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Mannigfach war die Beschäftigung der Cölestiner in den Mußestunden, die ihnen nach geistlichem und weltlichem Dienste verblieben. Der Prior Swob schrieb ein Werk über die Burg, das nunmehrige Kloster Oybin; Hans Spengler an der Geschichte seiner thüringischen Heimat. Uttmann, Gottschalk und Markus waren theologischer Studien beflissen und nebst vielen anderen des Einblickes in etliche Druckschriften Luthers und Melanchthons. Wieder andere waren tätig in der Rechtspflege. Auch ermangelte es nicht einzelner, die sich einer Neigung zur Mystik hingaben, C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 28. vererbt aus früheren Zeilen. Suchte matt doch schon Anno 1458, als im Kloster am Allerheiligentage stracks nach der Hochmeß Feuer ausgebrochen war, die Ursach in einem Geiste, der schon eine Woche zuvor die Klosterleute geäfft habe, also, daß der Prior und ein Mönch Nachtwache gehalten. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 151.
Ebenmäßig verfloß das Jahr ohne erhebliche Zwischenfälle; nur bei den Tischgesprächen herrschte regeres Leben. Die Kunde von Luthers Rückkehr aus der Wartburg nach Wittenberg, vom Erscheinen seiner Übersetzung des Neuen Testamentes im September, sowie etlicher Gegenschriften päpstlicher Legaten, war auch ins Kloster gedrungen und beschäftigte manch einen der Mönche in disputationibus und auf dem Lager. Hier ward ganz im stillen manches Punktum, so hinter den Kirchenvorschriften stand, mit einem Kringel versehen, also, daß ein Fragezeichen daraus entstand. Es war noch kein heller Tag, sondern nur Morgenrot; aber das brachte für die Folgezeit Sturm.
Der Forschung Eifer setzte sich im folgenden Jahre, 1523, fort und drängte nach dem Ankaufe neuer Bücher, sowie dem Austausche von Schriften und Drucksachen mit der Filiale auf dem Königsteine. Auch des Klosters Verwaltung brachte belebende Änderungen. Das Leiden des Mag. Swob wurde hartnäckiger; er gab sein Amt auf, das ihm ohnehin wenig Muße zu gelehrten Studien vergönnte. Andreas Ringehutt trat von nun an als Prior ein. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 142 usw. Ingleichen gab die Ausarbeitung eines damals wichtigen Schöppenbuches für die Gemeinde der Klosterbesitzung Oberherwigsdorf viel zu tun. Pater Christopher hatte es angefangen, Uttman vollendet. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 156; zugleich mit der Anmkg. unter ††): Dasselbe enthält auf dem ersten Blatte folgende, von Cölestinerhand geschriebene Einleitung: » Incipit, Noch Christi Vnsers liben hern geburth M. D. und ym XXIII iore haben wir brudern und gancze Samlung vom Obin Daß kegenweritge buch lassen machen und vberantworth Der gemeyne ym Oberherwigsdorf uff daß man irthum zu vormeiden und menschlicher vorgessenheit zu hülff Dorein mochte sie was von nothen czu weiterer Sicherheit und ewigen gedechtnuß vorczeichen. Derhalben wollen wir obgenannte dos Solch buch und Richtern und Scheppen Furehin alczeit gehanthabet auch von idermeneiclich auf gedachter gemeine ffestiglich gehalten sal werden. Welchs angefangen Durch Vater Christophorer hrenochmals befestigt durch Vater Uthmann priorn und vorweser itzt gemelts Closters Obin.«
Die Ausführung des Geschäftes mit den Königsteiner Cölestinern übertrug Ringehutt den Brüdern Balthasar Zwerk und Markus; die rüsteten sich, nach dem Schwesterkloster zu reisen, mit dessen Prior, Johannes Mantel, zu verhandeln. Die Fahrt dorthin bot manch Erschwernis dar, wenn auch der Lenz in vollem Prangen war, der letzte Schnee in den Gründen längst gewichen. Aber Berg an Berg türmt sich zwischen Oybin und Königstein auf; unheimliche finstere Wälder, wilde Felsschluchten und Raubgetier wehrten den Reisenden die unmittelbare Wanderung. Daher die auserwählten Fratres vorzogen, den nicht gereuenden Umweg über Leitmeritz zu wählen, von da dem Strome entlang zu fahren. Als Uttman zur »Befestigung« des vollendeten Schöppenbuches in Herwigsdorf weilte, trug er dem Lehnrichter und Kretschamwirt des Mitteldorfes auf, die Fuhre für die Reise zum Königstein zu gestellen, auf Grund der Klosterbestimmungen: » De villa Herwigsdorf pag. 41: der Mittelrichter wird von dem Prior und Konvent seines Kretschams halber belehnt, muß die Fratres mit seinen Pferden, so oft sie es begehren, und wohin sie wollen, auf sein Ebenteuer Auf eigene Gefahr. führen; doch zahlen die Fratres Zehrung und Futter.« Neue Lausizische Monatsschrift, anno 1802. II. Teil, S. 118.
Derhalben schirrte Nikolaus Stenzel, der Mittelrichter und Kretschamwirt, zwei kräftige Rappen ein und fuhr zunächst gen Zittau in den Väterhof, von dort etliche Decken und Polster zu gutem Sitze für die beiden Väter zu holen. Das aber war ein alt Gebäude, und weil der Geschichte Verlauf mehr als einmal hiermit zu schaffen hat, sei des Gebäudes Bewandtnis nicht allzu flüchtig erwähnt. Schon Anno 1395 ward von Annen, Peter Burkhardts Hausfrau, ihr Haus hinterm Kreuzhofe am Angel den Vätern auf'm Oybin um 150 zittauische Mark käuflich abgetreten und hiervon 80 Mark als ein Gestifte zu einem ewigen Seelengeräte innen gelassen, daß ein Priester mehr als sonst in dem Konvente gehalten und alle Jahre der Stifterin Gedächtnis durch Seelenmessen gefeiert werden möge. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 201. Die Väter aber erwarben und vergrößerten das Haus, so sie domus Paracleti C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 58. benannten, um in Zittau bei geistlichen und weltlichen Geschäften ein besonder Absteigequartier zu haben; sonderlich auch, um hier nach der ihnen eigenen Milde den Armen der Stadt jeden Freitag Brot von zwei Scheffeln Mehls zu spenden. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 57. Ein Hausmann hütet den Väterhof; die Ursula Gründlerin versorgte Wirtschaft und Küche, ohne Gefahr für das Mannsvolk; denn sie war an Jahren gesetzt und von Angesicht so gestaltet, als hätte sie selbes fest in trockene Erbsen gedrückt gehabt.
Noch ein dritter Inquiliner, der auch an der Geschichte Teil hat, lebte im Väterhofe: Hans Wünsch. Der diente früher dem wuchernden Geldwechsler Klauß Hübner; danach im Väterhofe als Laufbursche und erlernte daneben die Kunst des Schreibens. Er war jung, rund und schmeichlerisch, daher Ursula sich ihm gar huldsam und wohlgewogen zeigte. Er war gleißnerisch, daher die Väter, wo sie ihn hier und da trafen, Gunst zu ihm halten. Er war geldgierig, daher im öfteren Verkehr mit Hübnern.
Ursula gab dem Stenzel die Polster. Ihr Liebling Hans Wünsch sollte mit nach Oybin fahren zu ergötzlicher Kurzweil; es war schier wonnig draußen in der Natur. Damit die Sache aber ein besonder Ansehen gewinne, gab sie ihm einen Korb Eier mit, den sollte er den Vätern auf'm Oybin überbringen.
Also fuhr Stenzel die Polster, die Eier und den Hans nach Oybin. Der aber sah stolz in dem ansehnlichen Gefährt, und so auf der Fahrt durch Olbersdorf jemand grüßte um der an den Zeichen erkenntlichen Decken willen, grüßte er kaum wieder; den Kaspar Zeisig aber gar nicht, als er ihm kurz vor dem Klosterkretscham vorüberkam. Hier hielt Stenzel, und Wünsch sollte mit den Eiern die Botschaft ins Kloster tragen: das Gefährt harre der Väter Zwerk und Markus am Kretscham.
Hans hatte dessen nicht sondere Eile. Es war noch früh am Morgen, gar schön und die hübsche Sabine soeben im Begriff, zur Seiten der Kapelle Siehe unter I. Kap. Nr. 6. den Hügel hinan zu steigen, der sich dem Oybinfelsen vorschiebt. »Wo die geht, kannst du auch gehen,« dachte Hans Wünsch und folgte ihr mit seinem Eierkorbe nach. Oben im dichten Gehölz traf er Sabinen, die so lieblich anzuschauen war, daß er sie umarmte und abküßte, wie sehr sich die Maid auch dagegen stemmen mochte. Endlich hatte sie Luft und schrie laut um Hilfe. Die kam schnell und gewaltig. Zeisig sprang hinzu, prügelte den Wünsch mit starker Gerte sattsam durch und warf ihn rücklings zur Erde nieder, daß es krachte und prasselte; sintemalen Wünsch mit dem weichsten Teile seines Leibes in die Eier flog, also, daß ihrer auch nicht eines in alter, wohlgebildeter Gestalt verblieb. Der zornschnaubende Kaspar Zeisig aber rief, noch bald außer Atem:
»Du Grünschnabel! du Gauch! du Zungendrescher! du Schulsackfresser und Ohrenmelker! nun friß deinen Klackeierkuchen selber!«
Darauf geleitete er die zitternde Sabine zum Kretscham. Als nun Hans Wünsch an Hosen und Wams so viel klebrigen Stoffes spürte, wies er auf die eiergetränkte Stelle und rief ihm zornig-weinerlich nach:
»Das zeige ich aber dem Prior und der Ursula!«
Ringehutt der Prior, war Wünschs geschädigter Kleiderpracht wohl inne geworden, mochte aber dabei an anderes denken, denn er winkte dem Wünsch nach dessen Berichte mit der Hand ab und sagte zerstreut: »'s ist gut!« Durch seinen Kopf gingen ganz andere Sorgen, als Wünschs Hosen. Dagegen später die Ursula! die hat's aber dem Zeisig gesagt!
Von da an stammte ein glühender Haß Wünschs gegen den Kräutermann.
Drei Stunden nach Stenzels Ankunft fuhren die beiden Cölestiner fort durch die schönen Gartengelände des Leitmeritzer Gaues nach der starren Felsenmasse des Königsteins.
Ringehutts Sorgen waren mannigfach. Er hatte mit dem Priorate viel Arbeit, manch Ärgernis, Stoff zu wenig freundlichen Verhandlungen übernommen. Der Schreiberei ob Görlitz's saumseliger Rückhaltung von Zinsen wollt noch immer kein Ende nehmen. Manch andrer noch mußte gemahnt werden. Erneute Versuche, eine Wallfahrt zum Gnadenbilde in Kleinschönau zustande zu bringen, mißlangen Moráwek: Dorfchronik unter »Kleinschönau« S. 20. und scheiterten an der Teilnahmlosigkeit der Bürger Zittaus. Das Haus, darinnen die verjagten Nonnen domizilieret, war einfach verkauft und zu weltlichen Zwecken Moráwek: Dorfchronik S. 8. benutzt worden. In der Stadt machte die Reformation immer reißendere Fortschritte. Die Morgenröte des geistigen Aufschwungs war nicht der milde, sanfte Schein, den die Sonne vorausschickt; sie sah brennend rot aus und das ließ Sturm erwarten, der manches zum Wackeln bringt, was sich dünkt festzustehen.
Nach zehn Tagen kehrten Markus und Balthasar Zwerk von ihrer Reise zurück. Eine solche war damals eilt besonder Ereignis, daher denn die Mönche der Berichte hierüber nicht minder zu hören begehrten als über der Reise Zweck.
Zwerk sagte aus, daß die Cölestiner auf dem Königsteine viel mehr von der Welt sähen und mit ihr verkehreten, als die Oybiner und als sich mit des Ordens Regeln vertrüge. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 48. Es sei aber auch gar zu wundervoll auf Königstein und ungern wende man den Blick von dem schönen Strome tief unten im Tale und dem wildprächtigen Gewirre von Berg und Felsen.
Markus aber sagte zu Gottschalk und Tilgenfaß im stiller Mußestunde:
»Was Ihr mir vom Prior Johannes Mantel berichtet, habe ich bestätigt gefunden. Frater Balthasar hat des Schriftentausches Geschäft fast allein erledigt. Ich aber wurde des Gespräches mit dem ehrwürdigen Manne nicht müde. Seine Seele liegt in seinen Augen, deren mildgewinnender Blick mich allsogleich gefangen nahm. Mannigfach erzählte er von der Bewegung unsrer Zeit, von Luthers Schriften »Babylonisches Gefängnis« und »Mißbrauch der Messe« und über Klostergelübde, so Anno 20 und 21 erschienen waren. Ich hatt solcher Worte Kühnheit noch nicht vernommen. Doch da gerieten wir leider aneinander; der Prior nahm des Augustiners Auflehnung in so mildem Lichte auf, daß ich warm wurde.«
»Und wohl auch etwas heftig?« unterbrach ihn Tilgenfaß.
»Kann sein,« fuhr Markus fort, »denn ich erstaunte über Mantels Denkweise und deren Offenheit. Als ich ihm wegen Luthers des Sophokles Worte entgegenhielt: »das schlimmste Übel ist der Ungehorsam; er stürzt die Staaten, er verheert die Städte, er bricht der Krieger Reihen in der Schlacht. Gehorsam ist des Lebens bester Schutz; ihn muß man hüten wie der Festung Mauern« – als ich ihm vorhielt, daß jener Abtrünnige die Treue zur Kirche, den Glauben der Menschen und ihre Unschuld verrückte, da unterbrach mich der Prior und sagte, vor sich hinschauend, mit Dantes Worten: der Glaube und die Unschuld sind nur bei den Kleinen zu finden –«
Gottschalk wiegte bei diesen Worten gedankenvoll sein Haupt und sagte:
»O wie wahr!« dann setzte er hinzu: »Drum sagt der Heiland: Werdet wie die Kinder.«
»Wir kamen nicht zusammen, der Prior und ich,« fuhr Markus fort. »Zween Tage lang setzten wir die disputationes fort. Alsobald merkte ich auch an den Übrigen auf Königstein, daß die neue Irrlehre wohl sämtliche Mönche anzustecken begonnen und daß Herzog Georg wohlgetan, daß er Fasers Werk: »Aus was Grund und Ursach Luthers Dolmetschung über das neu Testament dem gemeinen Manne billig verboten worden sei«, dem Konvente zur Lehre überreichen lassen.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 245. 235.
»So seid ihr wohl im Zorne voneinander geschieden?« fragte Tilgenfaß. Markus aber erwiderte nach kurzem Sinnen ein gedehntes »Nein!« und fuhr fort:
»Es ist ein eigen Ding um den Zauber des Blickes ehrlicher Augen. Ich weiß nicht, welche Macht mich an den wunderlichen Mann fesselte. Er war wie ein herzer Freund zu mir und sagte: ›O Marce! um des herzreinen Ursprungs willen, aus dem Euer Feuer entflammt, könnt ich nimmer gegen Euch zürnen, wenn auch manch Unterscheid in Meinungen vorhanden.‹ Beim Abschiede aber umarmte er mich bewegt und drückte mir lange die Hand. Und als ich unten im Tale in Stenzels Wäglein saß und stromauf der Elbe entlang wieder gen Leitmeritz fuhr, war mir's schier gar wehmütig ums Herz. Ich sah nur immer in den Strom und die Gedanken gingen mir kreuz und quer und verloren sich darin. Mir deuchte, ich sähe Johannes in den trüben Fluten versinken und es triebe mich, nachzuspringen, den Mann mit den treublickenden Augen zu retten. Mocht wohl auch eine Bewegung gemacht haben, aus dem Wagen zu steigen, denn Frater Balthasar hielt mich am Gewande und fragte: »Bruder Marce, was hast du?« Da riß ich mich los von dem Scheingebilde der Gedanken und mühete mich, mit dem Reisegenossen von dem und jenem zu sprechen. Nun ich aber wieder in St. Paracleti Einsamkeit, kommt mir der Gedanke, ob es nicht – sündhaft sei, das Herz an einen Menschen zu hängen, der – der nicht gar treu an unsrer heiligen Kirche zu hangen scheint. – Ich bin sehr betrübt.«
Die beiden Fratres saßen dabei und sagten nichts. Wenn in der Menschenbrust Zwiespalt entsteht, wenn Kopf und Herz miteinander streiten, da finden sich keine Worte. Es machte jeder für sich allein ab.
Das Läuten eines Glöckchens in der sechsten Abendstunde riß die drei Mönche aus ernstem Sinnen. Es rief zum Refektorium. Sie erhoben sich und gingen nebeneinander, als ob diese Stunde einen engen Anschluß erzeugt hätte.
Und dieses Sinnen und Ringen, so oft es auch durch gegenseitig Aussprechen einen Ausweg gesucht, verlor sich nicht. Der Sommer strich darüber hin und das Ende des herbstlichen Oktobers hatte die Blätter der alten, von den Vorgängern gepflanzten Bäume längst gelb gefärbt. Es sann und rang noch immer im Innern. Markus hatte dem Prior Mantel einen Brief geschrieben, worin er ihn herzlich beschwor, sich nicht in die trübe Flut zu stürzen. Die Antwort darauf kam nicht schriftlich.
Aus Keplitz im Leitmeritzer Gartenlande langten schon süße Weintrauben an – es war am Tage Simonis und Judä –; mit ihnen die vom Boten überbrachte Mähr: »der Prior Mantel ist am 20. Oktober aus dem Kloster entwichen und gen Wittenberg zu Luther gegangen. Auch der Cölestiner Urban Kaiser ist fort.«
Darob entstand beim Mittagessen ein lebhaft und erregt Gespräch. Manch böser Name ward dem Mantel nachgerufen. Markus brachte kein Wort über die Lippen; erst als Frater Pedex ihn fragte, warum er von dem köstlichen Gewächse so wenig esse, brach er sein Schweigen und sagte: »die Trauben schmecken mir bitter«.
Und bitter blieb es ihm. Das machte, er hatte der Süße des Traubensaftes nicht geachtet, sondern nur der bittern Schale Geschmack behalten. Den Johannes hielt er für die Schale. Und doch war dieser der Most, welcher nach der Gärung Zeit sich läuterte zu edlem Weine. –
Während dieser Vorgänge hatte in Zittau der Ratsherr Schönlein Annen Rosinen, sein herzlieb Eheweib, durch den Tod verloren; sein klein Töchterlein Gertrude die beste Mutter. Wohl übernahm Trudchens Muhme Christine, des Ratsherrn Geschwister, die Erziehung und das Kind blieb in guten Händen. Aber Schönlein war voll großen Leides und bestellte bei den Vätern auf'm Oybin, denen er annoch ganz zugetan, eine Seelenmesse für die Hingeschiedene. Markus sollte sie lesen. An einem Altare stand er und tat seine Pflicht aber mit geteiltem Herzen. Mitten in die Gebete für Annen Rosinen fuhren ihm die Gedanken an Mantel wild und mild hin und her. Kopf und Herz, strenge Menschensatzungen und der Person Wertschätzung stritten heftig miteinander. Der Freundschaft Regung ging nicht unter, aber sie verhielt sich jetzt gegen früher wie das Ausklingen eines letzten Echos zum lauten Knalle des zuvor gelösten Schusses. Wie wir beim Ertönen eines solchen auf die Antwort lauschen, die uns von dem Berge gegenüber noch immer gewaltig wiedergeben wird, dann aber aus den umliegenden Schluchten matter und matter hervordringt; wie uns ferner, wenn wir meinen, des vielfachen Echos Ende vernommen zu haben, zugerufen wird: »Still, still! es kommt noch einmal!« und wir hören weit hinten wie aus einem sehnsuchterweckenden Zauberlande noch ein dahinsterbendes Getön der Nachahmung – so klang in Markus' Brust noch eine freundliche Stimme des Menschen für den Menschen, nur schwach; aber es dünkt uns immer, als sei gerade das letzte, schwächste Echo das schönste; wir bewahren es in unsern Erinnerungen viel länger, als den ersten Schutz. Und so wir wähnen, eine Kluft trenne uns von dem, was uns einst nahe stand, so baut doch die Menschlichkeit noch immer eine Brücke aus feinem Stoffe: der Wehmut. –
Der Übertritt des Priors Mantel hatte groß Aufsehen erregt. Voll Haß gegen die neue Lehre, ergrimmte Herzog Georg von Sachsen in hellem Zorne und verordnete strenge Untersuchung; die Königsteiner Mönche erschienen ihm schon früher verdächtig. Auch auf die Oybiner, deren einer Mantel dereinst gewesen, ging sein Unmut über. Da aber die Oberlausitz damals zur Krone Böhmen gehörte, Moráwek: Dorfchronik Grotz-Poritsch S. 5. so konnte er ihnen nichts anhaben. Um so strenger wurde er gegen die Insassen des Klosters seines Landes.
Dort war an Mantels Stelle wieder der frühere Prior, Petrus, getreten, der, wie alle übrigen Mönche, in großer Mutlosigkeit im Kloster noch aushielt unter manchem Mangel. Des Herzogs einstige Stiftung von 200 Gulden zur Erhaltung des Klosters wollte nimmer langen. Den Oybinern, so den Stiftungsbrief über selbe Summe verwahrten, wurde bald hinterbracht, die Königsteiner hätten unterm 2. Dezember dem Herzoge geklagt: daß sie sich von den 200 Gulden nicht möchten erhalten; daß sie weder Malz, Korn, Fische, noch Gewand besäßen. Statt des Erbetenen kam eine zornige Antwort des Herzogs, darinnen er ihnen schrieb: daß er ob der eingerissenen Unordnung mitsamt dem Meißner Bischof früher auf dem Königstein gewesen, den Mönchen auch ein Buch gegen Luther dort gelassen, dies aber nichts genutzt habe, sondern ihr Prior meineidig geworden und ausgelaufen sei und wie es nun ihre eigne Schuld, daß es ihnen jetzt so traurig ergehe. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 234. usw.
Die Mönche hatten bald darauf, am 9. Dezember, antwortend ihre Unschuld versichert und sich sonst verteidigt. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 234. usw.
Über das Vorgefallene zeigten sich die Meinungen der Oybiner Cölestiner geteilt. Uttmann, der Subprior, sah ein baldiges Ende des Königsteiner Schwesterklosters voraus.
»Die Wittenberger Gedanken,« sagte er, »sind schier zu einem Strome angeschwollen. Schwer wird es Schwachen werden, dagegen zu schwimmen.«
Frater Wenscher wendete ihm ein: »Wie könnt Ihr an der Macht unsrer heiligen Kirche zweifeln? Sie wird die Ketzer zerschmettern. So viel an uns ist, müssen wir das Filialkloster unterstützen, schon um deswillen, daß der arge Feind keinen Triumph erlebe. Ich baue auf die Kraft unsrer Kirche.«
Man stritt sich hin und her, aus feuriger Überzeugung, aus Trieb der Selbsterhaltung und – auf Grund geheimen Wandels eigner Ansichten.
Das Morgenrot färbte sich immer greller; der Wind ward zum Sturme.
Zu Beginn des Jahres 1524 zählte Königstein nur acht Mönche. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 234. usw. Noch gaben Wenscher und etliche Genossen die Hoffnung zur Erhaltung nicht auf. Den ganzen Winter hindurch wurde disputiert und geschrieben. Pedex's Satire wollte gar nicht mehr hasten. Da ließ ihnen Martin Protz, der Zittauer Komtur der Johanniter, die Kunde zukommen: »Zu Anfang Aprilis sei der Prior Petrus mit dem Erlöse eines Tisches und einer Kuh vom Kloster Königstein geflüchtet und am zwanzigsten desselbigen Monats seien auch die Fratres Backmann aus Rochlitz, Buchner aus Erfurt und Jonaß aus Pegau entwichen.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 234. usw.
Da lag die Hoffnung auf des Klosters Fortbestehen ganz darnieder. An ihre Stelle traten die ersten ernsteren Besorgnisse um das eigne, sowie Entrüstung über solch abtrünnig Wesen. Gottschalk sagte: »Es ist nicht zu entschuldigen, aber erklärlich.« Markus aber und etliche von gleicher Gesinnung sagten empört: es sei verdammungswert. –
Den Mai heißet man gemeiniglich den Wonnemonat. Das war er auch in diesem Jahre. Doch müssen die wonnigen Reize, wenn sie wirken sollen, mit des Gemütes Verfassung übereinstimmen. Bei den Mönchen droben auf des Oybins Höhe blieben sie unbeachtet.
Am neunzehnten Tage des Wonnemonats meldete der Pförtner dem Prior Ringehutt, es seien zween der Fratres vom Königstein kommen mit einem herzoglichen Schreiben vom 16. Mai. Ringehutt empfing die Überbringer und das Schreiben, also lautend: C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 49: »Wirdigen lieben Andechtigen. Nachdem wir, wy euch wissende, furgehnomen, vormittelst gottlicher hulff vff vnßerm berg Künigstain eyn Cloester ewers Ordens aufftzurichten, und wywol wir ein tzeit hero etlich Vatter dosselbist vnderhalten, hat es doch nach Jtzigen weltleufften nit bestehen noch furgang haben wollen« usw.
»Würdigen lieben Andächtigen!
Nachdem wir, wie Euch wissende, vorgenommen, vormittelst göttlicher Hülf auf unserm Berg Königstein ein Kloster Eures Ordens aufzurichten, und wiewohl wir ein Zeit hero etliche Väter daselbst unterhalten, hat es doch nach itzigen Weltläuften nicht bestehen noch Fortgang haben wollen.«
Dann berichtet das Schreiben weiter: daß von den letzten drei Mönchen: Simon Luckau, Martin von Liebenwerde und Simon, der Prokurator, die beiden ersten davongegangen nach Senftenberg. Dort aber seien sie vom Amtmann Preßler festgehalten und nach Anfrage auf Herzogs Befehl nach Dresden gebracht worden.
»Weil wir denn befinden,« endigt der Fürst, »daß unser Vornehmen mit dem Kloster auf diesmal nicht Vorgang haben will, und Ihr Euch vormals erboten, welche wir von denen auf'n Königstein Euch zuschicken würden, daß Ihr die aufnehmen wolltet; diese Zween, Simon von Luckau und Martin von Liebenwerde auch bei Euch im Orden zu sein begehren, schicken wir Euch dieselbigen hierbei zu, der Zuvorsicht, Ihr werdet Euch nach der Regel und Satzung Eures Ordens der Gebühr gegen ihnen wohl wissen zu halten.«
Als der Prior das Schreiben durchgelesen, zog er seine Stirn zu finsteren Fallen zusammen. Er trat ans Fenster und blickte hinab in den wilden Hausgrund. Nach einigem Sinnen entließ er beide Ankömmlinge mit der Weisung an Balthasar Zwerk, die Gäste im refectorio mit Speis und Trank zu erquicken.
Noch selben Tages berief Ringehutt den Konvent. Der war darin einig, daß die beiden Flüchtlinge bei ihnen keine Aufnahme finden könnten. Das wurde dem Herzoge in lateinischem Antwortschreiben kund gegeben, ingleichen der Wunsch, der Herzog solle die beiden für ihr Verbrechen bestrafen und gen Italien senden. Folgt Unterschrift: Raptim ex monasterio montis Paracleti, vulgariter Oybin. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 49
Des Bleibens der beiden Königsteiner war nicht lange. Am 20. Mai mußten sie wieder fort. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 236. Weil aber die Oybiner Fratres besorgt waren um das, was sie an Geräten, Büchern, Briefen und Privilegien usw. dereinst dem Filialkloster aushilfsweise überlassen, so wurden Laurentius Voit, der Prokurator, und Zwerk beauftragt, mit den Königsteinern gen Dresden zu ziehen und dem Herzoge das Eigentumsrecht vorzustellen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 236.
Wie die Begleiter später berichteten, hat der Pirnaer Landvogt auf Herzogs Geheiß den Inventarbestand mit der Oybiner Hülfe geprüft Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 236. und das Verschwinden von acht Büchern konstatiert. Ein Kreuz und eine als Abendmahlschale benutzte Patene waren von den Oybinern schon früher zurückgenommen worden.
Des Schreibens und weltlicher Geschäfte Drang wollte kein Ende nehmen. So es sich um Mehrung und Festigung der Klostergüter gehandelt hätte, würden des Priorates Lasten wohl zu ertragen gewesen sein. Wird doch jeder als Eigentum einen Zentner Gold lieber tragen, denn einen Zentner Steine. Das Gold blieb aus; dafür wurde ein Stein des Anstoßes nach dem andern ins Kloster geworfen. In die alte Harmonie alter Zurückgezogenheit drang Mißton auf Mißton.
Am siebenundzwanzigsten des Wonnemonats ließ sich abermals ein Mönch vom Königstein melden. Urban Kaiser bat um Aufnahme. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 49. 50. Nur leibliche, Erquickung erhielt er; dann mußte er von dannen ziehen.
Zwei Tage darauf langte ein Brief des Herzogs an; er wollte den aufbewahrten Stiftungsbrief zurück haben. Wohl wurde dessen Auslieferung nicht abgelehnt, aber des Klosters Vorgesetzte waren einzig der Papst und der Prälat des Mutterklosters zu Sulmona. Des letzteren Einwilligung wollte man zuvor einholen.
Solches Schreiben des Priors an den Fürsten kreuzte sich mit einem anderen Briefe des Herzogs, der unter dem Datum des 1. Juni folgende Jeremiade aufgesetzet: »Der abgewiesene Urban Kaiser habe ihm berichtet C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 49. 50.: er sei ein armer, hin und her gejagter Gesell und sehne sich nach Ruhe und Zuflucht. Er habe sich nach dem Oybin gewandt; aber schon zu zween Malen habe man sich allda geweigert, ihn aufzunehmen und ihn nach Rom und Sulmona gewiesen. Er besäße aber keinen Heller. Er, der Herzog, möge sich doch erbarmen und ihm etwas reichen; er wolle nicht ein Landläufer bleiben und gern sich mit Arbeit ernähren. So nun – schrieb der Herzog – Männiglich ein Erbarmen mit solch armen Manne haben müsse, bäte er die würdigen und lieben Väter zu St. Paraklet, sich doch seiner anzunehmen. Daran tut Ihr über die Belohnung, so Ihr sonder Zweifel deshalb von Gott empfänglich sein werdet, uns sonder gefallen.« C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 49. 50.
Der Glieder des Konvents gab es nur wenige, die für Aufnahme waren. Die erbitterte Mehrzahl verweigerte sie. Ein Brief ward aufgesetzt, darinnen die abermalige Ablehnung der Aufnahme jenes Abtrünnigen begründet, im übrigen geschlossen wurde: »Sonst Ew. Fürstlichen Gnaden zu dienen und zu geleisten untertänigsten Christlichen gehorsam, sein wir allezeit groß beflissen.« C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 49. 50.
Auf solche Antwort und sonstigen Widerpart mocht der Herzog vielgrimmig geworden sein, wie anders denn nicht zu erklären, daß er sich nunmehr weigerte, der Oybiner Gerät und Bücher vom Königsteine zurückzugeben. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 236. Daß darob groß Murren und viel Unwille unter den Cölestinern entstand, konnte nicht Wunder nehmen.
Bei dieser und den vorausgegangenen Mißhelligkeiten allein blieb es nicht. Es war, als sollte immer mehr und mehr auf das Kloster einstürmen. Wiederum verzögerte die Stadt Görlitz die Zahlung fälliger Zinsen; wiederum mußten der Brüder zween entsendet werden, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 217. sie zu betreiben. Und damit das Maß voll werde, ging dem Kloster durch dritte Hand die Kunde zu, daß der Abt von Sulmona, Placidus von Calabria, an den Herzog ein Schreiben Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 222. gesandt, worin er nicht allein über die Unbeständigkeit der Königsteiner, sondern sogar über diejenige der Oybiner Cölestiner klage und die demütigende Entsendung einer Visitations-Kommission nach Kloster Oybin in Aussicht stellte.
Solch unverdiente Kränkung erfüllte die Mönche mit großer Entrüstung. Man lebte einfach, fastete und betete zu allen Tages- und Nachtzeiten, welch anstrengenden Dienst auszuhalten nicht so leicht war. Man arbeitete viel in gelehrten Dingen und kam mit der Welt selten, nur dann in Berührung, wann es galt, in Zittau vorgeschriebene Messen zu lesen, Geschäfte zu erledigen und wohlzutun. Daß sie, soweit an ihnen, gern Frieden und auf gute Nachbarschaft hielten, konnte doch unmöglich als Unbeständigkeit gelten.
Markus vermochte nicht, den Verdacht zu unterdrücken, daß einer der abgewiesenen Königsteiner Cölestiner sie erheblich angeschwärzt und verleumdet habe. Da die Wahrscheinlichkeit dessen auch den andern einleuchtete, so blieb die ganze Summe des Unwillens auf jenem Abtrünnigen haften.
Der wunderliebliche Lenz gab sich Mühe, zu mildern und zu trösten; aber er war droben auf dem mons Paracleti ob der vielen Trübungen des Lebenshimmels weder gehört noch gesehen worden. Und nun schien die Julisonne heiß und brannte auf die Häupter, so doch ohnehin der Kühlung bedurft hätten. Es sollte aber noch heißer werden.
Hans Wünsch kam am 24. Juli ins Kloster, diesmal stolz zu Fuße, und überbrachte ein Schreiben, daraus ersichtlich war, daß nunmehr auch Simon, der letzte der Königsteiner, das dortige Kloster verlassen. Im Väterhofe hatte er an den Prior Ringehutt geschrieben und mit Zuversicht gebeten, ihn auszunehmen. Er wurde auf'm Oybin gar nicht erst vorgelassen. So kurze Zeit hatte noch keine Sitzung des Konvents gedauert, wie die über Simons Gesuch. Einen entwichenen Untertan des Herzogs aufzunehmen, des Herzogs, der ihnen ihr Eigentum vorenthielt, das wurde in wenigen Minuten abgelehnt.
Der Prior beauftragte die Fratres Wenscher, Markus und Pedex, sich in Väterhof zu begeben und dem harrenden Petenten die Meinung des Konvents auseinanderzusetzen. Auch sollten sie redlicher Weltleute etliche hinzuziehen Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 236., daß diese als Zeugen für die Berechtigung ihrer Gründe dienten.
Tags darauf wanderten die drei Erwählten gen Zittau in das domus Paracleti. Dorthin ließen sie den Ratsherrn Schönlein, sowie etliche wohlansehnliche, ihnen ergebene Bürger entbieten, den Eröffnungen an Simon beizuwohnen.
Weil nun der Weg vom Oybin heiß und staubig gewesen, stärkte Ursula die Väter bis zu der Zeugen Ankunft mit kühlendem Tranke. Hans Wünsch half bedienen. Der hatte heute ein kindlich-fromm Gesicht aufgesetzt, also, daß Markus freundlich zu ihm sprach und die wohlgünstige Rede mit den Motten schloß: »Halte dich brav, mein Sohn!« Dann wandte er sich an die Konfratres und sagte: »So wir doch bald eines Schreibkundigen im Väterhofe bedürfen werden, möchte ich den Hans Wünsch wohl empfohlen haben.« Die anderen hatten nichts dagegen. Wünsch konnte sich der Bestallung als Schreiber und sonstiger Gunst mit ziemlicher Sicherheit freuen, denn Markus galt beim Prior viel und hielt in allen Dingen Wort.
Ursula erfuhr von ihrem Lieblinge alsbald die frohe Kunde; darauf Hübner, der Wucherer, mit widerlichem Lächeln zu Wünsch sagte: »Da wird's gar schöne Gelegenheit geben zu manch einem Nebenverdienstchen,« was Wünsch durch ein verständnisvoll Kopfnicken nicht in Abrede stellte.
Wie sich nach dem Vorausgegangenen wohl denken liest, fiel die Begrüßung Simons durch die Oybiner sehr kühl aus; war ihnen doch im Konvente zugleich zur Wissenschaft gelangt, daß Simon zuvor beim Herzog gewesen und diesem etliche der vom Oybin stammenden Schriften und Urkunden übergeben hatte. Als nun Simon nach der Verhandlung Eröffnung nochmals seines Wunsches gedacht, ingleichen: daß er zu einer Wanderung zum italienischen Mutterkloster zu gebrechlich – da gab ihm Pedex Beschluß und Gründe des Konvents kund: ihm die Aufnahme zu versagen mit aller Bestimmtheit.
Das hätte Simon nimmer gedacht. Schien ihm zwar, als sei der kühle Gruß beim ersten Sehen kein gut Zeichen, so glaubte er doch nicht an seine Abweisung; zumal er Grund hatte, anzunehmen, sein widerrechtlich Abliefern von Urkunden an den Herzog wisse niemand. Ihm stieg das Blut zu Kopfe; er antwortete gereizt sprach von Lieblosigkeit und daß solch Gebaren den Regeln des Ordens stracks zuwiderlaufe.
Darauf hatte ihm Pedex mit scharfer, schneidender Rede erwidert: daß kein Zweifel sei, wer des Ordens Regeln besser eingehalten, sie oder die Königsteiner; daß er seinen Namen Simon, der Erhörte, mit Unrecht und nur zu wohlverdientem Hohne trage, denn Männer, wie er, könne Gott und St. Paraklet nimmer erhören.
Ob solcher Rede ward Simon gar zornigen Gemütes. Die Faust auf den Tisch schlagend, gab er dem Pedex manch ein bös Wort zurück. Der Ratsherr Schönlein versuchte zu begütigen; das schlug fehl. Die Stimmung herüber und hinüber wurde nur noch erbitterter. Und als Simon sie an ihren Ordenseid erinnerte, sprang Wenscher entrüstet auf und rief:
»Du Ketzer und Abtrünniger an unsrer heiligen Kirche! wie kannst du wagen, solch Gered im Munde zu führen? Du und alle deine Konfratres, euren sauberen Prior Mantel voran, ihr alle seid von je verschworen gewesen zu schnödem, meineidigem Abfall. Falschheit und Treulosigkeit war euer Siegel! Lauheit, Unbeständigkeit, verdammenswerte Verräterei euer Ziel! Gehe von uns hinaus und kehre nicht wieder!«
Und ehe Simon erwidern konnte, rief Markus erzürnt:
»Du bist ein treuloser, meineidiger Mensch! Du hast dem Fürsten Herzog Georg zu Sachsen unsre Briefe und Siegel verraten und unsre privilegia seiner Gnaden überantwortet; das gehört nicht einem redlichen Manne an. Wir denken, wenn unsre Briefe kommen von Rom, alles Recht zu fordern von seiner fürstlichen Gnaden. So ich eines Wortes lang Befehl hätte von unsern Vätern, so wollte ich dich lassen in einen Turm werfen, bis wir dich könnten weiter behalten, daß dich die Sonne nicht beschiene!« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 237.
Wie brausender Sturm flogen die gespitzten Worte hin und her. Simon begann, hochrot im Gesicht, die Sprecher zu überschreien. Schönlein nahm ihn sanft beim Arme und suchte ihn zum Stillschweigen zu bereden. Da verließ Simon wutschäumend das Gemach, begab sich in den Hof und rang dort schnaufend nach Sammlung. Danach erkundete er die Wohnung eines Wechslers; bei ihm wollte er, obgleich mit Gelde wohl versehen, ein schwer silbern Kettlein verkaufen. Man wies ihn zu Klaus Hübner.
Als er allda eintrat, stand Wünsch dort, der sein Gespräch mit dem Wucherer allsogleich abbrach. Aber Simon hatte Wünschs letzte Worte wohl gehöret und behalten: »Umsonst tu ich nichts; aber für guten Lohn möcht ich wohl manch eines verrichten –«
Das merkte sich Simon, und als er das Silber verkauft, ging er zurück zum Väterhof und fragte insgeheim nach Wünsch. Dem drückte er ein gut Stück in die Hand und sagte:
»Liebwerter Wünsch!« Ihr habt meinethalben heut viel Laufens, Rennens und Zubringens guten Trankes gehabt. Deß will ich euch hier erkenntlich sein.«
Wünsch staunte ob der reichen Gabe. Durch sein Hirn fuhr der Gedanke, bei dem Simon könne in Zukunft was zu profitieren sein. Derhalb setzte er seinem Danke noch hinzu:
»Ehrwürdiger Vater! nicht wert bin ich so großer Gunst und Huld. So Ihr aber sonst anderweit noch meiner bedürfen solltet, steh ich untertänigst zu Dero Diensten.«
Simon wußte, woran er war. Er fragte des Weges nach Görlitz und ging fort, etwas eilig; auf der Treppe erschollen bekannte verhaßte Stimmen. –
Markus war für heute im Kloster an keinen Nachtdienst gebunden. Seinem Schlafe kam dies nicht zugute; er konnte kein Auge zutun. »Euern saubern Prior Mantel voran,« hatte Frater Wenscher im Zorne gegen die Abtrünnigen gesagt, als der heftige Sturm im Väterhause brauste. – Da hörte er in seiner Brust wiederum das sanft ausklingende Echo von Freundschaft und Menschenliebe. Die Klause war ihm zu eng. Er ging hinaus in den Klosterhof, von da durch den Kreuzgang ans felsige Kaiserbett. Hier ließ er sich nieder, sinnend, wie zähe doch noch immer das schwache Echo dem Zornesausbruche Widerpart hielt. Die laue Sommerlust und das sanfte Säuseln in den Tannenwipfeln tief unten im Hausgrunde wiegte ihn in Schlaf. Und als am frühen Morgen Bruder Tilgenfaß ihn an der gefährlichen Stelle in festem Jugendschlafe fand und ihm zurief: »Um Gottes und aller Heiligen willen, Marce! was schaffst du hier? Ein Ruck und du lagst an siebzig Klafter tief unten in der Kluft!« – da rieb er sich noch schlaftrunken die Augen und fragte: »Und der Brief? Was steht in dem Brief?«
»Welcher Brief?«
»– – Mir träumte soeben, Johannes schwebe vor meinem Lager, sähe mich mit guten Augen an und zeigte mit dem Finger auf einen großen Brief, den er mit der Linken emporhielt.«
»Das sind Traum- und Hirngespinste,« sagte darauf Tilgenfaß. »Komm mit, daß du Gebet und Morgenimbiß nicht versäumst; der wird dich auf andere Gedanken bringen.«
Und Markus ging nach Reckung und Waschung der steif gewordenen Glieder zu Gebet und Morgenimbiß. Aber den Traum ward er den ganzen Rest des Jahres hindurch nicht los.