tochter, die ihn damals begleitet hatte, und daß diese sich habe von einem jungen vornehmen Dänen entführen lassen.

Ich kaufte für Adda einige passende Kleidungsstücke und bezahlte die Überfahrt für sie. Sie nahm es an, ohne mir viel dafür zu danken. In Drontheim trennte sich Sven von uns, da er ein Unterkommen gefunden hatte.

Sechs Tage darauf waren wir in Hamburg, wo ich Briefe aus der Heimat zu finden erwarten konnte. Ehe ich mich in mein eigenes Hotel an der Alster begab, brachte ich Adda in ein kleines Gasthaus und bot ihr jeden weiteren Beistand an. Sie dankte mir dafür, lehnte jedoch alles ab und schien mir auch von ihren weiteren Plänen nichts sagen zu wollen. Als ich sie zwei Tage darauf vor meiner Abfahrt nach England nochmals aufsuchen wollte, fand ich sie in dem Gasthof nicht mehr vor. Sie war fort, wie mir der Wirt sagte, ohne das Ziel ihrer Reise anzugeben.

»Und die Briefe aus England?«

Der Kapitän sah ernst im Kreise umher.

Ich fand sechs Briefe, die man mir nachgesandt – der eine war mit dem Siegel des Regiments und benachrichtigte mich, daß dasselbe Befehl erhalten hatte, sich nach Indien einzuschiffen, wo damals Nena Sahib an der Spitze des Aufruhrs stand. Der sechste war schwarz gesiegelt, von der Hand meines Bruders. Er enthielt, – die Nachricht, – daß sein ältester Sohn Percival, sein Stolz und Liebling, durch einen Sturz mit seinem Pony das Leben verloren hatte und am 8. Juni abends in der Familiengruft begraben worden sei.

Es war der Tag und die Stunde, in der ich den leblosen Körper Torne-Kaitums im fernen Lappland bewachte, während seine Seele umherwanderte.

Später, als ich auf Welmore-Hall eingetroffen war, um mich sofort wieder einzuschiffen nach Madras, und ich meinem Bruder und dem Geistlichen das seltsame Ereignis mitteilte, erinnerte sich der letztere, daß er während der Einsegnung der Leiche einen kleinen weißhaarigen alten Mann von eigentümlichem Aussehen mitten durch die versammelten Leidtragenden habe schreiten sehen. Er habe ihn für einen Landmann aus einem andern Ort gehalten und noch Unwillen über die Rücksichtslosigkeit des Mannes gefühlt, ihn aber aus den Augen verloren, da er keine merkliche Störung veranlaßt hätte. – Ja – als ich weiter nachfragte, wollte sich einer der Diener erinnern, am Abend des Begräbnisses einem ähnlichen Mann auf der Treppe im nördlichen Turm begegnet zu sein.

Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen vermag. Glauben Sie nun oder nicht, spotten Sie darüber oder nicht, – was ich Ihnen von meinem Anteil an der seltsamen Geschichte erzählte, ist strenge Wahrheit.«

»Und das schöne Lappenmädchen, – haben Sie niemals wieder von ihr gehört, Sennor Kapitän?«

»Niemals!«


Die eigentümliche Erzählung hatte bei dem Ernst des Erzählenden ihren Eindruck nicht verfehlt, und das Gespräch wäre sicher von dem eigentlichen Thema abgesprungen und auf Gespenster- und Ahnungsgeschichten gekommen, wenn der Graf von Lerida es nicht durch eine Frage wieder in diese Bahn geleitet hätte.

»Sie erwähnten, Sennor Kapitän, vorhin einer besonderen Weise, deren sich die Jäger in Norwegen bedienen, um den Bären anzugreifen und zu töten. Dürfen wir Sie um einige Auskunft darüber bitten, die uns um so mehr interessiert, als wir ja morgen selbst Meister Braun entgegen zu treten hoffen?«

»Man tötet den Bären in den nordischen Alpen auf zweierlei Weise und beide erfordern eine feste Hand und ein mutiges Herz. Bei der einen geht ihm der Jäger mit einem starken Spieß entgegen, und wenn der Bär sich auf die Hinterbeine aufgerichtet hat, stößt er ihm die Spitze ins Herz. Aber es ist bei alledem ein ungewisser Stoß; denn oft schlägt die Tatze des Braunen im letzten Augenblick den Spieß zur Seite, oder der Stoß geht fehl, und dann stürzt der Mann dem Ungetüm wehrlos in die Arme.«

»Und die zweite?«

»Sie bedingt eine nähere Umarmung, ist aber sicherer. Der Jäger schient sich starke Birkenrinden und Leder um das linke Handgelenk und den Unterarm und mit Riemen ein starkes festes Messer mit langer spitzer Klinge in die rechte Faust!«

»Eine Navaja!« Spitzes und starkes katalanisches Messer. sagte der Hauswirt.

»Der Jäger, wenn er das Lager des Bären aufgespürt hat,« fuhr der Kapitän fort, »reizt das Tier, bis es sich erhebt und mit geöffnetem Rachen und Vorderpranken auf ihn zugeht. Dann stößt er die linke Faust ihm zwischen die Zähne, faßt seine Zunge und reißt sie heraus. Der Bär kann sein Gebiß nur unvollständig brauchen, er versucht mit den Pranken den Vorderarm seines Feindes zu zerfleischen, der ihm auf Armlänge fern bleibt und die Gelegenheit benutzt, ihm unter der linken Tatze hinweg das Messer ins Herz zu stoßen.«

» Por dios!« rief der alte Bärenjäger, »das ist ja fast die alte Weise der Pyrenäen! Respekt, Sennor Kapitän, vor Ihren Nordländern, wenn sie allein mit der Bestie so etwas zu tun wagen, während bei uns zwei Männer dazu gehören, dem Braunen den Garaus zu machen.«

»Und wie geschieht dies, Sennor Don Castillos? ich habe noch keiner Bärenjagd in den Pyrenäen beigewohnt.«

Die Erinnerung schien dem alten Jäger Feuer durch die Adern zu gießen. » Santissima madre! Die Welt entartet immer mehr! Wer dachte in meiner Jugend daran, mit der Kugel ein Loch in das Fell des Braunen zu machen, wenn man eine tüchtige Navaja und einen wackern Kameraden mit dem Panzer haben konnte! Jetzt freilich muß die Büchse aus sicherer Entfernung den Dienst tun!«

»Wollen Sie mir nicht die alte Jagdart erklären?«

Es war als ob es den Bärenjäger plötzlich mit schwerer Gewalt überkäme, der Gewalt der Erinnerung. Er legte die hagern braunen Hände vor das Gesicht und beugte einige Augenblicke den Kopf nieder.

»Ich habe eigentlich kein Recht, mich darüber zu beklagen,« sagte er dann, »denn ich selbst habe die Navaja nicht mehr gehandhabt seit sechsundzwanzig Jahren – seit jenem blutigen Tag – aber Sie wollten wissen, Sennor, wie baskische Männer und Jünglinge früher den Bären in den Felsenklüften der Pyrenäen bekämpften. Sehen Sie dort den Küraß an der Wand?«

Die Blicke der Gesellschaft richteten sich nach der Stelle, die ihr Wirt bezeichnete.

Zwischen den Bärenfellen hingen zwei gesteppte Leinwandkissen oder Matratzen von eigentümlicher Form. Sie waren etwa drei Fuß lang, unten eine Elle breit und endeten oben in einer Haube oder Kapuze. An den Seiten befanden sich starke Riemen und Schulterbänder. Beide Kissen waren, obschon alt und vom Staub bedeckt, doch noch wohl erhalten; daneben hingen die mit Blutflecken bedeckten zerrissenen Überreste einer wollenen Decke.

Unter diesen Fetzen befand sich an der Wand eine Holztafel mit einem einfachen Kreuz und der gleichen Aufschrift!

Der 12. September 1834.

In dem Ende des Kreuzes, tief in das Holz gestoßen, daß es schwer gewesen wäre, es wieder herauszuziehen, steckte ein katalanisches Messer.

Alle bemerkten sogleich, daß dieses Wahrzeichen mit einer traurigen Erinnerung ihres Wirts in Verbindung stehen mußte; Don Ramiro schien dieselbe jedoch mit Gewalt zu unterdrücken und fuhr in seiner Erläuterung fort:

»Das Leinwandkissen dort und die Navaja sind die Waffen, womit die Hirten des Gebirges früher – und von Zeit zu Zeit auch wohl heute noch – den Kampf gegen das Raubtier unternahmen, das ihre Herden zerriß und sich selbst an die Menschen wagte. Denn ich muß Sie darauf aufmerksam machen, Caballeros, daß nach den Franzosenkriegen unsere Täler lange ziemlich wüst und spärlich bevölkert blieben und das Raubzeug im Gebirge daher sehr überhand genommen hatte. Später kamen die Karlistenkriege, und auch da hatte man wenig Zeit, sich mit seiner Ausrottung zu beschäftigen, so daß es der Bären wohl fünfmal soviel geben mochte, als jetzt. Demonio! wenn ein Hirt oder Jäger die Spur oder das Lager des Braunen aufgespürt hatte, suchte er sich einen Kameraden, und sie machten sich auf den Weg, einer von ihnen mit dem einfachen Küraß da versehen, den er um Kopf und Rücken festband, der andere mit seiner Navaja. Wenn sie auf den Bären gestoßen waren und ihn in die Enge trieben, daß er sich zum Kampf aufrichtete, – Sie werden wissen, daß der Bär immer auf diese Weise seinen Feind angreift, – sprang der erste auf ihn zu, unterlief ihn und hielt ihn mit den Armen umschlungen fest an sich gedrückt. Das dicke Kissen schützte Kopf und Rücken des Mannes vor den Umarmungen seiner Klauen und den Bissen seiner gewaltigen Zähne. Indem er so das Tier festhielt, gab er seinem Kameraden Gelegenheit, sich zu nähern und den Bären in derselben Weise zu töten, wie es nach Ihrer Erzählung, Sennor Kapitän, die Jäger des Nordens tun, oder indem er ihm von hinten die Kehle durchschnitt. Im ganzen war, wenn nur der Mann mit dem Messer ein festes Herz hatte und seinem Kameraden zu rechter Zeit zu Hilfe kam, die Sache weniger gefährlich als sie aussah, denn der Bär, von dem Mann umschlungen und festgehalten, konnte dem zweiten Gegner keinen Widerstand leisten und die Kraft seiner Arme, mit der er sonst einen Mann erdrücken kann, war durch die dicke Wolle des Kissens gebrochen. Ich selbst habe wohl zwanzigmal den Kampf bestanden, teils als Jäger, teils als Assistente.«

Der Kapitän wollte eine Frage tun, als ihm der Graf von Lerida zuvorkam.

» Parbleu, Monsieur le Marquis,« sagte er zu dem Ordonnanz-Offizier, »da hätten wir ja gleich eine vortreffliche Gelegenheit, unsere Wette zu entscheiden.«

Ein Blick bedeutete dem aufschauenden Offizier, sich nicht zu verraten.

»Welche Wette?« fragte der Wirt.

»Bah – nichts von Bedeutung; der Herr Marquis und ich verabredeten, als wir Ihre Einladung an mich zu Ihrer Jagdpartie besprachen, ein kleines Duell!«

»Ein Duell? Demonio – ich will nicht hoffen, daß das wieder einer von Ihren gewöhnlichen Streichen ist, Sennor Conde, so lange Sie unter meinem Dach sind!«

»Beruhige dich, Compadre – unser Handel soll im Freien und in einer Weise ausgefochten werden, gegen die du nicht das Geringste einzuwenden hast!«

»Nimmermehr will ich zugeben …«

»Wir haben gewettet,« unterbrach ihn der Graf, »wer von uns beiden ohne Schußwaffen den ersten Bären, den er trifft, anzugreifen und ihn lebendig einfangen und gefesselt nach Paris bringen wird, als Geschenk für die Kaiserin oder eine ihrer schönen Damen, verstehen Sie mich wohl, nicht etwa mittels eines Netzes oder einer Falle, sondern, was man sozusagen pflegt, hübsch aus freier Hand, und zwar mit der eigenen. Ich hoffe, Sennor Ramiro, daß es an einigen tüchtigen Stricken in Ihrem Hause nicht fehlt!«

»Aber Sennor Don Juan, eine solche Wette grenzt an Wahnsinn. Sie kennen die Wildheit und Kraft dieses Tieres in unseren Gebirgen nicht!«

» Quien sabe! ich habe zwar noch nie mit einem zu tun gehabt, indes – was schadet das? Wir haben nun einmal das Wagstück gewettet und müssen den Versuch machen. Sie sind doch meiner Meinung, Marquis?«

Das Gesicht des jungen Offiziers war bei dem unerwarteten Vorschlag etwas blaß geworden und er öffnete den Mund, wie um gegen denselben zu protestieren. Aber ein gewisser spöttischer Zug auf dem Gesicht seines Gegners ließ ihn die Zähne zusammenbeißen und schweigen.

Als er jetzt aber so direkt zu einer Antwort aufgefordert wurde, sagte er entschlossen: »Da der Herr Graf das Recht hat, die Waffen zu bestimmen, bin ich natürlich damit einverstanden. Nur wird er sich erinnern, daß wir den Preis der Wette noch festzusetzen haben.«

»O, ich denke, wir werden uns leicht darüber einigen. Übrigens hat der Marquis das Recht des ersten Schusses, das heißt also, zuerst sein Heil zu versuchen. Da jedem von uns frei steht, die Art des Angriffs zu wählen, würde ich dem Herrn Marquis raten, sich an die alte Jagdsitte der Pyrenäen zu halten und von einem Adjutanten mit dem Küraß Gebrauch zu machen.«

»Hundert Napoleons,« sagte gereizt der französische Offizier, die übermütig hingeworfene Idee erfassend, – »hundert Napoleons für den Mann, der da den Mut hat, mein Assistente zu sein!«

Der alte Baske schlug auf den Tisch. »Halt da, Caballeros, bis jetzt ist hoffentlich die Sache bloß Ihr Scherz gewesen und muß damit aufhören; denn ich werde niemals meine Einwilligung zu solchen Streichen geben. Und damit still davon, oder ich werde Sorge tragen, daß Ihnen beiden morgen kein Stück des gefährlichen Wildes zu Gesicht kommen soll – was ohnehin geschehen soll!« setzte er leise hinzu. – »Vielleicht kann das Ereignis, das ich jetzt erzählen will, dazu helfen, Ihren Übermut zu dämpfen und Sie zu lehren, die Gefahr nicht mutwillig herauszufordern!«

Die Worte zeigten der Gesellschaft, daß der alte Jäger bereit war, sein Versprechen zu erfüllen und jene Episode aus seinem Leben zum besten zu geben, deren furchtbares Erinnerungszeichen seine Wange trug.

Er stützte die Hand auf den Kopf, sah schwermütig einige Augenblicke hinüber an die Wand auf die Stelle, wo die Tafel mit dem Kreuz, der Inschrift und der Navaja hing und sagte dann:

»Sie alle haben Ihren Erzählungen einen Namen gegeben, so will ich es denn auch mit der meinen tun und sie nennen:

2. Eine Novillada. Die bei den Basken sehr beliebten Kämpfe mit jungen Stieren, überhaupt Tierkämpfe.

Ich bin im Jahre 1801 geboren und erinnere mich noch sehr gut aus meinen Knabenjahren des gewaltigen Kampfes, den unser Volk gegen die Gavachos Franzosen. – verzeihen Sie, Sennor Francese, daß ich diesen Namen brauche – und den Kaiser Napoleon führte, Ihren Oheim, Prinz; denn obschon ich noch sehr jung war, nahm ich doch mehr als einmal teil daran, verlockte kleine Detachements unserer Feinde auf falsche Wege, wo sie in die Hände der erbitterten Bewohner fielen und feuerte von der Höhe der Hohlwege oder aus den dichten Myrtenbüschen das Pistol gegen sie ab, das mir mein Vater gegeben.

So lernte ich frühzeitig den Gebirgskrieg. Später, nachdem König Ferdinand dem Volk die Konstitution von 1812 wieder genommen, machte ich einige Fahrten über das Meer nach England und an die afrikanische Küste, aber ich merkte bald, daß ich nicht zu den Wasser-Eskoldunis gehörte, sondern mit allen Fasern des Herzens an meinen heimischen Bergen hing. So blieb ich denn in der Heimat, bestellte das Land meines Vaters und wurde ein Jäger, nachdem die große Revolution von 1820 vorüber und die Franzosen wieder aus dem Lande waren. Ich nahm damals keinen teil an den inneren Revolutionen und Kämpfen, in denen Bessières, die Freimaurer, Empecinado und andere hingerichtet wurden und die Agraviados in Catalonien für die Herstellung der Inquisition fochten.

Da geschah es, daß König Ferdinand, von seiner vierten Gemahlin, der Neapolitanerin Maria Christina, dazu bewogen, das alte salische Königsgesetz aufhob, das die Töchter der Könige von der Erbfolge ausschloß und durch die pragmatische Sanktion vom 29. März 1830 seinen Bruder Don Carlos des Thronrechts beraubte und die wenige Monate später geborne Infantin Isabella zur Thronfolgerin erklärte. Wir wollen nicht streiten über das Recht; König Ferdinand hat längst dort oben Rechenschaft zu geben gehabt, obschon er noch kurz vor seinem Tode die Sanktion feierlich widerrufen haben soll; Königin Isabella sitzt auf dem Throne Spaniens, und Gott möge seinen Glanz noch lange erhalten und die Königin vor schlimmem Rat bewahren. Damals aber brachte die Kunde eine schwere Spaltung ins Volk und erhitzte die Gemüter. In ganz Spanien war nicht ein Haus, nicht eine Hütte, wo man nicht mit Eifer Partei genommen hätte für die eine oder die andere Seite.

Der Infant Don Carlos protestierte von Portugal her gegen die Beraubung seiner Rechte, die Bourbonen in Italien traten auf seine Seite, und als König Ferdinand am 29. September 1833 gestorben war und die Königin Marie Christine die Regentschaft antrat, brach der blutige Kampf der Karlisten und Christinos aus, der Spanien sieben Jahre lang verwüstete.

Die baskischen Provinzen, die schon längst erbittert durch die Aufhebung ihrer Fueros, der viele Jahrhunderte alten Rechte und Freiheiten, erhoben ihre Fahne für Don Carlos als den rechtmäßigen König, den Schützer der alten monarchischen und kirchlichen Ordnung. Das ganze Land bewaffnete sich, schon im Oktober hatten die Bauern Vittoria und Bilbao besetzt, und wenn auch die Generale der Königin sie bald wieder vertrieben, immer mächtiger und gewaltiger wuchs der Aufstand unter Führern wie Zavala, Sagastibelzas, Eraso, Merino und meinem tapfern und großen Freund und Feldherrn Tomas Zumala-Carréguy.«

»So haben Sie den General persönlich gekannt, Sennor Don Ramiro?« fragte der Oberst mit Interesse.

»Ob ich ihn gekannt habe, Sennor! Wenn er auch elf Jahre älter war als ich, durfte ich ihn doch Freund nennen, und niemals hat ein treueres baskisches Herz geschlagen und eine tapfere Hand den Säbel geführt als die seine. Hätte Gott ihn nicht bei der Belagerung von Bilbao zu sich gerufen, niemals würde der Vertrag von Bergara uns unsere Rechte wieder genommen haben. Sehen Sie den Säbel dort, Caballero. Seine Hand führte ihn in der viertägigen Schlacht im Tal von Amescoas und er schenkte ihn mir zum Gedächtnis, weil meine Hand den Christino niedergeschossen, der mit tückischem Lanzenstoß sein edles Leben bedrohte. Daneben hängt der Handschuh von einem Wackern Aleman, Deutschen. einem Prinzen in seinem fernen Lande, Don Felicio Lichnowski. Verflucht sei die Hand des Fremden, die sein junges Weib ermordete!

Sie können denken, daß ich nicht fehlte, als er von Pampluna aus die Fahne des alten Königtums erhob. Dorthin hatte er sich zurückgezogen, als man 1832 den Braven aus der Armee entlassen, trotzdem er sich geweigert hatte, so lange König Ferdinand lebte, für Don Carlos sich zu erklären.

Von allen Seiten strömte das Landvolk und die Gebirgsbewohner Don Tomas zu. Was die Knaben, die Männer in dem erbitterten Kampf gegen die Franzosen 25 Jahre vorher gelernt, es wurde jetzt blutig gegen die eigenen Landsleute wiederholt – der Guerillakrieg wütete in unsern Bergen, und der wilde Mina, zurückgekehrt aus der Verbannung und von der Königin an Rodils Stelle gesetzt, war später der blutigste der Mörder.

Aus dieser ersten Zeit des Kampfes erzähle ich Ihnen das blutige Ereignis.

Obschon Don Tomas jetzt ein ziemlich geordnetes Heer kommandierte, hatte ich es doch vorgezogen, an der Spitze der Guerilla zu bleiben, die aus Jägern und Landleuten, Basken von reinem Blut bestehend, mich zu ihrem Kapitän gewählt und mit der ich manchen kühnen Streich ausgeführt hatte, so daß der Name Ramiro el cazador bekannt und gefürchtet genug bei den Christinos war.

Das Treffen bei Viana war geschlagen, das christinische Korps zerstreut, teils über den Ebro geworfen, teils hatte es sich bis über die Arga zurückgezogen. Am Abend, als wir auf dem Schlachtfeld lagerten, ließ mich der General rufen.

»Sennor Don Castillos,« sagte er zu mir, »ich bin mit dir zufrieden und will dich belohnen. Aus wieviel Mann besteht deine Guerilla noch?«

»Vierundsechzig Mann, General, ohne die Verwundeten!«

Er lachte und wies auf meinen Kopf, um den ich eine Binde trug, denn der Hieb eines Dragoners hätte mir beinahe den Schädel gespalten, wenn nicht glücklicherweise der Säbel in der Hand sich gedreht hätte.

»So rechnest du dich wohl nicht dazu?«

» Válame Dios, wer wird so etwas rechnen, General.

»Und deine Leute sind alle aus der Gegend von Pampluna?«

»Zehn aus der Stadt selbst, die andern aus dem Gebirge. Aber jedes Kind dort kennt die Stadt.«

»Das ist wahr! Was meinst du dazu, wenn wir die Gelegenheit benutzten, daß Sennor Rodil auf der Flucht ist, uns der Festung zu bemächtigen?«

» Maria santissima! Das wäre ein Streich – würdig Euer Exzellenz!«

»So höre mich an, Freund Castillos, Ich kann natürlich jetzt nicht nach Pampluna marschieren und eine lange Belagerung anfangen, denn ich bin hier nötiger, um zu verhindern, daß Rodil und Valdes ihre Truppen wieder sammeln. Aber ich kann ein Regiment entbehren. Das genügt nicht, um eine Festung zu belagern, aber es genügt, um einen kecken Handstreich zu unterstützen und gelingen zu lassen. Du weißt, daß wir in Pampluna die besten Verbindungen haben und der größere Teil der Einwohner sehnlich wünscht, die Christinos los zu werden. Hier ist ein Brief von Sennor Ologa, meinem alten Kameraden in der Glaubensarmee und, wie ich höre, deinem künftigen Schwiegervater und andern treuen Untertanen des Königs. Man benachrichtigt mich, daß General Rodil die Besatzung der Stadt sehr geschwächt hat, um seine Truppen zu verstärken, sie beträgt in diesem Augenblick kaum 600 Mann. Wenn wir also etwas tun wollen, muß es jetzt geschehen, ehe sich ein Teil der versprengten Truppen hineinwirft.«

»Aber, wie soll es geschehen, General?«

»Du mußt mit deiner Guerilla noch diesen Abend aufbrechen. Es sind 12 Leguas bis Pampluna, – morgen abend kannst du in der Nähe der Festung sein. Dann ist es deine Aufgabe, die Mannschaft als Landsleute oder Flüchtlinge in die Festung zu schmuggeln und ihr bestimmte Sammelplätze anzugeben. Du setzest dich mit den Verschworenen in Verbindung. Wir haben heute Samstag, den 7. September – Montag bist du in der Festung und in der nächsten Nacht müßt ihr euch eines der Tore bemächtigen. Das Regiment der Miliz von Guipuscoa soll dann in der Nähe sein und euch zu Hilfe kommen, und am Morgen ist die Festung unser!«

Ich hatte natürlich kein Wort dagegen. Ehe eine Stunde vergangen war, befand ich mich mit meinen 64 Guerilleros auf dem Weg.

»Caballeros, mein Haar ist grau und mein Herz alt, und dennoch wallt mir das Blut stärker durch die Adern; wenn ich an Blanca Ologa denke, die seit zwei Jahren mit dem Willen ihres Vaters, des Kapitän Ologa, meine Verlobte war und schon seit Jahresfrist mein Weib gewesen wäre, wenn die Erhebung nicht dazwischen gekommen. Ich liebte sie mit der ganzen Kraft meiner Seele, und Blanca liebte mich wieder. Sie war ein zartes schüchternes Weib mit einer Seele voll Heldenmut und eine treue Tochter Spaniens und der heiligen Kirche.

Am Sonntag abend befand ich mich in meinen heimischen Bergen, in der Solare Burg – turmartiges Haus. meiner Väter. Ich war längst Herr derselben, meine Eltern waren tot, mein jüngerer Bruder befand sich in Madrid, um, wie ich damals hoffte und glaubte, sich für den geistlichen Stand auszubilden. Wir legten unsere kriegerische Rüstung ab, verkleideten uns als Landsleute, und zogen – die einen mit Karren voll Lebensmittel zum Verkauf, – die andern mit Hab und Gut als Flüchtlinge, – die dritten als Flüchtige von Viana her im Lauf des Montags durch die verschiedenen Tore in die Stadt.

Ich hatte mich so gut als möglich verstellt, um in Pampluna nicht erkannt zu werden, wo ich Freunde und Feinde genug hatte, und mein erster Gang war natürlich in das Haus Blancas, meiner Verlobten. Ich fand sie eben so lieb und schön, wie vor Jahresfrist, als ich sie verlassen, nur etwas bleich und trübe, denn sie hatten viel von den Bedrückungen der Christinos zu leiden gehabt, da ihre Familie zu denen gehörte, welche die Anerkennung des estatuto real verweigert hatten.

Kapitän Ologa, ihr Vater, war ausgegangen; als er zurückkehrte und mich fand, umarmte mich der alte Soldat. Nur die schwere Verwundung, – er hatte 1823 ein Bein verloren – konnte ihn verhindern, sich zu seinem alten Waffengefährten zu begeben. Dafür bildete er hier den Mittelpunkt aller karlistischen Sympathien der Einwohner.

Wir hatten uns bald verständigt, denn wir mußten eilen, weil leicht ein Zufall unsere Entdeckung herbeiführen und den ganzen Plan vereiteln konnte. Kapitän Ologa gab mir eine genaue Darstellung der Verhältnisse der Besatzung, der Verteilung der Posten und der getroffenen Anordnungen; denn die Nachricht von dem verlorenen Treffen bei Viana war an diesem Morgen eingetroffen und der Kommandant hatte die strengsten Maßregeln der Wachsamkeit für nötig gehalten, bis er Verstärkung erhielt.

Ologa übernahm es sofort, sich mit den Männern unserer Partei zu verständigen und den Plan vorzubereiten. Das Kloster der Jesuiten lag in der Nähe des Tors von Estella. Es wurde seit der Verbannung des Ordens nur von zwei alten Padres bewohnt, die man aus Mitleid oder andern Rücksichten dort gelassen hatte, aber wir waren ihrer sicher, und da es mehrere Zugänge und eine sehr günstige Lage hatte, diente es zu den geheimen Zusammenkünften unserer Partei.

Hierhin sollte ich mich wenden und für den späten Abend alle meine Leute bestellen, bis dahin aber mich möglichst verborgen halten.

Ich war mit den getroffenen Anordnungen um so mehr einverstanden, als sie mir Gelegenheit gaben, mit meiner geliebten Bianca mehrere Stunden zusammen zu sein. Ich war kein junger Mann mehr, sondern hatte die Dreißig überschritten, mein unruhiger wilder Geist, mein abenteuerliches rauhes Leben hatten mich aber bis dahin verhindert, mir eine Häuslichkeit zu gründen und mein Herz an ein Weib zu verlieren, bis ich zwei Jahre vorher Blanca kennen lernte und das ihre gewann. Sie war eine enthusiastische Anhängerin des enterbten Königs, und wie ich Ihnen bereits gesagt habe, ein zartes Wesen, aber von einem hohen Geist beseelt.

Wir waren glücklich über unser Wiedersehen und sprachen von der Zukunft, da wir an dem Siege unserer Partei nicht zweifelten. Ich war durch das Erbe meiner Familie wohlhabend genug, um ihr nach Beendigung des Bürgerkrieges eine Heimat zu bieten. Blanca Ologa zählte zwanzig Jahre und war von mittelgroßer schlanker Gestalt und hatte die schönsten Füße und Hände, die je wieder meine Augen erblickt haben.

Wir blieben zusammen, so lange ich es wagen durfte, bis sie selbst mich erinnerte, daß es Zeit sei, sie zu verlassen. Dann drückte ich sie an mein Herz und beschwor sie, Gott und der heiligen Jungfrau zu vertrauen. Hierauf entfernte ich mich, um zu den verschiedenen Stellen zu gehen, wo ich meinen Landsleuten Rendezvous gegeben hatte.

Ich fand sie alle glücklich in der Stadt angelangt, bis auf acht – wir bildeten also eine zum äußersten entschlossene Schar von siebenundfünfzig Männern.

Nachdem ich ihnen allen den Ort unseres Zusammentreffens bezeichnet und die größte Vorsicht anempfohlen hatte, schlich ich mich selbst dahin. Ich fand Ologa bereits meiner warten; er kam mir entgegen und versicherte mich mit freudiger Miene, daß alles im besten Gange sei. Man hatte folgenden Plan entworfen:

Das Thor von Estella war das am stärksten bewachte, aber eben darum der Punkt, auf den man die wenigste Aufmerksamkeit verwenden würde. Meine Leute sollten sich in dem Kloster versammeln und dort bis zur Zeit der Frühmesse versteckt bleiben. Die Padres machten sich anheischig, aus einem der Magazine eine Anzahl christinischer Uniformen, etwa zwanzig, herbeizuschaffen, Waffen und Munition befanden sich in genügender Zahl in den Kellern des Klosters verborgen. Dann sollte ich mit den zwanzig Mann gleich einer Patrouille nach dem nahen Tor marschieren, die Wache entwaffnen, das Tor öffnen und die Zugbrücke niederlassen, während zu gleicher Zeit der Rest meiner Schar und die in der Nähe überall verborgenen Bürger unserer Partei bewaffnet herbeieilen und den Alarm der überfallenen Schildwachen oder den Angriff in unserm Rücken verhindern sollten, bis das Regiment, das uns General Zumala-Carréguy zu unserer Unterstützung versprochen, das Tor passiert hatte.

Bei der geringen Zahl der Besatzung und der Hilfe der Bürger mußte es dann leicht sein, die Festung in unsern Besitz zu bringen.

Es galt daher nur noch, sich mit dem Regiment in Verbindung zu setzen, das bereits in der Nähe sein mußte, damit es im rechten Augenblick an der rechten Stelle war.

Ich hatte mit dem General verabredet, daß es in Trupps zerstreut so unbemerkt wie möglich auf dem rechten Ufer der Arga heranziehen und an einer bestimmten Stelle an den Ufern des Baches lagern sollte, der von Norden her dort in die Arga fällt, bis ich Nachricht senden könne.

Diese Nachricht dahinzubringen, war allerdings jetzt schwierig, ohne Mißtrauen zu erregen.

Nach einiger Beratung bot Kapitän Ologa seinen Sohn Henriquez zu dem Botendienst an. Der Knabe war gewandt, kräftig und zuverlässig, und erregte beim Verlassen der Festung und dem Umherstreifen in ihrer Nähe am wenigsten Verdacht. Eine Rakete sollte das Zeichen geben, daß er die Truppen erreicht hatte und diese bereit waren. Sobald wir das Tor besetzt und die Zugbrücke niedergelassen hätten, sollte ein blaues Licht von der Höhe des Tors den kommandierenden Offizier benachrichtigen, daß der Zugang geöffnet war.

Ich schrieb die nötigen Instruktionen auf und das kleine Blatt wurde in einen der Schuhe des Knaben genäht, während ich ihm das verabredete Losungswort mitteilte und ihn zur Vorsicht und Treue ermahnte.

»Ich heiße Ologa,« sagte der Bursche, »und bin ein Baske. Ich will mir die Zunge abschneiden lassen, ehe ich ein Wort sage.«

Der arme Junge hat sein Wort gehalten.

Es war jetzt fünf Uhr, als er sich auf den Weg machte. In zwei bis drei Stunden konnte er das Ziel erreicht haben. Um ein Uhr mußte das Regiment vor dem Tor von Estella sein.

Die Anführer der karlistisch gesinnten Bürger zerstreuten sich wieder in der Stadt, indes wir in dem Kloster zurückblieben und unsere Vorbereitungen trafen. Kapitän Ologa war nach Hause gegangen, um seine Tochter über das Ausbleiben des Knaben zu beruhigen und für alle Fälle einige letzte Anordnungen zu treffen.

Um neun Uhr kam der von uns auf den Turm der Klosterkirche postierte Wächter, um zu melden, daß er in der Ferne die Rakete habe aufsteigen sehen.

Das war das verabredete Zeichen, daß der Knabe Henriquez die karlistischen Truppen gefunden hatte und daß sie zur Stelle sein würden. Der Mann behauptete zwar, daß das Signal nicht von der Stelle gekommen, wo nach Verabredung das Regiment lagern sollte, sondern weiter nach der Straße von Estella zu, – aber ich beachtete es nicht; wahrscheinlich hatte der kommandierende Offizier sich bereits näher zur Stadt gezogen.

Die Stunden vergingen. Um zehn Uhr begann sich ein Teil der Verschworenen zu sammeln – die anderen sollten in der Nähe des Tors an verschiedenen Punkten sich aufstellen. Auch Kapitän Ologa kam – es fiel ihm ein Stein vom Herzen, als ich ihm sagte, daß das Signal gegeben worden war. Der Knabe war sein Liebling und dennoch hatte er keinen Augenblick gezögert, ihn der Gefahr auszusetzen, als es das Interesse des Königs galt.

Gegen elf Uhr hörten wir die Runde; es war anzunehmen, daß wir jetzt bis zur Morgendämmerung Zeit hatten, und um ein Uhr sollte der Schlag geführt werden.

Die Uniformen der Christinos waren in das Kloster gebracht worden, ich ließ die zwanzig Zuverlässigsten meiner kleinen Schar sie anlegen, versicherte mich, daß die Gewehre geladen und alle mit ihren katatonischen Messern versehen waren. Ich hatte aufs strengste verboten, sich eher der Schußwaffen zu bedienen, als bis es uns gelungen, das Tor zu öffnen. Ich wollte unnützes Blutvergießen vermeiden, aber wenn es nicht anging, mußte das Messer und das Bajonett uns den Weg bahnen.

Es schlug zwölf Uhr.

Der Rest meiner Guerilleros entfernte sich auf die ihnen angewiesenen Posten, sie trugen gleich den Bürgern die Waffen unter ihrer Kleidung verborgen. Hinter dem Tor des Klosters harrte meine kleine Schar.

Ich sah auf die Straße hinaus, sie war leer. Ich selbst trug die Uniform eines feindlichen Offiziers, zog jetzt den Säbel und gab das Zeichen. Das Tor wurde wieder geöffnet, und wir traten hinaus.

Ich kannte genau den Weg – jeder von uns wußte, was er zu tun hatte. Hinter meinen Soldaten ging Kapitän Ologa, er hatte es sich nicht nehmen lassen, uns zu begleiten. Während wir mit schweren festen Tritten durch die Straße nach dem Tor marschierten, sah ich an den Ecken und in den Haustüren die dunklen Gestalten unserer Freunde.

Ich sah bereits in der inneren Wölbung des Tors die Schildwache auf und nieder gehen, während aus den kleinen Fenstern des Wachhauses Licht schimmerte. Der Soldat hatte das Näherkommen der vermeinten Patrouille gehört und rief uns an.

» Alto! – wer da?«

»Patrouille!«

»Gebt die Parole?«

Er hatte mich bereits so nahe kommen lassen, daß ich mit einem Griff der linken Hand ihm das Gewehr entreißen konnte, während meine Rechte seine Kehle zusammenpreßte.

»Still! keinen Laut oder du bist des Todes!«

Ehe der Mann zur Besinnung kam, war er gebunden und geknebelt. Er wurde in den Schatten des Tors geworfen und ich trat von fünf Mann gefolgt an die Tür des Wachlokals, die eben geöffnet wurde.

Es galt vor allem, sich der Schlüssel zu bemeistern, die wie ich wußte, in den Torwachen gewöhnlich hinter der Tür hängen.

Wahrscheinlich hatte man in der Stube bereits den Anruf der Schildwache und die Antwort gehört und hatte in Erwartung des weiteren Herausrufs sich erhoben und die Tür geöffnet. Ich trat durch dieselbe in das enge Gemach mit den Worten: Offizier der Ronde! indem ich den Unteroffizier, welcher eben heraustreten wollte, zurückdrängte. Ein Blick überzeugte mich, daß die Schlüssel an dem Nagel hingen – zwei Schritte und ich hatte sie in meiner Hand.

»Zum Teufel was machen Sie da, mein Offizier?« fragte der Sergeant erstaunt.

Mit einem Sprung war ich zurück an der Tür. »Ruhe! wer sich rührt, wer einen Laut von sich gibt, ist ein toter Mann!« Meine fünf Begleiter schlugen ihre Gewehre an, zugleich streckte sich eine gleiche Zahl von draußen her durch die eingestoßenen Scheiben der Fenster.

Ich kümmerte mich nicht darum, sondern rannte aus dem Wachshaus, dem Tor zu. »Die Laterne auf!« rief ich, während der Schlüssel sich bereits im Schloß drehte. Der Guerillo, der es übernommen, eilte – das Messer in der einen Hand, die Laterne mit dem blauen Licht in der andern, auf das Perapet des Tors. Während ich und mehrere meiner Leute beschäftigt waren, die Ketten der Zugbrücke zu lösen, hörte ich über mir einen Schrei und dann einen Schuß.

Aber es war zu spät für den Alarm! Auf dem Tor leuchtete das blaue Licht und durch die Enceinten der Außenwälle konnte ich deutlich die Spitze einer dunklen Kolonne sich nähern sehen.

Zugleich rasselte die Zugbrücke nieder.

Es fiel mir in diesem Augenblick nicht auf, daß ich keine der Schildwachen auf den Außenwerken feuern oder ein Alarmsignal geben hörte – aber drinnen innerhalb des Tors wurde es bereits lebendig, Schüsse fielen und der Siegesruf: » Viva el Rey!« scholl durch den Tumult. Die Wache mußte sich zur Wehr gesetzt haben oder eine wirkliche Patrouille auf meine Leute gestoßen sein; ohne mich um die Anrückenden zu kümmern, denen ja der Weg geöffnet war, eilte ich zurück, um mich an die Spitze der Meinen zu stellen. Nur fünf Minuten brauchten wir das Tor zu halten, dann war der Sieg unser, die Festung genommen.

In der Tat sah ich, daß meine Leute handgemein mit einer Anzahl der Soldaten der Garnison waren. Eine starke Patrouille war eben von einer andern Seite herangekommen, – der Unteroffizier der Torwache war ein alter tapferer Soldat, und nachdem die erste Verblüffung vorüber, hatte er mutig versucht, sich Bahn aus der Wachstube zu brechen. Schüsse knallten hin und her, aber von allen Seiten eilten die Bürger herbei, uns zu unterstützen und sich mit uns zum Widerstand zu vereinigen.

Ich hegte keine Besorgnis mehr für den Ausgang, ein Blick rückwärts belehrte mich, daß die Spitze unserer Kolonne bereits das Tor passierte, und sowie sie deployierte, sich rechts und links ausbreitete. Dunkle Massen folgten im Geschwindschritt, die Bajonette leuchteten in dem Blitz der Schüsse, wie eine Mauer zogen sich rechts und links die Reihen um unsern Kampf und drängten die Soldaten der Garnison zurück!

» Vittoria! – die Stadt ist unser! Viva el Rey!«

Aber die dunkle Masse unserer Freunde gab zu meinem Erstaunen keinen Widerhall des Rufs. Ich überließ die Weiterführung des Scharmützels dem Kapitän und wandte mich, um den kommandierenden Offizier unserer Hilfstruppen zu begrüßen und mich mit ihm rasch über das, was weiter zu tun blieb, zu verständigen, denn in der Stadt begannen jetzt die Alarmtrommeln durch die Straßen zu rasseln, die Glocken heulten Sturm und von der Nordseite der Festung donnerten Kanonenschüsse.

Es war noch alles ziemlich dunkel umher, aber ich hatte deutlich erkannt, wie eine Reitergruppe aus dem Tor defilierte und hinter ihr sah ich die Fahnen meiner Abteilung Lanciers.

Ich eilte auf die Gruppe zu. »Oberst Eraso, willkommen! Die Stadt ist unser, wenn Sie eilen!«

Ich hatte beinahe das Pferd des vordersten Offiziers erreicht und streckte die Hand nach ihm aus, als er sich im Sattel erhob.

»Packt den Karlisten-Hund! Feuer auf die Kanaillen, wenn einer sich zu widersetzen wagt!«

Ich fühlte mich von hinten gepackt ich war so überrascht, entsetzt, daß ich nicht einmal Widerstand zu leisten vermochte – im nächsten Augenblick war ich zu Boden gerissen.

Ich hörte nur noch den Ruf des tapferen Ologa. » Traicion!« Verrat. »Lieber den Tod als gefangen, Brüder! und das Krachen einer Gewehrsalve. Das einzige, was ich in dem Feuerblitz derselben sah, war der Knabe Henriquez, an die Steigbügel zweier Lanciers gebunden, mit todbleichem, blutbeflecktem Gesicht und fast bis zur Nacktheit der Kleider beraubt.

Dann klang der Ruf von einer gewaltigen Stimme: » Viva la Reyna Isabella! viva la Regente! Abaxo mit allen Rebellen!«

Wir waren in der Gewalt der Christinos! – – –


Der Schlag war so unerwartet, so betäubend, daß ich für eine Zeitlang alle Empfindung, alles Bewußtsein verloren hatte.

Als ich es endlich wieder gewann, fand ich mich an Händen und Füßen gebunden auf der Holzbank vor dem Wachhaus liegen. Wohl an dreißig meiner Guerillos, zum Teil verwundet, und mehrere der Einwohner, die unser Unternehmen unterstützt hatten, standen gleichfalls gebunden umher von Wachen umringt. Der Platz vor dem Tor war jetzt mit Fackeln erhellt und ich konnte deutlich eine Anzahl Tote auf dem Pflaster liegen sehen.

Mein scharfes Auge erkannte an dem Stelzfuß darunter den braven Ologa, den Vater meiner Verlobten.

Indem ich meine Augen zurückwandte, fielen sie auf einen fast noch traurigeren Anblick, auf den armen Knaben, der in einiger Entfernung gebunden am Boden saß. Sein Anblick belehrte mich über das Geschehene. Er mußte in die Hände der Christinos gefallen sein und sie hatten ihn mit Drohungen und Mißhandlungen gezwungen alles zu sagen.

Ich irrte mich.

Erst später hörte ich von einem gefangenen Christino den Hergang.

Ich erhob mich so gut es ging von der Bank, auf der ich bisher gelegen, und rief seinen Namen:

»Henriquez!«

Der Knabe blickte verstört auf.

»Du bist zum Verräter geworden an uns. Heilige Mutter Gottes, was hast du getan!«

Das von Leiden bleiche Gesicht des Burschen überzog sich mit dunkler Röte. Statt der Antwort hob er seinen nackten, des Schuhes beraubten Fuß in die Höhe!

»Wenn auch,« fuhr ich hart fort, – »so hast du gesprochen, sonst hätten sie uns nicht so überraschen können. Sieh hin, was deine Schuld ist!«

Und ich wies mit eine Bewegung des Kopfes nach der Stelle, wo sein Vater erschossen lag.

Ich hatte mich der baskischen Sprache bedient, um nicht von den Soldaten verstanden zu werden, die aus den andern Provinzen stammten. Dennoch hob einer der Schurken den Kolben, um mir mit einem tüchtigen Stoß Schweigen zu gebieten. Aber ich achtete den Schlag nicht, denn ich hatte nur Augen für das Entsetzliche, was geschah und was mir das Herz zerriß wegen der rauhen Worte, die ich dem armen Kinde gesagt.

Henriquez warf seine Augen umher und eine zufällige Öffnung in den Reihen der Umstehenden erlaubte ihm, den Körper seines Vaters zu erblicken.

Er öffnete weit den Mund, – aber kein Schrei, – nur ein gurgelnder Laut kam über seine Lippen, zwischen denen frisches Blut herausfloß und Kinn und Brust aufs neue färbten. Dann kroch der arme Knabe auf den gebundenen Händen und Füßen zu der Leiche seines Erzeugers, warf sich über sie her und bedeckte sie mit seinem Blut und seinen Tränen, während stöhnende gräßliche Laute seiner Kehle sich entrangen.

»Henriquez – um der Heiligen Willen …«

»Gib dir keine Mühe, Compadre,« sagte rauh einer der Soldaten, die den armen Knaben nicht gehindert hatten, sich fortzuwälzen, »die kleine Natter zischt nicht mehr. Weil er seine Zunge nicht anwenden wollte, um zu gestehen, hat sie ihm der General etwas schlitzen lassen! für ein Ave vor dem Füsilieren ist sie immer noch lang genug!«

Ich sank auf meine Bank zurück, das Blut stieg mir siedend zum Gehirn und brauste mir in den Ohren, ich rang vergeblich gegen die Bande, die meine Glieder fesselten, um mich auf einen der blutigen Mörder zu stürzen, um in seinem Tode den meinen zu finden.

Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß ich erst später den Hergang hörte. Der Knabe war glücklich aus dem Tor gekommen. Er hatte dazu vorsichtig das nach Zaragozza führende gewählt, und wanderte nun im weiten Bogen um die Stadt, um die ihm bezeichnete Stelle in der entgegengesetzten Richtung zu finden, als er auf einige christinische Soldaten stieß, die als Fouragiere einem größeren Korps vorangingen.

General Rodil hatte, nachdem er das Treffen von Viana verloren, sobald als möglich seine zerstreuten Truppen wieder gesammelt, und die Wichtigkeit einer Position wie die von Pampluna kennend, eine ansehnliche Verstärkung unter dem jüngeren Mina dahin dirigiert, um die Festung gegen einen Angriff Zumala-Carreguys zu sichern.

Hätte der Knabe es über sich gewinnen können, ruhig seinen Weg fortzusetzen, würde er wahrscheinlich gar nicht beachtet worden sein. So aber versuchte er zu entwischen, und sich zu verstecken, was die Aufmerksamkeit der Leute erregte. Bald war er eingeholt und ergriffen, und da er keine genügende Antwort über sich geben konnte oder sich in seinen Antworten verwickelte, wurde er ihnen noch verdächtiger und sie durchsuchten ihn auf das genaueste. Bei der Gelegenheit entdeckte einer der Männer die frische Naht an seinem Schuh, und da der Knabe wie eine wilde Katze sich wehrte, als er ihn in den Händen der Soldaten sah, wurde ihr Verdacht bestärkt. Sie zerschnitten das Leder und fanden den Brief.

Keiner von den Männern konnte zwar lesen, die Umstände, unter denen sie das Papier gefunden, zeigten ihnen jedoch, daß dasselbe von Wichtigkeit sein mußte. Da sie sich noch eine Stunde weit von der Festung befanden und sich eben so entfernt von ihrer Kolonne rechneten, zogen sie vor, zu ihrem Befehlshaber zurückzukehren und diesem Meldung zu machen. Sie schleppten unter vielfachen Mißhandlungen den Knaben mit sich fort, mußten aber länger marschieren, als sie gedacht hatten, ehe sie auf General Mina stießen.

Berechnen Sie die Zeit, so werden Sie finden, daß dies nicht vor acht Uhr geschehen konnte, denn Henriquez hatte erst gegen sechs Uhr die Stadt verlassen.

Der Brief erweckte bei den Offizieren des christinischen Korps natürlich große Unruhe und es fand sofort ein Rat statt, welche Maßregeln am besten zu ergreifen wären. Da in dem Brief sich keinerlei Angabe befand, wie groß die Zahl meiner Guerilleros und der Verschworenen in der Stadt war, wurde der Knabe herbeigeschleppt und sollte durch seine Beichte vervollständigen, was das Schreiben andeutete. Ich hatte dem Sohne Ologas ein bitteres Unrecht getan, keine Drohung, keine Mißhandlung konnte dem Kinde ein Geständnis entreißen und wütend durch seinen Widerstand, von Natur so grausam und fanatisch wie sein schrecklicher Verwandter, dessen Vorläufer er in dem schrecklichen Pampluna war, befahl er die Schandtat, dem armen Knaben die Zunge auszuschlitzen, die der Unglückliche nicht anwenden wollte zu einem Verrat.

Sie schaudern, Caballeros – aber das war die Art, wie man den unglücklichen Krieg zu führen begann und noch schlimmeres, entsetzlicheres haben diese alten Augen gesehen, als der Mina und Espartero den Oberbefehl erhielten, – Taten, der Hölle entsprossen und in der blutigen Saat blutige Früchte tragend, denn Cabrera blieb später den Feinden nichts schuldig, und ich habe gehört, daß die Gesandten der fremden Mächte sich ins Mittel legen und beiden Teilen eine menschlichere Kriegführung vorschreiben mußten, freilich erst, nachdem England und Frankreich ihre Bagnos geöffnet und die Armee der Königin mit Räubern und Mördern rekrutiert hatten. Vergleiche des Verfassers »Villafranca«, II. Band: Träumen im Süden.

Damals aber, zur Zeit, von der ich erzähle, hatte sich wenigstens die Fahne der heiligen Kirche und des rechtmäßigen Thrones noch mit keiner solchen Scheußlichkeit gegen Frauen, Greise und Kinder befleckt.

Bei aller Grausamkeit war jedoch General Mina ein tapferer und kühner Soldat. Da er nicht erfahren konnte, wie die Sachen in der Festung standen, faßte er den Entschluß, unsern Plan, von dem ihm der Brief genügende Nachricht gab, gegen uns selbst anzuwenden, denn auch, wenn er seinen Marsch noch so sehr beeilte, hätte er vor Mitternacht nicht mehr die Festung erreichen können, mußte fürchten auf die Karlisten zu stoßen, wodurch die Verschworenen leicht von dem Mißlingen ihres Plans Kunde erhalten und sich retten konnten. Seinem Blutdurst kam es aber darauf an, sie zu fangen, um an ihnen die Niederlage von Viana rächen zu können!

Es galt also nicht nur die Festung zu retten, sondern auch den Karlisten eine Niederlage zu bereiten.

Seine Entschlüsse waren alsbald gefaßt und ebenso schlau als kühn.

General Mina ließ sofort von dem Briefe Abschrift machen, in der nichts geändert wurde als das Tor der Festung. Statt des Tors von Estella gab der Brief das auf der entgegengesetzten Seite belegene nach Irurzun gerichtete an. Auch das Zeichen der Rakete wurde fortgelassen, der Oberst behielt sich dies selbst vor und sandte sofort einen Reiter ab, um in der Nähe der Festung eine Rakete steigen zu lassen.

Zugleich wurde ein gewandter Bursche, als Bauer verkleidet, abgeschickt, um die karlistischen Truppen aufzusuchen und ihrem Führer den gefälschten Brief zu überbringen.

Dies alles hatte einige Zeit hinweggenommen und wenn man auch den Weitermarsch möglichst beeilte, konnte man doch eben nur kurz vor der bezeichneten Stunde eintreffen.

Weiter brauchte Mina auch nichts. Der Marsch wurde mit der größten Vorsicht ausgeführt und das zur Verstärkung der Garnison bestimmte Korps näherte sich dem Tor von Estella, wobei die Christinos die Vorsicht brauchten, den Außenposten sich als Freunde zu erkennen zu geben.

Das übrige hat die Erzählung der Vorgänge innerhalb des Tors bereits dargelegt. Ich will nur noch erwähnen, daß Oberstleutnant Eraso wirklich in die Falle gegangen war und sich mit seinem Regiment nach dem Tore von Irurzun gewendet hatte, wo ihn die Batterien mit ihrem Feuer begrüßten. Ihr braver Vater, Sennor Conde, führte als Kapitän die erste Kompagnie, und bei jener Gelegenheit war es, wie Sie später hören werden, daß ich ihm mein freilich damals mir wertlos gewordenes Leben verdanke und mit ihm eine Waffenbrüderschaft schloß, die nur sein Tod gelöst hat.

Lassen Sie mich zu meiner Erzählung zurückkehren.

Der Donner einzelner Kanonenschüsse klang von der andern Seite der Festung noch herüber, als General Mina mit mehreren Offizieren, darunter der Gouverneur von Pampluna, nach dem Platz zurückkehrte, wo wir gefangen worden. Der Zorn, die Erbitterung des Gouverneurs, Don Ramon Callega, und der christinischen Offiziere über den kecken Streich, den wir ihnen gespielt, und die Gefahr, der sie nur durch einen Zufall entgangen, war überaus groß.

Das Kloster der Jesuiten ward sofort auf das genaueste untersucht und mehrere unserer Freunde, die sich dorthin geflüchtet hatten, waren ermordet worden. Die Soldaten drangen in die Häuser, die ihnen von dem Pöbel oder fanatischen Gegnern als die Wohnungen von Anhängern des Königs bezeichnet wurden, und plünderten und mordeten dort ungescheut unter dem Vorwand, die Verschwörer zu suchen. Viele Unschuldige wurden gefesselt herausgebracht und bald war auf dem Platz eine Schar von mehr als siebzig Gefangenen versammelt.

Ich sehe noch die teils von Todesfurcht bleichen, teils trotzig blickenden Gesichter um mich her, als die beiden Ober-Offiziere jetzt zu dem Haufen heranritten und uns bei dem Schein der Fackeln betrachteten.

»Ich denke, wir haben die Burschen auch am Tor vom Irurzun tüchtig heimgeschickt, Sennor Don Ramon, tagte grimmig lachend der General zu dem Gouverneur. »Sie müssen einen starken Verlust haben und werden sich hüten, Pampluna wieder zu nahe zu kommen. Jetzt haben wir Zeit, mit diesen Schurken unsere Rechnung zu schließen!«

Der Gouverneur machte ein Zeichen des Einverständnisses.

»Die rebellischen Kanaillen sollen hängen,« sagte er.

»Das halten Sie wie Sie wollen mit Ihren Gefangenen, Sennor Don Callega ich werde über die meinen disponieren.«

Er kam zu den Gefangenen herangeritten.

»Man hat mir gesagt,« sprach er, den langen roten Schnurrbart streichend, »daß der kecke Versuch, die Festung Ihrer Majestät der Königin zu entreißen und sie in die Hände des verfluchten Papisten Carlos zu liefern, von dem Schurken el cazador gemacht worden ist, dem Genossen des Verräters Zumala-Carreguy. Ich will wissen, ob der Karlistenhund seinen Lohn erhalten hat, oder noch lebt?«

»Wenn du Ramiro Castillos suchst, den die Leute el cazador nennen,« sagte ich entschlossen, mich so gut es meine Bande erlaubten, emporrichtend, »so findest du ihn hier! Du wirst wenigstens die Genugtuung haben, einen Mann zu morden, nicht einen Knaben.«

»Hund, du sollst sterben von meiner Hand!«

Er hatte ein Pistol herausgerissen, spannte es und schlug auf mich an.

Ich erwartete den Tod – ja, ich wünschte ihn. Das schmähliche Mißlingen der Unternehmung hatte mich halb wahnsinnig gemacht.

In diesem Augenblick fiel der volle Schein der Fackel eines der dienstfertig sich herbeidrängenden Soldaten auf mein Gesicht.

Mina sah mich einige Sekunden genau an, dann ließ er langsam den Arm sinken.

»Erkennst du mich?« fragte er.

»Gewiß!«

»Und du erinnerst mich nicht an den Adour?«

»Nein. Warum sollte ich?«

» Caramba – so will ich mich daran erinnern!« Er steckte das Pistol zurück in die Halfter und wandte sich zu seinem Adjutanten.

»Lassen Sie die sämtlichen Gefangenen, die wir gemacht haben, in die Jesuitenkirche einschließen und streng bewachen!«

Damit wandte er sein Pferd und ritt fort. Man schleppte uns in die nahe Kirche, wo man uns streng bewachte. Auch der arme Knabe Henriquez wurde dahin geführt. Meinen Bitten und dem Opfer alles Geldes, das ich bei mir führte, gelang es, einen der Unteroffiziere dahin zu erweichen, daß er gestattete, daß ein Arzt dem armen Burschen einen Verband umlegte. Seine Wunde – die halbe Zunge war mit einem Messer aufgeschlitzt – war furchtbar, das ganze Gesicht fast zur Unkenntlichkeit verschwollen, aber trotz der entsetzlichen Schmerzen unterdrückte der wackere Knabe jetzt – nachdem er an der Leiche seines Vaters gekniet, – jede Äußerung des Leidens. Nur sein Auge glühte in ohnmächtiger Verzweiflung, als er während des Restes der Nacht im Wundfieber auf den Stufen des Hochalters lag, den Kopf in meinem Schoß,

Ich will nicht versuchen, Ihnen die Gefühle jener Nacht zu schildern. Die einzige Besorgnis, die mich erfüllte, war nicht die um mein Leben, sondern um das Schicksal Blancas, da das Haus ihres Vaters gewiß nicht der Plünderung der fanatisierten Christinos entgangen war. Ich begnüge mich, Ihnen die Frage Minas zu erklären.

Drei Jahre vorher, zur Zeit, als die Progressisten von der Regierung Ferdinands verbannt waren, hatte ich zufällig Gelegenheit, einen Mann vom Tode des Ertrinkens im Adour zu retten. Dieser Mann war der damalige Oberst Mina. Ich hielt mich nicht lange auf, seine Danksagungen in Empfang zu nehmen, sondern ging, ohne ihm meinen Namen zu sagen, meiner Wege.

So wunderlich spielt das Schicksal; derselbe Mann, den ich den brausenden Wellen des Adour entrissen, mußte mich um alles bringen, was das Leben mir teuer machte, Ruhm und Liebe.

Die Nacht war vergangen, auch der Vormittag. Erst gegen Mittag öffneten sich die Türen der Kirche und ein starkes Detachement Christinos nahm uns in die Mitte. Wir wußten, daß wir zum Tode gingen. Selbst den kranken Knaben hatten die Mörder nicht vergessen.

Heulend und schreiend begleiteten Frauen und Kinder unsern Zug, denn außer meinen Guerilleros befanden sich mehrere Bürger in unsern Reihen; wer gefangen worden, war verurteilt, und der Gouverneur wie General Mina hatten beschlossen, durch einen blutigen Akt alle Feinde der Königin und alle schwankenden Gemüter einzuschüchtern. Deshalb sollte die Exekution auf einem öffentlichen Platze vollzogen werden, wo jedermann ihr beiwohnen konnte.

Wer früher von Ihnen schon in unserm Baskenlande gewesen ist, kennt die große Vorliebe für die Novilladas, die Tierkämpfe. Jede Stadt, jeder Flecken hat seine Arena, groß oder klein, wo zwar nicht der Matador seine Kraft und Gewandtheit zeigt, wo aber der Stier, der Bär oder der Wolf aneinander gehetzt oder von der kräftigen Dogge zu Boden gerissen werden, und wenn die größeren Raubtiere fehlen, begnügt man sich selbst mit dem Spiel des Aufreizens angebundener junger Stiere. Die Arena von Pampluna war zur Richtstätte gewählt.

Als wir über den Platz des Stadthauses schritten, bot sich uns ein Anblick, der auch ein festes Herz erschüttern mochte. An fünf in der Eile errichteten Galgen hingen die Leichen von fünf der angesehensten Bürger der Stadt, die zur Partei des Königs gehört und sich an dem mißlungenen Versuch beteiligt hatten.

Vergeblich hatte ich mich bisher umgeschaut, um ein Zeichen des Abschieds von Blanca zu erhalten, um sie noch einmal zu sehen. Der arme Knabe Henriquez hing schwer an meinem Arm, kaum vermochten wir ihn fortzuschleppen. So kamen wir endlich zur Arena, deren Plätze mit Menschen gefüllt waren, denn um der Bevölkerung der Stadt ein warnendes Beispiel zu geben, sollte die Exekution mit größter Öffentlichkeit vollstreckt werden und die Behörden und viele angesehene Bewohner waren gezwungen worden, ihr beizuwohnen. Der fanatisierte Pöbel tat es von selbst. Ein wildes, blutdürstiges Hohngeschrei begrüßte uns, als wir durch die Reihe der Soldaten in das Innere geführt wurden, wo der Gouverneur, die Offiziere der Garnison und der eingerückten Truppen und die zitternden Behörden der Stadt standen, während den übrigen Raum Soldaten füllten.

Man stellte uns in zwei Reihen auf, dann trat einer der Offiziere vor und verlas das Urteil des Kriegsgerichts, das man über uns gehalten, ohne uns auch nur zu hören. Es lautete: Tod für alle, die bei dem Versuch, die Festung in die Hände des Feindes zu überliefern, auf der Tat ergriffen worden, durch Beschluß des Gouverneurs und des Kommandanten der Truppen dahin gemildert, daß der fünfte Mann erschossen, die andern aber lebenslang auf die Galeeren gebracht werden sollten.

Man scheute sich damals noch, die Füsiladen in Masse anzuwenden – das blieb dem älteren Mina und dem Siegesherzog Marschall Espartero. überlassen.

Ausgenommen von der Zählung – proklamierte der Befehl – sollte der Anführer des schändlichen Versuchs Ramiro Castillos genannt el cazador, bleiben und zu seiner Bestrafung in das Hauptquartier der königlichen Truppen geliefert werden.

Ein Schrei des Jammers, des tiefsten Schmerzes erklang aus der Menge bei der Anführung meines Namens – ich hätte die Stimme unter tausenden erkannt, sie gehörte Blanca, meiner Verlobten; die Unglückliche war also in meiner Nähe.

Sofort begann die Abzählung der Todeslose; der Adjutant, der sie in seinem Hut trug, fing von unten an, und jeder, der das Los mit dem verhängnisvollen Muerte! gezogen, wurde unter dem Jammern und Wehklagen der Mitleidigen oder unter dem Hohngeschrei der Gegner sofort zur Seite geführt.

Wir waren unserer bei dem Ausmarsch aus der Kirche, in die man uns gesperrt, 69 Gefangene; denn drei von meinen Guerilleros und einer von den Bürgern waren während des Morgens an den erhaltenen Wunden gestorben – der Offizier hatte siebzig Lose gemacht, von denen vierzehn mit dem unglücklichen Wort bezeichnet waren. Während er langsam an den beiden Reihen entlang ging, begleitet von drei oder vier Sergeanten, die sich sofort des Opfers bemächtigten, folgte ihm General Mina mit dem Gouverneur zu Pferde vor der Front der Verurteilten.

Dreizehnmal war bereits die Todesnummer gezogen worden, die sechs Männer, die vor uns standen, – ich und Henriquez, der an meiner Schulter lehnte, waren jetzt die letzten in der vordersten Reihe – zogen eine weiße Nummer, und es blieb demnach noch ein Todeslos übrig.

Der Offizier, der Mitleid mit dem armen Knaben zu empfinden schien, wandte sich zu seinem Kommandeur, der jetzt dicht vor uns hielt, uns mit finsterm Blick betrachtete und häufig seinen Schnurrbart strich, was seine Gewohnheit war.

»Sennor General,« sagte der Offizier – »es sind noch zwei Lose und nur ein Verurteilter, da Sie bestimmt haben, daß dieser Mann nicht mitlosen soll.«

» Ea! ich habe nichts dawider, daß dem jungen Schelm eine Aussicht zum Entkommen gelassen wird. Er mag wählen unter den beiden Losen.«

»General Mina,« sagte ich, einen Schritt vortretend, »es ist ein Knabe, kaum zwölf Jahre und schon auf das empörendste mißhandelt. Sie werden die Grausamkeit nicht so weit treiben, ihm noch das Leben zu nehmen. Lassen Sie mich das Los ziehen!«

»Ihr Schicksal ist bestimmt – ich übe schon zuviel Gnade, indem ich ihm die Chance lasse. Zieh, Bursche!«

Henriquez warf trotz seiner Schwäche und seiner Schmerzen einen stolzen Blick auf den Christino und zog das Los, das er dem Offizier reichte.

Viele Augen, selbst die der Feinde, waren mit einer, gewissen Teilnahme auf den unglücklichen Knaben gerichtet.

Der Tenente öffnete langsam das Röllchen – ein Ausruf des Mitleids – es war das Todeslos.

»Nehmt ihn!« sagte der Oberst kalt.

Ich aber warf mich vor ihn. »General Mina,« rief ich, »wenn Sie Ihren Ruf als braver Soldat nicht für immer schänden, wenn Sie auf die Barmherzigkeit Gottes rechnen wollen, so üben auch Sie Gerechtigkeit und lassen mich an die Stelle des Kindes treten!«

Ein Echo schien von der andern Seite des Offiziers diese Bitte zu wiederholen. »Gnade! Barmherzigkeit! Gnade für sie beide!«

Ich sah eine in schwarze Gewänder gehüllte Gestalt zu den Füßen seines Pferdes knien und die Hände flehend zu ihm emporstrecken. Es war Blanka, die sich durch die Reihe der Soldaten gedrängt hatte. Eine ältere Frau, einst ihre Amme, kniete neben ihr.

»Wer ist die Dirne! und was will sie? Jagt sie fort!«

»General Mina,« rief ich außer mir, »achten Sie die Tochter eines wackern Offiziers, der seine Überzeugung mit dem Leben bezahlt hat!«

»Wer ist sie?«

»Die einzige Schwester dieses Knaben – meine Verlobte! Die Tochter des gefallenen Kapitän Ologa! Denken Sie an den Adour und lösen Sie Ihre Schuld!«

Er warf mir einen drohenden Blick zu. »Wenn ich nicht daran gedacht hätte, wären Sie bereits tot, Sennor. Dennoch will ich meine Schuld lösen, Leben für Leben. Die Sennorita mag wählen – den Bruder oder den Geliebten!«

»Das ist unwürdig – abscheulich!«

»Barmherzigkeit, Sennor! ich kann nicht wählen!« rief händeringend das junge Mädchen. »Lassen Sie mich sterben mit ihnen!«

Ich wandte mich mit Verachtung ab von dem Tyrannen. »Blanka,« sagte ich – »zeige, daß du die Verlobte eines Mannes bist, dessen Herz niemals in Todesfurcht gebebt, wenn er dem grimmigen Bären der Pyrenäen entgegengetreten, der eher Mitleid haben würde mit dir, als dieser Christino! Nimm deinen Bruder und laß mich sterben mit meinen Kameraden, wie es mir ziemt!«

Ich beugte mich nieder, denn meine Hände waren gefesselt und küßte sie auf die Stirn; dann trat ich zu dem Sergeanten, um mich den dem Tode Geweihten anzuschließen.

»Halt!«

Der Befehl kam von Mina. »Sie haben es sehr eilig, Sennor Castillos,« sagte er spöttisch. »Aber ich muß Sie bitten, meine Entscheidung abzuwarten. – Stehen Sie aus, Sennora, und antworten Sie mir. Sie sind die Verlobte dieses Mannes?«

»Ja, Sennor!«

»Eines Bärenjägers! Nun, dann darf es Ihnen selbst an Mut nicht fehlen. Ich müßte nicht selbst ein geborner Baske sein, wenn ich nicht Freude an einer guten Bärenjagd empfände, die ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr genossen. Kennen Sie die Art, wie man am Maldavich und am Monte Orion den Bären bekämpft?«

Das arme Mädchen fand kein arges in der Frage, obgleich sie sich wundern mochte, daß sie in einem solchen Augenblick gestellt werden konnte.

»Ja, Sennor Koronel,« antwortete sie. »Ramiro, mein Verlobter, hat mir oft von der Gefahr erzählt, der er sich dabei aussetzt.«

» Alto! Alto! es ist so arg nicht, wenn man kaltes Blut behält und der Assistente Kraft in den Adern hat. Ich habe große Lust, mir einmal wieder das Vergnügen einer Novillada zu machen, und da kein Stier hier und Ihr Verlobter der Ansicht ist, daß die Bären der Pyrenäen ein mitleidigeres Herz besitzen, als General Mina, so will ich Ihr Schicksal in Ihre eigene Hand legen.«

Ich erstarrte bei diesen Worten. Was hatte der Mann vor, von dem ich wußte, daß er schon in seiner Jugend ein boshafter Satan gewesen?

Mina wandte sich zu den städtischen Beamten, die mit großer Sorge in einiger Entfernung standen.

»Kommen Sie ein wenig näher, Sennor Alcalde!« sagte er zu dem alten Mann, der im Verdacht stand, im geheimen der Sache des Königs zugetan zu sein. »Sie werden mir die beste Auskunft geben können.«

Der Greis näherte sich. Er stammte, wie ich, aus einer der alten Familien, hatte ein langes, hochangesehenes Leben hinter sich und genoß den Ruf unerschütterlicher Redlichkeit, was allein der Grund war, daß die herrschende Partei noch nicht gewagt hatte, ihn von seinem Posten zu entfernen.

»Sennor Alcalde,« fuhr der General fort, – »Sie wissen, daß ich seit vielen Jahren nicht in meiner Vaterstadt gewesen bin. Wem gehören die beiden Bären, die ich am Eingang der Arena hinter dem Gitter bemerkt habe?«

»Sie sind Eigentum der Stadt, Sennor General! – Dieser unglückliche Mann schenkte sie vor fünf Jahren beide als junge Tiere, die er aus dem Nest einer erlegten Bärin genommen hatte. Leider hat der Versuch der Zähmung nicht genützt, denn sie sind so grimmig, als hätten sie nur in der Wildnis gelebt, und sie können nur mit größter Vorsicht zu den Kampfspielen benutzt werden.«

»Zu dem, was ich vorhabe, bedarf es keiner Vorsicht, Sennor Alcalde. Ich brauche zwei gute Navajas.«

Zehn Hände boten eine solche, denn alles war jetzt gespannt auf das, was folgen sollte.

Blanka hatte sich zu mir gedrängt, sie hielt wie Schutz suchend meinen Arm gefaßt, als General Mina sich jetzt zu uns wandte.

»Der Mann hier und jener Bursche,« sagte er, »haben sich des Todes schuldig gemacht. Ramiro Castillos rettete mir das Leben, – auf sein Verlangen löse ich die Schuld, indem ich den Knaben dort begnadige. Aber ich will mehr tun, als er getan, ich will ihm Gelegenheit geben, sein eigenes verfallenes Leben mit Ihrer Hilfe, Sennora, zu retten. Wenn Sie die Frau eines Bärenjägers werden wollen, müssen Sie zeigen, daß Sie dessen würdig sind. Ich lege diese Navajas in Ihre Hände; wenn er mit Ihrer Hilfe die Bären, seine alten Bekannten tötet, ist ihm das Leben geschenkt!«

Der Vorschlag war so unerwartet, so abenteuerlich und zugleich so dem Charakter und der leidenschaftlichen Neigung des Volkes für aufregende Szenen angemessen, daß ein stürmischer Jubelruf ihm folgte. Ja, ich sah – so groß ist die Macht der Neigungen, – daß selbst meine dem Tode durch das Los verfallenen Guerillos, sämtlich geborne Basken, in den Zuruf der Menge mit einstimmten.

Ich begriff vollkommen das Teuflische des Vorschlags. Ohne einen Augenblick des Schwankens hätte ich allein den Kampf mit den beiden Bestien angenommen, aber die schreckliche Bedingung, daß das schwache, angstvolle Mädchen die Gefahr teilen sollte, mußte meine Kraft und Besonnenheit lähmen.

Erst auf ein wiederholtes Zeichen des Generals beruhigte sich der Sturm der Menge.

»Nun, Sennora,« fragte Mina spöttisch, »wie gefällt Ihnen mein Vorschlag? – Wollen Sie sich diesen Mann mit dem Messer in der Hand gewinnen, oder soll ich für einen andern Gatten sorgen? Sie sind hübsch, und wie ich höre, reich genug, daß keiner meiner jüngeren Offiziere ein Bedenken tragen wird, die kleine Rebellin zu bekehren.«

Ehe ich ein Wort vorbringen und den Kampf für mich allein oder den Tod fordern konnte, erhob sie die Hand, mir Stillschweigen winkend. »Sennor General,« sagte sie mit fester ruhiger Stimme, »ich nehme Ihren Vorschlag an! Geben Sie mir die Messer.«

Ich wollte sie beschwören und Widerspruch erheben, aber sie legte die Hand auf meinen Arm. »Still, Ramiro! Sollen jene Männer den Triumph haben, daß du Furcht zeigst um meinetwillen? Jener Mann hat recht, die Frau eines Jägers darf die Gefahr nicht scheuen. Gott und die Heiligen werden uns nicht verlassen.«

General Mina schien selbst betroffen über die heldenmütige Annahme seines schrecklichen Vorschlages. Er befahl, die Arena zu räumen und mich meiner Bande zu entledigen, damit ich den vollen Gebrauch meiner Glieder wiedergewinne. Dann beaufsichtigte er selbst die Anstalten zu dem Kampf.

In diesem Augenblick, während der General sich am andern Ende der Schranken befand und viele Frauen, selbst solche, die zu den Familien unserer Feinde gehörten und noch kurz vorher fanatisch unsern Tod gefordert hatten, sich jetzt eifrig um Blanka drängten und ihr Mut einzusprechen suchten, dessen sie nicht bedurfte, kam der greise Alkalde an meine Seite.

Er war ein Freund meines Vaters gewesen und kannte mich schon als Knaben.

»Die heilige Jungfrau beschütze dich, Ramiro. Mut und Besonnenheit. Kann ich etwas für dich tun?«

»Zwei wollene Decken, Sennor!«

Er nickte zum Verständnis und entfernte sich sogleich wieder, um keinen Verdacht zu erregen. Ich sah, wie er einem seiner Alguazils einen Auftrag gab, der sich eiligst entfernte.

Man hatte mir jetzt die Bande abgenommen und ich prüfte die Gelenkigkeit meiner Glieder. Ich war nun entschlossen, den Kampf aufzunehmen und der Bosheit meines Überwinders Trotz zu bieten. Ich kannte vollkommen die schreckliche Aufgabe, und daß die Teilnahme meiner Verlobten die Gefahr vergrößerte, aber ich vertraute meiner Kraft und entwarf bereits meinen Plan. Es galt jetzt nur, Blanka darüber zu verständigen, daß sie genau tat, was ich ihr sagte, um mir kein Hindernis zu bereiten. Da ich die Natur und die Gewohnheiten der Bestien kannte, hoffte ich, sie zu trennen und so zu töten. Ich prüfte die Stärke und die Schärfe der beiden Messer, und als General Mina jetzt wieder herbeigeritten kam, hatte ich die größte Lust, mich auf ihn zu werfen, und ihn vom Pferde zu stechen. Aber wie gesagt, ich begann jetzt zu hoffen, und ich wußte, daß, wenn es mir gelang, den Sieg zu gewinnen, er sein Wort halten mußte oder unauslöschlicher Schande verfallen würde.

Der General kam jetzt heran. Er sah mich mit einer gewissen Teilnahme an und beugte sich aus dem Sattel nieder. »Ich hatte es eigentlich anders mit Ihnen vor, Sennor Don Ramiro,« sagte er, »aber Ihre Hartnäckigkeit zwingt mich zu dem Ausweg, – haben Sie noch einen Wunsch, ehe Sie Ihr Heil versuchen?«

»Zehn Minuten mit meiner Verlobten zu sprechen. Dann werden wir bereit sein.«

» Muy bien! – Während der Zeit kann die Exekution jener Schelme erfolgen. Lassen Sie die Verurteilten in den großen Gang der Arena führen, Kapitän Lopez, und dort erschießen.«

»Ich hatte bereits die Idee, Sennor General, aber die Burschen bitten dringend, vor der Exekution dem Kampfe beiwohnen zu dürfen. Es sind echte Escalduni, General, und sie würden bedauern, sterben zu müssen, ohne ihrem Nationalvergnügen noch beiwohnen zu dürfen.«

Der General strich sich den Bart und lachte.

» Por me! – geben Sie ihnen gute Plätze, denn ich glaube, die Sache wird sich der Mühe lohnen! Wer hat dies befohlen?«

Die Frage galt dem Alguazil, der zwei große und starke Decken zu meinen Füßen legte.

Der greise Alkalde trat einen Schritt vor. »Ich selbst Sennor General, kraft meines Amtes als Richter der öffentlichen Kampfspiele. Dem Matador gebührt seine Mueta.« Das von dem Matador getragene rote Tuch, das er dem Stier über die Hörner wirft.

Mina biß sich auf den langen Lippenbart. » Muy bien!« sagte er dann – »ich will Ihre Rechte nicht bestreiten, Sennor Alkalde. So ordnen Sie denn den Kampf und lassen ihn beginnen. Wir wollen unsere Plätze einnehmen, Caballeros'!«

Er stieg vom Pferde und begab sich mit dem Gouverneur und seinen Offizieren in die Loge desselben. Der Alkalde erteilte jetzt seine Befehle und ordnete das Ganze, gleich als gälte es ein Stiergefecht oder einen der gewöhnlichen Tierkämpfe.

Ich benutzte die Zeit, um mich Blanka zu nähern, die eben ihren unglücklichen Bruder zum letztenmal umarmt und geküßt hatte, um mit ihr zu sprechen, und führte sie in die Mitte des Platzes.

Das arme Mädchen war sehr bleich, aber sie bemühte sich, ruhig und entschlossen zu sein.

Die einzige Aussicht des Erfolges lag darin, daß es mir gelang, die beiden Bären voneinander zu trennen, und sie in möglichst großer Entfernung voneinander einzeln anzugreifen und zu töten. Ich kannte die Wildheit und die Kraft der beiden Tiere.

Ich beschwor Blanka, sich stets in meiner Nähe, aber immer so zu halten, daß ich zwischen ihr und den Tieren blieb, und mir nur auf mein Rufen und wenn es ohne alle Gefahr für sie geschehen konnte, zu Hilfe zu kommen und dann von hinten einen Stoß in das Genick oder den Hals des Bären zu versuchen. Ihre wirkliche Aufgabe sollte sein, mir immer die Decken bereit zu halten und für den Fall, daß mein Messer brechen sollte, mir das ihre zu reichen.

Nachdem dies verabredet war, knieten wir beide nieder und beteten zur heiligen Jungfrau.

Als ich mich erhob, sah ich mit einem Rundblick über die Arena, daß viele mit uns gebetet hatten. Die aufsteigenden Estraden waren dicht mit Menschen gefüllt, der Gouverneur und die Behörden saßen in ihren Logen, unterhalb der des Gouverneurs befanden sich die Verurteilten. Ich grüßte zu meinen Kameraden hinüber und legte die Hand auf das Herz sie antworteten mir mit einem energischen Zuruf; sie wußten, was mein Zeichen bedeutete: wenn ich mit dem Leben aus diesem Kampfe hervorging, sollte ihr Tod gerächt werden!

Auch der Raum zwischen den Schranken und den Estraden war dicht mit Menschen gefüllt – meist Soldaten.

Ich legte die beiden Decken zurecht, wie sie am besten für meine Absicht paßten, dann wickelte ich mein Taschentuch um meine rechte Hand, um damit den Griff der Navaja sicherer fassen zu können, schnürte meine Schärpe fest und steckte handgerecht die Waffe hinein.

Ich war jetzt fertig mit meinen Vorbereitungen und ich erinnere mich so deutlich, als ob es erst gestern geschehen wäre, daß mir ein Gefühl des Stolzes, der glühenden Kampfeslust, der Siegesgewißheit die Brust schwellte. Ich war gewiß, als Sieger hervorzugehen, wenn nicht ein unglücklicher Zufall dazwischen treten würde.

Blanka kniete noch immer neben mir. Ich drückte ihr einen Kuß auf die Stirn und hob sie empor.

»Mut, Geliebte – der Augenblick ist da!«

»Fürchte nichts – ich bin stark!«

Diese Versicherung war ihre einzige Antwort. Ich schlang ihren Arm durch den meinen. Dann wandte ich mich zu der Loge des Gouverneurs, hob meine Basquina und sagte laut: »Geben Sie das Zeichen, Sennor General, wir sind bereit!«

General Mina winkte dem Alkaden, und der Greis hob den Stab.

Ich fühlte durch den an mich geschmiegten Körper meiner Gefährtin einen leichten Schauer gehen; die uns gegenüber am andern Ende der Arena gelegene Gittertür war geöffnet worden und die Wärter schoben und trieben mit Stangen und Schreien die Bären aus ihrem Zwinger.

Die Tiere, beide zu den kräftigsten und größten ihrer Rasse gehörend, kamen knurrend und brummend in ihrem plumpen Gang aus dem Gefängnis in den freien Raum der Arena. Sie wußten aus Erfahrung, daß es sich jedesmal, wenn man sie herausholte, um ein tüchtiges Raufen mit Hengsten, Mauleseln, Stieren, Hunden oder Wölfen handelte, schauten sich deshalb mißtrauisch nach ihrem Feind um und setzten sich sofort nieder.

Sowie die Bären erschienen waren, schien das Publikum wie umgewandelt; alle Teilnahme, alles Mitleiden für die Menschen war verschwunden, man sah nur noch die Kämpfer, wettete auf uns und suchte durch Schimpfreden, Wehen mit den Tüchern und Hüten und dergleichen die Bestien aufzuregen.

» Ea – alto! alto! – sus! – sus!« schallte es von allen Seiten. »Seht die poltroni! Auf sie, Jäger! Stoß ihnen die Navaja in die Rippen!«

Ich sah, daß etwas geschehen und der Angriff von mir aus gehen müsse. Ich bat daher meine Gefährtin, sich zwei Schritte hinter mir zu halten, legte die eine Decke über meine Hände und schritt langsam auf die Bären zu.

Ein ermunternder Zuruf folgte dieser Bewegung. » Animo! esfuezate! halte dich brav! cazador!manos à la obra!« Hand ans Werk.

Mein ruhiges aber entschlossenes Näherkommen und die Decke in meiner Hand schien die Tiere aufmerksam zu machen. Sie trennten sich brummend, indem der eine zurückwich, der andere sich auf die Hinterfüße setzte und seinen blauroten Rachen öffnete.

Der Augenblick war gekommen.

Ich ging etwa drei Schritt die Decke hin- und herschwenkend auf den Bären zu, der sich emporgerichtet hatte und mir grimmig die Zähne wies, und schleuderte sie dann noch einen Schritt vortretend weit ausgebreitet über seinen Kopf und seine Arme.

»Die Decke, Blanka, und dann flüchte dich zur Seite!«

Sie reichte mir die zweite Decke, die ich mit Blitzesschnelle um meinen linken Arm schlang.

»Nein, Ramiro – ich bleibe bei dir!«

Es war keine Zeit, meine Anweisung zu wiederholen, denn ein Blick belehrte mich, daß der zweite Bär, durch den Angriff auf seinen Gefährten gereizt, auf den Hinterbeinen auf mich zukam, während der erste, wie ich beabsichtigt hatte, sich unbehilflich damit beschäftigte, seinen Kopf von der Decke zu befreien.

In der Hoffnung, daß Blanka meiner Weisung folgen würde, stürzte ich mich auf meinen zweiten Gegner, suchte seinen Tatzenschlag mit dem durch die dicke Decke geschützten linken Arm zu parieren und stieß ihm das Messer in die mir zugekehrte Brust.

Ich fühlte, wie das Blut mir ins Gesicht spritzte und zugleich den heißen Atem aus dem nur handbreit davon entfernten Rachen des Tiers, das ein heiseres Gebrüll ausstieß. Zweimal wiederholte ich den Stoß, ehe es dem Bären gelang, meinen Arm fest zu packen und sich in die Decke zu verbeißen. Ich fühlte mich zwar von einem Hieb seiner Pranke quer über die Brust verwundet, aber ich achtete es nicht und zerfetzte mit meinen Stößen das Fell des Raubtiers, als ein ängstlicher Ruf hinter mir mich erbeben machte, der jedoch von dem stürmischen Geschrei der Menge übertönt wurde.

» Alerta! alerta – Zu Hilfe cazador! zu Hilfe!«

Es gelang mir, den Kopf zu wenden – ein furchtbarer, all meine Nerven lähmender Anblick bot sich mir dar.

Die Unglückliche hatte mein Verbot nicht beachtet, sondern versucht, mir Beistand zu leisten.

Als sie die Bestie sich vergeblich von der Decke zu befreien bemüht sah – was, wie ich wußte, den Bären noch ein paar Minuten lang beschäftigt haben würde, hatte sie geglaubt, sich ihm ohne Gefahr nähern und den von mir gegebenen Stoß ausführen zu können.

Aber ihre Hand war zu schwach und zu ungeübt, die Klinge glitt an dem starken Pelzwerk der Schulter ab, verwundete das Tier nur leicht und entfiel ihrer Hand.

Erschrocken wandte sie sich jetzt zur Flucht.

Aber eben die Verwundung hatte den Bären wild gemacht und in seinem Grimm zerriß er die Decke, die sonst ihr sicherer Schutz gewesen wäre. Indem sie bei ihrer Flucht sich umwandte, sah sie das wütende Tier, nur noch von den einzelnen Fetzen der Decke umschlungen, mit weit geöffnetem Rachen und die funkelnden grünen Augen auf sie gerichtet, hinter sich drein kommen.

Der Anblick war zu schrecklich für sie, ihr Mut, ihre Besonnenheit wich, sie sank in die Knie und stieß den Schrei aus, der meine Nerven erbeben machte.

Ich war nur vier bis fünf Schritte von ihr entfernt, das schnaubende Tier vielleicht eben so weit. Nicht eine Sekunde war zu zögern, wenn ich sie retten wollte, und ich versuchte mit aller Kraft, mich von meinem Gegner loszureißen.

Aber der sterbende Bär hatte sich so fest in meinen linken Arm verbissen und seine Pranke in meine Schulter geschlagen, daß alle Anstrengung anfangs vergeblich war. In meiner Verzweiflung schleifte ich das schwer auf mir lastende Tier in der Richtung meiner Verlobten fort und versuchte durch Geschrei das sie bedrohende Ungetüm zu verscheuchen.

Vergeblich!

Ich sah es Schritt um Schritt näher kommen, ich sah, wie die Furcht ihr alle Besinnung geraubt hatte und sie nur vermochte, ihm abwehrend ihre Hände entgegen zu strecken, ich sah, wie der Bär jetzt vor ihr stand und mit seinen Pranken durch die Luft hieb.

In diesem letzten Augenblick gelangt es mir, die Navaja in das Auge der Bestie, die mich festhielt, zu stoßen, daß die Spitze bis in das Gehirn gedrungen sein mußte, – der geschlossene Rachen öffnete sich, und ich konnte meinen Arm blutend, halb zermalmt aus seinem furchtbaren Gebiß reißen.

Ich achtete nicht auf den rasch aufeinander folgenden Donner mehrerer Kanonenschüsse von der Höhe der nahe gelegenen, das Glacis der Festung und den Platz, wo damals außerhalb der Wälle und Tore die Arena Pamplunas stand, beherrschenden Zitadelle, die König Philipp II. erbaut hat, – ich hörte nicht den Ruf der Wachen, das Geschrei: »Zu den Waffen! Der Feind, der Feind!« – nicht auf die Donnerstimme Minas, die Befehle erteilte, – nicht den entfernten Ruf: Viva el Rey! nicht das Angstgeschrei der Frauen, den Ruf der Männer, die sich aus der Arena drängten, – ich sah vor mir nur die braune zottige Masse des Bären, die sich auf das unglückliche Mädchen stürzte, und im nächsten Augenblicke war ich selbst in diesen schrecklichen Knäuel von Tier und Mensch verflochten und wälzte mich nach den ersten Messerstößen mit dem Raubtier, das ich anfangs von hinten umklammerte, am Boden.

Wie lange jener Kampf dauerte, – ich weiß es nicht. Ich sah die grünen Augen der Bestie vor den meinen funkeln, ich fühlte, wie ihre Zähne mein Gesicht zerfleischten, ihre Klauen meinen Körper zerrissen, während ich mit beiden Händen ihren Hals umspannt hielt, denn die Navaja hatte ich verloren; – ich fühlte, wie meine Kräfte schwanden – und dann fühlte ich nichts mehr. Nur wie im Traum war es mir, daß Schüsse um mich her knallten, Kampfgeschrei ertönte, und daß ich unter wildem Geschrei aufgehoben und fortgetragen wurde.

Ich fühlte nichts mehr – lange – lange! – Als ich endlich wieder zu fühlen oder vielmehr mich zu erinnern begann, waren Wochen verstrichen, und ich lag in dieser Halle, auf jenem Lager dort, – allein, nur von dem Vater Tomasos gepflegt und von einer alten Frau, die jetzt längst das Grab deckt.

Draußen aber in milder Oktobersonne, auf dem Platz, auf dem wir vorhin dem Tanz der Mädchen zuschauten, wieherten munter die Rosse und lagerten tapfere Männer, Landsleute, Escalduni Guerilleros des tapfern Ohm Ti Der Volksname Zumala-Carreguys. und unter ihnen manche meiner wackern Kameraden, die mit mir in jener unglücklichen Nacht versucht hatten, Pampluna für König Karl V. zu gewinnen.

Der Anführer der Abteilung, die in unsern navarresischen Bergen lagerte, war Ihr Vater Don Leida, der frühere Alkade von Irun, jetzt ein tapferer Kapitän Zumala Carreguys, und derselbe, welcher – obschon in der Nacht vorher durch die falsche Nachricht am Tor von Pampluna mit Kanonenschüssen zurückgetrieben, – doch an dem andern für mich so verhängnisvollen Tage es gewagt hatte, zurückzukehren und mit seinen Reitern einen eben so kühnen als glücklichen Angriff auf die Arena zu machen, um womöglich die Gefangenen zu befreien oder Geißeln für ihr Leben zu nehmen.

Man wollte wissen, daß ihm ein geheimer Wink aus der Stadt über das Schicksal meiner Guerilla zugegangen war.

Er wäre freilich zu spät gekommen, wenn die Wendung meines Schicksals die Exekution nicht verzögert hätte. Für mich und mein Glück kam er freilich zu spät, doch war es in dem Tumult, der durch den Angriff entstand und bei dem raschen Rückzug der Christinos in das Innere der Festung wenigstens einem Teil meiner zum Tod und zu den Galeeren verurteilten Kameraden gelungen, sich zu befreien und ihren Wachen zu entziehen. Die anderen, die General Mina mit in die Festung zurückschleppte, mußten freilich dafür büßen; denn der General ließ sie sofort erschießen und die Verfolgung der Bürger, die im Verdacht standen, der karlistischen Sache zugetan zu sein, wurde noch härter und führte zu den empörendsten Grausamkeiten, als der ältere Mina als Generalkapitän in Pampluna eintraf und den Oberbefehl der christinischen Nordarmee übernahm.

Diesem Wüterich die Stirn zu bieten und ihn zu beschäftigen, hatte Zumala Carreguy ein Korps in die Berge geworfen, mit dem er zum Teil selbst manchen glücklichen Schlag ausführte.

Der heiligen Jungfrau sei Dank, daß jene Tage der furchtbaren Menschenschlächterei und der wildesten Grausamkeiten, deren sich der Henker Mina und sein Neffe schuldig machten, hinter uns liegen. Nur wer sie mit erlebt, weiß, was dies bedeutet.«

»Aber Sennor Castillos,« sagte der Oberst, »Sie sprechen nicht von dem, was uns am meisten interessiert, von dem Schicksal der armen Blanca Ologa!«

»Was ist viel davon zu reden,« sagte der Bärenjäger rauh, indem er mit dem Fuß auf das vor ihm liegende Fell stieß; – »der da hatte mit einem Hieb seiner Tatze, noch ehe ich ihn faßte, ihren weißen Hals und ihre jungfräuliche Brust getroffen, daß das warme Lebensblut den zerrissenen Adern bis zum letzten Tropfen entströmte.

General Mina hatte anderes zu tun gehabt, als sich um seine Bärenkämpfer zu kümmern. Als mich meine Guerilleros aufhoben und mit sich trugen, weil sie trotz meiner Wunden noch Leben in mir fanden, – blieb der entseelte Körper des armen Mädchens zwischen den verendeten Bestien zurück.

Erst am andern Tage haben mitleidige Hände sie begraben. Derselbe unbekannte Freund ihres Vaters sorgte dafür, das der arme Knabe, ihr Bruder, so gut es ging, geheilt und noch ehe der ältere Mina eintraf, aus Pampluna fortgeschafft wurde. Dieselbe Hand war es wahrscheinlich, die mir später diese Bärenhaut und die Navaja dort mit einer Locke der Toten sandte!«

»Und lebt der Knabe noch?«

»Sie können ihn in Madrid im Dienst Ihrer Majestät unserer gesegneten Königin Isabella finden. – Was mich anbetrifft, Caballeros, da Sie mich doch so wißbegierig anschauen, so tötete ich, als ich wieder hergestellt war, statt der Bären Christinos, und als das nicht mehr ging und der Vertrag von Bergara dieser Beschäftigung ein Ende machte, jagte ich wieder meine alten Gegner, die Bären, und schwer hab' ich jenen Tag an ihnen gerächt, – aber ich bin ein freudloser einsamer Mann geblieben!«

Don Castillos hatte sich bei den Worten erhoben. »Sie werden müde sein, Altezza, und auch Sie, Caballeros, die Ruhe wünschen. Ich und mein Haus gehören Ihnen, nehmen Sie die geringe Bequemlichkeit, die es bietet und lassen Sie uns des Schlafes pflegen, um morgen Nacht die Augen offen zu halten.«

Er rief nach seiner Nichte und den Dienern des Hauses, um die Gäste zu ihren größtenteils gemeinsamen und höchst einfachen Schlafstätten zu geleiten.

Die Bewegung des allgemeinen Aufbruchs hatte Don Juan benutzt, um nochmals das Haus zu verlassen und auf dem freien Platz vor demselben unter die Bäume zu treten.

Wie er erwartet, folgte ihm alsbald der junge Offizier.

»Sie wünschten mit mir zu sprechen, Herr Marquis?«

»Ich bin Ihnen verbunden, daß Sie meinen Wunsch erraten haben. Ich habe nach dem Ihren getan und mich zu der Komödie jener Wette hergegeben. Aber ich verlange nun zu wissen, wie ich ein Jagdabenteuer, vorausgesetzt, daß es uns wirklich aufstößt, – mit unserer ernsten Angelegenheit zusammen zu reimen habe?«

»Sie behandeln die Aufgabe, die wir uns gestellt, sehr leicht, Herr Marquis,« sagte mit leichtem Hohn der Graf. »Doch, um Ihnen offen zu antworten, ich habe in dieser Beziehung die Grundsätze meines verstorbenen Oheims angenommen und bin – nicht ein Feind eines Kampfes, – aber ein Gegner des Duells. Sie werden mir sagen, daß dies keine Entschuldigung ist, um sich der Rechenschaft für irgendeine Handlung zu entziehen. Nun wohl, ich sage Ihnen offen, ich will Sie nicht töten und habe ebensowenig Lust, mich von Ihnen töten zu lassen. Um Ihnen aber jeden Vorwand zu nehmen, an meinem Mut und an der Bereitwilligkeit, mein Leben einzusetzen, zu zweifeln habe ich Sie hierher geführt und Ihnen den Kampf nicht zwischen uns, sondern mit einem dritten Gegner vorgeschlagen. Ihnen steht es natürlich frei, jeden Augenblick davon zurückzutreten, ich aber gebe Ihnen mein Wort, daß ich diese Berge nicht verlassen werde, bis ich das meine eingelöst.«

»Mit dieser Art, Ihre Ehrensachen auszufechten, Herr Graf,« sagte der Offizier mit Hohn, »werden Sie allerdings in den Zirkeln der Pariser Gesellschaften nicht weit kommen, und es wird am vorteilhaftesten sein, wenn Sie dieselben meiden und auf die Einladung Seiner Majestät des Kaisers verzichten.«

Eine tiefe Falte zog sich zwischen den Brauen des Abenteurers zusammen. »Ein Mann,« sagte er langsam, »der den indischen Mördern die Stirn geboten, und der – nicht als willenloser Lanzknecht eines Fürsten, sondern um der Gefahr selbst willen, – seit zwölf Jahren an allen Enden der Welt den Kampf aufgesucht, wird mit den renommierenden Helden der Boulevards fertig werden. Sorgen Sie also nicht um mich! – Überdies ist es nicht das erstemal, daß ich einen Gegner gezwungen, ein Duell nach meiner Art auszufechten! Entscheiden Sie sich also, ob Sie meinen Vorschlag annehmen, oder nicht?«

»Aber zum Teufel, Herr!« rief der Offizier, »welche Genugtuung habe ich für den meiner Familie angetanen Schimpf, wenn ich mich dazu hergebe, einer wilden Bestie die Gurgel abzuschneiden?«

»Den Ruhm, Juan Lerida an Mut und Glück übertroffen zu haben!«

»Ein sehr wertvoller Gewinn,« meinte höhnisch der Offizier. »Aber wie dann, wenn es Ihnen nun nicht glückt, Ihre Prahlerei zu vollführen?«

»Dann,« sagte der Abenteurer mit furchtbarem Ton und preßte den Arm seines Gegners mit eisernem Griff, »dann gehört das Leben Juan Leridas Ihnen, und er verpflichtet sich, fünf Jahre lang Ihr Sklave zu sein, ebenso wie mir Ihr Leben als Ihrem Herrn und Gebieter auf diese Zeit gehört, wenn Sie sich als Feigling zeigen; – gute Nacht, Monsieur le Marquis, Sie kennen jetzt meine Bedingungen!«

Er verließ den Platz und ging nach dem Hause zurück.

Der junge Offizier blieb ziemlich betroffen zurück. Es fehlte ihm nicht an Mut und er hatte dies vor Sebastopol und in der Lombardei hinlänglich bewiesen; er hätte nicht mit einem Zucken der Wimper gebebt, vor die Pistole des Mannes, der ihn eben verlassen hatte, zu treten, obschon er wußte, daß jener in der Führung der Waffen sicher die höchste Geschicklichkeit besaß, und dennoch flößte ihm die Entscheidung, die er soeben erhalten, ein gewisses Grauen ein, wie ja so leicht das Unbekannte, Ungewohnte zu tun pflegt.

Während er noch darüber nachsann, ob es mit seiner Ehre verträglich sei, dieses mehr als amerikanische Duell abzulehnen, hörte er in der Nähe ein Geräusch, als wolle sich eine Person ihm bemerklich machen.

In dem hellen Mondschein erkannte er den Mann, der sich ihm genähert. Es war Tomaso, der Bräutigam der Nichte seines Wirts.

»Sie wollen unsere Berge im Licht des Mondes bewundern, Monsieur,« sagte der junge Mann in dem gemischten Dialekt der Grenzdistrikte. »Sie können von hier hinab bis Pampluna und auf jener Seite über die heilige Eiche von Guipuzcoa nach Aspiroz sehen.«

»Die heilige Eiche von Guipuzcoa? Aber so viel ich weiß, ist die Grenze dieser Provinz vier bis fünf Meilen entfernt und wir befinden uns hier in Navarra!«

» Si Sennor, aber die Berge sind dennoch gut baskisch und von Männern von echtem Blut bewohnt. Unsere Väter haben zu Ehren der drei alten Provinzen und zum Zeichen, daß dies Land zu ihnen gehört, drei Bäume auf drei Bergen gepflanzt und sie nach den freien Distrikten genannt, damit jeder weiß, daß hier so gut das Baskenland, wie in Tolosa, Bilbao oder Vittoria! und sie haben oft genug unter jenen Eichen getagt.«

»Und in welcher Gegend werden wir morgen jagen?«

»Nicht weit von der Eiche von Guipuzcoa, die auf der Höhe des Gebirges steht und die als Warte gilt, zu der man von beiden Landen herauf sieht. Sie wünschen mit dem Bären zusammen zu treffen, Sennor Monsieur?«

»Gewiß! könnt Ihr mir dazu helfen, Freund?«

»Verzeihen Euer Gnaden,« sagte der junge Mann, »daß ich deshalb eine Frage an Sie richte. Sagten Sie nicht vorhin, Sie wollten hundert Goldstücke demjenigen geben, der Ihr Assistente sein wollte?«

»Ich wiederhole es!«

»Hundert Goldstücke sind ein großes Vermögen,« meinte der junge Mann. »Ich bin ein armer Teufel und verdanke alles der Güte des Sennor Ramiro, der mir seine Nichte zur Frau gibt. Es wäre ein großer Stolz für mich, wenn ich auch ein Kapital in die Wirtschaft brächte und nicht alles meinem Weibe zu verdanken brauchte.«

» Parbleu – da wäre uns ja beiden geholfen, denn wie ich hörte, sind Sie ja ein Jäger!«

»Ich wollte Euer Gnaden eben den Vorschlag machen!« sagte der Baske.

»Sie wollen mein Assistente sein? Haben Sie aber auch gehört, welche Wette ich mit dem Grafen von Lerida, Ihrem Landsmann, eingegangen bin?«

»Ich war unter den Zuhörern. Eben deshalb dachte ich daran, daß Sie mich brauchen würden.«

»Und Sie glauben, daß es möglich wäre, einen erwachsenen Bären lebendig zu fangen?«

»Warum nicht? wenn der Assistente ihn gut gefaßt hält, warum sollte man dann nicht die Schlinge so gut anwenden können, wie die Navaja?«

»Den Teufel auch – das ist leicht gesagt! Aber es muß geschehen. Und Sie wollten die Rolle des Assistenten übernehmen?«

»Wenn Euer Gnaden mir das Vertrauen schenken und Ihr Versprechen halten wollen!«

»Vor allen Dingen würde es darauf ankommen, daß wir auch einem Bären begegnen.«

»Darüber mögen Sie außer Sorge sein, Sennor. Ich kenne die Lager der Bären, und ich werde Ihnen den Posten zuwenden, wo er zuerst vorüber kommt, wenn er im Dunkel auf seinen Raub ausgeht. Die andern Caballeros werden Sie vergeblich erwarten und sich wundern, wenn sie am Morgen kommen und Sie mit dem Gefangenen finden.«

»Die Aussicht ist allerdings verlockend, aber wie ist mir denn, – Sie sollen ja morgen Hochzeit halten, und Sie werden die Brautnacht doch wohl nicht auf dem Anstand begehen, und statt der schönen Ines so ein zottiges Raubtier ans Herz drücken wollen?«

Die Sitten des baskischen Landvolks sind überaus keusch und streng. Der Bräutigam errötete bei dieser frivolen Anspielung wie ein junges Mädchen, aber er begnügte sich, zu antworten: »Ich hoffe noch lange Jahre sie mein Weib zu nennen! Don Ramiro kann meiner Gegenwart unter den Jägern nicht entbehren, aber ich werde sie verlassen, wenn wir einen Bären auf seinem Ausgang getroffen haben: sonst freilich müssen wir warten wie die andern bis zu ihrer Rückkehr, die nie vor dem Tagesgrauen erfolgt. A Dios, Sennor, und stärken Sie sich durch einen guten Schlaf.«

Er pfiff den Hunden und entfernte sich mit höflichem Gruß, nach seinem Hause am Berghang hinuntersteigend.

Auch der Offizier kehrte zu der Wohnung seines Wirts, deren Türen offen standen, zurück und suchte das aus Wolfs- und Schaffellen gebildete Lager, das man ihm und Don Juan in dem kleinen Gemach des Padre bereitet hatte. Er fand diesen bereits kräftig schnarchend und legte sich, nachdem er sich der Oberkleider und der Stiefeln entledigt hatte, gleichfalls nieder, mit weit leichterem Herzen, als er vor der Unterredung mit Tomaso gehabt hatte.


Der Mond war kurz vor Mitternacht untergegangen, als das Schnarchen des ehrwürdigen Padre eigentümlicherweise sehr plötzlich aufhörte, dieser sich auf seiner Matratze aufrichtete und nach seinen beiden Stubengenossen hinüber lauschte.

Als der würdige Herr sich überzeugt hatte, daß beide fest und ruhig schliefen, erhob er sich vom Lager, stieg über sie hinweg und schlüpfte vorsichtig aus der Tür des Gemachs, die unmittelbar ins Freie führte.

Zwei oder drei der vor den Türen liegenden Hunde wollten zwar anschlagen und schnubberten unruhig um den Priester her; da sie aber einen Hausgenossen erkannten, der sie leise beruhigte, ließen sie ab von ihrer Aufmerksamkeit und streckten sich wieder in den Schatten des Hauses nieder, bis auf den alten Negro, der zum großen Verdruß des Geistlichen ihm mißtrauisch folgte, als er jetzt über den Vorplatz schlich und sich nach der Seite wendete, wo ein schmaler Fußweg hinüber in der Richtung der Straße von Elizondo nach Pampluna führte.

Nachdem der Padre etwa zehn Minuten unter allerlei sehr unheiligen Verwünschungen über dessen Beschaffenheit und die Finsternis der Nacht auf diesem kaum erkennbaren Pfade fortgekeucht war, blieb er an einer Stelle stehen, wo der Weg sich durch nahe zusammentretende Steinmassen wand, und pfiff in einer eigentümlichen Kadenz.

Sofort ließ sich von der andern Seite her dasselbe Signal hören.

Gleich darauf trat ein in einen großen Mantel gehüllter Mann aus den Felsen hervor und wollte sich dem Priester nähern, als der Hund ihn grimmig anknurrte.

» Carrajo, Sennor Padre, seid Ihr es oder nicht? und was habt Ihr da für eine Bestie bei Euch? – Bringt sie zur Ruhe, oder ich schieße sie nieder, wenn sie meinen Beinen zu nahe kommt!«

» Chucho, Negro! – Fort mit dir Hund! Der Teufel hat dich auf meine Fersen gebracht! Schießt um Himmelswillen nicht, Sennor Cuerta, der Knall könnte gehört werden droben im Hause! – Fort mit dir, alter Spion!« und er griff nach Steinen umher und warf sie nach dem Hunde, der eine Strecke zurückwich, sich dann niedersetzte und ein Geheul begann, dem bald seine Kameraden droben auf der Höhe antworteten.

»Der Satan hole die Bestie,« sagte ärgerlich der Fremde, die Pistole wieder in den Gürtel zurückschiebend. »Kommt hierher, Padre, um den Felsen, daß er uns nicht mehr sieht, vielleicht hört die Kanaille dann auf. Sicher will ich mein Wort erfüllen, wenn er uns da noch zu nahe kommt.«

Er zog den Geistlichen mit sich fort, und in der Tat verstummte der Hund, als sie auf der andern Seite der Felsen waren, aber nur, um langsam heranzuschleichen und mit seinen klugen Augen im Dunkel zu beobachten, als wittere er instinktmäßig eine Gefahr für seinen Herrn.

»Ihr kommt verflucht spät, Padre,« sagte der Fremde, »und es ist eben kein angenehmes Geschäft, in der Nacht in den Bergen zu warten, während der kalte Wind pfeift. Wie steht's, was habt Ihr neues?«

»Se. Exzellenz hat also meinen Brief erhalten, Sennor?«

» Caramba – wäre ich sonst hier? Ihr habt sie in Madrid ganz toll gemacht mit Euren Anzeigen und Se. Exzellenz der Gefepolitico Zivil-Gouverneur. hat die strengsten Befehle erhalten, sich damit zu beschäftigen. Also was gibt's?«

»Wie ich schon gemeldet, es wird in nächster Nacht eine Junta der vier Provinzen gehalten werden!«

»Meinetwegen – die Narren mögen ihre alten Torheiten treiben, wenn sie noch nicht klüger geworden sind. Irgend eines Ihrer alten Rechte, um das sie jammern und klagen! Die Geschichte mit General Ortega hat bewiesen, daß die Revolution keinen Erfolg mehr hat!«

»Aber Sennor Cuerta, hier handelt es sich nicht um eine der gewöhnlichen Militärrevolten, wie sie, den Heiligen sei es geklagt, alle vier Wochen in Spanien vorkommen, sondern um einen wirklichen Aufstand der nördlichen Provinzen, um Ihre gesegnete Majestät die Königin Isabella zu vertreiben, unter dem Vorwand, daß sie eine schlechte Regierung führe.«

» La la guter Freund – das geht so rasch nicht! Aber laßt mich etwas mehr hören von dieser Zusammenkunft.«

»Sie geschieht unter dem Vorwand einer großen Bärenjagd, die Don Castillos veranstaltet hat.«

»Der alte Schurke sollte doch nun endlich ruhig auf seinem Solare sitzen,« sagte der Fremde. »Er wird in der Tat nicht Ruhe geben, bis man ihm fünf Kugeln vor den Kopf gibt oder ihn nach Ceuta schickt, – obschon der Narr nur ein Werkzeug in der Hand klügerer Leute ist. Wir haben von einer Reise des Bischofs von Tarragona gehört. Wißt Ihr was von dem, Padre?«

»Don Ramiro hat vorgestern eine längere Unterredung mit ihm hier in seinem Hause gehabt. – Er wird unzweifelhaft bei der Versammlung sein!«

»Das wäre allerdings ein Fang, obschon wir auf der andern Seite es eben jetzt nicht mit der Kirche verderben dürfen. Aber erzählen Sie, Padre, was Sie wissen, – das heißt, Zuverlässiges, keine Vermutungen und Flunkereien.«

»Was denken Sie von mir, Sennor? – ich meine es aufrichtig mit Ihrer Majestät und der wahren Kirche. So sage ich Ihnen denn, daß ein Bündnis zwischen den Anhängern des Prätendenten und den Progressisten besteht.«

»Unsinn! zwei ganz verschiedene, einander feindliche Parteien.«

»Man hat schon unmöglichere Dinge gesehen. Ich weiß bestimmt, daß der Herr Herzog von Montpensier der Sache nicht fremd und von ihm der Vorschlag ausgegangen ist, mit der Familie des Grafen Montemolin neue Verbindungen anzuknüpfen.«

»Woher wissen Sie das?« fragte der andere hastig.

»Die heilige Jungfrau hat mir ein scharfes Ohr gegeben, Sennor Secretario. Don Ramiro war der Meinung, daß die Königin zu stürzen noch keine Aussicht gewähre für die Herstellung des alten legitimen Throns. Und ich hörte mit meinen Ohren, wie der Bischof ihm versicherte, der Schwager Ihrer Majestät habe die Erklärung abgegeben, daß in einem solchen Fall die Infantin seine Gemahlin keinen Anspruch auf die Thronfolge erheben würde; denn es sei besser, daß die legitime Linie zur Regierung komme, als daß – wie er sich undankbar ausdrückte – die Weiberherrschaft länger in Spanien dauere.«

»Die Orleans sind Füchse,« sagte der Fremde halblaut »und hetzen gern die Parteien aneinander, um für sich eine Frucht zu erwischen. – Aber die Nachricht ist nicht ohne Bedeutung. Und Ihr wißt also, Padre, daß mit der Familie des verstorbenen Prätendenten Don Carlos aufs neue Verbindungen angeknüpft sind?«

»Die Briefe gehen nach Genua und von dort weiter nach Triest. Man behauptet, daß bei einer Erhebung die neue ketzerische italienische Regierung den Prätendenten unterstützen würde!«

»Die Welt kehrt sich um, mein lieber Freund,« sagte der Sekretär gedankenvoll, »und was heute rechts, ist morgen links! In der Tat amigo – man begreift die Welt kaum noch!«

Der mit den europäischen politischen Verhältnissen weit weniger bekannte und keineswegs zu dem höheren Gedankenflug seines Gefährten befähigte Mönch, dessen kurzer Blick eben nur die Revolution gegen die Königin und die am Hofe herrschende Pfaffenpartei sah, schwieg ziemlich verdutzt.

»Doch das sind nicht Eure Sachen, Padre,« fuhr der andere fort. »Sagt mir lieber zunächst, wenn Ihr es wißt, was die nächsten Zwecke der Junta sein sollen?«

»Der Beschluß einer Adresse an den Grafen Montemolin, um ihn zu bitten, sich nochmals an die Spitze einer Erhebung zu stellen, und die Bestimmung über den Ausbruch.«

»Der Wortbrüchige! Es sind kaum sechs Monate her, daß ich selbst die Akte aufsetzte, mit der er in Tortosa Den 23. April 1860. die Verzichtleistung auf alle Thronansprüche erklärte und die Königin als berechtigte Thronerbin anerkannte, bloß um feig sein Leben zu retten. Es muß ein Ende gemacht werden, Spanien kann nicht in ewiger Aufregung um sie bleiben. – Wißt Ihr, wer bei der Versammlung zugegen sein wird?«

»Die Sennora Ines, des Alten Briefschreiberin, hat viel geschrieben. Hier ist das Verzeichnis der Einladungen.«

»Das würde zu einem Prozeß nicht genügen. Aber wenn wir jene an den Prätendenten gerichtete Provokation mit den Unterschriften der Versammelten erlangen könnten, das wäre eine Sache, die energischere Maßregeln lohnte und mit der man die Rebellion sofort unterdrücken könnte.«

Der verräterische Mönch dachte einige Augenblicke nach. »Wenn ich richtig kombiniere, Sennor Secretario, so wird es nicht möglich sein, die Unterschriften sämtlich bei der geheimen Junta zu sammeln. Ich glaube also, daß man zur Vervollständigung das Dokument einer Vertrauensperson überlassen wird, und diese dürfte höchstwahrscheinlich Castillos sein.«

»Jeder Pfaffe,« sagte lachend der Sekretär, »und sei er der dümmste, ist immer noch ein Schlaukopf! Sie können recht haben, Padre und ich werde Se. Exzellenz veranlassen, mit dem Generalkapitän die nötigen Maßregeln zu treffen. Vielleicht können wir die ganze Junta an Ort und Stelle aufheben.«

»Das würde einen harten Kampf geben und viel unnützes Blut kosten, Sennor. Sie sind aus dem Süden und kennen die harten Köpfe der baskischen Männer nicht. Alava, Guipuzcoa und Biscaya werden vertreten sein. Mit den schäbigen Hidalgos dieser Gegend, die sich mehr dünken, wie ein Grande von Spanien, den Gästen Don Ramiros und dem niedern Volk werden mindestens hundert Personen bei der Jagd sein, und es sind entschlossene Leute. Warum wollen Sie es mutwillig zu einem Kampf und Blutvergießen kommen lassen, wo Sie sich ohne Mühe jedes Verdächtigen einzeln bemächtigen können?«

»Welches sind die Fremden, die bei dem alten Rebellen sind?«

»Da ist zunächst ein französischer Infant, ein Vetter des Kaisers, wie er selbst sagt, Prinz Pedro Bonaparte.«

»Ich habe von ihm gehört – er ist ein Republikaner und in den Tuilerien will man nichts von ihm wissen. Dennoch ist die Sache unangenehm genug und man muß ihn möglichst schonen. Weiter!«

»Dann ist ein englischer und französischer Offizier da, der eine von Malta, der andere kommt von Madrid und soll zum Haushalt des französischen Kaisers gehören.«

»Man wird sie beide nicht belästigen. Aber wie zum Henker kommen sie hierher?«

»Den ersten hat der Coronel der Lanciers aus Pampluna mitgebracht, den zweiten ein junger Herr, der Graf Don Juan da Lerida, ein Spanier, der aus England oder Frankreich kommt und dessen Vater im Karlistenkriege ein Freund des Alten war. Er scheint ein ziemlich lockerer Zeisig und erzählte eine merkwürdige Geschichte.«

Der Sekretär lachte. »Man kennt ihn wohl, er ist ein Taugenichts und verwegener Charakter, aber ein großer Herr und haben Sie je von der Kontrebandista gehört, ehrwürdiger Padre?«

»Eine verruchte Spitzbuben- und Schmugglergesellschaft!«

»Unter dem Schutz der heiligen Kirche und Seiner Exzellenz des Herrn Marschall und Ministerpräsidenten a. D. Narvaez! Nun wohl – wir haben nicht die geringste Lust, uns die Finger zu verbrennen, denn in den Listen dieser heiligen Hermandad des Handels und Verkehrs habe ich seinen Namen an ziemlich hoher Stelle gesehen. Vielleicht läuft er irgendeinem Frauenzimmer nach oder beschäftigt sich mit einer Tollheit und ist dadurch für verständige Leute ungefährlich. Was den Coronel betrifft, so ist es gut, daß er an Ort und Stelle ist, wir werden die Gelegenheit benutzen. Wann denken Sie, Padre, daß die Jäger zurückkehren werden?«

»Sie werden morgen Nachmittag zu ihrem wilden Vergnügen ausziehen, am Abend die Junta halten und am andern Morgen zurückkehren.«

» Muy bien! Wir werden unsere Maßregeln danach nehmen!«

»Aber bei der heiligen Jungfrau, Sennor, beschwöre ich Sie, sorgen Sie, daß kein Verdacht auf mich fällt. Selbst dies heilige Gewand würde mich vor ihrem Zorn nicht schützen!«

»Unbesorgt, Padre!«

»Und was das andere betrifft – das Versprechen …

»Der Beichtvater Ihrer Majestät wird es halten, Sie haben Ihre Berufung, und Sie müßten sehr einfältig sein, wenn Sie das Schaf nicht scheren, so lange es Ihnen Wolle zeigt. Das erste Priorat oder eine gute Pfründe, die offen werden, sind die Ihren. Und nun, Padre, legen Sie sich aufs Ohr und schlafen, während ich noch vier Leguas zu reiten habe. Buenas noches! und der Teufel, der mit jedem Pfaffen ist, sei auch mit Ihnen!«

Der Mönch, der mit sehr vergnügter Miene die Versprechungen angehört, schüttelte dem Vertrauten die Hand, und nachdem die beiden Ehrenmänner noch einige Maßregeln verabredet hatten, schieden sie voneinander.

Padre Antonio war sehr unwillig, als er alsbald wieder den Hund auf seiner Verse fand, und hätte er an dem Abend irgend Gelegenheit gehabt, ihn mit Arsenik zu vergiften, würde der treue Nero sicher sein Leben nicht über das Morgenrot hinaus gesponnen haben.


Es war ziemlich spät am andern Morgen, als die Gäste des alten Parteigängers sich zum Frühstück zusammenfanden und eigentlich jetzt erst nähere Bekanntschaft miteinander machten. Indem jeder ohne Zwang seinen Neigungen und Sympathien folgte, bildeten sich je nach Anziehungskraft und Laune kleinere Gruppen, die ihre Verabredungen für die Jagd nahmen und fortwährend durch Neuankommende vermehrt wurden.

Diese bestanden jetzt durchgängig aus dem kleineren baskischen Adel des Gebirges, den Besitzern der einsamen verstreuten Solares oder Landgüter und aus den ländlichen Pächtern.

Unter ihnen allen bewegte sich mit großer Heiterkeit der Hausherr, der mit keiner Miene verriet, welche gefährlichen Pläne vorbereitet wurden und mit wie großer Vorsicht zu Werke gegangen werden mußte.

Um zehn Uhr vormittags fanden die bei den Basken sehr einfachen Zeremonien der Eheschließung des jungen Ehepaares statt, zu der nach der Landessitte nicht einmal die kirchliche Trauung notwendig ist. Auf den Wunsch der Braut wurde jedoch von dieser Sitte abgewichen und Padre Antonio verrichtete die geistliche Zeremonie in einer der einsamen Bergkapellen, die möglichst in der Mitte der zerstreut wohnenden Gemeinde schon in alten Zeiten erbaut worden sind.

Nach der Trauung ging der Hochzeitszug zurück zu dem Hause des Bärenjägers, wo alles zu dem Festmahl zubereitet war. Tanz, Gesang und das beliebte Ballonspiel fesselte mehrere Stunden das jüngere Volk, und erst als die Sonne sich stark zu neigen begann, gab der Hausherr das Zeichen zum Aufbruch.

Die Maultiere, welche die Gesellschaft über eine Stunde weit bis an den Fuß des Hochgebirges tragen sollten, wurden vorgeführt, die Eingebornen selbst zogen es jedoch vor, den Weg schon von hier aus zu Fuß zu machen. Einige Mulis wurden mit Vorräten für das Biwak beladen, und Tomaso wußte es einzurichten, daß er einen der Kissenpanzer mit unter die Bagage schmuggelte. Männer liefen geschäftig hin und her, die Frauen und Mädchen ermunterten ihre Männer und Liebhaber, den gefürchteten Oso nicht entwischen zu lassen, die zusammengekoppelten Hunde heulten, und Padre Antonio war sehr bereit, dem Ausgang seinen Segen zu geben, da er nicht nötig hatte, sich den Strapazen der Jagd zu unterziehen.

Der Graf von Lerida hatte ihn eingeladen, die Fahrt von Pampluna nach Madrid mit ihm gemeinschaftlich zu machen, und da dies natürlich auf Kosten des jungen Abenteurers geschehen sollte, war der Pfaffe seines Lobes voll und versprach alle Anstalten zu treffen, daß sie ohne Zeitverlust ihren Weg antreten könnten. Mauro und der Diener des Marquis sollten sehr zu ihrem Verdruß in der Caseria Castilla bleiben, um das Gepäck ihrer Herren am nächsten Morgen nach Pampluna zurückzubringen und die Anstalten der Reise zu treffen.

Ehe der Graf sich in den Sattel seines Muli schwang, hatte er noch eine längere Unterredung mit seinem griechischen Diener und erteilte ihm verschiedene Instruktionen, nicht als ob er einen unglücklichen Ausgang für sich gefürchtet hätte, denn dazu waren das Vertrauen auf sein Glück und sein übermütiger Leichtsinn viel zu groß, aber es konnte durch irgendeinen Zufall eine Verzögerung eintreten und er mußte für diesen Fall seine Bestimmungen treffen.

Sennor Castillos war voller Aufmerksamkeit, jede Muskel, jede Fiber an ihm voll Tätigkeit. Die meisten schrieben es seiner Leidenschaft für die Jagd zu – nur die, welche mit dem wahren Zweck der Zusammenkunft vertraut waren, begriffen sein ernstes und doch aufgeregtes Wesen.

Padre Antonio teilte sehr liberal und freigebig der ganzen Gesellschaft seinen Segen aus. Er sollte am Tage nach ihrer Rückkehr gleichfalls die Caseria verlassen und dem Ruf seiner Oberen nach Madrid folgen, aber er zog es vor, dies im stillen um 24 Stunden eher zu tun, um der Begegnung mit den verratenen Männern auszuweichen. Trotz aller Aufmerksamkeit hatte der alte Jäger es nicht bemerkt, daß Tomaso geschickt unter dem Gepäck seinen Strohküraß zu verbergen verstanden hatte.

Der glückliche Tomaso! unter all den Spöttereien, die reichlich der zärtlichen Abschiedsszene von der jungfräulichen Gattin zuteil wurden, wohnte doch mancher Neid, und mehr als einer wäre gewiß gern an seiner Stelle gewesen, als der junge Ehemann seine Vermählte küßte und ihr versprach, so bald als möglich wieder zu ihr zurückzukehren. Trotz des liebevollen Abschieds lag übrigens etwas Zerstreutes, Düsteres in dem Wesen der jungen Frau, die als Mädchen sehr heiter und arglos und so voll Liebe für den ihr von ihrem Oheim bestimmten Gatten geschienen hatte. Es war, als sei seit dem vorigen Abend eine Wolke über ihr bisher so einfaches Leben und Fühlen gezogen, und wenn ihr Auge zufällig auf die Jagdgesellschaft und eine bestimmte Gestalt unter dieser traf, flogen dunkle Schatten über ihr kleines Gesicht.

Die Mädchen und Frauen, die um sie her bemüht waren, versuchten ihre besten Trostgründe und führten sie endlich, als Castillos ungeduldig wurde und das Zeichen zum Aufbruch gab, nach ihrer Casita.

Trotz der Beschwerlichkeit des Weges war es ein munterer Ritt, den die Gesellschaft tat. Don Juan und der Marquis versuchten durch hervorstechende Heiterkeit und wiederholte Annäherung jeden Verdacht zu beseitigen, daß ihrer Herausforderung vom Abend vorher ein todesgefährlicher Ernst zugrunde liegen könnte, und schienen auch glücklich alle darüber zu beruhigen, bis auf den Prinzen, der mit der Schlauheit des Korsen dies Manöver durchschaute und die Gelegenheit wahrnahm, den jungen Abenteurer, an dem er Gefallen zu finden schien, an seine Seite zu rufen.

» Parbleu, Monsieur le comte,« sagte er zu ihm, »Sie mögen mit dem Herrn Marquis noch so vertraut tun, Sie hintergehen mich nicht! Ich habe solche Schliche zur Genüge kennen lernen müssen und sage Ihnen auf den Kopf zu, daß Sie beide miteinander etwas vorhaben. Also offen heraus mit der Sprache, – wenn ich Ihnen dienen kann, soll es geschehen!«

»Euer kaiserliche Hoheit sind bereits vollkommen unterrichtet!« erwiderte der Graf.

»Wie – Sie wollen doch nicht die Tollheit wirklich begehen, die Sie gestern abend andeuteten?«

»Gewiß, Monseigneur!«

»Aber das ist gegen alles Herkommen. Wenn Sie mit dem Marquis einen Streit haben – très bien! so duellieren Sie sich mit ihm und ich erbiete mich, Ihr Sekundant zu sein!«

»Ich habe meinem verstorbenen Oheim mein Ehrenwort verpfänden müssen, ehe er mich meinen Neigungen zu einer freien und ungebundenen Lebensweise überließ, nie ein Duell anzunehmen!«

»Teufel! Dann werden Sie nach allem, was ich höre, oft in Verlegenheit gewesen sein!«

»Gewiß! aber ich hoffe, daß noch niemand an meinem Mut und an der willigen Aussetzung meiner Person gezweifelt hat. Was kann bei einem Duell der Gegner anders fordern, als daß das Leben des andern dem Zufall einer Kugel, der Geschicklichkeit eines Degenstoßes ausgesetzt wird. Nun wohl – ich tue mehr, – ich setze das Leben der beiden Gegner dem Zufall von hundert Kugeln und Bajonetten, den Zähnen eines Löwen oder den Kiefern eines Haifisches aus, und gebe ihnen damit Gelegenheit, sich Ehre und Ruf zu gewinnen, sie mögen leben oder fallen, statt der schwarzen Schatten, die jedes Duell später wirft. Selbst der persönliche Haß und Blutdurst ist dabei leicht zu befriedigen; denn es finden sich immer genug große Kämpfe in der Welt, in denen man auf der einen oder andern Seite stehen und sich finden kann. Ich habe in dieser Weise schon mehr als einmal mein System geübt und niemand hat gesagt, daß die Revanche, die ich gab, zu ungefährlich war. Diesmal ist es die Umarmung eines Bären – voila tout

»Sie sind ein Original!« sagte der Prinz lachend, »und es soll mich wundern, wie Sie durchkommen werden, wenn wir Sie bei uns in Paris sehen. Aber was würden Sie denn tun, wenn Sie selbst beleidigt, beschimpft würden, wenn Sie zum Beispiel ein Mann ins Gesicht schlüge?«

»Ich würde den Mann, sei er Kaiser oder Bettler, auf der Stelle töten!« erwiderte der Abenteurer ruhig.

» Parbleu – das würde ich auch. Seit manchen früheren Erfahrungen führe ich immer eine Waffe bei mir zum Schutze gegen hinterlistige Angriffe.« Und der Prinz zog einen kleinen sechsläufigen Revolver aus der Tasche, zeigte ihn dem Grafen und steckte ihn dann wieder ein.

Der Weg wand sich immer höher an dem Gebirge empor, und wurde an einigen Stellen so eng, daß höchstens zwei Reiter nebeneinander reiten konnten. Endlich nach fast zweistündigem Klettern kam man auf dem Platz an, den man zum Sammelpunkt bestimmt hatte. Lustige Feuer brannten bereits und wohl 50 Männer waren darum versammelt, rauchten ihre Cigarettos, plauderten und setzten ihre Waffen instand, denn nach dem Programm der Jagd sollte ein großer Teil des Gebirges besetzt werden, um mit einem Schlage die Raubtiere in diesem Teil des Landes auszurotten.

Von dem Platz, wo die Zusammenkunft stattfand, sah man in der Entfernung von etwa einer halben Legua zur Linken auf einer schmalen Hochebene die vorerwähnte Eiche von Guipuzcoa.

Die ankommende Jagdgesellschaft mit ihrem Kapitän wurde mit Vivats begrüßt und bald waren alle untereinander gemischt. Man sah Castillos mit mehreren der Männer sprechen, denen die andern Achtung und Ehrerbietung bewiesen, und dann versammelte er alle um sich und erteilte seine Instruktionen für die Jagd; denn der Abend begann jetzt zu nahen, und man hatte mindestens noch eine Stunde zu steigen, um die bestimmte Kette um die Orte zu bilden, welche als die Nester der Bären aufgespürt waren oder vermutet wurden.

Die Befehle des alten Jägers waren kurz und klar. Er teilte die Gesellschaft in Sektionen und wies jeder ihren bestimmten Rayon an. Don Juan bemerkte dabei sehr wohl, daß der Argwohn seines Gastfreundes doch noch keineswegs eingeschläfert war; denn er stellte den Marquis auf einen der äußersten Posten nach Osten, während er ihm selbst unter dem Vorwand, daß er doch wohl der Junta unter der Eiche beiwohnen wolle, den Standpunkt am andern Ende der Abteilung gab, die meist von den fremden Gästen gebildet wurde, die von dem wahren Zweck der Jagd nichts ahnten, und denen nur hin und wieder einige baskische Jäger beigegeben waren. Zu den letzteren gehörte Tomaso.

Der Graf formte ein leises spöttisches Lächeln über diese Vorsicht nicht unterdrücken. Er wußte, wie vergeblich sie war, erklärte aber zur größeren Sicherheit dem alten Parteigänger, daß er keine Lust habe, sich an ihrer Verschwörung und an der Versammlung zum Umsturz der bestehenden Regierung zu beteiligen, da er augenblicklich genug mit seinen eigenen Angelegenheiten zu tun und die Absicht habe, zunächst erst in Madrid sich mit den gegenwärtigen Verhältnissen näher vertraut zu machen. Auch wünschte er nicht mit Sr. Bischöflichen Gnaden zunächst zusammenzutreffen, da zwischen ihnen eine kleine Meinungsverschiedenheit obwalte.

Don Ramiro murrte zwar allerlei von der Entartung der Jugend, die nichts mehr von dem Geist der Väter an sich habe und die höchsten Interessen um ihrer Lüste und Launen willen gefährde, aber er mußte sich in diesem Stadium der Sache ohne größeren Widerspruch fügen und bat den Widerspenstigen nur, gute Wacht auf seiner Seite zu halten, damit die Junta nicht durch irgend eine Zufälligkeit oder Neugier der anderen Jäger gefährdet werde.

Wie Tomaso, der beste Spürer des Gebirges, bereits dem französischen Offizier angedeutet hatte, pflegen die Bären erst nach Einbruch der Nacht ihre Schlupfwinkel zu verlassen, um in die tiefer gelegenen bewohnten Gegenden auf den Raub auszuwandern, von dem sie erst beim Tagesgrauen zurückkehren, um dann den Tag in ihren Lagern zu verschlafen, bis der einbrechende Winter sie ganz in dieselbe zurückscheucht, um gleich den Murmeltieren, den Hamstern und anderen Arten sich dem Winterschlaf zu überlassen. In dieser Zeit sind sie am feistesten und ist ihr Pelz am besten. Die Veranstaltung der großen Jagd auf Anstand und Treiben zu dieser Zeit konnte daher auch nicht auffallen.

Wie bereits erwähnt, hatte Don Juan seinen Anstand auf dem einen Flügel der fremden Gäste erhalten; ihm zunächst war der englische Kapitän postiert, dann der spanische Oberst aus Pampluna mit einem oder zwei anderen Gästen, der Prinz und am andern Ende der Marquis mit Tomaso. Letzterer hatte treulich geholfen, die Sache so einzurichten, denn er wußte, daß der Wechsel des einen Bärenpaares gerade an dieser Stelle stattzufinden pflegte. Nach seiner Behauptung mußten sich überhaupt drei oder vier Bären in dem durch den Jägerkordon abgesperrten Revier befinden. Vor Aufgang des Mondes, der kurz nach 9 Uhr stattfand, war das Erscheinen des Wildes nicht zu erwarten, und die Jäger hatten daher Zeit genug, ihre Vorbereitungen zu treffen.

Zehn Uhr war die Zeit, zu welcher die Versammlung unter der Eiche beginnen sollte.

Der Platz, an welchen Tomaso den kaiserlichen Offizier geführt hatte, war ein kleines Felsenplateau, auf der einen Seite von einer unzugänglichen Wand, auf der anderen von einem mehr als 100 Fuß tiefen Abgrund geschlossen. Den natürlichen schmalen Gang, welcher auf der dritten und vierten Seite höher hinauf in den rauhesten Teil des Gebirges, und abwärts in die Täler führte, mußte der Bär kommen, ehe er zu der Schlucht hinabstieg, in welche der alte Baske seinen vornehmsten Jagdgast postiert hatte.

Um 8 Uhr des Abends war die ganze Jagdreihe gebildet und Castillos revidierte noch einmal mit der Umsicht und dem Eifer eines ergrauten Feldherrn und begleitet von Tomaso die Posten, allen die größte Aufmerksamkeit für die erste und letzte Zeit der Nacht anempfehlend. Dann entließ er mit einem gutmütigen Scherz seinen Eidam, ihm die Heimkehr nach der Casa freistellend.

In ihre warmen baskischen Mäntel gehüllt, die Büchsen zur Hand, lagerten sich die einzelnen Jäger auf den rauhen unwirtlichen Felsen.

Der Prinz befand sich seit einer Stunde etwa mit seinem langen Büchsenspanner auf seinem Posten in der tiefen und engen Schlucht unterhalb des Plateaus, auf dem der letzte Posten der Schützenlinie stand, und wollte eben trotz des Verbots des Jagdordners sich eine neue Zigarre anzünden, da er glaubte, noch geraume Frist zu haben, als das Geräusch eines fallenden Steines ihn aufmerksam machte.

» Par Dieu!« flüsterte er seinem Jäger zu, »ich glaube, da kommt die Bestie. Gib die Büchse her, Etienne!«

»Sie irren, Monseigneur – das Geräusch ist hinter uns!«

In der Tat wiederholte sich von dort der Laut.

»Pst! nicht so laut, Monseigneur! Ich bin es! – der Graf von Lerida!«

»Ah – Sie sind es! und was wollen Sie hier?«

»Sie an Ihr Versprechen erinnern,« sagte der Abenteurer, der jetzt vorsichtig aus dem Dunkel trat und sich näherte. »Ich komme, Sie zu bitten, mir Ihren Posten zu überlassen und dafür den meinigen einzunehmen!«

»Wissen Sie, daß das wirklich eine starke Zumutung für einen Jäger ist, Mylord?« meinte lachend der Prinz, »denn ich glaube wahrhaftig, daß mein alter Freund Castillos mir keinen üblen Anstand ausgesucht hat, und daß, wenn irgendwo Wild zu erwarten ist, es hier der Fall sein mag.«

»Ich erkenne ganz die große Gnade an, die Eure kaiserliche Hoheit mir mit der Erfüllung meiner Bitte gewähren,« entgegnete der Abenteurer. »Aber ich erinnere Sie, daß Sie selbst die Güte hatten, mir Ihren Beistand anzubieten, und ich hoffe, daß wenn ich Sie auch des Vergnügens berauben sollte, Ihre sichere Hand an einem Bären zu erproben, Sie doch wenigstens Zeuge eines interessanten Schauspiels werden sollen!«

»Und welches Schauspiels?«

»Wie der Bär von Biscaya den Turm von Castilien umstürzen will. Indes, Kaiserliche Hoheit, muß ich Sie zugleich um Ihr Wort bitten, daß alles, was Sie etwa hören und sehen werden, für Sie nicht vorhanden bleibt; denn nur im Vertrauen auf mein Schweigen hat Sennor Castillos mir den Posten angewiesen, von dem allein auf dieser Seite man die Eiche von Guipuzcoa sehen kann.«

»Oh, wenn mein alter Freund Castillos bei der Sache beteiligt ist, nehme ich keinen Anstand, Ihnen mein Wort zu geben. Nur fange ich an, einzusehen, daß unsere Bärenjagd nicht die Hauptsache ist.«

»Monseigneur haben vollkommen Recht. Indes wird der Mond in fünf Minuten aufgehen, und wenn auch nicht den Boden dieser Schlucht, so doch die Gipfel jener Felsen beleuchten. Sie bedürfen einer halben Stunde, um meinen Anstand zu erreichen und ich bedarf einiger Zeit, um mich hier zu orientieren.«

»Aber zum Henker, wie soll ich mich zwischen all diesen Felsen und Schluchten zurecht finden?«

»Ich habe daran gedacht. – Hundert Schritte von hier wartet einer der Landleute, um Sie zu führen.«

»Das ist etwas anderes. Aber bestehen Sie denn wirklich auf Ihrem wahnsinnigen Unternehmen?«

»Meine Ehre ist verpfändet, Monseigneur, – ich erinnere mich nicht, in meinem Leben schon einmal mein Wort gebrochen zu haben, außer den Frauen!«

»Aber – wie dunkel es auch ist, – ich kann wenigstens sehen, daß sie keine Büchse bei sich haben! Wollen Sie die meine?«

»Ich danke Monseigneur, das wäre gegen Zweck- und Verabredung. Fühlen Sie!«

Der Abenteurer nahm die Hand des Prinzen und führte sie an seine Taille, um die ein langer Strick von geflochtenem Leder gerollt war.

»Ich habe meinen Lasso bei mir und für den schlimmsten Fall mein tunesisches Messer. Das genügt. Und nun, Monseigneur …«

»Ich verstehe! Meinetwegen, wenn Sie denn ein Tor sein wollen – ich gehe! Doch will ich Ihnen sagen, daß bei einem Unfall es mir um Sie weit mehr leid tun würde, als um den windigen Adjutanten meines Herrn Vetters. Von dieser Sorte gibt es in Paris genug!«

Der Abenteurer deutete die Richtung an, in welcher der Prinz mit seinem Jäger den Führer finden würde. »Nochmals meinen Dank, kaiserliche Hoheit«, sagte er – »vielleicht habe ich später einmal Gelegenheit, Ihnen diese Gnade mit einem kleinen Dienst zu vergelten!«

»Das kann wohl sein! Glücklichen Erfolg denn und gute Nacht, Mylord von Lerida!«

» Eelice notté, Altezza!« sagte der Abenteurer. »Ich hoffe, auf Wiedersehen!«

Der Prinz entfernte sich, gefolgt von seinem Jäger.

Wenige Minuten darauf begann das Silberlicht des aufsteigenden Mondes die Kuppen der Berge zu erhellen und langsam niederzugleiten zu den Felsen und Schluchten.


Wir müssen den Grafen von Lerida verlassen, wie er den Lasso von seinem Leib wickelte und seine Umgebung mit einem Blick musterte, der die Tiefen der Nacht zu durchdringen schien, um zu seinem Gegner auf der Höhe des Felsenplateaus zurückzukehren. – – – – – –


Armand de la Houdinière hatte sich, nachdem ihm Sennor Castillos seinen Platz angewiesen, auf einen Stein niedergelassen und dachte über die gefährliche Lage nach, in der er sich befand, nachdem ihn Stolz und Eitelkeit vermocht hatten, den Vorschlag seines Gegners anzunehmen. Ein Wink Tomasos, als er ihn verließ, beruhigte ihn zwar hinlänglich über dessen Wiedererscheinen, indessen fühlte er sich doch unruhig und unbehaglich. Er war mehr als einmal im Bois de Boulogne und in anderen Orten einem Gegner gegenüber getreten und hatte den Degen mit ihm gekreuzt oder selbst ein Paar Kugeln gewechselt, ohne je diese Besorgnis und Unruhe vor dem Kampfe zu empfinden, die ihn jetzt so nervös aufregte. Aber damals befand er sich in bekannter Umgebung, unter dem Schutz anerzogener Gewohnheit und Sitte, und er hatte das Bewußtsein, daß sein Gegner keinerlei Vorteil vor ihm voraus haben würde. Er sah im Licht des Tages die Augen der Sekundanten auf sich gerichtet, er wußte, daß von seinem Benehmen die Pariser Welt am Abend sprechen würde, und er war so unbesorgt und tapfer zu seinen Duellen gegangen, die im Grunde nur Lappalien waren und blieben, wie er die ernstern Kämpfe vor Sebastopol, Magenta oder Solferino bestanden hatte.

Der Marquis Armand gehörte zwar zu der jeunesse d'orée des zweiten Kaiserreiches, jener Schar von eleganten Löwen des Tages, die aus der Frivolität und dem Leichtsinn einen Kultus machen; aber doch war auf dem Asphalt der Boulevards und in den eleganten Orgien des maison d'orée sein Herz und Sinn nicht ganz verderbt, sondern hatte die Instinkte der Redlichkeit, der Treue und der Ehre bewahrt. Nur eine gewisse moralische Schwäche, die sich zu leicht einem überwiegenden Einfluß unterordnete, war sein Hauptfehler. Diesen Einfluß hatte denn auch die seltsame und von einem gewissen Nimbus der Romantik umgebene Persönlichkeit Don Juans auf ihn, den Mann, geübt, gleich wie sie das Herz und die Sinne der Frauen bestricken. Wäre der Vorschlag, ihre Ehrensache – und eine solche war es für ihn in der Tat! – in so ungewöhnlicher Weise auszumachen, von einem andern gemacht worden, so würde er ihn gewiß zurückgewiesen haben, so aber hätte selbst die Überlegung ihn kaum anders handeln lassen, als er getan.

Er fühlte dies, und dennoch war er unzufrieden mit sich. Er fühlte, daß nicht das Ungewohnte der Aufgabe, sondern auch die seltsame Bedingung, die der Abenteurer an Sieg und Niederlage geknüpft hatte, ihn zaghaft und verwirrt machte. Sie lähmte seinen frischen Mut, sein Selbstvertrauen, und es bedurfte aller Anstrengung, um sich klar zu machen, daß die Aufgabe, die vor ihm lag, eigentlich nicht so gefährlich sei, wenn er nur kaltes Blut und Entschlossenheit bewahrte.

So weit war er mit seinen Reflexionen und Gefühlen glücklich gekommen, als die Rückkehr Tomasos ihn darin bestärkte. Der junge Ehemann war lustig und guter Dinge, er brachte den Matratzen-Küraß mit sich, den er glücklich den Augen des Alten entzogen hatte, und schien seine hundert Goldstücke schon sicher in der Tasche zu haben.

Es entspann sich, obschon der junge Baske des Französischen nur unvollkommen mächtig war, alsbald eine eifrige Unterhaltung zwischen den beiden jungen Männern.

»Sind Sie denn so sicher, Monsieur Tomaso,« frug der Offizier, »daß wir auf dieser Stelle einem der Bären begegnen werden?«

»So sicher wie meiner Seligkeit, Excellenca! Ich habe mich wohl gehütet, meine Erfahrungen in dieser Beziehung dem Sennor Castillos ganz zu verraten, denn sonst würde er den Infanten, seinen Freund, hierher postiert haben. Diesen Platz passiert der Bär stets, wenn er des Nachts seine Höhle verläßt, um auf Raub auszugehen. Wir werden ihn also sicher haben, ja vielleicht mehr als einen!«

»Den Teufel – das wäre über die Verabredung!«

»Oh – fürchten Sie nichts, Sennor. Der Bär ist eigentlich kein Bär, sondern eine Bärin, was allerdings in gewisser Beziehung die Sache etwas gefährlicher macht. Aber ihre Begleiter werden keine erwachsenen Bären sein, sondern höchstens die beiden Jungen, die sie im Frühjahr geworfen hat und die noch lange nicht so groß sind, wie unsere Wolfshunde. Aber die Mutter muß sie gewöhnen, jetzt ihren Raub allein suchen zu lernen, denn nach der Gewohnheit dieser Tiere wird sie dieselben schon im nächsten Jahre verlassen. Es ist nicht gesagt, daß die Jungen sie diesmal begleiten werden, aber ich habe schon zweimal ihre Spuren neben denen der Alten gefunden.«

»Und der Bär selbst?«

» Quien sabe! der ist an einer, andern Stelle des Gebirges und läuft vielleicht einem Ihrer Freunde in den Schuß! Der Umkreis, den Don Ramiro besetzt hat, birgt zwei Bärenlager, – das unsere aber ist das, welches ich am sichersten weiß.«

»Wo steht der Prinz?«

»Dicht unter uns. Wir könnten den Ruf seiner Stimme hören. Die Schlucht, in der er seinen Posten hat, ist auch ein Wechsel der Bestien, aber die Erfahrung lehrt mich, daß in den Mondscheinnächten die Bärin den Weg über die Felsen vorzieht.«

»Und was haben wir zu tun?«

»Vorerst geduldig zu warten, Excellenca. Vor einer Stunde ist an das Erscheinen der Bärin nicht zu denken. Wir müssen uns aber sehr ruhig verhalten, denn sonst würden wir sie verscheuchen, oder sie in ihren Schlupfwinkel zurücktreiben, was – ich gestehe es, – mir ziemlich unangenehm sein würde!«

»Warum, Monsieur Tomaso?«

» Caramba – weil es mich hindern würde, noch diese Nacht meine junge Frau zu umarmen. Ich müßte Sie dann morgen früh noch höher in das Gebirge führen und wir müßten das Tier in seinem Lager angreifen, wo wir die Sache nicht so leicht haben wie hier!«

»Leicht!«

»Gewiß Excellenca! Obschon es selbst auf dieser Höhe, noch ziemlich dunkel ist, können Sie doch, kaum zehn Schritt weit von uns, jenen abgebrochenen Tannenstamm sehen?«

»Er steht am Rand des Abhangs!«

»Was tut das? – Die Bäume und Sträucher haben die Gewohnheit, aus den Spalten und Klüften empor zu wachsen. Der liebe Gott hat sie dazu angewiesen und dieser Baum scheint ganz expreß für unseren Zweck da zu sein. Ich kenne ihn wohl, denn ich habe mehr als einmal rittlings auf dem Stamm gesessen um hinunter zu schauen, oder meine Reata darum zu schlingen, wenn ich in die Tiefe hinabsteigen wollte!«

»So führt ein Weg da hinab?«

»Nicht gerade ein Weg, wie Sie es nennen, aber für einen gewandten Bergkletterer ist es doch möglich, die Felswand auf und ab zu klimmen und sich so einen Umweg zu sparen. Sind Sie schwindlich, Excellenca?«

»Ich fürchte wohl!«

»Dann müssen Sie sich zusammen nehmen, es einen Augenblick zu überwinden. Oh – es gilt nur einen Augenblick; denn ich werde, wenn ich den Bär packe, ihn nach jener Seite zu zerren suchen.«

Der Offizier schauderte ein wenig bei dieser unbesorgten Sprache.

»Merken Sie wohl auf,« fuhr der kühne Landmann fort. »Sobald der Mond aufgegangen ist, wird unser Feind sich auf den Weg machen und die Felsen herunter trotten. Von dem Augenblick an dürfen wir uns nicht mehr rühren. Glücklicherweise weht der Wind von dem Schneegipfel des Maldavich herab, kann also dem Tier nicht unsere Witterung bringen. Wenn ich sein Herannahen merke, werde ich Ihnen ein Zeichen geben, sich bereit zu halten. Sobald der Bär dann auf diesen freien Raum herausgetreten ist, werde ich aufspringen und ihm entgegentreten, während Sie ihm den Rückweg abschneiden. Der Bär wird sich dann aufrichten und ich werde ihn unterlaufen und umfassen.«

»Aber um Himmelswillen – er wird Sie ersticken zwischen seinen Tatzen. Ich habe immer gehört, daß er eine enorme Kraft hat!«

»Nicht, wenn Sie tun, was wir verabredet, Excellenca! Es ist allerdings nicht sehr angenehm, sich in den Armen eines Bären zu befinden, aber ich habe es bereits schon zweimal getan, und weiß, daß mich der Panzer wohl drei Aves lang schützt und aushält. Freilich wird einem der Atem etwas in der Brust zusammengepreßt, aber ich bin stark und werde es aushalten. Nur dürfen Sie allerdings dann nicht zögern und müssen mir mit der Reata oder Navaja zu Hilfe kommen, denn sonst dürfte mir die Umarmung zu lange dauern.«

»Sie wissen, Monsieur Tomaso, daß ich mich zu dem Versuch verpflichtet habe, den Bären lebendig zu fangen. Ich gestehe Ihnen, daß ich es für kaum möglich halte, aber ich würde weitere hundert Napoleons den ersten zufügen, wenn es uns gelingen sollte!«

Der junge Ehemann machte einen Freudensprung. » Madre santissima!« schrie er – »zweitausend Franks mehr – dann kann ich mir und Ines ja eine eigene Besitzung kaufen! Excellenca, für diese zweitausend halte ich weitere drei Aves aus, und wenn mir alle Rippen im Leibe krachen sollten. Für den schlimmsten Fall haben Sie ja Ihre Navaja?«

»Die Navaja – nein – ich nahm keine mit mir!«

»So nehmen Sie die meine, da das ohnehin nicht meine Sache, sondern die Ihre ist. Aber wir werden sie nicht brauchen, da nur die Reata ihre Rolle spielen darf.«

»Die Reata – was ist das?«

»Hier – der feste Lederstrick, mit dessen Schlinge Sie dem Bären den Hals zuschnüren sollen, bis wir Zeit haben, ihn zusammen zu knebeln und unschädlich zu machen.«

»Aber wie werde ich es machen?«

» Currajo, – nichts leichter als das! So wie Sie sehen, daß Meister Braun und ich uns fest gefaßt haben, springen Sie herbei und werfen ihm die Schlinge um den Hals, was sehr gut geschehen kann, da sich sein Kopf über dem meinen befinden wird und ich durch den Küraß vor seinen Klauen und seinen Zähnen geschützt bin. Dann schlingen Sie das andere Ende der Reata um jenen Stamm und ziehen es scharf an, so daß er halb erwürgt mich loslassen muß und rücklings zu Boden stürzen wird. Das übrige ist dann meine Sache, denn ich habe hier noch einen zweiten Strick und werde ihm bald genug die vier Füße zusammengeschnürt haben, so daß man ihn gleich einem Ballen an einer Stange wird forttragen können.«

Der Marquis lachte. »Gott gebe es, Monsieur Tomaso!«

Nachdem sie noch einige Punkte verabredet und der Baske dem Offizier gezeigt hatte, wie er es anzustellen habe, dem Raubtier sicher und leicht von rückwärts die Schlinge über den Kopf zu werfen, empfahl er ihm, sich zwischen den Steinen auf die Decke, die sie mitgebracht, niederzulegen und ruhig den Aufgang des Mondes abzuwarten.

Der junge Offizier hatte durch die Unterredung mit seinem Beistand jetzt ziemlich seine Ruhe wieder gewonnen und harrte nun selbst mit einer gewissen Ungeduld der kommenden Ereignisse. Er lag hinter einem Felsstück geschützt gegen den scharfen Wind, der von der Höhe strich, die Reata in der Hand, deren Ende er sich um den linken Arm geschlungen, die Navaja des Basken in der Seidenschärpe, die er sich um den Leib gebunden. Sein Ehrgefühl hatte ihm geboten, die geladene Büchse, die er des Sennor Castillos wegen mit zum Anstand hatte nehmen müssen, in einiger Entfernung zurückzulassen.

Die Zeit verging und der Mond stieg über die Bergwände im Osten empor und ergoß sein helles Licht auf das Plateau, auf dem die beiden Jagdverbündeten lagerten, jeden Stein, jeden Strauch hell und deutlich ihren Augen zeigend.

»Halten Sie sich bereit Excellenca,« sagte der Baske, »ich glaube, wir werden nicht lange zu warten brauchen. Beten Sie Ihr Paternoster und den Segen, denn es ist bei alledem kein Kinderspiel!«

Ein leichter Schauer durchbebte die Nerven des Pariser Edelmanns.

Wieder war eine Viertelstunde vergangen, der Mond war höher gestiegen und warf sein volles Licht auf den Platz.

» Alerta!« flüsterte plötzlich der Wächter, »Ich höre das Schnauben des Bären.«

Die Worte trafen den Offizier wie ein elektrischer Schlag. Er versicherte sich mit einem Griff, daß die Navaja in seinem Gürtel steckte, faßte die Reata und richtete sich zum Sprunge fertig halb empor, obschon er fühlte, daß seine Hand zitterte.

Noch einige Augenblicke, dann konnte auch sein ungeübtes Ohr in einiger Entfernung ein Schnauben und Brummen hören, das langsam näher kam.

Dann hörte man ein Geschrei wie von einem Kinde. Der Offizier begriff, daß es von einem der Jungen kommen mußte, denen die Bärin wahrscheinlich eine Zurechtweisung erteilt hatte.

Gleich darauf fiel ein dunkler Schatten auf den Felsboden des Plateaus an der andern Seite ein schwarzer zottiger Körper, gefolgt von zwei kleineren Schatten kam langsamen Schrittes über die kleine Fläche.

Es war die Bärin mit ihren Jungen.

Plötzlich, etwa in der Mitte, blieb das Tier stehen, schnüffelte mit der Nase in der Luft und erhob dann ein zorniges Brummen. Es mußte in dieser Nähe die Witterung der Menschen empfangen haben.

Der Augenblick war gekommen.

Mit dem Rufe: » Adelante Sennor!« sprang der Baske, der schon während der Finsternis seinen Küraß angelegt hatte, aus seinem Versteck und bis etwa drei Ellen weit vor das Tier, das anfangs sich erschrocken umwenden und flüchten wollte, dann aber sich schnaubend und brummend auf die Hinterbeine erhob und Miene machte, in dieser Stellung auf seinen Feind loszugehen.

Armand de la Houdinière hatte fast zugleich mit dem Landmann sein Versteck verlassen und sich im Rücken der Bärin aufgestellt. Er hatte mit Gewalt seine nervöse Erregung abgeworfen und stand entschlossen da. Die Anwesenheit der Gefahr hat immer für den mutigen Mann etwas Stärkendes, das die Besorgnis und Angst vergessen macht. Eines der Jungen, das den bittersten Feind seines Geschlechts, den Menschen, noch nicht hatte kennen und fürchten gelernt, war sofort zu ihm getrottet und versuchte, sich an seinen Beinen zu reiben, als ein kräftiger Fußtritt des Offiziers es weit fort zur Seite schleuderte, wobei er ein klägliches Geschrei erhob.

Die Bärin wendete zornig den Kopf, um zu sehen, wer sich an ihren Jungen vergreife.

Dieser Augenblick war verhängnisvoll in doppelter Beziehung.

Der junge Baske, getreu seinem Versprechen, stürzte sich ungestüm auf seinen Feind, unterlief das stehende Raubtier und umfaßte es, den von dem Küraß geschützten Kopf zur Seite gebeugt, unterhalb der Vorderpranken.

Der Franzose, – als er das grün funkelnde Auge der Bärin – einer der größten ihrer Art – auf sich gerichtet sah und den heißen Dampf, der ihrem Rachen entströmte, fast sein Gesicht berühren fühlte, – wich entsetzt einen Schritt zurück.

» Adelante Sennor!« Der wackere Landmann, zu dem die Bestie sich bei dem direkten Angriff sofort zurückkehrte, und dessen geschützten Oberkörper sie mit Prankenschlägen und wütenden Bissen zu bearbeiten begann, drängte Schritt um Schritt das Ungestüm nach der Seite, wo der Baum stand und die Felswand niederfiel zum Abgrund.

» Auxilo Sennor!«

Ein kalter Schweiß lag auf der Stirn Armands, er wollte vorwärts springen, und seine Knie versagten den Dienst. Er wollte, den Arm mit der Reata erheben, – und sein Arm sank kraftlos nieder.

Der Baske, der von alledem nichts sehen konnte, fühlte doch seine Kräfte weichen, seine Brust zusammengepreßt unter der furchtbaren Umarmung des Raubtiers.

» Madonna santissima, Sennor Frances – beeilen Sie sich – die Schlinge um den Hals des Bären – ich halte ihn! – Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Der letzte Schrei gellte laut durch die Nacht.

Der Offizier empfand das Entsetzliche, Gefährliche seines Schreckens. Er suchte mit Gewalt sich zu ermannen es gelang ihm, sich den ringenden Gegnern zu nähern, ja einen Versuch zu machen, die Schlinge zu erheben, – aber als seine Hand das zottige Haupt des durch den Kampf und das klägliche Geschrei seiner Jungen wütend gemachten Tiers berührte, und der gewaltige Rachen mit den weißen Zähnen nach ihm schnappte, wich er abermals zurück.

Tomaso, der mutige wackere Tomaso rief keuchend um Beistand. » Sennor Frances! – bei der Liebe Gottes! Schnell! schnell!«

Es war kein Ruf mehr, es war ein Aufschrei, in dem die Angst sich zu zeigen begann!

Dann, als er endlich merkte, daß es seinem Gefährten nicht gelang, das Tier zu fesseln, wie sie verabredet hatten, daß er sich auf sich selbst verlassen müsse, ließ er mit der Rechten das Rückenhaar der Bestie fahren und griff nach der Navaja im Gürtel, um sie selbst der Bärin ins Herz zu stoßen.

Die Navaja war fort – er hatte sie dem Franzosen gegeben.

»Das Messer, Sennor! Das Messer!« heulte er. »Verfluchter Gavaccho – willst du mich töten lassen? Zu Hilfe!«

Der Ruf war ein halbersticktes Brüllen, begleitet von dem wilden Schnauben des Tiers.

Armand de la Houdinière hatte nie einen entsetzlicheren Augenblick erlebt. Der Donner der russischen und österreichischen Feuerschlünde, der erbittertste Kampf der Menschen bei dem Sturm auf den Mamelon, an der Brücke von Magenta, hatte ihn nicht feig gesehen, sondern zum tapfern Vordringen gereizt, und hier, wo seine Ehre hundertmal mehr verpfändet war, wo er allein helfen konnte und mußte, während dort tausend wackere Kameraden um ihn her jedes Schwanken gefahrlos machten, – zögerte er, wie von einer entnervenden Macht berührt – sein Blick verschleierte sich, die dunklen Gestalten der Ringenden verdoppelten sich vor seinen Augen und tanzten hin und her, eine tödliche Kälte schien sich bis auf das Mark seiner Knochen zu legen, seine Sinne begannen sich zu verwirren, und er stimmte willenlos in das Geschrei des Unglücklichen ein:

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Dann hörte er eine entsetzliche Verwünschung, – ein schreckliches Wort:

» Cobarde!«

Der verlassene Mann hatte seine letzte Kraft zusammengerafft – er faßte den Bären und stieß ihn zurück, daß die Bestie sich brüllend überschlug. Aber er selbst taumelte von der gewaltigen Anstrengung; zwischen seinen Füßen bewegte sich das Junge der Bärin, das ängstlich zur Mutter gekrochen war, als wolle und könne es ihr Hilfe leisten – er griff in die Luft – unter ihm wich der Fels, öffnete sich der Raum – » Maria santissima!« – ein gellender Schrei – –

Armand war allein auf dem Plateau mit der Bestie, die sich schnaubend wieder emporrichtete – während aus der Tiefe ein mehrfaches entsetzliches, zermalmendes Aufschlagen heraufklang.

Aber nein – nicht allein! – aus dem Schatten blitzte ein feuriges Auge – über die Felswand hob sich eine dunkle Gestalt und schwang sich behend auf den Kampfplatz. Gott im Himmel Dank – so ist das Unglück nicht geschehen! – Wie ein schwerer Zauber löste es sich von den Gliedern des jungen Offiziers, er ließ den Strick, den noch immer seine Hand hielt, fallen, griff nach der nutzlosen Navaja in seinem Gürtel und wollte vorwärts stürzen.

Aber eine andere Hand kam ihm zuvor. Wie eine lange dünne Schlange flog und ringelte es sich durch die Luft – eine Schlinge, die von sicherer Hand geworfen, um den Kopf und die eine Pranke des jetzt wieder aufgerichteten Tieres fiel. Im nächsten Augenblick war es zu Boden gerissen und wehrte sich keuchend und beißend vergeblich gegen die Ringe, die es fester und fester zusammenschnürten unter der sicheren Hand des Jägers, der es furchtlos umkreiste, bis es kein Glied mehr rühren konnte, als den heiser schnaubenden, Dampf und Schaum prustenden Kopf.

Neben der besiegten Bärin krochen winselnd die beiden Jungen umher.

»Gott sei Dank, Tomaso, daß Sie gerettet sind!« stammelte der Offizier.

»Tomaso, Monsieur le Marquis,« sagte kalt und streng eine fremde Stimme, »liegt wahrscheinlich unten zerschmettert auf dem Boden der Schlucht, wenn ihn nicht etwa eine Schutzheilige auf ihrem Mantel hinabgetragen hat. Jedenfalls wird er die Felsenkanten für ein härteres Brautbett halten, als die Arme der schönen Ines. Es tut mir leid um des braven Burschen willen, daß ich eine Minute zu spät gekommen bin! Aber bei Gott, ich konnte nicht rascher empor klimmen!«

»Don Juan!«

Der Schrei klang fast gräßlicher, als vorhin der Ruf der Todesangst von dem unglücklichen Jäger. Das Haar sträubte sich, mit halbwahnsinnigem Ausdruck starrten die Augen des Offiziers auf seinen Feind; denn es war wirklich der Graf von Lerida, der in so kecker und gewandter Weise das getan, was sein Zaudern, sein Mangel an Entschlossenheit zum Unglück des jungen Basken zu tun ihn verhindert hatten.

Armand de la Houdinière begriff ganz das Maß seiner Schmach und mit einem gurgelnden Laut stürzte er ohnmächtig zu Boden.

Als der Marquis wieder zu sich kam, fand er Don Juan neben sich knien, bemüht, seine Schläfe und Stirn mit dem kalten Wasser einer in der Nähe rieselnden Gebirgsrinne zu befeuchten. Der unglückliche Offizier brauchte einige Augenblicke, seine Gedanken zu sammeln, dann als seine Augen auf die sich am Boden krümmende Gestalt des gefesselten Bären fielen, schoß wie ein glühender Strom die Erinnerung der ganzen schmachvollen und traurigen Szene durch sein Gehirn und mit dem Wehruf: »Tomaso! Tomaso!« raffte er sich empor und sprang nach dem verhängnisvollen Abgrund, um, sich ihm nachzustürzen.

Aber die starke Hand des Abenteurers hielt ihn mit eiserner Gewalt zurück.

»Halt, Marquis,« sagte der Anglo-Spanier mit gebieterischen: Ton, – »keine neue Torheit! Erinnern Sie sich, daß von diesem Augenblick an Ihr Leben mir gehört! – Tomaso ist wahrscheinlich tot und das Unglück nicht zu ändern, wenigstens konnte ich keinen Laut mehr hören, als ich mich eben an jenem Baumstumpf über die Tiefe der Schlucht beugte. Es ist ein Jägerunglück, nichts mehr und nichts weniger!«

»Aber ich habe ihn gemordet! ich bin schuld an seinem Tode! – ich bin ein Elender, der nicht den Mut hatte, ihm zu Hilfe zu kommen! ich beschwöre Sie Mylord, hindern Sie mich nicht an der einzigen Genugtuung, die ich ihm geben kann, indem ich ihm folge, und meine Feigheit mit dem Leben sühne!«

»Herr de la Houdinière,« sagte der Abenteurer sanft, »Sie verleumden sich selbst. Der Tapfere, der den Bajonetten und Kugeln der Russen und Österreicher mutig getrotzt, kann wohl von einer seiner Individualität und seinen Sitten widerstrebenden Gefahr zurückbeben. Zitterte doch ein Cäsar vor dem Anblick einer Maus, und Bayard, Ihr Landsmann, erbebte vor der Nähe einer Spinne. Ich war zeitig genug auf dem Platz, um zu sehen, daß der unglückliche Mann nicht von dem Bären in den Abgrund gestoßen wurde, sondern daß er sich bereits frei gemacht von dem Untier, als er über die kleine Bestie strauchelte und fiel. Ah – bien! – Das erinnert mich an die Sühne und daß einer der kleinen Unholde hier zu viel ist, da ich ohnehin nur noch einen Strick finde, um den andern zu knebeln!«

Und mit einer Ruhe, als habe es sich nicht um Tod und Leben, sondern um den Ausgang einer Hasenjagd gehandelt, ging er zu der Bärin, ergriff eines der noch immer nicht von ihrer Mutter weichenden Jungen trotz seines Sträubens und Beißen beim Fell und schleuderte es über die Felswand. Dann warf er das andere nieder, band es wie die Mutter zusammen und verwandte den Rest der Reata des unglücklichen Landmanns dazu, der Bärin eine Art von Maulkorb zu machen und sie noch unbeweglicher zusammenzuschnüren.


Während dieser Zeit – die kaum fünf Minuten währte, – blieb der junge Offizier, das Gesicht in die Hände verborgen, auf dem Stein sitzen, auf den er sich niedergeworfen.

Der Abenteurer trat auf ihn zu.

»Jetzt – nachdem wir die Beweise Ihres Sieges gesichert – lassen Sie uns gehen, um zu sehen, ob noch etwas für den armen Burschen getan werden kann. Kommen Sie!«

Mechanisch erhob sich der Marquis – er hatte kaum die ersten Worte gehört, jedenfalls sie nicht verstanden; denn sein Geist befand sich noch immer in einem verwirrten, schrecklichen Zustand infolge der Selbstvorwürfe, die er sich machte. Nur der Gedanke, Tomaso durch einen glücklichen Zufall noch am Leben zu finden, ihn noch retten zu können, beherrschte ihn jetzt. Seine Scham jedoch hinderte ihn, dies auszusprechen, ja überhaupt den Grafen anzureden, und er begnügte sich, diesem mit fieberhafter Eile zu folgen.

Als der Graf das Plateau verließ, sah er im Mondlicht die Büchse des Offiziers und nahm sie mit sich. Der helle Mondschein machte es ihnen möglich, ihren Weg rasch fortzusetzen. Don Juan, obschon er dieses Berglabyrinth noch niemals betreten, schien einen instinktartigen, wunderbaren Ortssinn zu besitzen, denn ohne sich auch nur um einen Schritt zu irren, fand er den kürzesten Rückweg, und es war kaum eine Viertelstunde verflossen, als die beiden Männer am Eingang der Schlucht standen, in der er mit dem Prinzen seinen Posten getauscht hatte.

Der Mond stand jetzt hoch genug, uni mit seinem bleichen Schein bis auf den Grund der Schlucht zu reichen.

Don Juan ging voran. Willenlos folgte ihm der Franzose.

Sie hatten etwa hundert Schritte vorwärts getan, als sie zwei dunkle Körper dicht beieinander liegen sahen – der kleinere regte sich noch und wimmerte, – der größere lag regungslos und stumm.

Erschauernd blieb der Offizier stehen, während sich Don Juan rasch der Stelle näherte und neben dem größeren Schatten niederkniete. Es war der Körper des unglücklichen Bräutigams.

Er untersuchte ihn sorgfältig, hob die Glieder, den Kopf empor – vergeblich, der Körper war noch warm, aber das Leben längst entflohen.

Dann erhob sich der Graf und kam zu seinem Begleiter zurück.

»Es ist, wie ich fürchtete,« sagte er, mit seinem Blick die Höhe messend, die er vorhin in wenig Minuten erklommen hatte, »er ist tot. Der Hirnschädel ist gespalten und beide Beine und Arme sind gebrochen. So ist der augenblickliche Tod denn eine Wohltat für ihn gewesen, und Sennor Castillos, mein alter Freund, muß einen anderen Eidam suchen!«

»Entsetzlich!«

» Que faire! Das Leben ist, wie Sie sich überzeugt haben werden, Monsieur, eine sehr unsichere Sache selbst zu andern Stunden, als denen der Schlacht oder eines Duells nach ihrer Sitte. Erkennen Sie an, daß ich das unsere mannhaft ausgefochten habe und Sieger geblieben bin?«

»Töten Sie mich! Ich bitte Sie darum!«

»Nein!« sagte der Abenteurer mit harter Stimme. »Ihr Leben gehört mir, aber wohl verstanden, Herr Marquis, Ihr Leben, nicht Ihr Tod. Sie wissen, daß ich mich anheischig machte, wenn Sie den Sieg davon trügen, fünf Jahre lang der Sklave Ihres Willens zu sein. Das Glück – ich achte den Edelmann, den Soldaten von Sebastopol und Solferino zu sehr in Ihnen, um einen anderen Ausdruck zu brauchen, – das Glück hat gegen Sie entschieden! Ich fordere mein Recht!«

»Töten Sie mich!«

»Daß ich ein Narr wäre, denn ich brauche Ihr Leben! Ihr Ehrenwort, Herr Marquis, daß Sie keinen törichten Versuch machen werden, eine Schwäche durch eine Torheit auszulöschen. Ihr Ehrenwort, daß Sie nicht Hand an sich legen!«

»Es gehört Ihnen, Mylord, auf fünf Jahre,« fügte der Offizier mit dumpfer Resignation. »Aber Sie sind unbarmherzig und verdammen mich zu einem schrecklichen Dasein!«

»Etwas ruhigere Überlegung wird Sie anders denken lassen, Monsieur! Glauben Sie mir, das Leben ist zu schön, als daß man es ohne Not und Ziel fortwerfen sollte, wie ein Schulknabe das Buch, weil die Lektion ihm einmal mißlungen. Ich sage Ihnen offen, daß ich Ihr Leben brauche, wozu, weiß ich noch nicht! Vielleicht nur, um einen zuverlässigen Freund und Führer in den Salons von Paris zu finden – vielleicht zu anderen Dingen! Ich kenne die Zukunft nicht und will ihr nicht vorgreifen. Lassen Sie uns vergessen, was geschehen ist zwischen uns, und Freunde sein!«

Er reichte ihm die Hand.

Der Marquis legte die seine auf den Rücken. »Nein,« sagte er finster – »ich bin Ihr Sklave, aber nicht Ihr Freund. Befehlen Sie, Mylord, und ich werde jedes Ihrer Worte streng erfüllen, aber hüten Sie sich, die Kenntnis einer schwachen Stunde und die Gewalt über mich zu ehrlosen Diensten zu mißbrauchen, denn ich würde Rechenschaft dafür fordern, wenn die Zeit meines Sklavendienstes zu Ende ist, eine Rechenschaft, der Sie sich nicht wieder entziehen können, und bei der mein Fuß nicht zurückweichen, nicht Geist sich nicht verwirren würde, wie vor dem erstickenden Atem der wilden Bestie.«

»Ich wiederhole Ihnen,« erwiderte der andere nachlässig und stolz, »Sie handeln wie ein Tor, meine Freundschaft zurückzuweisen. Doch sei es denn, wie Sie wollen! Sie gehören in den nächsten fünf Jahren mir. So ersuche ich Sie denn, folgendes zu tun.«

»Befehlen Sie!«

»Die Zeit kann kommen, wo ich befehlen werde, jetzt bitte ich! Zunächst darf niemand den wahren Hergang erfahren – ja nicht einmal meine Anwesenheit auf jenem Felsen. Haben Sie mich gehört?«

Der Marquis wies statt der Antwort nach dem Toten. »Sie werden mich sogleich verstehen. Er ist allerdings, gegen den Willen unseres Gastfreundes, Ihr Begleiter gewesen, um Ihnen zu helfen, unsere Wette auszuführen, und mit seinem Beistand ist es Ihnen gelungen, verstehen Sie mich wohl, ist es Ihnen gelungen, die Bärin zu sangen und zu fesseln.«

»Sie mißbrauchen Ihre Gewalt über mich, Mylord, Sie zwingen mich zu einer Lüge, die mir meine Schmach doppelt schwer macht!«

»Ich zwinge Sie zu weiter nichts, als zu einer Erklärung des unglücklichen Ereignisses und zur Verschweigung meines Anteils daran. Ich denke, ich bin doch wohl Herr meiner Taten! – Meinetwegen geben Sie dem armen Burschen den Ruhm des größten Anteils und schreiben ihm das Verdienst des Sieges zu – das kümmert mich wenig. Aber mein Anteil daran muß hier verschwiegen bleiben, hören Sie wohl, er muß es.«

»Es wird geschehen!«

»Ich habe mit dem Prinzen Bonaparte in dieser Schlucht den Posten getauscht. Ich werde ihn benachrichtigen, daß auf dem Ihren ein Unglück geschehen ist, indem Ihr Begleiter bei dem Haschen nach dem zweiten jungen Bären ausgeglitten und die Felswand herabgestürzt ist, und werde Leute senden, den armen Burschen nach Hause zu schaffen. Bis dahin müssen Sie freilich hier die Wache halten.«

»Bei dem verstümmelten Leichnam?« sagte der Offizier schaudernd.

»Sie sind Soldat und mit dem Anblick der Schlachtfelder bekannt, wo es der Verstümmelungen hundertmal schlimmere gibt. Ich kann Ihnen diese Wache nicht ersparen. Indes mögen Sie eine Viertelstunde, nachdem ich mich entfernt habe, Ihre Büchse abfeuern und mit der Jagdpfeife, die Castillos an alle verteilt hat, das Signal geben, daß Sie Beistand nötig haben. Nicht weit von hier müssen ein paar andere der Jagdgäste stehen, wenn ich nicht irre, der spanische Oberst oder mein Landsmann, Kapitän Welmore. Noch eins! – Der Unglückliche dort darf nicht das Zeugnis der Art Ihres Kampfes an sich tragen. Wollen Sie mir helfen?«

Der Marquis machte eine abwehrende Bewegung.

» Bien! So will ich die Sache allein besorgen.« Er ging zu dem toten Körper zurück, zerschnitt die Bänder, die noch den Strohküraß an dem zerschmetterten Leibe befestigten und nahm jene mit sich.

»So,« sagte er, »dies Zeichen will ich unterwegs in eine der tiefsten Klüfte werfen, die noch nie eines Menschen Fuß betreten hat, und somit, Marquis de la Houdinière, wird es nur an Ihnen liegen, wenn jemand erfährt, warum jener Mann heute nacht seinen Tod gefunden hat. Auf Wiedersehen in der Casa Castilla, die ich noch diesen Morgen verlasse.«

Mit einem leichten Gruß verließ der Graf den Platz. Der Ordonanzoffizier des Kaisers blieb zurück.

Einen Augenblick faßte er krampfhaft die Büchse und der Gedanke, seinen Feind, jetzt seinen Herrn, zu töten, durchzuckte seinen Geist. Er dachte an Therese Legroni, das italienische Mädchen, von dem der übermütige Abenteurer selbst erzählt, wie sie mit einer Kugel die schwere Beleidigung zu rächen und ihr Geheimnis zu wahren versucht hatte; aber im nächsten Moment schon verwarf er den Gedanken und erinnerte sich, daß es ein feiger Mord sein würde, schlimmer als der an dem armen Tomaso.

Er wagte es nicht, nach dem zerschmetterten Körper einen Blick zu werfen, er eilte nach dem Ausgang der Schlucht und schritt hier unruhig hin und her, das Nahen seiner Nachbarn erwartend, deren Beistand er nach der bestimmten Frist durch den Knall seiner Büchse und das verabredete Signal zu beschleunigen suchte. – – – –


Der Graf von Lerida gelangte in kaum zwanzig Minuten zu dem Ort, an dem der Prinz seinen Posten eingenommen hatte. Er fand jedoch zuerst nur den Jäger, der ihm bedeutete, daß sein Gebieter weiter vor zu einer Stelle gegangen war, wo man in einer Öffnung die Eiche von Guipuzcoa sehen konnte.

In der Tat fand er dort den Prinzen auf einem Felsblock sitzend, das Gewehr auf den Knien und mit Eifer das seltsame Schauspiel beobachtend, das sich wenigstens seinen Augen bot, indem er darüber ganz den Zweck vergessen zu haben schien, der ihn in das Gebirge geführt hatte.

Don Juan berührte leicht seine Schulter.

»Ah – parbleu! Sie sind es, Mylord? Sind Sie des Wartens auf Ihre Bären und des einsamen Postens schon müde geworden und kommen Sie, um auch Ihren Teil an dem geheimnisvollen Schauspiel zu haben, dem Sie mich hier wie in einer Loge des ersten Ranges beiwohnen lassen, ohne daß ich – der Teufel soll mich holen – eigentlich recht weiß was es bedeuten soll, denn es sieht mehr aus wie eine Art Vehmgericht oder eine Verschwörung, denn wie eine Zusammenkunft munterer Jäger!«

Er wies mit der Hand nach der Gegend der Eiche, wo sich allerdings ein seltsames Schauspiel bot.

Mit dem hellen Licht des Mondes mischte sich gespensterhaft der Schein von zwei oder drei in der Nähe der alten Eiche angezündeten Feuern. In dieser gekreuzten Beleuchtung bewegte sich um den mächtigen Baum eine Menge dunkler Gestalten, oder umgab ihn vielmehr in einem Kreise, während einzelne Männer in der Mitte unter den Bäumen standen und, nach ihren Bewegungen zu schließen, von hier aus den Kreis umher anzureden schienen. Die Entfernung war freilich zu groß, als daß auch nur ein Laut hätte bis zu den beiden Lauschern dringen können, aber aus den lebhaften Geberden sah man, daß von wichtigen Dingen die Rede sein mußte, und der Prinz hatte durch seinen Feldstecher erkannt, daß unter den Rednern sich wiederholt sein alter Freund, der Bärenjäger, befand, sowie, daß vor dem Feuer, das unter der Eiche brannte, drei bloße Schwerter kreuzweis in den Boden gestellt waren.

»Gestehen Sie,« sagte der Prinz, »sieht die Sache nicht aus wie eine Verschwörung? Ich habe Castillos deutlich erkannt, und es sollte mir leid tun, wenn er noch so töricht wäre, sich in seinem Alter mit solchen Dingen abzugeben. Aber wer ist der andere, der soeben spricht? Er ist voll Feuer und Leben und scheint eine Person von Bedeutung, denn alle beweisen ihm große Ehrerbietung.«

»Es ist Don Felix Solano, der Bischof von Taragona, Prinz,« erwiderte der Graf. »Ein Mann, mehr Soldat als Priester, etwa wie vor 50 Jahren der Kardinal Ruffo.«

»Ei, und er konspiriert anscheinend, wie dieser für die Bourbons!«

»Da Euer kaiserliche Hoheit nur französischer und italienischer Republikaner sind,« sagte der Graf etwas spöttisch, »so kann es Ihnen wohl gleich sein, wer auf dem Thron von Spanien sitzt. Übrigens werden Sie sich sogleich selbst davon überzeugen können, wenn Sie die Junta – denn was Sie dort sehen, ist eine der alten, durch die Fueros meiner Nation zustehenden Volksversammlungen, – in der Nähe betrachten.«

»Bah, ich werde mich wohl hüten, meinen alten Freund Castillos zu stören!«

»Auch nicht, um ihm die Nachricht zu bringen, daß sein Eidam Tomaso verunglückt und seine Nichte Witwe ist, noch ehe sie zur Frau wurde?«

Der Prinz wandte sich erschrocken um. »Um Himmelswillen, Mylord, was sagen Sie da? Was ist geschehen? Wo ist der Marquis?«

»Unverletzt! Er ist bei dem Toten, bis Beistand herbeikommt. Der Kapitän de la Houdinière hat Glück gehabt, und ich bin geschlagen. Es ist ihm und seinem Assistenten Tomaso gelungen, einen Bären zu überwältigen und zu fesseln. Man wird sie auf dem Anstand finden, den ihm Castillos angewiesen hatte. Aber als der arme Tomaso auch noch eines der Jungen der Bärin fangen wollte, ist er mit diesem dem Abhang der Felswand zu nahe gekommen und in den Abgrund der Schlucht zu meinen Füßen niedergestürzt, indem er sich an dem Gestein den Kopf und die Glieder zerschmetterte. Sie sehen, Monseigneur, daß ich Ihnen ein sehr unangenehmes Schauspiel erspart habe.«

Der Prinz war sehr bestürzt. »Die arme, arme Frau!« rief er voll Teilnahme. »Und der Mann ist tot?«

»Es wäre ein Wunder, wenn er einen Sturz von mehr als dreißig Meter überlebt hätte!«

»Mylord,« sagte der Prinz ernst und faßte den Arm des Grafen, »und Sie haben in der Tat nichts mit dieser unglücklichen Sache zu tun?«

»Wie sollte ich? Der Marquis wird es Ihnen bestätigen. Aber es ist unnötig, daß Sennor Castillos überhaupt erfährt, daß wir unsern Posten gewechselt hatten, und deshalb bin ich gekommen. Sie zu bitten, ihn von dem Unglück zu benachrichtigen, indes ich sofort nach der Casa eile, um durch den Priester die Frau vorbereiten zu lassen. Der Kapitän hat bereits versucht, seine andern Nachbarn zu alarmieren!«

»Aber darf ich es wagen, unsern Wirt in jener Versammlung aufzusuchen?«

» Caramba, für was wären Sie denn kaiserlicher Prinz, denen ist vieles gestattet, was wir andern nicht tun dürfen. Doch hat man, glaube ich, Posten ausgestellt, und die könnten Sie allerdings hindern, bis zu Castillos zu dringen. Für diesen Fall will ich Ihnen, da ich doch Ihr Versprechen des Schweigens schon habe, das Paßwort sagen.«

»Tun Sie es immerhin!«

»Nun denn – es heißt: Triest!«

»Ah – ich begreife, – jetzt der Sitz der spanischen Bourbons. Teufel – ich sehe schon, wenn mein Herr Vetter in Paris eine Ahnung davon hatte, er würde verteufelt die Ohren spitzen!«

»Und ich will noch keineswegs dafür bürgen,« sagte der Abenteurer, »daß sie nicht bis hierher hören. Es gibt keine Konspiration, in der sich nicht Verräter fänden. – Aber lassen Sie uns beide unsere traurige Aufgabe erfüllen, damit der arme Marquis von seiner unangenehmen Wache erlöst wird. Auf Wiedersehen, mein Prinz!«

Ehe dieser noch weitere Einwendungen machen konnte, war Don Juan verschwunden.

Es war dem Prinzen zwar sehr unlieb, der Überbringer einer so unglücklichen Nachricht zu sein, indes fühlte er zu warme Freundschaft für den Bärenjäger, um nicht die Sache als eine Pflicht zu betrachten. Überdies bedachte er, daß der Vorfall nicht verfehlen könne, auf der ganzen Postenkette der Jäger Alarm zu machen, und daß dadurch leicht Personen herbeigezogen werden könnten, für deren Augen die Junta um die Eiche von Guipuzcoa noch weniger bestimmt wäre, als für die seinen.

So befahl er denn seinem Jäger, einstweilen seinen Posten einzunehmen, und machte sich, nachdem er sich gehörig über die Richtung orientiert hatte, auf den Weg, um seinen Gastfreund aufzusuchen.

Die Wanderung in der Nacht durch das öde, wilde Gebirge war gerade keine angenehme und der Prinz brachte mehr als eine halbe Stunde dabei zu, ehe es ihm gelang, das Plateau der Eiche wieder zu Gesicht zu bekommen und sich ihm zu nähern, Er hatte jedoch kaum einen zu der Höhe führenden Fußweg betreten, als ihm der Ruf Alto! entgegenscholl und er im Mondlicht einen Flintenlauf blitzen sah, der sich über ein Felsstück hinweg gegen ihn richtete.

»Was wollt Ihr? Wer seid Ihr? Gebt das Paßwort oder ich schicke Euch eine Kugel durch den Kopf!«

»Ich muß Senor Castillos sprechen,« entgegnete der Prinz. »Hier ist das Wort: Triest!«

» Muy bien! Passiert weiter!«

Prinz schritt an dem Posten vorbei, einem Landmann, der mit Flinte und Messer bewaffnet war und ihn mißtrauisch anblickte. Der Anruf wiederholte sich noch einmal, dann näherte er sich dem dichten Kreise von Männern, der den Baum umgab.

Nun zeigte sich ihm ganz das Schauspiel.

Vor der Eiche standen drei Männer, die er vorher bemerkt hatte, einer war der Bärenjäger Ramiro, der zweite der Bischof von Tarragona, der dritte ein Greis von 70 Jahren in einfacher, ländlicher Tracht mit der Chapela dem baskischen Barett, die Faja, die spanische Leibbinde um den Leib geschlungen. Trotz dieser einfachen Kleidung lag etwas in seinem Wesen, das den ehemaligen Soldaten und den Mann bekundete, der gewohnt gewesen sein mußte, zu befehlen.

Eine dicht gedrängte Menge horchte den Worten die eben der Bischof an sie richtete.

Der Prinz wollte es nicht wagen, den Kreis gewaltsam zu durchbrechen, auch fesselte ihn die Neugier. Denn obschon der Redner in der baskischen Sprache die Versammelten anredete, die von der spanischen sich sehr bedeutend unterscheidet, konnte er doch einzelne Worte verstehen, und der Ausdruck, die feurige, begeisterte Miene, sowie die erregten Gebärden, mit denen der Prälat sprach, ersetzten ihm das Wortverständnis.

»Escalduni, Männer von reinem Blut,« sagte er, »sollen wir noch länger zusehen, wie der Staat des Verräters Maroto General Maroto versuchte Don Carlos gefangen zu nehmen und schloß dann den Vertrag von Bergara. ein Volk um seine Rechte kürzt, die unsern Vätern vor Jahrhunderten verbrieft waren und die keiner der rechtmäßigen Könige anzutasten gewagt hat? Wo sind eure Fueros, die verboten, daß ein Soldat oder Zollbeamter seinen Fuß über eure Grenzen setzte, während jetzt der Verräter in jedes Haus dringt! Wo sind die Harmandadas Die baskische Bezirkseinteilung in Alava. von Alava, die Alcaldias von Biscaya, wo eure freien Juntas unter der heiligen Eiche von Guernia, die Juntas von Vittoria, Ospetia und Ascoitia, die den Deputado-General wählten, der euch vor Lasten und Forderungen zu schützen verstand! Aus dem Senor de Biscaya Der Titel, den die Basken dem König von Spanien gaben. ist eine Königin geworden, die eure Rechte mit Füßen tritt und mit feigen Höflingen und Weibern den Schweiß eurer Arbeit vergeudet. Während in alten Zeiten kein königlicher Scherge, den nicht die Junta gewählt, den Fuß über eure freien Grenzen zu setzen wagte, ohne vogelfrei der Hand jedes freien Mannes verfallen zu sein, ist das Land jetzt mit diesen Blutsaugern überschwemmt. Handel und Wohlstand sind untergraben. Mit einer Hand beraubt man die Kirche ihrer Güter, und mit der andern füttert man gierige Mönche und vom Teufel besessene Betrügerinnen, die das klösterliche Gewand schänden. Mit welchem Recht sitzt jenes Weib auf dem Thron, den ihre wollüstige Mutter von der Schwäche Ferdinands erschwindelt. Wissen wir nicht alle, daß er auf dem Totenbett diesen Akt der Ungerechtigkeit und Intrige, die pragmatische Sanktion, widerrufen hat, die den rechtmäßigen Erben vom Thron ausschloß, König Karl, für dessen Rechte die meisten von euch ihr Blut vergossen haben? Schon einmal hat das baskische Volk den Kampf für den legitimen Thron aufgenommen gegen Willkür und Verrat. Gott wollte es nicht, daß wir siegten, denn jene beiden Nationen, von denen Spanien stets das Unheil gekommen und der Verrat, England und Frankreich, sie, die zuerst die Legitimität der Throne in Europa erschütterten und das Beispiel des Königsmordes gaben, sie traten auch hier auf die Seite der Ungerechtigkeit und überfluteten das Baskenland mit dem Auswurf ihrer Armeen. Die Fahne des Rechts sank, der Vertrag von Bergara hat das vergossene Blut nutzlos gemacht, und unser König ist in der Verbannung gestorben.

Ist es besser geworden mit uns? Der Molch hat den Molch geboren! Auf die schamlose Christine, die Zucht und Ehre mit Füßen trat, sich in die Arme der Feinde warf, die Schätze Spaniens in das Ausland schleppte und um eines Munoz willen vom Thron Karls V. zum Bett eines Gardisten hinabstieg, folgte die würdige Tochter, verderbt durch den Frevel der Mutter, schon als Kind in den Händen der Parteien, das Weib eines Schwächlings und die Maitresse eines Küchenjungen, nicht voll Glauben, sondern voll des obszönen Aberglaubens, ein Spielwerk der Parteien, die das Land ruinieren und das Reich, in dem einst die Sonne nicht unterging, zum Spott gemacht haben. Wo sind eure reichen Kolonien, ihr Indianos, die eure Väter über dem Meere gewannen? Wo sind die Eroberungen eines Columbus und Pizarro? Die Inglese haben euren Handel vernichtet und die Gavacchos eure Kirchen geplündert. Selbst das Amt des Schützers der heiligen katholischen Kirche hat uns der Franzose genommen, und das stolze Spanien ist ausgestoßen aus der Reihe der großen Nationen.«

Ein Schrei der Wut war die Antwort der wilden Männer.

»Und wollen wir die Gelegenheit vorübergehen lassen,« fuhr der Redner fort, »die Europa uns jetzt bietet? Isabella ist dem Volke aufs tiefste verhaßt, überall regt sich der Aufstand. Englands Macht ist gelähmt durch seine Kriege in Rußland, Frankreich ist bewacht von der Eifersucht der Nationen und darf keine neue Invasion wagen. In Italien läßt ein Bourbone die Fahne der Legitimität von den Wällen Capuas wehen und fesselt die Macht Sardiniens an die Stätte. Waffen lagern an der Küste – der Sohn unseres rechtmäßigen Königs, jetzt unser König, ist schon bereit, mit seinen Brüdern sich an die Spitze zu stellen, sobald wir ihn rufen. Cabrera, der Löwe von Tortosa, hat sich bereit erklärt, an die Spitze der Armee zu treten. Nur eines festen Entschlusses, nur eines Rufes an seinen König bedarf es, der usurpierte Thron stürzt zusammen, und Spanien feiert seine Auferstehung!«

Der Enthusiasmus, den die Rede erregte, war um so bedeutungsvoller, als der Ausdruck der Aufregung wenig in dem Charakter des baskischen Volkes liegt. Viele Männer drängten in den Kreis, schlugen die Waffen zusammen, küßten dem Prälaten Hand und Kleid und verlangten, daß der Tag karlistischen Erhebung bestimmt werde. Andere zauderten jedoch und sprachen dagegen.

Diese Bewegung benutzte der ehrgeizige und kühne Prälat, das Eisen zu schmieden, da es heiß war. Sofort wurde ein Baumklotz vor das Feuer gerollt und aufgestellt. Man breitete Papier darauf aus, brachte Tinte und Feder zum Vorschein und er forderte die Angesehensten der vier Provinzen auf, die Einladung an den Grafen Montemolin und seine Brüder, sich an die Spitze eines nochmaligen Aufstandes zu stellen.

Plötzlich ließ sich in der Menge der Ruf hören: »Laßt den Padre Cura sprechen! Laßt den Bruder des Ohm Ti reden!«

Die Menge öffnete sich, und auf einen Stock gestützt schritt, von zwei Mutils Bauernburschen. geführt, ein alter Priester zu dem Baum.

Es war in der Tat der Bruder des großen baskischen Helden Zumala-Carregui, der vom ganzen Lande hochverehrte Pfarrer von Ormastegni, dem Geburtsort des Generals.

Der Pfarrer, der infolge eines Fußleidens nur mit Mühe ging, sonst aber noch ein lebhafter, alter Mann war, schüttelte die langen, weißen Haare aus dem Gesicht und ließ seine noch feurigen Augen über die Menge gleiten. Jedermann wußte, welchen Anteil er an der Erhebung von 1833 genommen, und wie er die Kanzel dazu benutzt hatte, die Begeisterung zu schüren. Sein Wort mußte daher von großem Einfluß sein, und der Prälat, der darauf hoffte, sah mit Erstaunen, daß Castillos eine unwillige Bewegung machte und die Achseln zuckte, als wisse er besser, was kommen werde.

Der alte Cura oder Pfarrer hatte jetzt den Platz am Feuer erreicht, wo er von den Führern der Versammlung mit einer gewissen Ehrfurcht begrüßt wurde. Der Name Zumala-Carreguy übte noch immer seinen Zauber auf jeden Basken.

Der Bischof trat dem Greis entgegen mit der Feder in der Hand und wollte sie ihm reichen.

»Würdiger und verehrter Bruder in Christo,« sagte er, »es wird gewiß unserer heiligen und gerechten Sache von größtem Nutzen sein, wenn ein Name an der Spitze dieses Blattes steht, von dem jedermann in Spanien, ja, in der Welt, weiß, daß er dem treuesten Kämpfer für den rechtmäßigen Thron gehört.«

»Wollen Sie, Senor obispo,« sagte der alte Mann, »bevor ich die Ehre annehmen kann, die Sie mir erzeigen, mir gestatten, einige Worte zu sprechen?«

»Wir werden Sie alle mit Freuden hören!«

Der Pfarrer wandte sich, auf seinen Stab gestützt, an die lauschende Menge.

»Freunde! Landsleute! Escalduni!« sagte er mit kräftiger Stimme, die man kaum noch in dem alten, von Jahren, Leiden und Sorgen gebeugten Körper gesucht hätte. »Ich sehe manchen alten Freund in euren Reihen, mit dem mein Bruder und ich zusammen gestanden in dem großen Kampfe der baskischen Nation für den rechtmäßigen König Spaniens. Aber auch unter denen, die damals Knaben waren, als wir Männer kämpften und litten, ist wohl keiner, der einen meines Stammes der Feigheit und des Verrats an unserem Vaterland fähig halten wird.«

»Niemals! Niemals!« klang es stürmisch durch den Kreis.

»Nun denn, bei diesem Vertrauen, das ihr mir schenkt, bei der Liebe zum Vaterland, sage ich euch, opfert nicht leichtsinnig das Blut seiner besten Söhne einem Unternehmen, das keine Aussicht auf Erfolg hat, das ein Frevel gegen Gott und Menschen geworden ist!«

Ein atemloses Schweigen, eine schwere Erstarrung lag auf der ganzen Versammlung bei dieser unerwarteten Wendung der Rede. Der Bischof wollte dem Redner heftig ins Wort fallen, aber der Dritte, der alte Soldat, der bisher noch nicht gesprochen, faßte seinen Arm.

»Ruhig, Senor Obispo,« Bischof. sagte er, »der Cura hat vielleicht recht. Jedenfalls wollen wir ihn hören.«

»Männer des Baskenlandes!« fuhr der Greis unerschrocken fort. »Als wir im Jahre 1834 die Fahne des Aufstandes erhoben, da geschah es für den König, den man um sein Recht betrogen, für die Kirche, die man beraubte, für unsere verbrieften Rechte, die man uns genommen. Unsere heilige Pflicht war es, für diese unser Blut zu vergießen, und treu haben wir zu dem Monarchen gestanden, bis er selbst sich und uns verließ. Ich will nicht sprechen von den Leiden, die wir damals erduldeten, nicht bloß von dem Schwert der Gegner, sondern von dem Leichtsinn, der Torheit und dem Undank dessen, für den wir in erster Reihe unser Blut und Gut opferten. Ränkesüchtige und verdorbene Höflinge, tyrannische Priester, feile intrigante Weiber und jene Schar gieriger Ojalateros Faullenzer! Der Spottname, der damals der Camarilla erteilt wurde, die Don Carlos umgab und ihn beherrschte. waren es, die das Land regierten und den tapferen Soldaten darben ließen. Da zog Gott seine Hand ab von unserer Sache, und wir, die bisher gesiegt, wurden die Besiegten. Nicht der Verrat Marotos war es, der den Vertrag von Bergara schloß, sondern die Feigheit des Königs, der bei Elorio floh, die ihn erzwang.

Das Königtum hat nicht bloß Rechte, es hat auch Pflichten. Soll das Volk sich für den König opfern, so muß der König dessen würdig sein. Über den Königen steht das Vaterland! Fünfzig karlistische Führer haben bei Bergara, als der König seine eigene Sache verlassen, getan, was sie tun mußten, um das Land zu retten, und ich weiß, daß mein Bruder ebenso gehandelt hätte, wenn Gott ihm nicht die Schmach erspart. Das Baskenland bedarf der Ruhe, um jene Wunden zu heilen, die noch nicht geschlossen sind. Wollt ihr sie aufs neue aufreißen? Mit welchem Recht und für wen? Für Prinzen, die – es ist noch kein Jahr her – feig ihre Rechte abschworen und mit dem Blut ihrer Freunde ihre Rettung erkauften? Gott ist nicht mehr mit dem Königsgeschlecht Spaniens, Laster und Torheit sitzen auf dem Thron, Feigheit hat das Regiment! Wohlan, so laßt uns das von Gott als entartet bezeichnete Geschlecht aufgeben und allein an das Vaterland denken. Ich sage es euch, das Bourbonen-Geschlecht, das gegenwärtig den Thron entehrt, wird ihn ebenso verlieren, wie das, welches unfähig war, ihn zu wahren, auch ohne unser Zutun. Unsere Kraft, unser Blut gehört dem Vaterland, nicht einem entarteten Geschlecht. Nicht ich will meine Hand leihen zu einem unnützen, wortbrüchigen Kampf. Und wenn meine Warnung auch nur das Wort eines armen, unbedeutenden Priesters ist – dort« – er wies nach dem Dritten der Leiter, – »steht einer, an dessen Treue und Ehre und baskischem Herzen wohl noch niemand gezweifelt hat! Ihn, den alten Waffengefährten meines Bruders, fragt, fragt den General Bartolomeo Yturbe, Don Bartolomeo Yturbe war einer der populärsten, tüchtigsten und tapfersten Generäle des Don Carlos und lange Zeit General-Kommandant von Guipuzcoa. ob ich als ein Freund des Vaterlandes, oder als Verräter gesprochen habe!«

Die Aufregung, die Verwirrung, die diese unerwartete Warnung aus so geachtetem Munde hervorbrachte, war unbeschreiblich. Der Bischof war außer sich, um so mehr, als der General sich in strenges Schweigen hüllte, Er wollte dem alten Pfarrer Vorwürfe machen, aber dieser hatte sich sofort nach seiner Rede fortführen lassen und befand sich bereits wieder in dem Kreise seiner Anhänger, wohin Felicio ihn nicht zu verfolgen wagte. Er wandte sich daher zu Castillos und dem General, der schweigend und nachdenkend an dem Stamm der Eiche lehnte, hinter der der Prinz dem Auftritt beigewohnt hatte.

»Dieser verdammte alte Narr!« sagte der Bischof, und zwar in französischer Sprache, um nicht etwa von einem der Männer untergeordneten Ranges gehört zu werden, »dieser droht uns die ganze Sache zu verderben, nachdem die Begeisterung so im Zuge war. Wer zum Teufel lud ihn hierher?«

»Ich!« sagte der General.

»Unmöglich! Sie, Senor Generale, Sie, einer der tapfersten Heerführer des verstorbenen Königs? – oder Sie haben die Gesinnung dieses alten Verräters sicher nicht gekannt!«

»Sie irren, hochwürdigster Herr,« sagte der General. »Der Pfarrer Zumala-Carréguy ist kein Verräter an der guten Sache, dafür bürgt schon sein Name. Aber ich habe auch seine Gesinnung gekannt, und als ich Ihre Einladung zu dieser Junta erhielt, wünschte ich, daß Sie aus einem allgemein geachteten Munde offen jene Gesinnungen hören möchten, die gegenwärtig wohl der größte Teil meiner baskischen Landsleute hegt. Was der Cura von der heillosen Wirtschaft des Hofes gesagt, ist leider nur zu wahr, ja noch zu wenig. Niemand kann das besser wissen, als ich, da ich vielleicht der einzige war, der dem König die Wahrheit sagte, freilich ohne Erfolg. Es ist ein Geschlecht, das im Unglück nichts gelernt hat und nichts vergessen aus seinem Glück. Und was wollen Sie, Sennor Obispo? Der König ist seit fünf Jahren tot, der Graf von Montemolin und sein Bruder haben sich durch ihre Erklärung in Tortosa am 23. April für uns unmöglich gemacht.«

»Sie wissen wohl, daß diese von den beiden Gefangenen erzwungen und schon am 15. Juni von Köln aus durch den König zurückgenommen wurde!«

Der General lächelte verächtlich. »Die Feigheit und Ehrlosigkeit dieser Entsagung löscht kein Widerruf aus. Ihr eigener Neffe, der tapfere Ortega, starb für ihn, und der Graf von Montemolin hatte nicht einmal den Mut, es darauf ankommen zu lassen, ob seine Base Isabella es wagen würde, ihn zu töten. Carai! sein Blut wäre das eines Märtyrers gewesen und hätte alle Sünden seiner Familie gesühnt. Corpo de dios! Ich mag mit Leuten, wie Ihr Graf Montemolin, nichts zu schaffen haben.«

Der Bischof biß sich auf die Lippen. Die Verweigerung des königlichen Titels, die der alte Karlist dem Sohne seines Königs, für den er gekämpft und geblutet, bot, zeigte ihm, wie tief das Ehrgefühl des alten Soldaten durch das feige Benehmen der beiden bourbonischen Prinzen verletzt worden war. »Aber,« sagte er endlich, »König Carlos hatte einen dritten Sohn!«

»Ah, es ist wahr! Don Juan de Bourbon. Aber was hat er getan, daß dieses Land noch einmal sein bestes Blut hingeben und alle die alten, erst halbverharschten Wunden aufreißen soll?«

»Er ist der einzige, der unser altes Königsgeschlecht fortpflanzt,« erwiderte der Prälat, »denn Sie werden den jämmerlichen Bastard der Königin Isabella und des Küchenjungen Marfori doch nicht für den legitimen Erben der ältesten Krone der Christenheit halten?«

»Erkennt ihn doch der Herzog von Montpensier, sein Onkel, an!«

»Nein,« sagte der Prälat heftig, »das tut er nicht! Wir haben noch nicht die Zeit gehabt, Ihnen die Beweise vorzulegen. Aber hier Sennor Castillos kann Ihnen sagen, daß ich ihm den Brief gezeigt, in dem der Schwager Isabellens die legitime Geburt des Prinzen von Asturien leugnet und sich zugunsten der Söhne und Enkel des Königs Carlos erklärt.«

Der unfreiwillige Zuhörer dieser Unterredung hinter dem Stamm der Eiche machte eine Bewegung der Überraschung. » Pardieu!« murmelte er, »mein Vetter Louis würde viel darum geben, an meinem Platz zu sein, um die Füchse von Orleans pfeifen zu hören!«

Er hatte sich doch getäuscht in seiner Annahme. Der alte General Yturbe schüttelte den grauen Kopf. »Ich traue dem Orleans nicht,« sagte er. »Er sucht nur, mit unserer Hilfe eine Umwälzung herbeizuführen, um bei der Gelegenheit im Trüben zu fischen. Er spielt mit dem Intriganten Prim unter einer Decke. Aber selbst angenommen, er meinte es ehrlich, dieser Infant Don Juan hat noch nicht bewiesen, daß er fähig ist, sich an die Spitze einer Revolution zu stellen, die den Thron an seine Familie zurückbringt!«

»Er hat es!«

»Ihr Wort in Ehren, Sennor Obispo – aber ich fordere Beweise, daß wir nicht wieder nutzlos geopfert werden sollen!«

»Hören Sie mich an, General. Die beabsichtigte Erhebung steht nicht allein. Es ist der letzte Kampf, den das legitime Königtum in Europa, repräsentiert durch seine ältesten Vertreter, die Bourbonen, versucht. Auf sie hat sich jener Haß der Revolutionäre und der Freigeister geworfen, die jetzt die Throne Europas umstürzen. Die Vertreibung des Königs von Neapel, der Herzöge von Parma, Modena und Toskana muß endlich den andern Monarchen Europas die Augen öffnen und ihnen zeigen, was sie zu erwarten haben, nachdem sie die Legitimität in Frankreich opferten. Sie fühlen, welchen Fehler sie damals begangen, und werden bereit sein, ihn gut zu machen. Eine große Koalition bereitet sich vor unter den europäischen Mächten, den Bourbonen zu ihrem Recht zu helfen, und selbst der Kaiser Napoleon wird sich nicht weigern, ihr beizutreten, wenn er durch eine bourbonische Verbindung die Zukunft seines Sohnes sichern kann. Unsere eigene Landsmännin, die Kaiserin Eugenie, ist bereits für diese Idee gewonnen.«

»Diese Politik ist mir zu hoch,« sagte ehrlich der General. »Ich war von jeher ein schlechter Diplomat. Zeigen Sie mir, ob eine Aussicht vorhanden ist, daß eine nochmalige Erhebung des Basken gelingt, und ich werde vielleicht meine Meinung ändern. Aber dazu fehlt alles, Soldaten, Geld, Beistand!«

»Was sagen Sie zu 12 Millionen Dollars?«

»Dollars?«

»Ja, gutes amerikanisches Gold! Der amerikanische Gesandte in London bietet sie dem Infanten Don Juan zu dem Unternehmen.«

»Und der Preis?«

»Die Überlassung von Kuba!«

» Carai! dachte ich's doch. Es sollte mich wundern, wenn die Herren in London nicht auch Ceuta und Tanger forderten, um sich mit den Säulen des Herkules zu arrondieren! Doch die zwölf Millionen Dollars schaffen uns noch keine Armee!«

»Die Königin Isabella selbst wird sie uns leihen! Glauben Sie, daß auf der Flotte und unter den Truppen der Usurpatorin die Millionen keinen Einfluß haben werden? Überdies ist der ganze Süden Europas augenblicklich mit einer Menge Freiwilliger und Abenteurer überschwemmt, wie noch nie. Der König von Neapel hat seine Schweizer und fremden Regimenter zu seinem Unglück aufgelöst, und wenn ihm auch ein Teil nach Capua gefolgt ist, so ist doch die größere Hälfte dienstlos. Die päpstliche Armee ist bei Castelfidardo geschlagen, nach den neuesten Nachrichten Ancona genommen – die Armee ist aufgelöst, die Gefangenen werden über die Grenze geschafft. Es bedarf nur einer Gelegenheit, eines Aufrufs, einer Aussicht auf Erfolg, und Sie werden zwanzigtausend tapfere Soldaten diesseits der Pyrenäen haben, bereit, für die Legitimität ihr Blut zu verspritzen. Waffen liefert uns der Krämergeist Englands, selbst gegen seine eigenen Interessen. Die erste Schiffsladung ist bereits an der Küste von Biscaya gelandet und trotz aller Spürer von Madrid wohl geborgen; ich selbst habe Sorge dafür getragen, und wenn nicht ein unglücklicher Zufall oder vielmehr die Torheit und Leichtfertigkeit eines Vertrauten des Infanten dazwischen getreten wäre, konnten wir vielleicht in drei Tagen schon die Fahne des legitimen Königstums aufpflanzen und gegen Madrid marschieren.«

»Und wie heißt der Verräter?«

»Kein Verräter, Sennor Generale,« sagte der alte Bärenjäger, »sondern nur ein Tollkopf, dem der Eindruck des Augenblicks und seine eigenen Lüste über seine Pflichten gehen und den Verstand umnebeln. Es ist der Sohn unsers alten Freundes, des Corregidor von Irun.«

»Des Grafen von Lerida?«

»So ist es! Sie erinnern sich, daß der Graf, der in seiner Jugend ein schöner Mann war und am Hofe von Madrid eine Rolle spielte, nach dem Bruch mit seiner alten Flamme, der Gräfin von Theba, der Mutter der jetzigen Kaiserin von Frankreich, zu Anfang der Unruhen eine junge Engländerin heiratete, die er nach Ausbruch des Krieges nach London zurücksandte, wohin sie ihren Knaben mit sich nahm. Es ist dieser Juan, Graf oder Lord von Lerida, halb Spanier, halb Engländer, der nach dem Tode seines Oheims, des Lord von Heresford, ein sehr großes Vermögen geerbt hat und jetzt seinen Launen lebt. Er weigert sich, an der Junta Teil zu nehmen, aber er hat seinen Posten eine halbe Legua von hier!«

»Ich bedauere, daß ich dies nicht früher erfahren,« sagte der Bischof eifrig. »Ich muß ihn sprechen; denn bei all seiner Torheit ist er ein verschlagener und unternehmender Kopf!«

Der alte Jäger lächelte. »Ihnen eben, hochwürdigster Herr, scheint er aus dem Wege gehen zu wollen!«

»Aber doch hoffentlich nicht mir,« sagte der General. »Ich habe ein Vermächtnis seines Vaters, das vielleicht von Wichtigkeit ist für ihn, ein versiegeltes Paket Briefe. Er vertraute es mir kurz vorher an, ehe er in die Hände der Christinos fiel und Espartero ihn erschießen ließ, man sagt, auf den heimlichen Befehl der Königin Christine, zu deren ersten Günstlingen er doch früher gehört haben soll! – Aber, Sennores, wir vergessen über dem jungen Mann ganz, um was es sich hier handelt. Wir müssen suchen, den Streit zu vermitteln und die Gemüter wieder zu beruhigen. Lassen Sie uns unter die Männer gehen und ihre Meinung hören und beschwichtigen!«

Der alte General schritt nach diesen Worten geradeaus unter die Gruppen, die einzeln berieten. Auch der Bischof und der alte Bärenjäger hielten es für das Zweckmäßigste und wandten sich nach verschiedenen Seiten. Als aber der letztere dabei an dem Prinzen vorüberging, hielt es dieser für dringend geboten, die Gelegenheit zu ergreifen. Er berührte den Arm des Basken und winkte ihn zur Seite.

»Hierher, Ramiro – ich muß dich sprechen!«

Der Bärenjäger sah sich erstaunt um, er konnte den Prinzen nicht gleich erkennen, weil dieser sein Gesicht im Mantel verborgen hielt, aber die Stimme machte ihn stutzen.

»Wer ist es, der mich anspricht?«

»Still, kennst du mich nicht?« – Der Prinz öffnete den Mantel.

Ein wilder Fluch entfuhr dem Munde des Basken, und er griff unwillkürlich mit einer drohenden Geberde nach dem Messer in seinem Gürtel.

» Corpo de dios! Sie hier, Prinz! Wie kommen Sie hierher? Sie sind des Todes, wenn man Sie erkennt, und ich selbst müßte …«

»Sei kein Tor, alter Freund,« sagte der andere. »Du kannst dir denken, daß ich nicht ohne Ursache dich störe, und wenn du meiner Ehre nicht Verschwiegenheit zutraust, so erinnere dich wenigstens, daß ich das Baskische nicht verstehe.«

»Aber, bei der gesegneten Madonna, was wollen Sie hier? Wie kamen Sie durch die Wachen?«

»Mit dem Paßwort, das mir der Graf von Lerida gegeben!«

»Der Unsinnige! Wo ist er?«

»Fort nach dem Caserio, um Hilfe zu suchen!«

»Hilfe? Zu was?«

»Ich denke, einen Arzt! Es ist ein Unglück passiert!«

»Ein Unglück? Sprechen Sie, Altezza! Der französische Offizier – ich fürchte es fast!«

»Nein, Kapitän de la Houdinière ist unverletzt. Aber …«

»Reden Sie!«

»Dein Schwiegersohn, Freund Castillos – der Mann der hübschen Ines …«

»Er ist zu ihr zurückgekehrt!?«

»Nein, ich fürchte, er liegt tot oder lebensgefährlich verletzt in der Schlucht, die du mir zum Anstand auf die Bären angewiesen!«

Ein Ausruf des Schreckens entfuhr der Brust des Alten. »Tomaso?«

»Er ist, glaube ich, zu dem Offizier zurückgekehrt, um mit ihm auf die Bären zu lauern, und hat das Unglück gehabt, bei dem Kampf mit der Bestie von der Felswand zu stürzen.«

Der alte Jäger bedeckte das Gesicht mit seinen harten, schwieligen Händen.

»Was gedenken Sie zu tun, Freund? Wollen Sie nicht nach der Unglücksstelle kommen?«

Der Baske erhob sein Haupt. »Wissen es die andern Jäger bereits?«

»Ich glaube! Die verabredeten Signale um Beistand sind gegeben. Kapitän de la Houdinière ist bei dem Toten. Ich selbst eilte hierher, um als Freund die traurige Nachricht zu bringen.«

Castillos zögerte nur einen Augenblick. »Ich danke Ihnen, Hoheit,« sagte er dann rasch und ernst, »und bitte Sie, auf den Posten Don Leridas zurückzukehren und alle, die herbeikommen, dort zurückzuhalten. In einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen, um die traurige Pflicht zu erfüllen. Gehen Sie jetzt, aber geben Sie mir zuvor Ihr Wort, daß, von dem, was Sie hier gesehen oder gehört haben mögen, nichts über Ihre Lippen kommt, bis ich Sie Ihres Schweigens entbinden darf.«

»Mein Wort darauf!«

Der Prinz hüllte sich in seinen Mantel und schritt eilig durch die noch immer unruhig bewegte und streitende Versammlung in der Richtung, aus der er vorhin gekommen war. Als er sich an der Biegung des Gebirgspfades noch einmal umsah, sah er die Versammlung dicht um den Holzblock gedrängt, auf den vorhin der Bischof das verhängnisvolle Papier, das aufs neue den Bürgerkrieg entzünden sollte, zur Unterzeichnung niedergelegt hatte.

Bald darauf erlosch das Feuer unter der heiligen Eiche – die Junta war geschlossen.


Don Juan hatte seinen Weg nach dem Platze am Fuß des Hochgebirges genommen, wo die Jagdgesellschaft zuerst ihr Lager aufgeschlagen und die Muli zurückgelassen hatte. Er hatte ihn bald erreicht, und nachdem er einige der dort harrenden Leute mit einer schnell improvisierten Bahre, Stricken und Decken nach der Seite des unheilvollen Schauplatzes geschickt, warf er sich auf eines der Muli und trieb es zu so raschem Gang wie möglich an, um das Caserio zu erreichen.

Er wußte kaum selbst, warum er dies tat; denn einerseits hatte er sich von dem Tode Tomasos überzeugt, andererseits konnte er, selbst wenn der Verunglückte noch ins Leben zurückzurufen gewesen wäre, von den geringen Heilkenntnissen des Mönchs wenig mehr erwarten, als von denen der erfahrenen Jäger. So galt es ihm wohl mehr, sich von dem Schauplatz des Ereignisses zu entfernen und womöglich die Caseria mit französischem Abschied zu verlassen, wie er überhaupt zu tun liebte, noch bevor die Jagdgesellschaft mit dem traurigen Gefolge zurückkehrte. Padre Antonio wollte er beauftragen, die junge Frau auf das Unglück, das sie betroffen, vorzubereiten.

Während er seinen Weg fortsetzte, begann das helle Mondlicht zu verschwinden, dichte Wolken lagerten sich vor die Scheibe des nächtlichen Gestirns und vom Gebirge her fing der Wind an in gewaltigen Stößen zu toben. Bald mußte er langsam reiten und konnte selbst den Pfad nicht mehr erkennen. Aber er kannte zur Genüge die wunderbare Sicherheit der Mulis und indem er es dem seinen überließ, selbst den Weg zu suchen und eine Gangart nach Belieben anzunehmen, hüllte er sich in den Mantel und dachte an die nächsten Tage, die ihn am Hofe von Madrid finden sollten.

So war er fast überrascht, als das Maultier plötzlich stehen blieb, und er sich vor dem Schuppen sah, der wahrscheinlich seinen Stall bildete.

Obschon es jetzt ganz finster war und der Wind, zuweilen mit leichtem Regen gemischt, in gewaltigen Stößen forttobte, nur selten auf Augenblicke die Wolken lichtend, um einem Strahl des Mondes die Beleuchtung der Berggegend zu gestatten, gelang es doch dem Abenteurer bald, sich wenigstens im allgemeinen zu orientieren. Er mußte vor einem der kleinen Castillas sich befinden, deren mehrere unterhalb des Plateaus lagen, auf dem sich das Caserio, die Wohnung des alten Bärenjägers, befand, denn dort sah er ein Licht durch die kleinen Fensterscheiben leuchten, beiläufig das einzige Zeichen, daß noch Bewohner der Gegend wach waren.

Don Juan öffnete die Pforte des Stalles, um das Tier einzulassen, nachdem er den Sattelgurt gelöst, und schritt dann nach der Casa Castilla hinauf. Er kam dabei an dem Hause vorüber, das zu dem kleinen Gehöft gehörte, und wollte eben an der Tür vorüber schreiten, als plötzlich sein Fuß wie gebannt blieb und er atemlos in die Höhe starrte.

»Tomaso! Lieber Tomaso!« flüsterte es von oben. »Der heiligen Jungfrau sei Dank, daß du kommst, und dem Ohm, daß er dich sendet!«

Über den Holzbalken des niedern Erkerfensters lehnte eine weiße Gestalt, ein entblößter Arm streckte sich ihm entgegen.

»Ines!«

»Du siehst, daß ich dich erwartete! Komm geschwind herauf. Soll ich die Lampe anzünden?«

»Nein!«

»So eile, daß du kommst. Maria santissima – es ist kalt, und der Regen schlägt in unser Brautgemach. Ich husche ins Bett!«

Ein neckender Ton, wie der Klang eines zugeworfenen Kusses, dann schloß sich das Fenster.

Einen Augenblick blieb der Abenteurer wie erstarrt stehen, wilde Gedanken durchkreuzten sein Hirn, das Blut stieg ihm zu Kopf und wirbelte in glühenden Wolken vor seinen Augen.

Die feine, zierliche Gestalt der Fandango-Tänzerin trat vor seinen Blick, er glaubte ihr schmachtendes, wollusterstrebendes Auge zu sehen, wie er sie in der letzten Phase des Tanzes in seinem Arm gehalten, – er dachte an sie, die jungfräuliche Frau, wie ihr süßer Körper auf dem Lager ruhte und sich verlangend dem Bräutigam entgegenwand – –

Dem Bräutigam, dem Gatten, der draußen tot in der Bärenschlucht lag!

Mußte er sie nicht vorbereiten, das Leid ihr verkünden, – der süßen, jungen, verlangenden, zärtlichen Frau –


Einen Augenblick noch dauerte der Kampf, dann fiel der Mantel auf der Schwelle der Tür und diese öffnete sich unter seiner fiebernden Hand. – –

Diese kleinen Häuser des Baskenlandes haben alle ein und dieselbe Einrichtung, – es ist so leicht für den, der sie kennt, sich darin zurecht zu finden, – selbst im tiefsten Dunkel! – – – – – – – – – – –

»Tomaso!« – – – – – – – – –


Es war gegen 5 Uhr morgens, als sich die Tür der Castilla des jungen Pächters öffnete und eine dunkle Gestalt heraus in die Nacht trat.

Der Mann schwankte anfangs wie ein Taumelnder, Seine Kleidung war in Unordnung, hastig übergeworfen; – er raffte den Mantel auf, der noch immer auf der Schwelle lag, bot die Stirn, den Hals, die entblößte Brust dem kühlenden Wind, der noch immer vom Hochgebirge her herüberstrich, wenn auch der Sturm sich gelegt hatte und der Regen nicht mehr niederfiel. Dennoch hingen die Wolken noch immer schwer am Himmel und verbreiteten Dunkel umher, obschon der Morgen nahe war.

Einige Augenblicke blieb der Mann stehen, als überlegte er, wohin er seine Schritte wenden sollte. Dann, als habe er seinen Entschluß gefaßt, schnalzte er leicht mit den Fingern und warf das Ende des feuchten Mantels über seine linke Schulter. » Caramba!« murmelte er – »sie mag denken, es sei sein Geist gewesen! – Aber es ist Zeit, mich nach Mauro und den Tieren umzusehen!«

Don Juan wandte sich gegen das Caserio des Bärenjägers und begann die Erhöhung hinaufzusteigen, als er etwa zweihundert Schritt weiter sich anrufen hörte. »Pst! Sennor – haben Sie etwas gehört? Ich glaube nicht, daß der Schlingel, der Tomaso, schon zu Hause ist, und Sie brauchen also das Haus nicht bewachen zu lassen. Oder sollten sie bereits kommen? Aber es ist unmöglich!«

»Nicht so unmöglich, als Sie denken, Sennor Padre,« sagte der Graf.

Der Mönch, denn es war in der Tat Fray Antonio, prallte bestürzt zurück. » Maria santissima – Sie sind es, Excellenca? Wo kommen Sie her? – Aber ich errate – von der schönen Inez, denn ich sah Sie von der Castilla herkommen. Ei, Sie schlimmer Vogel! Aber Jugend hat nicht Tugend. Was wird der arme Tomaso sagen!«

Der Graf hatte den Mantel zurückgeworfen und seine rechte Hand lag an dem Griff des tunesischen Messers. Der Speckhals des Padre war in seinem Leben nie so nah daran gewesen, mit blankem Stahl eine sehr unangenehme Bekanntschaft zu machen, als in diesem Augenblick.

»Padre!«

»Nun, nun, Excellenca! Sie wissen, daß wir Priester ein Beichtgeheimnis zu verschweigen verstehen, und ich gebe Ihnen mein Wort, es als solches zu betrachten!«

»Wie kommen Sie hierher, um diese Stunde, Pfaffe?« fragte der Graf mit unheildrohendem Ausdruck, indem er dem erschrocken zurückweichenden Mönch näher trat und seinen Arm faßte.

»O – ganz zufällig. Ich schwöre es Ihnen!«

»Sie lügen! – Hören Sie, Fray Antonio, sehen Sie sich diese Klinge an. Sie ist lang genug, um durch die dickste Fettschicht ein genügendes Loch zu machen, mittels dessen die Seele aus dem Leibe spazieren kann! Warum mischen Sie sich in meine Angelegenheiten? Warum wollten Sie das Haus des armen Tomaso bewachen lassen?«

Der Mönch stand mit schlotternden Knien und bleichem Gesicht. »Bei der heiligen Jungfrau, Sennor Conde, ich schwöre es Ihnen, ich habe nicht das geringste gegen Sie beabsichtigt. – Die Soldaten …«

»Welche Soldaten?«

»O, Sennor – die Soldaten und die Alguazils, die oben im Turm sind!«

»Soldaten im Turm? Was wollen sie?«

»Bei Gott, ich weiß es nicht! Sie sind vor einer Stunde angekommen und haben sich ohne zu fragen einquartiert und Posten ausgestellt! Sie lassen niemand aus dem Hause.«

»Und doch befinden Sie sich hier?«

»O – ich, Sennor Conde,« stotterte der Mönch verlegen. »Ich bin nur ein armer Mönch, der überall frei aus und eingeht. Überdies war ich im Begriff, mein Maultier zu holen und fortzureiten.«

»Aber was wollen diese Soldaten und Polizeidiener? Gilt es dem Sennor Castillos?«

»Ich fürchte fast!«

»Und Sie haben nichts getan, ihn zu warnen und ihm Nachricht zu senden?«

Fray Antonio zuckte die Achseln. »Wie konnte ich? – ich wiederhole Ihnen, Excellenca, der Offizier hat Posten auf den Wegen ausgestellt, sodaß niemand sie seit einer Stunde ungesehen passieren kann. Ich wundere mich deshalb, daß Euer Excellenca so unbemerkt kommen konnten.«

Der Conde fühlte den Stich. »Schurke,« murmelte er, »ich fürchte sehr, daß du die Hand bei dem armen Castillos im Spiel hast!« – Dann fuhr er laut fort: »Ich hatte die Absicht, Sie aufzusuchen, und habe nur das Maultier in den Stall des armen Tomaso gestellt. Es ist ein Unglück auf der Jagd passiert, Padre!«

»Ein Unglück?«

»Leider. Tomaso ist bei dem Kampf mit einer Bärin von einer Felswand gestürzt und hat den Hals gebrochen!«

» Maria santissima! Ist er tot?«

»So tot, wie ein Mensch nur sein kann. Ich glaube, man wird ihn bald hierherbringen, und ich ritt voraus, um Sie zu bitten, die junge Frau auf das Unglück vorzubereiten und mit den Tröstungen der Kirche zu beruhigen.«

Der würdige Bruder schüttelte mit einem faunischen Grinsen den Kopf. »Ich müßte es lügen,« sagte er, »wenn ich sagen sollte, ich trüge um den Schlingel großes Bedauern. Er gehörte zu den Neuerern, die keinen Respekt mehr haben vor der heiligen Kirche. – Und was die junge Frau anbetrifft, nun – ich hoffe, daß sie mit der Brautnacht nicht zu kurz gekommen ist und bereits einen bessern Trost gefunden hat, als ich ihr geben kann.«

Die wiederholte Anspielung war dem Grafen zu viel. Er faßte den dicken Pfaffen am Kragen und schüttelte ihn derb. » Picaro!« sagte er leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber sehr verständlich. »Wagt es nicht, mit mir Euer Spiel zu treiben, Ihr kommt da an den Unrechten. Ich kümmere mich den Henker darum, was Ihr erlauert haben wollt; aber merkt Euch, mischt Euch nicht in meine Angelegenheiten, oder es könnte geschehen, was ich Euch vorhin androhte. Überdies bin ich fest überzeugt, daß Ihr bei der Soldatengeschichte die Hand im Spiele habt, und es bedürfte nur eines Wortes an die Freunde des Sennor Castillos, und selbst die Mauern eines Klosters in Madrid würden Euch vor ihrer Rache nicht schützen! – Aber was erhitze ich mich erst! Ich kenne die Leute Eures Schlages und werde schweigen, wenn Ihr Eure Zunge im Zaum haltet und Euch in Madrid treuer zeigt, als hier gegen Euren Wohltäter. Ich brauche dort einen Kerl, wie Ihr seid, dessen Schlechtigkeiten die Kutte deckt. Deshalb werde ich mein Wort halten, und wir reisen zusammen nach Madrid!«

Der Padre räusperte sich und schöpfte Atem, der ihm unter der kräftigen Hand des Conde fast ausgegangen war.

Das Fehlschlagen seines letzten Versuchs, sich eine kleine Herrschaft über den Gast seines verratenen Wohltäters anzumaßen, belehrte ihn, daß dies ein zu gefährliches Spiel sei, und er zog es vor, den reichen und vornehmen Gönner lieber durch Gehorsam sich zu sichern.

» Maria purissima, was Sie für eine kräftige Faust führen, Sennor Conde,« sagte er kriechend. »Ich werde mich wohl hüten, noch einmal Ihren Unwillen zu wecken, verlassen Sie sich darauf. – Nur in Beziehung auf den Sennor Castillos tun Sie mir Unrecht. Doch wir wollen nicht streiten darüber, Excellenca – der arme Padre Antonio ist Ihr ganz ergebenster Knecht und wird tun, was Sie ihm befehlen. Soll ich zu dem armen Weibe gehen und sie auf das Unglück vorbereiten?«

»Nein – es ist zu spät! – Hören Sie!«

Der Wind vom Gebirge her trug auf seinen Schwingen die Töne eines fernen melancholischen Gesanges herüber.

»O, o!« sagte sehr unbehaglich der Mönch, »das klingt wie der Leichengesang, den die baskischen Bauern bei dem Tode ihrer Verwandten anstimmen. Ich hoffe doch, daß sie nicht schon zurückkommen.«

»Dennoch scheint es so. Der Tag wird überdies bald anbrechen. Hören Sie mich an, Padre. Der armen Ines können wir beide nicht helfen, sie wird sich in ihr Schicksal finden müssen und es noch zeitig genug erfahren. Aber es liegt mir ebenso wenig wie Ihnen daran, bei der Ankunft des Sennor Castillos noch hier zu sein. Können Sie uns Reittiere verschaffen, um auf der Stelle unseren Weg anzutreten?«

»Das meine steht fertig. Ich werde ein anderes für Euer Excellenca besorgen, aber …«

»Nun?«

»Ich fürchte, der Herr Offizier, der von Ihrer Anwesenheit natürlich noch nichts weiß, wird nicht darein willigen, Ihren Bedienten aus dem Hause zu lassen. Man hat die beiden Bedienten, die Sie und der französische Herr hier zurückließen, in eine Kammer gesperrt.«

»Das tut nichts! Mauro kann mit dem Gepäck nach Pampluna und Madrid nachfolgen, sobald erst das Embargo hier aufgehoben ist. So hatte ich es schon gestern abend bestimmt. Holen Sie die Tiere, damit wir fortkommen, denn jener traurige Gesang kommt näher!«

Der Pater bat ihn, einige Minuten im Schatten einer der kleinen Wirtschaftsgebäude zu verziehen, bis zu denen sie jetzt vorgeschritten waren, und ging dann nach dem Hause und den Ställen.

Während der Zeit horchte Don Juan auf den Klagegesang. Obschon er nichts von dem gefährlichen Dokument wußte, das die Junta der Basken an der Eiche von Guipuzcoa unterzeichnet hatte, konnte er doch leicht schließen, daß die Anwesenheit der Alguazils und Soldaten in dem Caserio des alten Bärenjägers sicher mit der Versammlung in Verbindung stand und wahrscheinlich auf eine der Plackereien und Untersuchungen hinauslaufen werde, mit welchen die Regierung in steter Furcht vor den karlistischen Umtrieben die baskischen Provinzen überwachte. Gern hätte er Castillos eine Warnung zugehen lassen, aber er wußte in der Tat nicht, wie das machen, ohne sich selbst zu kompromittieren, und das wollte er in dem gegenwärtigen Augenblick gerade gern vermeiden.

Während er noch darüber sann, hörte er neben sich in dem kleinen Schuppen, an dem er stand, ein klägliches Heulen und Winseln und zugleich ein Kratzen an der Bretterwand. Es fiel ihm ein, daß es der große Wolfshund des alten Basken sein könnte, den dieser ausdrücklich zurückgelassen von der Jagd.

» Caramba! – Negro, bist du es?«

Ein kurzes freudiges Bellen des Hundes antwortete ihm. Der Graf dachte einen Augenblick nach, dann suchte er die Tür des Schuppens, öffnete sie und rief leise den Hund.

»Still, Negro! Kusch!«

Das edle Tier erkannte sofort die Stimme eines Freundes. Es war, als begriffe es, daß es seine Freude über die Erlösung aus der Gefangenschaft nicht laut werden lassen durfte. Schweifwedelnd, mit leisem Knurren, drängte sich der Hund an die Füße Don Juans und leckte seine Hand.

Es war zu dunkel, um zu schreiben, auch kein Augenblick zu verlieren. Der Graf nahm aus der Tasche eine spanische Banknote, die das Bildnis der Königin tragen, heftete sie mit seiner goldenen Tuchnadel an das Halsband des Hundes und richtete den Kopf desselben nach der Seite, von welcher der Leichenzug herkam.

»Frisch, Negro! Such den Herrn, mein Hund! Such den Herrn!«

Er ließ das Halsband los und das Tier jagte sofort in langen Sprüngen in der Richtung des Hochgebirges davon.

Don Juan hatte kaum die Tür wieder geschlossen, als er den Padre zurückkommen horte. Er war begleitet von einem anderen Mann, der zwei Muli am Zügel führte, aber in einiger Entfernung stehen blieb.

»Schnell, Sennor Conde,« sagte der Mönch, »lassen Sie uns aufsteigen und aufbrechen, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Er selbst führte dem jungen Mann das eine Tier zu, das dieser rasch bestieg. Dann half der Fremde der feisten Gestalt des Pfaffen in den Sattel. Der Mann ging vor den beiden Reitern her, indem er dieselbe Richtung einschlug, die in der Nacht vorher der Padre zu seinem geheimen Rendezvous genommen. An der Stelle, wo er mit dem Regierungsvertreter zusammengetroffen war, stand eine Schildwache. Der Mann, den jetzt in dem freieren Licht der Graf als einen Reiter-Korporal erkennen konnte, sagte dem Pastor einige Worte und dieser machte den Reitern Platz.

»Zehn Minuten weiter, ehrwürdiger Herr,« erinnerte der Korporal, »steht noch eine Schildwache. Das Passierwort ist: Aragon!«

»Dank, mein bester, und meinen Segen! Kommen Sie, Sennor.«

Der Soldat schien sich aus der billigen Gabe nicht viel zu machen, als dagegen der Graf ihm ein Goldstück reichte, salutierte er höflich.

Gleich darauf waren die beiden Reiter unter dem Felsentor verschwunden.


Langsam kam der Zug der Jäger heran, in dessen Mitte der zerschmetterte Körper des jungen Ehegatten auf der rasch improvisierten Bahre getragen wurde. Castillos hatte sich überzeugt, daß von einer Hilfe nicht mehr die Rede und jede Spur des Lebens entflohen war. Die Jäger, die das Notsignal des französischen Offiziers herbeigerufen, hatten den verstümmelten Körper nach dem Lagerplatz geschafft, wo alsbald die ganze Gesellschaft, verstört durch den Unfall, sich eingefunden hatte, während der größere Teil der Versammlung an der Eiche sich nach verschiedenen Seiten zerstreute und in die Heimat zurück kehrte.

Die Männer des Gebirges waren übrigens zu eifrige Jäger gewesen, um die Ursache des Unheils, die einzige Beute der Jagd, die Bärin und ihre Jungen, zurückzulassen, von denen das eine zerschmettert wie der unglückliche Tomaso, das andere aber lebenskräftig wie seine Mutter war. Mit deren Transport hatte man übrigens auf Kosten ihrer Haut und Knochen wenig Umstände gemacht. Man begnügte sich, die Knebelung des schnaubenden und beißenden Raubtieres noch fester zu machen, warf es dann auf ein paar zur Schleife hergerichtete Äste, wohl auch nur, um das Fell zu schonen, und schleppte es so das Gebirge herab. Die beiden jungen Bären, der tote wie der lebende, wurden in die jetzt leeren Körbe eines der Maultiere geworfen.

Der traurige Zug hatte wohl anderthalb Stunden später als der Graf den Sammelplatz verlassen, und da er nur langsam vorwärts kam, brach der Tag bereits an, als er sich dem Caserio näherte.

Castillos hatte einen Seitenweg einschlagen lassen, um die traurige Last, die sie mit sich führten, nicht an der Castilla des Verunglückten vorbeizuführen. Der am tiefsten Bewegte war der junge Offizier, den die wiederholten Fragen über den Hergang auf das Peinlichste berührt hatten, während er mehr als einmal das Unglück in der Weise erzählen mußte, wobei er sorgfältig bemüht war, jede Unvorsichtigkeit zu vermeiden und die Anwesenheit Don Juans an der Stelle nicht zu erwähnen.

Der Zug der Jäger war etwa noch zehn Minuten von dem Caserio entfernt, als plötzlich durch den Morgennebel ein dunkler Gegenstand heranflog und an dem Bärenjäger emporsprang.

»Negros, mein wackerer Hund! Wo kommst du her? Hast du die Rückkehr deines Herrn gewittert?«

Castillos streichelte das Tier, das sich bald an ihn drängte, bald bellend und schnaubend um ihn sprang.

»Der Hund muß etwas haben,« sagte der Baske, »er ist so aufgeregt und seltsam, wie ich ihn nie gesehen.«

»Es ist die Witterung des Bären da hinten oder die Leiche seines alten Freundes, die uns folgt,« meinte der Coronel. »Die Hunde haben einen feinen Instinkt.«

»Nein, Sennor Don Ruez,« erwiderte der Bärenjäger. »Das ist es nicht, denn der Hund verläßt mein Muli nicht, und sein Bellen ist nicht die Totenklage, welche ein Hund mit der feinen Ahnung, die Gott ihm gegeben, beim Tode seines Freundes zu erheben pflegt. Ruhe, Negros, was ist dir, mein guter Hund?«

»Was trägt das Tier da am Halsband?« fragte Kapitän Welmore.

» Cuerpo di Dios – das ist wahr! Komm her, mein Hund, laß sehen!«

Während das Tier an ihm emporsprang, betrachtete er das Halsband des Hundes, hielt ihn dann fest, indem er sein Maultier zum Stehen brachte, und löste Nadel und Papier.

Die Jäger sammelten sich um ihn, und es entstand ein Aufenthalt des Zuges.

»Seltsam!« meinte Castillos, »eine Banknote von hundert Realen – und angeheftet mit einer goldenen Nadel. Ich sollte sie kennen, ein Diamant –«

»Das ist die Nadel, die der Graf von Lerida gestern an seinem Halstuch trug,« sagte der Prinz.

»Gewiß wieder einer seiner tollen Streiche!«

»Nein, Freund, ich glaube das nicht. Der Graf scheint zwar ein übermütiger und abenteuerlicher Charakter, der nur seinen Launen folgt, aber dabei ein Mann, der ein scharfes Auge hat für alles um ihn her, und entschlossen jede Gelegenheit benutzt. Jedenfalls ist der Hund von ihm abgeschickt, das beweist die Nadel. Aber ohne Ursache ist dies doch nicht geschehen. Es fragt sich nur, was er damit bezweckt. Die Nadel ist Nebensache, denn sie ist nur das Mittel gewesen, die Banknote zu senden.«

»Will der Bursche damit meine Gastfreundschaft bezahlen? Es ist eine von den schlechten Noten der neuen Isabellabank zu Madrid!«

Der Prinz hielt sein Maultier an. » Parbleu, Gevatter,« sagte er, »ich glaube, du bist im Begriff, der Lösung nahe zu kommen. Das Bildnis der Königin auf der Note! Ha! hm! – das hat seine Bedeutung!« Und er beugte sich näher zu dem Jäger und flüsterte einige Worte.

Castillos faßte unwillkürlich nach der Brusttasche seiner Jacke, als wollte er sich von dem Vorhandensein eines zusammengefalteten Papiers dort überzeugen.

»Lassen Sie uns reiten, Hoheit, desto eher werden wir wissen, was an der Sache ist!« Und er trieb sein Maultier vorwärts.

Aber ehe sie noch das Plateau erreichten, auf dem das Caserio liegt, das jetzt bereits im Morgenlicht vor ihnen lag, wurde der Zug noch einmal aufgehalten, indem ihm ein Mann entgegentrat.

Er war in der gewöhnlichen städtischen Tracht, grüßte und fragte, ob vielleicht der Sennor Coronel Don Franzisko Ruez unter den Caballeros sei, er habe eine dringende Bestellung an ihn.

Der Oberst des Lanzierregiments ritt sogleich näher. »Hier bin ich, Sennor! Ah, Sennor Secretareo.«

Der Fremde beeilte sich, ihn zu unterbrechen.

»Ich habe eine Depesche für Sie, Sennor Coronel. Sie haben wohl die Güte, einen Augenblick mit mir zur Seite zu treten. Bitte, Caballeros, lassen Sie sich nicht stören in Ihrem Wege!«

Auf einen Wink des Hausherrn setzte sich der Zug in Bewegung und näherte sich den Gebäuden.

Der Oberst war zur Seite geritten und wartete mit zusammengezogenen Brauen auf die Anrede des Fremden, der erst die ganze Gesellschaft vorüberließ, jeden einzelnen mit scharfem Blick musternd.

Es war ein Mann von etwa 40 Jahren, von schlanker Figur mit etwas blassen und hagerem Gesicht, das scharfe, nicht gerade schöne Züge zeigte. Doch hatte das Gesicht etwas von der Bildung des Fuchskopfs, nur daß das kräftigere Kinn zugleich Zeuge von Willenskraft und Energie war. Die geöffneten Lippen ließen eine Reihe von weißen, spitzen Zähnen sehen.

»Nun, Sennor Cuerta,« sagte der Oberst ungeduldig, »sehen Sie nicht, daß ich warte?«

»Verzeihung, Sennor Coronel, aber ich mußte einige Vorsicht anwenden. Hier ist eine Depesche Sr. Exzellenz des Herrn Generalkapitäns an Sie.«

Der Offizier nahm das Schreiben und sah nach dem Siegel. »Eine militärische Order, durch einen Beamten des Zivilgouverneurs überbracht? Seit wann ist das Sitte, und gibt es keine Offiziere oder Ordonnanzen mehr?«

»Der Teniente Herrera befindet sich dort im Hause,« sagte der Sekretär ruhig, »aber sein und Ihrer Soldaten Erscheinen hätte zu früh Verdacht erregen können. Deshalb ersuchte ich ihn, mir die Übergabe der Depesche zu überlassen.«

Der Oberst, ein Mann von schönem soldatischen Ansehen, hatte das Siegel erbrochen, und das Papier gegen das Licht haltend, das bereits stark genug war, den Inhalt gelesen. Seine Stirn wurde sehr rot, während er zweimal die Order las, gleich als hätte er sie das erstemal nicht recht verstanden.

» Mil Dimonios! Das mir, während ich hier Gast bin? – Wenn Seine Exzellenz Schergen braucht, einen ehrlichen Mann zu verhaften, warum schickt er nicht Polizeidiener oder beordert wenigstens einen andern Offizier?!«

»Die Verhaftung wird durch die Zivilbehörde vorgenommen werden,« sagte der Sekretär kalt; »auf Befehl von Madrid soll das Militär sie gegen jeden Widerstand unterstützen, und da der Generalkapitän wußte, daß Sie bereits an Ort und Stelle waren, hat er es für das Einfachste gehalten, Ihnen eine halbe Eskadron Ihres Regiments zu senden. Sollten Sie sich jedoch weigern, der Order Folge zu leisten, Sennor Coronel …«

»Still, Sennor,« sagte der Oberst streng. »Ich denke, wir kennen uns, und ich kenne meine Pflicht. Ich werde sie erfüllen, und was mir weiter zu tun bleibt als Antwort auf diese Infamie, ist meine Sache! Wo sind meine Soldaten?«

»In dem Castillo des Rebellen versteckt!«

»Ha! Teniente Herrera wird strenge Rechenschaft zu geben haben, daß er sich von Ihnen mißbrauchen ließ. Wir sind Soldaten, keine Jesuiten und Spione.«

Der Sekretär verbeugte sich höhnisch. »Es ist unnötig, mich zu beleidigen, Sennor Coronel,« sagte er.

»Kommen Sie, und tun Sie Ihre Pflicht, wie ich die meine tun werde!«

Der Offizier trieb das Maultier an, um die Reiter zu erreichen, ehe sie in das Haus traten. Vielleicht wollte er dem Hausherrn einen Wink geben, vielleicht auch den Beamten des Zivilgouverneurs zwingen, die Verhaftung auf dem freien Platz vorzunehmen, weil es ihm zuwider war, die Schwelle noch einmal und in solcher Eigenschaft zu überschreiten, die ihn gastfreundlich aufgenommen. Doch der Sekretär hielt sich dicht an seinen Fersen, und als sie die Reiter erreichten, die eben vor dem Haupteingang des Hauses hielten, war Castillos bereits aus dem Sattel gesprungen und näherte sich, erstaunt und ärgerlich, daß niemand ihm entgegenkam, der Tür.

» Caramba – was soll das heißen? Ist niemand hier, der die Mulis nimmt? – Heraus da –«

Er stieß die Tür auf, prallte aber sofort zwei Schritte zurück.

Der große Hausflur war gefüllt mit Soldaten, die den Karabiner in der Hand hielten.

»Tausend Teufel – mir das!«

Und der alte Jäger wandte sein feuersprühendes Auge auf den Obersten, der eben herankam.

»Sennor Don Ramiro Castillos, ich verhafte Sie im Namen der Königin!« rief der Sekretär Cuerta, indem er die Hand auf seine Schulter legte. »Leisten Sie keinen Widerstand, oder ich muß die bewaffnete Macht zu Hilfe nehmen.«

Der alte Baske schüttelte die Hand mit einer unwilligen Bewegung ab. »Das ist gegen die Fueros der baskischen Provinzen,« sagte er schroff. »Nach dem vierten Statut darf ein freier Grundbesitzer nur auf Befehl des Provinzialgerichts verhaftet werden von den Beamten des eigenen Sprengels.«

»Sie werden sich erinnern, daß Sie hier in Navarra und nicht auf baskaischem Boden stehen. Überdies sind die Fueros nicht bestätigt. Machen Sie keine Umstände, Sennor Castillos,« – er winkte den Alguazils, die näher getreten waren, – »ich habe Befehl, mich Ihrer Person und aller Papiere zu bemächtigen, die Sie bei sich führen!«

»Also das ist's!«

Der Sekretär erkannte, daß er in Gefahr war, den Zweck seines Auftrags nicht zu erreichen.

Er sprang vorwärts, um den alten Jäger zu fassen und zugleich stürzten die Schergen von zwei Seiten auf den Bedrohten. Aber ein Faustschlag auf die Stirn warf den Sekretär wohl drei Schritte zurück, so daß er dem Gerichtsdiener in die Arme taumelte; mit einem Satz war der Baske aus dem Bereich der anderen und hinter seinem Muli, während der Prinz und der Engländer ihre Tiere nach vorn drängten.

»Im Namen der Königin, Oberst, ich befehle …«

»Was, Sennor?«

»Sehen Sie nicht, er entkommt. Lassen Sie schießen!«

»Sie vergessen sich! Ich bin Soldat und kein Meuchelmörder und habe überhaupt keine Befehle von Ihnen zu empfangen!«

»Aber sehen Sie nicht – er vernichtet das Papier!«

»Was geht das mich an?«

Der Baske, um den die Jagdgesellschaft eine Art von Mauer bildete, die ohne offenen Widerstand doch die Gerichtsdiener hinderte, ihn zu ergreifen, hatte ein Papier aus der Brusttasche gezogen und es fest zusammengeballt.

»Hierher, Negro!«

Der große Wolfshund sprang an ihm empor.

»Friß, mein Hund!«

Der Hund – als habe er Menschenverstand für den Willen seines Herrn – zerriß das Papier mit seinen Zähnen in Stücke und begann sie zu verschlingen.

Der Prinz lachte laut auf. Dann, als er sah, daß der Beamte in ohnmächtiger Wut einen Revolver zog und nach dem edlen Tier schießen wollte, trat er ihm entgegen.

»Unterstehen Sie sich, Herr! Sehen Sie nicht, daß Sie uns treffen werden? Ich bin Franzose, und diese Unverschämtheit soll Ihnen schlecht bekommen!«

»Aber ich will nicht Sie – gehen Sie aus dem Wege Hoheit …«

Es war vergebens. Der wackere Hund hatte das letzte Stück Papier zwischen den Zähnen.

»Jetzt fort, Negro – such die Spur, mein Hund! Such die Spur! Tuch vergessen! Such, such!«

Castillos wies nach den Bergen – wie ein Pfeil schoß der wohldressierte Hund auf dem Weg hin, den der Zug gekommen war.

»Schießt in drei Teufelsnamen!«

Ein allgemeines Gelächter begleitete den Versuch, den der betrogene Beamte machte, mit seinen Revolverkugeln den frei dahinjagenden Hund zu erreichen.

Don Ramiro trat auf ihn zu.

»In zwei Stunden, Senor,« sagte er, »wird Negro mir ein Tuch zurückbringen, das ich auf dem Anstand habe liegen lassen. Es ist ein vortreffliches Tier, nur hat er die Leidenschaft, statt Gras, wie andere Hunde, bei trüben Wetter Papier zu fressen, und ich habe immer eine Portion Makulatur in der Tasche – Sie wollten mich ja wohl verhaften, Sennor Cuerta?«

»Sie kennen mich?« fragte der Beamte.

»Wer sollte den Geheimen Sekretär Seiner Exzellenz nicht kennen, auch wenn er erst kurze Zeit in unserem Lande ist,« lautete die spöttische Antwort. »Wir sind hier so schlichte Leute, daß die Herren aus Madrid rasch bemerkt werden, namentlich …«

»Was, Sennor?«

»Wenn sie Mitglieder der neuen Loge sind!«

Eine dunkle Röte flog über die Stirn des Beamten, aber er unterdrückte einen Ausbruch seines Zornes.

»Da Sie mich kennen, Sennor Don Ramiro Castillos,« sagte er kalt, »werden Sie mir das Recht, diesen Verhaftsbefehl auszuführen, nicht weiter bestreiten und ihm Folge leisten. Ich habe Befehl, Sie nach Madrid zu bringen, und ich hoffe, der Sennor Coronel wird mich wenigstens hierin unterstützen.«

»Ich glaube nicht,« bemerkte der Oberst finster, »daß Sennor Castillos sich gewaltsam widersetzen und mich dadurch zwingen will, die genossene Gastfreundschaft durch Ausübung meiner – ich sage es offen – in dieser Angelegenheit mir unangenehmen, von diesem Herrn mir aufgedrungenen Pflichten als Soldat zu vergelten. Sobald ich wieder in Pampluna bin, werde ich die Ehre haben, meinen Abschied aus einem Dienst zu fordern, in dem man keinen Anstand nimmt, durch Polizeispione und Büttel die Ehre eines Offiziers zu kompromittieren.«

Der Baske reichte ihm die Hand. »Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt, daß Sie von diesem Vorgang nichts wußten. Ich bin bereit, Ihnen zu folgen, Herr, sobald ich die nötigen Anordnungen wegen der Beerdigung meines Neffen gegeben und meine Nichte unter den Schutz eines Nachbarn gestellt habe.«

»Meine Pflicht zwingt mich, darauf zu bestehen, daß die Sennora zu ihrer Vernehmung als Zeugin in Ihrem Prozeß uns nach Madrid begleitet.«

»Wollen Sie uns nicht vielleicht alle mitnehmen?« sagte der Prinz spöttisch.

»Euer Hoheit – denn ich darf wohl annehmen, daß ich die Ehre habe, mit dem Prinzen Pedro Bonaparte sprechen – und die fremden Herren haben vollkommene Freiheit, ihren Weg zu wählen. Ich habe weder Auftrag, noch den Willen, sie zu belästigen, und war nur gezwungen, die Dienerschaft zu sistieren. Wenn Sennor Castillos einige Anordnungen für seine Reise zu treffen wünscht und sein Ehrenwort gibt, keinen Fluchtversuch zu machen, werde ich ihm zwei Stunden gestatten. Bis dahin muß das Haus unter Aufsicht bleiben.«

»Ich gebe mein Wort. Ich bitte Sie, den Padre Antonio, den Cura dieses Sprengels, rufen zu lassen, den Sie in meinem Hause gefunden haben werden.«

»Der Padre,« sagte der Beamte kalt, »ist bereits auf dem Wege nach Pampluna. Er wünschte sofort abzureisen und ich hatte keine Ursache, ihn zu hindern.«

»Ah!«

Zum erstenmal schoß es wie ein Verdacht durch den Sinn des ehrlichen Jägers, doch unterdrückte er ihn rasch wieder. Er setzte sich auf die Bank unter der Eiche, wo ihn seine Freunde umgaben, und beriet mit ihnen, was zunächst zu tun sei.

Auf den Befehl des Obersten hatten, bis auf die Posten an den Eingängen, die Lanziers das Haus verlassen, holten ihre Pferde herbei und machten sich fertig zum Aufbruch. Unter den dann zurückkehrenden Posten, die in der Nacht alle Zugänge des Platzes bewachen mußten, befanden sich auch die beiden Reiter, welche den Seitenpfad nach der Straße von Ostitz bewacht hatten, den der Mönch und sein Begleiter eingeschlagen.

Sie rapportierten dem Offizier.

»Ich glaube, hier hören wir eine Nachricht von einem unserer Gefährten, den wir vermißt,« sagte der Oberst. »Hier ist ein Brief an Sie, Herr Kapitän, der wenigstens seinen Namen trägt.«

»Von wem?«

»Von dem Grafen von Lerida. Es scheint, daß er bereits nach Pampluna zurückgekehrt ist, um sich die traurige Szene zu sparen, der wir beiwohnen mußten. Nach dem Rapport des Unteroffiziers hat wenigstens ein Mann von seinem Aussehen mit dem Padre den Posten passiert und dort diesen Brief geschrieben und zur Bestellung übergeben.

Der junge Marquis bemerkte, daß aller Augen neugierig auf ihm ruhten. Er suchte sich mit Gewalt zu fassen und öffnete das mit Bleistift geschriebene, mit einer Oblade verschlossene und an ihn adressierte Billett.

Während er las, wechselte er trotz aller Anstrengung zweimal seine Farbe. Der Inhalt lautete:

 

»Der Herr Marquis de la Houdinière wird die Güte haben, meinen Diener Mauro zu beauftragen, mir sogleich nach Madrid zu folgen.

Er wird dem Sennor Castillos sagen, daß ich in Madrid und sein dankbarer Schuldner bin.

Der Herr Marquis wird ferner die Güte haben, mich bei den anderen Herren zu entschuldigen. Ich rate ihm, die Bären, die er so tapfer gewonnen, lebendig nach Paris schaffen zu lassen und dem jardin des plantes ein Geschenk damit zu machen. Er wird meinen Respekt Ihren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin bezeugen und meine Huldigung seiner schönen Cousine zu Füßen legen, bis ich die Ehre haben kann, der Kaiserlichen Einladung Folge zu leisten.

Auf Wiedersehen in Paris.

Don Juan.

Der Marquis war sehr bleich, aber er fühlte, daß er nicht zögern durfte. Er reichte dem Prinzen, der ihn scharf beobachtete, den Brief. »Lesen Sie, Monseigneur – es ist in der Tat von unserem Freunde!«

(Schluß des vierten Bandes.)


Herrasé & Ziemsen, G.m.b.H., Wittenberg.


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