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Zwei Seelen und ein Leib.

Mehr als zwei Monate waren vergangen, seitdem der friesische Kapitän Klaus Hansen an dem Abfahrplatz der Dampfschiffe, wie der Polizeikommissar ihm gesagt, wegen Hochverrats und Raubmords, begangen an der Person des portugiesischen Kapitäns Sylvio Macinhos, verhaftet worden war.

Der Legationssekretär Hansen war noch immer nicht zurückgekehrt. Bald nach jenem Ereignis hatte er nach Berlin Order bekommen, sich behufs diplomatischer Verhandlungen nach Wien zu begeben, und die Vorsicht und der Einfluß des Konferenzrats hatten hingereicht, ihm die wirklichen Tatsachen zu verbergen, oder ihn wenigstens darüber zu täuschen. Allerdings hatte ihm Herr Halsteen geschrieben, zu seinem großen Bedauern habe sich sein Bruder durch einen Wirtshausstreit und seine unvorsichtigen politischen Reden in eine arge Klemme gebracht, die selbst seine Verhaftung und eine Untersuchung gegen ihn notwendig gemacht hätte, zugleich aber die Versicherung gegeben, daß er alles mögliche tun werde, um die Sache zum besten zu wenden und bald zu beenden. Dabei hatte er die Meinung einfließen lassen, daß eine kleine Lektion für die politische Denkungsweise und Unvorsichtigkeit dem jungen Kapitän nicht schaden könne, und daß der Legationssekretär um jeden Preis vermeiden müsse, seine Verwandtschaft irgendwie in die Angelegenheit zu mischen, andernfalls er seine ganze Karriere gefährden könne. Der Name Hansen sei ein viel verbreiteter und seinem Einfluß sei es gelungen, jeden Zusammenhang zwischen dem Kapitän Hansen und dem Legationsrat der Öffentlichkeit zu entziehen.

In der Tat hatte dieser Einfluß bisher hingereicht, in den großen Kopenhagener Zeitungen die Sache zu vertuschen, und die kleinen demokratischen Skandalblätter kamen dem Legationssekretär in jener Entfernung schwerlich zu Gesicht.

Die vielen Geschäfte, die Intrigen und Zerstreuungen, in denen der Legationssekretär sich an dem Berliner und Wiener Hofe bewegte, taten das ihre, um ihn an näheren Nachforschungen zu hindern. Es fehlte ihm nicht an brüderlicher Liebe, obschon sie durch die lange Trennung und die verschiedene Laufbahn und Gesinnung der Brüder etwas erkaltet war, aber er fürchtete in der Tat keine ernste Gefahr für seinen Bruder und war von dem Einfluß und dem guten Willen seines künftigen Schwiegervaters überzeugt. Daß sein Bruder wirklich eines Raubmordes beschuldigt sei, davon hatte er keine Ahnung. Ihre letzten Gespräche aber hatten ihn überzeugt, daß Klaus sich leicht durch seine unvorsichtige Freimütigkeit in Verwicklung mit der Polizei gebracht haben könnte, und da er auf zwei ermahnende – an den Konferenzrat eingeschlossene – Briefe an seinen Bruder keine Antwort empfangen, hielt er es für das beste, den Kapitän selbst seine Sache ausmachen zu lassen. Überdies glaubte er jeden Tag die Anweisung zur Rückkehr nach Kopenhagen oder wenigstens zur Weiterreise nach Kassel und Hannover zu erhalten.

Nur der Ton in den wenigen Antworten, die er auf seine zärtlichen Briefe an seine Braut von Fräulein Edda erhielt, und daß sie nie den Namen seines Bruders erwähnte, machte ihn besorgt.

Es war an einem Abend zu Anfang des Januar 1861, als in dem Kabinett des Konferenzrats drei Personen zusammen waren: der Konferenzrat, seine Tochter und der Polizeibeamte, welcher damals die Verhaftung des Kapitäns vollzogen hatte.

Fräulein Edda Halsteen hatte sich auffallend verändert. Obschon sie noch immer die stolze vornehme Haltung zeigte, lag doch auf ihrem Gesicht der unverkennbare Ausdruck von Kummer und Niedergeschlagenheit, ja das schöne Oval ihres Gesichts war hagerer in der kurzen Zeit geworden und die Augen waren von dunklen Rändern getrübt.

Fräulein Edda saß, in einem einfachen dunklen Kleide, das gegen ihre frühere Vorliebe für die höchste Eleganz abstach, auf einem Sessel am Kamin, hielt die Blicke nachdenkend in die Kohlenglut geheftet und schien nur halb auf das Gespräch der beiden Männer zu hören, obschon sie von Zeit zu Zeit eine Frage oder ein Wort dazwischen warf.

Der Konferenzrat schritt unruhig in dem Zimmer umher, oder blieb seiner Tochter gegenüber an den Kamin gelehnt stehen. Der Polizeibeamte saß mit der Haltung eines Untergebenen auf einem Stuhle.

Auch der Konferenzrat schien voll Sorgen und Verdruß. »Es ist eine unangenehme Geschichte« sagte er, »und vor allem, daß dieser Mann gerade am Abend in meinem Hause sein Quartier aufgeschlagen hatte, obschon der Hausmeister bekundet hat, daß er erst gegen 6 Uhr morgens zurückgekommen ist und den ganzen Abend und die ganze Nacht außerhalb zugebracht hat. So meinen Sie also, daß meine öffentliche Vernehmung wegen des Bluts, das ich am Morgen in seinem Waschnapf sah, nicht zu umgehen ist!«

Der Beamte zuckte die Achseln. »Das Kriminalgericht darf einen so wichtigen Beweis nicht unterdrücken, um so weniger, als man versäumt hat, gleich nach der Verhaftung eine genaue Besichtigung seiner Person vorzunehmen, es also nicht konstatiert ist, ob er sich die Verwundung an seiner Hand nicht vielleicht erst nachher beigebracht hat.«

Fräulein Edda wandte sich rasch um. »Aber ich habe Ihnen gesagt, Herr, und wiederhole es noch einmal, daß Herr Hansen verwundet wurde, als er mich gegen einige betrunkene oder zudringliche Menschen auf der Straße in Schutz nahm und daß ich selbst diese Verwundung bemerkt habe und ihn bat, sie wenigstens mit seinem Taschentuch zu verbinden.«

»Das gnädige Fräulein wissen,« entgegnete der Beamte, »daß dieses Zeugnis nur ein privates ist, da der Herr Konferenzrat ausdrücklich wünschen, das gnädige Fräulein nicht den Unannehmlichkeiten der Zeugenaussage ausgesetzt zu sehen.«

»Ich hoffe noch immer,« sagte der Konferenzrat mit einer Stimme, die wenig dieser Hoffnung entsprach, »daß es dem Angeklagten auch durch andere Mittel gelingen wird, seine Unschuld zu beweisen.«

»Die Sache steht schlimm für ihn,« bemerkte der Polizeibeamte. »Selbst das Zeugnis des gnädigen Fräulein, wenn sie sich dazu verstehen würde, könnte wenig helfen; denn wie Sie mir sagten, hat der Angeklagte Sie schon um halb 12 Uhr nachts vor dem Tor Ihres Hotels verlassen. Über die Zeit zwischen dieser Stunde und seiner Rückkehr in dies Haus vermag er sich nicht genügend auszuweisen. Er gibt zwar an, nach Christianshavn gegangen zu sein, um sein Schiff zu schützen gegen einen etwaigen Angriff des Kopenhagener Pöbels, indeß ist er gar nicht auf dem Schiff gewesen und niemand hat ihn gesehen.«

»Weil er sein Boot nicht am Quai fand!«

»Das Boot hat sich am Morgen an einer ganz andern Stelle gefunden und zwar mit Blutspuren darin, gegenüber dem portugiesischen Schoner, an dessen Bord der Mord vorgefallen. Die Ausrede stimmt zu sehr mit den sonstigen Antezedenzien des Mannes überein – er ist ein Revolutionär schlimmster Sorte und es ist daher natürlich, daß er eine solche Ausrede braucht.«

»Ich muß dies leider bestätigen,« erwiderte der Konferenzrat. »Die Unterredung, welche ich mit anhörte, machte es mir leider zur Pflicht, diese üble Gesinnung zur Sprache zu bringen.«

Die Tochter wandte sich rasch gegen ihn und sah ihm groß und voll ins Gesicht. »Nach meiner Meinung,« sagte sie, »halte ich es nicht für sehr würdig, die zufällig belauschten Worte eines Gastes im eigenen Hause zu einer Kriminalanzeige zu benutzen.«

Das Gesicht des Konferenzrates wurde sehr rot bei diesem scharfen Verweis in Gegenwart eines Dritten. Dieser kam ihm jedoch zu Hilfe und schnitt die heftige Erörterung ab.

»Es hätte dieser Mitteilung, deren sich der Herr Konferenzrat als Staatsbeamter unmöglich entziehen konnte, nicht bedurft, um den Vogel an seinen Federn zu erkennen. Es war der Polizei bereits bekannt, daß Kapitän Hansen sich schon am Abend vorher am Kanal höchst verdächtig gemacht hat. Er hetzte die Leute auf, jenes schändliche und verbotene deutsche Lied zu singen und fing Händel mit denen an, welche das Nationallied anstimmten. Es ist ferner außer Zweifel, daß an jenem Abend der berüchtigte Prinz von Noer unter dem tumultierenden Pöbel war und Hansen mit ihm verkehrte.«

»Ich faßte sofort Mißtrauen gegen den Menschen, als ich ihn sah!« meinte wohlgefällig der Konferenzrat, eine Äußerung, die Fräulein Edda mit einem Achselzucken erwiderte.

»Das wären freilich noch alles keine Beweise der Täterschaft des Mordes,« fuhr der Polizeibeamte fort, »doch die folgenden sind desto belastender. – Es steht fest, daß der unglückliche Portugiese an jenem Abend in der Strandtaverne vor dem Angeklagten seine mit Gold gefüllte Börse und seine von Banknoten strotzende Brieftasche offen gezeigt hat. Kapitän Macinhos hatte kurz vorher von dem Handlungshause Ginderny u. Komp., an das er adressiert war, etwa 3000 Ryksdaler für Fracht eingenommen. Von diesem Gelde ist nicht mehr ein Schilling bei dem Ermordeten gefunden worden. Der Altonaer Kapitän Dreyer hat ferner – freilich sehr widerwillig – vor dem Untersuchungsrichter die Aussage beschworen, daß er mit Kapitän Macinhos und Hansen, die er mit einander bekannt gemacht hatte, zusammen die Taverne gegen zehn Uhr verließ, daß sie gemeinsam bis Oster Gade gegangen sind und daß er sich dort von ihnen trennte, während jene beiden den Weg zusammen fortsetzten und äußerten, daß sie dasselbe Ziel hätten.«

»Aber ich habe Kapitän Hansen bald nach zehn Uhr in der Minter Gade gesprochen und er ist über eine Stunde in meiner Gesellschaft gewesen,« fiel die Dame ein.

»Das bewiese, wie ich schon gesagt, in keiner Weise, daß der Angeklagte nicht nachher den verruchten Plan ausgeführt hat. In der Kajüte der Lucia und auf dem Decke bis zur Bordtreppe fanden sich die blutigen Spuren eines Männerfußes, in der Kajüte selbst aber neben der Leiche das Messer des Angeklagten, das durch den eingravierten Namen zuerst auf seine Spur führte und das er als das seine selbst anerkennen mußte. Auch seine Matrosen kannten es.«

»Aber er erklärt, es in jener Nacht verloren zu haben.«

Der Beamte zuckte die Achseln. »Er ist den Beweis dafür schuldig geblieben.«

»Und glauben Sie denn wirklich, mein Herr, daß Kapitän Hansen den Mord begangen hat?«

»Es ist eine sehr verwickelte Angelegenheit,« erwiderte kopfschüttelnd der Beamte. »Man hat allerdings weder an der Person des Angeklagten noch in seinen Sachen, deren Durchsuchung schon während seiner Verhaftung sowohl auf seinem Schiff als hier erfolgte, das bei dem Mord geraubte Geld gefunden; er war nur im Besitz einer mäßigen Summe, die ihn nicht verdächtigen würde. Dagegen befindet sich darunter eine englische Fünfpfundnote, die das Zeichen der hiesigen Reeder des Portugiesen trägt und die sich also unter den dem Ermordeten gezahlten Papieren befand.«

»Aber wie erklärt er dies?« fragte angstvoll die Dame.

»Er gibt an, beim Bezahlen des Weines in der Kaverne die Note von dem Ermordeten eingewechselt zu haben.«

»Das muß doch der andere Kapitän oder der Wirt bestätigen?«

»Kapitän Dreyer weiß von nichts, – er hat sich einige Minuten aus dem Schanklokal entfernt. Der Wirt erinnert sich keines Umstandes. Dagegen hat der zufällig in der Gesellschaft anwesende Steuermann des Ermordeten, Aveiros, beschworen, daß er gesehen, wie sein Kapitän den Wein ebenfalls mit einer kleinen Note bezahlt hat.«

»Dieser Steuermann müßte doch wissen, wo sein Herr geblieben. Warum hegt man denn keinen Verdacht gegen diesen oder die Mannschaft der Brigg?«

»Pedro Aveiros ist die Nacht nicht an Bord gewesen. Er hat nach der Gewohnheit der Matrosen, wenn sie Urlaub erhalten, die Nacht in verschiedenen liederlichen Häusern zugebracht, was mehrere Personen bezeugt haben. Als er früh um sieben Uhr an Bord zurückkehrte, fand er die nur aus drei Matrosen und einem Jungen bestehende Mannschaft noch schlafend und weckte sie. Erst nach einer Weile, als man die blutigen Fußtritte auf dem Deck fand und dadurch aufmerksam gemacht, den Kapitän wecken wollte, entdeckte man die schändliche Tat.«

»Aber die Mannschaft?«

»Die Gerichte haben sich freilich genötigt gesehen, sie bis zur Entscheidung des Prozesses als Zeugen hier zu behalten, aber es kann verständiger Weise kein Verdacht auf sie fallen. Die armen Burschen waren – Sie wissen, daß ich selbst an Bord die ersten Feststellungen machte, – noch des Todes erschrocken. Ein alter Kriminalbeamter wie ich, weiß so ziemlich den Ausdruck der Wahrheit von dem der Heuchelei zu unterscheiden.«

»Hat denn niemand von ihnen die Rückkehr des unglücklichen Opfers gehört?«

»Der Schiffsjunge hat die Wache gehabt, ist aber offenbar eingeschlafen gewesen. Kapitän Macinhos hat ihn selbst geweckt, nachdem er an Bord kam, der Bursche meint, es müsse etwa 12 Uhr gewesen sein, und ihn nach vorn geschickt, um sich niederzulegen, da keine Wache weiter nötig sei. Es scheint, daß die Leute an Bord die Abwesenheit des Kapitäns und des Steuermanns benutzt hatten, um sich etwas zu betrinken, denn niemand von ihnen will weiter etwas gehört haben.«

»Und Kapitän Macinhos war allein, als er an Bord kam?«

»Der Bursche schwört, niemanden gesehen zu haben.«

»Alle diese Umstände,« erklärte mit Bestimmtheit der Konferenzrat, »sind so belastend, daß an der Schuld des Angeklagten kein Zweifel sein kann, um so mehr, als seine Antezedenzien gegen ihn sprechen. Man war schon in Schleswig, wie Amtmann Jörissen berichtet, durch seine losen Reden und seinen Verkehr mit den berüchtigsten Rebellen auf ihn aufmerksam geworden; dennoch …«

»Der Herr Konferenzrat wollten sagen? …«

»Dennoch wäre es mir sehr unlieb, ihn verurteilt, – oder auch nur öffentlich vor Gericht gestellt zu sehen. Sie wissen, in welche nahe Verbindung wir mit dem Bruder der Verbrechers treten sollen, was, wenn er verurteilt wird, kaum noch möglich ist, selbst wenn der Legationssekretär seinen Namen ändert, was auf jeden Fall geschehen muß.«

»Aber wie wäre dies zu vermeiden?«

»Wir sind unter uns, Herr Olsen, Sie wollen Karriere machen – gut! – ich werde mit allem Einfluß Sie unterstützen. Selbst die Gräfin, die von dem Fall Kenntnis hat, wünscht die Unterdrückung. Der Mensch sitzt im Gefängnis des Stadtgerichts?«

»Zelle Nummer 44.«

»Jawohl! – Nun – ich weiß, daß Sie mit dem Gefängnispersonal vertraut sind – man könnte dem Manne auf irgendeine Weise die Mittel zur Flucht erleichtern; einige hundert Ryksdaler würde ich es mir mit Vergnügen kosten lassen. Sie verstehen mich … ist er erst fort, nach Indien oder Australien, und da er ein tüchtiger Seemann sein soll, wird es ihm nicht fehlen, so wären wir ihn für immer los!« – »Ich werde mir die Sache überlegen,« meinte der Beamte verlegen. »Sie wissen, wie gern ich dem Herrn Konferenzrat dienen möchte!«

Die junge Dame hatte sich bei der halblaut geflogenen Unterhandlung umgewendet. Ihr Blick blieb mit einem unverkennbaren Ausdruck von Mißbilligung, ja Verachtung auf ihrem Vater ruhen und ein leichtes Zucken um ihren Mund verkündete die bitteren Gefühle ihres Innern.

»Ich glaube, die Herren irren beide, wenn sie der Meinung sind, Kapitän Hansen werde eine Gelegenheit zur Flucht benutzen, die ihn jener schändlichen Tat geständig machen würde. Ich habe ein besseres Vertrauen zu dem Bruders meines Verlobten.«

»Du stellst dich mit Gewalt blind gegenüber allen diesen Beweisen.«

Die junge Dame hielt es für überflüssig, ihrem Vater auch nur zu antworten. Sie wendete sich zu dem Beamten. »Sie versprachen bei unsrer letzten Unterredung, Herr, mir das Messer zu zeigen, mit dem die schreckliche Tat verübt worden und das Kapitän Hansen gehören soll.«

Der Beamte verbeugte sich. »Ich habe es nicht vergessen, gnädiges Fräulein, und hier ist das corpus delicti. Ich habe es mir von dem Kriminal-Aktuar, der es bewahrt, geben lassen.« Er zog den sorgfältig in Papier geschlagenen Gegenstand aus der Tasche und wollte ihn ihr überreichen.

Fräulein Halsteen lehnte mit einem leichten Schauder die Waffe ab.

»Bitte – legen Sie es dorthin auf den Tisch!«

Zugleich schellte sie. »Schicke Suky herein!« befahl sie dem eintretenden Diener.

Der Lascare war seit der Verhaftung seines Herrn in dem Hause des Konferenzrates geblieben, sehr gegen dessen Willen, aber Fräulein Edda hatte darauf bestanden.

Einige Minuten darauf erschien der Malaye.

»Missus haben befohlen – haben Missus vielleicht gehört von armen Herrn, Sahib Hansa?«

»Da Suky, hab' ich etwas für dich! Dort – das Messer!«

Der Lascare ging an den Tisch, auf den sie hinwies, nahm das Messer in die Hand, und der Ausdruck augenscheinlichen Vergnügens zeigte sich sofort aus seinem Gesicht.

»Ah, Messer von Master Hansa! Nun sein alles gut – wenn Messer dieses hier, Sahib Hansa sicher auch nicht weit sein!«

»So erkennst du es wieder?« fragte die junge Dame mit angstvollem Zucken der Lippe.

»Bei der schwarzen Schlange – Suky will sterben, wenn es nicht wahr. Werd' ich doch kennen das Messer von Sahib? Hab' ich tausendmal in Hand gehabt. Sehen Missus hier den Namen, den ich nicht kann lesen, aber weiß sehr wohl und kenn' ich sehr gut hier die bekannte Klinge – hab' ich sie doch selbst blank geschliffen!«

»Blank?«

Das Fräulein trat erregt auf den Tisch zu.

»Schön blank und scharf! – keine Spur von Rost!«

»Aber Suky – es müssen Flecken auf der Klinge sein – Blut – es ist das Messer, mit dem jener Mann ermordet sein soll!« Sie streckte die Hand hastig nach der Waffe aus.

»Mit Messer dieses? – Oh Missus – Master Hansa, Sahib haben mit diesem Messer so wenig den Mann ermordet, wie er es überhaupt getan.«

Auch der Polizeibeamte war jetzt näher getreten – die Worte des Lascaren hatten ihn stutzig gemacht.

»Erlauben Sie, gnädiges Fräulein, daß ich an den Mann einige Fragen richte. – Warum glaubst du, daß mit diesem Messer Kapitän Macinhos nicht getötet sein kann?«

Der Malaye fing an zu begreifen, daß seine Antwort von Wichtigkeit sein könne und rollte bedächtig die Augen von dem Frager zur Dame, bis diese ihm ein Zeichen gab zu antworten.

Statt dies jedoch zu tun, stellte er selbst eine Frage.

»Wo Messer dieses funden?«

»Neben der Leiche des ermordeten Mannes.«

»Wenn wissen, sagen mir, wie lange wohl her, daß er tot, eh' ihn und Messer gefunden?«

»Die Ärzte behaupten, daß die Tat mindestens fünf bis sechs Stunden vorher erfolgt sein müsse. – Der Körper war gänzlich starr und kalt, das Blut getrocknet, als ich kam und die Umstände feststellte.«

»Und haben Master Messer abgewischt?«

»Abgewischt? – Nein – ich erinnere mich, daß die Klinge ebenso blank war, wie jetzt.«

Der Malaye lachte triumphierend, daß man alle 32 Zähne in dem breiten Mund sehen konnte.

»Dann solches Messer auch nicht haben Kapitän Macinhos den Hals abschneiden können. Wenn Klinge blutige Wunde macht, bleiben immer Blut hängen und trocknen auf Messer und machen Flecken, und sein sehr schwer zu machen wieder ganz rein. Ich kennen muß das – ich habe viele Wunden mit Messer gemacht, aber nur Kordofanklinge nehmen keine Blutspuren an, sonst alles Eisen!«

»Hören Sie Herr? – hörst du Vater?« sagte höchst erregt das Mädchen. »Das wäre ein Beweis für die Unschuld Kapitän Hansens!«

»Nicht so rasch, gnädiges Fräulein!« bemerkte der Beamte. »Aber auf der anderen Seite muß ich gestehen, daß mich die Bemerkung dieses Mannes allerdings stutzig macht. Es ist merkwürdig, daß ich nicht eher darauf gekommen bin. Ich weiß in der Tat mich ganz genau zu erinnern und kann es auf meinen Diensteid nehmen, daß das Messer, als ich es am Boden der Kajüte neben der Leiche fand, sich ganz in demselben Zustand befand wie jetzt, das heißt rein und glänzend. Beim Gericht ist es natürlich auf das sorgfältigste und in ganz demselben Zustand aufbewahrt worden. – Es wird darauf ankommen, durch einen Chemiker untersuchen zu lassen, ob sich an der Klinge oder dem Griff vielleicht dem gewöhnlichen Auge unsichtbare Spuren von Menschenblut befinden. Die Wissenschaft hat in dieser Beziehung in neuerer Zeit bedeutende Fortschritte gemacht und merkwürdige Resultate erzielt!«

»Aber wie leicht kann der Mörder es selbst abgetrocknet haben, bevor er es liegen ließ!« bemerkte der Konferenzrat.

»Verzeihen Sie, das widerspräche allen psychologischen Wahrnehmungen und Schlüssen. Nach einer solchen Greueltat hält sich kein Mensch damit auf, die Mordwaffe an Ort und Stelle zu reinigen, bloß um sie dann zu verlieren. Erweist die genaue Untersuchung kein Menschenblut an Klinge und Heft, so muß ich allerdings dem Schluß dieses Burschen beitreten, daß mit diesem Messer die Tat nicht begangen ist. Dieser Schluß beweist jedoch noch keineswegs die Unschuld des Angeklagten – ja, daß ich es sagen muß, gerade das Verlieren des reinen Messers an dem Ort der Tat spricht für seine Anwesenheit daselbst.«

»Es ist ein Einschlagmesser,« rief mit scharfem Verstand die Dame, – »wenn er es zufällig verloren, würde das Messer nicht geöffnet gewesen sein!«

Der Beamte biß sich auf die Lippen. »Sie haben recht, gnädiges Fräulein, – das ist ein Umstand, der nicht zu übersehen ist.«

Der Malaye hatte bis jetzt aufmerksam der Erörterung zugehört. Da sie aber meist dänisch geführt worden, und er nur das Englische radebrechte, war sie ihm ziemlich unverständlich geblieben.

Suky legte seinen Zeigefinger auf den Arm der Dame und sagte langsam: »Was sagen der Mann?«

Edda, die großes Vertrauen zu dem Lascaren hatte und ihn in jeder Weise vor den Dienern des Hauses bevorzugte, wiederholte ihm den Inhalt der Worte.

Ein spöttisches Grinsen verzog wiederum den breiten Mund des Malayen und er tippte mit den Fingern auf einen nackten Schädel. »Suky armer India-Mann, nicht lesen, nicht schreiben. Aber sehen alles klar. Missus Suky gesagt, daß Master Hansa verloren sein Messer. Well! bei schwarzer Schlange! haben jemand gefunden Messer von Master Hansa, haben abgeschnitten den Hals Kapitän Macinhos mit eigenem Messer und haben hingelegt Master Hansas Messer schön aufgeklappt, weil Namen darauf steht, um Verdacht zu lenken auf unschuldigen Mann!«

»Gott sei es Dank, so ist es! es kann nicht anders sein!« sie hätte den grünbraunen Burschen um den Hals fallen mögen.

Auch der Polizeibeamte war nachdenklich geworden. »Die Ansicht hat etwas für sich, Kapitän Hansen wäre gerettet, wenn man Nachweisen könnte, daß er wirklich dies Messer verloren und wer es gefunden hat. Aber Sie wissen selbst, gnädiges Fräulein, daß er im allgemeinen nur angegeben hat, bei einem Streit mit Betrunkenen, die ein Frauenzimmer insultierten, in der Nähe der Gothers Gade sein Messer verloren zu haben, nähere Umstände aber hartnäckig verweigert und besonders Ihren Namen nie genannt hat!«

»Es ist das einzige Gute an dem Menschen, daß er so viel Sinn für Familienehre besitzt,« meinte Herr Halsteen.

Fräulein Edda warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Ich kenne jetzt meine Pflicht,« tagte sie entschlossen, »und nachdem nun durch Gottes Hilfe ein Lichtstrahl in dieses Dunkel gekommen ist, obschon ich Kapitän Hansen niemals jener Tat für fähig gehalten, – soll mich keine Rücksicht abhalten, diese Pflicht zu üben.«

»Edda – du wirst doch nicht …!«

»Ruhig Vater, Ihre Tochter wird nichts tun, was unseren Namen entehrt. Ich wünschte, jeder hätte das stets getan. Ich erinnere mich deutlich, daß bei jenem unglücklichen Streit noch andere Zeugen zugegen waren, und Kapitän Hansen mit einem Manne sprach, ehe er mich wegführte. Aber ich war halb bewußtlos vor Angst und kann mich auf nichts mehr besinnen. Ich weiß nur, daß der Streit und Kampf überaus schnell vorübergingen. Wollen Sie, Herr Kommissar, mir helfen mir jene anderen Zeugen zu entdecken, – dann wird vielleicht mein Zeugnis nicht nötig sein, das ich sonst, selbst gegen den Willen meines Vaters – abzugeben entschlossen bin!«

»Mit Freuden, gnädiges Fräulein!«

»Gut! – so verschaffen Sie mir und Suky noch heute eine geheime Unterredung mit Kapitän Hansen. Er wird sich nicht weigern, mir über jenen Hergang, dessen Details er, der ruhige besonnene Mann, sicher genau im Gedächtnis behalten hat, Auskunft zu geben.«

Der Beamte wurde noch verlegner, als er vorhin bei dem Fluchtvorschlag des Rates geworden war. »Aber gnädiges Fräulein, das wird unmöglich gehen!«

»Unter keinen Umständen werde ich dulden, daß du mit dem Menschen wieder in persönliche Berührung kommst, Edda!«

»Dann werde ich morgen zu dem Präsidenten des Stadtgerichts fahren und um diese Unterredung selbst nachsuchen,« erklärte Fräulein Edda, »ich denke, du kennst mich, Papa!«

Das war leider nur zu gut der Fall, und nach einiger Verhandlung des Rats mit dem Kommissar, der vergeblich sich in Gründen erschöpfte, verstand sich dieser endlich dazu, am selben Abend um neun Uhr Fräulein Halsteen abzuholen, um sie in das Gefängnis zu geleiten.

Die junge Dame wäre am liebsten schon jetzt dahin aufgebrochen, Herr Olsen erklärte aber, daß er einige Zeit zu den Vorbereitungen haben müsse.

»Geh auf mein Zimmer, Suky,« bat die Dame, »und warte auf mich. Ich habe nachher noch mit dir zu reden.«

Der Indier machte seinen Salem und verschwand.

»Und jetzt, Papa, genieren Sie sich meinetwegen nicht, mit Herrn Olsen von jener anderen Angelegenheit zu sprechen.«

»Ich fände es am besten, du überließest das mir altem, Edda,« sagte der Konferenzrat. »Es sind Dinge, die nicht für das Ohr einer jungen Dame passen.«

»Die Angelegenheit berührt mich am meisten,« erwiderte das Fräulein mit tiefem Ernst. »Ich denke, ich bin alt genug, um darüber zu urteilen, was sich für die Tochter des Konferenzrats Halsteen schickt gegenüber ihrer Doppelgängerin in Namen und Gesicht.«

Es folgte diesen entschlossenen Worten eine kleine Pause. Dann nahm der Hausherr das Wort.

»Ich muß gestehen, daß mir die Sache fast noch fataler ist, als die erste. Ein öffentliches Frauenzimmer von unbekannter Herkunft, eine Landstreicherin, die leider durch eine zufällige Laune der Natur eine fabelhafte Ähnlichkeit mit meiner Tochter hat, hier in der Hauptstadt mit dem größten Eklat auftauchen und die Frechheit so weit treiben zu sehen, daß sie meinen Namen, den gleichen Namen wie meine Tochter öffentlich führt, dem beiwohnen zu müssen, daß sie sich bei jeder öffentlichen Gelegenheit, im Theater, auf den Promenaden, selbst in der Kirche in die Nähe des Fräulein Halsteen drängt, das ist zu viel. Ich will den Schutz der Polizei nicht anrufen, um der Sache nicht einen noch größeren Eklat zu geben, aber ein Mann meiner Stellung darf doch wohl erwarten, daß er unter der Hand gegen solche affreusen Beleidigungen geschützt wird.«

Der Polizeikommissar zuckte die Achseln. »Ich weiß kaum, gnädiger Herr, wie das zu machen sein wird. Die Person steht offenbar unter dem Schutz der demokratischen Clique und jeder nicht streng gesetzliche Schritt, den die Polizei gegen sie tun möchte, würde sofort zu einem öffentlichen Angriff in den Zeitungen, ja zu einer phrasenvollen Deklamation über Beschränkung der persönlichen Freiheit im Volksthing benutzt werden.«

»Aber man hätte ihr die Führung des Namens Halsteen verbieten können.«

»Sie ist unter diesem Namen angemeldet und hat einen norwegischen Paß, der darauf lautet. Ich habe ihn selbst in Händen gehabt: die Sängerin und Harfenistin Adda Halsteen. – Es ist nichts zu machen dagegen. Auf eine nähere Nachfrage der Polizei hat die Person sogar die Dreistigkeit gehabt, sich auf Sie selbst, Herr v. Halsteen, zu berufen.«

»Auf mich?«

»Ja. – Sie hat erklärt, Sie oder das gnädige Fräulein würden keinen Anstand nehmen, für sie Bürgschaft zu leisten.«

»Das ist zu arg! Ich werde noch einmal mit dem Oberpolizeimeister darüber sprechen.«

»Diese – diese Person behauptet, sie wäre Ihrer Familie bekannt!«

»Das ist erlogen. Ich kenne sie nicht, – ich weiß nichts von ihr! ich weiß nur, daß schon seit der Kindheit meiner Tochter, seit etwa zehn Jahren, von Zeit zu Zeit ein Geschöpf, eine junge Bettlerin der untersten Sorte, mehrmals in mein Haus sich drängte und ich sie durch die Bedienung entfernen lassen mußte. In den letzten Jahren blieben wir mit dieser Belästigung verschont, als plötzlich, vor etwa Jahresfrist, die Person sich wieder zeigte und anscheinend in den dürftigsten Umständen einige Male wieder in meinem Hause erschien, oder sich auf der Straße uns in den Weg stellte.«

»Sie bettelte? Warum haben der Herr Rat damals nicht Anzeige gemacht? Wir haben strenge Verordnungen gegen die Straßen- und Hausbettelei und die Polizei hätte damals Gelegenheit gehabt, sofort die junge Vagabondin aufzugreifen und auszuweisen.«

»Sie hat niemals gebettelt,« sagte heftig die junge Dame, »ja, sie hat jedes Geschenk, daß man ihr bot, mit Hohn zurückgewiesen.«

Der Rat trocknete sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Ich habe jener unglücklichen Ähnlichkeit wegen den Versuch durch dritte Personen gemacht, sie zum Verlassen Kopenhagens zu bewegen, und ihr Geld, ja, eine jährliche Unterstützung bieten lassen – aber sie hat alles ausgeschlagen. Sie scheint einen Charakter voll Bosheit und Haß zu besitzen!«

»Und welche Ursache sollte dieser Hatz haben?«

Der Konferenzrat schwieg einige Augenblicke, dann sagte er: »Ich weiß es nicht – er stammt offenbar aus jener allgemeinen plebejischen Erbitterung, welche die Phrasen unserer Sozialisten und Republikaner mit Wort und Schrift täglich unter den unteren Volksklassen gegen die Aristokratie und die höheren Stände verbreiten. Die Person kennt offenbar die unglückliche Ähnlichkeit mit meiner Tochter und beutet sie zu boshaften Demonstrationen aus. Dies ist ärger, ja unerträglich geworden, seit sie die Mittel hat, Aufsehen zu erregen – und dies ist eben der Punkt, über den ich mit Ihnen sprechen wollte.«

Der Beamte schwieg.

»Diese Person scheint plötzlich zu Vermögen oder doch bedeutenden Geldmitteln gekommen zu sein. Wissen Sie etwas über den Ursprung?«

»Der Herr Konferenzrat sind ein Mann von Welt und wissen, wie häufig solche Personen plötzlich großen Luxus entfalten, ohne daß man ihnen eine bestimmte Quelle nachweisen kann. Dergleichen Fälle ereignen sich täglich in den großen Städten, wie London, Paris, Berlin, Wien. Ebenso rasch sinken und verschwinden sie wieder in der Dunkelheit!«

»Aber jetzt?«

»Es läßt sich nicht leugnen, daß seit zwei Monaten diese Demoiselle Adda Halsteen, wie sie sich nennen läßt, Aufsehen in Kopenhagen macht. Sie muß über erhebliche Geldmittel gebieten, denn sie hat eine elegante Wohnung, eine brillante Toilette und ist überall zu finden. Das schlimmste ist, daß in ihrem Salon die ganze Opposition sich vereinigt, die ärgsten Schreier der Presse, die Klubredner und die Führer der äußersten Linken in dem Volksthing, ja, daß selbst Männer von Geist und Ansehen, wie Tscherning und Blixen-Finecke, kurzum, die Feinde der Regierung dort verkehren.«

»Das ist es ja eben! – aber wissen Sie, zu welcher Frechheit sie neuerdings greift?«

Der Beamte sah ihn fragend an.

»Sie will eine Wohnung in dieser Straße, gerade gegenüber diesem meinem Hause beziehen. Durch einen Zufall erfuhr ich, daß sie darüber in Unterhandlung steht.«

Der Polizeibeamte zuckte die Achseln. »Der Herr Rat wissen, wie sehr ich Ihnen verpflichtet und zu Diensten bin. Aber es wird sich schwer hindern lassen. Der einzige Rat, den ich geben kann, ist: der Person durch Unterhandlung mit dem Wirt zuvorzukommen.«

»Aber ich kann doch nicht die ganze Straße mieten! – Wir vermeiden seit Wochen schon das Theater oder irgend öffentliche Orte zu besuchen, weil es ein wirkliches Fatum scheint, daß wir sie jedesmal dort treffen. Es ist, als wüßte sie von jedem unserer Schritte.«

Der Beamte sah ihn bedeutsam an. »Sollte dies nicht auch vielleicht der Fall sein? Sind Sie Ihrer Dienerschaft sicher? Leute der Art sind der Bestechung sehr zugänglich. Ich werfe diesen Gedanken bloß hin, obschon ich in der Tat nicht wüßte, welchen Grund jene – jene Person zu solchen Ausgaben haben sollte!«

»Ich habe selbst schon daran gedacht und bin beinahe entschlossen, meine ganze Dienerschaft zu wechseln. – Unterdes bitte ich Sie, Herr Olsen, Ihre Augen auch auf dieses Frauenzimmer zu richten und mir beizustehen. Was die erste Angelegenheit betrifft, so muß ich dem Eigensinn meiner Tochter nachgeben und in jene Unterredung willigen. Wie auch die Sache sich wenden möge – wir sprechen näher über meinen Wunsch, der natürlich Gegenstand des tiefsten Geheimnisses bleiben muß.«

Der Kommissar verbeugte sich zustimmend, dann steckte er sorgfältig das Messer wieder ein und empfahl sich. »Ich werde also die Ehre haben, Sie um neun Uhr abzuholen, gnädiges Fräulein?«

»Ich erwarte Sie!«

Vater und Tochter blieben allein.

Die letztere sah wieder stumm und nachdenkend in die Flamme, der Rat aber ging unruhig hin und her – er hatte offenbar seine ganze diplomatische Ruhe und Haltung verloren.

Endlich blieb er vor ihr stehen.

»Warum beharrst du auf dieser Unterredung mit Hansen?«

Sie hob ihr großes festes Auge zu ihm auf.

»Haben Sie mich mit Herrn Johannes Hansen verlobt oder nicht?«

»Du selbst warst damit einverstanden, indes …«

»Seit ich die Verlobte des Herrn Hansen bin, den Sie entfernt von hier und in Unkenntnis über das wahre Schicksal seines Bruders halten, habe ich die Pflicht, meinen Verlobten hier zu vertreten. – Er könnte und würde, obschon er ein wohlgeschulter Diplomat ist, seinen einzigen Bruder nicht im Stich lassen.«

»Aber alle Anzeichen deuten auf die Schuld dieses Menschen!«

»Glauben Sie selbst daran?«

»Ich habe mich wenigstens mit meinen eigenen Ohren überzeugt, daß er ein Rebell und Hochverräter ist, der gegen die rechtmäßige Regierung konspiriert.«

»Er ist ein Deutscher, wie wir Dänen sind. Sie hätten das unglückliche Zusammentreffen mancher Umstände, die jenen schändlichen Verdacht auf den Kapitän Klaus Hansen lenkten, nicht noch dadurch vermehren sollen, daß Sie zum politischen Ankläger wurden.«

»Ich bin zuerst Diener des Königs und des Staates. Sein Bruder selbst hat ihn gewarnt!«

»Genug davon, es ist unnötig, weiter darüber zu streiten. Jener unglücklichen anderen Sache wegen, die jede Öffentlichkeit für mich noch verletzender machen würde, habe ich eingewilligt, die zarte Schonung anzunehmen, mit welcher der Unglückliche vermieden hat, sich auf mein Zeugnis zu berufen, ja überhaupt nur meinen Namen zu nennen. Aber ich würde noch mehr vor mir selbst erröten, wenn ich, sobald sich nur die geringste andere Aussicht zum Erweis seiner Unschuld bietet, diese nicht mit allen Kräften verfolgen wollte, da niemand weiter ihm beisteht. Entweder Sie müssen meine Verlobung aufheben, oder mir gestatten, daß ich an die Stelle meines Verlobten trete!«

»Du weißt, Kind, was mich vermocht hat, meine Einwilligung zu einer Verbindung mit dem Legationssekretär zu geben!«

»Das Geld und die diplomatische Perfidie!«

Er beachtete den Angriff nicht. »Mein Vermögen ist gering,« sagte er, »die vielen Kosten der äußerlichen Behauptung meiner Stellung haben es zerrüttet. Deine Mutter besaß nur ihren hohen Rang und wenn ich sterbe, würdest du in einer trüben Lage sein. Es war also meine Pflicht, für dich zu sorgen. Herr Hansen ist ein junger Mann von vielen Fähigkeiten. Du weißt, wie sehr man wünscht, gerade Männer aus den Eider-Provinzen an die Interessen der Regierung zu fesseln, solche Beispiele wirken auf das Ganze. Ich habe noch gestern Briefe aus London empfangen; es ist außer Zweifel, daß die vorgelegten Ausweise für genügend erachtet werden müssen, und daß die ostindische Kompagnie zur Auszahlung der Erbschaft verurteilt wird. Dann ist Hansen Besitzer einer Million und trotz seiner niederen Abstammung eine nicht zu verachtende Partie selbst für die Tochter der Gräfin Tordenskiold.«

»Die Hälfte der Erbschaft gehört doch wohl seinem Bruder!«

»Das ist zweifelhaft – die englischen Gesetze sichern das Recht der Erstgebornen. Indeß wir werden bereit sein, uns generös abzufinden. Selbst wenn jener Mann, dessen Besuch uns so viele Unannehmlichkeiten verursacht hat, von der Anklage des Mordes freigesprochen werden sollte, ist seines Bleibens im Lande nicht mehr, wenn er nicht mit den Gerichten weitere Bekanntschaften machen will. Man kann ihm ein Schiff kaufen und ihn für immer entfernen. Ich denke, nicht für einen friesischen Rebellen, sondern für dich habe ich jene sonst offenbar verloren gewesene Erbschaft ans Licht gezogen.«

Das junge Mädchen lächelte schmerzlich. »Die Entscheidung darüber gehört der Zukunft. Vor allem gilt es jetzt, Klaus Hansen aus seiner schmachvollen Lage zu befreien. Ich fühle beschämend, daß ich schon zu lange gezögert und – durch jenen Grund mich zu einer feigen Schwäche habe verleiten lassen. Die Entdeckung, die wir heute gemacht, betrachte ich als einen Wink von oben.«

»Ich will dir nicht hinderlich sein,« sagte nach einigem Nachdenken der Diplomat, – »obschon ich diesen Eifer für einen Fremden, den du doch nur wenige Stunden gekannt hast, bei deinem sonst so zurückhaltenden Charakter auffallend finde. Indeß muß ich dich bitten, sehr vorsichtig zu sein – schon um jenes Dämons willen, der uns das Leben verbittert.«

»Adda!«

»Mag sie sich nennen, wie sie will – du weißt, wen ich meine! Es ist eine unglückliche Geschichte.«

»Sehr unglücklich!« sagte sie gedankenvoll.

»Sie ist es, welche die fortwährenden Angriffe auf mich veranlaßt, die dieser Schurke Sonnemann in seinem Winkelblatt verübt. Aber ich hoffe es dennoch durchzusetzen, daß sie als Landstreicherin behandelt und in das Spinnhaus gesetzt wird!«

»Vater!«

»Was willst du?«

»Du wirst keinen Schritt gegen sie tun!«

»Und warum nicht? Verfolgt sie uns nicht mit boshaftem Haß?«

»Und ist dieser wirklich nicht berechtigt – so ganz und gar nicht verschuldet? Hätte Adda keinen Anspruch an uns?«

Es war das erstemal, das Edda Halsteen etwas ähnliches ihrem Vater sagte, und um so tiefer traf der Schlag. Der Konferenzrat fuhr mit dem Taschentuch über die Stirn und wandte sich ab, um seine Verwirrung zu verbergen.

»Es fehlte bloß noch,« sagte er heftig, »daß du auch für diese Landstreicherin Partei nähmst gegen deinen Vater und deine eigenen Interessen.«

»Mir ist immer,« fuhr das Mädchen fort, »als müßte Adda uns helfen können, die Unschuld des Kapitän Hansen an den Tag zu bringen. Ich weiß, daß er sie an jenem unglücklichen Abend gesehen und gesprochen, ja daß er ihr einen hohen Dienst geleistet hat!«

»Auch das noch!« schrie erbittert der Konferenzrat, dessen diplomatische Geduld durch dieses Thema vollkommen erschöpft war. »Haben sich denn alle widerwärtigen, verhaßten Personen verschworen, mir Verdruß zu bereiten? Das fehlte noch, daß dieser Seestreicher und Rebell zum Vertrauten der Dirne würde!«

»Vater – Sie vergessen sich! – Würde es nicht besser sein, Adda zu versöhnen?«

»Zu versöhnen? Ich, der Konferenzrat und Kammerherr von Halsteen sollte mich erniedrigen, mit einer …« er brach ab. »Ich verbiete dir den geringsten Versuch dazu. Es ist mein fester Wille, den du nicht beugen sollst. – Und jetzt muß ich dich dir selbst und deinem überspannten Plan überlassen, die Unschuld deines Schützlings zu erforschen, da ich noch zu einer Besprechung mit dem englischen Gesandten muß. Eine schöne Stimmung für eine diplomatische Verhandlung. Ich dächte die Zeitverhältnisse und diese täglich unverschämter werdenden Forderungen des Deutschen Bundes brächten Verdruß genug, daß man den Ärger nicht noch in der Familie zu suchen brauchte. Die Berichte deines Verlobten von Wien und Frankfurt entsprechen keineswegs unseren Erwartungen von seiner Tätigkeit!«

Die junge Dame hatte den Kopf gesenkt bei dem bestimmten Verbot des Konferenzrats, in irgendeine Verbindung mit dem geheimnisvollen Wesen zu treten, von dem es sie ebenso abstieß, wie ein unerklärlicher Zug sie zu ihm drängte. Sie hatte daher auch sorgfältig verheimlicht, daß sie gerade an jenem verhängnisvollen Abend die Absicht gehabt, ihr Ebenbild aufzusuchen, daß Kapitän Hansen sie begleitet, daß sie aber die Sängerin nicht angetroffen und vergeblich auf sie gewartet habe.

Gleichgültig fragte sie jetzt:: »Also in Frankfurt befindet sich gegenwärtig Herr Hansen?«

»Ja – seit acht Tagen, aber niemand darf darum wissen, darum waren seine letzten Briefe an dich auch nicht von dort datiert. Wir haben Nachricht, daß der Bund neue Beschlüsse gegen uns fassen will. Man geht damit um, zu verlangen, daß das Budget von Holstein und Lauenburg schon mit dem neuen Finanzjahr nicht ohne die Bewilligung der dortigen Stände festgesetzt werden soll, daß kein Gesetz, auch wenn es in Dänemark gilt, in den beiden Herzogtümern eingeführt werden darf, ehe es nicht die Zustimmung ihrer Stände erhalten hat. Das heißt, die Provinzen von dem gesammten Reichstag trennen und unabhängig machen, also von der Monarchie losreißen und unter keinen Umständen darf dies geschehen!«

»Ich verstehe zu wenig von Politik, um darüber zu urteilen!«

»So? – diese Erkenntnis scheint Fräulein Edda doch erst in sehr neuerer Zeit gekommen,« meinte ironisch der Kammerherr. »Sonst kanntest du die Rechte der Krone ganz genau und eifertest gegen deren Schmälerung. Aber ich habe jetzt nicht Zeit, mit dir zu streiten oder diese plötzliche Gleichgültigkeit näher zu untersuchen, und deshalb beschränke ich mich darauf, dir nochmals Vorsicht anzuempfehlen! Adieu denn!«

Der Konferenzrat verließ das Zimmer, in dem die junge Dame noch einige Augenblicke zurückblieb, bis sie den Wagen fortfahren hörte; dann eilte sie auf das ihre, wo sie den Malayen mit ihrem Kammermädchen radebrechen fand.

Sie entließ dasselbe mit einem Auftrag.

»Weißt du, wohin wir heute Abend noch gehen, Suky?«

»Wie soll wissen das armer India-Mann?«

»Zu Kapitän Hansen, deinem Herrn!«

Der Malaye starrte sie mit seinen glänzenden Augen an. »Bei der schwarzen Schlange, Missus – reden Sie wahr? ich soll sehen Sahib?«

»Sehen und sprechen.«

Er stürzte vor ihr nieder auf die Knie und küßte ihr Kleid. »Suky hat gehört von den guten Geistern. Missus guter Geist von Suky und Massa Hansa.«

Ein leichtes, halbschmerzliches Lächeln flog über ihr schönes Gesicht. »Vielleicht! Indeß, Suky, haben wir Ernstes zu bedenken, ehe wir mit Master Hansen sprechen. Wie weit bist du mit deinen Nachforschungen?«

»Suky hat gesprochen mit den Matrosen von Schiff, wo ist ermordet Kapitän Macinhos.«

»Und hast du etwas entdeckt?«

»Matrosen sprechen untereinander anders als vor Gericht. Es ist da ein Mann, der sagt, er habe nach Mitternacht, etwa in ersten Glocken, ein Boot kommen hören in jener Nacht an Bord.«

»Das ist zu unbestimmt. Weiß er sich keines anderen Umstandes zu erinnern?«

»Der Mann war aufgewacht und glaubt, daß es Steuermann von Brigg gewesen, mit einem sehr, sehr großen Mann!«

»Der Steuermann Aveiros?«

»Selbigen – glauben, so heißen er.«

»Aber dieser hat den Mord entdeckt! Er ist nach allen Aussagen erst des Morgens acht Uhr nach dem Schiff gekommen?!«

»Dann zweimal an Bord gewesen,« meinte mit philosophischer Ruhe der Lascare. »Einmal wissen wollen, und einmal nicht wissen wollen!«

»Heiliger Gott – dann war dieser wahrscheinlich der Mörder?«

»Sehr möglich! schlechter Kerl! schlimm Gesicht!«

»Du kennst ihn?«

»Suky hat ihn natürlich gesehen in Taverne, weil Suky forscht nach allem.«

»Aber warum hat jener Matrose seine Wahrnehmung nicht vor Gericht angezeigt, als er gefragt wurde?«

» Ai! Matrosen seien keine Papageivogel, was nur schwatzen. Steuermann haben viel Gewalt. Kapitän Macinhos nicht werden lebendig von unnütz Reden. Auch wissen er nicht recht, wieviel sehen, da viel Grog trunken am Abend vorher!«

»Dennoch ist die Nachricht von größter Wichtigkeit. Könnte jetzt noch ein Zeuge beschafft werden, der über das Verweilen des Kapitän Hansen Auskunft geben möchte, so wäre seine Unschuld leicht zu erweisen. Was willst du, Tyna?«

Die Frage galt der Kammerzofe.

»Es ist ein Herr draußen, der sagt, Sie hätten ihn hierher bestellt.«

»Ah – Herr Olsen! ich ließe bitten, einen Augenblick zu verziehen. Und du, Suky, mach' dich bereit, mich zu begleiten. Noch eins – was mir einfällt. Nimm jenes Messer mit, was Kapitän Hansen am Morgen zurückbrachte. Wir wollen ihn darüber befragen.«

Der Lascare verließ das Zimmer; Edda warf einen Mantel um und ein pelzgefüttertes Capuchon und trat in den Salon, wo der Polizei-Kommissar ihrer harrte.

»Sind Sie noch immer entschlossen, gnädiges Fräulein?«

»Mehr als je, Herr. – Ich habe während Ihrer Abwesenheit noch eine weitere Entdeckung gemacht, die Sie wahrscheinlich auf die richtige Spur leiten kann.«

»Das wäre?« meinte der Beamte lächelnd. »Dann verdienten Sie, Polizeiminister zu sein. Und darf ich erfahren, worin die Entdeckung besteht? – Aufrichtig gestanden, mein gnädiges Fräulein, da uns hier die Abwesenheit Ihres Herrn Vaters offen zu sprechen erlaubt, ich glaube zwar, daß Kapitän Hansen sich sehr mißliebig gemacht hat, aber nicht, daß er einen Raubmord begehen konnte, so sehr die Umstände auch gegen ihn sprechen.«

»Ich danke Ihnen, Herr,« sagte die junge Dame. »Aber erlauben Sie, daß ich vorläufig noch über die erwähnte Entdeckung schweige, bis ich den Gefangenen gesprochen. Ich werde dann jedenfalls Ihren Beistand in Anspruch nehmen. – Sie haben doch nichts dawider, daß dieser Mann, der Stewart des Kapitäns, uns begleitet. – Es ist nötig!« beharrte sie, als sie sah, daß der Beamte zögerte.

»Wenn es denn sein muß, mag es geschehen, obgleich ich nicht die Erlaubnis dazu habe. – Wenn es Ihnen gefällig ist, gnädiges Fräulein, ich habe unten eine Droschke halten.«

Sie winkte dem Lascaren, ihnen zu folgen und ging voran. Als sie eingestiegen waren, nahm die Droschke ihren Weg in der Richtung des Nörre Vold nach dem Gammel-op-Nytorv, dem Alt- und Neumarkt, wo sich der Gerichtssaal und das Stadtgefängnis in dem 1815 erbauten Rathause befinden, das die Inschrift trägt:

Med Lov skal man Land bygge

das heißt:

Mit Gesetz soll man das Land bauen,

ein Spruch, den man leider auf die Herzogtümer nicht anzuwenden verstand!

In der Nähe des Gebäudes ließ der Beamte halten und lud die Dame ein, auszusteigen. Es war jetzt halb zehn Uhr und die Gegend um das Gefängnis wenig belebt. Edda bemerkte, daß auf der andern Seite des Eingangs ein zweiter Wagen hielt.

Herr Olsen schellte am Tor, und als er sich genannt, wurde ihm sofort geöffnet. Nachdem er seine Begleiterin in den Eingang des Gebäudes geführt, bat er sie, einen Augenblick zu verharren und verschwand durch eine der Türen.

Das Foyer war ziemlich geräumig, einzelne Personen gingen trotz der späten Stunde noch hin und her zu den verschiedenen Türen und Aufgängen. Edda Halsteen befand sich zum erstenmal in diesen Räumen; sie dachte des armen Gefangenen und hüllte sich fröstelnd in ihren Mantel.

Eben, als sie sich zur Seite kehrte, dem Malayen eine Bemerkung zu machen, berührte sie ein unerwarteter Anblick.

Die Stufen einer zu einem Korridor führenden Treppe herab kam eine Dame, wie sie in ihren Mantel und Schleier gehüllt. Obschon dieser das Gesicht verhüllte, war es Edda doch, als müßte sie die Fremde kennen; ein unheimliches Gefühl beschlich sie, – als sie aber das Auge zu dem Begleiter oder Diener der Dame erhob, der hinter ihr dreinkam, erbebte sie unwillkürlich, und sie konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken.

So spärlich auch die Gasbeleuchtung des Raumes war, hatte sie doch dies Gesicht erkannt, und ein zweiter Blick überzeugte sie, daß sie sich nicht geirrt.

Der Mensch war eine Figur von riesiger Größe mit schmalem Wuchs und unförmlichen Armen und Händen. Das ganz bartlose Gesicht sah verschrumpft und unheimlich aus, und die kleinen rötlichen Augen hatten einen unangenehmen Blick. Weiße flachsartige Haare umgaben den Kopf, und da der Mann, der einen langen englischen Dienerrock und den Pelz der Dame über dem Arm trug, den galonierten Hut jetzt in der Hand hatte, konnte man mitten auf der Stirn einen blauroten Fleck, gleich einem Wundmal erkennen.

Eben dieses Zeichen war es, was Edda Halsteen die Überzeugung gab, die blitzartig ihre Seele durchfuhr.

Obschon sie den Menschen damals – an jenem verhängnisvollen Abend, dessen Folgen sie auch jetzt hierher führten, – nur wenige Minuten gesehen hatte und von Angst und Entsetzen zu jener Zeit halb bewußtlos war, erkannte sie das widrige verwelkte Gesicht mit dem tierischen Blick doch auf der Stelle wieder. Es war der Mann, der sie mit einem Genossen in jener Seitenstraße von Gothers Gade verfolgt hatte, derselbe, dessen Hand sie an ihrer Schulter gefühlt, der den Messerwurf nach dem Kapitän getan hatte.

Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und faßte den Arm ihres treuen Begleiters.

»Um Gottes willen – Suky – er ist es!«

»Was meinen Missus? – Fürchten sich nicht, wenn Suky hier!«

Der Malaye legte dabei unwillkürlich wie zum Schutz die Hand an den Horngriff jenes Matrosenmessers, das er im Gürtel trug.

Diese Bewegung lenkte die roten Augen des langen Burschen auf seine Hand.

Fräulein Edda hatte übrigens nicht Zeit, seine Frage zu beantworten, denn schon war die Dame, von dem ungeschlachten Diener gefolgt, herangekommen und wollte vorübergehen nach dem Ausgang, als es ihr wie Edda zu gehen und eine nervöse antipatische Empfindung sie zu durchschauern schien.

Die Fremde blieb stehen und richtete durch den Schleier hindurch ihren festen Blick auf das erbebende Mädchen. Dann lachte sie höhnisch auf und schlug den Schleier zurück.

Es war Edda selbst – Adda!

»Also überall, Schwester Edda!«

Als die Tochter des Kammerherrn und Konferenzrats Halsteen wieder Herr ihres Bewußtseins, ihrer Bewegung wurde, war die drohende Erscheinung bereits durch die Eingangstür verschwunden. Suky starrte ihr mit offenem Munde nach – es war das erstemal, daß er die Doppelgängerin gesehen.

Eben kam der Kommissar aus einem der Seiteneingänge.

Das Fräulein preßte heftig den Arm des Lascaren. »Kein Wort, Suky, von dem, was wir eben gesehen. Ich verbiete es dir!«

Sie hatte sich mit der Aufbietung aller Kraft gefaßt, und als der Kommissar jetzt herzutrat und ihr sagte, daß sie den Aufseher der Abteilung in den Gängen finden würden, folgte sie ihm mit festen Schritten.

Herr Olsen führte sie dieselbe Treppe hinauf, die jene herabgekommen waren und nach einigen Wendungen in einen langen düster beleuchteten Gang, in dem ihnen ein Mann in der Gefängnisuniform entgegenkam.

»Zu dem Gefangenen Klaus Hansen, Zelle Nr. 44,« sagte der Kommissar – »hier ist die Erlaubnis des Inspektors. Die Dame mit ihrem Diener hier darf eine halbe Stunde in der Zelle verweilen.«

Der Schließer murmelte eine unverständliche Antwort, er betrachtete mit Kopfschütteln und offenbar sehr mißtrauisch den späten Besuch, wagte aber nicht, Widerspruch zu erheben.

Er begnügte sich vielmehr, durch einen Wink die drei zum Folgen aufzufordern und voranzugehen.

Vor der Zelle Nr. 44 blieb er stehen, sah durch den Schieber, und drehte dann von außen eine in der Zelle angebrachte Gasflamme in die Höhe.

Hierauf schloß er die Tür auf.

»Wünschen Sie, daß ich Sie begleite, Fräulein Halsteen?« fragte leise der Kommissar.

»Nein, ich danke Ihnen! Nur Suky soll mir folgen. – Sollte unsere Unterredung eher zu Ende sein, so werde ich klopfen.«

Die Tür öffnete sich, Edda Halsteen trat über die Schwelle, hinter ihr der Lascare; – dann hörten sie die Tür ins Schloß fallen und den Schlüssel umdrehen.

Ihnen gegenüber, an einem kleinen Tisch auf einem Schemel saß der Gefangene.

Er hatte mit Erstaunen bemerkt, daß die Flamme des Gasarms, welche am Abend und während der Nacht die Zelle halb erleuchtete, wieder heller aufbrannte, und sein Blick war auf die Tür gerichtet. Da das Licht aber durch die Scheibe von dickem, mattem Glase immerhin sehr unvollkommen blieb, sah er nur eine Dame vor sich, die eben ihren Schleier zurückschlug.

»Kapitän Hansen!«

Der Gefangene schüttelte unwillig mit dem Kopf.

»Warum nochmals? ich habe Ihnen doch meinen bestimmten Entschluß erklärt!«

»Klaus Hansen – erkennen Sie mich nicht?«

Er stand auf – sein Auge fiel zugleich auf den Laskaren – sofort begriff er die Wahrheit.

»Suky – Fräulein Edda?! um Himmelswillen, Sie hier in meiner Zelle, – und noch soeben …«

Er konnte nicht weitersprechen – der Malaye stürzte zu seinen Füßen, umklammerte seine Knie und weinte laut. »O Sahib, Sahib! bei der schwarzen Schlange, armer India-Mann wollt' geben sein Leben, wenn er könnte befreien aus diesen Mauern Sahib Hansa!«

»Ja – du bist brav und treu! ich wußte, daß du mich nicht verlassen würdest!« Er beugte sich zu ihm und versuchte ihn aufzuheben.

»Und haben Sie keinen Gruß für eine ebenso aufrichtige Freundin, die Ihnen doch so vielen Dank schuldig ist?« fragte die junge Dame schmerzlich, indem sie ihm ihre weiße Hand entgegenhielt.

»Ich danke Ihnen wenigstens, Fräulein Halsteen,« sagte er, »für die Freude, die sie mir durch die Zuführung dieses treuen Burschen gemacht haben, der ein Seeräuber in seiner sonnigen Heimat war und vielleicht hundertfach Menschenblut vergossen hat, – und hier im kalten Norden das eigene Leben für ein fremdes opfern möchte. – Auch für so manche Erleichterungen und persönliche Begünstigungen in meiner Haft« – fuhr er nach einer Pause fort, – »danke ich Ihnen, da ich Sie doch wahrscheinlich dem Einfluß Ihrer vornehmen und mächtigen Familie schulde, Fräulein von Halsteen!«

Sie hatte sich erschöpft, aufs schmerzlichste berührt von diesem Empfang, unwillkürlich auf den hölzernen Schemel niedergelassen, auf dem er bei ihrem Eintritte gesessen.

»Warum nennen Sie mich Fräulein Halsteen – nicht Edda, da ich doch die Verlobte Ihres Bruders bin?« fragte sie heftig.

»Meines Bruders? – hab' ich wirklich einen Bruder?«

Seine Stimme klang scharf – auf seinem jetzt so abgemagerten und finsteren Gesicht lag ein Zug unaussprechlicher Bitterkeit bei diesen Worten. Edda sah mit Schmerz, wie sehr die Haft von den paar Monaten diesen mächtigen Körper, diese kräftige Seele angegriffen. Kapitän Hansen trug zwar als Untersuchungsgefangener nicht die Gefängniskleidung, aber der Seemannsrock war ihm viel zu weit geworden, das ehrliche offene Gesicht war hager, der Bart vernachlässigt gewachsen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen.

Ein Blick umher belehrte sie, was dieser an Freiheit und Tätigkeit gewöhnte Mann in dieser Umgebung gelitten haben mußte.

Öde vier Wände, – nur hoch oben ein mit Eisen vergittertes Fenster, durch das bei Tage ein blauer Streifen Himmel allein hereinlugen konnte, – eine Holzpritsche mit harter Strohmatratze und einfacher Decke – ein Tisch – einige Bücher und Schreibzeug, die Begünstigung, die sie ihm ohne Wissen ihres Vaters erwirkt und die er nicht ein einziges Mal zu einem Briefe an sie benutzt hatte! – das war alles.

Aber sie begriff, daß die Minuten entflogen und entrang sich mit der Gewalt ihres starken und kräftigen Geistes den schmerzlichen äußeren Eindrücken.

»Kapitän Hansen,« sagte sie ernst, – »Sie tun Ihrem Bruder Unrecht. Nicht ihm dürfen Sie seine Lauheit gegenüber Ihrem Unglück zuschreiben – er kennt Ihre wahre Lage nicht!«

»Wie – so hat man ihn getäuscht?«

»Teils täuschten ihn andere, teils er sich selbst. Erlassen Sie mir, davon zu sprechen. Aber glauben Sie mir, hier ist eine, die nie Ihre Schuldlosigkeit an jenem schändlichen Verbrechen bezweifelt hat.«

Es fuhr wie ein sonniger Blitz über sein ehrliches Gesicht und er legte einen Augenblick die Hand darüber.

Als er sie wieder entfernte, nahm er die des Fräuleins von selbst und küßte sie.

»Ich danke Ihnen, Fräulein Edda, für den Beweis, daß es in Dänemark noch Gerechtigkeit für einen Deutschen geben kann. Ich hatte es bezweifelt.«

»So sollen Sie es hoffentlich jetzt kennen lernen. Was auch meine Familie an Ihnen verschuldet haben mag – teilweise sind Sie wohl selbst die Ursache zu dem Mißtrauen meines Vaters durch Ihre unvorsichtigen und verletzenden politischen Äußerungen, die er leider anzuhören Gelegenheit hatte, – so glauben Sie doch, daß ich keinen Augenblick gezögert habe, für Ihre Rechtfertigung tätig zu sein. Ich habe den Gang der Untersuchung durch den Beamten, der mir jetzt die Gelegenheit verschafft, Sie zu sehen, genau erfahren und verfolgt. Warum, mein armer Freund, beriefen Sie sich nicht auf mich, um Ihr Alibi – so nennt man es ja wohl! – wenigstens für den ersten Teil der Nacht zu beweisen? warum nicht für den Umstand, daß ich bezeugen konnte, Ihre Hand sei verwundet gewesen und ich hätte selbst ein Tuch darum gebunden?«

»Warum? – mit welchem Recht, oder vielmehr zu welchem Zweck hätte ich den Namen der Verlobten meines Bruders in diese unangenehme Sache mischen können? Nein, Fräulein Halsteen, das durfte nicht geschehen – nie und nimmermehr!«

»So würde ich es selbst getan haben, wenn Gott uns nicht glücklicherweise andere Wege gezeigt hätte, dieses, ich gestehe Ihnen, jetzt ganz besonderer Verhältnisse wegen unangenehme Mittel zu vermeiden. – Hier,« sie wies auf Suky, der in einem Winkel stand und mit großer Entrüstung das anfangs so kalte Benehmen seines Sahib gegen die von ihm wie eine seiner heidnischen Gottheiten verehrte Schöne angesehen hatte, – »dies ist derjenige, dem es gelungen, die Beweise für Ihre Unschuld zu finden.«

Sie hatte die letzten Worte zum besseren Verständnis für den Laskaren in englischer Sprache gesagt.

»India-Mann,« unterbrach sie der Malaye, »nur Hund, den Jäger auf Spur setzt. »Alles durch Missus, Sahib Hansa, Sie sein ein guter Geist.«

»Ich glaube es wohl. So sagen Sie mir denn – und es wird mir doppelt willkommen sein nach einer Erfahrung, die ich soeben gemacht, – welche Beweise Sie entdeckt haben?«

»Zuvor erlauben Sie mir, einige Fragen an Sie zu richten?«

»Fragen Sie, ich werde antworten.«

»Sie haben also jenes verhängnisvolle Messer, das den Hauptbeweisgrund gegen Sie bildet, weil es Ihren Namen zeigt, verloren?«

»Ja!«

»Wann und wo? wissen Sie genau die Stelle?«

»Gewiß. Es war an dem Abend selbst, und zwar bei dem Vorfall, als ich Sie gegen einen trunkenen oder frechen Kerl verteidigte, der Sie belästigte.«

»Die schreckliche Szene ging so schnell vorüber, ich war vor Schrecken und Angst halb bewußtlos, daß ich mich nur weniger Umstände erinnere. Ich weiß nur, daß Sie mir später sagten, Ihre Hand habe sich an dem Messer jenes verruchten Menschen leicht verletzt?«

»So war es – es scheint dasselbe Messer, das, wie ich sehe, Suky dort in seiner Schärpe stecken hat.«

»Und wo hatten Sie Ihr Messer?«

»Ich ließ es auf das Pflaster fallen, weil ich es zwar zu Ihrer Verteidigung hervorgezogen, aber nicht mehr Zeit hatte, mich seiner zu bedienen. Ich vergaß es nachher aufzuheben, als ich Sie fortführte, um so mehr, als ich jenes Messer in der Hand behielt.«

»Und das Ihre, war es bereits aufgeklappt?«

»Nein, ich wiederhole, ich hatte nicht Zeit dazu!«

»Ich erinnere mich undeutlich, daß Sie gleich darauf, als Sie den Fremden zu Boden geschlagen, mit Personen sprachen, die Zeuge des Auftritts waren?«

»Ich erinnere mich.«

»Und – ich bitte, strengen Sie Ihr Gedächtnis an – kannten Sie diese Personen?«

»Eine von diesen!« – »Wer war diese?«

»Es war der dänische Flottillen-Kommandant auf den friesischen Inseln, der Kapitänleutnant Hammer!«

»Gott sei Dank,« atmete das Mädchen hoch auf, »das gibt wenigstens einen Anhalt!«

»Wie meinen Sie dies!«

»Hören Sie mich an. Es ist durch mich zu erweisen, daß Sie sich zeitig von dem portugiesischen Kapitän getrennt haben. Es liegen alle Anzeichen vor, daß mit dem Messer, welches man neben dem Toten gefunden hat, die Tat nicht begangen, daß es nicht einmal mit Blut befleckt worden ist. Sie haben das Messer mehrere Stunden vor der Tat verloren. Vielleicht läßt sich das durch die Aussage des Kapitänleutnant Hammer oder eines seiner Begleiter bestätigen. Allem Anschein nach ist der Finder der Mörder gewesen und hat, um den Verdacht auf einen Unschuldigen zu lenken, das Messer an den Ort der Tat gelegt.«

»Das ist eine Kette von Schlüssen,« sagte nachdenkend der Kapitän, »die allerdings viel für sich hat. Aber es kann vorläufig leider nur ein Teil bewiesen werden.«

»Hören Sie weiter. Hier Suky, hat von einem Matrosen der Brigg Lucia, dem Schiff des Ermordeten, gehört, was der Mann dem Untersuchungsrichter verschwiegen hat, daß der Steuermann der Brigg, Aveiros mit Namen, derselbe, der durch den Fund des Messers neben dem Ermordeten den Verdacht auf Sie lenkte, während jener Nacht schon einmal mit einem fremden unbekannten großen Menschen an Bord war und sich wieder entfernte.«

Der Kapitän starrte sie an. »Heiliger Gott – meine Ahnung! – Ein Spießgesell des Steuermann Aveiros war es, der Sie mit diesem verfolgte und den ich zu Boden schlug!«

»Dann muß jener Mensch Ihr Messer aufgehoben haben, kein anderer als er kann der Mörder sein!«

Sie war aufgesprungen und eilte nach der Tür – dann als käme ihr ein Gedanke, blieb sie stehen und wandte sich zurück zu dem Erregten. Ein düsterer Schatten hatte sich wieder auf ihr schönes Gesicht gelagert.

»Kapitän Hansen,« sagte sie zurückkehrend – »bevor ich weitere Schritte tue, – wollen Sie mir aus Ehre und Gewissen noch eine Frage beantworten?«

»Gewiß!« Er legte beteuernd die Hand auf die Brust.

»Ihre Worte, als ich eintrat in diese Zelle, ließen mich schließen, daß Sie glaubten, eine andere zu sehen – eine Person, die Sie eben verlassen – – sagen Sie mir – war es – – –«

Er trat auf sie zu und nahm ihre Hand.

»Edda,« sagte er, »ich habe erkennen gelernt, welcher Unterschied zwischen einem Engel und einem Dämon ist. Dieselbe schöne Hülle kann Licht und Schatten, Himmel und Hölle bergen. – Adda war hier!«

»Ich habe sie gesehen, – sie hat mich erkannt! Sie können nicht wissen, welchen Haß und welche Leiden sie uns seitdem zugefügt hat. – Was wollte sie hier?«

»Mir die Mittel zur Flucht bringen. Sie scheint in besseren Umständen, als an jenem Abend, an dem ich sie zuerst sah. Allem Anschein nach hat sie meinen Schließer oder andere Gefängnisbeamte bestochen, daß sie bis zu mir dringen konnte. Es mag das Gefühl der Dankbarkeit sein für den geringen Schutz, den ich ihr an jenem Abend gewährte, aber sie leugnete dieses Gefühl, ja sie verhöhnte es, zeigte sich von meiner Schuld überzeugt und wollte nur dem ihr verhaßten Kopenhagener Pöbel und der Justiz das Vergnügen entziehen, einen Deutschen das Schafott besteigen zu sehen!«

»Jetzt versteh' ich Ihre Worte von vorhin!«

»Sie entwickelte einen vollständigen Plan der Flucht – in den Kleidern ihres Dieners sollte ich das Gefängnis verlassen und die Wachen passieren – der Aufseher, der mich führen sollte, wäre bestochen und sollte mit mir flüchten; – ich muß gestehen, ein energischer umsichtiger Geist hatte alles bis ins Geringste vorgesehen. Sie scheint in der kurzen Zeit einen unbegreiflichen Einfluß, ich möchte sagen – selbst eine gewisse Macht gewonnen zu haben!«

»Und Sie?«

»Ich habe mich natürlich geweigert. Wie ungerecht und hart man auch gegen mich gehandelt, – zu flüchten hieße meine Schuld eingestehen. Sollte ich die Freiheit annehmen auf Kosten meiner Ehre? – Ich habe den Antrag zurückgewiesen!«

»Wackerer Mann!«

»Es ist eine dämonische Natur in diesem Mädchen – sie tobte, als ich mich weigerte, – sie verwünschte mich und sich; sie wollte mich selbst mit Drohungen zwingen, ihren Willen zu tun, und mit der Erklärung, mich wider meinen Willen zu befreien, verließ sie endlich die Zelle!«

»Es ist ein unglückliches Wesen, dessen Haß und Verbitterung alles von sich stößt,« sagte Edda mit tiefem Ernst. »Und dennoch muß sie ein Herz haben, da es der Dankbarkeit offen war. Ich fühle, es besteht ein Kampf zwischen uns beiden – und doch möchte ich so gern ihr Liebe und Nachsicht zeigen. – Aber wir werden Gelegenheit haben, später darüber zu sprechen, jetzt gilt es vor allem, Ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen. Suky, klopfe an die Tür und bitte unsern Begleiter einzutreten.«

Der Laskare gehorchte, – einige Augenblicke darauf trat der Polizeikommissar ein.

»Es hat sich so Wichtiges herausgestellt, Herr Olsen,« sagte die Dame, »daß ich Ihren Rat und Ihren Beistand gleich hier zur Stelle in Anspruch nehmen möchte.

»Ich stehe Ihnen ganz zu Befehl!«

Der Beamte hatte sich auf die Pritsche niedergelassen; mit der Klarheit und Bestimmtheit, die ihren Geist auszeichnete, setzte ihm Edda Halsteen in logischer Folge alle Ermittelungen auseinander, die sie gemacht. Das Gesicht des Beamten zeigte mit jedem neuen Schluß, jedem Gliede der Kette wärmeres teilnehmendes Interesse an der Sache.

»In der Tat,« sagte er, »das ist ein ganz neues Licht. Wenn jener Matrose seine Aussage aufrecht erhält, – wenn es uns gelingt, das Verlieren des Messers zu beweisen, – dann ist Ihre Unschuld klar, Kapitän, und wir sind dem wahren Mörder auf der Spur. Zum Glück befindet sich – wie ich heute zufällig gehört, – Kapitänleutnant Hammer seit einigen Tagen wieder in Kopenhagen. Ich werde morgen in aller Frühe dem Untersuchungsrichter Bericht abstatten und mich dann sogleich zu Herrn Hammer begeben, um ihn zu befragen. Der Verhaftungsbefehl gegen den Steuermann Aveiros soll morgen sogleich ausgefertigt werden. Hoffentlich gelingt es uns, auch seinen Helfershelfer zu ermitteln. Kannten Sie den Burschen, Kapitän, den Sie zu Boden schlugen?«

»Es war ein Isländer, – den Namen habe ich vergessen!«

»Das ist schade, – das Schiffsvolk wechselt hier jeden Tag!«

»Ich weiß, wo er zu finden ist,« sagte die Dame.

»Wie – Sie wüßten?«

»Morgen werde ich Ihnen die Mittel geben, ihn aufzusuchen.«

Der Beamte rieb sich die Hände. »Dann haben wir die ganze Entwicklung in unserer Macht. Aber nun, meine Gnädige, müssen wir aufbrechen – ich darf nicht länger die Geduld des Gefängnisinspektors mißbrauchen, und ich selbst will heute noch alle Anstalten treffen, den Portugiesen überwachen zu lassen.«

Die Dame und der Gefangene hatten sich mit ihm erhoben. Edda reichte zum Abschied dem Kapitän die Hand.

»Auf Wiedersehen bald in der Freiheit! Glauben Sie jetzt, daß auch dänische Freundschaft echt und treu fühlen kann?«

Er küßte die weiche warme Hand, die seinen Druck leicht erwiderte. »Die Schutzengel,« sagte er fast heiter, »haben keine Nationalität. Der Kampf der Nationen spinnt sich bloß unter uns irdischen Menschen ab.«

Der Kommissar hielt die Tür geöffnet. »Auf Wiedersehen, Herr Hansen, ich hoffe, Ihnen bald gute Nachrichten bringen zu können!« – – – – – – – – – –


Edda Halsteen trat, von dem Laskaren gefolgt, aus dem Portal des Gerichtsgebäudes und wandte sich nach der Stelle, wo sie ihre Droschke zurückgelassen. Herr Olsen war einige Augenblicke zurückgeblieben, um mit dem Aufseher noch zu sprechen, der sie bis zum Ausgang begleitet hatte.

Es war heller Mondschein und die Umgebung des Stadthauses war deutlich zu übersehen.

Die junge Dame blieb auf der obersten Stufe der Freitreppe stehen und der Malaye, der hinabgegangen, war im Begriff, den Wagen herbeizurufen, als sich eine schwere Hand auf seine Schultern legte.

Aus dem dunklen Schatten des Treppenvorsprungs hatte sich eine riesige Gestalt erhoben und war auf ihn zugetreten.

In diesem Augenblick sah die Dame den fremden Mann und fuhr erschrocken zurück.

»Holla, Affengesicht!« sagte der Lange mit heiserer Stimme, »zeig' einmal das Messer aus deinem Bund da her, Blitz und Blixen, ich glaub', du hast's gestohlen, grüner Schuft!«

Der Laskare schlug den Arm zurück, der nach ihm faßte. »Was wollen Serr? – Messer nicht mein – ich nicht kann hergeben!«

»Na, dann werd' ich mir's nehmen. Ich würd' auf fünfzig Schritt den Griff kennen, es ist mein Eigentum, und ich möcht' den sehen, der Jökul, dem Isländer, das Seine vorenthält. Das Messer, Bursche, oder ich schlag' dir den Schädel zu Brei!«

Der Riese hob die Faust.

»Er ist's, Suky, das ist der Mann!« schrie die Dame.

»Wer?«

Sie wandte sich hastig um – der Kommissar war an ihrer Seite.

»Es ist der Mensch, den Sie suchen – der Mörder ich erkenne ihn!«

Die Szene vor der Freitreppe hatte sich rasch entwickelt. Der lange Fremde war in der Tat der Isländer, den der portugiesische Steuermann für sein Schiff geworben, jetzt der Diener der Frau, die er damals in der Strandschenke bedroht hatte, und von dieser zurückgelassen war, den Ausgang des Fräulein von Halsteen zu bespähen. Der Mann hatte seine alte Waffe vorhin im Foyer des Gerichtshauses bei dem Laskaren erkannt und ohne anderes zu bedenken, nur dem Verlangen, sie wieder zu haben, benutzte er die Gelegenheit dazu und holte eben zu einem mächtigen Faustschlag auf den Kopf seines Gegners aus, als dieser den Ruf seiner Herrin vernahm.

Mit der Gewandtheit des indischen Piraten warf sich der wohl um zwei Köpfe kleinere Malaye auf ein Knie, ließ den Faustschlag, der einen Stier hätte fällen können, über sich hin durch die Luft pfeifen und sprang dann auf seinen Gegner los. Ein fester Griff, – ein rasches Beinstellen, und der Isländer, dessen Beweglichkeit ohnehin durch die ihm noch ungewohnte und unbequeme Tracht des langen englischen Bedientensurtouts gehemmt wurde, lag am Boden und rang mit seinem viel schwächeren und kleineren Überwinder.

Zugleich schrillte die Signalpfeife des Polizeibeamten. Der Kommissar stürzte sich selbst auf den Gefallenen und von mehreren Seiten eilten Wächter und Gerichtsdiener zum Beistand herbei. Wohl eine Minute lang erfolgte ein heftiges Ringen mit der Riesenkraft des Gefällten, der jetzt den gewaltigsten Widerstand leistete und wie ein wildes Tier um sich biß und schlug, – der Feinde aber waren doch zu viele und gewandte, und nach kurzem Kampf fühlte der Isländer sich an Händen und Füßen geknebelt.

Wie ein wildes Tier schnaubend, den Geifer vor dem Mund, wurde er von zehn Armen in das Tor des Gefängnisses getragen.

Selbst keuchend kam der Beamte zu der Dame, die entsetzt zur Seite geflüchtet war.

»So – wir haben ihn, gnädiges Fräulein, und nun steht die Sache aufs Beste. Haben Sie die Güte, die Droschke zu benutzen, denn ich muß zurück ins Gefängnis. Morgen Mittag habe ich die Ehre, mich bei Ihnen melden zu lassen.«


Mit großer Unruhe und doch mit der Gewißheit, daß nach dem Vorhergegangenen die Rechtfertigung des Kapitäns Hansen keinem Zweifel unterliegen konnte, – erwartete Hedda Halsteen den Besuch des Beamten.

Sie hatte ihrem Vater am Morgen nur gesagt, daß sie allerdings Kapitän Hansen gesprochen und von ihm einige Mitteilungen erhalten hätte, welche die bereits ihm bekannten Schlüsse bestätigten. Herr Olsen hätte übernommen, diese Ermittelungen weiter zu verfolgen. Der Konferenzrat, durch die Unterredung vom vorigen Abend ohnehin noch verstimmt, war in dem Augenblick von diplomatischen Verhandlungen und dem Stande der politischen Parteien in Kopenhagen so in Anspruch genommen, daß er die Sache als eine untergeordnete betrachtete und er mußte am selben Vormittag nach dem Festland abreisen.

Lange – selbst bis zum Abend wartete Edda vergebens; sie erfuhr nur durch Suky, den sie um Nachrichten ausgeschickt, daß der portugiesische Steuermann verhaftet worden sei.

Endlich – als es bereits dunkel war, erschien der Polizeikommissar. Seine Miene zeigte Befriedigung, aber zugleich eine gewisse Unruhe.

Edda ging ihm hastig entgegen.

»Welche Nachrichten bringen Sie, Herr Olsen?«

»Für unseren Zweck hoffentlich die besten. Vor allem habe ich um Verzeihung zu bitten, Fräulein Halsteen, daß ich nicht früher kam, aber es war unmöglich. Ich hoffe, daß der Gerichtshof morgen Vormittag zu dem Beschluß kommen wird, die Anklage auf Raubmord gegen Kapitän Klaus Hansen fallen zu lassen.«

»Dann ist er frei?«

»Davon wollen wir nachher sprechen. Zunächst habe ich Ihnen über die Resultate zu berichten, die wir, ich erkenne es mit Dank und Ehrerbietung, Ihrem Scharfsinn allein verdanken.«

»Bitte, sprechen Sie!«

»Der Bursche, der gestern Abend überwältigt und verhaftet wurde, ist in der Tat ein Isländer und heißt Jökul. Er hat früher auf Walfischfahrern gedient und ist jetzt in Diensten …«

Er zauderte fortzufahren.

»In Diensten des Fräulein Adda Halsteen,« ergänzte die Dame ruhig.

»Wie – Sie wissen – –? Doch desto besser. Das war das einzige, was wir gestern ermitteln konnten von dem verstockten Kerl. Heute Morgen setzte ich den Untersuchungsrichter in Kenntnis von der Lage der Sache und ließ mir einen Verhaftungsbefehl gegen den Steuermann Aveiros geben. Ich fand ihn, wie ich erwartet hatte, in einem lüderlichen Hause. Die Verhaftung hat ihn furchtbar bestürzt gemacht und das böse Gewissen stand auf seinen Zügen. Dennoch ist es mir nicht gelungen, trotz der sorgfältigsten Nachforschungen in seinen Effekten oder an den Orten, wo er gewöhnlich verkehrt, irgendeine Spur des Raubes zu entdecken, der unmöglich doch in der kurzen Zeit schon verpraßt sein kann. Ja, ich habe durch die genaue Befragung der Wirte und anderer Personen selbst die Überzeugung gewonnen, daß er während dieser ganzen Zeit nur sehr geringe Ausgaben gemacht hat und sich in verhältnismäßiger Geldverlegenheit befindet.«

»Das kann wohlüberlegt sein! doch bitte – weiter. Haben Sie den Kapitänleutnant Hammer gesprochen?«

»Ja, und Ihre Annahme, gnädiges Fräulein, hat sich mehr als bewahrheitet. Kapitän Hammer erinnert sich der Szene ganz genau; denn veranlaßt durch sein tapferes Benehmen, bot er Herrn Hansen, den er nicht kannte und für einen untergeordneten Seemann hielt, Dienste auf seiner Brigg an und als derselbe sich mit Ihnen entfernte, verweilte er noch einige Augenblicke auf der Stelle und sprach mit seinen Begleitern von dem Vorfall. Dabei sah er, wie der kleinere der beiden Schurken dem zu Boden Geschlagenen wieder aufhalf und erinnert sich deutlich ihrer Physiognomien. Seiner Beschreibung nach können es keine andern gewesen sein als der portugiesische Steuermann und der Isländer. Was das wichtigste aber ist …«

»Nun?«

»Der Kapitän Hammer sah auf dem Pflaster ein zusammengeklapptes Einschlagmesser liegen und bückte sich, es aufzuheben, da er mit Recht glaubte, es gehöre Ihrem Beschützer; aber der Portugiese kam ihm zuvor, nahm das Messer auf und steckte es als sein Eigentum in die Tasche. Kapitän Hammer sah deutlich die eigentümliche Form des Elfenbeingriffs und wird es zweifellos wiedererkennen.!«

»So ist eine Konfrontation noch nicht erfolgt?«

»Nein – es war für heute zu spät. Kapitän Hammer ist auf morgen zehn Uhr vor den Untersuchungsrichter geladen, und ich zweifle keinen Augenblick, daß seine Aussage allein schon hinreichen wird, Herrn Hansen des schlimmen Verdachts zu entlasten. Auch Professor Christiansen hat versprochen, bis morgen das Resultat seiner mikroskopischen Untersuchung des Messers vorzulegen. Sie sehen, gnädiges Fräulein, daß alles geschehen ist, so rasch als möglich Herrn Hansen in dieser Beziehung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

»Gott sei Lob, daß es so gekommen, und Ihnen, Herr Olsen,« sagte sie mit warmem Gefühl, ihm die Hand bietend, »können wir alle Ihre Freundlichkeit und Ihren Eifer nicht genug danken. Also glauben Sie, daß Kapitän Hansen morgen seiner Haft entlassen wird? Dann wollen wir selbst ihn abholen und die Stelle seines abwesenden Bruders vertreten.

»Was haben Sie? – ist noch eine Verzögerung, ist noch irgendeine Formalität zu beseitigen?«

»Fräulein,« sagte der Kommissar – »ich habe um Ihretwillen lebhaftes Interesse an dieser Sache genommen, hoffe auch, daß sich alles zum Besten wenden wird. Indes darf ich Ihnen nicht verschweigen, daß Herr Hansen von einer andern ernsten Gefahr bedroht wird!«

»O – Sie meinen die Anklage auf Mißliebigkeit oder gar auf hochverräterische Äußerungen? Aber man kann ihn deswegen unmöglich länger in Haft behalten – das Gericht wird ihm ohne Zweifel die erlittene als genügende Strafe für unbesonnene Äußerungen anrechnen. Nötigenfalls wird man Kaution stellen.«

»Gnädiges Fräulein – Herr Hansen würde im günstigsten Fall bis zur Beendigung des Prozesses wenigstens in Kopenhagen bleiben müssen. Es wäre besser für ihn, wenn er dabei innerhalb der festen Mauern des Gefängnisses Schutz findet – und vielleicht dürften auch diese nicht einmal ihn schützen!«

»Schutz – Aber mein Gott, was fürchten Sie denn noch?«

»Sie müssen es erfahren. Seit heute Morgen haben sich, man weiß nicht wie, in der Stadt schlimme Gerüchte verbreitet und man ist bemüht, den Pöbel aufzuhetzen. Man sagt den Leuten, die deutsche Partei habe es durchgesetzt, daß man den Mörder dem Gesetz entschlüpfen lassen werde. Die Verhaftung des Isländers ist auf das Entstellteste ins Publikum gebracht worden. Man nennt den Namen Ihres Verlobten und ein heute Nachmittag erschienenes Winkelblatt erklärt auf das Frechste, die Vornehmen wollten den wahren Mörder aus Familienrücksichten befreien und dafür unschuldige Leute aus dem Volk aufs Schafott bringen!«

»Abscheulich!«

»Es haben diesen Abend bereits Zusammenrottungen vor dem Rathause und dem Gefängnis stattgefunden, und es sind Drohungen ausgestoßen worden, selbst das Strafgericht an dem Kapitän zu vollziehen!«

»Aber man wird sich beruhigen, wenn man den wahren Sachverhalt erfährt!«

»Sie kennen unseren Pöbel nicht! – Der ist der Wahrheit und Vernunft völlig unzugänglich. Überdies hat man aus der unglücklichen Geschichte eine politische Angelegenheit zu machen verstanden – und vor dem Fanatismus der Menge handelt es sich nicht mehr um Mörder oder nicht, sondern um Tydsker oder Dansker!«

»Aber das ist schändlich!«

Der Beamte zuckte die Achseln. »Ich fürchte alles, wenn morgen das Urteil der Anklagekammer bekannt wird und es uns nicht gelingt, Herrn Hansen in Sicherheit zu bringen. Sie sind imstande, das Gefängnis zu stürmen.«

»Aber die Behörden – der König …«

»Seine Majestät wird sich nicht die Finger verbrennen und zugunsten eines friesischen Schiffers sich mit der Majorität der Kopenhagener Bevölkerung überwerfen. Dennoch gestehe auch ich, daß diese Aufregung mich einigermaßen befremdet. Sie kommt zu rasch, sie ist zu organisiert, als daß sie nicht von einem geheimen bestimmten Einfluß hervorgerufen und geleitet sein sollte.«

»Aber was ist zu tun? – mein Vater hat, wie Sie wissen, diesen Morgen nach Flensburg abreisen müssen.«

»Lassen Sie den Herrn Konferenzrat aus dem Spiel, gnädiges Fräulein. Er hätte hier so wenig helfen können, wie er es gewollt haben würde; und wie ich die Ehre habe, ihn zu kennen, wird er ohnehin außer sich sein, über die Kompromittierung, die schon sein Name dabei erfährt.«

»Aber um Himmelswillen, was raten Sie zu tun?«

»Ich will versuchen, Ihnen einen Rat zu geben unter der Bedingung, daß dies Ihrem Herrn Vater und überhaupt verschwiegen bleibt.«

»Auf mein Wort! Sprechen Sie, ich beschwöre Sie!«

»Können Sie noch diesen Abend zur Frau Gräfin Danner gelangen?«

Edda bedachte sich einen Augenblick. »Ja!« sagte sie dann.

»Die Gräfin hat im ganzen ein gutes Herz. Eilen Sie zu ihr, tragen Sie ihr die Sache vor und suchen Sie ihr Interesse für den Bedrohten zu gewinnen. Ich muß Ihnen nämlich offen sagen, daß seine Sache selbst nach der Beseitigung der Anklage auf Raubmord keineswegs so günstig für ihn steht, als wir wünschen möchten. Das Zeugnis Ihren Herrn Vaters über die Äußerungen seiner Gesinnung ist nur ein Teil der Belastungsmomente. Ebenso sein Verhalten in der Strandkneipe an jenem Abend, wo er das verpönte Schleswig-Holsteinlied als Verhöhnung der Regierung sang oder singen ließ. Man hat vielmehr bei Saisierung seiner Effekten Briefe gefunden, welche beweisen, daß Kapitän Hansen nach der Rückkehr von seiner letzten Seereise und während seines Aufenthalts in Hamburg als sehr eifriges Mitglied dem berüchtigten, hier sehr verhaßten deutschen Nationalverein beigetreten ist, der im letzten September in Koburg tagte und dessen revolutionäre, namentlich auch gegen die dänische Souveränität über die Eiderprovinzen gerichtete Tendenzen die preußische Regierung durch ihre offiziösen Organe in Schutz nimmt. Ja, es liegt alle Wahrscheinlichkeit vor, daß er ein Agent der Prinzen von Augustenburg ist, die, statt sich ehrlich mit der erhaltenen Zahlung zu begnügen, noch immer nicht ihre Intrigen aufgeben können. Sie werden begreifen, daß unter diesen Umständen wenigstens noch eine lange Haft des Herrn Hansen wartet und daß bei der Stimmung in Kopenhagen der König die Untersuchung nicht niederschlagen kann, selbst wenn er das konstitutionelle Recht dazu hätte, noch ihn begnadigen wird. Indessen …«

»Sprechen Sie!«

»Indessen gibt es ein Mittel, den jungen Mann aus der Klemme dieser Untersuchung zu befreien und ihn rasch von Kopenhagen zu entfernen, wo ihm im Gefängnis wie auf freien Füßen nur Gefahr droht!«

»Und das ist?«

»Es ist eines der alten, durch die Konstitution nicht aufgehobenen Königsrechte, daß der König durch Handbefehl alle Verurteilten oder wegen Kriminalvergehen in Haft befindlichen der Marine überweisen kann!«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Sie werden von den englischen Preßgängen gehört haben und daß man in Zeiten, wo es Not tut oder an Mannschaften der Marine fehlt, die Sträflinge auf die Schiffe schickt. Ein ähnliches Recht ist das erwähnte und schon mehrfach, namentlich bei Ausländern angewendet worden, wo eine Begnadigung nicht geeignet erschien. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen aber ist eine solche Order um so mehr gerechtfertigt und wird selbst von der Opposition gebilligt werden.«

»Ich verstehe Ihre Meinung nicht!«

»Es wird Ihnen bekannt sein, daß die Presse, die Nation, die öffentliche Meinung augenblicklich energische Rüstungen gegen die deutsche Einmischung in unsere Angelegenheiten fordern.«

»Ich habe davon gehört und gelesen. Mein Vater glaubt, es liege die Absicht zugrunde, das Ministerium zu stürzen!«

»Mag sein! aber ich zweifle nicht, daß der Herr Konferenzrat Halsteen schon in den nächsten Tagen an die Spitze eines der Dannewirk-Forenings stehen wird und das gnädige Fräulein auch, was – beiläufig gesagt – ein sehr kluger Schritt zur Widerlegung aller Gerüchte wegen der Parteinahme für den Kapitän Hansen sein würde.«

»Ich danke Ihnen für den Rat,« sagte Edda stolz, »aber ich liebe es nicht, mich um die Gunst des Pöbels zu bewerben!«

Der Beamte zuckte leicht die Achseln. »Ich wollte Fräulein Halsteen nicht beleidigen. Aber es handelt sich hier keineswegs mehr um eine Agitation der Bauernfreunde, sondern um eine patriotische Aufregung der ganzen Nation, an deren Spitze sich die bedeutendsten Namen stellen und der die Regierung Rechnung tragen oder weichen muß. Infolge einer Aufforderung des Herrn Orla-Lehmann sind heute die Führer aller Fraktionen des Volksthings und des Landthings zusammengetreten, um einen Aufruf zu redigieren für die Verteidigung Schleswigs. Doch um wieder näher auf unsern Zweck zu kommen, es ist die Absicht der Regierung, ein Gesetz zu erlassen, das die Aushebung von sechstausendsiebenhundert Matrosen anordnet. Befände sich Herr Hansen nicht im Gefängnis, so würde diese Aushebung zweifelsohne auch ihn treffen. Die königliche Ordre ist also ein ganz passender Ausweg!«

Die junge Dame dachte ernst nach. »Ich glaube, Sie haben Recht und ich bitte Sie um Entschuldigung für meine Zurückweisung von vorhin. Aber wird Ihre Ausführung bei der Stimmung gegen unseren Gefangenen, die Sie mir vorhin schilderten, nicht auf Schwierigkeiten stoßen?«

»Das überlassen Sie mir. Schaffen Sie nur den Kabinettsbefehl; den rechten Mann, den Gefangenen dem Gericht zu entreißen und vor allen Angriffen zu sichern, kenne ich!«

»Darf ich den Namen wissen?«

»Gewiß! es ist unser Hauptzeuge, Kapitänleutnant Hammer. Seine Brigg liegt im Orlagshawn und ist bestimmt, ehe er zu den Inseln zurückgekehrt, nach Stockholm zu gehen, wenn das Eis es erlaubt.«

»Ich habe nur noch einen Zweifel – wird Herr Hansen diesen Tausch seines Schicksals annehmen?«

»Man wird ihn wenig darum fragen. Kapitän Hammer ist ein Mann, der seinen Willen durchzusetzen versteht und es wird daher am besten sein für ihn, wenn er sich in Güte fügt. Überdies, gnädiges Fräulein, können Sie dazu helfen!«

»Ich?«

»Gewiß. Ich denke nämlich, daß Sie doch Herrn Hansen einige Worte des Abschieds sagen wollen?«

Sie errötete leicht. »Gewiß möchte ich das – ich werde ihn sehr gern hier empfangen.«

»Das wird schwerlich gehen – wir wollen zufrieden sein, wenn wir ihn glücklich an Bord des Schiffs haben. Dort ist die einzige Möglichkeit vorhanden, wenn – –«

»Nun?«

»Wenn das gnädige Fräulein nicht vorziehen, mich morgen im Rathause aufzusuchen.«

»Aber das ist unmöglich!«

»Es ist durchaus nicht auffallend, eine Dame auch aus den vornehmsten Ständen in das Stadthaus eintreten zu sehen. Mein Bureau befindet sich da, und ich bin leicht im stande, dort die Unterredung zu vermitteln, ohne daß es im geringsten auffällt.

Edda Halsteen sann einige Augenblicke nach. Dann sagte sie fest: »Erwarten Sie mich um elf Uhr in Ihrem Bureau, Herr Olsen. So oder so bin ich entschlossen zu erscheinen, um, wenn mein Zeugnis nötig ist zur Widerlegung jener schrecklichen Beschuldigung, es abzugeben. Ich werde mich von Frau Lang, unserer Haushälterin, begleiten lassen. Und nun nehmen Sie meinen Dank und mein Lebewohl für heute; denn wenn ich die Gräfin noch sprechen will, ist es die höchste Zeit. Sollte ich so glücklich sein, meinen Zweck zu erreichen, so benachrichtige ich Sie vielleicht mit einigen Zeilen.«

Der Polizeikommissar erhob sich, und nachdem er sich entfernt, machte die junge Dame eiligst Toilette und befahl ihrem Mädchen, eine Droschke holen zu lassen und der Haushälterin, sie nach dem Schloß zu begleiten.

Die damals noch in Kopenhagen allmächtige Gräfin Danner, die Gemahlin des zu jener Zeit 52jährigen, von seinen beiden legitimen Gemahlinnen, der Prinzessin Wilhelmine von Dänemark und Karoline von Mecklenburg nach neun- und fünfjähriger Ehe geschiedenen Königs, Friedrich VII. in morganatischer Ehe, war trotz des Vorurteils, das allgemein in Kopenhagen gegen sie herrschte, eine Dame von vieler Herzensgüte, die häufig ihren großen Einfluß auf den König zu den besten Zwecken geltend machte, wenn man sie auch von einer gewissen Herrschsucht nicht freisprechen konnte. Der König, der ein ziemlich ungeniertes und wüstes Leben geführt hatte, hatte sie bei einer seiner abendlichen Streifereien als die Haushälterin eines Mannes gefunden, der ihn bewirtete, und vom ersten Augenblick an eine große Neigung für sie empfunden. Die kluge und gewandte Luise Christine wußte die Reize ihrer Person so wohl zu verwerten, daß der König sich mit der damals schon 35-jährigen Frau am 7. August 1850 vermählte.

Der Konferenzrat Halsteen gehörte zu den besonderen Günstlingen der Gräfin, und diese hatte, obschon die stolze Edda sich stets sehr zurückhaltend gegen die Emporkömmlingin bewies, ihr doch immer so große Freundlichkeit gezeigt, daß Edda sich entschlossen hatte, dem Rat des Beamten zu folgen.

Da das Fräulein Halsteen mehrfach die Hofzirkel und die Soireen der Gräfin mit ihrem Vater besucht hatte, kannte sie die Gelegenheiten vollkommen und gelangte bald zu dem ersten Kammerdiener der Gräfin.

Hier erfuhr sie auf die Bitte, sie zu melden, daß eben in der Wohnung der Gräfin ein Kabinettsrat stattfände, dem die Gräfin beiwohnte.

Bestürzt darüber wollte sie wieder umkehren, als der Kammerdiener, ein alter Mann, sie fragte, ob sie ein besonderes Anliegen hätte.

»Gewiß, Herr Lundström! würde ich sonst zu einer so unpassenden Stunde Ihre Exzellenz belästigen? es handelt sich vielleicht um ein Menschenleben!«

»Dann ist es etwas anderes, gnädiges Fräulein,« sagte der Mann, »und ich werde die erste Gelegenheit benutzen, der Frau Gräfin Ihre Anwesenheit zu melden. Ohnehin wird Seine Majestät wohl bald die Sitzung aufheben. Haben Sie die Gnade, unterdes in den kleinen Salon zu treten.«

Die junge Dame folgte dem Rat. Sie hatte in der Tat noch keine Viertelstunde gewartet, als Herr Lundström die Flügel einer Seitentür öffnete und die Gräfin hereinrauschte.

– »Sieh da, liebes Fräulein Halsteen,« sagte sie äußerst freundlich, »das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie mir Nachricht bringen wollen von der Abreise Ihres Papas. Ich hoffe, der Rat wird glücklich über das Eis kommen, das ja die Passage aushält. Er wird leider acht bis zehn Tage ausbleiben, denn die Geschäfte sind wichtig.«

»Herr von Halsteen kennt seine Pflicht im Dienst des Vaterlandes und Seiner Majestät.«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte die Gräfin, die junge Dame zum Divan zurückgeleitend. »Der Herr Konferenzrat ist einer der treuesten und zuverlässigsten Diener des Königs und eine wahre Stütze für mich bei den täglich wachsenden Anfeindungen jener undankbaren Menschen. Aber Lundström sagte mir, daß Sie ein dringendes Anliegen hätten, und Sie sehen, wie sehr ich mich trotz aller Abhaltungen beeilt habe, Sie zu empfangen. Der König hält gerade eine Kabinettsberatung, der Ihr Herr Vater gleichfalls beigewohnt hätte, wenn er nicht jetzt abwesend wäre.«

»Ich weiß die Gnade vollkommen zu würdigen,« erwiderte die junge Dame, »und will Euer Exzellenz so wenig Zeit als möglich rauben.«

»Genieren Sie sich nicht, liebste Halsteen, ich habe immer eine Viertelstunde und mehr für Sie übrig. Aber kommen wir zur Sache. Sie haben ein persönliches Anliegen? – Betrifft es Sie oder Ihren Verlobten? Sobald er zurückkehrt, soll er Beförderung erhalten und Ihrem Glück steht dann nichts mehr im Wege.«

»Es betrifft allerdings mittelbar meinen Verlobten, dessen Stelle ich in diesem Augenblick vertrete. Es handelt sich um seinen unglücklichen Bruder.«

Die Miene der Gräfin wurde sehr ernst. »Eine unangenehme Geschichte!« sagte sie. »Herr Hansen wird natürlich den Namen ändern müssen, was, wenn er die indische Erbschaft antritt und sich ankauft, ein leichtes ist. Jedenfalls seien Sie versichert, daß der König gewillt ist, die möglichste Gnade eintreten zu lassen. Freilich wäre es besser, der Mann würde auf irgendeine Weise der Justiz entzogen.«

»Kapitän Hansen ist unschuldig an dem Mord!«

»Er hat wenigstens eine so liebenswürdige als warme Verteidigerin. Aber in der Tat, es war eben sogar im Rat davon die Rede; man soll, wie ich höre, neue Spuren entdeckt haben.«

Edda beeilte sich, ohne ihren eigenen Anteil zu berühren, die Lage der Sache möglichst kurz darzustellen und ihre Überzeugung auszusprechen, daß die Untersuchung schon am nächsten Tage seine Unschuld anerkennen würde.

»Das soll mich freuen um Ihres Verlobten willen,« sagte die Gräfin. »Aber leider ist jene unglückliche Anschuldigung nicht die einzige, und selbst die Niederschlagung der Anklage hat in diesem Augenblick ihr Mißliches. Wie ich höre, macht die Volkspartei den Namen und die Person des Mannes zum Gegenstand von Demonstrationen!«

»Das ist der Grund meiner Belästigung. Ich wende mich an. das Herz Eurer Exzellenz, ich flehe Sie an, ihn zu retten!«

»Ich weiß nicht, was ich da tun könnte, liebes Fräulein,« sagte verstimmt die Gräfin. »Sie trauen mir zu viel Macht zu. Dieser Mann soll, ganz entgegengesetzt der loyalen und treuen Haltung seines Bruders, ein aus gemachter Bösgesinnter, einer der Führer des Widerstandes in Schleswig sein; Ihr Vater selbst hat ihn als solchen erkannt.«

»Ich will die politische Meinung des Herrn Hansen in keiner Weise in Schutz nehmen,« sagte das junge Mädchen fest, »obschon sich vielleicht manches zu seiner Entschuldigung sagen ließe. Euer Exzellenz weiß, daß ich Dänin von ganzem Herzen bin. Aber schwerlich kann sich Herr Hansen tatsächlich viel haben zuschulden kommen lassen, da er erst seit kurzem sich wieder im Vaterland befindet. Wie gering oder wie groß in diesem traurigen Kampf der Meinungen aber auch seine Schuld sei, es ist peinlich für mich, daß gerade bei seinem ersten Besuch unseres Hauses eine private Äußerung seiner politischen Meinung die erste Ursache seines Unglücks gewesen ist, und ich sollte glauben, daß eine schwere Kerkerhaft von mehr als zwei Monaten unter dem entsetzlichen Verdacht eines Raubmordes eine genügende Strafe für unbedachte Worte oder einseitige falsche Meinungen sein dürfte!«

»Ich sollte auch meinen, aber – wie ist da zu helfen? Wenn das Gericht die Untersuchung wegen des Mordes fallen läßt, wird man ihn vielleicht auf freien Fuß setzen.«

»Das würde wahrscheinlich so schlimm sein, als die Fortsetzung der Untersuchung wegen seiner politischen Verirrung.«

»Aber der König kann, bei der augenblicklichen Stimmung, in dieser Beziehung keine Begnadigung, keine Niederschlagung des Prozesses eintreten lassen – Sie werden das begreifen!«

»Seine Majestät hat das Recht, ihn – gewissermaßen selbst auf ehrenvolle Weise – dieser Untersuchung zu entziehen und damit vielleicht sein Leben, wenigstens seine Freiheit zu retten!«

»Ich verstehe Sie nicht, Fräulein?«

»Der König hat das alte Recht nach dem Danske Lov von 1683, den Angeklagten dem Richter dadurch zu entziehen, daß er ihn dem Dienst des Vaterlandes, der Marine überweist. Kapitän Hansen ist Seemann. Daß eine Zeit der Not eingetreten, beweist der Gesetzerlaß wegen der Aushebung der Matrosen.«

Die Gräfin sah sie erstaunt an. »In der Tat – ich habe von jenem alten Recht und Brauch gehört es wäre ein Ausweg. Man müßte nur warten und sich die erste Aufregung beruhigen lassen.«

»Oh, tun Sie ein gutes Werk nicht halb, gnädigste Frau,« bat das junge Mädchen. »Bedenken Sie, welches Unheil aus jeder Zögerung entstehen kann, wie lange und schwer Kapitän Hansen unter dem schrecklichen Verdacht gelitten hat.«

»Sie scheinen sich sehr für diesen Mann zu interessieren?«

»Er ist der Bruder meines Verlobten und eine offene und redliche Natur, die das ihm geschehene Unrecht um so tiefer empfinden muß.«

Die königliche Gemahlin schüttelte leise mit dem Kopf. – »Das ist es nicht, was ich meine. – Aber wenn ich wirklich um Ihretwegen meinen kleinen Einfluß auf den König anwendete, – beabsichtigen Sie denn selbst die Sache in der Hand zu nehmen, oder auf dem gewöhnlichen Wege durch die Behörden die Sache gehen zu lassen?«

Die junge Dame errötete. »Ich möchte allerdings mir die Freude verschaffen, da Herr Hansen in meiner Gegenwart verhaftet wurde.«

»Aber wie wollen Sie es anfangen?«

»Man hat mir einen Mann genannt, der die Energie und das Recht hat, mit einem solchen königlichen Befehl Herrn Hansen der Justiz zu entreißen. Ich werde ihm das Dokument einhändigen, denn er ist zugleich der Hauptzeuge für die Unschuld des Gefangenen.«

»Sein Name?«

»Kapitänleutnant Hammer!«

»Ah – ich habe den Namen gehört, es ist einer unsrer besten Seeoffiziere und ein strenger Patriot. Es könnte Ihrem Schützling nicht schaden, der wie Sie selbst zugeben, nicht viel besser ist als ein Rebell, wenn er für einige Zeit unter so strenge Aufsicht käme. Aber Kapitän Hammer segelt, wie ich eben im Kabinettsrat gehört, schon übermorgen mit Depeschen nach Stockholm.

»Eben darum ist Eile nötig und es müßte morgen geschehen.«

»Ich sehe,« sagte die Gräfin lächelnd, »ich habe mich da selbst gefangen. Aber ich will Ihnen gern gefällig sein; denn wie man mir gesagt hat, haben Sie in letzter Zeit manches Unangenehme leiden müssen. Trösten Sie sich mit mir, ein gutes Gewissen kann über alle Beleidigungen des Pöbels beruhigen. – Ich verspreche Ihnen, mein möglichstes zu tun, den König zur Ausfertigung eines solchen Kabinettsbefehls zu bewegen. Wenn es mir gelingt, soll er morgen bis zehn Uhr Vormittag in Ihren Händen sein. – Und nun« – sie hatte sich erhoben – »leben Sie wohl, mein liebes Fräulein, und möge Ihr gutes Werk Ihnen auch zu gutem Glück ausschlagen.«

Die Gräfin küßte Edda auf die Stirn und führte sie selbst bis zur Tür, wo sie die junge Dame ihrem Kammerdiener übergab.

Vor dem Schloß angekommen, bestieg Edda die ihrer harrende verschlossene Droschke und von einer gewissen Unruhe getrieben, befahl sie dein Kutscher, einen Umweg über den Nytorv, den Neumarkt, zu nehmen, wo sich das Rathaus befindet.

Obschon es ziemlich kalt war, das Thermometer zeigte noch immer 8 bis 10 Grad, waren doch die Straßen und der Platz überaus belebt. Die dreiwöchentliche Hoftrauer für den Tod des Königs von Preußen kümmerte am aller wenigsten das Volk, daß sich bei der allgemeinen politischen Aufregung zugleich den zügellosesten Lustbarkeiten und Ausschweifungen überließ. Der Karneval ist zwar kein Fest des Nordens, aber die Spekulation der öffentlichen Lokale weiß auch hier jede Firma zu Anlockungen zu benutzen, und die Säle des weltberühmten Tivolis und aller andern öffentlichen Lokale waren allabendlich überfüllt.

Edda Halsteen, die nur von ihrer Haushälterin begleitet, die Fahrt zum Schloß unternommen, hatte bald Ursache, die Anweisung an den Kutscher zu bereuen, denn sie hatte noch nicht die Stadthausstraße passiert, als sich ihr Fiaker zwischen zahllosem anderen Gefährte aller Art und einer großen, mit jedem Augenblick wachsenden Menschenmenge förmlich eingekeilt sah, so daß man weder rückwärts noch vorwärts konnte, sondern mit dem Strom weiter mußte.

Die erste unbestimmte Absicht, welche Fräulein Halsteen zu dem Umweg bewogen hatte, war wohl gewesen, womöglich dem Polizeikommissar noch heute die Nachricht von dem glücklichen Erfolg ihrer Audienz zukommen zu lassen.

Genug, sie hatte einmal den törichten Befehl gegeben, und mußte seine Folgen tragen, da er nicht mehr zu redressieren war.

Aus dem Geschrei und lauten Gespräch umher entnahmen die beiden Frauen, daß etwas auf dem Alt- oder Neumarkt im Werk war, was alle interessierte, und wenn selbst Edda Halsteen jetzt hätte umkehren können, sie hätte es schwerlich getan.

So war der Zug der Menge bis auf den freien Platz vor dem Rathaus gekommen und begann sich dort zu verbreiten, doch war der Platz bereits so überfüllt, daß auch jetzt an ein Weiterkommen und Ausbiegen in eine der einmündenden Straßen nicht zu denken war.

Man mußte sich also in Geduld fügen.

Edda Halsteen, in einen einfachen weiten Mantel gehüllt, tief verschleiert, glaubte um so weniger etwas zu fürchten zu haben, als zahlreiche andere Wagen mit Neugierigen in ihrer Nähe hielten, und sie hatte die Besorgnis ihrer Begleiterin bereits so weit beschwichtigt, daß sie die Fenster der Droschke öffnen konnte, um besser die Vorgänge zu sehen.

Aus den Reden der Umstehenden verstand sie, daß man einen Maskenzug vom Tivoli her erwarte, und daß irgendeine Volksdemonstration vor dem Rathause erfolgen sollte. Sie fürchtete anfangs, daß es sich um eine Erstürmung desselben, um eine Gefahr für ihren, von der öffentlichen Stimmung bedrohten Schützling handeln könne, aber der Inhalt dieser Reden ließ sie bald wenigstens die unmittelbare Besorgnis aufgeben.

Plötzlich erscholl der Ruf durch die dichtgedrängte Menge: »Sie kommen! sie kommen!« Die Friedrichsborger Gade herauf sah man in der Tat auch unter dem Schein von lodernden Pechfackeln einen langen Schlittenzug sich nähern, dessen seltsame Ausstattung von dem Pöbel mit einem kaum endenden Hurra! und Beifall empfangen wurde.

Voran kam ein Schlitten mit ausgeputzten und ins alberne maskierten Musikern, die mit allen Kräften den »tappern Landsoldaten« spielten.

Der nächste enthielt dieses Ideal des Dänentums selbst. Ein großer Bursche in Uniform mit karrikiert wildem Gesicht, in einer Hand den Danebrogk schwingend, in der andern den blanken Säbel, stand aufrecht vor zwei auf den Knien liegenden Figuren, die nach ihrem grotesken Ausputz die beiden Herzogtümer bedeuten sollten, denen er unter dem Jubel des Pöbels von Zeit zu Zeit den Fuß auf den gehorsam gebeugten Nacken setzte. Eine große blau-weiß-rote Flagge schleifte hinter dem Schlitten in Schmutz und Schnee.

Dann kamen eine bunte Reihe von Karrikaturen auf die Deutschen, auf die Minister, auf den König, auf die Gräfin, John Bull, – Seeleute und Nordlandsrecken, Eisbären, Fahnen und Plakate mit den widerwärtigsten, dem Pöbel schmeichelnden, die Gegenpartei beschimpfenden Inschriften, bis das Gebrüll der Menge das Hauptstück des Zuges ankündete. Es war dies ein von vier Kerlen bewegter Theater-Elefant als Anspielung auf das alte dänische Wappen, mit Wimpeln und Teppichen bedangen und im Rüssel eine große ausgestopfte und in schwarz-rotgoldenen Farben gekleidete Figur haltend, während auf seinem Rücken in kecker Haltung auf dem Danebrogk die mit der roten Mütze geschmückte Göttin der Freiheit saß, eine in weiße Eisbärpelze gekleidete Frau.

Diese Erscheinung trug keine Maske oder groteske Entstellung, wie die meisten übrigen Mitglieder des Zuges, sie imponierte unter all diesen Fratzen und Hanswurstkram durch den Adel ihrer Erscheinung und die dämonische Schönheit ihrer Züge, während sie ihr dunkles Auge mit Verachtung über die brüllende Menge laufen ließ.

Ein langer, als Mohr verkleideter Kerl trug hinter ihr an hoher Stange ein Plakat, das die weithin sichtbare Inschrift enthielt:

»Retfördighed! – Frihed! – Ned med heele Tydskern!« Gerechtigkeit! Freiheit! Nieder mit allen Deutschen!

Edda Halsteen erbebte, es konnte kein Zweifel sein, auf was diese anreizenden Worte sich beziehen sollten – aber ein Gefühl des Entsetzens, des Abscheus erfüllte sie, als sie jetzt den Blick näher auf die Repräsentantin dieser Freiheit und Gerechtigkeit richtete, und in den stolzen drohenden Zügen ihr eigenes Ich erkannte.

Sie konnte nicht zweifeln, die Göttin der Freiheit war ihr Ebenbild, Adda, ihre unbarmherzige Verfolgerin.

Das arme Mädchen wäre vor Schreck und Entsetzen ohnmächtig geworden, wenn sie nicht all ihren Mut und Stolz zu Hilfe genommen, und der Zorn ihr Kraft gegeben hätte, jener Entwürdigung Trotz zu bieten. Ja, sie fühlte an dem ungestümen Klopfen ihres Herzens, an der brennenden Scham, die ihre Wangen glühen machte, daß sie den Mut haben konnte, jenem teuflischen Bilde entgegenzutreten und Aug' in Aug' seinen Haß mit dem Blick der Verachtung niederzuschmettern, – wenn eben nicht die bessere Vernunft ihr gesagt hätte, daß jeder öffentliche Streit nur schmachvoll für sie, die Aristokratin, und ein Gaudium für den Pöbel sein würde.

Ihre Hand erstickte den Aufschrei der auf den Lippen ihrer Begleiterin schwebte, und die Flut von Verwünschungen, zu denen sie bereit schien.

»Still – laß uns sehen! kein Wort, oder wir sind verloren, wenn man uns erkennt.«

Die Frau begriff dies selbst und zog eilig ihren Kopf in das Innere der Droschke zurück.

Die Leiter, welche die ganze Farce in Szene gesetzt, und die zweifelsohne der Partei der zügellosesten Opposition und des fanatischsten Dänentums angehörten und ihre politischen Zwecke dabei verfolgten, hatten die Komödie auf das beste geordnet, und an Helfershelfern fehlte es ihnen nicht. Als der Zug den Platz vor dem Rathause erreicht hatte und einen weiten Kreis bildete, war mit großer Geschwindigkeit ein Scheiterhaufen inmitten des Kreises improvisiert, und der Pseudo-Elefant legte auf diesen die mit einer papiernen Krone geschmückte Gestalt, die er bisher im Rüssel getragen hatte.

Hiermit war die Absicht der Demonstration enthüllt.

Die Menge, unter der sich jetzt auch verschiedene Deputierte der Bauernfreunde zu zeigen begannen, brüllte vor Vergnügen, als sich die vier Kerle, welche das Elefantengestell trugen, auf die Knie niederließen und ein Herr herbeisprang, diese Göttin der Konstitution herabzuheben.

Die schöne Adda glitt von dem Elefanten, schwang die rote Mütze und rief ein »Leve Danmark!« und der tappere Landsoldat nahte sich ihr mit einer Pechfackel, um sie ihr zu überreichen, damit sie, nachdem er noch zum Hohn die schleswig-holsteinische Flagge auf die Strohpuppe geworfen, den Scheiterhaufen in Brand stecken möchte.

Auf ein Zeichen des Mannes, der der Göttin von ihrem Thron geholfen, und der einer der berüchtigsten Führer der Klubs war, schwieg die Menge.

Der Mann zog aus seiner Rocktasche ein großes Papier, an dem sieben imitierte Siegel hingen, und schwang es in die Luft.

»Ins Feuer mit dem Londoner Protokoll! Nieder mit den Tydskenverrätern! – Gerechtigkeit für alle! fort mit den Aristokraten!« und er gab der Repräsentantin dieser Art von Konstitution ein Zeichen, vorzuschreiten und den Scheiterhaufen in Brand zu stecken.

Aber jetzt entwickelte sich vor den Augen der Menge ein unerwartetes Schauspiel, das den ganzen Effekt dieses Arrangements zu vernichten drohte.

Die Göttin der Freiheit rührte weder Hand noch Fuß, ihre Augen waren starr auf einen Punkt in der Ferne gerichtet – Edda Halsteen fuhr erschrocken zurück, denn sie glaubte, der starre Blick dieser Augen habe sie selbst getroffen und ihre Verhüllung durchdrungen. Aber in Wahrheit schweifte er über das Gefährt hinaus nach den, Portal des Rathauses.

»Adda, – vorwärts! Zünden Sie an. Sie sehen, das Volk wartet!«

»Ich kann nicht, Mann – sehen Sie nicht, daß er dort steht und mir winkt?«

»Wer?«

»Wer anders als der Samulad Torne-Kaitum, mein Großvater!«

»Laß den alten Narren und tue dein Werk, oder das Volk zerreißt dich in seiner Wut!«

»Glaubst du, daß ich mich darum kümmere, wenn der Schatten kommt, mir den Tod seines Leibes zu melden und mich in seine Jurte zu rufen? Sieh her!«

Und mit kräftigem Schwung schleuderte sie die Fackel weit von sich.

Es war wahrscheinlich zu ihrem Glück, daß der Brand in der Richtung des Scheiterhaufens fiel, und wenn er ihn auch nicht erreichte, so glaubte die Menge doch wahrscheinlich, daß es zu dem Programm des ihr gebotenen Schauspiels gehörte, und zehn, zwanzig Hände waren bereit, den Brand weiter zu tragen.

»Unsinnige!«

Ein brüllendes Jauchzen begleitete das Auflodern des Scheiterhaufens, auf dem der unglückliche Tydsker von Lumpen und Stroh dem Gaudium des Pöbels geopfert wurde, und um den Männer und Weiber aus der Hefe des Volkes einen jubelnden Rundtanz begannen.

Edda Halsteen sah unterdes ihr Ebenbild mit starren, Blick durch die sich scheu spaltende Menge immer näher und näher auf sich zuschreiten. Der Klubführer, der sie begleitet, hatte sie ärgerlich verlassen um seinen Londoner Vertrag den Flammen zu widmen.

Die junge Dame war im Begriff, auf der entgegengesetzten Seite sich aus dem Wagen zu werfen, als sie zu bemerken begann, daß Adda sie gar nicht sah, daß sie hinter der Droschke fortschritt die Stufen der Rathaustreppe hinauf gleich einer Traumwandlerin.

In dem Augenblick, als sie in ihrem seltsamen Aufputz an dem Wagen vorüberkam, hörte Edda sie murmeln: »Ich komme, Torne-Kaitum, ich komme!«

Die Bewegung des Volkshaufens um das Feuer hatte indes nach dieser Seite hin Luft geschafft, die Wagenburg rückte auseinander, und Frau Long, die Haushälterin schrie dem Kutscher zu, so rasch als möglich die erste Lücke zu benutzen und die Ny-Gade, die Neue Gasse, zu gewinnen.

Fünf Minuten später war der Wagen aus dem Gedränge, und die Tochter des Konferenzrates Halsteen befand sich auf der eiligen Fahrt nach ihrem Hause.


Am andern Morgen um 10 Uhr ließ der Kammerdiener der Gräfin Danner sich bei Fräulein Halsteen melden, und überreichte ihr ein großes Kuvert.

Es enthielt ein in den freundlichsten Ausdrücken abgefaßtes Billett der Gräfin, mit dem sie ihr den Königlichen Befehl an den Präsidenten des Gerichtshofes übersandte, angesichts dieses den unter der Anklage hochverräterischen Gebahrens in Haft befindlichen Untertanen Klaus Hansen, gebürtig aus Amrum, dem Vorzeiger zu überliefern, damit er in Seiner Königlichen Majestät Seedienst eingestellt werde.

Edda war hocherfreut von diesem Gunstbeweis und richtete mit Herrn Lundström einige Zeilen innigen Dankes an ihre Gönnerin. Dann aber traf sie ihre Anstalten, um zur bestimmten Stunde Herrn Olsen in seinem Bureau im Rathause aufzusuchen und ihm das kostbare Dokument zu übergeben, das Kapitän Hansen den Kerkermauern entreißen sollte, freilich nur um ihn wahrscheinlich kaum weniger widerwärtigen Fesseln zu überliefern.

Frau Long, die Haushälterin, war von dem gestrigen Schrecken krank, so daß Edda auf ihre Begleitung verzichten mußte. Sie befahl daher Suky einen Mietwagen zu holen, wollte sich aber nicht von ihm begleiten lassen, um nicht etwa durch sein auffälliges Äußere unnötigerweise erkannt zu werden, und gab ihm nur den Auftrag, für alle Fälle in der Nähe des Stadthauses zu verweilen.

Es war elf Uhr, die ihr vom Polizeikommissar bestimmte Stunde, als Edda an der Ecke des Ny-Torv ihren Wagen verließ und durch die wieder in zahlreichen Gruppen auf dem Platze versammelte Menge schritt, um das Gebäude zu betreten.

Die Worte, die sie hörte, sagten ihr, daß an den meisten Stellen von dem Prozeß des deutschen Kapitäns die Rede war, und daß überall Drohungen gegen ihn und seinen angeblichen Beschützer ausgestoßen wurden, die sie aufs höchste erschreckten.

Aufgeregt von Furcht und Schrecken gelangte sie endlich an die Tür, die man ihr als das Bureau des Kommissar Olsen bezeichnet und trat in das Vorzimmer.

Ein Unterbeamter benachrichtigte sie, daß der Kommissar augenblicklich nicht anwesend sei, er schien aber seine Instruktion in Betreff dieser Person bereits erhalten zu haben, denn als sie ihren Namen nannte, wurde sie aufs höflichste ersucht, in das Privatkabinett des Beamten einzutreten.

Sie mochte dort fast eine halbe Stunde gewartet haben, als sie im Bureau die Stimme des Kommissars hörte, der laut und lebhaft mit einem andern Manne sprach.

»Dem armen Burschen ist bitter Unrecht geschehen,« sagte eine barsche und rauhe Stimme, »und wenn es möglich gewesen ist, das Papier zu erlangen, von dem Sie mir soeben sprachen, dann soll der Teufel drei Dutzend mal meine Seele kielholen, wenn ich den Perückenstöcken einen braven Seemann nicht aus den Zähnen reiße, mag er deutsch oder dänisch gesinnt sein!«

»Wir werden sogleich erfahren, Kapitän, woran wir sind. Man hat mir gesagt, daß Fräulein Halsteen bereits hier ist.«

Er klopfte an die Tür des Kabinetts, in welchem die Dame sich befand und trat auf das Herein in das Gemach.

Ein mittelgroßer Mann in Marine-Uniform von breitschultriger kräftiger Gestalt mit breitem Gesicht, das bei aller Strenge nicht einer gewissen Gutmütigkeit entbehrte, folgte ihm.

»Ah, da sind Sie ja, mein gnädiges Fräulein,« sagte begrüßend der Beamte. »Freuen Sie sich, denn ich bringe vortreffliche Nachrichten, und ich will nur wünschen, daß die Ihren ebenso gut sind. Wir kommen soeben aus der Konfrontation und dem Verhör, und ich kann Ihnen nur sagen, daß kein Schatten des schmählichen Verdachts mehr auf Herrn Hansen ruht!«

»O dann ist alles gut! Aber bitte erzählen Sie mir alles!«

»Zuvörderst, gnädiges Fräulein,« sagte der Kommissar, »erlauben Sie mir, Ihnen hier Herrn Kapitän-Leutnant Hammer vorzustellen, den Kommandanten des Ljimfjord, dessen Zeugnis nebst Ihrem Scharfsinn wir hauptsächlich den glücklichen Erfolg zu danken haben.«

Der Kapitän verbeugte sich mit etwas starken Manieren des Vorderdecks vor der Dame. »Also zunächst um Ihre Erwartung nicht zu mißbrauchen, Kapitän Hammer hat in den gestern verhafteten Leuten, dem Isländer und dem portugiesischen Steuermann der Lucia, mit Bestimmtheit und ohne Zögern die beiden Männer wiedererkannt, deren freche Belästigung auf der Straße Sie an jenem Abend zwang, unweit der Gothers Gade den Schutz des Kapitän Hansen anzurufen, wodurch dieser mit ihnen in Streit und Tätlichkeiten geriet.

»Blixen, schönes Froken,« sagte der Seemann, »ich hätte den langen Tölpel unter Hunderten wiedererkannt, und der braune Schuft, der portugiesische Zwiebelfresser hatte die Frechheit, mir ins Gesicht das Messer afzudisputern.«

»Der Herr Kapitän,« fuhr der Beamte fort, »erkannte nicht allein die beiden Leute wieder, sondern rekognoszierte auch auf das genaueste das vorgelegte Messer als dasjenige, das er auf der Stelle, wo Herr Hansen gestanden hatte, auf dem Pflaster liegen fand, das er aufheben wollte, und das der Steuermann Aveiros als sein Eigentum reklamierte. Er hatte dabei Zeit genug gehabt, den eigentümlich geschwungenen Elfenbeingriff des Messers zu bemerken, und über die Identität desselben konnte daher nicht der geringste Zweifel sein. Wenn aber der Angeschuldigte um halb elf Uhr das Messer in Gothers Gade verloren hat, wenn es notorisch von einer dritten Person an sich genommen ist, die nicht einmal zu behaupten wagt, daß sie es seinem rechtmäßigen Eigentümer wieder zugestellt hat, so kann unmöglich ein paar Stunden später der erste Verlierer, also Herr Hansen, dasselbe Messer noch einmal und zwar auf der Stätte der Mordtat in Christianshavn verloren oder zurückgelassen haben, sondern es muß eine andere Person, also wahrscheinlich der neue Besitzer des Messers gewesen sein. Das ist so klar, daß es selbst dem mißtrauischen Kopf eines Untersuchungsrichters einleuchtete, und dieser sofort erklärte, jedes Verfahren dieserhalb gegen Herrn Hansen einstellen zu können.«

»Die Sache ist so klar wie Seewasser,« brummte der Kapitän.

Herr Olsen lächelte über den eben nicht sehr glücklichen Vergleich. »Aber ich kann Ihnen noch mehr mitteilen, Fräulein, obschon ich gestehen muß, daß, wenn die Sache kein Winkelzug der Verbrecher sein sollte, dies den traurigen Fall noch mehr verdunkeln würde. Der Verdacht der Tat mußte sich nun ganz natürlich auf die beiden Personen lenken, die sich in Besitz des Messers gesetzt hatten und die notorisch an jenem Abend mehrfach zusammen gesehen worden sind, so in jener Strandtaverne bei der Gelegenheit, als der Ermordete so unvorsichtig sein Geld zeigte. Der Steuermann versuchte zwar erst die Ausflucht, er habe jenes Messer bald wieder fort geworfen, aber er merkte, daß das ihm nicht viel nützen werde, und als ich nun vollends seinen Schiffsmaaten vorführte, der im Laufe der Nacht schon einmal die beiden Genossen an Bord der Lucia gesehen haben wollte, sah er sich so in der Klemme, daß er mit dem Geständnis herausrückte, er habe allerdings aus Rache gegen Herrn Hansen das Messer in die Kajüte neben den Leichnam geworfen.«

»So hat er den Mord gestanden?«

»Das ist es eben, was die Sache dunkel macht, wenn es nicht eben ein bloßer Versuch ist, dem Strick zu entschlüpfen. Der Steuermann und mit ihm der Isländer, ein Kerl, dem man eigentlich den geborenen Totschläger ansieht, leugnen auf das bestimmteste, den Mord begangen zu haben. Der Steuermann will zwar etwa kurz nach Mitternacht, gegen ein Uhr mit einem Boot – wie sich ergibt, das Schiffsboot des Herrn Hansen, – sich an Bord der Lucia begeben haben und zwar mit dem Isländer, den er für den Dienst geheuert und Kapitän Macinhos vorgestellt hatte, ja er gibt an, daß sie beide sich in die Kajüte geschlichen hätten und läßt sogar die Absicht durchblicken, daß sie den Schiffsherrn hätten bestehlen wollen. Aber er behauptet steif und fest, daß sie Kapitän Macinhos bereits ermordet gefunden hätten, ganz in der Lage, wie ich ihn am Morgen getroffen, und daß sie entsetzt über dies Verbrechen und aus Furcht, als dessen Urheber angesehen zu werden, es vorgezogen hätten, sich wieder unbemerkt vom Schiffe zu entfernen, wobei sie aus Rache, um den Verdacht auf diesen fallen zu lassen, das Messer des Herrn Hansen zu dem Toten geworfen. Er behauptet ferner, daß sie keinen Ryksdaler entwendet hätten – weil eben keiner mehr zu stehlen da war. Diesem Geständnis hat auch der Isländer zugestimmt, und die besonderen Verhöre beider haben eine auffallende Übereinstimmung ihrer Angaben selbst in den kleinsten Details ergeben, so daß –«

»Die Kerle haben sich die Sache abgesprochen,« meinte der Marine-Offizier.

Herr Olsen zuckte die Achseln. »So daß,« fuhr er fort, »nach der Meinung unseres verehrten Freundes hier die beiden entweder sehr schlaue gewiegte Verbrecher sind, gewandt genug, um ein solches Märchen zu erfinden und festzuhalten, oder – daß wirklich ihre Geständnisse wahr sind, was, wie ich schon gesagt, die Sache noch mehr verdunkeln würde. Doch für unseren Zweck genügt es, daß dies Geständnis noch mehr die Unschuld des Herrn Hansen außer allen Zweifel setzt, da ich von Ihnen, gnädiges Fräulein, weiß, daß er Sie erst gegen zwölf Uhr vor Ihrem Hause verlassen hat, also nicht um Mitternacht ein Verbrechen in Christianshavn begehen konnte.«

»Ich danke Gott und Ihren Bemühungen, Herr Olsen, daß diese Rechtfertigung an den Tag gekommen. Aber wie steht es jetzt mit Herrn Hansen, wo befindet er sich?«

»Er ist augenblicklich noch in dem Verhörlokal, weil seine Aussage jetzt die Qualifikation einer gültigen Zeugenaussage hat. Von Ihrer Mitteilung wird es abhängen, ob Herr Hansen in sein Gefängnis vorläufig zurückkehren muß, oder ob er diese Mauern frei verläßt!«

»Ihr Rat, Herr,« sagte Edda bewegt, »war ein vortrefflicher. Hier ist der Befehl des Königs!«.

Der Beamte nahm erfreut das Papier, das sie ihm reichte und las es sorgfältig. »Alles in bester Ordnung,« sagte er. »Jetzt fehlt nur noch, daß der Herr Kapitän einwilligt, feine Schiffsgenossenschaft um ein, so viel ich beurteilen kann, tüchtiges Mitglied zu vermehren.«

Edda Halsteen sah den Offizier an und streckte bittend die Hand nach ihm aus. »O – Herr Kapitän – Sie werden uns Ihren Beistand nicht versagen!«

»Der Teufel soll meine Seele zerquetschen, gnädigstes Froken, wenn es noch so schöner Augen bedurft hätt', um mit den Gerichtsherren einen Tanz zu spielen – nun aber will ich Ihnen den Mann aus den Zähnen holen und wenn sich alles Advokatengesindel dagegen stemmte. Ein Offizier kennt nur königliche Order und keine Juristen-Schikanen. – Was ist zu tun, Mann, mit dem besiegelten Papier da in der Hand?«

Die Frage galt Herrn Olsen. »Ich werde Sie zu dem Präsidenten des Gerichts begleiten,« erklärte dieser. »Die Order muß registriert und von diesem der Entlassungsbefehl ausgefertigt werden.«

»Donnerwetter, was das alles für Weitläufigkeiten sind! Aber ich will Ihnen raten, daß Sie mir nicht zuviel Federlesens machen, sonst könnten Sie einen alten Seewolf kennen lernen; also vorwärts!«

»Einen Augenblick noch,« bat der Beamte. »Sie wünschen vielleicht Herrn Hansen zu sprechen, Fräulein?«

»Wenn es sein könnte, sehr gern. Sie wissen, warum.«

»Aber, wie werden Sie ihn von hier entfernen? Auf dem Markt ist es sehr unruhig, und als ich hierherkam, hörte ich selbst die schlimmsten Drohungen ausstoßen!«

»Ich weiß, der Pöbel ist wieder in Bewegung, und hat an dem Skandal von gestern abend noch nicht genug. Aber der Herr Kapitän kann Herrn Hansen nach seiner Entlassung durch eine Hintertür des Gefängnisses entfernen. Ich werde Ihnen den Weg zeigen.«

»Hintertür? Mann, haben Sie Ballast im Kopf, statt des Gehirns? Ich – der Kapitän-Leutnant Hammer, Kommandant der friesischen Inseln und Seiner Majestät Dampfbrigg »Ljimfjord« sollte mich vor dem kopenhagener Pöbel durch eine Hintertür saldieren, wo ich Königs Befehl in der Hand halte! Nichts da – kein Wort davon!«

»Aber es handelt sich nicht um Sie, Kapitän, sondern um den Mann selbst. Die Menge, die sich einmal auf seine Verurteilung gespitzt hat, ist imstande, wenn sie ihn erkennt, ihn in Stücke zu reißen, trotz aller königlichen Patente. Was wollen Sie gegen die Übermacht tun?«

»Das sollen Sie gleich sehen. Wie lange wird uns der Handel oben mit den Gerichtszöpfen aufhalten?«

»Eine Stunde mindestens!«

»Können Sie mir einen Boten schaffen zum Arsenal?«

»Zehn für einen!«

» Vel! meine große Barke und das Gig liegen dort, um Vorräte einzunehmen, da wir morgen segeln. Hier« – er hatte hastig einige Zeilen auf Papier geworfen – »lassen Sie das dem Hochbootsmann Mads Störe geben, und ich stehe dafür, daß unserm Mann nicht ein Haar gekrümmt werden soll. Hab' ich noch die Ehre, naadigstes Froken, Sie wiederzusehen?«

»Mit der Erlaubnis des Herrn Olsen werd' ich Sie hier erwarten!«

»Ich stelle dies Kabinett zu Ihrer Disposition. Hier ist ein besonderer Ausgang nach der großen Treppe des Rathauses. Ich hoffe, Ihnen bald Herrn Hansen zuzuführen.«

Die beiden Männer verließen das Gemach und Edda Halsteen befand sich wieder allein. Sie benutzte die Zeit ihre Gedanken zu sammeln; denn sie fühlte wohl, daß noch nicht alles getan sei, und daß ihr bei dem Charakter ihres Schützlings noch ein harter Kampf bevorstand.

So verging fast eine Stunde, als sich wieder feste Tritte dem kleinen Zimmer näherten und der freundliche Kommissar eintrat, begleitet von Kapitän Hansen und dem Marine-Offizier.

Der junge Friese schritt auf das Mädchen zu, das ihm mit strahlendem Auge beide Hände freudig entgegenstreckte. »Ihnen, Edda, verdanke ich es, daß meine Ehre gerettet ist! so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, gelobe ich, dies nie zu vergessen. Fordern Sie mein Leben, es gehört Ihnen und Ihrem Glück.«

»Sie übertreiben, Kapitän Hansen; ich tat nur meine Pflicht – schon um Ihres Bruders willen,« fügte sie leise hinzu. »Aber noch ist nicht alles getan. Man hält Sie noch in Untersuchung wegen der zweiten Anklage, die Ihre eigene Unbesonnenheit verschuldet hat!«

»Was kümmert es mich, und wenn ich ein Jahr im Gefängnis sitze, wenn nur meine Ehre rein ist! hat doch mein Ohm Barthelsen ebenfalls für seine Gesinnung Haft erlitten.«

»Still, still, Klaus,« unterbrach ihn die junge Dame, »bedenken Sie, wo wir sind, und fangen Sie nicht wieder von vorn an. Es hat sich ein Mittel gefunden. Sie auch aus dieser Not zu bringen. Hier, dieser Herr, hat es auf meine Bitte übernommen, Ihre Haft zu brechen!«

»Kapitän Hammer?«

»Derselbe, dessen willig gegebenes Zeugnis Sie hauptsächlich von dem schändlichen Verdacht befreit hat!«

»Ich weiß es und habe ihm vorhin schon herzlich dafür gedankt, wie ein Mann dem andern. Ich wiederhole diesen Dank hier vor Ihnen und sage ihm offen, so oft ich sonst gewünscht, ihm Hand gegen Hand einmal für friesische Leiden gegenüberstehen zu können, – so sehr wünsche ich jetzt eine Begegnung zu vermeiden.«

»Wird auch nicht gut stattfinden können, Mann, da wir künftig Schiffsmaaten sein werden,« sagte der Offizier ruhig.

»Ich – mit Ihnen, Kapitän Hammer?«

»Nicht anders. Hier ist das Patent des Königs, auf Grund dessen ich Sie den Landhaifischen aus den Zähnen gerissen habe, um Sie für königlichen Dienst an meinen Bord zu bringen.«

»Mich? – was soll das heißen?«

Seine Augen fuhren erstaunt von einem zum andern und blieben mit einem gewissen Schrecken auf Edda Halsteen haften, welche die ihren zu Boden schlug.

Der Beamte legte sich ins Mittel. »Die Sache verhält sich so, Herr Hansen. Es ist ein altes königliches Recht, in Zeiten der Not und der Rekrutierung der Marine durch Handbefehl jeden Gefangenen, sowohl Untersuchungsgefangene als Verurteilte, dem Prozeß entziehen und ihn der Marine überweisen zu können. Da Ihnen durch Ihre Unvorsichtigkeit und Ihr Auflehnen gegen die bestehende Ordnung wahrscheinlich noch eine lange Untersuchung und Haft bevorstand, haben Ihre Freunde es für zweckmäßig gehalten, dieses Gnadenrecht des Königs anzurufen. Der Befehl ist erlassen, Kapitän Hammer hat Sie vom Gericht requiriert und ist nun gewissermaßen Herr Ihrer Person.«

»Wie – ich sollte in der dänischen Marine dienen – unter dem Danebrogk?«

»Es ist der Dienst Ihres Vaterlandes,« sagte der Beamte streng.

»Aber ich bin ein freier Friese! ich habe das Kapitäns-Patent als Kauffahrtei-Kapitän und kann als solcher nicht gepreßt oder ausgehoben werden!«

»Sie haben das Kapitäns-Examen, so viel ich gehört, in Hamburg, nicht in Kopenhagen gemacht,« sagte der Offizier ernst – »das Ausland kümmert uns nicht. Sie sind geborener dänischer Untertan und der Aushebung unterworfen.«

»Das Asegabuch sichert jedem Friesen die freie Selbstbestimmung!« sagte der Sohn der Inseln stolz.

»Sein Freibrief ist nicht anerkannt in der Gesammtverfassung. Indes, Herr Hansen, ich beabsichtige keineswegs von Ihrer eigentümlichen Lage Gebrauch zu machen. Die Aushebung ist auf zwei Jahre erfolgt, ich biete Ihnen auf diese Zeit eine freiwillige Heuerung an und zwar als Deckoffizier meiner Dampfbrigg ›Ljimfjord‹.«

»Ich bedauere, Ihre Freundlichkeit nicht annehmen zu können,« sagte der Friese finster. »Ich wünsche in mein Gefängnis zurückzukehren, um die Folgen meines Verhaltens zu tragen.«

»Das steht leider nicht mehr in Ihrer Wahl. Die königliche Order hat darüber entschieden.«

»Also Zwang?«

»Wenn Sie es denn wollen, ja! Sie wissen wahrscheinlich, daß ich mir Gehorsam zu verschaffen verstehe!«

Klaus Hansen wandte einen Augenblick finster und vorwurfsvoll den Blick auf die zitternde Edda, als wolle er sagen: Das ist die Freiheit, die du mir gibst! Doch schon im nächsten richtete er sie trotzig wieder auf seinen wohlwollenden Feind und kreuzte die Arme.

»Tun Sie, was Sie wollen, Herr! ich weigere es, in Dienst zu treten.«

Der Offizier nickte dem Kommissar zu. »Ich hätte es Ihnen im voraus sagen können, ich kenne diese starrköpfigen Friesen. Es tut mir leid, aber da ich mich einmal damit befaßt habe, muß ich es auch durchsetzen.« Er ging nachher Tür und öffnete sie. »Ist der Hochbootsmann Mads Störe da?«

»Ja, Kapitän!« antwortete eine rauhe Stimme.

»Dann herein mit dir!«

Ein großer vierschrötiger Seemann mit grauem Haar trat ein, das Gesicht wettergebräunt, von Falten und Runzeln durchfurcht. Die linke Backe war aufgeschwellt von dem Priemchen, das er in ihr hin und her wälzte.

»Gut, daß du da bist, Mads. Matthias. Wie viel Mann mit dir?«

»Zehn Matrosen und vier Seesoldaten.«

»Bewaffnet?«

»Die Matrosen mit Enterbeilen, die wir aus dem Arsenal nahmen, wie Sie's befohlen, die Soldaten mit ihren Musketen.«

»Und das Boot?«

»Liegt an der Vester Port mit der Bemannung.«

Der Kapitän zeigte auf den Friesen. »Dieser Mann da gehört fortan zur Schiffsmannschaft der Flotille. Er weigert sich jedoch an Bord zu gehen.«

»Hm!«

»Was meinst du, altes Seepferd?«

»Blixen und Bramtopp, ich denke, wir sind noch mit andern Jongens fertig geworden, obschon er ein stattlicher Bursch ist und Vernunft annehmen sollte.«

»Sie hören, Hansen. Wollen Sie nun gutwillig folgen?«

»Nein!«

Der Kapitän wandte sich an den nicht ohne Besorgnis auf diese beiden starren Männer blickenden Beamten.

»Herr Kommissar, da hier die Gefängnisse sind, werden Sie vielleicht die Güte haben, mir ein Paar Handeisen leihen zu lassen!«

»Fesseln? mir?«

Die Adern waren blau auf der Stirn des unglücklichen Mannes geschwollen, seine Fäuste ballten sich krampfhaft. »Versuchen Sie es!«

Dann durchfuhr ein nervöses Zittern seinen mächtigen, noch immer trotz der Haft so kräftigen Körper und die halb erhobenen Hände sanken nieder. Eine kleine zarte Hand hatte sich auf seinen Arm gelegt.

»Klaus Hansen!«

Er wandte langsam das glühende Gesicht nach ihr hin und sah das Auge des zitternden Mädchens flehend auf sich gerichtet. Zwei große Tränen rollten über ihre Wangen.

»Kapitän Klaus Hansen,« sagte sie, »können Sie mir vergeben?«

Sein Zorn schmolz dahin vor dem Ausdruck dieser einfachen Worte. »Ich vergebe Ihnen, Edda,« sagte er sanft. »Sie glaubten es gut zu machen und kannten mich zu wenig.«

»Nein, Herr Hansen, ich kenne Sie genau, und das will ich Ihnen beweisen. Habe ich Ihren guten Namen gerettet, oder nicht?«

»Sie taten es!«

»Und was versprachen Sie mir dafür?«

»Mein Leben! – aber …«

»Ihr Leben gehört mir und Ihrer Mutter! Was ich von Ihnen fordere, ist nichts Unehrenhaftes. Sie sollen in den Dienst Ihres Königs treten; denn was Sie auch einwenden mögen, der Dienst des Danebrogk ist der Ihres Vaterlandes – Sie sind Untertan König Frederiks, so gut wie wir. Es ist ein ehrenvoller Dienst, wenn Sie auch eine andere Flagge vorziehen möchten. Im Namen Ihrer Mutter, um meinetwillen fordere ich, daß Sie freiwillig die Gnade Ihres Landesherrn annehmen und freiwillig in die Kriegsmarine Ihres Landes treten.«

Man konnte sehen, welcher mächtige Kampf in dem Innern des kräftigen Mannes vor sich ging. Er hielt die Hände wohl eine Minute lang vor das Gesicht gedrückt, ehe er sie langsam sinken ließ.

Dann wandte er sich zu dem See-Offizier.

»Kapitän Hammer,« sagte er fest, »ich stehe zu Ihren Diensten. Ich gehöre zu Ihrem Bord für die nächsten zwei Jahre und seien Sie versichert, daß Klaus Hansen seine Pflicht tun wird wie der beste Mann.«

»Sie werden sofort in den Dienst des zweiten Steuermanns enrolliert werden.«

»Nein, Herr,« lautete die bestimmte Antwort – »mißverstehen wir uns nicht. Ich trete bei Ihnen ein als Vormastmatrose wie jeder andere Mann, bitte mich als solchen zu behandeln und anzureden und lehne jede Beförderung ab.«

Der See-Offizier betrachtete ihn scharf einige Augenblicke. »Vel! – wie du willst, Mann! und mit diesem Handschlag heuere ich dich, Klaus Hansen, in Eid und Pflicht für zwei Jahre an Bord Seiner Majestät Kriegsmarine.«

Er hielt ihm die Hand hin, in welche der Friese sehr bleich, aber ruhig und entschlossen die seine für einen Moment legte.

»Jetzt, Hochbootsmann,« befahl der Kapitän, »nehmt diesen Mann in die Mitte Eurer Matrosen. Zwei der Seesoldaten voran, zwei hinterdrein; führt ihn nach meinem Boot am Vester Port, und wartet, bis ich nachkomme. Begreift mich wohl! Ihr steht mir dafür, daß er sicher und unbeschädigt an Boot kommt. Wer ihn anzutasten wagt, den schlagt zu Boden, und wenn's der Bürgermeister von Kjöbenhavn selber wäre!«

»Vel, Herr! – Komm Mann!«

Der Friese wandte sich nach der Dame, aus deren Augen Träne auf Träne rollte.

»Fräulein Halsteen,« sagte er, »darf ich Sie noch um eine Gunst bitten?«

»Oh reden Sie!«

»Schreiben Sie gütigst selbst an meine alte Mutter und beruhigen Sie dieselbe darüber, daß ihr Sohn seinen ehrlichen Namen behalten hat.«

»Ich werde es mit Freuden tun! Aber Sie werden sie gewiß bald selbst sehen, wenn Sie nach den Inseln kommen!«

»Nicht eher, als bis ich ein freier Mann bin! – Leben Sie wohl, Fräulein Halsteen und Gott behüte Sie!«

Er grüßte kurz und seemännisch und wandte sich der Tür zu. Ehe er aber die Schwelle überschritt, fühlte er noch einmal Eddas Hand in der seinen. »Klaus Hansen,« sagte sie, »ich nehme noch nicht Abschied von Ihnen, wir sehen uns noch wieder!«

Die Tür hatte sich hinter den beiden Seeleuten geschlossen. Edda wandte sich zu den beiden zurückgebliebenen Männern.

»Meine Herren,« sagte sie, »nehmen Sie meinen innigsten Dank für die Freundlichkeit, die Sie meiner Familie in dieser Angelegenheit bewiesen haben. Wenn mein Vater zurückgekehrt ist, wird er erfahren, wie tief wir in Ihrer Schuld sind. Leben Sie wohl!«

Ein Brausen von Menschenstimmen draußen auf dem Platz, das wie die Sturmflut des Meeres emporschwoll, begleitete ihren letzten Worte.

»Wo wollen Sie hin, gnädiges Fräulein, in diesem Augenblick?« fragte der Beamte.

»Zum Vester Port, Herr, dem armen Mann zu zeigen, daß seine Freunde ihm bis zum letzten Augenblicke nahe sind. Es wird ihm sein Los erleichtern!«

Wiederum donnerte das Volksgebrüll an die Fenster: »Der tydske Mörder! Sie wollen ihn entfuhren! Nieder mit den Tydskern!«

»Das wird ernst,« sagte der Kapitän. Ich muß zu meinen Leuten!«

»Ich begleite Sie, Herr!«

»Sie, mein naadigstes Froken? Unmöglich!«

»Ich muß – sonst geh ich allein! ich will ihn nicht verlassen, bis er in Sicherheit ist.«

Der Kapitän wechselte einen hastigen Blick mit dem Kommissar, der ebenfalls einen Säbel umschnallte und die Hand an die Glocke legte.

»Dann kommen Sie und nehmen Sie meinen Arm!«

»In zwei Minuten,« sagte der Kommissar, »bin ich mit meinen Leuten an ihrer Seite.« – – – – – –


Als Edda, ihren Schleier niedergelassen, am Arm des See-Offiziers auf die Freitreppe des Rathauses trat, sah sie den ganzen Platz bis nach der Frederiksborger Gade hin mit Menschenwogen bedeckt, die in größter Aufregung zu sein schienen. Durch dieses Meer von schreienden und tobenden Leuten zog sich aber in ruhigem ununterbrochenem Fortschreiten eine Gasse, die sich wie ein Keil Bahn brach.

Es waren die Matrosen der »Ljimfjord«, ihren neuen Kameraden in der Mitte.

Der Kapitän blieb einen Augenblick stehen und ließ ein kurzes spöttisches Lachen hören.

»Ich dachte mir es wohl, daß meine Jongens sich um den Lärm der Landratten nicht mehr kümmern würden, als eine Möwe um den Südwest. Sehen Sie, Froken, wie ruhig die Burschen ihren Weg fortsetzen. Die schreienden Halunken mögen ihre Pfoten davon lassen, wenn sie sich nicht blutige Nasen und Köpfe holen wollen. Aber kommen Sie hier die Faroer Gade entlang, so werden wir sie sicher und wohlbehalten an der Brücke treffen und Sie können Herrn Hansen nochmals Lebewohl sagen, wenn Sie mir nicht die Ehre erweisen wollen, ihn an Bord des »Ljimfjord« zu besuchen.«

In der Tat war die Seitengasse, die der Offizier sie führte, jetzt menschenleer und die Polizei bereits zahlreich auf dem Platz, um den Auflauf zu zerstreuen. Als sie aber den Halm-Markt erreichten und über den Wall nach der Brücke einbogen, gerieten sie in eine neue Menschenwoge, und Edda ließ unwillkürlich im ersten Schrecken den Arm ihres Begleiters los. Im nächsten Augenblick war sie von ihm getrennt, und Kapitän Hammer drängte vergebens, sie wieder zu erreichen.

Die vornehme junge Dame mußte sich gefallen lassen, von dem Gewühl mit fortgerissen zu werden und fand sich zehn Minuten später auf der Brüstung des Walls.

Unter dem lärmenden, aber gefahrlosen Hohngeschrei des Pöbels schoß, von sechs kräftigen Ruderern geführt, das Boot eines Kriegsschiffes auf dem breiten Wallgraben von der Brücke kommend in der Richtung des Badehauses zu durch das von der Strömung hier offen gehaltene Wasser. Unter den Ruderern befand sich einer, der nicht die Abzeichen der königlichen Marine trug, und ohne aufzuschauen sich auf seinen Riemen niederbog; auf der Bank des Boots aber saß Kapitän Hammer und neben ihm eine Dame, einfach und dunkel gekleidet wie Edda, den Schleier zurückgeschlagen, als wolle sie den Hohn der Menge trotzig herausfordern und erkannt sein, und als sie jetzt das Gesicht herüberwandte, – erkannte Edda sich selbst! – –


Es vermochte wohl eine Viertelstunde vergangen sein, und immer noch saß die junge Dame kraftlos, sich ihrer selbst kaum noch bewußt, auf der Bank, auf die sie gesunken. Ein paar mitleidige Bürgerfrauen hatten ihren Zustand bemerkt, neben ihr Platz genommen und die eine hielt ihr ein Riechfläschchen vor, nachdem sie ihr den Schleier gehoben hatte.

Endlich fühlte sich Edda soweit gekräftigt, daß sie ihren Weg fortsetzen konnte, um eine Droschke auf dem Markt zu erreichen. Sie dankte den Frauen und ging langsam über den Platz, als sie plötzlich angesprochen wurde.

»Ah, schöne Adda, gut, daß ich Sie finde,« sagte der Mann, der es tat, und nahm, ohne weiter zu fragen, ihren Arm. »Ich habe wahrhaftig diesen Morgen zwei Stunden gebraucht, um Ihre Laune zu erfüllen und Ihnen auf den Marine-Ministerium die Erlaubnis zu verschaffen, das Regierungsschiff zur Überfahrt nach Stockholm zu benutzen, was allerdings jetzt die einzige Gelegenheit sein dürfte. – Nun, man hat uns von der Opposition um den Bart und wagt nicht, eine Gefälligkeit abzuschlagen. – Sie sind aber wirklich närrisch, Adda, daß Sie uns auf eine lächerliche Hallucination hin mit Gewalt so plötzlich verlassen wollen und den ganzen Karneval versäumen um einer Schrulle willen. Selbst wenn der alte Bursche, Ihr Verwandter, drüben gestorben sein sollte, wie Sie sich einbilden, können Sie nichts helfen dabei. Bleiben Sie lieber hier; Blixen gibt morgen eine Abendgesellschaft, bei der es lustig hergehen wird!«

Das Fräulein murmelte einige unverständliche Worte, die wie eine Ablehnung klingen konnten; sie hatte den Schleier wieder niedergelassen. Der Mann, der sie führte, war einer der Redner der Bauernfreunde, sie erinnerte sich, ihn bei öffentlichen Gelegenheiten gesehen zu haben.

»Nun, wenn Sie nicht wollen, Kleine, kann ich Sie nicht halten,« fuhr der Deputierte fort. »Aber ich hoffe, Sie kommen bald zurück und dann will ich mir meinen Lohn für diesen Dienst schon einkassieren. Da Sie aber nun einmal nach Schweden gehen, bitte ich Sie, diese Briefe an unsere Freunde, die Führer von Jung-Skandinavien mitzunehmen. Sie können ihnen mündlich wiederholen, wie die Sachen hier stehen und daß wir den alten unentschlossenen Toren, den Bischof, bald aus dem Sattel zu heben hoffen. Wenn Sie zurückkommen, finden Sie das Ministerium Blixen-Finecke fix und fertig. Hier sind die Briefe, die Adressen genau und hier der Paß des Ministers. Jetzt erlauben Sie, daß ich Ihnen die Droschke öffne und Adieu sage, wenn ich nicht noch Zeit haben sollte, Sie zu besuchen!«

Er hatte einen Fiaker geöffnet und hob sie hinein – sie ließ alles mit sich machen, ohne zu antworten.

Erst als der Wagen durch die Straßen rollte, begriff sie recht, was geschehen. Sie schlug den Paß auseinander – es war eine Order des Marineministers an den Kommandanten des »Ljimfjord«, der vorzeigenden Person die Überfahrt an Bord nach Stockholm zu gestatten.

Die Adressen der Briefe kannte sie nicht – nur ein paar Namen erinnerte sie sich bei Gelegenheit der skandinavischen Verbrüderungs-Demonstration gelesen zu haben.

Einige Augenblicke schwankte Edda, was sie tun solle, aber ihr Stolz bewahrte sie vor einer niederen Handlung. – Sie befahl dem Kutscher, nach ihrem Stadtviertel zu fahren, und als sie ihre Wohnung erreicht hatte, siegelte sie Briefe und Order in ein Kuvert, adressierte es an Fräulein Adda Halsteen nach der ihr längst bekannten Wohnung, und ließ einen Dienstmann rufen, dem sie den Brief zur sofortigen Besorgung übergab.

Erst dann, als sie mutig alles dies getan, warf sie sich in der Einsamkeit ihres Zimmers auf den Divan und ihre bis zum Übermaß erregten Gefühle fanden in dem Trost aller Frauen, selbst der stolzesten und mutigsten, in den Tränen eine Erleichterung. – – – – –


Der Lascare Suky kehrte erst am andern Morgen, als längst der »Ljimfjord« nach Norden dampfte mit verbundenem Kopf und zerbeulten Gliedern in das Haus des Konferenzrats zurück, und zwar aus dem Polizeigewahrsam, wohin man ihn wegen der Schlägerei geführt, die er am Mittag vorher mit dem Kopenhagener Pöbel gehabt, als er seinen Herrn inmitten des Trupps Seeleute erblickte und zu ihm eilen wollte. Er war zu Boden geworfen und schrecklich mißhandelt worden, als endlich die Polizei zum Glück für ihn herbeikam.



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