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Braut und Bräutigam

Ueber der Jugend der Frau, die den größten preußischen Menschen gebären sollte, haben somit nicht allzu freundliche Gestirne geschienen. Die früheste Jugend, das sind die Erinnerungen an die herben Zwistigkeiten und, wofern man der hannoverschen Hoflegende trauen darf, auch an die Prügelszenen zwischen den Eltern, und jetzt, da man heranwächst, ist die Mutter eingesperrt, der Vater aber eine seltsame und dunkle und widerspruchsvolle Gestalt: eingesponnen in sich und der geborene Sonderling, hat Georg Ludwig, nunmehriger hannoverscher Kurfürst und bald auch englischer König, für die Tochter wohl manchen Ausbruch jäher und verwöhnender Zärtlichkeit. Die aber ist nicht jene ruhig und gleichmäßig wärmende Flamme, die Kinder wohl brauchen, sie bricht unmittelbar hervor und verschwindet wieder ebenso plötzlich – just so, wie der Vater dann selbst aus dem Gesichtskreise der Kinder verschwindet. Für Bruder Georg hat er eigentlich nur scheele Blicke und den ständigen Argwohn, es könne dieser Sohn am Ende doch ein Königsmarck sein, und das Gift, an dem der Vater siecht, ist jedenfalls ein unverbrüchlicher Haß gegen die Mutter dieser Kinder.

Die Mutter ist nicht mehr da, sie wird nach bewährten Rezepten der Lebenskunst totgeschwiegen. Wir wissen nicht, wie der Abschied war, in dem sie sich von den beiden verwaisenden Geschöpfen hat trennen müssen, wir wissen nur, daß sie die Mutter nie wiedersahen. Vielleicht war es bei dem späteren zweiten Georg auch nur Neugier, die ihn in die Nähe von Ahlden trieb, vielleicht war auf Seiten seiner Schwester das Verlangen nach solchem Wiedersehen trotz der oben zitierten Briefe nicht einmal so groß. In dem Briefwechsel jedenfalls, den die jüngere Sophie Dorothee als preußische Kronprinzessin und späterhin als preußische Königin mit Großmutter Sophie geführt hat, ist der Gefangenen auch nicht ein einziges Mal gedacht. Auch für die Kinder war sie nur mehr ein düsteres Gespenst, im Leben schon so tot wie jener verschollene Onkel, den eine großbürgerliche Familie wegen gefälschter Wechsel nach Amerika abgeschoben hat und der dort gestorben und verdorben ist. Mutterstelle an dem heranwachsenden Mädchen vertritt jedenfalls Großmutter Sophie mit ihrer etwas handfesten Zärtlichkeit, mit ihrem handfesten Humor und mit all den guten Ratschlägen und erprobten Hausmitteln, von denen in den Briefen so viel die Rede ist.

Denn Sophie war ja nun der weibliche Chef des alten Welfenhauses. Weise alte Mutter zugleich und zugleich jener böse alte Mann in Unterröcken, der sich von seinem Kammerdiener insgeheim rasieren lässt und den cotyierenden Kammerherren mitunter Anlaß zu herber Klage gibt, weil ›Ihre Kurfürstliche Durchlaucht bei den Spaziergängen im Park Dero Vapeurs nicht zu halten pflege‹ …

So also ist nun diese Großmutter, unter deren Pflege man heranwächst. Die andere aber, die Französin, sieht man selten. Sie ist reich und schenkt, wenn sie kommt, freigiebig. Sie kommt aber nicht oft. Kommt sie dennoch, so tanzt der etwas überalterte hannoversche Hof auf ihren Wunsch alle die alten Ciaconnen und Sarabanden, die man in der Jugendzeit der d'Olbreuse noch in den Tuilerien getanzt hat. Was Großmutter Sophie übrigens nicht sehr gern sieht. Nicht etwa, weil sie die Tänze nicht leiden mag. Sondern weil sie diese Tänze nicht kann. Und Großmutter Sophie steht ungern zurück hinter dieser ›Hugenottin aus schlechtem Adel‹. Wenn ja auch sonst die alten Zwistigkeiten längst begraben sind.

Sonstige hannoversche Erinnerungen: der moskowitische Zar, der Peter heißt und morgen ›der Große‹ genannt werden wird, spricht auf der Durchreise in Hannover des öfteren vor – er ist ein etwas eigentümlicher Herr, der wie ein Everführer aussieht und sich auch so trägt und das heranwachsende Mädchen etwas stürmischer abküßt, als es vielleicht schicklich gewesen wäre. Im übrigen hat er auch die seltsame Gewohnheit, bei der Hoftafel sich ins Tischtuch zu schnäuzen. Was freilich Großmutter Sophie nur zu der gelassenen Bemerkung veranlassen kann, daß ›die deutschen Fürsten es gerade so tun würden, wofern nur Ludwig XIV., der nun so etwas wie arbiter elegantiarum Europae ist, es ihnen vormachte‹. Außerdem ist da noch der preußische Oheim Friedrich, der nun König und mit Tante Sophie Charlotte verheiratet ist und gelegentlich nach Hannover kommt und viel mit Großmutter korrespondiert. Worüber aber die beiden so viel zu korrespondieren haben, ahnt das Kind wohl frühzeitig. Es geht wahrscheinlich um den Berliner Vetter Friedrich Wilhelm, mit dem man sich, obwohl er ein Jahr jünger ist als man selbst, verheiraten soll.

Ein seltsamer Herr, dieser Berliner Vetter! Mit seinen siebzehn Jahren wiegt er bereits an die zweihundert Pfund, trägt statt der obligaten Perücke mit Vorliebe ›eigene Haare‹, erscheint zum Aerger des streng zeremoniellen Berliner Hofes abends mit Vorliebe nicht in niederen Schuhen, sondern in langen Stiefeln, reibt sich auch, um ja recht braun zu werden und mithin ja den nach damaligen Begriffen schönen milchweißen Teint zu verderben, mit Baumöl ein und schreibt mit einer Orthographie ›auf gut Glück‹ einen holprigen Briefstil, so daß es selbst Großmutter, die doch diesen Vetter heiß liebt, zuviel wird. Im übrigen ist er ja auch, wie man sehr genau weiß, eigentlich in seine Ansbacher Base Wilhelmine Caroline verliebt, die doch für Bruder Georg bestimmt ist und schließlich auch mit ihm verlobt wird und den Berliner Vetter wie einen dummen Jungen behandelt. Großmutter ist übrigens Bruder Georg nicht gar so sehr gewogen, und schreibt, daß bei Friedrich Wilhelm alles sauber und klar, daß aber bei Georg ›allzuviel Mausdreck unter den Pfeffer gemischt sei‹. Großmutter ist eben manchmal, noch aus den verklungenen Zeiten des alten Reiches und des großen Krieges her, außerordentlich derb. –

Gleichwohl heiratet die schöne Ansbacher Prinzessin mit den schön geschwungenen Augenbrauen Georg und nicht den preußischen Vetter. Friedrich Wilhelm hat diesen Georg, der als Georg II. einmal englischer König und des großen Friedrich geldmächtiger Verbündeter sein wird, nie leiden können und ihn bei gemeinsamen Jugendspielen immer konsequent verprügelt, er wird ihm die fortgeschnappte Ansbacher Base nie recht vergessen können. Und manche behaupten, daß sein späterer Widerwille gegen die englischen Heiratsprojekte von 1730 im wesentlichen auf diesem Boden gewachsen sei.

Die Verlobung nun, die ein Jahr später zwischen diesem preußischen Vetter zustande kam, lag als Selbstverständlichkeit sozusagen in der Luft und entsprach einer beiderseitigen Tradition ebenso wie der politischen Notwendigkeit. Was die Tradition angeht, so hatte vorher schon zwölfmal im Laufe der Jahrhunderte eine eheliche Verbindung zwischen den beiden schwäbischen, aus Süddeutschland nach dem Norden verschlagenen Häusern Welf und Zollern stattgehabt, und diese Tradition war ja erst jüngst aufgefrischt worden, als der erste Preußenkönig Friedrich Sophiens schöne Tochter Sophie Charlotte geheiratet hatte. Diese schöne geistvolle Frau, die mit Leibniz befreundet ist, das Stuartblut auf ihren Sohn Friedrich Wilhelm vererbt, Schulden macht, in der Spandauer Vorstadt Schloß Monbijou baut, alle Jahre zum fröhlichen hannoverschen Karneval gekommen ist und zur tiefen Kümmernis ihres Gatten eine solche Karnevalreise im Februar 1705 mit einer tödlichen Lungenentzündung büßt. Was den prunkliebenden Witwer veranlaßt, für ihre durch ein volles Vierteljahr gefeierte Beerdigung bare hunderttausend Taler aufzuwenden. –

Um aber auf die Verlobung von Friedrich Wilhelm und Sophie Dorothee zurückzukommen: die bestimmende politische Notwendigkeit dazu ergibt sich aus der Tatsache, daß in Wien Kaiser Joseph I. regiert, mehr denn je die katholische Unität betont und die seit dem Westfälischen Frieden ein wenig schleifenden Zügel der kaiserlichen Gewalt fester denn je anzieht: die beiden führenden protestantischen Höfe taten, was auch in der zeitgenössischen Presse zum Ausdruck gekommen ist, ihren protestantischen Untertanen nur einen Gefallen, wenn sie also sich enger zusammenschlossen.

Das waren die Dinge, die in dieser Angelegenheit den Kurs der Höfe bestimmten. Leider gab es allerlei Hemmnisse. Unter vielen nur dies eine: der hannoversche Georg, der, wie Großmutter Sophie sich auszudrücken beliebt, ›einen wunderlichen Hirnkasten‹ hat, kommt, als zwischen den beiden Höfen schon alles in Ordnung und verabredet ist, als in Berlin schon Toaste auf die Braut ausgebracht, als Bräutigam und Bräutigamsvater schon unterwegs nach Hannover sind, auf die tolle Idee, er wolle zuerst und gerade jetzt die Pyrmonter Kur gebrauchen …

Diese Marotten können Ilten, der in Berlin verhandelt hat (nebenbei gesagt, der gleiche Ilten, der Anno 1685 Ernst August und die nunmehrige Gefangene von Ahlden als Marschall nach Italien begleitet hat) … item, alle diese plötzlichen Einfälle seines Herrn können Ilten nicht mehr beirren und können nicht das aufhalten, was allen Pyrmonter Kuren zum Trotz im wohlerwogenen Interesse der beiden Höfe kommen mußte und was die alte, in Hannover den Ton angebende Frau, namens Sophie, sich in den grauen Kopf gesetzt hatte. Die hat übrigens, trotz aller gelegentlichen Reibereien, nun einmal eine Vorliebe für ihren ritterlichen Schwiegersohn Friedrich und eine fast noch größere für dessen Sohn Friedrich Wilhelm, der ja auf seinen Reisen nach dem niederländischen Kriegsschauplatz schon des öfteren hier vorgesprochen hat. Er könne weiß Gott gewandter und umgänglicher sein, ist aber sonst durchaus nach Sophiens Geschmack geraten: in seiner sauberen Nüchternheit gefällt er der alten Dame, es gefällt ihr sogar, daß er die hunderttausend für das Begräbnis der Mutter aufgewandten Taler ebenso bekrittelt wie des Vaters kostspielige Leidenschaft für den Berliner Goldmacher Caetano, den Friedrich sogar zum Geheimen Rat macht, einige Jahre später aber, nach aufgedecktem Schwindel, in goldener Weste und goldener Mütze an einen zwanzig Fuß hohen Galgen hängen läßt …

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Friedrich Wilhelm I. als Kronprinz
(Ausschnitt aus dem Bilde von Leygebe im Berliner Schloß)

So also nahm die Verlobungsaktion ihren Fortgang, und es erhebt sich, erstmalig hier schon, die Frage, wie die beiden jungen Menschenkinder wohl zusammen paßten und wie die elegante, verwöhnte und durchaus als Stuartfrau fühlende Sophie Dorothee mit dem Manne harmonieren konnte, aus dem die preußische Legende in ihrem unseligen Hang zum Typisieren einen ewigen Brüller, einen unentwegten Verkünder von kernigen Weisheiten, und zum Schluß doch nur einen wildgewordenen Feldwebel gemacht hat. Es ist richtig, daß die Bilder, die wir von dem jungen Paare aus den ersten Jahren des Zusammenlebens besitzen, zwei arg verschiedene Menschenkinder wiedergeben. Weidemanns Porträt der eben Verheirateten zeigt in eleganter Haltung ein zwar nicht schönes, wohl aber ein distinguiertes, reizvolles und capricieuses Geschöpf dort, wo auf dem Leygebeschen Bilde des väterlichen Tabakskollegiums der noch jugendliche und nach unseren Begriffen durchaus noch jünglingshafte Kronprinz aus ganz anderem Holze geschnitzt scheint. Er war, als das Bild gemalt wurde, noch nicht volle zweiundzwanzig, sitzt hier aber schon etwas dicklich, etwas behäbig, etwas als der zukünftige Gichtiker im Armstuhl, und von irgendeiner Eleganz, ja auch nur von irgendeinem Willen zur Form kann nicht gut die Rede sein: man merkt ihm deutlich den Widerwillen gegen die ihn umgebende Formenwelt, gegen das Königspaar, gegen alle diese Kammerherren, Kammertürken, Kammermohren, gegen die Prachtperücken und all den schweren Samt und Brokat deutlich an, und wie er dort sitzt, ist er beinahe wie ein ältlicher und schon etwas schwerfälliger Kompagniechef, der sich bei währendem Liebesmahl im Kasino stillschweigend und in guter Haltung über den anwesenden Regimentskommandeur mokiert.

Wer aber war denn eigentlich dieser Friedrich Wilhelm? Dies beantworten heißt einerseits, naheliegende Mißverständnisse von vornherein und zum Besten dieses Buches ausrotten, es heißt anderseits dem Gange seiner Ereignisse vorausgreifen. Das Bild des ›Soldatenkönigs‹, des Brüllers und Donnerers, ist deswegen so verhängnisvoll, weil es in seiner einfachen Strichmanier ebenso leicht zu begreifen ist wie das ebenso falsche Porträt des ›Alten Fritz‹: in beiden Fällen hat eben der preußische Mensch seine ›Götter oder Halbgötter nach seinem eigenen Bilde‹ gemacht – ohne Rücksicht darauf, daß sie tatsächlich etwas anders und daß sie im Leben denn doch etwas komplizierter und weniger plakettenhaft waren.

Wer also war dieser Friedrich Wilhelm? Wenn wir die im Gegensatz zu den Memoiren der Wilhelmine v. Bayreuth außerordentlich zuverlässigen diplomatischen Berichte des braunschweigischen Geschäftsträgers Stratemann durchsehen, so ereignete sich um 1728 in der Berliner Garnison durchschnittlich alle vierzehn Tage ein Selbstmord (bei dem dann übrigens der Tote an seinen Beinen von Pferden auf den Schindanger geschleift und daselbst verscharrt wurde), es desertierten ein paarmal samt Offizieren und voller Ausrüstung ganze Truppenteile, es wurde zur Strafe für diese Vergehen fleißig gefoltert, gehängt und geköpft. Es gab für recht harmlose Wachtvergehen junger Leutnants zwei Jahre Zuchthaus, und es wurde auch – etwa wenn Se. Majestät einen Kaufmann nach den Ursachen für den schlechten Messebesuch befragt und der Gefragte auf die zahlreichen Einziehungen zur Armee als Grund hingewiesen hatte, ausgiebig und fleißig mit dem Rohrstock geprügelt. Man braucht gar nicht an die Greuelnachrichten der Wilhelmine von Bayreuth und alle die ausgerissenen Haarlocken und zerbeulten Nasen zu denken: diese Stratemannschen Berichte, geschrieben von einem außerordentlich diskreten und maßvollen Bewunderer des Königs, haben Nachprüfungen mannigfacher Art bestanden und haben sich, sehr im Gegensatz zu manchen Teilen der markgräflichen Erinnerungen, als höchst zuverlässig erwiesen. So also war es damals in Berlin, so mußte es wohl sein, und wir haben nicht den mindesten Grund, diese Dinge zu beschönigen oder gar zu vertuschen. Wohl aber allerlei Veranlassung, diesen Dingen tiefer auf den Grund zu gehen, als die Legende es tut. Zwei Umstände aber fallen, wofern man diese Mühe sich gibt, an diesem seltsamen und ungeschlacht-großen Manne sofort auf. Das erste ist die ungeheuerliche Käuzischkeit, diese Stichflamme von fixen Ideen, in der er sich und seine Umgebung versengt, die Besessenheit, die ihn durch sein kurz bemessenes Leben nur so toben läßt …

Das zweite aber ist der Hang zu Schwermut und gar zu Kleinheitswahn. Was sich an großen und an schlimmen Taten daraus ergibt und was bei diesem Manne, der doppeltes Stuartblut hatte, an Geheimnisvollem und an Chaos hinzukam, werden wir später sehen.

›Nie sah ich einen liebenswerteren (»gracieuseren«), nie aber auch einen seltsameren Prinzen‹, schreibt über Friedrich Wilhelm einer der marlboroughschen Adjutanten, der ihn auf dem niederländischen Kriegsschauplatze gesehen hat. Die bekannte Passion für riesige Grenadiere, die ihn, weil ja seine Werbeoffiziere alle Augenblick fremde Hoheitsrechte verletzten, oft genug in diplomatische Schwierigkeiten brachten – diese Passion war schon in der Jugend da. Diese Riesen waren ja eigentlich, soweit ihr Wuchs in Frage kam, Produkte einer kranken Zirbeldrüse, hielten nichts aus und fielen bei den Paraden oft genug in Ohnmacht und waren daher als Soldaten von recht fragwürdigem Wert …

Der Kronprinz aber hatte nun einmal diese Leidenschaft und war schon als Knabe in Wusterhausen von ihr so besessen, daß sein königlicher Vater sich schließlich darüber ärgerte und daß diese riesigen Gardesoldaten, sowie der König kam, in Heustadeln und Ställen versteckt werden mußten. Daß er sie später als König Mann für Mann zu malen begann, ist bekannt – er malt sie schließlich, wie Stratemann berichtet, in ihrer Abwesenheit porträtähnlich aus der bloßen Erinnerung, und beim Malen kommt ihm, dem Kauz, der Gedanke, daß man ja eigentlich auch abdanken und als Maler leben könne. Es kommt schließlich dahin, daß die Majestät von Preußen Bilder für zehn Dukaten an einen Berliner Kunsthändler verkauft und erst zur Besinnung kommt, als der Mann sie, versehen mit der Aufschrift ›Gemalt von Se. Majestät dem König‹, öffentlich ausstellt. Noch toller: diese Vorliebe für Soldatengesichter und dieses Physiognomiengedächtnis geht so weit, daß er 1730 in Berlin einen preußischen Soldaten anhält, weil ihm der Mann von einer zu des Königs Ehren in Dresden vor zwei Jahren veranstalteten Parade beim Vorbeimarsch … hundert Bauerngesichter rechts und hundert links … aufgefallen ist und weil er nun zunächst erstaunt ist, den Mann als seinen eigenen Grenadier wiederzufinden. Daneben aber ist er noch von anderen Spleenen und Marotten besessen. Daß er sich fünfmal am Tage vom Kopf bis zum Fuß wusch und dreimal am Tag die Wäsche wechselte, weiß man wohl, weniger bekannt ist, daß er, im Jargon der Psychoanalytiker gesprochen, den ›Gewichtskomplex‹ hatte, sich jeden Tag (brutto, tara und netto!) dreimal wog, bei jedem neuen Jagdaufenthalt das gesamte Jagdgefolge bis hinunter zu den Piqueuren und Hundejungen wiegen und über diese Gewichte Tabellen führen ließ. So verhält es sich zehn oder zwanzig Jahre nach dieser Verlobung mit der Majestät von Preußen, und so seltsam verhält es sich oft mit den Spätlingen uralter Geschlechter, wenn in ihnen sich vermoderte Wünsche, verwehte Leidenschaften, verweste Gewohnheiten, verblaßte Erinnerungen anstauen und als Gespenster durch ihre Leben geistern: Friedrich Wilhelms Sohn Heinrich hatte neben seinen glanzvollen Geistesgaben noch ganz andere Spleene, von denen wir lieber nicht reden wollen, Friedrich wollte mit seinen Hunden in einem Grabe liegen und entließ seine Adjutanten, wenn einer von ihnen bei währender Audienz eines der zarten Windspiele getreten hatte, Napoleon orakelte den Ausgang bevorstehender Schlachten aus Patiencen, Karl XII. von Schweden sah Gespenster, Blücher identifizierte nach Jena die ihn umsummenden Fliegen mit Napoleon und stach nach ihnen mit dem Pallasch, Moltke nannte seine Adjutanten konsequent ›Wright‹, als der, der diesen Namen getragen, längst tot war und die lebenden Adjutanten längst Claer oder Burt hießen …

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Possen, Possen, Possen.
Aktenmarginal Friedrich Wilhelms I.

So also verhält es sich oft mit diesen wunderlichen Menschenblüten, die man Genies nennt, und so verhält es sich mit ihnen doppelt, wenn in ihnen die Schatten klirrender Vorfahren herumrumoren. In Friedrich Wilhelm war zu dem geruhigeren der Zollern erstmalig das Blut der Stuarts gekommen, es begehrte gewaltig auf und trieb diesen ungefügen und im Grunde so edlen Mann in Dinge, die an Verrücktheit grenzen. Von der geradezu wahnsinnigen Eifersucht, die ein so skrupelloser Mann wie Leopold von Anhalt dann für seine politischen Zwecke ausbeutete – von dieser Eifersucht, die Sophie Dorotheens Leben für viele Jahre zur Hölle gemacht hat, werden wir noch viel zu reden haben. Genies sind nun einmal keine ruhig brennenden Flammen, an denen man sich gemächlich die Finger wärmen kann. Genies, gehetzt von allen guten und bösen Dämonen, versprühen und verknattern ihr Leben und zischen auf in wunderlichen Stichflammen und stecken damit oft ihre ganze Umgebung in Brand.

›Wird man nun in der Welt womöglich denken, wie schlecht ich meine Leute halte.‹ (Eine Eskadron Husaren ist samt ihren Offizieren und Waffen ins Ausland desertiert).

›Ich habe es nicht méritieret, wie nun alle Kanaillen mit mir umgehn, so doll ist es sein dage nicht gewehsen.‹ (Der Kronprinz an den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau.)

›Gott weiß, wie ich geringe opinion von mir immer gehabt.‹ (Der totkranke König an den gleichen Fürsten.)

Dies aber ist das Andere, dies ist das tiefe Mißtrauen gegen sich selbst, und aus ihm kommt beides: jene satanische Eifersucht, von der eben die Rede war, und jene tiefe Schwermut. Wer der aber ernstlich nachspürt, wird sie in den Stunden der Ermattung als ›konträre Reaktion‹ bei allen Großen vorfinden, deren Leben sich verbrennt in den Feuern ihres rastlosen Schaffens. Bei Friedrich Wilhelm wird sie zum Generalbaß des ganzen Lebens. Seine Eifersucht wurzelt in der Marotte, er werde allenthalben gefürchtet und nirgends geliebt, der gleiche Kleinheitswahn schnaubt zutage, wenn er, zwischen einer Prügelserie und der anderen, seine Opfer anschreit, daß man ihn lieben solle, er dokumentiert sich in seiner Politik überall dort, wo er ahnt, daß er die Existenz seines Staates ja doch nur immer aufbaut auf der chronischen Ueberanstrengung seiner Mannschaft, daß dies aber nicht gut das Fundament eines dauerhaften Gebildes sein kann, daß dieser Staat, zusammengeflickt und zusammengestickt aus soundso viel Landfetzen und Stämmen, nur durch die Ueberbeanspruchung von Organisation und Jungmannschaft zusammengehalten werden kann und daß das Gebilde, das er aufbaut, immer nur ein Staat bleiben wird und nie ein Reich wird werden können. Und so glaube ich, daß nicht nur angeborene Schwermut, sondern die stille Erkenntnis seines allzu jungen Königtums und eines armen und immer auf den ›Behelf‹ angewiesenen und nie aus der Fülle der Mittel schöpfenden Landes ihn, den an sich Ueberbescheidenen, vor den Trägern älterer und glanzvollerer Kronen unsicher machte. Und ich glaube freilich, daß hier, in diesem tief verborgenen Minderwertigkeitsgefühl, der Grund zu suchen ist etwa für die Ueberempfindlichkeit, mit der er in der berühmten Heiratsangelegenheit von 1729/30 dem englischen Hofe und seinem Vetter George II. begegnete … ja, ich glaube und vermute noch viel mehr …

Ich glaube mich mit besseren Kennern dieses seltsamen Mannes einig in der Erkenntnis, daß auch die oft so närrisch anmutende Besessenheit … daß dieses Sichaustoben in berserkermäßiger Hingabe an das Détail der Staatsleitung im Grunde aus einer furchtbaren und oft krankhaften Angst vor einem schlecht verwalteten königlichen Amt, vor der Verantwortung für mißleitete oder vernachlässigte Untertanen, vor der Abrechnung über sein irdisches Leben kam, und ich glaube, daß diese Angst sich gelegentlich zu dem steigern konnte, was der Laie als Verrücktheit empfindet und was der Psychiater, besser vertraut mit diesen Grenzgebieten der Menschenseele, als ›paranoide‹ Geistesverfassung anspricht. Fern sei mir die nachgerade ekelhafte Gepflogenheit, in jedem ungewöhnlichen Leben immer nach dem ›Pathologischen‹ klauben zu wollen. Aber ich glaube wohl, daß diese so oder so zu benennende Besessenheit bei jedem oder fast bei jedem Schöpferischen, bei jedem Neubauer zu finden ist, ich glaube, daß dies der Preis ist, mit dem sie alle ihren übermenschlichen Wuchs bezahlen müssen, und ich glaube jedenfalls nicht, daß wir bei Friedrich Wilhelm ohne die Berücksichtigung dieses Momentes durchkommen können. Es ist bei ihm nicht, wie bei Peter dem Großen, der, ›weil die Hände nichts zu tun haben‹, gelegentlich den Henker spielt und höchst eigenhändig seine Strelizen köpft, um dann ermattet an dem großen Busen seiner barbarischen Kaiserin einzuschlafen: es ist, sage ich, bei Friedrich Wilhelm nicht dieser Tätigkeitsdrang eines prachtvollen Ungeheuers. Es ist Angst vor Vernachlässigung seines Amtes als Familienvater und König, wenn er seine Kinder prügelt, promenierenden Frauenzimmern die mit der puritanischen Strenge unvereinbaren Seidenröcke eigenhändig herunterreißt, Unbotmäßige und Müßiggänger ebenso eigenhändig mit dem Stock bearbeitet. An Gott glaubte Friedrich Wilhelm aus vollem, ungebrochenem Herzen, und ich glaube, daß Könige immer vor der Wahl stehen, rückhaltlos an ihn zu glauben oder ihn rückhaltlos zu leugnen …

Der Gott aber dieses besessenen königlichen Amtmannes war freilich ein ›eifriger, strenger Gott‹, der keineswegs, wie es doch Luther von dem seinen verlangte, ›Spaß verstand‹. Sondern er verlangt von seinem irdischen Statthalter Prügel für unbotmäßige Kinder (und da man sich dabei vor der Verbitterung dieser Kinder fürchtet, muß die Mutter diese Prügel verabfolgen!) … er verlangt Prügel für leichtfertige Weiber, schlichten Abschied für junge Leutnants, die sich ihre Mädeln in die Kaserne kommen ließen. Den Galgen für Deserteure, den Richtblock für Hans Hermann von Katte, und …

Ein komplettes Mißverstehen für Kronprinzen von der Art des jungen Friedrich solange, bis auch das bescheidene und zum Glauben ach so bereite Vaterherz im Sohne den Genius hätte sehen können. Und hier muß ich für einen unerwarteten und zunächst vielleicht befremdlichen Gedankengang die Aufmerksamkeit des Lesers erbitten …

Bewußt nämlich hat der Vater diese Feuer kaum brennen sehen können (wie es die rührselige Legende will) … er hat deswegen nicht können, weil Friedrichs Opposition, verstärkt durch die Erinnerungen an den Richtblock von Küstrin, bis zum letzten Lebenstag des Vaters angedauert hat, weil der Kronprinz den Willfährigen ja doch nur spielte, weil ich mir erlaube, auch im ›Antimachiavell‹ des großen Renaissancemenschen Friedrich nur eine Schrift ›ad usum Serenissimi‹ zu sehen, weil die große Peripetie in Friedrichs Leben nicht, wie immer behauptet wird, in das Jahr 1730, sondern in das Jahr 1740 und in den Augenblick fällt, wo er an das geheimnisvolle, ›Krone‹ genannte Ding die Hand legte. Und weil noch im Jahre 1740, also im Jahre des Regierungsantrittes, der österreichische Gesandte den folgenden seltsamen Bericht über den sterbenden Vater und den kronprinzlichen Sohn schreibt …

›Le prince royal dit »Pourvu, que le roi me fasse vivre à ma fantaisie, je donnerai un bras pour faire prolonger sa vie de vingt ans.« Le roi l'apelle toujours »Fritzchen«. Mais »Fritzchen« ne sait rien dutout des affaires …‹

Der Vater sage ich, hat bewußt eine Sinnesänderung dieses Prinzen, der damals sich seine Schulden durch den österreichischen Gesandten zahlen ließ, nicht sehen können, weil sie noch nicht da war. Der Vater, der bewußte Friedrich Wilhelm, hatte sich ausgetobt, war müde geworden, hatte sich mit einem Sohn abgefunden, der nun einmal anders war, mißtraute ihm bis in seine letzten Lebensjahre hinein und sagte ihm noch sub finem vitae, ›er werde noch in seinem Grabe über ihn lachen, wenn unter ihm alles drunter und drüber gehn werde‹. Der bewußte Mann, der damals einen schweren Tod starb, sah den Sohn und seine Kometenbahn nicht vor sich. Es ist aber das Unerhörte, das beinahe Gespenstische, daß der Unbewußte ihn sieht und daß er für die Spanne seines Lebens unbewußt zu des Sohnes Wegbereiter und zum Schmied seines Instrumentes wurde, und daß hieraus seine Besessenheit, sein Dahindonnern und -wüten sich herleitet. Ich glaube, daß dieses ›Sichversprühen und Sichverknattern‹ zwangsläufig geschah, ich glaube, daß es nach dem ungeschriebenen und geheimnisvollen Gesetz der Phyle sich vollzog, ich glaube, daß er mit all seinen Wunderlichkeiten das arme Instrument des Sohnes schon werden mußte, als dieser Sohn noch gar nicht existierte oder noch in der Larve des Angedorbenen steckte. Just so, wie in einem Korallenstock die unteren Schichten nur in einer bestimmten Richtung wachsen können, weil diese Richtung in den angemessenen Lebensraum der späteren, vorerst aber noch gar nicht vorhandenen Schichten führt. Dem heutigen, vom Mutterkuchen des Kosmos abgenabelten Stadtmenschen mag dieser Gedanke an das teleologische Zielen in der Geschlechterfolge unhandlich erscheinen. Geschlechter aber, solange sie intakt blieben, sind geheimnisvolle und in Einzelrädchen gar nicht zu zerlegende Mechanismen, und es wittert, ohne es ureigentlich zu wissen oder es zu bedenken, der Ahn schon den fernen Urenkel. In dieser Verlobung von 1706 stoßen zwei Blutwellen der Stuarts zusammen, vereinigen sich und tragen auf ihrem Kamm den Helden, die Vollendung. Es mußte so sein, es konnte gar nicht anders sein, und um ihn wurde fortan im Berliner Schloß gehadert und intrigiert und gelitten, wie vorher in Edinburgh und Lithlingow, in Dunbar gelitten, gehadert, gemordet, geblutet und gebüßt worden war …

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Faksimile aus dem Brautbrief Sophie Dorotheens an Friedrich Wilhelm I.

Ich bedauere, daß ich mit diesen Ausführungen, die uns doch fortan manches Mißverständnis ersparen werden, den Ereignissen selbst vorausgreifen mußte. Anfang Juni, als die Diplomaten der beiden Höfe alles geordnet haben, wird, als Antwort auf ein Schreiben König Friedrichs, an seinen Sohn von Pyrmont aus der folgende Brief geschrieben … genau so formell, genau so unpersönlich, wie einst die nun in Ahlden sitzende Mutter vor zwanzig Jahren an George Ludwig geschrieben hat …

›Sie, mein Herr, müssen von der vollkommenen Hochachtung und, wenn ich so sagen darf, auch von der zärtlichen Freundschaft überzeugt sein, die ich für Sie hege, an der Ew. Kgl. Hoheit nicht zweifeln könnten, ohne mir Unrecht zu tun. Unter diesen Umständen, mein Herr, erwarte ich mit Ungeduld weitere Nachrichten von Ihnen … und ich werde nicht ruhig sein, bis ich Ew. Königl. Hoheit beim Könige weiß … Ich bitte aufrichtigst Ew. Kgl. Hoheit, Se. Majestät den Ausdruck meiner Verehrung zu übermitteln, da ich erst nach Beendigung der begonnenen und mir so gut bekommenden Kur die Ehre haben werde, dem Könige zu schreiben. Meine Gesundheit ist mir im Augenblick nur deswegen bedeutungsvoll, weil Ew. Kgl. Hoheit mir die Gnade erweist, sich dafür zu interessieren, und so bin ich freilich selbst um Ihre Erhaltung besorgt. Ich bitte Sie jedenfalls um die Gewogenheit, hiervon überzeugt zu sein und daß ich mein Leblang sein werde

Ihre willfährige und gehorsame Dienerin
Sophie Dorothee.‹

Vater und Sohn sind inzwischen von Berlin nach Hannover aufgebrochen, und noch am Tage der Ankunft schreibt Friedrich, gewissermaßen aus einem Schloßflügel in den anderen, an den Chef des Hauses, an Großmutter Sophie, einen auf ebenso hohen Stelzen marschierenden offiziellen Werbebrief für seinen Sohn. Unter Trompeten- und Paukenschall und unter dem Donner von vierzig Kanonen (›Sodaß ein so starkes Krachen Jedermann zur Freude bewegte‹) findet der feierliche Ringwechsel statt in jenem Saale, in dem (es sind beinahe auf den Tag zwölf Jahre her) nach einer alten Legende des Leineschlosses Königsmarck ermordet ist und als Geist noch immer hinter dem Kamin stöhnt und jammert. Hörbar stöhnt jedenfalls an diesem Tage nur einer, und das ist der Resident des katholischen Kaiserhofes, der nach Iltens sarkastischem Bericht ›bei diesem Zusammenschluß der beiden protestantischen Häuser einige ombrage empfindet …‹

Unberührt von diesem Ereignis ist seltsamerweise der junge, einst leider zur Gleichgültigkeit gegen das weibliche Geschlecht erzogene Bräutigam, aus dem bei diesem Verlöbnis keine Funken sprühen wollen, und die alte Sophie mokiert sich über ihn, weil er gerade in diesen Tagen auf seinem Zimmer sitzt und französische Komödien liest. ›Da stehn schöne Moralen in‹, schreibt sie später nach Berlin, um übrigens in Zukunft dem Brautpaar dann doch das Zeugnis auszustellen, es sei ›vor den Leuten zwar sehr modest gewesen, abends aber habe die Konversation immer bis um drei Uhr früh gedauert‹. Uebrigens ist auch die Braut ziemlich reserviert, Tante Liselotte, immer bereit zum Erteilen von probaten Lebensweisheiten, hat nämlich geschrieben, ›daß man sich nicht verliebt zu zeigen habe und daß die gegenteilige Uebung pöbelhaft sei.‹ Dies übrigens mit dem Erfolg, daß der männliche Partner dieses bislang nicht recht warm gewordenen Brautpaares in dem Augenblick, wo er sich des öfteren vor den verschlossenen Salontüren der Braut sieht, sich bitterlich über deren Kälte beklagt und schließlich, nicht ohne mokante Bemerkungen des Hofstaates, wieder auf den niederländischen Kriegsschauplatz geht. Von wo aus er dann ziemlich zahlreiche Briefe an die Großmutter schreibt, von denen keiner die Braut auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnt. –

Bis zu seiner Abreise scheint man sich übrigens ein wenig seines äußeren Schliffes angenommen zu haben, wenigstens schreibt Sophie erfreut nach Berlin, daß er nun Tanzversuche mache und L'hombre spiele. Und endlich taucht in jenen Wochen wie ein Gespenst aus vergangenen Tagen auch die d'Olbreuse auf, um die Enkelin zu segnen und mit einem kostbaren Ringe zu beschenken. Ihre in Ahlden sitzende Tochter scheint man damals nicht einmal verständigt zu haben …

In wirklicher Hochzeitsstimmung ist zunächst eigentlich nur einer, und das ist Friedrich, König von Preußen. Georg Ludwig, der Brautvater, hat zwar die Brautgewänder in Paris bestellt und mit dem Hin und Her die von Berlin aus für einen möglichst frühen Termin gewünschte Hochzeit gut und gern um ein Vierteljahr hinausgeschoben – sie kosten übrigens ein Sündengeld, und als in Paris Ludwig XIV. sie in den Ateliers ausgestellt sieht, wünscht er, ›es mögen doch recht häufig deutsche Fürsten ihre Töchter auf so kostspielige Weise zu Frankreichs Nutzen verheiraten‹, und Friedrich in Berlin wünscht diese Kleider, die nicht kommen wollen und alles bis in die schlechte Jahreszeit hinausschieben, ›dorthin, wo der Pfeffer wächst‹. Im übrigen aber jubelt sein nach dem Tode der eigenen Gattin vereinsamtes Herz über das junge Leben, das in sein Haus kommt, und nach Iltens Bericht benimmt der König sich in jenen Tagen so, als ob nachgerade er und nicht etwa sein Sohn der Bräutigam wäre. Altfränkisch galant, wie Friedrich ist, überschüttet er die zukünftige Schwiegertochter nur so mit Geschenken, und hinterher, schon von Berlin aus, schreibt Sophie Dorothee an die Großmutter, ›sie würde nachgerade wie ein Maultier ausschauen, wenn sie alle diese Geschenke zugleich anlegen wollte‹. ›Wir haben uns‹, schreibt an den König Sophie, ›selbst darüber verwundert, wie vertraut sie mit Ew. Majestät gleich war‹, und Friedrich schreibt wie ein wirklicher Bräutigam einen sehnsüchtigen Brief nach dem anderen von Berlin nach Hannover und stellt fest, ›diese Braut würde ihm genau so lieb und willkommen sein, wenn sie, statt in den vertrackten französischen Kleidern, im bloßen Hemd nach Berlin käme‹. Zum Schluß, als der Termin der Hochzeit ganz nahe ist, kommt es zwischen Schwiegervater und -tochter gar zu einer kleinen und natürlich sehr unschuldigen Koketterie. Friedrich, der jetzt nur noch an das Hochzeitszeremoniell und an all die zu feiernden Feste denkt, bittet sich die Schwiegertochter für das von ihm anberaumte ›Maskenspiel der vier (damals bekannten) Erdteile‹, bei dem er selbst als alter Römer zu erscheinen gedenkt, als Dame aus, und Sophie Dorothee, nicht sehr vertraut mit der empfindlichen Psychologie des Fünfzigers, antwortet, ›sie freue sich unendlich, einen alten Mann in der neuen Wirtschaft in Berlin zu haben‹. Und spricht im übrigen die Hoffnung aus, ›der Vater werde doch dem Sohn ganz gewiß kein Unrecht antun‹. Mit welcher Erwartung sie sich bei diesem zartesten und galantesten aller Schwiegerväter bestimmt nicht täuscht. Inzwischen sind auch – nach Sophiens Bericht – ›vier Mäntel, drei Roben, eine Landérienne, zwei Nachtröcke nebst Kopfputz, nebst Handschuhen, Hosenbändern und Fächern und Bundschuhen, bis auf Zungenschnapper und Elfenbeinmesser, um sich den Puder vom Gesicht zu kratzen‹ – endlich also sind auch diese Pariser Pakete glücklich eingetroffen, und Berlin mobilisiert das Königreich Preußen für die Hochzeit. Die Neumark allein hat 640 Kälber, 1102 Puten, 650 Enten und je 1000 Gänse und Tauben, Preußen aber 120 Schock Eier und 100 fette Ochsen zu schicken, im übrigen wird die Hochzeit zunächst, wie es nach Friedrichs Begriffen unerläßlich ist, in Hannover ›per procurationem‹ abgeschlossen, wobei ein preußischer Generalleutnant den Bräutigam vertritt. Der sitzt in Berlin und hat ganz vergeblich bei seinem königlichen Vater eine Eingabe gemacht, ›er bitte alleruntertänigst seinen Herrn Vater, die Hochzeit doch ohne jedes Zeremoniell zu feiern‹, er fürchtet sich vor dieser Hochzeit nachgerade so wie vor Zahnziehen und drückt Ilten angstvoll die Hand und fragt ihn beklommen, ›ob denn das alles wirklich sein müsse‹ und bekommt beinahe einen Wutanfall, als er hört, daß er seinerseits ebenfalls in einem in Paris hergestellten Mantel zum Altar gehen solle und fürchtet am meisten die stundenlange Rede des in dieser Hinsicht von allen Berliner Brautpaaren gefürchteten Hofpredigers Ursinus …

In Zeremoniefragen aber kennt Friedrich keine Nachgiebigkeit, und 104 Hofkutschen, die ganze Schweizergarde, zwei niegelnagelneu ausstaffierte Garderegimenter erwarten bei miserablem Spätherbstwetter in Spandau die Braut, die für des alten Königs Geschmack viel zu langsam gereist ist. Friedrich selbst setzt ihr, ›da sie sie ja von Niemand anderem, als nur vom König empfangen könne‹, eigenhändig vor der Trauung die Krone auf, und was dann auf alle die beklagenswerten Beteiligten wartet, sind nach Galatafel, Courtage, Fackeltanz, zeremoniellem Beilager nicht weniger als dreiundzwanzig Feste, die bis in die Weihnachtszeit dauern. Friedrich Wilhelm stöhnt, Sophie Dorothee, an die Lebenslust des hannoverschen Hofes gewöhnt und mit dem ganzen Trubel gar nicht einmal so unzufrieden, schreibt an die Großmutter höchst animiert, ›die bunte Pracht der Livreen, die große Menge der Handpferde und Lakaien habe einen recht netten Eindruck gemacht‹ und versteht sich erst in einigen Tagen zu einer etwas wärmeren Anerkennung für Berlin und seinen ja noch etwas jungen Königshof …

›Ich finde hier alles so schön, daß ich glaube, in prächtige Märchenschlösser versetzt zu sein. Ich habe übrigens alles aufschreiben lassen, was ich an Geschenken und Edelsteinen erhielt, Ew. Kurfürstliche Durchlaucht werden ein Verzeichnis davon erhalten …‹

Großmutter sitzt derweil in Hannover in ihrem Wittumsflügel, füttert ihre vierzig Kanarienvögel und sehnt sich in ihren Briefen unbeschreiblich nach dem jungen Vogel, der nun flügge geworden und davongeflattert ist. In Berlin aber geht es weiter mit Spielen, Maskenfesten, Galavorstellungen. ›Ich hätte Ew. Kurfürstlichen Durchlaucht lange geschrieben ohne das große Feuerwerk, das mich daran hinderte. Ich glaube wirklich, es kann nichts Schöneres geben.‹

Leider wird bei diesem Galafeuerwerk, das die königlichen Pulverkammern von Spandau bis auf den Boden leert, eine Frau nebst ihren beiden Kindern im Gedränge erdrückt, leider zerschmettert eine fehlgegangene Rakete einem Manne den Schädel, leider ist auch das Wetter andauernd miserabel. Immerhin gibt es dann noch ein Ballett, bei dem einhundertundzwanzig Paare tanzen, es gibt einen Tierkampf, bei dem die weichherzige junge Frau allerdings hinter den Kamin flüchtet. ›Was doch ganz gut gewesen sein mag, da der wilde Stier gar so viele Tiere zerrissen hat‹ und man selbst ein zu weiches Herz hat, um die arme Kreatur sterben zu sehen …

So verhält es sich mit diesen Hochzeitsfeierlichkeiten, die dem armen Lande ein Vermögen kosten. Und bisher scheint alles gut zu gehen, und an Friedrich schreibt Großmutter Sophie: ›Gott wolle ihn doch ja recht bald zum Großvater machen, woran, wie sie höre, in Berlin bereits Tag und Nacht gearbeitet werde‹. In Berlin quittiert man an der Hoftafel den Scherz der etwas derben Großmutter mit so vollen Gläsern, daß Sophie Dorothee sich vorzeitig mit einem kleinen Schwips entfernen muß. Man ist am Hofe, dem die Königin fehlt, die erste Frau, man hat ›die berühmteste Taille von Europa‹, der galante König hebt beim Tanz, als von Sophie Dorotheens Kleid eine goldene Quaste sich löst, diese Quaste auf, heftet sie sich als ›Orden der Reinheit‹ an den Rock. Der Kronprinz und junge Ehemann läßt sich derweil porträtieren, hat leider keine Zeit, nach Hannover zu schreiben, hat allerlei zu tun. Zum Beispiel: kopfschüttelnd die Hofrechnungen für seine Hochzeitsfeierlichkeiten durchzusehen, zum Beispiel: sich bei seinem Freunde Leopold von Anhalt-Dessau danach zu erkundigen, wie dem alten Kriegsgefährten denn die Braut gefalle. Hier und schon so früh beginnen die ersten Wolken sich zu zeigen …

Wie sollte einem Manne wie dem, der als ›Alter Dessauer‹ in die preußische Legende eingegangen ist, wohl die elegante und lebenslustige junge Frau des Freundes gefallen? An sich hatte er vor dieser hannoverschen Verlobung damit gerechnet, es werde des Kronprinzen Wahl auf seines, des Fürsten Nichte, die Prinzessin von Oranien fallen – Leopold sah sich schon damals enttäuscht und war voreingenommen, er war wohl überhaupt nicht so, wie man ihn, ›den alten Dessauer‹ gern nachträglich sieht: der vornehme und formvolle Prinz Eugen von Savoyen hat jedenfalls nach einer ungewöhnlich rohen Aeußerung des Fürsten an seiner Tafel die Anwesenden gebeten, ›nicht darauf zu achten, da dieser Mann nicht wisse, was er rede‹, Sophie hat auf die Falschmeldung vom Duelltode Leopolds brieflich ›Gott gedankt, daß Gott endlich die Welt von einem so brutalen Menschen befreit habe‹. Sophie Dorothee sollte unter seinem Einfluß auf Friedrich Wilhelm ein langes Frauenleben lang leiden … nicht umsonst schreibt sie dreißig Jahre später bei Leopolds Tode: ›Er hätte mich innig erfreut, wäre er mindestens zwanzig Jahre früher gestorben.‹ Wie aber sollte dieser Mann in seiner Ungeistigkeit, in seiner allbekannten Arroganz, in seinem ränkesüchtigen Herzen auf die verwöhnte, anspruchsvolle und von Hochmut selbst nicht freie Stuartenkelin anders als mit Haß reagieren? Wir wollen nicht ungerecht sein und nicht vergessen, daß die Elbe ein tiefer Strom ist, daß auf ihrem rechten Ufer schon damals eine Welt begann, die sich gern bewußt abschloß von dem Denken und von den Idealen der alten deutschen Kulturbezirke. Leopold mit all seinen Vorzügen und seinen wenig rühmenswerten Unarten gehörte nun einmal aufs rechte Ufer und in die preußische Welt des ›Ewig Behelfsmäßigen‹, er empfand diese hannoversche Heirat als den Einbruch einer fremden und unpreußischen Welt, ähnlich wie Bismarck die Heirat des späteren Kaiser Friedrich III. als schicksalhaft und als schlimmen Wendepunkt in der Geschichte der Hohenzollern empfunden hat. Wir wollen ihm seine rauhe und oft rauhbeinige Geradlinigkeit ebensowenig vergessen wie die ritterliche und unbrechbare Freundschaft für seinen königlichen Freund und Herrn; wir wollen aber auch anderseits daran denken, daß diese Geradlinigkeit dort, wo es dem Fürsten um die Erhaltung der Potsdamer und Wusterhausener Atmosphäre zu tun war, außerordentlich leicht auf den gewundenen Pfad übler Intrigen abbog …

Daß er es war, der in Friedrich Wilhelm dort, wo es ihm in den Kram paßte, alle die bösen Dämonen der Besessenheit und gar der Eifersucht weckte, daß nicht zuletzt er verantwortlich ist für jene seltsame Gebrochenheit, für die Friedrich den Vater und seine Freunde verantwortlich machte … jene Gebrochenheit, die für sehende Augen auch auf den Höhen des Ruhmes von Hohenfriedberg und Leuthen sichtbar ist …

Wir wissen heute, daß es zwischen den jungen Eheleuten schon sehr früh zu Spannungen, ja wohl zu erregten Szenen und kritischen Stunden gekommen ist – wir können nach den vorliegenden Dokumenten eben nur vermuten, daß Friedrich Wilhelm eifersüchtig war. Wir wissen nicht, wer schuld daran war, und können bei seinem Hang zu Argwohn und zum Gespenstersehen nur mit einiger Gewißheit annehmen, daß zu einer solchen Eifersucht auch nicht der allerbescheidenste Anlaß vorhanden war. Schon vier Tage nach der Hochzeit berichtet Leibniz nach Hannover, der Kronprinz habe seiner jungen Frau das prachtvolle kastanienbraune Haar kurz scheren lassen, bald darauf hört Sophie in Hannover von einer förmlichen Skandalszene, bei der auf einem Berliner Hoffeste der ›Kronprinz einem Kavalier, der auf seinem Hute schriftliche Lobeshymnen auf die Schönheit der Kronprinzessin befestigte, diesen Hut entrissen und den Zettel mit den Gedichten zerfetzt und verbrannt habe‹. Später trinkt der kronprinzliche Adjutant Tresckow auf der Durchreise in Hannover bei Sophie Tee und erzählt, ›sein Prinz sei zwar im Allgemeinen artig gegen seine Prinzessin, sei es aber doch nicht allezeit‹, und undatiert, aber offensichtlich aus den ersten Wochen dieser Ehe zweier so gleichblütiger und doch so furchtbar anders gearteter Menschenkinder haben wir von der Hand Sophie Dorotheens die folgenden beiden Briefe …

›Ihr Brief, mein Herr, überrascht mich so sehr, daß ich Sie schon um Aufklärung bitten muß … Ich kann Ew. Kgl. Hoheit versichern, daß ich mir nicht des allergeringsten Vergehens gegen Sie bewußt bin und daß ich, seit ich die Ehre habe, Ihre Gattin zu sein, jedwede Achtung und jedwedes zarte Gefühl für Sie hege, das eine Frau von Anstand für ihren Gatten zu hegen hat. Ich hoffe aufrichtig, daß Ew. Kgl. Hoheit sich von all dem falschen und so ganz und gar grundlosen Verdacht lossagt, und es geht nicht an, daß Sie sagen, Sie hätten Grund zur Klage, ich muß schon darauf bestehn, daß Sie mir endlich den Gegenstand dieser Klagen mitteilen. Was den Ehering angeht, den Sie mir vor Gott in seinem Hause und in aller Oeffentlichkeit gegeben haben, so muß er schon vor der gleichen Oeffentlichkeit zurückgegeben werden, wenn er durchaus zurückgegeben werden soll.‹

Und in einem zweiten, noch erregteren Briefe: ›Ich bin erschrocken über das, was Sie von mir denken … ich weiß nicht, ob ich Sie bitten soll, heute abend zurückzukehren. Denken Sie in Gottes Namen an den Eid, immer zurückzukehren! Ich weiß ja nicht, ob Bitten noch etwas ausrichten können, glauben Sie mir aber, daß mir an meinem Leben nichts liegt … Sie verbittern es mir allzusehr, als daß ich ihm nachtrauern sollte. Ich bitte Sie trotzdem, kehren Sie zurück! Sie werden sehen, was der Kummer hat ausrichten können.‹

Was geschehen war, läßt sich eben nur erraten. Wir wissen aus den Schilderungen späterer Augenzeugen, zu welchen Dingen Friedrich Wilhelm sich hinreißen ließ, sowie ihn sein Eifersuchtsteufel anfaßte, und wir wissen, daß es dann zu seinen Gepflogenheiten gehörte, irgendwohin zu verreisen, ohne sich von seiner Gattin anders verabschiedet zu haben, als eben in einer sinnlosen Raserei. Sophie muß davon frühzeitig erfahren haben, sie mag an den blutigen Schatten des Jahres 1694 und an die Tatsache gedacht haben, daß Sophie Dorothee immerhin auch nur die Tochter jener Gefangenen von Ahlden war. ›Wir schätzen Sie, meine teure Prinzessin‹, schreibt Sophie, ›sehr glücklich, einen so reizenden Prinzen zu haben. Jede Uhr geht manchmal falsch, auch wenn sie von einem guten Meister ist. Der Prinz wird nie das gute Geblüte verläugnen, aus dem er hervorgegangen ist und das hoffentlich immer die Oberhand behalten wird über die Fieberhitze, die bisweilen die Organe in Unordnung bringt.‹ So Sophie. Es sind wohl nur die ersten dunklen Wolken, die über den Himmel dieser Ehe gezogen sind, und erst später werden Blitz und Donner niederfahren. Noch ist man, wie gesagt, die erste Frau am frauenlosen Berliner Hof, in allen Krisen wohl geschützt von einem Schwiegervater, der nicht umsonst ›der erste Edelmann Europas‹ genannt wurde … noch hatten die Grumbkow und Leopold keine Macht über Sophie Dorotheens äußeres Geschick. 1707 gebiert sie der Dynastie, die bislang ja nur auf den beiden Augenpaaren von König und Kronprinz gestanden hat, von ihren insgesamt dreizehn Kindern den ersten Sohn. ›Der Prinz von Oranien (denn so heißt auf königliche Ordre das kleine, leider ja etwas kurzlebige Wesen) … der Prinz von Oranien empfiehlt sich seiner Urgroßmutter in Hannover. Er hat vom Hause Pfalz das Schießen ohne Pulver gelernt, namentlich von seiner Frau Urgroßmutter, denn er läßt einen … nach dem anderen fahren.‹

Schreibt, erlöst vom Albdruck des absterbenden Hauses, König Friedrich an Sophie, die in Hannover ›unter ihren singenden Canarienvögeln wie in einem Hain lebt‹ und gelassener als alle die anderen mit ihren uralten Augen auf die wechselnden Leiden und Freuden ihrer Lieben blickt.

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Tabakskolleg König Friedrich I. von Preußen
(Nach dem Bilde von Leygebe im Berliner Schloß)


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