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Über die öde polnische Grenzsteppe fegte der Nordost und trieb den scharfen Schneestaub wie Nadelspitzen trotz der Mantel- und Pelzumhüllung in die Gesichter der beiden Reisenden.
Es war am Mittwoch, den 2. Januar 1861 und bitter kalt geworden. Der Schlitten, der die beiden Reisenden trug, war eine auf Kufen gestellte schlecht verwahrte Postkalesche und kam mit zwei Extrapostpferden bespannt auf der ziemlich einsamen Chaussee von Posen nach Warschau, und zwar von der vorletzten Station vor der Grenze, Wreschen, in scharfem Trabe her. Die beiden Insitzenden des Wagens waren ein älterer Herr von etwa fünfzig Jahren mit ernstem, verständigem Gesicht von polnischer Nationalität, der andere viel jünger, mit breiter Stirn, etwas vorstehenden Backenknochen, blasser Gesichtsfarbe und einem langen Schnurrbart. Der polnischen Nationalität gehörte er offenbar gleichfalls an.
Die Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt; der Postillon war wie sie ein Pole und trug unter dem Hut eine warme wollene Decke tief über die Ohren gezogen.
»Wie weit haben wir noch bis Strzalkowo, Graf?«
»Noch eine Meile, Kapitän, es sind drei Meilen von Wreschen bis dahin. In einer halben Stunde biegen wir nach meinem Gut ab, und ich hoffe, daß wir vorher unsern Mann treffen.«
»Sie glauben also wirklich,« fragte der jüngere der Reisenden, »mich auf diese Weise am leichtesten über die Grenze schaffen zu können?«
»Am leichtesten und am sichersten. Sie werden in Begleitung preußischer Beamten und Zollwächter an die Grenze gehen und von den russischen Grenzwächtern selbst in bester Form bis Gollin oder Konin spediert werden, – ich weiß nicht gleich, wohin diesmal Freund Josef seine Direktion nehmen wird.«
»In der Tat,« sagte der Kapitän lachend, »ich hätte nicht gedacht, als ich von Dresden abreiste, daß mich auf diese Weise die Herren Kosaken selbst nach Polen führen würden, höchstens mit Eisen an Händen und Füßen auf dem Weg nach Sibirien.«
»Das kann jenseits der Grenze noch immer geschehen,« bemerkte der ältere ernst, »wenn Sie nicht die strengste Vorsicht anwenden. Die Polizei in Warschau ist sehr aufmerksam, und Sie wissen, wie stark seit der letzten Anwesenheit des Kaisers die Emigration durch die Verhaftung von Asnik und die saisierten Papiere kompromittiert ist.«
»Eben darum ist es notwendig, mit dem so lange verschobenen Vorgehen zu beginnen. Hätte das Zentralkomitee in Paris die Vorbereitungen beendet gehabt, so hätte in diesen Tagen die Erhebung diesseits und jenseits der Grenze beginnen können. Für Posen wäre keine glücklichere Gelegenheit gewesen, denn ein Thronwechsel hat immer in der ersten Zeit Schwanken und Unentschlossenheit in der Regierung und Bereitwilligkeit zu allen Konzessionen zur Folge.«
»Der arme Herr! Gott schenke ihm sein himmlisches Reich – ich beklage ihn von Herzen!«
»Wie, Graf, Sie – einen Feind Polens? Einen Unterdrücker Ihres Volkes?«
»Junger Mann,« sagte der andere, – »weiland König Friedrich Wilhelm IV. war König von Preußen, aber nicht ein Feind und Unterdrücker unserer Nation, die ihm manchmal gerade nicht sonderlich gedankt hat. Er war einer der besten und edelsten Menschen, die ich je gekannt habe, und sein Charakter erinnert an Marc Aurel, deswegen ist er auch kein großer König gewesen. Die Preußen werden erst jetzt nach seinem traurigen Ende erkennen lernen, was er ihnen war. Wir aber, seine Untertanen polnischer Nationalität – ich wähle diesen Ausdruck mit allem Bedacht, – denn er hat Polen nicht geteilt, nicht unterdrückt, sondern dies Land als Erbe überkommen, – haben zahlreiche Beweise seiner Güte und Milde und seines Wohlwollens für unsere Nationalität erhalten.«
»Sie sprechen, Herr Graf, als hätten Sie nicht Achtundvierzig gegen ihn gefochten!«
»Daß ich es tat, wird mir immer leid tun,« erwiderte sehr ernst der alte Edelmann. »Das war damals keine Erhebung eines unterdrückten Volkes, wie im Jahre dreißig drüben in Warschau, sondern nicht viel besser als Meineid und Verrat, und ich bedaure aufrichtig, daß ich mich durch meine Liebe zu Polen hinreißen ließ, an einem so undankbaren, nutzlosen und durch die Grausamkeiten der fanatisierten Masse, wie durch die Unfähigkeit und Jämmerlichkeit des Führers verwerflichen Unternehmen Anteil zu nehmen.«
»Puh!« – sagte der Kapitän – »es ist heute doch sehr frostig!« Der Graf lächelte. »Wenn Sie die Witterung meinen, so glaube ich allerdings, daß Sie einen schweren Unterschied zwischen den sonnigen Fluren Italiens und den Flächen zwischen der Warthe und Weichsel finden werden. Bezog sich aber Ihre Äußerung auf meine Gesinnung – so irren Sie sich. Das Thermometer meines Patriotismus hat noch nie auf dem Gefrierpunkt gestanden, ich bin ein Pole von Herz und Seele, wie ich einer von Geburt bin; denn ich bin geboren, als Polen wenigstens den Namen der Selbständigkeit hatte – jedenfalls seien Sie versichert, Herr Kapitän, daß der Graf Czatanowski nie ein Verräter an der Sache Polens sein wird, so wenig, wie er sie durch falschen Eifer und nutzlose Phrasen zu kompromittieren wünscht.«
»Verzeihen Sie, Herr Graf,« sagte nach einer Pause der junge Mann mit sichtlicher Beschämung, – »ich habe Sie nicht beleidigen wollen. Aber ich bin an die Sprache der Klubs gewöhnt, und glaubte, daß ein Mann, dem Graf Dzialinski meine Sicherheit anvertraute und der um die Zwecke meines Unternehmens wußte, sich anders äußern würde.«
»Sie werden noch manche Ihre Begeisterung verletzende Erfahrung machen, Herr Kapitän,« sagte der Graf, »während Sie Ihren gefährlichen Weg verfolgen. Aber ich wünsche und hoffe, daß diese Erfahrungen nicht Ihre Begeisterung ertöten, sondern nur in die richtige Bahn lenken werden. Patriotismus und Fanatismus sind zwei sehr verschiedene Dinge, und ein grauer Kopf denkt anders, wie einer, den noch das schwarze Haar der Jugend umwallt. Ich halte eine Volkserhebung im russischen Polen zum Schutz unserer immer mehr tyrannisierten Nationalität für gerechtfertigt, ja für notwendig, und wenn Ströme von Blut dafür fließen müssen. Ich würde mit Freuden mein Leben und meine Habe dafür opfern, ein freies, selbständiges Polen unter eigenen Fürsten wieder hergestellt zu sehen, und gelänge dies in Warschau, zweifle ich keinen Augenblick, daß binnen kurzem auch die Landesteile von Posen und Westpreußen, die wirklich noch unserer Nationalität angehören, diesem freien selbständigen Polen von den preußischen Herrschern durch Vertrag zurückgegeben würden. Denn Preußens Mission geht nicht nach Osten, es braucht dort vielmehr eine starke Vormauer gegen die vordringende Russifizierung, sie ist ganz deutsch, wie sie die Erstarkung und Einigung Deutschlands unter preußischem Szepter oder mindestens preußischem Schirm zum alten aber festeren deutschen Kaisertum, und diese Mission wird sicher über kurz oder lang erfüllt werden. Aber eine bewaffnete Erhebung gegen unsere jetzige – ich wiederhole es, angeerbte – in jeder Beziehung loyale und achtungswerte Regierung halte ich für so unzweckmäßig wie ungerechtfertigt.«
»Was Sie von Preußens deutscher Mission sagen, Herr Graf,« sprach nach einigem Sinnen der Kapitän – »mag seine Wahrheit haben, obschon ich – als Republikaner aus Überzeugung – diese Wendung nicht wünsche. Aber warum hat denn der in der vergangenen Nacht verstorbene König, als ihm vor elf Jahren die deutsche Kaiserkrone angeboten wurde, und selbst wir Polen damit einverstanden waren, nicht zugegriffen?«
»Weil er zu klug war, um nicht zu wissen, daß jedes Wahlreich auf eine polnische Wirtschaft hinausläuft, die Ursache, an der Polen zugrunde gegangen ist. Ein Parlament selbst ehrlicher begeisterter Schwätzer kann kein großes Deutschland, keinen Kaiser von Deutschland machen, dazu gehört die Hand Gottes, und glauben Sie mir, sie wird sich zeigen zu rechter Zeit, so auch bei uns. Es tut mir leid, Ihren republikanischen Utopien widersprechen zu müssen, aber ich bin Aristokrat und Monarchist durch und durch. Doch fürchten Sie nicht, Kapitän, daß für die wenigen Stunden, die Sie bei mir zubringen können, Sie durch meine allerdings etwas stark von unsern Freunden in Posen, Dresden, Frankfurt und Paris abweichenden Ansichten gelangweilt oder verletzt werden sollen, Sie finden in meinem Schloß die Ihren leider allzureichlich vertreten.«
»Sie haben Familie, Herr Graf?«
»Zwei Söhne und eine Tochter. Mein ältester Sohn ist Offizier in einem schlesischen Regiment, mein Jüngster, Gymnasiast in Trzemeszno, augenblicklich zu Hause.«
»Und Ihre Frau Gemahlin?«
»Ich habe leider meine Gattin verloren, statt ihrer leitet meine verwitwete Schwägerin mein Hauswesen, eine Gräfin Oginska aus Polen.«
»Aus dem jenseitigen! – Darf ich fragen, ob sie eine Verwandte unsers unglücklichen Sängers ist?«
»Eine Nichte von ihm und eine enragierte Polin, die leider Einfluß genug auf meine jüngeren Kinder gehabt hat. Kasimira schwärmt zuweilen für die Wiederherstellung Polens, und Walery gefällt mir mit seinem finsteren störrischen Patriotismus noch weniger.«
»Und Ihr ältester Herr Sohn?«
»Er ist preußischer Offizier!«
Wieder schwieg der Begleiter des Grafen, als überlege er sorgfältig einen Gedanken. Dann fragte er:
»Und wenn nun eines Ihrer Kinder der Erhebung beitreten würde?«
»Jeder ist seines Schicksals Schmied, und Patriotismus wie Liebe sind eigene Gefühle des Herzens, über die keine andere Stimme zu gebieten hat. Nur eins …«
»Nun?«
»Wäre einer meiner Söhne Soldat und verließe als solcher hinterlistig seine Fahne, um überzutreten zur Revolution, so wäre er nicht mehr mein Sohn und sein Name dürfte vor mir nicht genannt werden. – Übrigens habe ich noch ein Mitglied, zwar nicht meines Haushalts, aber doch eine Person vergessen, deren Bekanntschaft Sie jedenfalls machen werden, den Probst auf meinem Gut, Czalinski. Er übt bedeutenden Einfluß aus, und ich habe viel zu tun, ihn in Ruhe und Frieden mit dem Gesetz zu halten.«
Der Kapitän antwortete nicht, er zog es vor, noch darüber zu schweigen, daß er an diese Person Briefe bei sich führte, er lehnte sich vielmehr aus dem Schlitten und sagte dann: »Da vor uns fährt ein Frachtwagen.«
»Das ist sicher Jokef! Bitte – halten Sie sich im Schlitten und ziehen Sie Ihre Reisemütze über die Augen, während ich mit ihm verhandle. Es ist unnötig, daß der Fuhrmann Sie hier sieht.«
Der Schlitten erreichte in der Tat einen jener großen Frachtwagen, die mit Leinwand in weitem Bogen überspannt, sonst auf allen Heerstraßen daher zogen und jetzt durch Eisenbahnen verdrängt sind. Vier Pferde zogen den knarrenden und quietschenden Wagen, und der nebenhergehende, bis über die Ohren in seinen schmutzigen Schafpelz gehüllte Fuhrmann schimpfte und wetterte, als er das Signal des Posthorns hörte, das ihn zum Ausweichen zwang.
Aus der zugezogenen Plane aber streckte sich neugierig ein bärtiges Judengesicht.
»Ah, Jokef, bist du's? Dzien dobry, Jokef!«
Der Graf hatte sich aus dem Schlittenkasten herausgelegt und befahl dem Postillon zu halten.
Wie ein Blitz war der Jude aus dem Wagen, um den vornehmen Herrn zu begrüßen; aber der Graf war rasch aus dem Schlitten gesprungen und einige Schritte zur Seite getreten. Jokef nahte sich ihm in tiefgebückter Haltung, er schien fast zu Boden zu kriechen, als er das Padanmedonec, den Gruß der Niederen, machte und den Zipfel seines Rocks küßte.
»Gott der Gerechte, welche Ehre! welche Auszeichnung, daß der gnädige Herr Graf kennen auf der Landstraße den armen unbedeutenden Jokef! Womit hab' ich verdient das Glück?«
»Jokef,« sagte der Edelmann, – »ich habe einige Worte mit dir zu reden. Wenn es dir recht ist, können unsere Wagen langsam voran fahren und wir schlendern hinterdrein!«
»Ob es mir recht ist? Wie können der Herr Graf tun solche Fragen! Ich wünschte, ich könnte gehen fünfundzwanzig Stunden im Tage hinter so einem vornehmen und edlen Herrn her. – Ignaz!« – schrie er dem Kutscher zu, – »du wirst fahren langsam weiter, hinter dem Schlitten von dem gnädigen Herrn, und daß du ihm nicht kommst zu nah, oder ich werde kürzen dein Trinkgeld!«
Der Graf lachte. »Es ist keine Gefahr, daß dein Frachtfuhrwerk den tüchtigen Postgäulen auf die Hacken tritt.« Dann gab auch er dem Postillon seine Anweisung, und während die beiden Fuhrwerke sich wieder in Bewegung setzten, der Schlitten jetzt voran, blieb das ungleiche Paar einige Augenblicke zurück.
Soweit es die Pelze und dicken Winterröcke erlaubten, konnte man ihre Personen erkennen, obschon der Abend rasch heraufkam.
Der Edelmann war kaum von mittlerer Größe, von feiner, hagerer Gestalt – eben so sein Gesicht, das einen ernsten, milden Ausdruck hatte, ja der Zug um Augen und Mund hatte etwas Leidendes. Sein spärliches feines Haar war von einem warmen Baschlik umhüllt, der vortrefflichen tscherkessischen Tracht. Er trug einen eleganten Biberpelz und Stiefeln mit gleichem Besatz.
Der jüdische Kaufmann war von der Natur weit reicher begabt. Es war eine hohe, nicht breitschultrig aber kräftig gebaute Gestalt, um mindestens einen Kopf größer als der vornehme Herr. Wenn diese Figur, die jetzt gebückt, demütig sich neben dem Grafen herwand, immer einen Schritt zurück und beiseite, sich aufgerichtet hätte, würde sie etwas Imposantes, Königliches gehabt haben. Und dazu hätte auch vollkommen die Bildung und der Ausdruck dieses Kopfes gepaßt. Ein schönes Oval von langen schwarzen Locken umgeben, die vor den Ohren bis auf die Brust niederfielen; eine schmale gebogene Nase, unter der gleichen hohen weißen Stirn ein Paar große funkelnde Augen, deren schwarzer Strahl vom Ausdruck der Demut oder der schlauen Berechnung bis zum funkelnden Befehl des Feldherrn in der Schlacht wechseln konnte; Wangen von bleicher, feiner Farbe, mit einem prächtigen schwarzen Bart bedeckt, der bis auf die Brust reichte, oben aber nur von einem pechschwarzen Streif abgeschlossen war und den feinen, breiten Mund mit den schmalen Lippen und den weißen, weit auseinanderstehenden Zähnen frei ließ.
Das war Jokef, der Kaufmann, der Sohn des in Polen mehr noch als sonst verachteten Volkes, aber ein Sohn aus dem Stamme, von dem die heilige Schrift mit Recht schreibt: »Der Löwe Judas!«, nicht das Kind eines feigen durch den Druck der Jahrtausende verkrüppelten, unschönen Geschlechts.
Der Kaufmann war ein prächtiges Exemplar, geistig und körperlich, von jenem Stamm, der die Makkabäer zeugte! – Der polnische Aristokrat, als er auf den demütig neben ihm her Schreitenden sah, mochte dies unwillkürlich fühlen, es mochte ihn trotz seiner Erziehung und der jahrelangen Gewohnheit der Überhebung ein gewisses Gefühl der Achtung überkommen, denn er blieb einen Augenblick stehen und sagte: »Es freut mich, Jokef, daß gerade du es bist, den ich treffe! Ich weiß, in deinen Händen ist das Geschäft gut aufgehoben, das ich dir anvertrauen möchte.«
Der Jude richtete sich einen Augenblick empor und legte die Hand auf das Herz. »Der gnädige Herr werden den Jokef gefunden haben immer als einen, der scharf ist aufs Geschäft, aber als einen ehrlichen und pünktlichen Mann. Ihnen, gnädiger Herr, wird der Jokef stets bereit sein zu dienen, nicht allein mit seinem Gut, sondern selbst mit seinem Blut, weil er hat Liebe und Achtung vor Ihnen und Sie lassen ihm sein Recht. – Was soll es sein, Herr Graf? Wollen Sie verkaufen die nächste Schur oder das nächste Korn? Ich werde zahlen den höchsten Preis, den geben kann ein Kaufmann bei jetziger Zeit.«
Der Graf lächelte. »Nein, Jokef, Gott sei Dank, meine Verhältnisse sind so geordnet, daß ich deines Beutels nicht bedarf, obschon ich weiß, daß. er die Güter meiner Nachbarschaft bar bezahlen könnte!«
»Herr Graf – Gnädiger Herr – – –«
»Still, Freund! Ich will dich um einen Dienst bitten, der eher das da, als deinen Geldbeutel in Anspruch nimmt!« und er deutete mit dem Finger auf den Kolben einer Pistole, der bei den Bewegungen des Körpers sich aus den Brustfalten des seidenen Kaftans hervorgeschoben hatte, den der Kaufmann unter dem schmutzigen Pelz trug. »Vor allem, Jokef, sei so gut und setz' deinen Hut auf, wenn wir weiter reden sollen, denn es ist schlimm kalt heute abend!«
Der Jude ergoß sich in allerlei Danksagungen für diese Gunst, und suchte damit seine Verlegenheit zu verbergen über die Entdeckung der Waffe, während er den Filzhut auf sein bis dahin nur von einem schwarzseidenen Käppchen bedecktes Haupt setzte. Mit dem Aufsetzen des Hutes gab er sich übrigens eine aufrechte freiere Haltung.
»Ich weiß nicht, was der Herr Graf meinen, daß ich Ihnen kann dienen mit dem alten Pistol, das ich gekauft habe für alt Eisen bei einem von unsere Leut' in Posen.«
»Setze dich nicht selbst herab, Mann,« sagte der Graf ernst. »Ich weiß, daß deine Hand sehr wohl mit der Waffe da umzugehen weiß, wenn es gilt, deine Freiheit und dein Eigentum zu verteidigen gegen die Habsucht der russischen Strazniks.« Die russischen Zivilzollpächter.
»Soll mir Gott strafen, gnädiger Herr – ich würde es nur tun in der höchsten Not. Ich will gern geben gute Prozente, wenn sie mich lassen in Frieden bei meinem Handel. Aber es ist ein schlechtes Volk!«
Der Graf wies nach dem Wagen vor ihnen. »Sollen die Waren die Rogatka Der polnische Schlagbaum. passieren, oder wirst du sie schmuggeln?«
Der Kaufmann warf ihm einen halb schlauen, halb furchtsamen Blick zu.
»Wie kann ein ehrlicher Mensch bezahlen die schreckliche Steuer, die doch kostet viel mehr, wie die Ware selbst. Wie könnt' ich verkaufen meinen Tabak, meinen Zucker, meinen Kaffee und die Waren von Seide und Tuch an die Herren Edelleute und die Bauern und die Bürger zu vernünftigem Preis, wie meine Konkurrenten, wenn ich es nicht machen wollte wie sie, sondern bezahlen 300 Prozent Steuern an den Staat, statt 50 Prozent an die Herren Kosacken. Lassen Sie machen ein vernünftiges Gesetz bei uns in Polen, wie Sie haben bei kluger und gerechter Obrigkeit hier in Preußen, es wäre eine Freude am Handel und Wandel, und niemand würde schmuggeln die Waaren!«
»Bei den Deinen hast du einen Artikel vorhin vergessen.«
»Was meinen der gnädige Herr?«
»Das Pulver!«
Der Kaufmann schrak zurück. »Der Herr Graf wissen doch sicher, daß es verboten ist bei schwerer Kerkerstrafe zu handeln mit Pulver und Waffen ohne besondere Erlaubnis von der kaiserlichen Statthalterschaft in Warschau!«
»Jokef!« – »Herr Graf!«
Der Kaufmann legte die Hand auf das Herz. »So wahr ein Gott im Himmel, Herr Graf, der Jokef hat ein polnisches Herz. Glauben Sie, daß ich nicht sollte lieben das Land meiner Väter im zehnten Grad, weil ich bin ein Jude, und meine Väter im zwanzigsten Grad haben vielleicht gewohnt unter den gesegneten Palmen, statt unter den Kiefern dieses Landes? O Herr Graf, auch der Jude hat ein Vaterland, das nicht heißt Palästina, und er liebt die Erde, wo er ist geboren und wo seine Eltern begraben sind, so gut wie der Christ!«
»Ich weiß es, Mann, und ich achte dich deshalb.« Er reichte ihm die Hand, die der jüdische Kaufmann küßte.
»Höre, Jokef, eben weil Du ein Pole bist, sollst du mir einen Gefallen tun. In jenem Schlitten befindet sich ein Mann, der direkt von Paris kommt und nach Warschau gehen muß. Ich verberge dir die Gefahr nicht – es ist ein Emigrant und er kommt in politischen Angelegenheiten. Kannst du helfen, ihn sicher und unbeobachtet über die Grenze zu bringen?«
Der Jude sah ihn fragend an. »Haben der gnädige Herr vielleicht schon einen bestimmten Plan?«
»Du bringst deine Waren nach Strzalkowo und willst sie in gewöhnlicher Weise über die Grenze schmuggeln lassen?«
»Ja, gnädiger Herr!«
»Wann?«
»Es ist für heute zu spät, – sie müssen erst umgepackt werden im Dorf. Ich werde senden morgen früh an den Herrn Kapitän von die Kosacken nach Slupce und werde handeln mit ihm. Wenn er sich läßt billig finden für sechzig Pferde, können wir morgen nacht die Waren nach Gollin schaffen, wo ich habe ein Lager bei vertrauten Leuten.«
»Du begleitest den Zug?«
»Ich werde nicht verlassen mein Eigentum.«
»Gut – ich weiß, daß du dann gewöhnlich einen Knecht oder Begleiter mitnimmst. Kannst du an Stelle desselben nicht den Mann nehmen, den ich dir empfohlen, und für dessen Sicherheit ich mich verbürgt habe?«
Der Kaufmann sann einige Augenblicke nach. »Es könnte gehn! Aber der Herr müßte sich verkleiden als mein Knecht, der Levi Schmuel, der hat rote Haare und ist gerade keine Schönheit von Gesicht, aber ein treues Herz.«
»Ich werde für eine Verkleidung sorgen!«
»Es ist nicht wegen meiner Sicherheit, aber wegen ihm selbst und der edlen Sache, der er dient. Die Herren Kosacken betrügen wohl die Regierung um den Zoll, aber sie würden nicht einwilligen, durchzulassen einen fremden Mann, von dem sie glauben, er sei politisch. Auch würden es die königlich preußischen Behörden nicht zugeben. Der Herr Graf wissen so gut wie ich, daß sie aus dem Haupt-Zollamt unterstützen die Ausfuhr im stillen, wenn sie es auch nicht können tun öffentlich. In Preußen ist man vernünftig und hilft dem Handel und Wandel, statt ihn zu bedrücken, und darum blüht das Land, und jedermann ist stolz darauf zu sein ein Preuße. Aber ich darf nicht wagen, zu mißbrauchen, wenn sie schließen die Augen und geleiten mich bis an die Grenze. Ich werde den Lewi Schmuel behalten im Dorf und ihn schicken zurück nach Wreschen, um zu besorgen noch einen Auftrag. Er hat einen Paß und kann in zwei Tagen kommen in aller Offenheit über die Grenze. Der Herr, den Sie mir empfohlen, soll haben das Pferd, das ich lasse kommen von den Kosacken für ihn, und mich begleiten, wenn er will bis Gollin, vielleicht kann ich ihm helfen weiter.«
»Er will zunächst nur bis Kazimierz.«
»Ich versteh', zu dem Herrn von Wolawski. Gut – er soll morgen abend sein Punkt neun Uhr verkleidet vor dem Krug im Dorf, wo werden stehen meine Wagen, und ich werde sorgen für seine Sicherheit, als wäre es mein Bruder.«
»Ich werde ihn selbst dahin bringen. Ich denke dem Ober-Inspektor oder dem Postmeister einen Besuch zu machen. Er soll meinen Schlitten fahren und kommt so unbemerkt nach dem Krug, wo er ausspannt. Das ist ein Dienst, Jokef, für den ich dich natürlich nicht belohnen kann, denn man bezahlt niemandem den Kopf, den er in die Schlinge steckt. Aber deine Auslagen muß ich dir wenigstens vergüten und ein Trinkgeld für deinen Knecht Levi.«
Er griff nach der Börse, aber der Jude hielt seine Hand zurück. »Herr Graf,« sagte er bittend, »Sie haben mich immer behandelt als einen zuverlässigen Kaufmann. Ich bitte Sie, mir zu machen die Freude, mich auch zu behandeln als einen guten Patrioten. Lassen Sie hierbei sein keine Rede von Geld zwischen dem Herrn Grafen Czatanowski und dem Jokef!«
»Du hast recht – so nimm wenigstens noch einmal meine Hand, aber ohne sie zu küssen, sondern mit einem Händedruck, wie ihn der Mann dem Manne gibt. Abschlagen aber wirst du einem alten Bekannten und Geschäftsfreunde doch nicht, im Frühjahr auf seinem Gut einzusprechen, um sich nach seiner Wolle zu erkundigen. Wenn ich etwa in Berlin sein sollte zum Landtag, wird doch mein Amtmann die nötige Anweisung haben.«
»Verlassen Sie sich darauf, gnädigster Herr, der Jokef wird kommen, denn das ist sein Geschäft, und zahlen den möglichst besten Preis! – Gott der Gerechte, wenn doch wollten sein alle Edelleute so wie Sie, oder wenn doch wollten sein die Verhältnisse bei uns wie bei Ihnen, es wären alle die Heimlichkeiten nicht nötig und wir wollten lieben den Kaiser von Petersburg als König von Polen, so gut wie Sie, Herr Graf, der Sie doch auch sind ein guter Pole, lieben mögen den König von Preußen in Berlin als den Großherzog von Posen!«
»Der arme Herr!« sagte der Graf – »er meinte es wirklich ehrlich und gütig mit unserer Nation! – Du weißt doch die traurige Nachricht, Jokef?«
»Von seiner Krankheit?«
»Nein – Gott der Herr, der die Prüfung über ihn verhängte, hat ihr ein Ziel gesetzt und ihn in vergangener Nacht in sein Himmelreich aufgenommen. Der Telegraph brachte heute morgen die Nachricht nach Posen.«
»Gott Israels – was muß ich hören? ich habe kein Wort geahnt davon, als die Christen feierten gestern noch so lustig ihr Neujahr. Herr Graf, ich möchte weinen auf seinem Grab, denn wenn ich auch bin geboren jenseits der Grenze, hab' ich doch viel Verkehr in seinem Land gehabt, so lange ich handle, und das sind jetzt zwanzig Jahre. Es ist gewesen ein Salomo und ein gerechter Mann und auch mit den Leuten von meinem Volk, als ob er nicht wäre ein gewaltiger Fürst. Ich muß weinen, Herr Graf, als wäre gestorben ein König von Zion, und wenn ich komme nach Haus zu meinem Weib und meinen Kindern, werd' ich sie Schiwwe sitzen lassen alle für ihn und beten das Totengebet. Der Gott der Christen und der Juden und aller Menschen schenke ihm die ewige Seligkeit!«
»Amen! – und nun Jokef, lebe wohl bis morgen, ich verlasse mich auf dich!«
Der Graf reichte dem Kaufmann zum drittenmal die Hand und ging von ihm ehrerbietig begleitet zu dem Schlitten, der auf seinen Ruf gehalten hatte und mit dem die dampfenden Pferde nun lustig davontrabten, während der Jude wieder unter seine Plane kroch und langsam nach dem Grenzamt weiter zog.
Der Graf wandte sich zu seinem Begleiter.
»Es ist alles in Ordnung Herr, und morgen abend werden Sie sicher über die Grenze kommen und während der Nacht Kazimierz erreichen.
»So hat der Mann eingewilligt?«
»Ja. Jokef ist ein wackerer Bursche und hat ein patriotisches Herz wie Sie und ich, das warm und aufopfernd für Polen schlägt. Beleidigen Sie ihn also nicht durch ein Anerbieten von Geld, sondern reichen Sie ihm die Hand, das wird ihn mehr freuen. Und nun noch eins. Hier biegt unser Weg ab nach Slawice, dessen Dächer zwischen den kahlen Bäumen liegen, die Sie bereits da drüben sehen. Es ist deshalb nötig, daß ich sie mit meiner Hausordnung bekannt mache. Deren erste Regel ist, daß ich nie mit meiner Familie oder in deren Gegenwart über Politik spreche und ebenso nicht dulde, daß meine Familie in meiner Gegenwart es tut, nicht blos mit mir, sondern auch mit Dritten. Es hat dies manchen schweren Kampf gekostet, aber ich mußte es durchsetzen, um bei den verschiedenen Meinungen mir den häuslichen Frieden zu bewahren. Ich bitte Sie also, Herr Kapitän, sich danach zu richten. Das Zweite ist der Rat, auch wenn Sie das beste Vertrauen zu den Meinen gewinnen, vorsichtig mit der Nennung Ihres Namens zu sein, denselben besser ganz zu verschweigen. Ich habe zwar nur ordentliche zuverlässige Leute in meinem Dienst und hier auf preußischem Boden würde niemand Sie belästigen, aber eine Unvorsichtigkeit ist oft schädlicher, als der Verrat und man darf dem Zufall keine Handhabe bieten.«
»Ich danke Ihnen, Herr Graf, nur wird es nicht möglich sein, ganz Ihrem Rat zu folgen, denn ich habe Briefe an Czalinski, in denen ich genannt bin.«
»Das ist dann seine Sache. Und nun noch einen letzten Rat und Bitte für den Fall wir nicht wieder Gelegenheit haben sollten, ausführlich miteinander zu sprechen. Ich wünsche Ihrem Unternehmen von Herzen Glück und meine Sympathien werden ihm folgen und es, so weit es sich mit den Grundsätzen, die mir Verstand und Pflicht zur Richtschnur gegeben haben, unterstützen. Wollen Sie aber ein gutes Ziel erreichen, so beschmutzen Sie eine heilige und erhabene Sache nicht mit schlechten Mitteln, die Ihrem Kampfe nur die Sympathien aller Bessern auch des Auslandes rauben müssen, und zu denen leider eine Partei zu greifen sehr bereit scheint, die auch schlimmerweise schon zu uns ihre Fäden gestreckt hat. Hüten Sie sich auch vor Mieroslawski, dessen maßlose Eitelkeit und Leichtfertigkeit unserer Sache schon unsägliches Unheil gebracht hat und bringen wird, und vor allem auch vor einer Verbindung mit den russischen Sozialisten. Glauben Sie mir, die russische Revolution, die näher vor der Tür steht, als man in Petersburg sich träumen läßt, verfolgt ganz andere Zwecke, als die Wiederherstellung Polens, und würde unser Vaterland ebenso bereitwillig knechten und unterdrücken, wie der schlimmste moskowitische Autokrat.«
»Ich danke Ihnen, Herr Graf!«
Die Hunde auf dem Gutshof schlugen an, durch das offene Parktor fuhr der Schlitten in das jetzt laublose Gehölz, das einzige auf weiter Runde, das nicht nur aus Kiefern und Fichten bestand, sondern aus schönen Eichen und anderen Laubhölzern, und der Postillon malträtierte nach Kräften die Melodie: »Fordere niemand mein Schicksal zu hören«, um die Ankunft des Gutsherrn anzuzeigen und sich in der Küche ein heißes Glas Tee mit Rum zu sichern. Als der Schlitten auf der Rampe vorfuhr, war die Tür bereits weit geöffnet, und zwischen den leuchtenden Dienern und dem Hausgesinde hindurch drängte sich eine junge Dame, welcher ein etwa sechzehnjähriger junger Mann folgte.
Im Hausflur stand eine große etwas korpulente Dame von sehr aristokratischer Haltung und sehr strengem Aussehen, hinter ihr ein magerer ältlicher, etwas schmutzig ausschauender Mann im schwarzen Priesterrock mit den weißen Bäffchen.
»Willkommen, Papa! Gott grüß dich, Papa, die Heiligen segnen deinen Eingang zum neuen Jahr!«
Der Graf sprang zuerst aus dem Schlitten, umarmte das blühende Mädchen und küßte es herzlich auf Stirn und Mund. Dann reichte er dem ernst, fast finster herankommenden Sohn die Hand. »Gott grüß euch, Kinder, auch ich wünsch' euch von Herzen ein gutes und gesegnetes Neujahr und so auch Ihnen, Frau Schwägerin und Ihnen, ehrwürdiger Herr! – Danke, danke, Kinder!« fuhr er zu den Dienstleuten fort, die sich um ihn drängten, den Zipfel seines Rocks zu küssen. – »Kusch Nero! warte bis nachher. – Hier Kinder, bringe ich einen Gast. Sie finden hier gleich meine ganze Familie zusammen, Herr Doktor!«
Die junge Komtesse, die bisher am Halse des Vaters gehangen, trat etwas verlegen zurück, als sie jetzt den Doktor bemerkte, und diese Pause benutzten die Herren, um ihre Pelze und Pelzstiefeln in der Halle abzulegen, die über den in sie mündenden Türen mit Elen- und Hirschköpfen, sonst aber im Stil der Rokokozeit geschmückt war.
»Herr Doktor Ebel,« sagte der Graf, seinen Begleiter vorstellend, »der leider die Gastfreundschaft von Slawice nur auf eine Nacht in Anspruch nehmen will. Gib der Schließerin Befehl, Mira, das blaue Zimmer heizen zu lassen, und nun, Schwägerin, wie steht's mit unserem Nachtessen, denn wir sind hungrig und verfroren. Es ist heute eine verteufelte Kälte!«
»Die Tafel ist serviert, Herr Schwager, wenn's gefällig!«
Die Dame hatte die Vorstellung bei Nennung des anscheinend deutschen Namens nur mit einem vornehmen Kopfnicken erwidert, doch ließ sie ihren Blick prüfend an der eleganten männlichen Gestalt des Fremden einige Zeit haften. Die Prüfung schien ihr doch nationale Züge zu weisen und ihre hohe Miene wurde etwas freundlicher.
»Wo speisen wir?«
»Im oberen Saal, Herr Schwager. Da Sie uns nicht die Ehre Ihrer Gegenwart am Neujahrstage schenkten, feiern wir ihn heute.«
»Ich hätte das gemütliche Parterre vorgezogen. Aber gut, daß Sie mich daran erinnern. Jozef – sorge dafür, daß der Koffer und die Pappschachteln von dem Schlitten genommen und in das grüne Kabinett neben dem Speisesaal gebracht werden, es ist etwas für euch alle darin. – Ihren Arm, Frau Schwägerin! – Ah – mein wackerer Werthmann!« – er ließ noch einmal den Arm der Dame des Hauses los und reichte seine Hand einem älteren halb ländlich gekleideten Mann von sehr treuherzigem Ansehen. »Ich habe Sie gar nicht gesehen und dachte Sie bereits bei den Ihren. Wissen Sie, ich bringe eine sehr traurige Nachricht mit.«
»Um Gotteswillen, Herr Graf, es ist Ihnen doch nichts Unangenehmes passiert?«
»Der König ist in vergangener Nacht gestorben!«
Die Nachricht schien einen sehr verschiedenen Eindruck zu machen. Die alte Gräfin hörte sie mit gleichgültigem Achselzucken, Werthmann aber, der Amtmann und Verwalter der weitläufigen Gutsherrschaft, war sichtlich ergriffen. Er faltete die Hände und ein Paar große Tränen rannen ihm über die gefeuchteten Wangen.
»Gott der Herr gebe ihm eine freudenvolle Ruhestätte,« sagte er – »er hat viel Unruh und Leid in seinem Leben getragen. Ich sah ihn noch als Knaben fast, – nicht viel älter, als hier der junge Graf, bei Bar-sur-Aube, als das prinzliche Brüder-Paar neben dem königlichen Vater im französischen Kugelregen hielt.«
»Das war, wo auch Sie sich Ihr Kreuz holten als junger Freiwilliger. Nun, beklagen Sie ihn nicht – der Tod hat ihn wirklich erlöst, und es war fast zu wünschen bei so unheilbaren Leiden.«
»Ich warte, Herr Schwager!«
»Ah – pardon! – Lieber Doktor – der Arm meiner Tochter ist der Ihre!«
Er reichte nochmals seiner Schwägerin den Arm und führte sie die breite Steintreppe hinauf, die in Doppelwindung mit schönen vergoldeten Eisengeländern nach dem ersten Stockwerk führte. Überall Täfelung an den Wänden, Arabesken und Schnitzereien, aber bei der Fahrlässigkeit, mit der im Polnischen selbst bei den reichsten Familien verfahren wird, – überall auch die sichtbaren Spuren der Vernachlässigung. Wie der Gast am andern Tage fand, hatte der Hausherr mit seinem besseren Geschmack und mehr deutschem Ordnungssinn in einem modernen, villaartigen Anbau an der Gartenseite des alten Hauses sich eine besondere Wohnung geschaffen, wo er seinen Lieblingsstudien, der Astronomie und Mathematik lebte, während er aus Pietät die Zeichen des frühern Glanzes in dem alten Wohnsitz seiner Vorfahren möglichst aufrecht hielt.
Zwei Diener in reich bordierter Livree, aber mit ungekämmten Haaren warfen die Flügeltüren des Saales auf, in dessen mächtigem Kamin ein Feuer von ganzen Holzkloben brannte, zu dem sich alsbald Nero, ein prächtiger Hühnerhund und der Liebling des Grafen, niederlegte. Lederne mit verblindeten Gold-Arabesken verzierte Tapeten bedeckten die Wände, an denen eine Reihe von Ahnenbildern, Frauen und Männer, in ihrer den Zeitepochen entsprechenden oft sehr malerischen Tracht hingen. Man sah, daß es ein altes edles Geschlecht war, das dies Haus gebaut, und daß ihm viele Krieger, Staatsmänner, Würdenträger der Kirche und schöne Frauen entsprossen waren.
Eine überreich mit Silber beladene Tafel war quer vor dem Kamin gedeckt. Die schweren silbernen Armleuchter trugen zahlreiche Wachskerzen, selbst die Teller waren Silber und zeigten das Familienwappen, den mit dem Säbel bewehrten geharnischten Arm. Aber keine einzige Blume unterbrach freundlich den Glanz der Tafelaufsätze, und der ganze Saal mit seiner dunklen geschnitzten Holzdecke, die mehrere sehr bedenkliche Risse zeigte, hatte trotz des Reichtums etwas Kaltes, Ungemütliches.
Die Mitglieder des Haushalts schienen das jedoch – mit Ausnahme des Grafen selbst – weniger zu fühlen durch die Macht der Gewohnheit. Der Graf hatte seine Schwägerin zu dem oberen Sitz des Tisches geführt, der mit einem kostbaren, aber durch zwei ungestopfte Schnittlöcher verdorbenen Damasttuch bedeckt war und den Sessel zur Rechten eingenommen. Der angebliche Doktor Ebel erhielt seine Stelle zur Linken zwischen der Dame und Tochter des Hauses und der Sohn nahm den Platz neben dem Vater und dem Propst ein.
Der Kapitän konnte jetzt sehen, daß nach dem Familiengebrauch, wenigstens wenn nicht größere Gesellschaft da war, noch eine Anzahl Hausgenossen zur Tafel gehörte.
Es war dies außer dem Amtmann Herrn Werthmann, einem Deutschen, den das Vertrauen und der strenge Wille des Grafen gegen alle die zahlreichen, kleinlichen Anfeindungen seiner polnischen Umgebungen und selbst der Familie hielt, und der seit achtzehn Jahren den Gutsbetrieb leitete: der Unterinspektor, ein Mann von etwa 30 Jahren, und ein verbissener Pole mit finsterem unheimlichem Gesicht, einer jener untergeordneten Edelleute oder Slachczyczen, die teils aus alter Verwandtschaft, teils aus früherem Vasallentum in älteren Zeiten noch mehr als jetzt zu jeder polnischen Familie gehörten, – die frühere Gouvernante, jetzige Gesellschafterin der Komtesse, Mademoiselle Petitpierre aus Lausanne, – und der Hauslehrer, ein evangelischer Predigtamtskandidat, der die Studien der beiden jüngeren Kinder des Grafen geleitet hatte, bis Komtesse Kazimira in eine vornehme Genfer Pension, und Herr Walery als wohlbestallter Tertianer auf das Gymnasium zu Inowrazlaw kamen, wo er es nach zweieinhalbjährigem Studium wirklich bis zur Sekunda gebracht hatte.
Der Graf hatte Herrn Lindener, einen ernsten, fleißigen, etwas hohlwangigen Mann von sieben- bis achtundzwanzig Jahren, der ein warmes, edelmütiges, aber vom Leben vielgeprüftes Herz und sehr geringe Aussichten hatte, im Hause behalten, zum großen Ärger der Gräfin und ihrer Kreatur, des fanatischen Propstes. Teils wollte er wenigstens einen wissenschaftlich gebildeten Mann um sich haben, mit dem er ernstere Unterhaltungen genießen konnte, teils wollte er dem gedrückten bescheidenen Mann, dem Sohn eines armen Handwerkers in Berlin, aufrichtig wohl und hatte ihm das Pastorat einer evangelischen Kirche auf einem seiner Güter zugedacht, das zum größeren Teil von deutschen Bauern bewohnt, und dessen jetziger Pastor ein kränklicher Greis war; teils sollte er auch dem jungen, sehr trägen, widerspenstigen Herrn während der häufigen Ferien und Feiertage als Repetitor und Instruktor dienen, – eine Beschäftigung, die dem unglücklichen Kandidaten noch mehr den tückischen Haß des boshaften Burschen zugezogen hatte, als das schon früher der Fall war.
Herr Lindener hatte außer seinem Gönner nur einen Beschützer im Hause, wie der Kapitän alsbald bei der Unterhaltung merkte, aber einen mächtigen, der energisch seine Partei nahm.
Nachdem die ersten Speisen aufgesetzt waren, – das Essen begann nach polnischer Sitte mit der Herumreichung starker Liköre und einer Schüssel scharfen Heringssalats – nahm als letzte Person noch die Wirtschafterin an dem Tisch Platz, gleichfalls eine Deutsche, aber eine augendienerische Person, die sich der älteren Dame des Hauses um jeden Preis angenehm zu machen suchte.
Der Kapitän hatte jetzt Gelegenheit, sich auch die Mitglieder der Familie etwas näher anzusehen.
Die Gräfin Oginska mochte etwa 50 Jahre zählen und war eine stattliche, imponierende Erscheinung. Die polnischen Damen verstehen wohl sich anzuziehen, aber nicht Toilette zu machen, erscheinen daher auch bei möglichster Einfachheit am vorteilhaftesten. Die Gräfin trug ein schwarzes, hoch zum Hals gehendes und dort mit einer Brüsseler Spitzenkrause geschlossenes Kleid, eine schwere, goldene Kette und viele Ringe, auf der Brust aber eine große Medaillenbroche mit dem Porträt des General Chlopicki.
Die böse Welt sagte, daß der unglückliche Diktator ihr in ihrer Jugend einmal die Cour gemacht habe.
Das Gesicht der Dame war überaus vornehm und herablassend; sie aß mit echten Pariser Glacéhandschuhen, die freilich an mehreren Stellen aufgeplatzte Nähte zeigten.
Natürlich und unbefangen, eine wirklich reizende Erscheinung war die junge Komtesse in ihrem einfachen schwarzen Seidenkleid. Sie trug dazu einen roten Korallenschmuck, und das schöne, dunkelblonde Haar in zwei breiten Flechten über der Stirn diademartig zusammengelegt, während rechts und links zahlreiche kurze Locken bis unter die Wange herabfielen. Es war eines jener lebensvollen Gesichter, auf denen der Ausdruck rasch wechselt und jede Stimmung und Bewegung sich kund gibt. Braune lebendige Augen und eine Reihe von schönen Zähnen in dem nicht zu kleinen Mund erhöhten den Reiz ihrer Erscheinung. Ihre Gestalt war eher unter Mittelgröße, aber zierlich und beweglich.
Von Walery, dem angehenden Studenten, haben wir bereits gesprochen.
Nachdem der Graf sich erkundigt, was etwa auf der Herrschaft und in der Umgegend während seiner sechstägigen Abwesenheit Neues vorgefallen sei, welche Besuche gemacht und empfangen worden waren und welche Arbeiten in der Wirtschaft nach den Weihnachtstagen wieder begonnen worden, wobei er dem angeblichen Doktor Ebel von einigen landwirtschaftlichen Maschinen, die er auf den Gütern angeschafft, und von der diesmaligen Feldjagd erzählt hatte, richtete er sein Auge auf den Sohn.
»Nun, Walery – bist du recht fleißig gewesen?«
»Gewiß!« sagte vorbeugend die Tante. »Ich finde es sehr unrecht, daß die jungen Leute nicht einmal in den Ferien Ruhe haben. Die Professoren sind in der Tat zu streng, Sie sollten wirklich einmal mit dem Direktor sprechen, Herr Schwager!«
»Sicher! – aber wenn es geschieht, soll es einen ganz andern Zweck haben. Ich habe da in Posen ganz seltsame Dinge gehört und man ist dort besser unterrichtet als wir, kaum vier Meilen davon. Warum hast du nichts von alledem gesagt, Schlingel, was auf dem Gymnasium vorgegangen ist?«
»Ich?«
»Ja, du! Oder glaubst du etwa, mich darüber täuschen zu können, daß du dabei warst, wahrscheinlich sogar der Rädelsführer?«
»Ich weiß von nichts!« murmelte der Bursche verstockt.
»Aber, um aller Heiligen willen, was gibt es denn eigentlich.«
»Die Jungen fangen an, ihre deutschen Lehrer auszutrommeln und Demonstrationen zu machen.«
»Weiter nichts?!«
»Ich dächte, das wäre genug! Soll denn dieses Land nie zur Ruhe kommen, die es so sehr braucht zu einem verständigen, gesetzlichen Ringen für unsere Nationalität gegenüber den deutschen Einflüssen, deren Möglichkeit wir nicht leugnen können? Aber freilich, wenn die Kanzel und die Schulbank dazu benutzt werden,« – der Graf warf einen sehr verständlichen Blick auf den Probst, – »von Jugend auf die Gemüter auf falsche Wege zu leiten und in die Politik zu drängen, dann kann der beste Wille der Regierung nicht helfen.«
»Die Kanzel, Herr Graf,« sagte salbungsvoll der Probst, »ist dazu da, unsere heilige katholische Religion gegen die Ketzerei zu schützen, die uns schon so vieles genommen hat, und sich selbst in die Erziehung der Kinder polnischer Familien drängt.«
Der Blick, den er warf, war nicht erst nötig, um zu zeigen, wohin die Spitze des Pfeils ging.
»Unsinn!« sagte der Graf. »Es denkt kein Mensch daran, unseren Glauben zu beeinträchtigen und es gibt in ganz Europa kein paritätisches Land, wo die katholische Kirche so viel Macht und Einfluß hat, als in Preußen. Ja, in vielen katholischen Staaten wird der Geistlichkeit nicht so viel nachgesehen. – Daß man bei uns die Bettelklöster aufgehoben hat, diesen saugenden Schwamm am Mark des Landes, war eine wahre Wohltat, und ich bedauere von Herzen, daß man in neuerer Zeit wieder der Errichtung von Klöstern nachgibt. Sie fangen wieder an, wie die Pilze aus der Erde zu schießen. Was aber die Erziehung unserer Kinder betrifft, so beklage ich, daß tüchtiges Wissen bei uns nur in den Jesuitenkollegien zu finden ist, und daher mir einen Erzieher zu holen, hatte ich gar keine Lust. Unsere gewöhnliche Landgeistlichkeit – natürlich mit Ausnahmen, liebster Probst,« – er machte eine ironische Verbeugung – »beschränkt ihr Latein auf die Messe und das Brevier und ist nicht über den Magister Mattheseos hinausgekommen, wenn überhaupt bis dahin.«
»Um Gott und den Heiligen richtig zu dienen, braucht man kein Mathematiker, kein Euklid, Hindenburg oder Newton zu sein.«
»Richtig, da haben Sie recht, hochwürdiger Herr,« sagte lachend der Graf, der sich gern mit seinem Seelsorger zu streiten schien, – »Sie haben mich mit dieser Probe Ihrer Gelehrsamkeit geschlagen. Freilich, man braucht zu einem guten Christentum weder der Erfinder der kombinatorischen Analysis, noch der Infinitesimalrechnung zu sein. Aber man wird natürlich auch damit keine neue Welten entdecken und keine Dampfmaschinen konstruieren.«
»Ich wüßte nicht, was da für ein großes Unglück dabei wäre, Papa,« sagte munter die Komtesse, »wenn unser Korn noch mit den Flegeln der Bauern ferner gedroschen wird, als einer Dampfmaschine, die alle Augenblicke einer Reparatur bedarf!«
»Bah – sehen Sie, lieber Doktor,« bemerkte der Graf heiter, – »da bin ich gerade in meinem Steckenpferd tüchtig aufs Haupt geschlagen. Aber das kommt davon, wenn man von seinen altbewährten Grundsätzen abgeht und bei Tische über Politik und Religion spricht. Apropos, lieber Lindener, ich kann Ihnen vielleicht eine gute Nachricht geben. – Wie ist's, haben Sie mit dem Burschen da eine kleine Prüfung vorgenommen? – Sein voriges Zeugnis war kläglich genug. Ich will hoffen, daß das Rebellieren ihn nicht gehindert hat, seitdem etwas bessere Studien zu machen! Wie steht's mit seinen Kenntnissen?«
Der junge Grafensprößling warf seinem ehemaligen Präzeptor einen bitterbösen Blick zu. Aber der Probst legte sich zu seinen Gunsten ins Mittel.
»Ich finde, daß Herr Walery sehr fleißig ist. Nur Neid und Mißgunst kann ihm die vortrefflichsten Anlagen bestreiten. Ich habe ihn mehrfach befragt und bin erstaunt, daß man ihn noch nicht befördert hat. Dergleichen ist ein schlimmes Beispiel, und ich wundere mich nicht, wenn der Adel Anstand nimmt, seine Söhne dem Gymnasium zu Trzemeszno anzuvertrauen.«
Der Graf seinerseits schien wenig Vertrauen zu diesem Urteil zu haben, sondern beharrte bei dieser Frage an den früheren Hauslehrer.
»Was sagen Sie, Herr Lindener?«
Der gutmütige Kandidat befand sich in Verlegenheit, denn er wußte sehr wohl, daß der würdige Gymnasiast einer der faulsten, widerwilligsten Schüler war, aber ein bittender Blick der Komtesse bewog ihn, einen Ausweg zu suchen.
»Herr Walery hat in der Tat Fortschritte gemacht, Herr Graf!«
»Nun, das soll mir lieb sein, um so mehr, als ich mir somit nicht die Freude zu verderben brauche. Lassen Sie den Tisch abräumen, Frau Mandel, und du Mira laß von Vincenz und Antony den Koffer und die Kartons herbeiholen, die ich mitgebracht. Eure Neujahrsgeschenke sind darin.«
Die längst erwartete Nachricht brachte allgemeines Leben in die Gesellschaft; denn alles kannte das gute Herz des Grafen und wußte, daß er bis auf die Bedienten hinab niemanden in dem Haushalt vergessen haben würde. – Das Tischtuch war mit wunderbarer Eile beseitigt, der gewöhnliche Teppich wieder über die Tafel gebreitet, und von den Dienern wurden die bezeichneten Gegenstände hereingebracht und geöffnet.
»Und nun, Frau Schwägerin, bescheren Sie jedem sein Teil. Sie finden an allem die Zettel.«
In der Tat war das Neujahrsgeschenk sehr reichlich ausgefallen und jeder bedacht worden. Die Gegenstände bestanden teils in Schmuck- und Putzsachen, teils in Büchern, Nippes und dergleichen, aber mit freundlicher und sinniger Aufmerksamkeit war auf die Neigungen und Bedürfnisse eines jeden geachtet. Die Gaben an die Personen, welche, wie er wußte, die Gräfin eben nicht mit besonderer Gunst beehrte, verteilte der Graf selbst.
»Hier, lieber Werthmann, ist ein neuer Meerschaum aus Wien, damit Sie ihn so schön wie vor zwei Jahren anrauchen,« sagte er, »und dies Paket machen Sie, bitte, erst auf, wenn Sie bei Ihren Töchtern sind. – Und Sie, lieber Lindener, Gelehrten kann man nur mit ihrem Handwerkszeug einige Freude machen. Da sind einige Werke, die sich besser studieren als lesen lassen! – Aber Sie, Herr Doktor, sollen Sie denn ganz zu kurz kommen?«
»Ich bin ein Fremder, Herr Graf, und freue mich der Freude, die ich um mich her sehe.«
»Nein, so leer ausgehen sollen Sie doch nicht. Da – dies Etui wird für Sie passen, da Sie doch gezwungen sind, so viele Reisen zu machen.«
Er reichte ihm ein zierliches Etui, das, als der angebliche Doktor es öffnete, einen überaus präzis gearbeiteten so kleinen Revolver enthielt, daß man die gefährliche Waffe leicht in der Hand verbergen konnte.
Ein bezeichnender Blick und eine Verbeugung dankte dem Spender für das bedeutungsvolle Geschenk.
Die Gesellschaft hatte sich erhoben. Die Komtesse war noch immer mit ihren Geschenken beschäftigt, die sie von Mademoiselle Petitpierre und der Haushälterin bewundern ließ. –
»Sie sind zu streng mit Walery, Herr Schwager,« sagte die Gräfin. »Ich finde es ganz recht, daß die jungen Leute unsere Nationalität nicht wollen unterdrücken lassen. Das Gymnasium ist ein polnisches, und es dürfte nur polnisch dort gesprochen werden!«
»Ich liebe es nicht, wenn Schuljungen Politik treiben wollen.«
»Ein junger Edelmann ist kein Schulknabe. Bei Grochow und Praga fochten junge Kavaliere, die jünger waren als Walery.«
»Und sie halfen nur nutzlos den Boden mit Blut düngen, und manche tüchtige Knospe am Baum wurde da leider zerstört. Wenn Walery ein Mann ist und einen Bart trägt, mag er demonstrieren, jetzt aber soll er erst lernen, was dies bedeutet. Es bleibt dabei, höre ich noch einmal von solchen Geschichten, so schicke ich ihn auf ein Gymnasium in Berlin!«
Die Komtesse unterbrach das Gespräch.
»Wie schade, Papa, daß ich mit all den schönen Dingen mich morgen nicht putzen kann!«
»Morgen?«
»Ja – die Postmeisterin Bandtke drüben in Strzalkowo hat uns eingeladen zum Tee, und da wird sonst immer getanzt.«
»Die Nachricht von der Landestrauer wird wohl zur Folge haben, daß die Gesellschaft abgesagt wird.«
»Bah – was geht uns der Tod des kranken Mannes an,« sagte die Gräfin. »Warum sollte Kazimira sich deshalb ein Vergnügen versagen? – Der Umgang mit der Postmeisterfamilie ist zwar unter ihrem Stand, aber die Postmeisterin hat wenigstens gutes polnisches Blut. Ich werde mit ihr hinüberfahren.«
»Ich habe nichts dagegen, wir sprechen noch weiter darüber, Schwägerin, aber auf den Ball dürfte Mira verzichten müssen. Ich zweifle, daß die Herren Offiziere sich einfinden werden!«
»Es gilt die Wette, Papa,« sagte die Komtesse schelmisch. »Was gibst du mir, wenn sie kommen?«
Der Graf murmelte etwas von unlieb sein, wollte aber auf das Thema nicht weiter eingehen und sprach mit seinem Amtmann über einige Einrichtungen.
Die kleine Familienunterhaltung hatte der Kapitän benutzt, um sich dem Probst zu nähern.
»Der Herr Graf war so gütig, mich Ihnen vorzustellen. Ich irre mich doch nicht, Herr Severin Czalinski, früher im Konvikt zu Krakau.«
»Ganz recht, Pan!«
»Dann habe ich Ihnen zwei Briefe zu übergeben.«
»Sie – ein Deutscher – ein Protestant, mir?«
»Ich bin weder Deutscher noch Protestant. Der eine der Briefe ist aus Rom vom Pater Sachnowski, der andere aus Dresden von meinem Freunde Mazurkiewicz!«
Der Geistliche starrte ihn mit offenem Munde an. »Von Sachnowski, von Mazurkiewicz? Bei unserer Frau von Czenstochau, wie kommen Sie dazu? was soll ich davon denken?«
»Daß ich dieselben Gefühle hege, wie Propst Czalinski. Ich bin im Auftrag des Zentralkomitees auf dem Wege nach Warschau!«
»Still – sprechen Sie leise! Und der Graf?«
»Der Herr Graf weiß darum, aber wünscht es nicht zu wissen.«
»Immer die alte Halbheit, die verwerfliche Lauheit gegen Vaterland und Religion. Aber wer bürgt mir dafür, daß Sie kein Spion, kein falscher Freund unserer Sache sind?«
»Mein Name!«
»Und der ist?«
»Für Sie selbst kein Geheimnis. Ich bin der Kapitän Marian Langiewicz!«
»Langiewicz? – der Längsterwartete! Welches Glück – ich eile, es der Gräfin zu verkünden!«
Der Offizier hielt ihn zurück. »Einen Augenblick noch, – es ist unnötig, daß man hier meinen Namen kennt.«
»Ohne Sorge – Sie sind hier so sicher wie im Hotel Czartoryski!«
Er näherte sich der Gräfin und sprach einige Worte mit ihr. Der Kapitän bemerkte, wie sie eine leichte Bewegung des Erstaunens machte und dann scharf nach ihm herübersah.
Auch der Graf hatte seine Beobachtungen gemacht und seine Verfahrungsweise beschlossen.
»Herr Doktor,« sagte er – »wir pflegen in unserem Hause, wenn wir unter uns sind, bis zum Tee, der um neun Uhr genommen wird, zu plaudern, oder Musik zu machen. Wollen Sie sich auf diese Weise mit den meinen unterhalten, so wird es diese gewiß freuen, andernfalls lassen Sie sich das Bibliothekszimmer oder Ihre Stube zeigen. Vor allem kein Genieren, und deshalb erlauben Sie auch mir, mich mit meinem Amtmann auf eine Stunde zurückzuziehen, um einige Geschäfte zu erledigen.«
Der Kapitän verbeugte sich. »Wenn den gnädigen Damen meine Gegenwart nicht lästig werden dürfte …«
»Keineswegs, Herr Doktor,« fiel die Gräfin ein. »Ich bitte, mit mir und dem hochwürdigen Herrn in meinem Zimmer den Kaffee einzunehmen.« Sie erteilte einige Befehle und rauschte dann voran.
Der Propst winkte seinem neuen Bekannten. »Kommen Sie!«
»Aber die Komteß?«
»Sie gehört nur halb zu uns, – wenn sie ihre patriotische Laune hat, wird sie schon erscheinen, sonst nicht!«
Komteß Kazimira hatte sich an das Piano gesetzt, das am Ende des Salons stand und begann ihre schönen Hände über die Tasten gleiten zu lassen, während die Französin neben ihr Platz nahm.
»Ihre Tante, Komteß, entführt uns den fremden Herrn!«
»Er ist nicht, was er scheint!«
»Glauben Sie? und warum?«
»Papa hat uns getäuscht. Das ist kein deutscher Doktor! Willst du den Beweis sehen?«
»Ich wäre neugierig!«
Der Kapitän wollte eben, dem Propst folgend, die Schwelle der Tür überschreiten, als die gewandten Finger der Komteß aus den tändelnden Opernmelodien mit rascher Wendung in die klagenden schwermütigen Töne des berühmten polnischen Nationalliedes übergingen:
Jeszcze Polska nie zginela
Polska my zyemi!
Der Offizier blieb auf der Schwelle stehen und wandte sich hastig um, sein flammendes Auge traf die schöne Klavierspielerin, die ihn lächelnd betrachtete und ihm jetzt zunickte. Die Röte des Ärgers, daß er so leicht sich hatte fangen lassen, überflog sein Gesicht, er legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich gegen die scharfsinnige Virtuosin und folgte dann erst dem Propst, der ihn bereits erwartete.
Komteß Kazimira lachte. »Siehst du wohl, daß ich recht hatte? Er ist ein Pole, und zwar einer von echter Farbe. Ich wußte es gleich und wollte mich nur überzeugen. Aber wozu die Geheimniskrämerei? Warum hat der Graf Czatanowski nötig, in seinem eigenen Hause die Anwesenheit seines Landsmanns zu leugnen?«
Die heiter neckende Stimmung, in der sie begonnen, hatte im Nu einem stolzen Zorn Platz gemacht. »Sind wir schon so weit gesunken, daß wir uns in unseren eigenen Häusern vor Spionen fürchten müssen?«
Sie hatte die Worte, wie die früheren, die sie mit ihrer Gesellschafterin gewechselt, französisch gesprochen, in der schnell erwachten unwilligen Erregung so laut, daß man sie hören mußte.
Ein schmerzlicher Seufzer, fast ein Stöhnen antwortete ihr.
Die Komteß wandte sich blitzschnell um, ihre Augen flogen umher, bis sie auf die hagere Gestalt des Kandidaten trafen, der in geringer Entfernung in einer Fensternische lehnte, halb verborgen von den schweren Vorhängen.
Einen Augenblick leuchtete es wie ein verstärkter Unwille über das schöne Gesicht der Komtesse, aber schon im nächsten gewann ihre Herzensgüte die Oberhand. Sie streckte ihre Hand dem angehenden Geistlichen entgegen und sagte freundlich in deutscher Sprache: »Kommen Sie, Herr Lindener, und geben Sie mir die Hand zum Beweise, daß Sie überzeugt sind, ich konnte Sie nicht damit gemeint haben.«
Der blasse Kandidat kam aus seinem Versteck hervor, nahm schweigend die gebotene Hand und küßte sie.
Aber rasch ließ er die Hand los, denn das selige Gefühl des Dankes wurde schwer verletzt.
»Und warum nicht? Der Kandidat ist doch auch ein Deutscher und liebt uns Polen nicht!«
»Ah – Meister Valer –« sagte die Komtesse »du bist auch noch da? Ich dachte, du wärst mit der Tante gegangen.«
»Ich halte es für besser, wenn ich hier bleibe!«
»Und warum, wenn ich fragen darf?«
»Damit nichts Ungehöriges vorfällt, was sich für eine Gräfin Czatanowska nicht schickt!«
Eine dunkle Röte flammte über das schöne Gesicht des jungen Mädchens. »Bube!« sagte sie – »danke Gott und dem Gefühl, daß ich deine Schwester bin, – wenn ich dem Vater nicht von deinem Benehmen spreche.«
Der junge Bursche kreuzte die Arme und sah ihr frech ins Gesicht.
»Ich weiß freilich nicht,« sagte er höhnisch, »ob ich einen armen Schulmeister oder einen pauvren preußischen Leutnant als Schwager vorziehen würde, doch da beide deutsch sind, wird es auf eins herauskommen!«
Der Kandidat war totenbleich geworden bei der frechen Rede seines ehemaligen Schülers, die ein Gefühl so schonungslos bloßlegte, daß er sich kaum selbst zu gestehen gewagt hatte. Kaum wagte er seinen Blick zu der jungen Gräfin zu erheben.
Die Komteß hatte sich von ihrem Stuhl erhoben. Ihr schönes Gesicht hatte einen so ungewohnten Ausdruck von finsterer, entschlossener Drohung angenommen, daß selbst die Frechheit des jungen Menschen zurückwich.
»Bitte sofort um Verzeihung!«
»Ich – wen? – wofür?«
»Herrn Lindener und mich für die Beleidigung, die du uns angetan.«
Der junge Graf lachte höhnisch auf. »Ich denke nicht daran!«
»Bitte um Verzeihung!«
»Nein!«
»Gut! – so soll der Vater erfahren, wer am Weihnachtsabend das Feuer im deutschen Dorfe angelegt hat.«
Sie schickte sich langsam aber mit fester Ruhe an, den Saal zu durchschreiten.
Der junge Mensch – jetzt fast noch bleicher als vorhin der Kandidat – war von seinem Sessel aufgesprungen und hatte sich ihr in den Weg geworfen. »Schwester – Mira – du wirst doch nicht? Es ist nicht wahr, es ist erlogen!«
»Das mache vor dem Vater oder besser vor dem Kreisgericht in Wreschen mit dem Briefe deines schändlichen Helfershelfers und Verführers ab, den du so leichtfertig warst, zu verlieren!«
»Schwester!«
»Ich bin nicht die Schwester eines Brandstifters. Bitte sofort ab!«
Ein wütender Kampf malte sich in dem boshaften verbissenen Gesicht des jugendlichen Verbrechers. Endlich stammelte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor: »Ich bitte um Verzeihung!«
»Dort – zu deinem, leider nur allzu nachsichtig gewesenen Lehrer!«
Er wandte sich zähneknirschend zu dem Kandidaten und sagte jetzt in deutscher Sprache, denn die Komtesse hatte bisher zu ihm polnisch gesprochen: »Ich bitte Sie um Verzeihung, Herr Lindener.«
»Für meine Impertinenz!« vervollständigte die Komteß. »Für meine Impertinenz!« Der Blick, den er ihr zuwarf, war alles mögliche eher, als brüderlich.
»Aber lieber Valer, ich weiß, daß Sie nur aus Unbesonnenheit …«
»Und jetzt hinaus!« sagte die Komteß und wies nach der Tür. »Geh zu deiner Tante, – dort findest du Beistand!«
Ohne ein Wort zu sagen, tückisch den Kopf zu Boden geneigt, schlich er hinaus.
Die junge Gräfin schlug die Hände vor das Gesicht. »Heilige Mutter Gottes – wie soll das enden! Der arme Vater!«
»Hat ihm Gott nicht zwei andere Kinder zum Trost gegeben?« sagte eine zitternde Stimme hinter ihr.
»Alfred? – o, Sie wissen nicht, Herr Lindener, welche schweren Sorgen auch er dem Vater bereitet! Er ist gut von Herzen, aber schrecklich leichtsinnig, und soll in schlechten Händen sein. Er spielt und braucht fast mehr Geld, als der Vater aufbringen kann. Diese Reise nach Posen – – aber was nützt es zu klagen, das ändert die Sache nicht. Desto mehr müssen wir den Kopf oben halten. – Haben Sie die Dummheit gehört,« fuhr sie wieder heiter werdend fort, – »daß der nichtsnutzige Schlingel in seiner Bosheit sogar aus uns ein Paar machen wollte?
»Komteß – –«
»Das erinnert mich übrigens daran, daß Sie wirklich auf Freiers Füßen gehen sollen. Der Medizinalrat hat mir gesagt, daß der arme Pastor Weiland das Frühjahr nicht mehr erleben würde, und Papa hat gewiß schon in Posen bei dem Konsistorium alle nötigen Schritte getan.«
»Wie Gott will!«
»Ja, Herr Kandidat, der Mensch muß aber auch wollen und der Pfarrer muß seiner Gemeinde ein gutes Beispiel geben. Ich weiß, daß meine Freundin Auguste, des Amtmanns zweite Tochter, Ihnen längst sehr gewogen ist und Ihnen gewiß keinen Korb geben wird. Was meinen Sie dazu – soll ich für die Frau Pastorin den Brautkranz bestellen?«
Sie hatte das munter vor sich hin geplaudert und sah sich jetzt wieder nach ihm um, halb schelmisch, halb ernst.
Der Kandidat stand einige Schritte hinter ihr, den Kopf auf die eingefallene Brust gesenkt, die Hände vor sich verschlungen. Und wie er jetzt langsam das Haupt erhob und einen einzigen kurzen Blick auf sie richtete, aber so entsetzlich traurig und trostlos, so ergeben und geduldig, – da schnitt es dem schönen Mädchen wie ein Messer durch das Herz, und ihre braunen Augen wurden feucht, als sie jetzt in die Tasten griff und ein Lieblingslied spielte, jene wunderbare Melodie voll Schmerzen und Entsagung, die Polonaise ihres Großonkels Oginski, die den Weg durch die Welt gemacht hat:
»Schmerzenstöne steigt empor –
Mischt euch in der Freude Chor!«
Mit schöner Altstimme hatte sie das ergreifende Lied intoniert, – und als sie jetzt die Strophe gesungen und sich wieder umwandte nach dem früheren Lehrer und treuen Freund, schloß sich eben langsam die Tür hinter seiner gebrochenen Gestalt. – – – – – – – – –
Die Gräfin hatte in einem Fauteuil Platz genommen und zwei andere sich gegenüber an den Kamin schieben lassen, in dem eine muntere Flamme brannte. Die Kaffeemaschine, Rum, Zucker und die Gläser standen auf einem Tischchen zur Seite – sie hatte auffallende Eile gehabt, die Bedienung zu entfernen und saß jetzt ungeduldig den Fuß wippend, in Erwartung ihrer Gäste.
Endlich öffnete sich die Tür, der Probst führte den Fremden herein und schloß sorgfältig wieder den Zugang.
»Da bring' ich ihn, gnädigste Frau, und mögen die Heiligen mit dieser Stütze Polens und der Kirche sein.«
»Willkommen, willkommen, Pan Kapitän,« sagte die Edeldame, sich halb erhebend und dem Ankommenden die Hand reichend. Dem Himmel sei Dank, daß wir Sie sehen; denn nun ist hoffentlich Aussicht, daß Ernst gemacht wird gegen die Tyrannen!«
Der verkleidete Offizier küßte die dargebotene Hand. »Ich bin dankbar für so viele Güte, gnädigste Frau. Sie beweist mir, daß in den Herzen der polnischen Damen der alte Mut und die alte Opferfreudigkeit lebt!«
»Welche Tochter, welcher Sohn Polens sollte so entartet sein – aber freilich, ich vergesse, daß Sie mich in einem Hause finden, wo leider so laue Gesinnungen herrschen.«
»Der Herr Graf,« sagte der Kapitän, »hat gleichfalls ein polnisches Herz. Daß man nicht daran zweifelt, beweist meine Anwesenheit hier.«
»O ja, er schämt sich zuweilen; – aber das wahre heilige Feuer fehlt ihm! Wenn es nicht die Kinder meiner Schwester wären, die ich vor diesen deutschen, ketzerischen Einflüssen bewahren muß, ich bliebe keine Stunde in seinem Hause. Aber nun sprechen Sie, erzählen Sie! wann kommt der General?«
»Wer?«
»Nun, General Mieroslawski! ich denke, Sie waren zusammen mit ihm in Oberitalien?«
»Ich war an der Militärakademie zu Cuno, gnädigste Gräfin,« sagte der Offizier ziemlich kühl. »Ob und wann General Mieroslawski eintreffen wird, weiß ich nicht. Ich glaube nicht, daß ihn das Zentralkomitee mit einem Kommando betraut hat.«
»O, über diese Männer – immer und ewig diese Eifersüchteleien! Und welche Nachrichten bringen Sie von Paris und Dresden? Wird Frankreich sich endlich entschließen, unsere Erhebung mit einer Drohung am Rhein und vor Kronstadt zu unterstützen?«
Der Offizier zuckte die Achseln. »In Paris hält man die Erhebung nicht an der Zeit, indes …«
»Nun?«
»Sie wissen wohl, daß auch der Fürst die Zeit für ungünstig hält, dennoch hat man in Dresden geglaubt, sich für einen Versuch entschließen zu müssen und zwar infolge der Berichte Ihres Herrn Neffen.«
»Ah, Hippolyts? – ist er noch immer in Warschau? Die letzten Nachrichten, die ich durch Guttry von ihm bekam, ließen ihn in großer Gefahr schweben.«
»Er wäre beinahe während der Zusammenkunft des Kaisers mit dem Prinz-Regenten und dem Kaiser von Österreich verhaftet worden und entkam nur mit genauer Not durch die Aufopferung einer Heldin unserer Nation. Leider sind dabei wichtige Papiere in die Hände der russischen Polizei gefallen, obschon zum Glück nicht die wichtigsten Listen. Seitdem hat Graf Hippolyt Oginski mehrere Reisen in die verschiedenen Landesteile gemacht, aber seine Berichte lauten nicht besonders günstig. Auf das Landvolk ist nur zum Teil zu rechnen. Die größte Gefahr kommt von der Zersplitterung der Parteien in Warschau, den Blauen und den Roten. Deshalb – um die Kluft nicht noch weiter reißen zu lassen, hat man beschlossen, daß die Demonstrationen beginnen sollen.«
»Wann und wie?«
»Im Februar – anfangs passiv. Wenn erst Blut durch ihre Brutalitäten geflossen ist, haben wir vor ganz Europa das Recht der …«
Er zauderte, das Wort auszusprechen.
»Warum stocken Sie?«
»Weil ich nicht sagen darf: des Widerstandes oder der Erhebung, sondern weil es diesmal heißt: der Vergeltung!«
»Ah – endlich! hat man sich endlich entschlossen, Blut um Blut, Aug' um Aug', Zahn um Zahn zu vergelten? Wie oft habe ich mich gegen diese feige Empfindlichkeit empört! Die sizilianische Vesper hat den Völkern gezeigt, wie sich ein Volk frei machen kann!«
»Gnädigste Gräfin, Sie begreifen schwerlich, was dies System bedeutet!«
»Wie, ich sollte es nicht begreifen, nachdem ich es jahrelang als das einzige Mittel zum Siege gepredigt habe?! Warum sollten wir unsere Tyrannen schonen, die uns nicht geschont haben? Ströme von Blut mögen fließen, und wenn es das Blut der Feigen und Verräter ist, so möge es auch meinetwegen polnisches sein.«
»Die Spreu muß vom Weizen gesondert werden,« sagte fanatisch der Priester. »Das Gericht des Herrn muß kommen mit flammendem Schwert über alle, die lau sind und abtrünnig der heiligen Sache!«
»O, daß ich ein Mann wäre!« rief erregt auf- und niederschreitend die Gräfin. »Glauben Sie denn jener ewig zaudernden, vorsichtigen Partei in Paris wirklich, daß wir mit gewöhnlichen Mitteln zum Ziele kommen? Der Schrecken, das Entsetzen vor dem unsichtbaren Gespenst der Rache, des zertretenen mißhandelten Polens muß die Gemüter unserer Henker erfüllen. Jede Maßregel, jede Bedrohung ihrerseits muß mit dem Tode einer hervorragenden Persönlichkeit erwidert werden. Die geheime Feme der Rache muß organisiert werden, Dolch und Strang müssen ewig über ihnen schweben. Es muß ein geheimer Gerichtshof organisiert werden in jedem Bezirke, der Macht hat ohne Appellation über Leben und Tod. Aber nicht allein über das Leben unserer Feinde, sondern auch über das jedes Feiglings, jedes Säumigen unter uns selbst!«
»Es ist schrecklich – aber ich fürchte, man ist auf dem Wege zu diesen blutigen Beschlüssen. Gott sei Dank, daß ich ein Soldat bin!«
»Und warum fürchten Sie sich davor? – ist es etwa schlimmer, wenn ein zertretenes Volk in seiner letzten Kraft sich aufrafft, um den Feind einzeln zu erschlagen, als wenn ein Monarch seinetwegen Tausende auf dem Schlachtfelde opfert? Hat der Dolch und der Strick weniger Berechtigung, als die Kartätsche und die Kanone? Pfui der feigen Ansicht! Ich wollte nur, wir könnten hier hüben schon ebenso kräftig, so energisch verfahren, wie die da drüben. Der Deutsche ist ebenso gut unser Feind, wie der Russe, und bei der heiligen Mutter von Czenstochau – ich wollte niemanden schonen – selbst – –«
»Frau Gräfin!«
»Ja, daß ich's ausspreche, selbst die Bande des Blutes nicht, wenn sie feig die Sache Polens verließen!«
»Das ist schrecklich! – schicken Sie wenigstens den Knaben fort – solche Worte sind nicht für sein Ohr!«
Der Offizier wies auf den jungen Valer, der während des letzten fanatischen Ausbruchs der stolzen Frau in das Zimmer geschlüpft war und in einem Winkel hinter dem Kamin sich zusammengekauert hatte.
»Und warum nicht?« fragte die Gräfin hastig – »warum soll er nicht hören, was er als Pole zu hören ein Recht hat. Er ist der einzige dieser Familie, in dem das echte Blut der Paniowskis fließt, die es auf hundert Schlachtfeldern und Schaffotten für Polens Freiheit vergossen haben! So jung wie er ist, würde sein Arm nicht zittern, wenn es gilt, einen Feind oder Meineidigen zu treffen. Oder fürchten Sie vielleicht Unvorsichtigkeit oder Verrat von seiner Seite? Er würde sich eher in Stücke zerreißen lassen, als daß er eine Silbe verriete.«
»Ich will es gern glauben,« sagte der Kapitän ziemlich unmutig, und bemüht, das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu leiten. »Vor der Hand hoffe ich, daß es an Männern nicht fehlen wird, und diese zu sammeln, ist meine Aufgabe.«
»Es wird daran nicht fehlen bei dem ersten Aufruf an die Nation. Aber sagen Sie mir, Kapitän, warum Sie diese Straße zum Eintritt in das Königreich gewählt haben, die gefährlichste von allen; für gewöhnlich gehen unsere Emissäre doch durch Galizien und über Krakau, wo wir der Behörden sicher sind. Ich bin überzeugt, daß die österreichischen Beamten nicht sehen wollen, was passiert.«
»Die Eisenbahn über Myslowitz ist seit den letzten Entdeckungen in Warschau strenger überwacht. Wir haben die genauesten Nachrichten darüber, da die meisten Angestellten unserer Sache gehören. Ich habe also vorgezogen, über Posen zu gehen. Außerdem hatte ich einen wichtigen Grund, einige Tage im Großherzogtum zu verweilen.«
»Und darf man ihn nicht wissen?«
»Sicher – denn vielleicht können Sie und der ehrwürdige Herr dabei behilflich sein. Es handelt sich darum, mehrere Unteroffiziere und ausgediente Soldaten unserer Nationalität zum Übertritt aus dem Großherzogtum nach dem Königreich und zum Beitritt zu unserer Sache zu gewinnen. Sie sollen im geheimen einen Stamm tüchtiger Instruktoren für die Mannschaften des künftigen Revolutionsheeres bilden; denn wir sind nicht so töricht, zu glauben, daß wir mit undisziplinierten Banden die russischen Truppen schlagen können und wissen sehr gut, daß das preußische Reglement die besten Soldaten bildet. Bereits sind in den Walddistrikten mehrere Punkte bestimmt, wo insgeheim die Mannschaften diszipliniert und einexerziert werden können.«
»Da kann Lestowicz, der Inspektor unseres Gutes, helfen,« sagte der junge Graf. »Er ist Pole mit Leib und Seele, haßt die Deutschen wie ich, und kennt alle Burschen auf vier Meilen in der Runde.«
»Ich habe verschiedene Beichtkinder darunter,« meinte der Probst, »und werde natürlich nach Kräften wirken für die heilige Sache. Was meinen Sie, geliebte Tochter, zu Woyczek, dem Großknecht? Er ist vor kurzem vom Militär freigekommen, und war, wie ich hörte, Gefreiter, sollte auch Unteroffizier werden, ist aber der Maruschka wegen zurückgekehrt. Er ist ein stattlicher, entschlossener Kerl und hat großen Einfluß auf die anderen.«
»Das wäre vortrefflich. Aber wie an ihn kommen, ohne den Herrn Grafen aufmerksam zu machen?«
»Woyczek ist drüben auf dem Vorwerk beschäftigt!«
»Gut,« meinte der Probst. »Da bietet sich eine vortreffliche Gelegenheit. Sie müssen den Herrn Kapitän morgen früh einladen, mit Ihnen auf die Jagd zu gehen, Graf Valery, und ihn nach dem Vorwerk führen. Ich werde unter einem Vorwande gleichfalls hinkommen, Woyczek ist ein guter Katholik und ein gehorsamer Sohn der Kirche. Haben Sie Woyczek, so haben Sie wenigstens zwanzig andere Burschen aus dem Kreise mit ihm, und über die Grenze zu kommen, ist ihnen ein leichtes.«
»Und ich begleite Sie und bilde eine Freikompagnie!«
»Sie, Graf, sind noch zu jung; die schweren Mühen und Drangsale, die uns erwarten, werden selbst oft genug starke Männer beugen!«
»Ich bleibe nicht mehr in der Schule! Verflucht sei die Schule!« murrte der Bursche verstockt.
»Das wird sich finden, Valery! Wenn es an der Zeit ist, sollst du nicht der letzte sein, und wenn ich meinen Schmuck verkaufen müßte, werde ich für deine Ausstattung sorgen. Wie steht es überhaupt mit den Mitteln für das große Unternehmen, Kapitän?«
Der Offizier zuckte die Achseln. »Die Emigration ist arm!« sagte er.
»O –« meinte der Probst, – »wenn man das System durchführt, das ich dem Komitee vorgeschlagen, wird man Geld genug haben.«
»Und das wäre? – Die Sammlungen und die Aufforderungen zu Beiträgen ergeben nur noch ein geringes Resultat. In Paris und London existiert die Emigration nur noch durch die Unterstützung der Regierung. Und auch deren Fortdauer verdanken wir nur dem Prinzen Napoleon und dem Grafen Walewski. Es ist nicht mehr die alte Opferfreudigkeit für die Sache. Doch ist geschehen, was möglich war, und Graf Oginski hatte eine erhebliche Summe bei sich. Der größte Teil derselben ist zwar gerettet, da er in Anweisungen auf zuverlässige Bankiers bestand, aber 5000 Rubel Gold sind bei jener unglücklichen Geschichte in die Hände der Warschauer Polizei gefallen.«
»Das ist ein Tropfen Wasser. Man muß eine geheime Nationalanleihe ausschreiben, eine regelmäßige und eine extraordinäre Zwangsbesteuerung!«
»Wie – ich habe davon gehört, daß so etwas im Werke. So wäre der Plan dazu von Ihnen ausgegangen!«
»Von mir, im Namen der heiligen Kirche,« sagte der Pfaffe stolz. »Man muß eine geheime Zentralsteuerbehörde bilden, und für jeden Kreis Unterbehörden, die jeden Gutsbesitzer, jeden Bürger, kurz, jeden Bewohner abschätzen. Nur die Kirche bleibe verschont. Nach dieser Abschätzung lege man jedem eine Steuer auf und ziehe sie im geheimen ein. Ein paar Beispiele strenger rücksichtsloser Bestrafung des Ungehorsams werden jeden Widerstand brechen. Auf diese Weise wird ein zweiter Staat, eine zweite Regierung neben der der Gewalthaber entstehen und den Tyrannen auf die Dauer die Mittel entziehen.« Der Plan, der bekanntlich zur Ausführung kam.
Der Kapitän wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich halte das System allerdings für sehr ergiebig, indes, es kann auch gegen uns selbst umschlagen und Erbitterung gegen die patriotische Partei erregen. Wie weit glauben Sie, daß man das System ausdehnen kann? Auch auf die großen Städte, – auch auf das Großherzogtum und Galizien?«
Der revolutionäre Finanzier schwieg einige Augenblicke verlegen. »Freilich – hier – bei uns –« sagte er endlich, »wird es mit Gewalt kaum durchzuführen sein, obschon man es immer versuchen kann. Abbrennung von ein paar deutschen Gehöften wird ihnen einen heilsamen Schrecken verursachen. – Ich weiß nicht genau genug, wie es in Galizien steht, aber der Adel soll dort polnischer sein als hier. Glauben Sie mir, Herr Kapitän, es wird sich mancher im stillen freuen, – und ich rechne selbst den Herrn dieses Schlosses dazu, – wenn man ihn zwingt, etwas für die Sache zu tun.«
»Gott gebe es!«
Die Unterhaltung wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen, und in der Öffnung erschien der reizende Kopf der jungen Komtesse.
»Ist es erlaubt, hereinzukommen, oder ist das Konzil geheim?«
»Selbst wenn es das wäre, würde uns Gräfin Czatanowska nur willkommen sein,« sagte galant der Fremde, – »denn es würde sehr angenehm sein, mit ihr ein geheimes Einverständnis zu haben!«
»Nichts da, mein Herr,« lachte die Gräfin eintretend, »ich bin eine Freundin der Öffentlichkeit. Aber da ich in der Tat hier nur enragierte polnische Herzen sehe, kann ich kaum an einer kleinen Verschwörung zweifeln.«
»Schweig,« befahl ärgerlich die Tante. »Dein Benehmen ist freilich der Art, daß man dir nie vertrauen kann und dich eher zu unseren Gegnern als zu unseren Freunden zählen muß.«
Die kleine, zierliche Gestalt der Komtesse richtete sich hoch auf, und über ihr schönes Gesicht flog eine dunkle Röte.
»Was das betrifft, chère tante,« sagte sie stolz – »so glaube ich eine so echte Polin zu sein und mein Vaterland so sehr zu lieben, wie irgendeine der hier versammelten Personen, wenn ich auch nicht in läppischen und nutzlosen Konspirationen meine Vaterlandsliebe zeige. Ich werde nie vergessen, daß ich eine Gräfin Czatanowska bin.«
»Das mögen die Heiligen geben!« meinte giftig die ältere Dame.
Der Kapitän hatte sich erhoben. »Und daß niemand hier an Ihrer patriotischen Gesinnung zweifelt,« sagte er höflich und fest, »möge beweisen, gnädigste Komtesse, daß ich die Ehre habe, mich nicht als Doktor Ebel, sondern als Kapitän Langiewicz Ihnen vorzustellen.«
Die junge Gräfin reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen, Kapitän, für Ihr Vertrauen, und werde ihm zu entsprechen wissen. – Im übrigen bin ich hier nur eingetreten, um Ihnen zu sagen, daß Papa Sie in seinem Arbeitszimmer erwartet.« – – – – – – – – –
Am andern Vormittag wanderte der Gast und der junge Graf nach der getroffenen Verabredung, die Flinte auf der Schulter, über die beschneiten Felder, dem Anschein nach, um Hasen zu schießen, in Wahrheit aber auf der Fährte nach anderem Wild.
»Sehen Sie, Pan Kapitän,« sagte lachend der junge Mann, »da wandert unser würdiger Beichtvater bereits von der anderen Seite her dem Vorwerk zu, ein ganz guter Bursche, wenn er nicht so anmaßend und herrschsüchtig wäre und meine Tante ganz in der Tasche hätte. Es ist merkwürdig, daß die alten Weiber und die Pfaffen immer zusammenstecken! Aber das weiß ich, wenn ich je zu kommandieren habe, soll das Steuersystem unseres guten Czalinski an der lieben Geistlichkeit nicht mit geschlossenen Augen vorübergehen. Die faulen Dickbäuche, die unseren Tee saufen und unsere Hasen schmausen, sollen am ersten dran.«
Der Kapitän lachte und dachte, wie sehr sich der würdige Probst in seinem Zögling getäuscht. So kamen sie auf den Hof des Vorwerks, wo sie den Geistlichen bereits im Gespräch mit einem jungen Polen fanden.
Es war der Großknecht des Hofes, Woyczek mit Namen, ein kräftiger stämmiger Mensch von etwa 25 bis 26 Jahren, mit aufrechter Haltung, die vorteilhaft den früheren Soldaten zeigte. Auch die größere Sauberkeit seiner sonst ganz dem Landesgebrauch entsprechenden Kleidung sprachen dafür. Die kurze weite Hose steckte in den hohen Stiefeln, die trotz der Kälte vorne offene Litefka zeigte die nackte Brust und darüber trug er den Schafpelz und statt der ausgeschnittenen tief über den Kopf reichenden viereckigen Pelzkappe trug der Mann eine alte Soldatenmütze mit Ohrenklappen.
»He Woyczek – komm hierher!« rief der junge Graf.
Der Knecht kam heran und grüßte. »Was befehlen der gnädige Herr?«
»Nimm dein Beil und komm mit ins Holz. Wir wollen einige Stämme auszeichnen.«
Der Knecht ging gehorsam nach der Geschirrkammer und kam bald mit einem Beil auf der Schulter zurück.
»So,« sagte der Graf unterdessen. »Nun sehen Sie zu, wie Sie mit ihm fertig werden – ich traue dem Kerl nicht recht.«
Als der Großknecht herangekommen war, sagte der Propst laut: »Wenn Sie erlauben, Graf Valery, begleite ich Sie ein Stück auf Ihrem Spaziergang.«
»Es wird uns eine Ehre sein, hochwürdiger Herr!«
Die drei wanderten, gefolgt von dem Knecht, über die feste Schneefläche einem nahen Kiefernwäldchen zu.
Nach einer Weile wandte sich der Kapitän plötzlich zu dem Bauer und winkte ihn näher.
»Du hast gedient, Freund?«
»Ja gnädigster Herr, ich hab' gedient! Drei und ein halbes Jahr!«
»Bei welchem Regiment?«
»Beim Achtzehnten, gnädiger Herr!«
»Und verstehst du tüchtig das Drillen, ich meine das Einexerzieren von Rekruten?«
»Na – ob ich versteh! – Hab' ich doch getan ein halbes Jahr Unteroffizierdienst und hätt' es werden können ganz wenn ich gewollt. Do djabla! ich wollt sehen den Rekrut, der mit dem Aug' muckst, wenn ich ihm sag': Marsch! – Eins – Zwei! – Eins – Zwei!«
Der Kapitän lächelte.
»Du bist ein guter Pole, Woyczek!«
»Ob ich bin ein guter Pole! fragen Sie da hochwürdigen Herrn!«
»So wirst du vielleicht gehört haben, daß sich drüben wieder etwas vorbereitet?«
»Hab' ich gehört. Ich wollt', ich könnt' fressen die ganzen Russen!«
»Und die Deutschen auch!« fügte der Seelsorger hinzu.
» Tak! – und die Deutschen auch!«
»Nun wohl, Woyczek! einem Mann wie dir kann man schon vertrauen. Hättest du nicht Lust, mit einigen Kameraden über die Grenze zu gehen und da drüben gegen guten Sold die einfältigen Bauernjungen etwas einexerzieren zu helfen, damit, wenn es gilt, sie ihren Mann stehen?«
» Aj dobre! – mit Freud! – ich bin ein guter Pole und lasse mein Leben für Polen und die heilige Jungfrau. Aber …« Er kratzte sich verlegen hinter den Ohren.
»Nun?«
»Aber Euer Gnaden gewiß auch Soldat sind, wissen, daß ich Reservist bin und daß ich mich stellen muß bei der Kompagnie, wenn der Woyt Bezirksvorsteher. mir schickt die Einberufung. – Wer wird mir nachschicken die Einberufung?«
»Torheit!« lachte der Propst. »Dann bist du weit davon und weder der Landrat noch der Woyt kann dir das Geringste befehlen.«
Der Großknecht schüttelte den Kopf. »Nein, Hochwürden, Sie sind nicht gewesen Soldat, darum können Sie nicht wissen, ein Soldat muß gehorchen dem Befehl, sonst kommt er in Arrest.«
»Du bist ein Narr! Und was wäre dann weiter, selbst wenn das Regiment dich einziehen wollte? Bedenk, es könnte ebensogut gegen deine Brüder gehen.«
»Wäre schlimm! sehr schlimm!«
»Dann würdest du dich doch weigern, würdest den Gehorsam versagen?«
»Ein Soldat muß gehorchen, wenn der Hauptmann befiehlt!«
»Wie Kerl – du würdest auf die Unsern schießen?«
»Tu' ich lieber auf Russen schießen, aber wenn's sein muß, muß ich tun!«
»Wenn du es wagst, bist du verflucht in Ewigkeit! Die Heiligen werden nichts mehr von dir wissen wollen! Ich verweigere dir die Absolution!« schrie erbost der Geistliche.
»Das ist sehr schlimm für Woyczek, wenn die Heiligen haben kein Einsehen mit ihm! Was kann ein armer Kerl tun? Hochwürden werden nicht sein so grausam, wenn ich tu' meine Pflicht!«
»Aber deine erste Pflicht ist, Gott zu gehorchen! Er verbietet dir, gegen deine Landsleute zu fechten!«
»Der liebe Herrgott ist weit, und der Herr Hauptmann ist bei der Kompagnie. Wenn der Herr Hauptmann befiehlt, muß der Woyczek schießen und ständ' sein eigner Bruder bei dem Feind, sonst kommt er in Arrest. Der König und der Herr Hauptmann bestimmen, wer ist Feind von der Kompagnie!«
»Bösewicht! Verräter! Du bist schlechter wie ein Deutscher!«
Der Propst hob seinen Stock, als wollte er ihn schlagen.
Der Großknecht richtete sich straff empor. »Der Woyczek,« sagte er finster, »ist kein Verräter! Er ist kein Deutscher, er ist ein preußischer Pole! Er ist gewesen königlicher Soldat und läßt sich nicht schlagen wie ein Hund!«
Der Kapitän, der bisher schweigend und nicht ohne großes Interesse der seltsamen Unterredung beigewohnt hatte, hielt es jetzt für die höchste Zeit, einzuschreiten. »Sie mißverstehen den Charakter dieses Mannes, hochwürdiger Herr,« sagte er begütigend. »Unser Freund Woyczek hier ist ein wackerer Soldat und ein guter Pole, er wird sich nicht weigern, uns hinüber über die Grenze zu folgen und uns die besten Dienste zu leisten, vorausgesetzt, daß, wenn er eine Einberufungsordre seines Regiments erhielt, ihm diese nachgesandt wird.«
Der Großknecht nickte mit dem Kopf. » Tak! Tak! Wenn ich kann sein bei der Kontrollversammlung und wenn ich eingezogen werd' zur Übung, will ich tun, was der gnädige Herr will und die dummen Kerle exerzieren lehren, daß er seine Freude hat. Vielleicht können der gnädige Herr oder Euer Hochwürden sprechen mit dem Feldwebel oder dem Herrn Landrat, daß ich frei komme von der Übung.«
»Wir wollen das schon machen,« sagte der Kapitän. »Ich werde dich durch den Herrn Propst wissen lassen, wann und wo ich dich brauche. Wahrscheinlich in Kazimiersz! Kannst du über die Grenze kommen und einige tüchtige ausgediente Kameraden mit dir bringen?«
»Gewiß kann ich!«
»Deine Hand darauf, Mann!«
Der Großknecht streckte respektvoll seine hornige schwielige Faust dem Kapitän entgegen, die dieser schüttelte. Nur der Geistliche grollte noch immer über sein obstinates Beichtkind und konnte sich nicht zufrieden geben, selbst als ihn der Kapitän darauf aufmerksam machte, daß man schlimmstenfalls dem Mann ja nur die Ordre nicht nachzuschicken brauche. Zürnend über den Verfall der Religion und des Respekts vor der Kirche verließ er endlich die Gesellschaft, nachdem der Kapitän noch verabredet hatte, ihn am Nachmittag zu besuchen.
Als die drei jetzt allein waren und ihren Weg fortsetzten, sagte der Kapitän: »Du kannst mir einen Dienst erweisen, Woyczek!«
»Mit Freuden, gnädiger Herr!«
»Ich brauche eine vollständige Kleidung wie die deine! Sie braucht nicht neu zu sein, aber möglichst reinlich und ohne Ungeziefer.«
»Wenn der gnädige Herr zufrieden wären mit dem, was ich habe – für die schwarzen Husaren kann ich freilich nicht stehen, aber sonst kein Getier, ich schwör's.«
»Gut. Also Litewka, Beinkleid, Stiefeln und Pelz und eine neue polnische Mütze, keine Militärmütze! Was willst du dafür?«
»O, der gnädige Herr werden dem Woyczek nicht tun zu kurz.«
»Hier hast du 30 Taler preußisch – 180 Gulden polnisch. Wird das genügen?«
»O gewiß, Pan, gnädigster, ich dank ganz gehorsamst. Dafür kann ich mir schaffen Kleidung ganz neu. Wohin soll ich bringen das Gewand?«
»Wenn es dunkelt nach dem Schloß. Aber es braucht niemand darum zu wissen, namentlich der Amtmann nicht oder sonst einer von den Deutschen.«
»Ich werde bringen die Sachen in die Kammer von Maruschka, meinem Mädel. Denn sie ist ein brav und verschwiegen Ding!«
»Ich will schon aufpassen, wenn du kommst,« sagte der junge Graf. »Bleib dann im Schloß, es ist vielleicht noch etwas zu befehlen. Und nun kannst du wieder an die Arbeit gehen, die Bäume wollen wir ein andermal auszeichnen.«
Der Woyczek nahm wieder seine Axt auf die Schulter, grüßte militärisch und kehrte nach dem Vorwerk zurück, seelenvergnügt, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, und pfiff dabei den Leibmarsch seines Regiments. – – – –
Der verkappte Emigrant hatte im Lauf des Tages noch eine ausführliche Unterredung mit dem Propst Czalinski und der Gräfin Oginska gehabt, von welcher der Graf keine Notiz nahm.
Es wurde verabredet, daß man um 6 Uhr nach Strzalkowo fahren wollte und zwar der Graf mit der Komteß und dem Fremden, der, wie es hieß, von dort mit der Post seine Reise nach Bromberg fortsetzen wollte. Woyczek sollte die Herrschaft fahren, unterwegs aber die Pferde dem verkleideten Kapitän übergeben und nach dem Dorfkrug, wo ausgespannt wurde, zu Fuß nachkommen.
So ging der Tag vorüber. Als es dunkel wurde, brachte Woyczek in die Kammer seiner Braut, welche im Edelhof speziell zur Bedienung der jungen Komteß diente, die besprochenen Sachen und Valer trug sie in das Zimmer des Kapitäns, der bereits beschäftigt war, sein Haar rot zu färben und einen schmutzigen roten Bart um Kinn und Wangen zu kleben, der bei der Dunkelheit auch spähendere Augen täuschen konnte, als die der polnischen Bauern in der Schänke und der Kosaken bei dem Ritt über die Grenze. Sein weniges Gepäck führte er in einem kleinen unscheinbaren Felleisen mit sich, das sich leicht überall transportieren oder selbst auf der Schulter tragen ließ.
So ausgerüstet, nachdem er die Kleider des Großknechts angelegt und die seinen in dem kleinen Mantelsack verwahrt hatte, erwartete er die Ankunft des Schlittens.
Punkt 6 Uhr fuhr denn auch Woyczek mit dem Schlitten vor, und auf den Ruf Valers kam der Kapitän herunter in seinen langen Mantel gehüllt, der mit dem aufgeschlagenen Kragen vollständig Kleidung und Gesicht verbarg, so daß das Hauspersonal und der Amtmann, die teils im Foyer, teils auf der Rampe standen, nichts von der Verkleidung ahnen konnten. Der Graf und seine Tochter saßen bereits im Schlitten und kaum hatte der Kapitän neben Woyczek Platz genommen, so hieb dieser auf die dampfenden Pferde ein und im raschen Galopp flog der Schlitten davon durch den Park.
Wir müssen zu Jokef und seinen Vorbereitungen für den Schmuggeltransport zurückkehren.
Nachdem Jokef am Abend vorher mit seinem Frachtwagen im Dorf angekommen war und denselben im Hof des Kruges untergebracht hatte, hatte er sich aufgemacht nach dem Haupt-Zollamt.
Das preußische Haupt-Zollamt und das preußische Postamt befinden sich eine Strecke von etwa 2000 Schritt von dem Dorfe entfernt, einsam an der Chaussee, die in schnurgerader Linie fortläuft. Die beiden, aus mehreren Gebäuden bestehenden Ämter liegen zu beiden Seiten der Straße einander gegenüber, etwa noch eine halbe Meile von dem polnisch-preußischen Grenzgraben. Slupce, das erste russische Haupt-Zollamt, ein jammervolles polnisches Städtchen, ist von der Grenze noch etwa fünf Werst entfernt.
Die Chaussee zwischen beiden Orten führt durch eine trostlose flache Gegend. Wenig Gesträuch, kaum ein Baum auf der öden Fläche; nur die preußische Seite der Chaussee ist mit Obstbäumen besetzt, und südlich in einiger Entfernung zieht sich ein Kiefernwald bis an die Grenze.
Als Jokef das Haupt-Zollamt erreicht hatte, wo er sehr bekannt schien, wandte er sich nach dem einstöckigen Gebäude rechts, öffnete die Tür des Hausflurs und klopfte an eine Tür zur Linken.
»Herein!«
Er öffnete die Tür, aus der dichter Tabaksqualm ihm entgegenschlug.
An der Wand gegenüber saß auf einem alten ledernen Sofa ein großer kräftiger Mann von etwa drei- oder vierunddreißig Jahren, in eine alte Steueruniform gekleidet, die er als Schlafrock zu benutzen schien. Er hatte ein nicht hübsches, aber offenes und kräftiges Gesicht, etwas von Blatternarben gezeichnet, mit kleinen muntern Augen und von einem kurzen dunklen Bart umrahmt. Der Beamte dampfte aus einer Pfeife, daß die Wolken das Zimmer füllten und hatte vor sich ein großes Glas mit Rumtee, wie man ihn in Polen trinkt.
An der Seite des Tisches saß ein jüngerer Mann, etwa 20 Jahre, in Postuniform. Er war kaum von mittlerer Größe, schlank und beweglich, hatte graue ausdrucksvolle Augen und trotz seiner Jugend einen hübschen dunklen Bart. Auch er hatte ein Glas Tee vor sich, rauchte aber nicht.
»Ist's erlaubt, einzutreten, Herr Ober-Kontrolleur?«
»Ah Jokef, alter Gauner, du bist's! herein mit dir und sage, was du willst. Aber laß den Ober-Kontrolleur weg – ich habe leider noch Zeit bis dahin und bin der berittene Steueraufseher Hitzigrath für dich und jeden andern. Das merke dir oder ich schneide dir die Ohren ab! – Und nun, da in der Ofenröhre steht heißer Tee, auf der Kommode die Zuckerbüchse und der Rum, und auf dem Waschtisch ein Glas. Setz' dich und mach' dir ein Glas zurecht und dann erst tu' dein Maul auf, Jude!«
»Gott der Gerechte,« lächelte Jokef – »bester Herr Ober- – wollt' ich sagen Herr Aufseher, Sie sind doch halt immer noch der frühere Herr, als Sie waren beim Regiment in Posen. Aber wenn Sie befehlen, daß ich nehme ein Glas Tee, so müssen Sie erlauben, daß ich dazu gebe eine Flasche ebbes ganz Appartes, ein Rumchen, wie er kommt direkt von Jamaika bei die Mohren, und Zigarren, wie der Herr Obersteuerminister raucht keine besseren.«
Und er holte aus den unergründlichen Taschen seines Talars eine dickbäuchige Flasche Rum von allerdings sehr überseeischem Ansehen, und ein paar Pakete Zigarren, deren Duft wirklich auch eine feinere Nase hätte in Versuchung bringen können als die des wackeren Grenzaufsehers.
»Ich sag' es ja, der Jokef hat immer etwas feines,« lachte der Aufseher. »Nun, wir wollen ihm das Vergnügen nicht verderben, junger Freund! – Darum trinken Sie aus und lassen Sie uns einen neuen Tee brauen.«
Jokef war überaus beschäftigt. »Herr Postsekretär,« sagte er schmeichelnd, »es freut mich wahrhaftig, daß ich die Ehre habe. Sie hier zu sehen. Ich hab' an Sie gedacht, obschon Sie mir haben aufgezwungen bei der Fahrt zur letzten Leipziger Messe sieben Pferde – Gott, es is nicht zu glauben! – sieben Pferde Extrapost auf ä einzigen Wagen, wo ich bin angekommen aus Polen mit zwei!«
Der angehende Postsekretär und der Steuerbeamte brachen in ein schallendes Gelächter aus, denn die Anekdote war allerdings wahr.
»Reglement, Herr Jokef, bloß nach dem Reglement!«
»Was tue ich mit dem Reglement, wo doch muß sprechen die Billigkeit! – Ich hab' doch erst gehn wollen, wie Sie mir haben gejagt durch den Herrn Wagenmeister mit meinen Reklamationen vor die Tür, zu dem Herrn Generalpostdirektor Gnaden, um mich zu beschweren über die Behandlung. Aber ich hab' doch nachher gedacht, es könnte Ihnen vielleicht schaden, weil Se noch wären ä junger Beamter, und hab's gelassen sein. Und damit Sie sehen, daß ich hab' keinen Groll, sondern hab' gedacht in Freundschaft an Sie, hab' ich Sie mitgebracht ä Messer mit sechs Klingen und ä Säge und ä Pfropfenzieher, ä wahres Meisterstück!«
Und er holte aus der unerschöpflichen Tasche ein sauber in Seidenpapier geschlagenes Messer und bot es dem jungen Beamten.
Der Postsekretär errötete ein wenig, denn er war sich allerdings einer kleinen Härte bewußt, zu der ihn die oft unverschämten Anforderungen der polnischen Meßreisenden gebracht, – und er sagte, indem er nach seinem magern Portemonnaie griff: »Was kostet das Messer, Herr Jokef?« – aber der Jude hielt ihm gutmütig lächelnd die Hand. »Was es kostet? – ä Schön Dank, Jokef! und weiter nichts. Und nu wollen wir reden von was anderem! – Ich steh' mit ä Wagen voll Waren im Wirtshaus, Herr Aufseher!«
»Das hab' ich mir gedacht. Doch keine preußische Kontrebande?«
»Was denken Sie von mir? Hier sind die Konnaissements. Lauter reines Gut, dessen Ausfuhr ist erlaubt im Interesse von den preußischen Fabriken und Handelshäusern.«
Der Aufseher hatte die Papiere nachgesehen. »Es ist alles in Ordnung,« sagte er, »ich werde dem Herrn Oberinspektor Wandel davon Bericht erstatten. Aber das scheint ja diesmal ein ziemlich starker Transport. Wie willst du ihn über die Grenze bringen?«
»Mit den Kosaken, Herr!«
»Es ist freilich das beste. Hast du den Kapitän schon benachrichtigen lassen?«
»Ich bin doch erst angekommen vor einer halben Stunde im Dorf. Hier hab' ich einen Brief, den ich will schicken dem Kapitän durch einen Boten.«
»Leg' ihn dorthin auf die Kommode. In einer Stunde reit' ich selbst zur Revision und werde da wohl einen der Spitzbuben treffen, der ihn bestellen kann. Wie viele Pferde hast du bestellt?«
»Fünfundsechzig, Pan!«
»Teufel, das ist ja das halbe Pulk. Und welche Kaution?«
»Tausend Rubel!«
»Nun, – du wirst vielleicht mit etwas weniger zufrieden sein. Weißt du auch, Jokef, daß deine guten Freunde, die Kosaken, im Frühjahr die Station verlassen, um nach dem Don zurückzukehren?«
»Je, das tut mir leid. Der Kapitän ist ein guter Mann, und seine Frau hält streng Regiment. Man tut doch immer lieber verkehren mit alten Bekannten, als mit neuen Leuten.«
»Davon haben Sie mir ja noch gar nichts gesagt, Freund Hitzigrath,« sagte der junge Postsekretär.
»Nun, ich dachte, die Minka hätte es Ihnen gesteckt; ich sah die Dirne doch noch gestern hier herumstreichen, und daß es Ihretwegen geschieht, weiß die ganze Nachbarschaft.«
Der junge Mann errötete. »Was kann ich dazu tun? Übrigens habe ich sie seit einer Woche nicht gesprochen. Sie war bei der Postmeisterin und hat ein langes und breites mit ihr verhandelt, was, weiß ich nicht, aber sie ging weinend fort, wie mir unser Wagenmeister sagte, denn ich blieb im Bureau.«
»Sehr undankbar von Ihnen, mein Junge. Das Mädchen ist hübsch genug für eine halbe Kalmückin und würde sich für Sie totschlagen lassen. Mord und Säbeltasche! Ich weiß wahrhaftig nicht, was sie an einem Burschen wie Sie sind, hat!?«
»Sie wissen, daß sie mir aus Dankbarkeit geneigt ist, weil ich ihren Bruder einmal von der Knute losgebeten, die ihm unser guter Freund, der Kapitän, zudiktiert hatte.«
»Ist alles egal, aus der Dankbarkeit ist Liebe geworden. Oder glauben Sie, daß die Steppenmädchen mit den stumpfen Nasen und hohen Backenknochen nicht ebenso gut Blut im Herzen und in den Adern haben, wenn sie jung sind, wie unser Frauenvolk in den Städten mit langen Ringellocken und Schleppkleidern? Mord und Säbeltasche, wie ich so jung war wie Sie, und eben bei den Husaren eingetreten, war ich ein anderer Kerl und hinter dem schönen Geschlecht her, schwarz und blond, mit Zöpfen oder Schmachtlocken, wie Ziethen aus dem Busch!«
Der Postsekretär lachte. »Ich denke, lieber Freund, Sie sind heute noch nicht viel besser! Aber Sie wissen, daß auch ich bald diese Gegend verlasse und singen müßte: ›Schöne Minka, ich muß scheiden!‹ was die Kleine so allerliebst mit ihrem Bruder vorträgt zur Balaleika; und so hätte doch geschieden sein müssen. Sie nach dem Don und ich nach dem Thüringer Wald – eine Welt liegt da zwischen uns. Wenigstens verdank' ich ihr, daß ich ein ziemlicher Kosaktänzer geworden bin und zum Ballett gehen kann, wenn's mit der Post nicht mehr geht. Schmieren Sie nur Ihre Beine für morgen zum Kränzchen, Sie wissen, die Postmeisterin ist wie ein kleiner Satan auf eine Mazurka oder einen Galopp.«
Der Jude hatte dem Intermezzo der Unterhaltung aufmerksam zugehört, indem er dabei aufs neue die Gläser gemischt; jetzt aber schob er sein Wort ein.
»Sie werden doch halt nischt tanzen können morgen, nicht ä Galopp, nicht ä Mazurka, wo sie strampeln mit de Beine und klappern mit de Absätze, daß man denkt, se wären geworden verrückt! Ich bringe halt ä traurige Nachricht!«
»Du? was ist?«
»Seine gnädigste Majestät, der Herr König von Preußen in Berlin sind gestorben in vergangener Nacht!«
Wie längsterwartet auch diese Nachricht war, verfehlte sie doch auch hier nicht ihren Eindruck. Die beiden jungen Männer wurden still und ernst.
»Gott gebe dem armen Herrn die ewige Seligkeit!« sagte der Steuerbeamte. »Und nun, Kinder, wird es Zeit, daß ich mich zu meiner Runde fertig mache.«
Der Postsekretär und der jüdische Kaufmann hatten sich erhoben. Der erstere reichte seinem Freunde die Hand. »Einen guten Ritt und stellen Sie den Tee hübsch in die Kohlen, damit Sie etwas Warmes finden, wenn Sie nach Hause kommen.
»Ich weiß etwas Besseres!«
»Ah – die Jule!« Er drohte ihm mit dem Finger. »Aber es ist kalt unter der offenen Dachkammer – ich kann ein Wort davon erzählen! – Doch noch eins! Werden Sie morgen den Zug begleiten?«
»Ich werde wenigstens bis an die Grenze mitgehen.«
»Bitte – dann lassen Sie uns einen kleinen Ritt hinein machen ins Land. So entgeh' ich der langweiligen Gesellschaft, denn um ihr Kränzchen läßt sich die Postmeisterin nicht bringen trotz der Todesnachricht, ich habe gestern die Einladungen abschicken müssen an die Offiziere in Wreschen und an drei Edelhöfe.«
»Haben Sie ein Pferd?«
»Nein! der Postmeister und der Posthalter in Posen liegen sich wieder einmal in den Haaren. Bitte, lassen Sie es Frau Yaschka, der Kapitänin, wissen, daß Sie mir ein überzähliges Pferd mitsenden soll. Ich will es gern vergüten!«
Der Zollbeamte lachte. »Das ist freilich das beste Mittel, damit die schöne Minka mit von der Partie ist. Aber nichts für ungut deshalb, mein Junge, verlassen Sie sich auf mich. Und nun Adieu bis morgen.«
Der Postsekretär und der Schmuggler gingen.
Am andern Vormittag gegen 10 Uhr kam auf seiner kleinen, langmähnigen, schmutzigen aber unverwüstlichen Mähre ein Kosak auf der Straße von Slupce dahergejagt, hielt vor dem Hauptzollamt, sprang vom Pferde, ließ dasselbe unbeachtet stehen und lief in das Gebäude. Dort mußte er Jokef, den Kaufmann, getroffen haben, denn er kam nach einer Weile, von diesem begleitet, heraus, und strich sich behaglich den Bauch aus Vergnügen über das Bierglas Alkohol von 80 Prozent, – rektifizierter Weingeist – das er eben verschluckt hatte.
Der Kaufmann redete allerlei auf den Kosaken ein, begleitete ihn auch eine Strecke die Chaussee entlang, und ließ ihn dann reiten.
Mittag um 1 Uhr kam ein zweiter Bote von Slupce, ritt langsam an dem Posthause vorbei, nickte freundlich nach dem Fenster und galoppierte dann zum Wirtshaus im Dorf weiter.
Der Reiter war diesmal ein junges Mädchen mit langen, fliegenden Zöpfen, kurzem Rock und weiten Beinkleidern, das nach Männerart auf dem hohen bauschigen Sattel ritt. Sie hatte ein hübsches und freundliches Gesicht, und schien allen auf dem Amt und im Dorf wohlbekannt. Im Hofe des Kruges fand sie den Kaufmann eifrig damit beschäftigt, mit Hilfe einiger Personen, die er hauptsächlich überwachte, Waren aus Kisten und Fässern zu packen und sie in starkleinene, in der Mitte offene Quersäcke zu stecken, so daß sich wohl in jedem ein bis eineinhalber Zentner Waren – Zucker, Kaffee, Pulver, Schnittwaren, Kleider und dergl. – befanden. Jokef zählte sorgfältig die Quersäcke und ließ sie dann auf offene Bauernwagen laden.
»Weiß Gott,« sagte Jokef – »die schöne Minka! du sollst gegrüßt sein, Kind – ich hoffe, du bringst eine verständige Nachricht!«
Er war zu dem Pferde getreten, da das Mädchen nicht absteigen wollte.
»Ich muß gleich wieder fort,« sagte sie auf Russisch, »denn Panna Yaschka wartet auf mich an der Grenze. Du brauchst also 70 Pferde, Väterchen?«
»Sechzig zum Beladen – es sind sechzig Säcke, achtzig Zentner Waren. Die anderen Pferde müßt ihr darübergeben.«
»Und nach Gollin?«
»Ja, nach Gollin!«
»Und du willst nicht geben zehn Rubel fürs Pferd?«
»Zehn Rubel?« eiferte der Jude, »ich glaube, Ihr seid verrückt geworden. »Ich habe immer gegeben einen Dukaten fürs Pferd und nicht mehr!«
»Das ist zu wenig,« erklärte mit Bestimmtheit die junge Unterhändlerin. »Die Strazniks passen auf wie die Teufel, und es sind strenge Befehle gekommen. Wenn du nicht sechs Rubel Silber zahlen willst für das Pferd, ist kein Handel zu machen.«
Nach verschiedenem Feilschen wurde man mit 5 Rubel einig und es wurde der Ort an der Grenze bestimmt, wo man sich um 10 Uhr treffen wollte.
»Der Kapitän hat einen schlimmen Fuß,« berichtete das Mädchen, »Frau Yaschka wird den Zug leiten und die Kaution bringen.«
» Dobre, Kind, die Frau ist mir lieber als der Trunkenbold von Mann. Wirst du auch dabei sein?«
»Ich werde die Panna begleiten!«
»Ich dachte es mir. Du bringst doch ein Pferd für den jungen Herrn von der Post mit?«
Sie nickte.
»Ja, ja, Schickselchen, der Jokef sieht, wie es ist und bedauert dein kleines Herzchen, das du an einen Mann gehangen, der dich höchstens machen kann unglücklich. Hier –« und er öffnete ein Paket und nahm ein hübsches seidenes Tuch heraus – »das ist der Lohn für deine Botschaft und soll dich erinnern an den Jokef.«
Das Kosakenmädchen nahm das Geschenk mit Dank an und wendete dann ihr Pferd.
Sie ritt langsam, in tiefem Sinnen zurück, bis sie an das Posthaus kam; dort raffte sie sich gewaltsam empor, drängte ihr Pferd bis dicht unter das Fenster und klopfte an.
Das Fenster wurde geöffnet und der junge Postsekretär erschien in ihm.
»Ah, du bist's, Minka, wie geht es dir?«
»Gospodin,« sagte das Mädchen in gebrochenem Deutsch, »die Panna Kapitän wird schicken ein Pferd. Du wirst kommen diese Nacht?«
»Gewiß, Minka!«
»Minka wartet auf dich! Minka will sprechen zu dir. Armen Kosakenmädchen das Herz sehr schwer!«
Er reichte ihr die Hand, die sie küßte.
»Geh jetzt, Kind. Wir sehen uns diesen Abend!«
»Leben wohl, Hermann Hermanowitsch!«
Sie sprengte in wildem Galopp davon, die Chaussee entlang.
Etwa zehn Minuten von dem Amt setzte sie über den Chausseegraben und jagte querfeldein nach der Grenze. Sie hatte dieselbe beinahe erreicht, als hinter einer durch Strauchwerk entstandenen Schneewehe sich plötzlich ein Mann erhob. Das Gewehr, das er trug, und die schmutzige Uniform bezeichneten ihn als einen Straznik, einen der Zivil-Zollbeamten des aus solchen und den militärischen Wächtern, den Kosaken, bestehenden russischen Grenzkordons. Es war noch diesseits des Grenzgrabens, auf preußischem Gebiet, wo der Beamte die Reiterin anhielt.
Der Zollwächter war ein Mensch von etwa 40 Jahren, von unangenehmem, gekniffenem Gesicht.
»Sieh da, Minka, Dirne – wo kommst du her?«
Das Mädchen hielt das Pferd an, die Begegnung schien ihr unangenehm und widrig, aber nach Frauenzimmerart antwortete sie nicht direkt, sondern mit einer Gegenfrage.
»Und du selbst, Stephanowitsch, warum treff ich dich hier?«
»Ich bin im Dienst, und passe auf, daß nichts Unrechtes geschieht!«
»Was soll Unrechtes geschehen? Laß mich vorbei – ich will nach Hause!«
»Oh – ich weiß! zur Kapitänsfrau da drüben am Wald! Meinst du, daß der Stephanowitsch keine Augen im Kopfe hat? Wo kommst du her? Du weißt, daß ich Oberaufseher bin, und das Recht habe, zu fragen.«
»Von Strzalkowo! ich habe Freunde dort.«
» Do djabla – ich weiß,« sagte er höhnisch – »den jungen Hundesohn, den Postsekretarsz! – aber ich will den Laffen zeichnen, wenn er sich noch einmal ohne Karteczka Aufenthaltskarte. über die Rogatka wagt!«
»Du bist ja selbst auf preußischem Gebiet, wo du nicht sein darfst?«
»Der Teufel fresse deine Seele! was kümmert's dich? Bin ich dir Rechenschaft schuldig? Aber höre mich an, Minka. Ihr habt etwas vor, es ist etwas in der Luft – ein Transport? Glaubst du, daß der Stephanowitsch so dumm ist, es nicht zu merken? – Wenn du mir vernünftig antworten willst auf den Antrag, den ich dir gemacht, drück ich die Augen zu. Oder noch besser, du sagst mir, wo der Jude und deine Leute zu fassen sind, wir erwischen sie, und der Anteil an der Beute ist unsere Hochzeitsgabe.«
»Dummkopf – sei nicht störrisch! Wenn jemand etwas weiß, so bist du es. Ich wette, daß du auf einem Botengang warst, und ich könnte dich verhaften und durchsuchen. Sei vernünftig, Dirne – willst du wieder in die Steppen zurückgehen und einen schmutzigen Kosaken heiraten, oder dir von dem deutschen Lümmel drüben ein Kind machen lassen, und im Elend verkommen? – Ich hab' einen Narren an dir gefressen und will dich zur Frau machen, ich, der Oberaufseher!«
»Ich mag dich nicht, Michael Stephanowitsch!« sagte sie von Zorn glühend.
»Und warum nicht?«
»Weil du ein schlechter Mensch bist, ein Spion und Verräter!«
»Hundekröte! herunter mit dir, ich will dich lehren, so mit mir zu sprechen!«
Er sprang auf sie zu, um sie vom Pferde zu reißen, aber ein scharfer Schlag ihres Kantschuhs traf ihn über das Gesicht und zeichnete eine rote Strieme darüber, daß er zurückfuhr. Diese Bewegung nahm das Mädchen wahr, um davon zu sprengen.
Stephanowitsch hatte mit einem lästerlichen Fluch das Gewehr von der Schulter gerissen, um ihr eine Kugel nachzuschicken, aber er bedachte sich anders. »Nein,« brummte er – »hab' ich den Nickel erst in meinem Hause, soll er mir den Schlag bezahlen. Wenn ich sie fassen kann, wandert die ganze Sippschaft, Vater, Mutter und Bruder nach Sibirien, und das wird sie schon kirre machen. Aber nun will ich ins Dorf, um zu sehen, was sich erlauern läßt.«
Er wanderte querfeldein nach Strzalkowo zu, da er aber dabei der Grenze den Rücken wandte, konnte er nicht bemerken, daß das flüchtende Mädchen unfern derselben einem Reiter begegnete, der vom Gehölz her auf einem Feldweg dahergetrabt kam, und daß sie – wenn auch nur einen Augenblick – mit ihm sprach.
Es war unser Bekannter vom Abend vorher, der preußische Grenzaufseher, frühere Husarenwachtmeister Hitzigrath.
Das Kosakenmädchen hatte sich begnügt, auf den entfernten Feind zu deuten, und zu sagen: »Der Stephanowitsch! er spioniert!«
»Gut, gut, schöne Minka, ich danke!«
Und Herr Hitzigrath schlug im scharfen Trab einen weiten Bogen ein, der ihn aber dem Russen entgegenführen mußte.
Die Begegnung erfolgte, da der Straznik nicht die Chaussee nach dem Amt ging, sondern hinter demselben her nach dem Dorf, – im freien Feld zwischen diesem und dem Amte.
»He – hollah! wer seid Ihr? was tut Ihr da?«
Der Russe blieb stehen. »Ah, sieh da, Herr Kollege! Guten Tag, wie geht's?«
»Der Teufel ist Euer Kollege! Was tut Ihr hier auf preußischem Gebiet?«
»Ich habe ein Geschäft auf dem hochlöblichen Amt – will eine Anfrage halten. Kennen Sie mich nicht? Ich bin der Ober-Straznik Stephanowitsch von Slupce!«
»Stephanowitsch hin, Stephanowitsch her,« sagte der alte Husar. »Ich kenne nur meine Dienstinstruktion, und die besagt, daß fremde Personen nur auf der Zollstraße Preußen eintreten können, natürlich mit gehöriger Legitimation, am wenigsten aber mit Waffen sich auf freiem Felde umhertreiben dürfen. Also marsch, umgedreht und über die Grenze zurück oder ich muß zu ernsten Maßregeln greifen.«
Der Russe knirschte mit den Zähnen. »Aber Sie werden doch Einsicht annehmen, wenn ich Ihnen sage, daß ich einen kleinen Einkauf machen will. Sie sind ja selbst so oft bei uns drüben in Slupce, Herr Kamerad!«
»Ich hab' es Euch schon einmal gesagt, der Teufel ist Euer Kamerad, schmutziger Lump,« schrie erbittert der Preuße und griff nach der Pistolenhalfter. »Wenn ich nach Eurem Hundenest komme, geschieht's offen und mit Legitimation, ich schleiche nicht herum wie ein Spion. Und jetzt vorwärts, umgedreht, oder ich will Euch den Schädel klopfen, daß Ihr daran denken sollt. Marsch, zurück über die Grenze.«
Und den knirschenden schimpfenden Kerl fest im Auge, das Pferd scharf im Zügel und die Rechte am Pistolengriff, trieb er ihn vor sich her nach der Grenze zurück, und verließ ihn nicht eher, bis jener wieder über den Graben sprang und mit einer wilden Rachedrohung sich davontrollte.
Der preußische Aufseher lachte spöttisch hinter ihm drein, obschon er wußte, daß der Kerl im stande war, seine Drohung aus tückischem Hinterhalt wahr zu machen. –
Es war Abend geworden. Kurz nach halb sieben Uhr klingelte der Schlitten des Grafen Czatanowski durch die polnische Seite des Dorfes und hielt einen Augenblick vor dem Krug an, wo Jokef der Kaufmann herauskam und seinen neuen Knecht scharf ins Auge faßte.
Er schien mit der Verkleidung ganz zufrieden, denn er zwinkerte schlau mit den Augen und sagte: »Nicht einmal die Herren Offiziere, die gekommen sind von Wreschen, würden haben Mißtrauen in Levy Schmuel!«
»So, sind Offiziere beim Postmeister?«
»Drei Kavaliere sind gekommen auf schmucken Pferden, die zwei Burschen sitzen drin im Krug! – Es wird gut sein, wenn der Levy Schmuel bleibt im Stall oder bei den Wagen, bis es ist Zeit.«
»Ich verstehe! Vielen Dank denn, Jokef, und Gott sei mit Euch. Du weißt, daß du auf Schloß Slawice stets willkommen bist.
Vorwärts, Woyczek, zum Posthaus!«
Der Kapitän knallte auf die Pferde und der Schlitten flog davon.
Komteß Kazimira hatte sich bei Erwähnung der Offiziere tiefer in die Schlittenecke zurückgelegt, und das Capuchon mit dem Schwanenbesatz fester um das hübsche, von der scharfen Winterluft gerötete Gesicht gezogen.
So fuhr der Schlitten bei dem hellerleuchteten Posthaus vor, wo aus dem großen und bequem eingerichteten Passagierzimmer, dessen elegantere Möbel sich das General-Postamt lange gesträubt hatte, dem spekulativen Postmeister zu vergüten, – Madame Bandtke, die junge hübsche Postmeisterin mit einigen Damen vom Haupt-Zollamt und den Offizieren eilig herauskam, die Angekommene zu begrüßen, sie aus den Pelzen und Mänteln zu wickeln und in die warmen Zimmer zu geleiten, wo der Ober-Zoll-Inspektor, der Kontrolleur, der Postmeister und zwei benachbarte Edelleute bereits beim Whist und L'Hombre saßen.
Die Begrüßung war, wie immer in Polen selbst von den vornehmsten Personen gegen weit Geringere, überaus freundschaftlich, ja herzlich, und bald saß die ganze Gesellschaft in den Zimmern verteilt, teils bei Spielpartien, teils am Klavier oder im gemütlichen Damenklatsch, und der lange rothaarige Wagenmeister, der sonst auch beim Tanz mit seiner Flöte das Orchester bildete, reichte das Tablett mit heißem Tee und Rum umher.
Unter den Männern war natürlich zunächst die Rede von dem wichtigen Ereignis des Tages, das heute auch die Zeitungen näher gemeldet hatten, dem Tode des königlichen Märtyrers und der Thronbesteigung König Wilhelms I.
Weniger wurden die Damen davon berührt, wenigstens war das Thema bald erschöpft oder ging auf die Hoftrauer, die bevorstehende Krönung und den Wegfall aller rauschenden Festlichkeiten der Saison über.
Die junge hübsche Schwester der Postmeisterin, Fräulein Emilie, hatte am Klavier der Komteß Platz gemacht, mit der sie näher bekannt war, da die jungen Mädchen trotz der Verschiedenheit des Standes einander häufig besucht und sehr gern hatten, und sie plauderten von ihren kleinen Geheimnissen, wie junge Mädchen sie immer untereinander zu haben pflegen. Komteß Kazimira erzählte von den hübschen Geschenken, die der Graf aus Posen mitgebracht und sagte dann lächelnd: »Nun, meine kleine Milka, beichten Sie einmal und erzählen Sie mir, wie weit Sie mit Ihrem Postsekretär sind? Hat er noch immer keinen Heiratsantrag gemacht?«
»Wie Sie nur so reden können, Komteß,« entgegnete verschämt das junge Mädchen. »Dazu sind wir beide ja noch viel zu jung, und ohne Aussicht, auch geht er bald fort von hier. Überdies mag ich ihn nicht leiden, da er sich immer von der dreisten Kosakendirne nachlaufen läßt. Denken Sie, die Frechheit der Person, daß sie vor einigen Tagen bei meiner Schwester war und bat, sie in Dienst zu nehmen, da sie mit ihrem Pulk nicht wieder fortziehen, sondern hierbleiben wollte. Es war ihr doch gewiß nur darum zu tun, hier bei ihm im Hause zu sein. Und heute ist sie so frech gewesen, hier vorüberzureiten und an sein Fenster zu klopfen, denken Sie nur, vor aller Augen!«
Die junge Gräfin lächelte über den Eifer ihrer Freundin. »Das ist allerdings recht dreist. Aber wo ist denn der Herr, ich sehe ihn ja gar nicht?«
»Der abscheuliche Mensch hat für die Einladung gedankt – er hätte zu tun. Aber ich weiß schon, was er vorhat, es ist wieder ein Schmugglerritt im Werk, und da will er mit.«
»Also ein Schmugglerzug?« fragte die Gräfin mit höherem Interesse. »Werden die Herren Offiziere daran teilnehmen?«
»Es wäre unartig genug von ihnen, aber den Husaren ist alles zuzutrauen,« meinte die junge Dame etwas pikiert, weil jene so wenig auf ihr Herzensleid einging.
»Es sind nur zwei der Herren von der Husarenschwadron – der dritte ist nach der Uniform von der Infanterie?«
»Ja – ein Offizier von einem Regiment aus Posen – er ist aus den westlichen Provinzen, wie ich hörte, und erst seit kurzem nach Posen versetzt. Er heißt wie unser Postsekretär mit dem Vornamen, Hermann!«
»Ein interessantes, nur etwas schwermütiges Gesicht. Wissen Sie seinen Namen?«
»O – ein ganz ordinärer bürgerlicher Name, Leutnant Hermann Krüger. Er ist zum Besuch in Wreschen und sie haben ihn mit herübergebracht. Er soll eine unglückliche Liebe gehabt haben im Hannoverschen mit einer vornehmen jungen Dame, auch einer Gräfin, wie Sie!«
»Und was hat sie getrennt?«
»Baron von Busch erzählte allerlei davon, ich hab' es nicht recht behalten. Erstens soll er einen Prinzen zum Rivalen gehabt haben und der Graf, ihr Vater, ein sehr stolzer Mann sein. Auch ist er Protestant und die junge Gräfin war katholisch, und ist zur Strafe für ihre Liebschaft von dem Vater ins Kloster geschickt worden!«
»Ins Kloster! – ja Kleine, – Sie haben recht, es gibt viele böse Schranken, welche Herzen trennen können!«
Und mit einem leichten Seufzer ließ sie die Finger über die Tasten des Klaviers gleiten.
Der dritte Offizier, eine hohe schlanke Gestalt, die der dunkle Attila mit dem Abzeichen des Premierleutnants noch vorteilhafter hervorhob, hatte sich bis jetzt fern gehalten, ergriff aber die Gelegenheit, als Fräulein Emilie sich nun erhob, um sich der Komteß zu nähern und auf dem Stuhl hinter ihr Platz zu nehmen.
»Ist es erlaubt, gnädigste Gräfin?«
Sie neigte bejahend das Haupt, ohne sich umzusehen. Eine ihre Bewegung verkündende Röte flog wie ein Scharlachtuch über ihren schönen Nacken.
»Ich habe Sie so lange nicht gesehen, Kazimira!«
»Sie wissen, was uns trennt!«
»Und Ihr Vater, Ihre Tante hegen immer noch das Vorurteil gegen mich?«
»Mein Vater nicht – meine Tante haßt Sie. Aber sagen Sie selbst, – wie sollte auch mein Vater dem Mann sein Haus öffnen, der einst gegen ihn focht, der seinen leiblichen Neffen, den einzigen Sohn meiner Tante getötet hat.«
»Es geschah als Soldat im Gefecht – vor 12 Jahren, als ich eben erst Offizier geworden. Oder sollte ich vielleicht dem Feinde, dem Rebellen gegen meinen König wehrlos die Brust bieten, mich vom Pferde zu schießen, statt daß ihn meine Klinge traf?! Ist dies auch Ihre Meinung?«
Wieder irrten ihre Finger über die Tasten in dem leichten Anschlag des Nationalliedes. »Es ist ein trauriges Schicksal, das uns trennt. Aber ich bin eine Polin – und Sie sind der Feind meines Volkes, der als Mann wiederholen würde, was er so jung schon getan!«
Der Offizier beugte das Haupt, er fühlte, daß er keine Antwort geben konnte. Der Premierleutnant v. Möllhof war ein stattlicher Mann, das ernste gebräunte Gesicht mit der tiefen Hiebnarbe über der Wange war geschaffen, Interesse zu erregen.
»Gräfin Oginska ist nicht Ihre Blutsverwandte.«
»Sie ist die Schwester meiner verstorbenen Mutter.«
»So soll ich denn jede Hoffnung aufgeben, das Ziel zu erringen, nach dem ich aus der Fülle meiner Seele strebe – freilich ich, der einfache Edelmann und Offizier, und Sie, eine Gräfin!«
»Pfui, Victor – unser Unglück sollte Sie wenigstens nicht unedelmütig machen. Glauben Sie, daß ich weniger leide als Sie?«
»Kazimira!«
»Still – man könnte uns hören!« Ihre Linke präludierte auf den Tasten, das Gespräch zu verdecken. »Sie sollen mir ein Versprechen geben, Victor!«
»Mit Freuden!«
»Man hat mir gesagt, daß Sie auf Ihrem Rappen ein so wilder Reiter sind, daß Sie die gefährlichsten Reiterstücke üben, geradezu halsbrechende Dinge. Die ganze Schwadron, die ganze Gegend spricht davon. Warum tun Sie das? Ist Ihnen das Leben so wenig wert, daß Sie es aus Laune, aus Eitelkeit auf das Spiel setzen?«
»Aus Eitelkeit?«
»Ja – oder ist es nicht Dünkel, mit der Gefahr ohne Zweck und Nutzen zu spielen? Erinnern Sie sich, wie oft ich Sie schon früher gebeten habe, wenn wir uns auf einem Spazierritt im Sommer trafen?«
»Aber sind Sie nicht selbst eine kecke Reiterin? Lieben Sie nicht den Pluto, mein wackeres Pferd?«
»Gewiß lieb' ich es – und dennoch bitte ich Sie – tun Sie es von sich!«
»Ich soll mich von Pluto trennen?!«
»Ich weiß, wie schwer es Ihnen werden wird – und dennoch ängstige ich mich. Ich mag Ihnen kindisch erscheinen, aber ich glaube nun einmal an die Prophezeiung.«
»An welche Prophezeiung?«
»O – ich habe mich übereilt, als ich davon sprach, es ist nichts, eine Kinderei!«
»Desto eher können Sie davon sprechen.«
»Ich habe Ihnen früher bereits erzählt, daß ein alter polnischer Schäfer auf unserm Gut die Gabe der Vorhersagung hat und sein Ruf weit verbreitet ist unter dem Volke.«
»Ah, wie jener des Schäfers vom Kynast in alten Zeiten, der Graf Ulrich Schaffgotsch und seinem Lamm die Todesart vorhergesagt.«
»Spotten Sie nicht, Victor. – Dieser Mann hat meinem Vetter Titus schon als Knabe die Art seines Todes vorhergesagt.«
»Davon erzählten Sie mir nie!«
»Ich tat es mit Absicht nicht, da das Unglück doch schon geschehen und nicht mehr zu ändern war.«
»Und wie lautete die Wahrsagung?«
»Die Liebe, die Bank und der Säbel würden ihm Unglück bringen.«
»Das versteh' ich nicht!«
»Nun – war es nicht in dem unheilvollen Gefecht von Miloslaw, wo er fiel?«
»Ja!«
» Milosc heißt im Polnischen die Liebe, – lawa die Bank. Und ist er nicht durch den Säbel umgekommen? Wie Tante Oginska erzählt, war er deshalb bei den Fußtruppen!«
Der Premierleutnant war nachdenkend geworden. »Ich habe Ihnen bereits erzählt, wie es kam; Ihr Vetter war entwaffnet, hatte Pardon genommen, und während ich mit meinen Leuten sprach, entriß er einem der Seinen das Gewehr und schoß nach mir. Nur eine zufällige Bewegung rettete mich und die Kugel traf hinter mir einen jungen Husaren, gleichfalls den einzigen Sohn einer Witwe. Da übermannte mich der Zorn und ich hieb den – den Täter zusammen!«
Die Gräfin schwieg – nur ein tiefer Seufzer hob ihren Busen.
»Sie wissen, Kazimira, daß ich bei einem andern Gefecht verwundet wurde; – erst lange nachher erfuhr ich, wen damals mein Säbel zu Tode getroffen hatte. Wollen, können Sie mir einen Vorwurf machen? – Es ist einmal ein Unglück, das schwer auf uns lastet. Aber Sie haben von einer andern Wahrsagung gesprochen, die Sie betrifft.«
»Ich kenne sie auch erst seit dem St. Nikolaustag!«
»Und sie lautet?«
»Ich sollte das weiße Roß vor dem schwarzen hüten – sie brächten einander Unglück!«
»Ein weißes Roß – aber Ihr Reitpferd, Kazimira, ist ein Brauner. Oder haben Sie seitdem gewechselt?«
»Sie wollen es nicht verstehen, Victor. Ist nicht im polnischen Wappen auch ein weißes Pferd?«
»Und einem so bedeutungslosen Wort soll ich meinen wackern Pluto opfern, den Sie selbst so sehr liebten?«
»Ich verlange es ja nicht, ich bitte Sie bloß, jene törichte gottversuchenden Wagnisse aufzugeben.«
»Und welchen Wert hat denn für mich das Leben ohne Sie?«
Ihre Antwort wurde durch das Herbeikommen der jungen Dame des Hauses abgeschnitten, der die beiden Offiziere folgten.
»Wissen Sie, Möllhoff,« fragte der Baron, »daß heute ein Schmugglertransport geht? Der Ober-Inspektor sagt, es wäre ein starker Zug. Kamerad Krüger hat es noch nie gesehen, und wir wollen mitgehen. Kommen Sie mit?«
»Nein – ich danke, ich ziehe es vor, hier zu bleiben!«
»Nun – da heute nicht getanzt werden kann, werden es uns die Damen nicht übel nehmen, wenn wir dem ganz interessanten Schauspiel uns anschließen.«
Das Paar, das bis dahin einsam am Klavier gesessen, konnte sich jetzt nicht mehr der allgemeinen Unterhaltung entziehen, die zunächst von den Abenteuern und Gefahren des Schmuggelhandels sprach.
Wir haben schon erwähnt, daß die Grenze auf russischer Seite von zwei Kordons, Strazniks und Kosaken, bewacht wird.
Beide Gattungen sind Spitzbuben der schlimmsten Art, beide betreiben unter der Hand den Schmuggel in der ausgedehntesten Weise, und beide suchen dabei einander nicht bloß den Rang abzulaufen, das heißt: die Aufträge für sich zu gewinnen, sondern auch die Transporte einander abzujagen und sich dabei zu erwischen und zu denunzieren.
Die Folge davon ist, daß die Transporte mit gewaffneter Hand geführt und oft scharfe Gefechte dabei geliefert werden.
Ja, es geschieht, daß das Pulk einer Station die Kosaken der anderen bei solchen Gelegenheiten überfällt und ihnen die Beute abzujagen sucht.
Gewöhnlich ziehen zu diesen Transporten die jüdischen Händler, welche die Waren an preußischen Orten einkaufen und zur Grenze bringen, die Kosaken vor, weil diese besser beritten und von billiger Bestechlichkeit sind. Das schürt um so mehr den Haß und die Eifersucht der Strazniks.
Es ging gegen 9 Uhr, als der rotköpfige Wagenmeister sich in der Nähe der Offiziere zu schaffen machte und ihnen zuflüsterte: »Es ist Zeit meine Herren, der Herr Postsekretär wartet schon auf Sie.«
Die beiden Offiziere suchten sich unbemerkt aus der Gesellschaft zu entfernen, was man lächelnd geschehen ließ – die ganze Sache wurde als öffentliches Geheimnis betrachtet, das besteht, aber von dem man möglichst wenig spricht.
Draußen vor dem Hause auf der Rampe fanden sie den jungen Postsekretär, vor der Rampe hielt Herr Hitzigrath auf seinem Falben. Die Offiziere hatten Säbel und Paletot angelegt.
»Sind Sie fertig meine Herren, dann vorwärts. Hier kommen die Schlitten!«
In der Tat sah man auf der Chaussee vom Dorf her zwei Fuhrwerke und eine Anzahl Personen sich heranbewegen.
Die kleine Gesellschaft aus dem Post- und Zoll-Amt setzte sich jetzt in Marsch und schritt plaudernd auf der Chaussee in der Richtung von Slupce dahin.
Hinter ihnen kamen die schwerbeladenen Schlitten, jeder mit zwei Leuten, ihnen voran ging Jokef mit seinem Knecht.
Mit dem Kaufmann war eine merkwürdige Veränderung vorgegangen. Das war nicht mehr der schüchterne gebückte Jude, der demütig vor dem Vornehmen oder dem Beamten kroch, der ihm schaden und nützen konnte. Die Gestalt hoch und kräftig aufgerichtet, das feurige Auge überall umherblitzend, spähend nach jeder Gefahr, um sie beizeiten zu bekämpfen, glich der Jude einem Offizier, der eine kühne Unternehmung auszuführen im Begriff und sich seines Kommandos bewußt ist. Ein Paar Reiterpistolen steckten im Gürtel seines hoch aufgenommenen Kaftans, die Beine in hohen, bespornten Reiterstiefeln, ein Säbel klirrte an seiner Seite.
Als der Schlittenzug bei dem Posthaus vorbeikam, trat aus dem Schatten ein Mann, ging zu dem Juden und seinem Knecht und drückte ihnen die Hand.
»Gott mit Ihnen, Kapitän, und besten Dank, wackrer Jokef!«
Es war der Graf, der sich sofort wieder entfernte; – der Zug ging vorüber. –
Draußen auf der Chaussee, wo der Wind scharf über die schneebedeckte Ebene pfiff, schlossen sich die vier Begleiter aus dem Zoll- und Postamt an.
Der Zug bewegte sich schweigend aber eilig weiter. Nichts auf der weiten Ebene war zu sehen, keine Spur von den Schmugglern, – nur an dem Grenzgraben hob sich hin und wieder ein dunkler Busch, ein einsamer Stamm von der weißen Decke ab.
»Sie wollen mit ins Land hinein, Herr Sekretär?« fragte der Baron.
»Wir wollen eine Stunde weit den Nachtritt mitmachen, ich und Freund Hitzigrath. Sie sollten mit uns kommen, Herr Leutnant, die Nacht ist so frisch und schön.«
»Ich möchte es von Herzen gern, aber wir dürfen es als Offiziere nicht wagen. Denken Sie, welcher Lärm entstehen könnte, wenn man unsere Uniformen erkennen würde!«
»Still, meine Herren – ich bitte! Der Schnee trägt den Schall, und wir nähern uns der Stelle.«
Etwa 200 Schritt weiter hin hielt der Zug. Der Jude hielt die Hand vor den Mund und das lang gezogene klagende Geheul eines hungrig umherstreichenden Wolfes wurde zweimal so natürlich nachgeahmt, daß die Offiziere sich unwillkürlich umsahen, auf welcher Seite die Bestie wohl umherstreichen möchte.
Plötzlich schien es auf der Ebene vor ihnen lebendig zu werden. Die Bäume und Sträucher am Grenzgraben entlang gewannen Leben und Bewegung, verwandelten sich in Reiter und kamen im Galopp über die Ebene gesaust, gerade auf die Stelle zu, wo die Schlitten hielten.
Es waren wilde abenteuerliche Gestalten, Kosaken in ihren schmutzigen grauen Militärmänteln, trotz der Kälte nur die runde blaue Mütze auf dem Kopf, die lange schwankende Lanze am Arm, mit den tief geschlitzten tatarischen Augen neugierig die Wagen und die Gesellschaft musternd.
In Zeit von kaum einer Viertelstunde war ein ganzer Wald von Lanzen ringsumher versammelt, das Signal hatte sich rasch rechts und links an der Grenze entlang fortgepflanzt, und jede Wache wie auf Kommando ihren Posten verlassen.
»Wo ist der Kapitän?« fragte der Kaufmann.
»Gleich, Batuschka! Er kommt von der Station!«
»Hast du nicht Wodki für armen Kosaken? Es ist so kalt!«
»Ehe wir abreiten, soll jeder seinen Teil haben. Nicht einen Tropfen eher!«
Die schmutzigen Burschen bettelten, als hing an einem Schluck Branntwein ihr Leben.
»Horch!«
Auf dem harten Boden der Chaussee von der Grenze her klang Hufschlag – eine dunkle Reitertruppe bewegte sich rasch daher.
»Ah, die kapitanowa!«
»Die Capitana Yaschka!«
Es war in der Tat die Hauptmannsfrau, welche die Ronde der Revidierung der Posten kommandierte, und dazu von der Station ausgeritten war, im freien Feld aber die Richtung nach dem Rendezvous eingeschlagen hatte.
Die Capitanowa war eine Frau von etwa vierzig Jahren, hoch, schlank gewachsen, mit männlichen Zügen, eine vortreffliche Reiterin. Sie trug einen dicken Bashlik um Hals und Kopf, einen tscherkessischen Oberrock, Pistolen in den Halftern und einen schweren Kantschuh am Handgelenk, den sie sofort kräftig und rücksichtslos handhabte, um sich durch den Kreis ihrer Untergebenen Platz zur Mitte zu machen.
» Dobre wieczur Pana! Wie geht es Ihnen! Ich grüße Sie, meine Herren. Wo ist der Jude, der Jokef?«
»Hier, Capitana!«
Die Amazone reichte dem Aufseher und dem Postsekretär die Hand. Hinter ihr hielt – gleich einem Adjutanten oder einer Kammerfrau, das Kosakenmädchen, das am Morgen in Strzalkowo gewesen war, ein leeres gesatteltes Pferd an der Hand.
»Sie sehen, ich bin selbst gekommen. Es macht weniger Verdacht, da der Transport so stark ist. Wir haben die Strazniks genarrt, indem wir nach Nlodciewo ausgeritten sind, und schon vorher dem Naczelnik einen Wink zukommen ließen, daß dort etwas los ist. Überdies bleibt mein Mann auf der Lauer, wenn ihm nicht etwa die Rumflasche den Verstand benimmt. Aber nun rasch ans Geschäft – wir haben einen weiten Weg! – Wieviel Kaution forderst du, Jokef?«
Das Gespräch wurde teils in polnischer, teils in russischer Sprache geführt – der preußische Aufseher war beider mächtig.
»Tausend Rubel, Pani! Es sind viele Waren!«
»Du bist verrückt, Jude! Wo soll ich tausend Rubel hernehmen bei der Löhnung und dem schlechten Geschäft!«
»Such nur in der Tasche,« sagte lachend der Kaufmann, »du wirst das Geld schon finden.«
»Ich habe fünfhundert Rubel mitgebracht,« meinte die Frau ärgerlich – »und bei der heiligen Mutter von Kasan, ich habe nicht mehr!«
»Dann kann aus unserm Geschäft nichts werden,« beharrte entschlossen der Kaufmann. »Unter 800 Rubel wird kein Sack aufgeladen!«
»Wie, sukien zyn – traust du uns nicht so viel?«
»Nein Pani, dir wohl, aber denen da nicht. Ich muß die 800 Rubel haben!«
Die Kapitänsfrau stieß einen barbarischen Fluch aus, dann wandte sie sich zu ihren Leuten. »Herunter Schelme, und sucht Euer Geld zusammen!«
Es entwickelte sich nun eine drastische Szene. Die Kosaken waren abgestiegen, hockten um den Schein einer Stallaterne am Boden umher und zogen aus ihren Taschen alte schmutzige Lederbeutel, oder Lumpen aller Art, in denen sie ihre Ersparnisse verborgen hatten.
Wenn man bedachte, daß die armen Kerle etwa einen halben Gulden polnisch 1 Gulden polnisch = 5 Silbergroschen. wöchentliche Löhnung erhielten und davon oft noch – wenn die Fourage ausblieb oder der spitzbübische Lieferant sie darum betrog, – ihren Steppengaul dazu beköstigen mußten, so könnte man sich nicht wundern, daß sie aus Diebstahl und Schmuggel ein Handwerk machten und den letzteren teils auf eigene Hand, teils im Korps betrieben.
Es fehlte dabei nicht an komischen und ernsten Szenen! Noch kurz vorher, ehe der hier beschriebene Auftritt stattfand, war eine Bande von fünfzehn Kosaken dem Schmuggler, der – um billigeren Transport zu erhalten – versäumt hatte, sich Kaution stellen zu lassen, mit den wertvollen Waren auf und davongegangen, nachdem sie ihn halbtot geprügelt und in einen Graben geworfen hatten, und die Kerle verkauften ganz offen ihren Raub vor seinen Augen, ohne daß er wagen durfte, die Hilfe der Obrigkeit in Anspruch zu nehmen. – Bei einer anderen Gelegenheit waren zwei schmuggelnde Kosaken von einem Straznik attrapiert worden, der ihnen befahl, mit zum Zollamt zu kommen. Unterwegs kehrten sie den Spieß um, nahmen ihm sein Gewehr weg, beluden seine Schultern mit den geschmuggelten Waren und führten ihn nun auf die Kammer (das Zollamt), indem sie angaben, ihn selbst beim Schmuggeln betroffen und verhaftet zu haben.
Die Kosaken, die um die Laterne kauerten und rechneten und zählten und zankten, hatten trotz der halben Gulden Löhnung fast sämtlich gewichtige Goldstücke, Imperials und Dukaten in ihren Lumpen und Beuteln. Ehe fünf Minuten vergangen, waren die fehlenden dreihundert Rubel zusammen und die Kaution wurde dem preußischen Aufseher übergeben, dem zugleich der Kaufmann heimlich ein Losungswort zuflüsterte und ein Zeichen übergab, gegen dessen Wiederholung und entsprechendes Gegenstück die Kosaken nach richtiger Ablieferung der Waren am Bestimmungsort ihre Kaution wieder in Empfang nehmen konnten.
Herr Hitzigrath hatte die Vorsicht, da er, wie verabredet, den Zug eine Strecke begleiten wollte, Kaution und Zeichen vor den Augen der Kosaken einem Unteraufseher zu übergeben, der mit den Wagen nach Strzalkowo zurückkehrte.
Nachdem das Geschäft der Kautionsstellung imstande war, wurde die Ordnung des Zuges festgestellt.
Fünf, mit Karabinern, Lanzen und Säbeln bewaffnete Kosaken sollten die Vorhut bilden, sechzig den Transport selbst besorgen und die fünf letzten wieder zur Nachhut dienen.
Es zeigte sich nun, aus welchem Grunde die Waren sämtlich in die oben beschriebene Quersäcke gepackt waren.
Das Sattelzeug der Kosakenpferde ist ein ganz eigentümliches. Auf den Rücken der kleinen, unansehnlichen, aber sehr ausdauernden und genügsamen Tiere packt der Kosak einen ganzen Teil seiner Habe, Decken, Futterage, Lebensmittel usw. Darauf legt er den einfachen hölzernen Bock und auf diesen ein dickes bauschiges Kissen, über das nun der Sattelgurt geschnürt wird, so daß der Reiter fußhoch über den Rücken des Pferdes sitzt.
Auf diese Sättel wurden die Quersäcke gelegt, sodaß die beiden Lasten möglichst gleichmäßig rechts und links verteilt waren, und auf dies ganze Gerüst kletterte der Reiter.
Trotz der Unbequemlichkeit der ganzen Manipulation hatte die Räumung der Schlitten, die Bepackung der Pferde und das Aufsitzen kaum zehn Minuten gedauert. Von dem Turm der entfernten Dorfkirche schlug es ein Viertel nach zehn Uhr, als der Zug zum Abgang fertig war.
Die Capotanowa hatte den Sattel nicht verlassen und vielfach scheltend und ordnend ihren Kantschuh gehandhabt. Jetzt wandte sie sich zu dem Aufseher:
»Sind sie bereit, Pan? – wie weit werden Sie uns begleiten?«
»Sie nehmen den Weg südlich um die Station?«
»Ja – auf Kowalewo zu!«
»Gut – also bis an den Bach!«
Die Capitana gab einen Befehl und einer der unbeladenen bewaffneten Kosaken der Vorhut sprengte in Karriere querfeldein nach der Grenze zu; ein zweiter jagte auf der Chaussee nach Slupce entlang.
» Dobra noc, Pans! – Vorwärts denn! Paszol! paszol!«
»Wir warten auf Sie bei Postmeisters!« sagte der Husarenoffizier zu dem Aufseher. »Kommen Sie hübsch bald zurück!«
Der falsche Knecht des Kaufmanns hatte wacker mit Hand angelegt bei dem Abladen der Wagen. Jokef, der Kaufmann, hatte ihn dem Anschein nach gar nicht beachtet, außer um ihm hin und wieder einen Befehl zu geben, in Wahrheit aber ihn scharf im Auge behalten, um bei jedem gefährdenden Zufall sogleich dazwischen treten zu können. Jetzt führte er ihm eines der beiden mit gewöhnlichen Militärsätteln belegten unbeladenen Pferde zu, welche die Kosaken für ihn mitgebracht hatten, und reichte ihm den Zügel des einen.
Hier, Schmuel, sitz auf und halte dich in der Mitte des Trupps.«
Der verkleidete Kapitän schwang sich in den Sattel, an dem er einen Säbel hängen fand; auch der Kaufmann saß auf.
Währende alle diese Vorbereitungen getroffen wurden, hatte das Kosakenmädchen sich mit dem Handpferd aus dem Kreise ihrer Landsleute zurückgezogen, nachdem sie dem jungen Postsekretär gewinkt hatte, ihr zu folgen.
Sie war etwa 20 Schritt zurückgeritten und hielt unter den entlaubten Bäumen.
»Pan Hermann,« sagte sie in gebrochenem Deutsch, »hier Olis Pferd. Steigen auf und sprechen mit Minka, deren Herz sehr traurig!«
Der junge Mann hatte sich rasch aufgeschwungen – er sprach etwas Polnisch und das Gespräch wurde in dieser Weise geführt.
»Warum bist du traurig, Minka?«
»Weil, wenn Frühling kommt und Blumen auf der Heide, Vater, Mutter und Bruder Minkas nach der Heimat am Don ziehen, wo der Tabun die Pferde durch die Steppen treibt!«
»Und wenn du so entfernt von mir bist, wirst du des deutschen Freundes manchmal gedenken?«
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf. »Minka geht nicht fort – Minka bleibt hier!«
»Aber Kind – das wird nicht gehen! Vater und Mutter werden es nicht gestatten, auch die Capitanowa nicht!«
Sie warf den Kopf mit energischer Bewegung zurück.
»Ich bin keine Leibeigene,« sagte sie heftig. »Ich will bei dir bleiben, Pan, ich will deine Magd sein, deine Hand mag mich schlagen, dein Fuß mich stoßen! ich will hungern und betteln, wenn du mir gut bist!«
»Armes Kind – hast du noch nicht gehört, daß ich selbst diese Gegend verlasse, weit fort von hier?«
»Den Heiligen sei Dank, dann kann Minka dir folgen. Sie wird dir anhängen wie ein Hund seinem Herrn!«
Es schnitt dem jungen Mann durchs Herz, es war zum ersten mal, daß sich ihm die Opferfähigkeit des weiblichen Herzens in dieser halbwilden ungebildeten und doch so frischen, warmen Natur zeigte, ohne daß er wußte, wie er ihr das Unvermeidliche der Trennung dartun sollte. Ein zwanzigjähriger Postschreiber, der nichts hatte, als sein spärliches Gehalt, konnte nicht mit einem siebzehnjährigen Kosakenmädchen auf den Fersen durchs liebe deutsche Vaterland ziehen, das war ebenso unerlaubt als unmöglich.
»Es darf nicht sein, Minka, wir müssen uns trennen!«
Sie sah ihn starr an. »Ich will ja nicht deine Frau sein. Pan Herman Hermanowitsch, nur deine Magd! Du weißt, ich kann reiten, tanzen und die Balaleika spielen. Auch etwas nähen kann ich und will gern lernen, was du befiehlst?«
Es lag etwas so Rührendes, Flehendes in den Worten des armen Mädchens, daß der junge Beamte den Kopf auf den Hals des Pferdes beugte und seine Stimme fast erstickte.
»Minka – Mädchen – es kann nicht sein! Wir werden uns heute trennen – ich bin mit dem Aufseher zu dem Zuge gekommen, um dir Lebewohl zu sagen!«
Sie antwortete ihm nicht – sie zog den Zügel ihres kleinen Pferdes einzig so heftig an, daß es zwei, drei Schritte zurücktrat. Dann wendete sie es um und ritt, ohne ein Wort zu sagen, zurück zu den Ihren.
Sie antwortete nicht. Aber die Capitanowa tat eben ihre Frage, ob alles fertig sei.
» Paszol!«
Die Kavalkade setzte zwischen den Bäumen hindurch über den Chausseegraben und trabte dann in langem Zuge, die Bewaffneten an der Spitze, querfeldein in der Richtung, welche der vorausgesandte Kosak eingeschlagen.
»Sehen Sie, Herr Kamerad,« sagte der Husar zu dem Infanterieoffizier, die beide den Zug an sich vorüber passieren ließen, »wie sicher die Kerle da auf ihren Packsätteln hocken. Haben Sie den Juden gesehen und seinen Knecht? auf Ehre, die Burschen verdienten unter den braunen Husaren zu dienen, so guten Schluß haben sie.«
Fünf Minuten darauf war die vorher so eigentümlich belebte Stelle der Chaussee wieder einsam und leer. Die Schlitten fuhren weiter zum Dorf zurück und nur ein scharfes Auge hätte noch auf der weiten weißen Fläche die dunkle Linie des Schmugglerzuges zu erkennen vermocht.
Etwa zehn Minuten, nachdem die Offiziere in die Gesellschaft beim Postmeister zurückgekehrt waren und man sich eben zum Abendessen niedersetzen wollte, streckte der rothaarige Wagenmeister seinen Kopf durch die Tür, schnitt allerlei Grimassen und winkte dem Oberinspektor.
»Was wollen Sie, Sachse?«
»Der Aufseher Meiring ist draußen, er kommt, Ihnen anzuzeigen, daß man drüben über der Grenze ein starkes Schießen hört!«
»Teufel! Aber was geht das uns an!«
Bei gewöhnlichen Gelegenheiten hätte man freilich nicht danach gefragt – das hatten höchstens die Russen und die Schmuggler untereinander auszumachen, heute aber hatten so viele Mitglieder der Gesellschaft Interesse an dem Zuge, daß die Nachricht einen allgemeinen Aufstand erregte.
Selbst der Oberzollinspektor Wandel, ein sehr humaner Mann und beliebter Beamte, war weit weniger gleichgültig, als er sich stellte. Der Aufseher, dem er zwar nicht die Erlaubnis erteilt hatte, mitzureiten, von dem er aber wußte, daß er es getan, war einer seiner besten Beamten, – die Tatsache, daß man einen preußischen Offizianten beim Schmuggeln auf jenseitigem Gebiet ergriffen hätte, wäre sehr unangenehm gewesen. Auch der Postmeister ängstigte sich, obschon sein junger Untergebener nicht in Uniform war, während Fräulein Emilie zu schluchzen anfing. Der Graf sagte zwar nichts, aber seine Tochter sah ihm die innere Unruhe an, mit der er den Oberinspektor begleitete, als dieser hinausging, um von dem Unteraufseher, demselben, welcher vorhin auf der Chaussee die Kautionssumme in Empfang genommen hatte, näheres zu hören und ihn zu beauftragen, mit einem oder zwei Kameraden nach der Grenze zu gehen, um Weiteres zu beobachten und Rapport zu erstatten.
Die Komteß hatte neben dem Premierleutnant ihren Platz gehabt; die Frau vom Hause wußte nur, daß der Offizier für die schöne Gräfin großes Interesse zeigte, nicht was sie trennte. Der Graf sprach nicht von dem traurigen Familienereignis und die Äußerungen der Gräfin Oginska schrieb man ihrem bekannten Haß gegen alle deutschen Offiziere zu. So kannte man auf der kleinen Amtskolonie nicht, was das Paar schied.
»Wollen Sie mir und meinem Vater einen Gefallen erweisen?« fragte leise Komteß Kazimira ihren Nachbar.
»Mit tausend Freuden, das wissen Sie!«
»So schließen Sie, ohne es hier auffallend zu machen, wie aus eigener Neugier, sich den Männern an, die nach der Grenze gehen, und suchen Sie genau zu ermitteln, was dort geschehen.«
Ohne weiter zu fragen, machte der Offizier ein Zeichen der Zustimmung, nahm draußen Mütze und Paletot vom Nagel und entfernte sich durch die Hintertür des Hauses. Bald hatte er die Aufseher eingeholt. – – – – –
Der Zug der Capitanowa ging in scharfem Trab über die öde Fläche dahin, nahm aber auf preußischem Gebiet einen bedeutenden Umweg, um von einer anderen Richtung her die zum Passieren der Grenze bestimmte Stelle zu erreichen.
Frau Yaschka ritt, nachdem sie den Zug in Ordnung gebracht mit dem ihr wohlbekannten und befreundeten preußischen Beamten plaudernd bald an der Spitze, bald an den Seiten des Zuges. Die Beamten der kleinen preußischen Kolonie pflegten häufig des Sonntags hinüber nach dem benachbarten Slupce zu gehen, wo sich der nächste deutsche Arzt niedergelassen hatte, und wo man in der Apotheke vortrefflichen, in Rußland steuerfrei über die österreichische Grenze eingehenden Ungarwein trank, den der würdige Kosakenkapitän neben dem Rum und Spiritus auch nicht verschmähte.
Daher – nebst dem amtlichen Verkehr – die intimen Bekanntschaften. Das Pulk stand bereits drei Jahre auf der Station.
Vergebens suchte der junge Postsekretär eine Gelegenheit, weiter mit dem Kosakenmädchen zu sprechen. Minka hielt sich mitten im Zug und ritt zwischen zwei alten Kosaken, ohne trotz aller Lockungen diesen Platz zu verlassen.
Das warme Herz des armen Mädchens war offenbar schwer verletzt und kämpfte, sich nicht zu verraten.
Etwa eine Viertelstunde nach dem Abritt von der Chaussee überschritt der Zug den Grenzgraben und wandte sich jetzt östlich nach den Ufern des kleinen Flüßchens, das von Nordosten kommt und weiter südlich sich in die Warthe ergießt.
Alles ruhig und still umher – der Kosak, der vorausgeritten war, erwartete hier den Zug und hatte nichts Verdächtiges bemerkt.
» Paszol!«
Der Trupp war etwa tausend Schritt weitergeritten, als plötzlich von der rechten Seite her der Anruf Stój! ertönte und sich ein paar dunkle Gestalten hinter einem niederen Busch emporrichteten – Gewehre blitzten im Sternenschein.
»Vorwärts! vorwärts!«
»Steht, oder wir schießen!«
Im Galopp jagte der ganze Zug davon, zwei Schüsse knallten hinter ihm drein.
Es war, als ob die ganze Grenzstrecke auf dies Signal lebendig werde. Überall hinter ihnen Rufen, Alarmschüsse – der Rückweg war abgeschnitten.
Die Capitanowa stieß einen scheußlichen russischen Fluch aus. »Die Hunde! nun gilt es vorwärts! – Tschort mienia wazmi! da kommen die Hundssöhne auch von der Seite!«
Aber es war nur ein einzelner Reiter, ein Kosak, der mit Sturmeseile über den weißen Boden in der Richtung von Slupce daherflog.
Er parierte sein Pferd – er rief der Capitanowa einige Worte zu.
»Olis!«
Es war in der Tat der junge Kosak, der Bruder Minkas, den der betrunkene Kapitän abgesandt hatte, um seine Frau zu warnen, daß der Zug verraten sei, daß die Strazniks in voller Bewegung und in großer Zahl ausgerückt wären, einen guten Fang zu tun. Der Oberaufseher Stephanowitsch hätte Lärm gemacht und alle Anstalten geleitet.
Leider war nur die Warnung von dem Trunkenbold zu spät abgeschickt!
Bei dem ersten Anruf, bei dem Schuß hatte der Kaufmann eine der Pistolen aus der Halfter gezogen – er schien entschlossen sein Eigentum mit seinem Blut zu verteidigen. Der preußische Beamte biß die Zähne zusammen, dann rief er den Postsekretär an seine Seite.
»Das kann eine dumme Geschichte werden,« – sagte er ärgerlich. »Werden wir erwischt, so wandern wir einfach nach Sibirien; denn man wird sich hüten, uns zu reklamieren. Wie steht es, Pani?«
Während des Gesprächs hatte der Zug keinen Augenblick angehalten, man war im schärfsten Galopp weiter gesprengt – hinter ihnen her – zur Seite knallten häufig die Schüsse der Strazniks, aber noch hatten sie keinen Schaden getan.
Als der Postsekretär sich zufällig umwandte, um nach den Verfolgern zu sehen, bemerkte er, daß jetzt Minka und ihr Bruder dicht hinter ihm ritten.
Aber es war keine Zeit zu weiteren Worten oder Bemerkungen.
»Die Schurken haben uns getäuscht,« sagte die Capitanowa als Antwort auf die Frage, – »sie haben's uns abgewonnen. Aber noch ist nichts verloren, wenn wir Sie nur erst los sind, Panowies. Dann kann ich meinen Leuten das Signal zum Zerstreuen geben, und da können Sie uns lange nachjagen. Przeklety! da kommen die Hunde auch von der Seite! – Rechts! rechts, Kinder! – Sie müssen mit, Panowies – bis dort an die Ecke der Fichten, wo Ihre Grenze wieder einschneidet, und dann hinüber. Mehr kann ich bei Gott nicht für Sie tun.«
Die Kantschuhe flogen auf die Köpfe und die Flanken der Pferde, – wie die wilde Jagd ging es über die hier etwas hügeliger werdende Fläche.
Von Slupce her kam ein starker Reitertrupp mit wildem Geschrei in voller Karriere, den Kosaken den Weg abzuschneiden, oder sie wenigstens am Bach, der ziemlich hohe Ufer hatte, zu erreichen. Es waren die Strazniks.
Aber trotz aller Mühe konnten sie den Weg der flüchtigen Kolonne nicht mehr durchkreuzen – ihre Pferde waren schlechter und weniger ausdauernd, als die aus den dänischen Steppen, und sie mußten sich begnügen, hinterdrein zu jagen.
Freilich waren sie auf etwa zweihundert Schritte heran.
»Dort ist die Grenze, Herr – da an der Fichte! Gott mit Ihnen!«
Ein schriller Pfiff gab der Schar das längst erwartete Signal sich bereit zu halten.
Der Kaufmann jagte neben seinem falschen Knecht her.
»Halten Sie sich stets zu mir, Herr,« sagte er, »unsere Pferde sind die besten im Pulk. Ich habe dem gnädigen Herrn versprochen. Sie sicher über die Grenze zu bringen, und werde Sie nicht verlassen, sollte es mich auch mein Leben kosten.«
»Dank, Mann, aber lebendig fangen sie mich gewiß nicht!« Der Kapitän hatte den Säbel an dem Handriemen hängen, in der Hand selbst einen Revolver. –
»Hierher, mein Junge! und nun einen Hieb übers Kreuz der Schindmähre und hinüber!«
» Stój«
Die Antwort des Aufsehers war, daß er seinem Falben die Sporen gab und mit einem Satz über den trockenen Graben flog, hinüber auf preußisches Gebiet, wohin ihm keiner der Russen zu folgen gewagt hätte.
Der Postsekretär preschte sein Kosakenpferd mit dem Kantschuh heran, aber der Gaul bockte am Graben, als er den Sprung machen sollte, und kehrte um.
In diesem Augenblick pfiff die Capitanowa zum zweitenmal, – es war das Signal, ihren Befehl auszuführen.
Wie ein Wirbelwind stoben die Kosaken, die nur auf das zweite Signal gewartet, auseinander, jeder sein Heil in der schnellsten Flucht suchend, während nur die Unbelasteten bei der Tscherkessin blieben und gleichsam die Flucht ihrer Kameraden zu schützen bereit waren. Da der Trupp der berittenen Strazniks kaum 20 Mann stark war, wäre es ein gefährliches Wagnis gewesen, die zwölf entschlossenen wohlbewaffneten Reiter anzugreifen.
Der Oberaufseher sah, daß seine Beute im Begriff war, ihm zu entkommen. Er hatte an dem Falben erkannt, daß Beamte aus Strzalkowo dabei gewesen, wie er längst vermutet, auch das Mädchen mußte er trotz der Entfernung erkannt haben.
»Feuer auf sie! Schießt! schießt! oder sie entkommen!« Er selbst hatte den Karabiner an der Wange. –
Minka hatte ihr Pferd zwischen die Verfolger und den Mann geworfen, den sie mit leidenschaftlicher Liebe zugetan war – der Postsekretär riß noch einmal das Pferd heran zum Sprung, – Olis, der Kosak, hieb es mit aller Kraft über das Hinterteil!
»Gott schütze dich, Pan Hermann!«
Die Mähre sprang – aber zu kurz, der junge Reiter flog weit über den Kopf hinweg, mit der Stirn gegen eine alte Baumwurzel. Nur wie im Traum hörte er noch das Krachen einer Gewehrsalve, – einen gellenden Schrei – – dann verlor er das Bewußtsein! – – – – –
Die Gesellschaft auf dem Postamt war in großer Spannung zurückgeblieben; erst als durch die Dienstleute die Nachricht gebracht wurde, daß man nichts mehr von Schießen höre, hatte man angefangen sich zu beruhigen.
Die beiden Offiziere wollten anfangs ihrem Kameraden nachgehen, aber die Versicherung des Ober-Inspektors, daß seinen Beamten die strengste Vorsicht empfohlen worden, und daß man nicht wissen könne, welchen Weg sie genommen, bewog sie, im Posthaus zu warten. Dagegen sandten sie den Burschen, ihre Pferde aus dem Krug zu holen, und auch der Graf ließ Woyczek befehlen, mit dem Schlitten zu kommen.
Es war beinahe Mitternacht geworden.
Eben hörte man das Schellengeläute des vorfahrenden Schlittens, als Stimmen im Hausflur laut wurden und der Wagenmeister rief: »Jesus Christus, Herr Sekretär, was ist Ihnen passiert?«
Die Stimme des Husarenoffiziers befahl, frisches Wasser und Charpie zu bringen.
Alles strömte hinaus.
Im Schein der Lichter sah man den Premierleutnant von Möllhoff eben seinen Paletot abwerfen, den Zollaufseher Hitzigrath aber seinen jungen Freund den Postbeamten in das Bureau führen, dessen Tür den Wohnungsräumen gegenüber lag.
Der junge Mann war sehr bleich, um die Stirn hatte er ein Tuch gebunden, und schwere Blutstropfen quollen darunter hervor und färbten Tuch und Gesicht. Die Mädchen des Hauses eilten weinend und angstvoll mit Wasser und Tüchern herbei.
Fräulein Emilie stieß einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht, dem jüngeren Husarenoffizier gerade in den Arm, zum großen Ärger ihrer Schwester, die laut erklärte, es sei dem naseweisen Menschen, dem Sekretär, ganz recht geschehen.
Alles drängte sich um diesen und fragte, was geschehen sei. Aber der junge Mann sah starr und teilnahmslos vor sich hin. Er rang seine Hände krampfhaft ineinander, als man ihn in das Büreauzimmer führte, und nur die Worte: »Tot! – erschossen! meinetwegen!« bebten von seinen Lippen.
Herr von Möllhoff bat die Gesellschaft in das Zimmer zurückzukehren, indem die Wunde des jungen Mannes von keiner Gefahr und nur von einen Sturz mit dem Pferde herrühre.
Bald kam auch Herr Hitzigrath dazu. Aus dem, was die Männer mit Zurückhaltung erzählten, ging folgendes hervor:
Der preußische Zollbeamte hatte seinen jungen Freund, als er ihn stürzen sah, sofort gepackt und aus dem Graben hinüber auf preußisches Gebiet geschleppt, wo er ihn unter eine der Kiefern legte und sich vor allen Dingen damit beschäftigte, ihn wieder zur Besinnung zu bringen, was durch Reiben mit Schnee und einem Schluck Rum aus seiner Feldflasche endlich gelang.
Er hatte sich dicht überm linken Auge bei dem Sturz auf die Baumwurzel ein Loch in die Stirn geschlagen; die Wunde blutete heftig, schien aber sonst nicht gefährlich. Da er in seiner Brieftasche Englisch Pflaster bei sich führte, war mit Hilfe des Taschentuchs leicht ein vorläufiger Verband angelegt. Dann wollte er ihn sein Pferd besteigen lassen, denn der Kosakengaul hatte natürlich mit seinen Kameraden das Weite gesucht, aber der junge Mann wollte nicht vom Platz weichen, bis er Näheres gehört über den Ausgang des Überfalls.
Als der Premierleutnant die Komteß zum Schlitten führte, neben dem Pluto, sein schwarzer Hengst, an der Hand des Burschen bäumte und sprang, reichte sie ihm noch einmal die Hand.
»Sie fragten vorhin, warum ich mich für jenen Schmugglerzug interessierte, noch ehe das Unglück, das er verursacht, bekannt war. Sie können nicht ahnen, wie tief es mich ergriffen hat. Möchte die gnadenreiche Mutter, zu der ich bete, geben, daß nicht Ströme von Blut diesem ersten schuldlos geflossenen folgen werden. Das arme Mädchen ritt ein weißes Roß, ein Zeichen Polens – ein trauriges Vorzeichen! Erinnern Sie sich meiner Bitte!«
Hatte er sie nicht verstanden, oder wollte er seine Nichtachtung des Aberglaubens, der Prophezeiung des Schäfers zeigen?
Im prächtigen Galopp am Schlitten vorbei flogen die drei Reiter, gefolgt von den Burschen.
»Gute Nacht, Herr Graf! Ihre Diener gnädigste Komteß!«
Der Rappe Pluto machte einen weiten Satz, der ihn bis vor die Pferde des Schlittens brachte, die Woyczek nur mühsam zur Seite riß.
»Zurück, Pan!«
»Gute Nacht, Komteß!«
Der feurige Rappen hob sich auf den Hinterbeinen unter der festen Faust des Reiters und schlug mit den Vorderhufen die Luft.
Ein Schrei der Angst aus dem Schlitten – dann –
So ging denn Freund Hitzigrath wieder zu der Stelle des Grenzgrabens, wo sie auf das preußische Gebiet zurückgetreten waren.
Die wilde Jagd war längst nach allen Winden zerstiebt, keine Spur mehr davon zu sehen. Aber drüben auf der polnischen Seite stand einer der russischen unberittenen Zollaufseher auf Posten. Ein Wink mit der Flasche führte ihn bald herüber, und ein Viergroschenstück löste vollends seine Zunge.
Die Kosaken waren allem Anschein nach glücklich entkommen, bis auf einen, – den Kosaken Olis, welcher die Leiche seiner Schwester nicht hatte verlassen wollen.
Das arme Mädchen war bei der Salve der Strazniks, mit ihrem Körper den geliebten Freund deckend, von einer Kugel getroffen worden. Das tödliche Blei hatte den Rücken und die Brust durchbohrt – ob aus der Hand des Stephanowitsch gekommen, ob aus anderem Rohr – Gott allein konnte es wissen. Der Schrei, den der junge Beamte gehört, war ihr letzter Laut; als die Strazniks sie und ihren Bruder umringten, der die aus dem Sattel Gesunkene im Arm hielt, war sie bereits tot.
Die betrogenen Zollbeamten hatten bald die weitere Verfolgung aufgegeben und ihren Gefangenen und die Tote nach Slupce geführt.
Das war die Geschichte von Minka, dem Kosakenmädchen! Ihr Wunsch war erfüllt, sie blieb zurück am Ort ihres kurzen Glücks, als bald darauf das Pulk nach der fernen Heimat zog, und der kommende Frühling breitete seine grüne Decke über das Grab der Steppenblume. –