Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Der Abschied.

Der eine Gegner bei Markus' inneren Kämpfen war überwunden; die Freundschaft hatte über die Strenge der Menschensatzungen gesiegt. Wie oft, wie sehr oft erkennen wir den Wert eines Geliebten erst nach dessen Tode! wir klagen uns an, ihm unsere Liebe nicht bei seinen Lebzeiten voll erwidert zu haben und sind hierüber ebenso betrübt, wie über den Verlust. Wenn daher jene mächtigen Satzungen hin und wieder einen Vorstoß wagten, so wurden sie durch die sanfte Regung reuiger Wehmut niedergeworfen. Wehmut und Demut werden häufig allegorisch dargestellt als zarte Frauengestalt mit einem grünen Zweige in der Hand. Doch sollte man ihr statt dessen ein schneidig Schwert beigeben, denn beide Seelenregungen wirken gewaltig.

Eines Teiles der verbliebenen Mönche hatte sich Mutlosigkeit bemächtigt. Markus empfand sie nicht, wenngleich sich nichts ereignete, was auf die Kräftigung und Erhaltung des Klosters hingewirkt hatte. Aber ein anderer Gegner seines geistigen Gleichgewichts war es, der ihm schwer zu schaffen machte. Er hatte sich längst eingestanden, daß in ihn ein bisher noch nie gekanntes Etwas eingezogen war, die irdische Liebe. Das stritt wider des Ordens Gelübde und erzeugte einen Kampf, erbitterter als alle anderen. Dessen Bestehen wollte und mußte er in sich verschließen, durfte niemand erfahren. Im Laufe der Zeit gelangte auch den Konfratres zur Kenntnis, von wem der Maler Veit das Antlitz der Maria entlehnt. Hätte sich Markus beim Anblicke des Marienbildes frei von Nebengedanken gefühlt, so würde er den Altar zu gottesdienstlichen Handlungen harmlos weiter benutzt haben. So aber trachtete er danach, die Lockungen und Versuchungen zu vermeiden, welche das Verbotene mächtig ausübte. Gerade hierdurch mußte seine Scheu vor dem bewußten Seitenaltar auffällig werden. Niemand ging der Sache auf den Grund; jeder hatte Sorgen um das eigene Ich. Nur Tilgenfaß schien zu verstehen, was die Ursache war.

Gottschalk hatte wahr gesprochen, als er dereinst zu Wenscher sagte: Markus führe seinen Beinamen, zu deutsch: Der Männliche, mit Recht. Das Franziskanerkloster in Zittau stand bis auf den letzten Mönch, Michael Reinstein, verlassen da. Um eines Vertrages willen zur Ordnung weltlicher Geschäfte sollte zwischen diesem und dem Ratsherrn Schönlein, als Vertreter des Magistrates, in einem Gemache des Stadtklosters eine Konferenz stattfinden, welcher als Zeuge ein Oybiner Cölestiner beizuwohnen hatte. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 43. 44. Uttmann wählte hierzu und zu einer Vorbesprechung mit Schönlein den Markus. Der erschrak, sichtlich nur für Tilgenfaß, welcher des Schreckes Ursache wohl verstand. Der Beauftragte wollte die Versuchungen nicht vermehren; lügen konnte er nie, Also bat er den Prior, einen anderen zu entsenden. Auf dessen Frage nach dem Grunde sagte Markus nach kurzem Sinnen:

»Ehrwürdiger Vater! Ich habe in meinem Innern ob rechter Standhaftigkeit Kämpfe zu bestehen, also, daß ich fürchte, dem Geschäfte der Verhandlungen nicht gehörig gesammelt beiwohnen zu können.«

Darauf beauftragte Uttmann den Frater Balthasar Zwerk C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 43. 44 – Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 222. zum Gange nach der Stadt

Hinterher drückte Tilgenfaß dem Freunde die Hand und sagte: »Ich weiß, was dir das gekostet hat.« Markus sah ihn erstaunt an; er glaubte es sei des Grundes kein Mitwisser. Dem immer ehrlichen confrater gegenüber konnte und wollte er nunmehr sein tiefstes Geheimnis nicht verschließen. In einer ruhigen Stunde sagte er ihm alles, schon deshalb, weil er glaubte, daß das ausgesprochene Wort mehr Bindekraft besäße, als das gedachte. Tilgenfaß hatte ruhig zugehört und am Schlusse der Mitteilungen die bedeutsame Antwort gegeben: »Solange du in des Ordens Gelübden stehest, hast du recht gehandelt.«

Wohl fühlte sich Markus nach dem Geständnisse gehobener; aber die Kämpfe hörten drum nicht auf, zogen sich sogar ins neue Jahr hinein. Das machte, weil er des verstorbenen Mantels Briefe teurer hielt, als je zuvor, und in diesen Briefen stand Luthers Wort: »Die höchste Gnade und Gabe Gottes ist es, ein fromm, freundlich, gottesfürchtig und häuslich Gemahl haben,« und stand auch das Wort der heiligen Schrift: »Es soll aber ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann« usw.; wenngleich dies nicht heißen mag: er müsse, sondern: er dürfe und möge eines Weibes Mann sein. Auch schlugen die Wogen höher, als Markus vernahm, daß Gertrude abermals einen Korb ausgeteilt. Diesmal ging's direkt durch ihren Vater. Der war aber gegen sein einzig Kind nachsichtig und gab der weiteren Versuche auf, als ihm die Tochter tränenden Auges sagte: »Viellieber Vater! ich bitt Euch inbrünstig: laßt mich! – ich kann nicht anders!« Darauf mutete Schönlein, Gertrude habe im stillen ihr Herz schon verschenkt; wußte aber niemandes ausfindig zu machen, so es gekriegt haben könnte.

Auf solche Kunde stahlen sich in Markus' Gedächtnis aus einem versteckten Winkel die früheren Worte Gertrudes wieder hervor: »Ich weiß nicht, wie mir war, als ich Euch 's erstemal gesehen.« Ihm deuchte, als müsse die holde Maid ein Bild im Herzen tragen, das einen langen weißen Rock mit schwarzem Skapulier zeigte. Das machte ihn wanken und hätt' vielleicht Ausschlag gegeben, wenn nicht von anderer Seite neue Sorgen hinzugetreten wären, die auch Raum im Innern beanspruchten.

Daß anno 1544 wiederum eine Kommission aus Prag ankam, nach dem Kloster St. Paraklets des näheren zu erfragen, war kein gut Zeichen. Der kaiserliche Mundschenk Fabian von Schönaich und der Kanzler Dr. Lorenz Knorr zeichneten die Oybiner Kirchenschätze nicht bloß auf, wie die früheren Kommissare; sie gingen auch daran, sie zu wägen und zu versiegeln, C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 78 – Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 246. also, daß die Cölestiner schwer besorgt wurden um ferneren Verbleibes.

Darauf brannte im nächsten Jahre durch unvorsichtig Gebaren einer Magd das Klostervorwerk Olbersdorf ganz darnieder. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 163. 245.

In der Stadt Zittau beseitigte Nesen das Besingen der heiligen Jungfrau; des Kirchengesanges Worte: » Salve regina, mater misericordiae« mußten umgeändert werden in: » Salve, Christe, rex misericordiae« E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 36. Der tatkräftige Bürgermeister ging noch weiter: Entschlossen und ohne Furcht vor des Königs Einwendungen berief er den M. Heidenreich wieder zurück. Die Reformation hob ihr Haupt höher als zuvor.

Alles das entschied zu weiterem Verfall. Fünf der confratres verließen mutlos das Kloster, darunter Wenscher und Zwerk, die sich nach Sulmona wendeten; dieser gedrückt, jener finster und mit Verwünschung von der Ketzerei Urheber und ihrer Anhänger.

Nur Uttmann, Gottschalk, Markus, Martin von Jauer und Tilgenfaß hielten noch aus; teils aus Glaubenseifer, teils aus freundschaftlicher Anhänglichkeit. Das kleine Häuflein wollte nur dem äußersten Zwange der Not weichen. Dies zeigte sich bald weiter.

Im verhängnisvollen Jahre 1546 ward, abermal in Olbersdorf, eine große, reichgefüllte Kloster-Scheuer ein Raub der Flammen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 245. So wenig der Mönche auch waren, litten sie doch Mangel. Die Beratungen der Alleingelassenen führten zu dem Entschlusse, die Stegemühle zu Herwigsdorf, so doch weit über 100 Jahre dem Kloster gehört, zu verkaufen. Der Landvogt, mit dem die Mönche wenig Umgang auf'm Oybin gepflogen, genehmigte. Conrad von Nesen erbot sich, um 200 Mark die wertvollen Grundstücke zu kaufen. Gern überließen sie ihm die Oybiner, weil er dem Kloster in ihren obliegenden Gewerben und Sachen mannigfaltige getreue Dienste und Förderung erzeugt hatte und hinfürder zu tun erbötig. Die Urkunde ward vom Prior Uttmann, dem Prokurator Gottschalk und von Martin von Jauer unterzeichnet. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 38 – Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 157. 158. 246.

Mit diesem Verkaufe ging dem Kloster manch Nebeneinkommen verloren, denn im Kaufkontrakte anno 1424, am Tage St. Tiburtii, stand auch verordnet: »Der Müller in der Stegemühlen mästet 6 Schweine, darunter 4 den patribus, 2 Ihme dem Müller zukommen. Unter diesen Schweinen, wenn sie gemästet werden, haben die Patres die Wahl, das beste auszulesen; hiernach mag sich der Müller unter den 5 auch das beste auslesen, von den übrigen 4 nehmen die Patres 3 und lassen das 4te dem Müller.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 158.

Dies und noch manch anderes, dem Kloster Zukommendes, fiel weg, also, daß die letzten Cölestiner gar haushälterisch sein mußten, das Allernötigste zu beschaffen. Wie zum Hohne traf um diese Zeit das Gebot des Kaisers Ferdinand I. im Kloster ein: Es solle eine Anzahl wohlgerüsteter Wagen zu einem Kriegszuge des Kaisers gestellen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 220. Uttmanns Antwortschreiben an Ferdinand mag den wohl sattsam überzeugt haben, daß, wo nichts ist, der Kaiser 's Recht verloren hat. Es kam keine Mahnung wieder.

Ein milder März war eingezogen; die Verlassenen achteten des wenig. Schwer lagen auf ihnen der Zeiten Wucht und Schläge, also, daß es nicht verwunderlich, wenn der sonst zumeist frohgesinnte Bruder Tilgenfaß sorgenvoll auf einem Felsblocke saß und den gebeugten Kopf mit beiden Händen stützte. Markus und Jauer traten hinzu; sie konnten sich sein Leid wohl erklären und teilten seine Bekümmernis ob des jähen Verfalles. Tilgenfaß aber schüttelte den Kopf und sagte:

»Nicht die Not des Klosters ist, was mich allweil bedrückt; es ist noch weit mehr zu beklagen.« Und als die andern ihn fragend ansahen, stand er auf und sagte bewegt:

»Der Doktor Martinus Luther ist am 18. Februari gestorben!«

Erstaunt hörten beide diese ihnen neue Nachricht. Martin von Jauer sagte nach einiger Zeit des Stillschweigens ernst: »Das ist ein schlimm und groß Ereignis und wird manch einen betrüben.« Und Markus hielt dafür: »Das ist ein freudig Ereignis und wird manch einen froh stimmen.«

Darob entspann sich unter ihnen ein Wortwechsel und langer Austausch tief-innerster Gedanken. Markus glaubte anfänglich, nicht recht gehört zu haben, als er der confratres Anhänglichkeit an den Hauptstücken der neuen Lehre vernahm. Das hätte er schon früher aus manch einem offenen Worte der beiden entnehmen können, auch aus der Unwirksamkeit einzelner Heiligen auf Jauer, als der einst trostlos vor dem Altare lag. Doch der eine Gedanke an die seit Jahren empfundene Herzensregung der Liebe und die Kämpfe dagegen hatten Markus gefangen gehalten. Jetzt fiel ihm die Binde von den Augen.

Es ist aber nicht so leicht, alte festgelagerte Grundsätze aufzugeben und zu vertauschen mit neuen, den alten entgegenstehenden. Darob denn Markus, wenngleich auch er ein jeweilig Wanken in sich verspürt, einen Versuch machte, einen schwachen, die Brüder auf das alte Feld zurückzuführen. Aber Martin hielt ihm inmitten des Meinungsaustausches vor:

»Du kennst meine Vergangenheit, Marce! Du weißt, daß nicht innerer Trieb mich hierher geführt. Mein Vater forderte und die Kindespflicht des Gehorsams hieß mich ihm folgen – mit blutendem Herzen! – – – Der Gedanke allein: geopfert zu haben um der Gehorsamspflicht willen, gab mir Kraft, das Schwere so viele Jahre lang zu tragen. Das wurde mir auch durch den Umgang erleichtert mit so edlen und gelehrten Männern, so ich hier fand, unter denen Johannes Mantel nicht der unterste war. Ich glich einem Acker, den man mit scharfem Eisen durchschneidet, nur daß der Acker dies ruhig leidet, ich aber vor Schmerz hätte laut schreien mögen. Da kamen zwei Säemänner, Gottschalk und Uttmann; die legten Samen aus den Scheuern des Heilandes in die blutgedüngten Furchen und der ging auf und trug gute Frucht. Aber darunter war auch Unkraut und etliche der Samenkörner erstickten im Keime. Der Boden mußte gelockert werden. Das taten im Laufe der Jahre unsere einstigen confratres: Mantel, Rohr und der Thüring. Nun sproß die Saat empor und trug sechzigfältig. Es war derselbe alte Same, aber reiner; das Unkraut erstickte. Wohl habe ich mir, als sich's im Innern klärte, gar oft verzweiflungsvoll gesagt: du hättest können glücklich werden! hättest als getreuer Hausvater und Ehemann Gott ebenso und besser dienen können, als hier in der verschlossenen Einsamkeit! – aber ich lernte entsagen; an Stelle derer, so dereinst mir vom Herzen gerissen wurden, trat das Evangelium in reiner, verklärterer Gestalt. Ich hielt aus und konnt mir drum keinen Vorwurf machen. Marce! das Haupt ist doch das Vornehmste am Körper und hierin sind und bleiben alte und neue Kirche verbunden, in Christo Jesu. Und wenn einmal Zwiespalt in der Brust entstand über den Weg zum Herrn, ob auf Umwegen oder geradezu, und ich sah in stiller Nacht hinauf zum Mond, da war mir immer, als riefe der herab: O ihr Toren! greift doch zu und haltet fest an des Herrn Wort: »Kommt her zu mir! ich will euch erquicken!« – Ich hielt aus, weil ich die Bangen unter uns nicht verlassen, weil ich ihre Not teilen wollte.«

Markus hatte dem Ergusse Martins teilnehmend und still zugehört. Als er aber an der Rede Schlusse des Herrn einladende Worte vernahm, ward seine Seele erschüttert. Gerade so und gleich begeistert hatte die Maid mit den schönen Marienaugen gesagt. Hiernach hub Tilgenfaß an:

»Was ist Wahrheit? – fragte Pilatus den Herrn, habe auch ich mich gefragt bei dem Widerstreite der alten und neuen Kirche, bei den Kämpfen in eigner Brust. Darauf sagte ich mir: Gott ist die Wahrheit. Glaubest du, daß der große Kopernikus sie nur in Gott dem Schöpfer gefunden? Nimmermehr! sonst hätte er nicht verordnen können, daß man auf seinen Grabstein schreiben solle:

»Nicht die Gnade, die Paulus empfangen, begehr' ich,
Noch die Huld, mit der du dem Petrus verziehen;
Die nur, die du am Kreuze dem Schächer gewährt hast,
Dich nur erfleh' ich.«

Seit drei Jahren prangt dieses große Wort auf dem Grabsteine. So tief er in den unendlichen Weltenraum und dessen Gesetze einzudringen suchte, so tief schöpfte hieraus der große Denker die Überzeugung: Gott hat uns geoffenbaret auch als Erlöser und als heiliger Geist. Er will unser Vater, wir sollen seine Kinder sein. Item: Wird denn ein Kind, das in herzer Liebe zu seinem Vater steht, – so es etwas erbitten will – erst zur Dienstmagd gehen, daß die es soll der Kindsfrau sagen und die der Muhme und die der Mutter und die dem Vater? Und wenn das Kind etwas ausführen soll, es tut's aber nicht aus Liebe zu Vaters Gebot und nicht im guten Glauben an ihn – was sind dann unsere Werke? Siehe Marce! ich kann nicht sagen, daß die neue Lehre mir als das Vollkommenste erscheine, so unterm Himmel sich befindet. Aber sie schiebt mir die Dienstmagd auf die Seite und die Kindsfrau und die Muhme; sie ehrt die Mutter, doch also, daß auch sie irren könnte; sie macht mir die Türe sperrangelweit auf und ruft: Nur herein! hier ist der Vater! – Soll ich da draußen stehen bleiben? – – Viellieber Bruder! du bist ehrlich und gerecht. Prüfe dich: hast du nicht auch in des großen Augustiners Schriften von Klostergelübden und Priesterehe gelesen? Ist nicht auch davon haften blieben und hast's doch auf die Seite geschoben, weil's gegen Satzungen der alten Kirche ist, bloß weil die alt ist? Du hast den Urtext der heiligen Schrift durchaus gelesen – hat denn, was jetzt neue Kirche heißt, nicht viel mehr Ähnlichkeit mit St. Pauli Zeiten, als was jetzt alte Kirche heißt? – Siehe Bruder! der vollen Wahrheit werden wir hier auf Erden nie gewiß. Aber so sich in uns – oft ohne unser Zutun – ein Stücklein Wahrheit nach dem andern Bahn bricht, daß wir nicht anders können, als sie so vieler Behängsel zu entkleiden, – dann müssen wir ihr folgen und den Kopf nicht in den Sand stecken wie der verfolgte Strauß, der da meint: nun sei er geborgen. – Und so diese edle Stätte geschlossen werden sollte, wandern wir, Martinus und ich, gen Norden. Wir gehen unsrer ehrlichen Überzeugung nach. – Bruder! Freund meines Herzens! – folge du uns nach!«

Tilgenfaß legte seinen Arm um die Schultern des Freundes, der ob solcher Rede nicht allsogleich Antwort fand. Wohl war es mählich dahin gekommen, daß er die Mutter, die alte Kirche, jeweilig fast wie eine Stiefmutter betrachtete, sintemalen sie ihm das eine heiße Begehr nicht erfüllte; aber sie schien so bös nicht zu sein, daß er sich hätte von ihr trennen sollen. Er blieb fest und sagte:

»Treue Freunde sind ein gar groß und schön Geschenk Gottes. Was Ihr mir gesagt und Johannes, war edel und gut von warmen Freundesherzen gesprochen. Ich danke euch, liebe Brüder. Auch mag recht sein, was Bruder Spengler, der Thüring, dereinst im Refektorio sagte: »so manch Körnlein Wahrheit ist der neuen Lehre nicht abzustreiten.« Aber ich kann just das Kleid nicht so schnell vertauschen, eh ich nicht weiß, ob's neue auf den Körper paßt. Ich achte eure Überzeugung! die stellt euch mir drum nicht ferner.«

Als nun Martinus beginnen wollte mit anderweiten Worten, wurde der Brüder Gespräch durch den Schöppen Kaspar Zeisig plötzlich unterbrochen:

»Hochwürd'ge Väter! ich tu's euch kund und zu wissen, daß ich vor kurzer Weil einen Rittersmann herauf geleitet, der hat dem Herrn Prior verkündet: sein hoher Herr, der Herr Erzherzog Maximilian wolle den Oybin und die hochwürdigen Väter besuchen.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 218. 248. Besuch Maximilians am 29. Mai 1546. In einer Stund oder deren zween könne er hier sein.«

Da sprangen die drei Brüder ob der seltsamen Mähr schnell auf und eilten zum Prior. Tilgenfaß hatte dabei einem Anfluge alter Munterkeit zu widerstehen nicht vermocht. Auf Zeisig deutend sagte er lächelnd:

»Siehe Marce! das ist unser Reformator! der hat uns heimlich gar manch Heilschriftlein heraufgebracht.«

Darauf fragte Zeisig: »Was ist denn Reformator?« – erhielt ob der großen Eile keine Antwort. Er dachte: wahrscheinlich Arzt, Bader oder so 'was. –

Die Anmeldung des fürstlichen Besuchs würde in der Blütezeit des Klosters einen freudigen Aufruhr unter den Mönchen bewirkt haben, war doch überhaupt Besuch als angenehme Unterbrechung ohnehin selten. Jetzt aber, wo die ehrwürdige Stätte im Absterben begriffen, war es eine wehmuts- und wermutsvolle Freude, welche die wenigen Insassen erfüllte. Doch der Erzherzog sollte diese nicht gebeugt vorfinden. Der Prior legte das schönste, noch verbliebene Empfangsornat an und begab sich mit den übrigen und dem ritterlich gekleideten Landvogt an das unterste Tor, nachdem der spähende Zeisig gemeldet, daß der hohe Herr mit großem Gefolge dem Kretscham zugeritten käme.

Am Meierhofe blieben die Pferde. Munter sprang der jugendliche Fürst von seinem edlen Hengst und stieg mit dem Gefolge den Berg hinan, heitren Gemüts und zugleich andachtsvoll gestimmt durch das ihm geltende Geläute der Glocken. Am Tore hielt er still vor der kleinen Schar, die ihn empfing. Er mochte betroffen sein durch die geringe Zahl. Der Prior hob seine Hände empor und sprach über die Ankommenden den Segen. Dann redete er den Fürsten an.

»Eure fürstliche Gnaden sehen hier an der Pforte nur wenige der Jünger des monasterii Sct. Paracleti. Das ist alles, was von Getreuen noch ausgehalten hat.« – Er konnte seiner Bewegung doch nicht ganz Meister werden. Dann faßte er sich und fuhr fort: »Vor einhundertsiebenzig Jahren und sieben kam Euer fürstlichen Gnaden hochseliger Ahn, der Kaiser Karl, zum Oybin, sein Werk: das neuentstandene Kloster zu besichtigen. Heute ziehet sein hoher Urenkel hier ein, des Klosters Ende zu erleben. So schmerzlich und trauererfüllt wir hier auch stehen, so ist doch Euer fürstlicher Gnaden Besuch noch eine Freude, die wir ehrfurchtsvoll empfinden. Es ist die letzte, die uns beschieden ward. Den hohen Spender dieser Freude aber heißen wir untertänigst willkommen.«

»Ich danke Euch, hochwürdiger Vater!« versetzte Maximilian. »Wenngleich ich die Trauer über des Klosters Auflösung, so Ihr mir jetzo verkündet, aufrichtig teile, so hoffe ich doch zu Gott dem Allmächtigen, daß er seine gnädige Hand über dem ausgebrochenen Religionsstreite fort und fort halten, unsere Kirche schützen und Frieden bewahren werde.«

Nach diesen Worten erfolgte die Vorstellung der Empfangenden, die mit dem Erzherzoge und dessen Gefolge emporstiegen zum Kloster. Der Landvogt zeigte dieselbe Trauer wie die Mönche; nur drang die seine nicht weiter als bis auf die Muskeln seines Antlitzes. Im Herzen jubelte er ob des nahegerückten Zeitpunktes, Herr auf Oybin sein zu können. Der Erzherzog sprach auch ihn an. Der Landvogt hielt dafür, daß es klug und schicklich sei, etwas Derbes wider die Reformation vorzubringen und doch dabei des Herzens Gelüst durchblicken zu lassen. Derhalb sagte er:

»Möge der Oybin von nun an seine ursprüngliche Bestimmung meiner Ahnen als Burg einnehmen, jetzo dienend, die Ketzer zu drücken und zu schlagen, wo immer es angeht.«

Da blieb Maximilian stehen und sagte mit ernstem Nachdruck, also, daß es die anderen hörten:

»Berka von Duba! – Gotte allein steht die Herrschaft über die Gewissen zuGeschichtlicher Ausspruch Maximilians.

Darob entstand im Landvogte kein gering Ärgern. Der Prior aber, Gottschalk und Markus verwunderten, Martin und Tilgenfaß freuten sich schier ob dieses großen Wortes und haben sich des fort und fort gefreut noch als Hochbejahrter denn der dereinstige Kaiser Maximilian hatte diesen Spruch hinfüro festgehalten und zum leitenden Grundsatze seines Regiments gemacht.

Lange fesselten den hohen Herrn die erhabnen Kirchenräume und die festen Burggebäude. Im Dome blieb er vor dem Marienaltare, sich andächtig bekreuzend, stehen und sagte, versunken in die edlen Züge des Bildes, ein halblaut: »Wie schön!« also, daß Markus sich errötend auf die Seite wandte und froh war, daß der junge Fürst auf die Seitenkapelle des Kaisers Karl zuschritt. Hier fiel Maximilian still betend auf die Knie und die Cölestiner beteten mit; jeder hatte einen anderen Wunsch dem Herrn aller Herren vorzubringen. Als der Erzherzog aufstand, sagte Gottschalk zu ihm:

»Wie oft, Ew. fürstliche Gnaden, hat hier des Kaisers Karl Majestät vor der höchsten Majestät gekniet; wie oft mancher unsrer Vorfahren und auch Zeitgenossen, wenn es galt, zu dämpfen, was gegen das Gelübde streitet, als da sind: Zorn, Wohlleben, Weltlust und irdische Liebe.«

Darauf tat Maximilian einen Atemzug, länger als gewöhnlich, und wenn er dann sagte: »Es ist etwas Gewaltiges um die Liebe!« – so mocht er wohl seines Bruders Ferdinand gedenken, von dem er wußte, daß er anfing, die schöne Philippine Welser zu minnen. Den Umstehenden war's nicht bewußt, was den Erzherzog zu jenem Ausrufe veranlaßt haben möge. In zwei, unter der weißen Kutte schlagenden Herzen erscholl ein Echo.

Maximilian besah sich alles und genau. Beim Anblicke des wilden Hausgrundes vom Kreuzgange aus blieb er entzückt stehen, schaute hinab in das Felsengewirre der tiefen Schlucht und rief: »Das muß mein Bruder Ferdinand sehen!« Darauf nahm er einen Imbiß an, so der Landvogt hatte vorbereiten lassen. Beim Abschiede drückte er jedem der Mönche mit jugendlicher Herzlichkeit die Hand und sagte zu ihnen: »Was auch immer werde, wie auch immer der Zeiten Geist an Euch arbeite: Gott, der Allgütige, führe und schütze Euch! – Lebt wohl! Euch und diesen Tag will ich nicht vergessen.« Darauf sagte er noch ein freundlich Dankwort dem Landvogte und begab sich hinab ins Tal. Alsogleich ritt er zurück nach Zittau, allwo seine hohe Mutter harrte, so mit ihm zuvor im Schlesierlande gereist war. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau und C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's.

Noch selben Abends berief der Prior die wenigen Brüder zu sich und hielt ihnen des Klosters Lage vor. Sie beschlossen, heute den letzten Abend im Refektorium mitsammen zu verleben.

Kein Ritual, keiner der herkömmlichen Gebräuche fand heute statt. Ein wehmütig Austauschen der Gedanken an die Vergangenheit, ein brüderlich einträchtig Gespräch hielt sie bis 8 Uhr beisammen. Dann gingen sie alle zur Kirche und beteten. Und als sie sich erhoben, löschte Uttmann das Licht der ewigen Lampe aus. – –

Am anderen Morgen wurde an Kleinodien und Büchern verpackt, was annoch vorhanden war. Der Landvogt versprach, alles gen Prag zu senden. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 246. Darüber kam der Nachmittag. Die Sonne hatte längst ihren höchsten Stand überschritten, der erste zarte Flaum der weichen Wiesen-Nebel im Tale sich schon gebildet. Dann zogen die letzten Fünf hinab zum ersten Tore, zum zweiten Tore. Und als sich auch dieses hinter ihnen geschlossen, blieb Ullmann bewegt stehen, faltete die Hände zum Gebet und sprach halblaut:

»Herr, Herr! Gott du Allweiser! Du hast gewollt, daß wir von dieser deiner heiligen Stätte für immer scheiden sollen. Dein Wille geschehe! – Was wir vermocht, mit unsern schwachen Kräften dir zu dienen – wir haben's getan. Und so wir gefehlt haben, rechne es uns nicht an. Führe uns auch ferner an deiner gütigen Hand und sei uns gnädig! – – – Leb' wohl! – Leb' wohl!« – – –

Und der feste starke Mann bedeckte sein Angesicht und weinte und die andern konnten nicht anders und ließen den bittern Tränen ihren Lauf. Dann ermannten sie sich und stiegen hinab zur Meierei.

Die Kunde vom Scheiden C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 79 – Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 246. war längst ins Tal gedrungen, darum hatten sich des Klosters Bedienstete und auch Zeisig an der Meierei aufgestellt, den abziehenden Vätern zum letztenmal die Hand zu drücken. Runge, der Förster, sollt für sie alle sprechen; er konnt es nicht. Wann er dazu anheben wollte, zitterten seine Lippen und sein Herz, und dieweil es ein mächtig Erschüttern gibt, so man einen wettergebräunten, großen starken Mann weinen sieht, der kaum aller 10 Jahre mal ein halb Tränlein hat blicken lassen, so gab es ein beredt und allgemein Schluchzen, also, daß auch Uttmann nur mit Mühe trösten und Segen spenden konnte.

Die Väter legten den Weg nach der Stadt zu Fuß zurück. Noch einen Blick hinauf auf die vom Golde der Abendsonne strahlende, schöne Friedensstätte, noch ein schmerzlich geflüstert »Lebewohl!« – und das Tal mit dem mächtigen Felsen entschwand den Blicken der Scheidenden.

Manch Altgläubiger, auch manch ein Lutherscher grüßte ehrerbietig die kleine Schar, als sie durch Olbersdorf hindurchzog.

Martin von Jauer und Tilgenfaß hatten schon zuvor kund gegeben, daß sie gen Norden ziehen wollten. Darum hielten sie nahe an Diebsdörfel, so zu gegenwärtiger Zeit als Hälter- und Ober-Gasse zum Stadtgebiete gehört. Hier nahmen sie Abschied von den Brüdern.

Wollen's nicht des näheren beschreiben. Wenn ein Freund dem anderen am Herzen liegt und es gilt ein Scheiden für immer auf Erden, so fehlen auch der reichsten Sprache die Worte, alles ziemlich auszudrücken, was die Herzen bewegt. Markus lag den beiden Scheidenden lange Zeit stumm in den Armen und drückte sie, als wollte er sie nicht lassen. Und Uttmann stand mit Gottschalk dabei und trauerten, wennschon sie die Wandernden als des neuen Glaubens Anhänger erfunden hatten.

Noch ein Druck, dann fort, fort! – Droben sehen wir uns wieder!

Uttmann, Gottschalk und Markus gingen in den Väterhof. Dort verweilte jeder still in seinem Gemache, bis sich Gott erbarmte und den Betrübten erquickenden Schlummer sandte.

.


 << zurück weiter >>