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Erstes Kapitel.
Der Eintritt.

Zu Ausgang des Wonnemonats im Jahre 1522 gab es einen gar heißen Tag. Heiß ging es her beim Landtage Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister unter Jahreszahl 1522. in der ehrenfesten Stadt Zittau, dem alten Chytawa; heiß und schwül war auch die zitternde Luft, so sich doch zuvor, am Morgen, in schöner reiner Bläue gezeigt hatte. Manch Donnerwort erscholl im Sitzungssaale; manch dunkle, sich auftürmende Wolke grollte hinter den nahen, schwarzbewaldeten Bergen im Westen. Das erste Gewitter des Jahres zog heran. Die Bürger der Stadt schauten bedenklich auf die schwarze Wand und sagten: »So das Wetter über den Oywn und Omußberg Oybin und Ameisenberg. zieht, wird es gar grausig und ungestüm. Dann sei Gott uns gnädig!«

Und hoch oben auf dem mons Paracleti, C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 19. – Das erste Cölestinerkloster, zu Majella in Unteritalien, wurde häufig von einer weißen Taube umkreist, dem Zeichen des heiligen Geistes; daher man die C.-Klöster zu Majella, Sulmona und Oybin diesem, resp. dem Paracletus weihete; das oybiner Kloster außerdem noch der Maria, dem heil. Wenzel und dem Stifter des Ordens der Cölestiner. Mons Paracleti: Berg des heil. Geistes. dem gewaltigen Oybinfelsen im Gebirgskessel, knieten die Cölestinermönche im Kloster zum heiligen Paraklet und beteten, daß das Unwetter ohn' Fahr und Schaden verlaufe. Denn schon zuckten die Blitze in der Nähe und zerschmetterten manch eine stolze Tanne der Klosterwälder; schon dröhnte der Donner, von den ringsum liegenden Schluchten und Felsbergen drei-, vierfach wiedergegeben in grimmigem Echogebrüll.

Unten im Tale aber standen im Klosterkretscham, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 181. am Fuße des Oybin, drei Personen und lauschten, wie die dicken Regenstränge herniederprasselten und der Sturm an den kleinen runden Butzenscheiben wütend rüttelte, sie aus der Bleifassung zu drücken.

»Beim heiligen Wenzel, ist das ein Wetter!« sagte Melchior Ullrich Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 184. der Kretschamwirt. »Sabine, geh vom Fenster weg! – und du, Kaspar, solltest dich schämen, bei so bösem Unwetter lustig zu pfeifen!«

Kaspar Zeisig, der lustige Kräutersammler, entgegnete aber:

»Traun! warum soll ich nit fröhlich sein? Unser Herrgott verläßt keinen Kräutersammler nit. Morgen finde ich nach dem Regen Seidelbast, Bilsenkraut und Eisenhut die Menge. Ist's doch auch Euch Gewinn für den Kräuterumschlag an Eurem wunden Beine. So es nit geregnet, hätt ich nit, für morgen Frisches drauf zu legen.«

Ein greller Blitz mit schnell folgendem gewaltigen Donnerschlag unterbrach des Kräutermanns Rede. Ullrich fiel auf ein Knie und bekreuzte sich. Sabine trat vom Fenster weg mitten in die Stube. Zeisig folgte ihr, nicht aus Furcht; er minnete das sechzehnjährige Wirtstöchterlein im stillen und war gar wohlgemut, schon wenn er ein Zipflein ihres Kleides heimlich fassen konnte.

Dem grellen Blitzscheine folgte Dunkelheit. Als aber das Auge sich wieder erholt, blickte Sabine durch die eine hellere Scheibe des Straßenfensters und rief:

»Herr Gott! wir haben ob des Wetters den Hund aus dem Hofe hereingenommen und hier kommt mitten im Regengusse ein Wandersmann! – fadennaß! – er biegt in die Kapelle drüben ein –«

»Warum kommt der Mann nit in Kretscham,« sagte Zeisig, »ein Glas gebrannten Wachholderweines zu schlucken? Die Mutter Maria drüben schenkt keinen.«

»Zeisig,« rief der Wirt scharf, »du bist ein ketzerischer Schlepperer! Hab's längst weg, daß du zu den Lutherschen hältst. So du aber hier in meiner Hausung noch so ein Wort fallen läß'st, schlag ich dir auf dein ungewaschen Maul.«

»Na na! nur nit gar so hitzig,« gab ihm Zeisig begütigend zurück. »So bös war's nit gemeint. Hab doch nur Euern Vorteil im Aug', wenn ich Euch mehr Gäst' wünsche. Was Leut sind denn hier im ganzen Tale? Niemand weiter als die paar Klosterleut: Hans Runge, der Förster; Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 176 – C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 70. Kunz, der Schaffner; Steude, der Brauer und Just-Florian, der Teichwärter. Der Einsiedelmüller kam nit mehr, weil er gar falsch auf Euch ist, erwegen Ihr zum Olbersdorfer haltet. Ich hab ihn aber wieder herbestellt und auch die Olbersdorfer beredt, also daß sie kommen wollen, hie ab und zu einen zu pfeifen. Der fremden Wandersleut wird ja ohnehin immer weniger.«

»Soll mir ganz recht sein,« erwiderte der Besänftigte; »nur laß mir die heilige Mutter Gottes in Ruh. Wenn im Kretscham auch nur Jahr-Ding und Rügengericht abgehalten wird und keine heilige Messe, so soll's doch hier ebenso geschlacht zugehen, wie drüben in der Kapelle.«

Wiederum blendete ein Blitz die Augen. Das Getöse des Donners folgte auch jetzt schnell darauf.

Puck, der Hofhund, verkroch sich unter den großen Kachelofen; Schön verzierte Kacheln aus damaliger Zeit liegen im Oybin-Museum. in der Gaststube blieb es eine Zeitlang still. Danach fing der Hund zu knurren an; er kroch hervor und ließ ein kurz abgebrochen Gebell hören. Er allein hatte durch das Toben des Unwetters Männertritte vernommen. Bald darauf trat ein junger Mann ein, derselbe, den Sabine zuvor das Obdach der Kapelle hatte aufsuchen sehen. Er war ganz durchnäßt.

»Ihr seid zu schlimmer Stunde in unsre Einöde kommen,« redete ihn Ullrich nach der landesüblichen Begrüßung an. »So Ihr nichts andres begehrt, mag Euch eine warme Biersuppe wohl dienlich sein«

»Ich danke Euch,« entgegnete der Fremde. »Ich habe ein Gelübde getan, den Leib nicht eher zu stärken, als bis ich am Ziele meiner Wanderung bin: im Kloster des heiligen Paraklet. Ich bitte Euch, zeigt mir den Weg, daß ich nicht in unwirtliche Klüfte gerate.«

»Das soll gern geschehen; aber – die ehrwürdigen Väter droben nehmen niemand nit auf, der etwan längerer Weil begehret. In alten Zeiten sorgten sie für Speis' und Trank bedürft'ger Wandrer im Kloster selbst. Sie wollten aber ganz ungestört sein und erbauten derhalb ein Hospiz unten am Wege. Weil aber nit gar selten etzliche der Wanderer sich ungebührlich verhalten und ein ungeschlacht Wesen getrieben, so haben die Väter das Haus späterhin eingehen lassen und es als Kapelle der heiligen Maria geweiht Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 183. Das heutige Kellergebäude, von Zittau aus: rechts hart am Fahrwege, gegenüber dem Gasthofe zum Kretscham. von wo Ihr just kommen seid. Zum Pflegehaus aber diente von da an der Kretscham Nahezu dieselbe Stelle, auf welcher jetzt der Gasthof zum Kretscham steht. hier.«

»So ich auch der Stärkung bedürftig, so gedenke ich doch nicht um Leibes Nahrung und Notdurft das Kloster aufzusuchen, sondern für immer allda zu bleiben.«

»Das wird schwer halten,« fuhr der Wirt fort. »Vor ein Jahrer sieben, acht, wollt ein fürnehmer und gelahrter Herr, der Bohuslaw von Lobkowitz auf'm Hassenstein, gern auf etzliche Zeit mit auf'm Oybin wohnen, um der Gesundheit willen und des gebildeten Umgangs mit so gelahrten Vätern. Sie haben's ihm aber abgeschlagen, 8. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 24. wenngleich er ein herzer Freund der Väter und des Klosters war. Stehet also davon ab.«

»Nicht Gesundheit und zeitlicher Umgang ist, was mich in das Kloster treibt. Ich will selbst in den Orden eintreten; auch ist darob schon Meldung geschehen.«

Darauf erhob sich der Wirt vor dem Fremden und beugte den Rücken; das bedeutete Ehrerbietung, die auch angesichts des schmerzenden Fußes nicht gering sein konnte.

»Wenn's so ist,« entgegnete Ullrich, »so geht in Gottes und der heiligen Jungfrau Namen. Aber verziehet noch, bis das Unwetter sich gemildert. Das Kloster räumt noch eine große Strecke und der steile Weg geht an die 400 Schuh hinauf.«

Weil nun der Vater den Fremden für einen angesehenen Mann hielt, so mochte Sabine wohl geglaubt haben, diesen auch immer ansehen zu müssen. Während des Gespräches schaute sie häufig zu ihm hinüber; sie entdeckte ein kleines Mal unter dem linken Ohre, gleich einem Halbmonde. Dann aber versenkte sie sich in seine schönen Züge und dunkelblauen Augen.

Lange Zeit herrschte Stillschweigen in der Gaststube; jeder hatte seine eigenen Gedanken. Selbst Kaspar Zeisig, der lustige Kräutersammler und Naturarzt, war still geworden. Sabines Blicke nach dem Fremden wollten ihm gar nicht behagen.

Das Wetter ließ nach; es war nicht nach der Stadt gezogen; nur fern hinter dem Hausberge grollte der Donner. Darum stand Zeisig auf und sagte zum Wirt:

»Das Unwetter verzieht sich, also, daß ich ohne Fahr nach Olbersdorf zurückgehen kann. Morgen bringe ich frisch Kraut mit. Ich denke: noch zween Umschläge und Ihr könnt wieder festen Fußes auftreten.« Er grüßte kurz und verschwand.

Auch der sinnende Fremde erhob sich und schickte sich an, zu gehen. Ullrich hieß Sabinen, ihm den Weg bis zur Pförtnerei zu zeigen. Diese ging mit dem jungen Manne, sich vor dem sanfter träufelnden Regen mit großem Tuche schützend, also, daß nur ihr niedlich Gesichtchen frisch aus der Umhüllung hervorblickte.

Der Weg bis zur Meierei Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 173 usw. Das jetzige Prüfer'sche Haus mit dessen dicken Mauern, sowie Teile des Flammiger'schen Hauses (Tore) in Oybin gehören dem alten Meierhofe an. des Klosters verläuft ziemlich flach. Dort aber beginnen die in Fels gehauenen Stufen; dort stand auch in alten Zeiten, als der Oybin noch eine Feste trug, das erste Burgtor. Bei des Klosters Gründung, mehr als drei halbe Jahrhunderte vorher, hatte man dieses Tor weggerissen. Die beiden Wandrer schritten d'rum ohne Aufenthalt den steilen Weg weiter, hinauf bis ans zweite Burg-, nunmehr erstes Klostertor. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 128. Noch vorhanden. Allda bewegte Sabine den mächtigen, eisernen Klopfer Dergleichen befinden sich im Altertums-Museum auf dem Oybin. zu lauten Schlägen an die starken, eisenbeschlagenen Torflügel. Der Bruder Pförtner kam aus seiner höher gelegenen Wohnung, so auch wegen des Klosterschneiders Aufenthalt das Schneiderstübel Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 128; in den Umfassungsmauern noch vorhanden. genannt, herab ans Tor und fragte durch ein Lugloch nach dem Begehr.

»Ich bin Markus Arndt,« antwortete der Fremde. »Hier sind Briefe des Abtes von Sagan« – darauf sprach er noch etliches in lateinischer Sprache, das Sabine nicht verstand. Der Pförtner mochte wohl längst Weisung vom Prior Swob Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 141. Die in der Erzählung gesperrt gedruckten Mönchs- u. a. Namen entsprechen den geschichtlichen in der Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 139 bis 144. erhalten haben; er ließ den Fremden ein.

Sabine stand allein außen. Lange blickte sie unverwandt das wieder geschlossene Tor an; darauf schlug sie die Hände ineinander und flüsterte mit einem tiefen Atemzuge: »So jung Blut und so schön!« – dann stieg sie gedankenvoll wieder hinab zum Kretscham.

Andern Tages herrschte dicker Nebel im Talkessel, in dessen Mitte der Oybinfels wie ein mächtiger Bienenkorb lagert. Wohl wich der Dunst um Mittag, aber der Gipfel des im Süden aufragenden Hochwald, des größten Berges am Oybin und nahe grenzend mit der Herren von Leipa Gebiet gegen Gabel und Zwickau, blieb infolge dichten Gewölkes unsichtbar. Die wunderlichen Felsformen auf dem Rücken des Teppers Töpferberg, gegen Südosten vom Oybin. waren verschleiert, und aus dem dicken Walde des gen Norden gelegenen Omußberges stieg manch ein gespenstig Nebelgebilde hervor und floh hinauf zu den Wolken, um mit diesen fortzuziehen, weit um den großen Erdball. Bäre, Wölfe und Luchse brummten und heulten, denn die Biber, Hirsche und Wildschweine hatten sich bei dem Unwetter in sicheres Versteck verkrochen, also, daß die heißhungrigen, blutdürstigen Nimmersatte Mühe hatten, einen Braten zu erlangen.

Der zweite Tag ließ die Sonne öfters durchbrechen und blauen Himmel sehen, der sich in den angeschwollenen Wildbächen spiegeln wollte. Es ging nicht an; diese enthielten zu viel Erde und der Himmel spiegelt sich nie auf der Erde ab.

Wieder ein Tag und die balligen und strichförmigen Wolken zeigten sich verwandelt in schneeweiße Schäfchen, wohl dreißigmal höher als der unverrückbare Oybin. Schäfchen bedeuten immer Gutes. Es folgten Tage des wonnigsten Maienwetters. Was kümmerten den Schwan, was den kreisenden Adler das Geheul der Raubtiere! in sicherem Geröhrig war des ersteren Wohnung, hoch in den Felsspalten des Oybin des Falken Horst.

Unten im Tale, da, wo jetzt freundliche Villen den Wandrer begrüßen, standen zu damaliger Zeit nur wenige Gebäude: außer dem Kretscham und der nahen Kapelle nur noch der Kloster-Meierhof und das Bräuhaus. Die Stelle, auf der jetzt der Wagenschuppen des Dürrlinger'schen Gasthofes steht. Sonst war die Talfläche, in welche die Bergwälder tief herabreichten, zu Ackern, Wiesen und Teichen benutzt.

Florian Just, des Klosters Teichwärter, kam lustig pfeifend dem Kretscham zugeschritten. Daß das Unwetter keinen Damm durchbrochen, mußte mit einem Trunke gefeiert werden. Er tat ihn aus einem schönen Deckelkruge, den er verwundert anschaute. Der Wirt wußte warum; so schönes Gefäß besaß der Kretscham nicht. Der Krug war vom Kloster erborgt worden, als der Zittauer Syndikus und Protonotar Melchior Hausen Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister S. 8 jüngst hier vorgesprochen.

Sowie Just den Krug geleert, erhielt Sabine den Auftrag, ihn beim Pförtner wieder abzugeben. Das geschah. Als aber des Wirts Töchterlein droben stand am Tore, erblickte sie drei der Cölestinermönche in deren weißen Gewändern mit schwarzem Skapulier, dem Schulterkragen. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 22. Sie kannte zwei derselben. Der lange Ernste war der Vater Martin von Jauer, der Kleinere der heitere Andreas Tilgenfaß. Den von Jauer aber sah Sabine mit der Linken nach einer Felskluft des Oybins deuten und hörte seine Stimme, als er anhub:

»Siehe, Konfrater, hier ist der Jungfernsprung. Du hast gestern vom Bruder Laurentius vernommen, daß in früheren Zeiten, als auf'm Oybin noch Ritter hausten, der von Michelsberg gar häufigen Besuch von dem schlauen Junker von Tollenstein erhielt. Als der einst wiederum auf'm Oybin Einkehr hielt, brachte er eine liebliche Maid als Beute mit, so er einstweilig in einer Kemnate der Burg einsperren ließ mit Wissen und Willen des Ritters von Michelberg. Adelheid aber, des Michelsbergers Tochter, hatte Mitleid mit der Maid und half ihr zur Flucht aus der Kemnate. Da sie aber verfolgt ward, klomm das Dirnlein über die Burgmauer, stürzte sich verzweifelnd in die Schlucht und kam dort auf ein Felsstück zu stehen. Von da schwang sie sich von Fels zu Fels hinab ins Tal, also daß sie gerettet ward.« Dr. Moschkau: der Oybin bei Zittau, S. 27.

Der Angeredete wandte darauf sein Haupt und sagte mit voller, schöner Stimme:

»Die heilige Jungfrau hat an der Maid ein groß Wunder getan, denn die Schlucht ist tief und man hätte meinen sollen, die Maid wäre zu Tode gefallen.«

Da erkannte Sabine an Stimme und Antlitz, daß Markus Arndt diese Worte gesprochen. Wie gern hätte auch sie einen Sprung gewagt, um des jungen Mannes schön Angesicht näher betrachten zu können. Weil aber das wäre unziemlich gewesen, so ließ sie nur den Blick ihrer Augen hinüberspringen. Dann wandte sie sich mit einem Seufzerlein und ging hinab ins Tal.

Die beiden Mönche aber führten den neuen Konfrater weiter, ihm die Räume des Klosters zu zeigen. Am Wohnhause der Mönche, gen Westen am Abhange gelegen, begann Frater Tilgenfaß zu erklären:

»Hier, wo du bisher geherbergt, ist das frühere Kaiserhaus. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 128. Umfassungsmauern mit Fenstern noch vorhanden. Kaiser Karl der Vierte hat es Anno 1364 erbauen lassen und darin auch mehrmals geweilt. Das Haus daneben, so jetzo unser Refektorium, Jetzt Oybin-Museum. mag wohl den Rittersaal enthalten haben. Hieran stößt das Haus, allwo unsre Amtsgeschäfte vollzogen werden. Nun wende dich um und schau da am Giebel der Kirche links des Priors Wohnung Der untere Teil davon jetzt als Bahrhaus und Schuppen benutzt., von wo das Auge in die grausige Schlucht des Hausgrundes jäh hinabsieht. Daneben: das Archiv und die Bücherei. Am Giebel der Klosterkirche sieht man noch die Linien der Dachformen der an ersteren angebaut gewesenen Häuser. Laß uns unter ihr hinweg in die Kirche gehen.«

Dort, wo Markus nach seiner Aufnahme noch nicht Muße zur Umschau gefunden, zeigten sie ihm die bunten Weihekreuze Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 125. Zwei dieser Weihekreuze, von denen jedes in einem Kreise von etwa 40 cm Durchmesser sich befindet, sind an der, die südliche Kirchenmauer bildenden Felswand noch vorhanden. Spuren von anderen sieht man in der seitlichen Kapelle neben dem Hochaltare. des Erzbischofs an der hohen südlichen Wand mit deren Freskogemälden Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 126. und führten ihn in die nördlich am Chore angebaute Sakristei, die ehemalige Betkapelle Karls des Vierten. Martin von Jauer drängte zur Eile; die elfte Stunde, die Zeit des Mittagessens, trat bald heran. Darum verließen sie den erhabenen Dom und wendeten sich unter der Bücherei rechts ab nach dem auf lotrechtem Felsen erbauten Kreuzgange. Wer den durchschritten, mußte über eine Zugbrücke Später durch eine steinerne Wölbbrücke ersetzt. aus der Burgzeit hinweg, um am Ende des Domes, südlich hinter diesem, in eine enge, schluchtartige Gasse zu gelangen. Markus erstaunte und Martinus erklärte:

»Es war ein eigen Ding um den Bau. Man hatte Anno 1366 das mächtige Felsstück hier benutzen wollen, um der Ersparnis an Mauerwerk willen, also, daß die Felswand den größten Teil der südlichen Kirchbegrenzung bildete. Da sich aber herausgestellt, daß die Farbe der Fresken und Weihekreuze, sogar hier das Altargemälde der heiligen Jungfrau durch die Feuchte des Gesteins litt, auch der Klang der Orgel und des Gesanges gar dumpf blieb, so hat der Prior Swob von Freistadt vor zehn Jahren das Felsgestein zu dieser engen Gasse herausbrechen lassen Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 129. Diese eigentümliche Gasse ist etwa 20 m lang, 14 m hoch und 2 m breit. An der Nordwand ein eingehauener Totenkopf, doppelt das Cölestinerzeichen und die Jahreszahl 1515., also, daß darauf eine dünne Felswand entstund. Danach wurde es besser. Ob des Muttergottesbildes erbarmt sich hoffentlich einmal ein Künstler, so unserm Kloster wohl will. – Doch wir müssen eilen, so wir zur rechten Zeit im refectorio erscheinen wollen; schon läutet die Tischglocke zum ersten Male.«

Von allen Seiten kamen die Mönche herbei; auch M. Andreas Swob, der Prior, schritt dem Refektorium zu. Er begrüßte Markus und hieß ihm, sich heute in seine Nähe zu setzen.

Das Kloster zählte damals an die dreißig Mönche. Alle waren zugegen; nur einer fehlte noch: Maximilian Rohr. Als der eintrat, stieß manch einer ein heiseres Lachen aus. Rohr war stets der letzte, sogar beim Essen. Vielleicht gab sein erhaben Bäuchlein und sonstige Wohlbeliebtheit Ursache zu solcher Langsamkeit.

Sowie der Prior Platz genommen, ließen die anderen sich zum Essen nieder. Obenan saß Swob, zu seiner Rechten der Subprior, Christoph Uttmann, ein vielgelahrter Herr; zur Linken: Laurentius Voit von Görlitz, der Prokurator, und Balthasar Gottschalk, der bei allen wohlbeliebte. Dann folgten je nach Würden und Dauer der Mönchschaft die übrigen. Nur Markus bildete eine Ausnahme, der nach Priors Geheiß diesem für heute näher saß, somit auch über seinem Nachbar Tilgenfaß. Mit dem Anfange des Mahles begann Bruder Balthasar Zwerk lateinische Psalmen vom Katheder herab vorzutragen, bis das Geläut eines silbernen Glöckchens ihn unterbrach und das Zeichen gab, daß ein allgemeines Tischgespräch erlaubt sei.

Einfach war diese Speise der Mönche. Einsamkeit, Andachtsübung, Gelehrsamkeit und vieles Fasten bildeten die Hauptregeln des Ordens. Jedwedes üppig Leben war ausgeschlossen. Nur bei vornehmem Besuch und an hohen Festtagen gelangte manch ein seltener Braten auf den Tisch, manch ein Krug Keplitzer Weins aus den Gefilden von Leitmeritz; Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 136. manch ein Fäßlein Bier aus des Klosters Gebräuhaus unten im Tale.

Tilgenfaß benutzte die Freiheit des Gesprächs, dem Markus die Nächstsitzenden raunend vorzustellen.

»Dir gegenüber sitzt der würdige Gottschalk und Thomas von Sorau; neben ihm der wohlgenährte Christramus Pedex, ein unverbesserlicher Satiriker und Schrauber. Dann folgt der immer freundliche Hieronymus, nach ihm der verschlossene Michael Wenscher und Hans Spengler, ein Thüringer und eifriger Historiker, von uns zumeist Frater Thüring genannt. Links von mir sitzt Bruder Balthasar, den du soeben psaltieren hörtest; ist ein Geschäftsmann und paßt gut zu Verhandlungen. Daneben der dir bekannte Martin von Jauer; weiß nicht, was Ursach er hat, immer so ernst zu sein, hab ihn noch nie lächeln sehen. Dann folgt Veit Schäfer und Andreas Ringehutt, so bis Anno 9 Pfarrer in Troitschendorf gewesen. Seinen Nebenmann, den Maximilian Rohr, nennen wir kurzweg Frater Max, auch wohl Fabius Maximus, denn er ist ein Kunktator wie weiland sein römischer Namensvetter und hat –«

Hier wurde Tilgenfaß durch den Prior unterbrochen, der sich mit der Rede an Markus wandte und fragte:

»Nun Marce! Ihr kostet seit etlichen Tagen unser einfaches Mahl. Sticht es nicht erheblich ab gegen die Saganer Kost, so ihr früher gewöhnt wäret?«

»Keiner der Sterblichen wurde erzogen, ohne zu leiden,« rezitierte Markus lächelnd Sophokles' Worte. Uttman, der Subprior, fiel ihm freundlich ins Wort und sagte mit Seneka:

»Es darf den Zöglingen nicht mehr gegeben werden, als sie zu fassen und zu verarbeiten vermögen.« Dabei blinzelte er auffällig nach Pedex, von welchem alle wußten, daß er gar gierig auf des Schinkens Wohlschmack war. Pedex merkte des Subpriors Stichelei wohl, suchte sie aber auf den wohlbeleibten Rohr abzulenken, dem er zurief:

»Denn plenus venter non studet libenter.« Voller Bauch studiert nicht gern.

Schon schien das Gelächter einzelner anzuzeigen, daß Pedex's Plan gelungen sei. Doch der angegriffene Rohr erhob sich halb von seinem Sitze und rief:

» Eheu! Pedex petax πετασῶνος«

Da erhub sich ein groß Lachen unter denen, so es gehört; denn dieses Gemisch von Latein und Griechisch sollte nach dem Laufe des Gespräches bedeuten: »O! wie ist Pedex so begierig auf Schinken!«

Der petax Pedex sann auf Wiedervergeltung, konnte aber ob des Gelächters nicht zu Worte kommen. Auch begann nunmehr der Prior wieder zu sprechen.

»Ihr seid zu einer Zeit eingetreten, Marce, die mich befürchten läßt, die Blüte unsers Klosters ist vorüber. Bis vor zwei Jahren noch wuchsen unsere Einkünfte. Anno 10 fiel uns das Legat von Johann Seidel in Zittau zu; Anno 12 besaßen wir hinreichende Mittel zur Erweiterung des Gottesackers und zur Aussprengung der Gasse hinter der Kirche. Görlitz bestellte wiederholt Kürmessen C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 95: »An Vater Mgr. Andr. Schwob, Prior des Klosters Oybin. Vnßre fruntliche dinst Zuvor Wirdiger vnd andechtiger liber vnter besunder gunstiger frund vnd gönner. Nachdem wir alder loblicher gewohnheit noch, ye vff Egidy einen Newen Rath in diser vnsers allergned hern des konigs stat pflege zu kysen und zu bestellen und als ewr. wirdt. wissentlich vnd andern vnser großen anligend sachen halben allewege Zu ewer samlung gebete und andacht zuflucht gehabt vnd noch habin. Bitten wir mit fleis fruntlichen Ewr. wdt. geruth mit ewer samlung vff morgen dinstag aber wo iss nicht fuglich gescheen mochte vff mitwoch nestkunftigen eine schone messe von der empfanng Marie der meit gotis zu singen vnd ewer samlung zu ermanen und antzuhalden in irer andacht got den allmechtigen zu bitten sulch vnser khör des Ratis, doran gnanter stat arm und reich vnd uns allen vil gelegen ist und andere sachen vff den besten weg zu fugen Seiner allmechtigkeit zu lobe vn Eren vnd arm und reich disser stat zu nutz fromen und selikeit. Geben am Montag vor Egidy.« (1500.) – Ähnlich C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 96. vom Jahre 1506. und solche für die Dreifaltigkeitskirche in Zittau. Wir konnten sogar durch Ankauf eines großen Teiles von Oderwitz unsere Güter vermehren. Von 1520 an aber begannen Legate, Meßbestellungen und sonstige Einkünfte erheblich abzunehmen. Wir waren in jenem Jahre sogar gezwungen, Görlitz um Zinsen zu mahnen. Noch heute ist darob viel der Schreiberei. Die Grenzstreite mit denen von Leipa wegen des Hochwaldrevieres sind im vorigen Jahre zwar gütlich beigelegt worden, aber wir sehen doch, wie die sonstige Verehrung unserer heiligen Stätte mälig zu erkalten anfängt.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 244; zur ganzen Rede des Priors.

»Das ketzerische Wesen, so von Wittenberg ausgegangen, hat auch die Lausitz angesteckt,« fuhr Uttmann fort. »Der Rat zu Zittau hat voriges Jahr sogar einen lutherschen Oberpfarrer eingesetzt, den Magister Lorenz Heidenreich, Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister unter Jahreszahl 1521. und seitdem dieser dort amtiert, sind denn auch die Wallfahrten zum Gnadenbilde in Kleinschonichen Klein-Schönau. gänzlich unterblieben. Moráwek: Dorfchronik. unter »Kleinschönau« S. 20. Ich fürchte, der ganze Zittauer Rat ist schon angesteckt und mit ihm die Stadt.«

»Noch sind in Zittau, so unsrer Kirche und dem Kloster treulich anhangen,« sagte Gottschalk: »auch vom Magistrate. Der Ratsherr Schönlein hat vom Glauben nicht gelassen. Und gerade dieser versicherte mir, daß die eifrigsten Anhänger der neuen Lehre, unter ihnen der Syndikus Melchior Hausen und M. Heidenreich, viel Gutes von uns hielten und gesagt hätten: des Lobkowitzers oft besprochener Brief an Domaslaw enthalte die volle Wahrheit, so darin stünde, die Oybiner Klostergeistlichen seien hochachtbar als Männer von Gelehrsamkeit und Bildung, von religiösem Geiste, unbescholtenem Wandel und preiswürdiger Humanität. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 23. Den Magister Heidenreich habe ich beim Ratsherrn Schönlein selbst kennen gelernt, und ob wir wohl in Glaubenssachen auseinandergehen, muß ich doch bekennen, daß er ein Mann von großer Gelehrsamkeit und Biederkeit ist.«

Michael Wenscher, der Verschlossene, zog bei diesen Worten sein Gesicht in finstere Falten. Er war empört über den Zittauer Anhang an die neue Lehre und sagte:

»Weit ist es kommen mit den Ketzern. Groß Macht müssen sie schon haben, daß sie wagen konnten, im vorigen Jahre die Regel-Nonnen zu vertreiben Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister unter Jahreszahl 1521. und die Franzis –«

»Wenn jemand den verderblichen Ketzergeist verurteilt, so bin ich es,« unterbrach der Prior den Vorigen. »So aber die Nonnen verjagt worden sind, ist ihnen recht geschehen. Der Unwille über deren und der Franziskaner lüderlich Leben E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 34. war groß in der ganzen Stadt, bei Katholischen und Lutherischen. Auch die Franziskaner werden kein langes Leben mehr haben; sie treiben's zu arg und schaden unsrer Kirche. Um so mehr haben wir Ursach, wieder und immer wieder zu beten, um Schutz unsrer heiligen Kirche vor dem Irrgeiste der neuen Lehre und vor eigener Schwachheit. Wir wollen uns rein halten!«

Ernst erhob sich der Prior, mit ihm die ganze Schar der Mönche. Nach dem Schlußgebete galt die Tafel für aufgehoben. Die einen wandelten nach dem Kaiserbett, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 112. Felsbank hart am nördlichen Abgrunde. dem Platz hart am Rande des schroffen Felsens, an welchem Kaiser Karl IV. des öfteren verweilt. Andere zogen sich ins Kaiserhaus zurück oder bestiegen den höchsten Punkt des Oybins, sich des schönen Tages, der herrlichen Aussicht zu erfreuen, solange die Glocke noch nicht zur Andacht, zur Bücherei oder ins Amtshaus rief, je nachdem der Dienst da- oder dorthin verlangte.

An der Südostseite des Oybins sieht man noch heute mehrere in das Gestein getriebene Bänke am »Kegelsteine«. Dort war der Kegelschub Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 129. der Mönche, ein stilles, lauschiges Plätzchen mit der Aussicht auf den Hochwald und in das Oybiner Tal. Gottschalk, Markus und Tilgenfaß hatten diesen Teil der Klosteranlagen erwählt, um nach dem Mittagsmahle sich ungestört zu unterhalten. Die bei Tische ausgesprochenen milden Urteile Gottschalks über ketzerische Personen Zittaus hatten Markus mit unwilligem Erstaunen erfüllt. Nach Verlassen seiner nordischen Heimat im Anhaltischen war er im Kloster zu Sagan unterrichtet worden, hatte darauf voll Feuer für seine Kirche das ernste Cölestinerkloster aufgesucht, im Gegensatze zu vielen Jünglingen, die sich andere Orden wählten, um nicht so ernst und fast immer im Chore sein zu müssen C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 23. Anmerk. 1.. Hier, im Kloster St. Paraklets, erwartete er nun eisernen Widerstand gegen die auftauchende reformatorische Bewegung. Wohl hatte er an Wenscher und anderen Brüdern denselben Feuereifer vorgefunden, der auch ihn ergriffen; im ganzen aber erschienen ihm die Urteile der Mönche zu matt. Das war der Grund, weshalb er sich an Gottschalk anschloß zu ernstem Gespräche.

Könnten jene Felsen am Kegelschub sprechen, sie würden uns erzählen von der heftigen Sprache des Markus gegen Ketzertum und laue Mönche, von den väterlich humanen Entgegnungen des geistvollen Gottschalk und von des Vortrages Ruhe, dem Ausflusse seiner toleranten Gesinnung. Das dämpfte Markus' Heftigkeit, also, daß das Gespräch leichtlich auf anderes überging, auf des Klosters innere Angelegenheiten. Tilgenfaß verhielt sich sinnend.

»Vor sechs Jahren,« erzählte Gottschalk, »hat uns ein Konfrater verlassen, den wir nur ungern haben ziehen sehen. Johannes Mantel, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 144 usw. Daselbst eingehendere Beschreibung dessen Lebenslaufes. aus Kottbus gebürtig, war als liebenswerter Mensch unsre Freude, als Glaubensforscher und Gelehrter unser Stolz. Als Herzog Georg von Sachsen auf dem Felsen Königstein am Elbstrome Anno 1516 ein Cölestinerkloster gegründet, bat er uns, etliche der Unseren dahin zu entsenden. So entschloß sich Bruder Johannes zur Übersiedelung nach dem Königstein als Subprior; mit ihm Petrus Zoranus, der Sorauer, der dort Prior ward. Ebenso die Konfratres: Simon von Luckau, Martinus von Liebwerde, Simon der Prokurator und sieben andere noch. Petrus gab das Priorat bald auf und Mantel trat an seine Stelle.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 232 usw.

»Warum, Bruder Gottschalk, setzest du die Freude am Menschen vorauf, Glaubensforschung aber und Gelehrsamkeit zu zweit?«

Auf diese Frage des Markus erklärte Gottschalk mit Ruhe und sondrer Betonung:

»Weil ich das Sein des Menschen höher schätze als das Wissen.«

»Und das sagt mir ein Gelehrter

»Just weil ich der zu sein beflissen bin.«

Darauf herrschte kurzes Stillschweigen. Gottschalk unterbrach es, indem er fortfuhr, sich weiterhin des Lobes Mantels zu verbreiten, bis der Glocke Geläut zum Abbruch des Gespräches mahnte. Beim Fortgehen hielt Tilgenfaß den Markus zurück und sagte:

»Ich bin des wohl inne worden, daß Gottschalks Worte und Wesen Eindruck auf dich gemacht. Weißt du wohl auch warum?«

»Nun?«

»Siehe, wenn du dem Puck, des Kretschamwirtes Hund, eine Wurst vorhältst und rufest ihm mit freundlichem Tone zu: »Komm Pucklein! hier hast du eine Wurst!« so wird er alsobald herfürkommen, mit dem Schwänze wedeln und die Wurst fressen. So du nun anderweit genau dieselbigte Wurst ihm darbietest und ihm genau dieselbigten Worte zurufst: »Komm Pucklein! hier hast du eine Wurst!« aber mit barscher Donnerstimme – siehe, da wird der Hund den Schwanz furchtsam einziehen und ausreißen.

»Nun?« fragte Markus erstaunt, » Omnia haec verba quorsum redeunt?«

»Der Sinn der Rede? Bruder, das gelehrte Wort allein tut's nicht. Sprichst du's aber mit einem Tone aus, der eine freundliche Gesinnung kundet – dann wirkt's. Das Sein steht über dem Wissen.«

»Das Prinzip läßt sich hören,« sagte Markus nach kurzem Sinnen. »Wenn anders aber ich mich nicht täusche, so zielest du auf meine Person.«

»Ja.«

»Und warum?«

»Marce! – Du bist heftig

Markus stand verblüfft; das Blut strömte ihm rebellisch ins Gesicht; das tut es fast stets, wenn eine unliebsame Wahrheit ausgesprochen wird. Der Kampf war nur kurz; dann tönten in ihm sinnverwandte Saiten. Er faßte des Konfraters Hand und verrichtete Gottesdienst, indem er sagte:

»Und du bist ehrlich!«

Darauf ging er mit Tilgenfaß, der vorgeschriebenen Gottesdienste zu üben. –

Bis abends 5 Uhr währten die Andachten in der Kirche. Währenddessen arbeitete der Prior an seinem Werke Neue Lausizische Monatsschrift anno 1802. II. Teil, 102. Das Werk ist betitelt: » Selecta quaedam ex Inuentario monasterii montis paracleti, alias Oywin, Coelestinorum ordinis, de priuilegiis, iuribus rebus et bonis Stabilibus, cautelis, literis ac certis vtilitatibus, consignato per fratrem Andream Swob Freistadensem. über den Oybin. Es wurde ihm nicht leicht. Seine Wohnung hatte, weil nach Norden gelegen, wenig Sonnenscheins, darum denn auch ein lästiger Geselle, das Reißen in den Beinen, sich um so eher festsetzen konnte Die ablenkende Macht geistiger Arbeit hätte ihn des Leibes Gebresten vergessen machen können; da er aber zu deren Milderung den Kaspar Zeisig zu sich bestellt und dieser mit dem verlangten Kraute soeben eintrat, legte er die Feder nieder. Zeisig verlangte, der hochwürdige Prior sollte sich erst ein Stündlein Bewegung machen, auf daß das Geblüte untereinander käme; danach das Kraut auflegen. Dieses Gebot und weil Swob die Landschaft gar so lieblich im Sonnenschein erglänzen sah, bewog ihn, die Konfratres zu einem Kegelspiele einzuladen; das setzte er auf 5 Uhr fest.

Hierzu erschien eine nicht kleine Anzahl der Mönche. Balthasar Zwerk erbot sich zum Aufsetzen der Kegel; Veit Schäfer hatte ein Fäßlein Bier in die Felsennische Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 129. Noch zu sehen. eingelegt, ohne Priors Geheiß. Doch Swob lächelte und winkte mit der Hand, als Zwerk das Gefäß schier bedecken wollte: er solle es nur liegen lassen.

Mannigfaltig war des Gebarens der Mönche, als das Spiel im fleißigen Gange. Wenscher hatte sich mit Laurentius, dem Prokurator, in ein ernst Gespräch eingelassen, also, daß er immerdar erinnert werden mußte, wann des Schiebens Reihe an ihm war. Max Rohr kam wie immer, so auch hier, spät nach. Er schob nicht mit, es war ihm zu anstrengend. Christramus Pedex hatte im Archive sein weiß Gewand mit Tintenklexen verunzieret. Das war ihm unlieb, darum er bei seiner Ankunft ein Gesicht machte, als suche er seinen Ärger durch die Rinne der Satire auf irgendein Opfer zu entladen. Ein Beifallsgeschrei lenkte seinen Blick auf die Kegelbahn; Tilgenfaß hatte mit einem Wurfe alle Kegel umgeworfen.

» Bruta Fortuna!« Blindes, dummes Glück. rief Pedex dem geschickten Schieber zu. Der aber, als er der Klexe wahrnahm, sagte zu ihm:

»Frater Pedex! Du solltest eigentlich einen anderen Namen führen.«

»Was für einen und warum?«

»Mit Rücksicht auf dein Wappen hier: Peklex.«

Rohr lachte laut auf, wenngleich er des Leibes Erschütterungen billig zu meiden suchte. Pedex aber ließ sich nicht werfen und erwiderte dem Tilgenfaß:

»Und du solltest eigentlich Tintenfaß heißen, dann würde auch der Klexe Ursprung klar.«

»Wenn du soviel schreibst,« rief der noch immer lachende Max Rohr, »so nimm dich in acht, daß du das erste e in deinem Namen nicht als o schreibst; es würde sonst –«

»Konfratres!« unterbrach ihn Pedex; »wisset Ihr wohl das Gegenteil von Max zu nennen? – nicht? – – Nun das ist mox! bald; als Gegensatz zu R.'s Langsamkeit. – Da hast du dein o wieder!«

Auch der Prior lachte ob der Neckereien, sagte aber angesichts einigen Zwickens in seinen Beinen: »die Moxa Veraltetes Mittel gegen Rheumatismus. würde mir mehr behagen, als die Rede.«

Darauf wurde das Spiel fortgesetzt, munter und mit vielem Fleiß. Noch bestand das Kloster; noch immer gab es ja Freunde, die es unterstützten, die sich von den gewaltigen Geistesblitzen von Wittenberg nicht irren ließen. Erst als die sechste Abendstunde herankam, raffte Frater Zwerk Kegel und Kugeln auf und begab sich mit den übrigen ins Refektorium zum Abendessen. Dem folgte die letzte Gebetstunde des Tages, die Komplete; auch manch eine Messe, so bedrückte Seelen für ihr Heil begehrt.

Danach ward's still im Kloster und dunkel. Nur die ewige Lampe im Dome warf ihren Terra-Siena-Schein an die schlanken gotischen Fenster, so mit ihren schönen Füllungen sich magisch hervorhoben gegen das in nächtliche Dunkelheit gehüllte Gemäuer.

Auch in den Häusern unten im Tale war es still. Kein Lichtschein zeigte sich. Nur die ewige Lampe des eben aufgehenden Mondes sendete ihren bleichen Schein auf die große Kirche, die Erde. Dann lugte er ins Tal hinein und auf den großen Felsen. Sein mildes Licht spendete er ebenso dem Kämmerlein der frommholden Sabine, als den beutesuchenden Raubtieren des Waldes; Gerechten und Ungerechten. Und es war, als lächelte er wehmütig über die kleinen, winzigen, zänkischen Herren der Erde, die Menschen; als hätte er etwas auf dem Herzen und könnte doch das Wort nicht aussprechen, das auf seinen Lippen schwebte: »O, ihr Toren!«

Darauf stieg er höher und höher, und als er nachts 2 Uhr C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 22. Beginn der Gottesdienste. in der Klosterkirche weiße Gestalten vor verschiedenen Altären Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 121 usw. Im Schiff der Kirche standen vier Nebenaltäre, von denen an zweien der Unterbau noch erkenntlich ist. knien sah und sie heilig gesprochene Menschen um Vermittelung anflehen hörte, da wurde er ernst. Vor kurzem – die Menschen nennen es Jahrtausende – hatte er gesehen, wie in Macedonien ein geisterfüllter, ernster Mann an seinen Freund Timotheus schrieb: »Es ist nur Ein Mittler zwischen Gott und den Menschen: Jesus Christus.«

Ein grelles Morgenrot begann, darob er erblaßte und fortging; denn er wußte: das bedeutet Sturm.

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