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Großmutter

Wenig bekannt ist über die Kinderjahre der kleinen Sophie Dorothee, die in der Reihe von Friedrichs Ahninnen die ältere der beiden Frauen gleichen Namens ist und nun ahnungslos im Mittelpunkt des Spieles zwischen ihrer Mutter und Sophie von Hannover steht. Den Verlust des Bräutigams, der am Tage nach seiner Verwundung starb, wird die Zehnjährige kaum vermerkt haben – weit wichtiger ist ein anderer, der früh in ihren Kinderspielen ihren Weg kreuzt: Philipp von Königsmarck, vier Jahre älter als die kleine Prinzessin, Enkel jenes schwedischen Generals Königsmarck, der durch die Eroberung der Prager Kleinseite dem großen Kriege den Todesstoß versetzte und den Kaiser zum Friedensschluß bestimmte.

Aus diesen Kinderspielen und dieser Bekanntschaft wird Schicksal werden, bei dem nicht nur Tränen, sondern Blut fließen wird. Noch ahnt niemand dieses Schicksal, Sophie Dorothee dürfte es nicht einmal geahnt haben, daß sie in dem Schachspiel der beiden Herzoginnen nun der entscheidende und schwerste Stein war. Im Krieg der beiden Damen tritt übrigens eine Art Waffenstillstand ein, der durch beiderseitige kleine Freuden bedingt ist. Im Jahre 1679 stirbt der jetzt in Hannover regierende herzogliche Bruder Johann Friedrich (der dritte der Brüder), er stirbt ohne Hinterlassung eines Sohnes und wird halb nach protestantischem und halb nach katholischem Ritus im Hinblick auf die vor der Reformation gestorbenen Mitglieder des alten Welfenhauses beigesetzt. Sein Tod schafft Platz für Ernst August, der seinen nicht eben reich dotierten Osnabrücker Hof endlich nach Hannover verlegen und, nun schon ein bedeutender Fürst, an die Verwirklichung seiner politischen Pläne – Primogeniturgesetz für sein Haus und Erlangung der Kurfürstenwürde für Hannover – gehen kann. Das bedingt natürlich wieder Verhandlungen zwischen den beiden Brüdern, und bei diesen Verhandlungen fällt auch etwas für Eleonore d'Olbreuse ab, die bislang ja nur eine einfache Gräfin von Wilhelmsburg mit dem Titel ›Hoheit‹ gewesen ist. Das aber, was für sie abfällt, das ist die Erhebung der Hugenottin in den Reichsfürstenstand …

Die erfolgt von kaiserlicher Seite 1682 mit der gleichzeitigen und schon erwähnten Verleihung des ›Ordens der Tugendsklaven‹, den die Kaiserin selbst gestiftet hat – man sieht, daß nun beide Damen ›Fahrt machen‹ und vorwärts kommen. So wird das beiderseitige Verhältnis korrekt und vielleicht gar freundlich, und eine Unterbrechung dieser friedlicheren Stimmung tritt nur 1678 ein, als Sophie von einem vierzehntägigen Aufenthalt des Dänenprinzen Georg in Celle hört und die holländische Tagespresse Nachrichten über dessen bevorstehende Verlobung mit Sophie Dorothee bringt: sofort fragt Sophie in Kopenhagen nach der Wahrheit des Gerüchtes, offensichtlich ist sie bereit, nötigenfalls die erforderlichen Intrigengifte zu mischen. Die Antwort lautet beruhigend – in Kopenhagen (wenigstens gibt Sophie in ihrer Boshaftigkeit den Brief also wieder) denkt man nicht daran, ›eine so standeswidrige Ehe zu schließen‹.

Wohlgemerkt: Sophie in ihren Memoiren behauptet, daß die Antwort des Kopenhagener Hofes so gelautet habe, ob es sich mit ihr wirklich so verhalten hat, bleibe dahingestellt – die Angelegenheit mit dem herzoglichen Vater, der seine Tochter mit dem Stock nachts aus einem Dienerzimmer habe holen müssen, spricht nicht gerade gegen die Annahme, daß mit Sophie dort, wo sie aufrichtig haßte, gelegentlich die Phantasie kilometerweit durchging. Auf der einen Seite scheint man ihr unrecht getan zu haben, wenn man sie allein verantwortlich machte für die nun folgende Verlobung, mit der die reiche Celler Erbtochter nach Hannover geholt wurde, und ihr gar andichtet, sie sei, um diese Verlobung zustande zu bringen, im September 1682 bei Nacht und Nebel nach Celle gereist und habe, so gewissermaßen überfallartig, im Toilettezimmer des Celler Herzogspaares die Verbindung zwischen ihrem Sohne Georg Ludwig und Sophie Dorothee geknüpft: eher scheint der kluge und skrupellose und in allen persönlichen Fragen sehr vorurteilsfreie Ernst August der Urheber dieses Eheprojektes gewesen zu sein …

Wie dem auch sei: im Oktober 1682 wird die Verlobung von Sophies ältestem Sohn, der später als George I. die Krone von England tragen wird, mit Sophie Dorothee bekanntgegeben, am 24. Oktober werden die Ehepakte unterzeichnet. Es ist eine Verbindung von zwei allzu verschiedenen Menschenkindern, es ist eine eiskalt berechnete Operation, die das reiche Celler Erbe mit dem aufstrebenden hannoverschen Hofe in Zukunft, nach dem dereinstigen Absterben Georg Wilhelms, vereinigen soll, und diesem Projekt werden zwei junge Menschen geopfert. Augenzeugen berichten von einer tief gedrückten Stimmung, die bei der Verlobungsfeier an der Celler Hoftafel geherrscht habe, obwohl der geschmeidige Leibniz, der ja dem hannoverschen Hofe und der hochgebildeten Sophie eng verbunden war, in einem noch vorhandenen Carmen die Braut als ›divine beauté‹ und ›belle déesse‹ feiert, von der das Volk bezaubert sei und von deren Heirat Europa sich ›les fruits de la beauté‹ und ›les effects du courage‹ verspreche.

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Sophie Dorothee Prinzessin von Ahlden,
Großmutter des Königs

Die ›divine beauté‹ ist inzwischen sechzehn Jahre alt geworden, ihr Brautbrief, den sie der ihr so wenig gewogenen Schwiegermutter schreibt, ist beinahe der eines schüchternen Firmlings, der unter mütterlicher Aufsicht und Zensur bei einer hochmögenden Firmpatin sich für ein splendides Geschenk bedankt. ›Ich habe so viel Achtung vor dem Herrn Herzog, Ihrem Gemahl, daß ich immer sehr zufrieden sein werde, was sie auch immer mit mir tun mögen, und mein ganzes Leben werde ich mich mit der größten Sorgfalt befleißigen, Ew. Hoheit Güte zu verdienen und zu beweisen, daß Sie keine Tochter hätten wählen können, die es besser verstünde, zu tun, was sie Ihnen schuldig ist.‹ Der Brief sieht wirklich so aus, als sei er unter Aufsicht der strengen Hugenottenmutter geschrieben worden, und wie es später mit der Erfüllung all dieser artigen Versprechen stehen wird, liegt auf einem anderen Brett! Sieht man Sophie Dorothees Jugendbildnis, so steht man vor einem früh erblühten, vollbusigen Geschöpf … vor einer kleinen, sinnlich-üppigen Helene Fourment, in deren Antlitz wenig zu finden ist vom geistigen Erbe der strengen und wohl auch ein wenig prüden Hugenottin, die ihre Mutter war. Der Bräutigam aber, dem dieses Kind mit dem nach Küssen durstigen Mund anvertraut wurde, ist von anderer Art. In den Briefen, die er von seiner Teilnahme an den kaiserlichen Feldzügen seiner Mutter schrieb, fällt die starke Abhängigkeit von dieser starken Frau auf, die im Hause Hannover damals so etwas wie ein ›böser alter Mann in Unterröcken‹ war … jenes starke, lebenstüchtige und gefürchtete Weib, das in alten Geschlechtern überall dort erscheint, wo die Männer, sei es auch nur für eine oder für zwei Generationen, müde und schütter zu werden beginnen. –

Georg Ludwig aber? Der galt zeitlebens, auch später als englischer König, als Sonderling, Tante Liselotte von der Pfalz nennt ihn einmal ›froid‹, und als dunkle Gestalt steht er in diesem nun anhebenden Spiel. Daß er diese Ehe eiskalt und lediglich ›pour la grandeur de la maison de Hannovre‹ schloß, ist anzunehmen, daß er von Kindesbeinen an alle die Médisanterien der Mutter über den Celler ›Bastard‹, seine nunmehrige Frau, angehört hatte und in dieser Hinsicht voreingenommen war, erscheint sicher. Nachgerade macht es den Eindruck, als seien abfällige Bemerkungen über die d'Olbreuse und ihre nun im Leineschloß einziehende Tochter bei den Hohen Herrschaften von Hannover allezeit willkommen gewesen. Und wo findet sich denn nicht ein Höfling, der das bereitwillig sagt, was höheren Orts gewünscht und gern gehört wird?

Kommen die besonderen Verhältnisse des hannoverschen Hofes hinzu. Von den galanten Launen ›Serenissimi‹ ist hier schon die Rede gewesen, es scheint nachgerade, daß auch die zahlreichen italienischen Reisen nur unternommen wurden, um dem Herrn Herzog, wenn er sich an nordischem Hofdamenwild sattgepürscht hatte, eine Abwechslung in südlichen Jagdrevieren zu ermöglichen. Ernst August war ein zielbewußter kluger Politiker, der über diesen Amouren nie das vergaß, was er für sich und sein Haus wollte, damals gerade mit viel Energie die Kurfürstenwürde anstrebte und (1692) erlangte und durch ein Erbfolgegesetz der verhängnisvollen Teilerei in seinem Hause ein Ende machte. Das änderte aber nichts an der Tatsache, daß im Leineschloß ein Harem ehrgeiziger und ränkesüchtiger Weiber existierte, daß Sophie, die Unabänderlichkeit dieser Umstände einsehend, auf diesem Gebiete beide Augen zudrückte, und daß eben dieser Serail den Einfluß der neu ins Haus gekommenen jungen Frau fürchtete und ihr Fallen zu stellen suchte. Die bekannteste war Clara Elisabeth Platen geb. Meysenburg – sie war damals eine alternde und verblühende Frau und hatte somit Grund genug, um ihre Stellung besorgt zu sein, sie ist offenbar von Natur boshaft und ränkesüchtig gewesen und wohl nicht umsonst mischt die Legende in die spätere Tragödie der jungen Prinzessin ihren Namen. Daß die Tochter, die sie dem Herzog geboren (die spätere Lady Darlington) allem Anschein nach später die Rolle der Mutter am Hofe weiterspielte und die Geliebte ihres Halbbruders George Ludwig wurde, sei hier nur nebenbei ebenso erwähnt wie die Tatsache, daß eine andere – Melusine v. d. Schulenburg – aus dem Besitz des Vaters in den Besitz des Sohnes überging. So waren – von anderen Dingen zu schweigen – die inneren Umstände des im übrigen korrekten und durch Sophies Einfluß vielleicht sogar ein wenig puritanischen Hofes; ich glaube nicht, daß sie die ethischen Begriffe einer jungen siebzehnjährigen Frau, als die Sophie Dorothee im Leineschloß einzog, unberührt lassen konnten. Jede dieser Damen witterte zudem in ihr die mögliche Konkurrentin, jede nahm die erste Gelegenheit wahr, ihr ein Bein zu stellen. Auf wen aber sollte sich das junge, unerfahrene und heißblütige Geschöpf stützen? Nahegestanden hat ihr offenbar nur ihre eigene Hofdame, Fräulein v. d. Knesebeck, die denn auch folgerichtig in den Strudel ihres Untergangs hineingezogen worden ist. Ihre Schwiegermutter Sophie aber war mit Hauspolitik, mit ihren Familienkorrespondenzen, mit den Briefen an ihre nach Berlin dem ersten Preußenkönig verheiratete Tochter Sophie Charlotte vollauf beschäftigt. Nur ein einziges Mal gedenken, bei der Geburt des ersten Großsohnes, ihre Briefe der jungen Sophie Dorothee; selbst in der Zeit der Königsmarck-Katastrophe wird sie in der Korrespondenz nur sehr flüchtig erwähnt. Die Siebzehnjährige also stand allein oder doch fast allein auf dem glatten Parkett des Leineschlosses inmitten einer feindseligen oder bestenfalls gleichgültigen Umgebung: daß sie früher oder später ausgleiten mußte, erscheint selbstverständlich.

Wir sind für die ersten Jahre dieser jungen Ehe mehr oder minder angewiesen auf jenen Klatsch, den jeder Hof, sei er auch wie der hannoversche seit siebenzig Jahren verschollen, hinterläßt, und dieser Klatsch deutet den Verlauf just so an, wie er nach dem oben Gesagten sich erwarten ließ. Zwei Kinder (es ist der spätere Georg II. von England und Sophie Dorothee die Jüngere, Friedrichs Mutter) werden in rascher Folge geboren, und nach diesem Ereignis scheint der junge Kurprinz seine Rolle als Ehemann für beendet angesehen zu haben. Neben der Schulenburg fesselt ihn Frau v. Weyhe, im übrigen entführen ihn die mannigfachen kaiserlichen Feldzüge jener Zeit Jahr um Jahr aus der Nähe seiner Gattin, und Tatsache ist, daß das unerfahrene junge Geschöpf allein bleibt. Behauptet wird, daß sie sich frühzeitig die Platen (über deren klimakterische Boshaftigkeiten sich sogar die so unverletzliche Sophie brieflich beschwert) durch unbedachte Bemerkungen zur Feindin gemacht hat; erzählt wird ferner von häßlichen Szenen und gar von Mißhandlungen, die es zwischen dem jungen Ehepaar gegeben haben soll. Was daran wahr ist, bleibe dahingestellt, wir wissen nur, daß die lebensvolle, sicherlich nicht bedachte und wahrscheinlich nicht einmal kluge Prinzessin allein gelassen wurde, und mußten es wohl erwarten, daß sie das Leben dort suchte, wo es sich ihr bot. Im Frühjahr 1686 unternimmt der ›Herr Herzog‹, der freilich erst in den beiden vorhergehenden Wintern in Italien war, eine neue Romfahrt und nimmt, während Georg Ludwig in Ungarn gegen die Türken ficht, seine junge Schwiegertochter mit. Georg Ludwig trifft zwar, den Feldzug unterbrechend, in Venedig für kurze Tage seine Gattin, reist aber bald weiter, und da der Herzog nach alter Gewohnheit anderweitig engagiert ist und da die als Gardedame mitgenommene Frau v. Ilten ihrer Entbindung entgegensieht und behindert ist, so bleibt die junge Frau sich selbst überlassen.

Der südliche Karneval aber – gleichgültig, ob es sich um den Münchner oder um den römischen handele – ist nun einmal ein Glatteis, auf dem eine Frau erfahrungsgemäß um so leichter ausgleitet, je puritanischer sie von Hause aus erzogen ist und je steifleinener bis dahin ihre eigene Umgebung war. Wie dem auch sein mag – in dieser Zeit ist die junge Sophie Dorothee einem abenteuernden Franzosen, dem Marquis de Lassay begegnet, und da später die spitzzüngigen hannoverschen und Heidelberger Damen diese Begegnung als Vorspiel zum späteren Königsmarck-Skandal ausgelegt haben, muß sie hier wohl oder übel erörtert werden. Fünfundvierzig Jahre später nämlich hat dieser inzwischen alt und grau gewordene Marquis es für gut befunden, diejenigen Briefe zu veröffentlichen, die er damals an Sophie Dorothee geschrieben haben will. Es sind gegen zwanzig Briefe, und sie würden, wären sie wirklich je geschrieben worden, eine ziemlich deutliche Sprache reden. ›Es ist unmöglich, daß ich dieser Leidenschaft länger widerstehen kann … wenn Sie mir Ihre niedlichen Hände zum Küssen reichen, so weiß ich beinahe nicht, was mit mir wird. Wenn diese glühende Leidenschaft, die ich für Sie empfinde, Sie beleidigt, so geben Sie dem Prinzen diesen Brief und richten Sie mich aus Mitleid mit einem Schlage zugrunde … ich habe nichts zu wünschen, als einen schnellen Tod …‹

Und weiter: ›Sie haben gewollt, daß ich mit dem Kardinal … hierher käme, er aber langweilt mich zum Sterben, ich bin allzusehr daran gewöhnt, mit Ihnen zu leben … Sie teilen mir mit, daß sie seit meiner Abreise für nichts Interesse gehabt haben, als für meinen Brief, und Sie teilen mir ferner mit, Sie wünschten alles das zu sein, was mir nahe ist. Wenn Sie wüßten, wie oft ich die Stelle Ihres Briefes gelesen habe, wo Sie mir schreiben, ich würde nie einen Menschen finden, der mich so von Herzen liebt, wie Sie! Ich werde also zärtlich von Ihnen geliebt? Ich brenne vor Ungeduld, Sie wiederzusehen, ich hoffe, es wird morgen sein … adieu, reizende Prinzessin, ich möchte wohl an Stelle von Fräulein v. Knesebeck sein oder noch lieber an Stelle Lisettes, denn ich möchte nichts anderes tun, als Sie sehn und Sie...

Ich überlasse es Ihrer Phantasie, zu vollenden …

Das sind Proben aus mehreren Briefen, und man wird zugeben, daß schon diese Lassay-Briefe, wären sie echt, einen ziemlich schlüssigen Beweis für die Schuld der Prinzessin darstellten. Die Heidelberger Damen, in deren Augen Sophie Dorothee ja zeitlebens der Bastard blieb, haben sich denn dieser Affäre auch in der bekannten liebevollen Weise angenommen, denn später schreibt Liselotte ihrer Tante Sophie nach Hannover, sie ›könne nicht begreifen, warum der Onkel (Ernst August) sie (Sophie Dorothee) nicht gleich nach der italienischen Reise habe einsperren lassen, da sie es damals schon reichlich verdient habe …‹

So urteilen die Damen später über diese Angelegenheit. Mir scheint, diese Affäre Lassay ist so tragisch nicht zu nehmen, mir scheint, daß diese Briefe die plumpe Fälschung eines Roués sind, der sich auf seine alten Tage mit den bunten Federn einer Liebesgeschichte und gar mit dem Nimbus schmücken wollte, den die später durch den Königsmarck-Skandal berühmt gewordene Partnerin ausstrahlte.

Zunächst: man vergleiche diese Briefe mit denen, die Königsmarck schrieb, man vergleiche die Substanz dort und das leere Gewäsch hier, man höre dort die Katarakte der Leidenschaft toben und hier dünne Wässerchen plätschern … man sehe diese gestelzte Sprache, die an Mustervorlagen aus einem für ein paar Groschen käuflichen Liebesbriefsteller erinnern: und man kommt schon aus diesen Gründen allein zu dem Schluß, daß diese Briefe posthum geschrieben sind, als Sophie Dorothee ihr Leben längst als Staatsgefangene beschlossen hatte und in Frankreich ein Lebegreis sich mit den angeblichen Beziehungen zu ihr wichtig machen wollte! Zudem: seit wann veröffentlicht man, wenn man schon den Schleier von einer Liebesgeschichte zieht, nur die eigenen Briefe, und wie kam dieser seltsame Seladon dazu, die seinen erst, wie ein verliebter Sekundaner, ›ins Unreine‹ zu schreiben? Weiter: Königsmarcks Briefe nennen beinahe auf jeder Zeile Namen, Daten, Ortsangaben, die, wie wir sehen werden, eine sehr genaue Nachprüfung ermöglicht haben. Bei diesem Herrn Marquis aber, der vierzig Jahre später die (inzwischen verstorbene!) Prinzessin ›das artigste, aber auch das ungetreueste Mensch der Welt‹ zu nennen beliebt, fehlt dies alles: kaum ein Datum ist auffindbar, kaum eine Ortsangabe, kein Name … selbst der Name jenes Kardinals, in dessen Gesellschaft der angebliche Briefschreiber sich so zu langweilen fürchtet, wird durch drei Punkte ersetzt – am Ende hätte an diesem Namen die Mitwelt die Echtheit dieser Briefe nachprüfen können! Und wie steht es mit jener Kammerfrau ›Lisette‹, durch deren Nennung der Liebhaber den Schein der Intimität zu erwecken versucht? Nun, wir kennen heute alle die jene Reise behandelnden hannoverschen Hofrechnungen und wissen, daß es eine ›Lisette‹ in dem kleinen Reisehofstaat der Prinzessin nicht gegeben hat und daß die Kammerzofe Marietta hieß. Ergebnis: Sophie Dorothee dürfte auf diesem Karneval unvorsichtig kokettiert und sich unnütz ins Gerede gebracht haben – dieser armselige ›chevalier errant‹ aber benützte die Gelegenheit, um später mit ihren Gunstbezeugungen sich zu spreizen. Auch ohne diesen seltsamen Vogel kam das Schicksal, es kam bereits nach einem Jahre, und wir wollen's der unglücklichen Frau wenigstens zugute halten, daß es wenigstens in einer etwas würdigeren Gestalt kam als mit diesem dürftigen Abenteurer …

Was den Grafen Philipp Christoph Königsmarck anbetrifft, so erinnern wir uns, daß er, zunächst in Hamburg erzogen, seine höfische Ausbildung in Celle empfangen hatte und Gespiele der kleinen Sophie Dorothee gewesen war – die Hofdame v. Knesebeck behauptet später bei ihrem Verhör, daß die Liebe der beiden schon in jenen Jugendjahren begonnen habe. Was Königsmarck anbetrifft, so war er hinterher noch in Kindesjahren kursächsischer Oberst geworden, war dann durch ganz Europa und über so ziemlich alle Kriegsschauplätze jener Tage geirrt, hatte in Spiel und Trunk sein junges Leben versprüht und verknattert. Begütert war er in Deutschland, in Schweden, in Livland; er war einer der reichsten und vor allem einer der glanzvollsten Kavaliere jener Zeit, er war ein Bruder jener Aurora Königsmarck, die die Geliebte Augusts des Starken und aus dieser Verbindung Mutter des späteren Marschalls von Sachsen wurde. Der Ruf, der Philipp Christoph vorausging, scheint nicht der beste gewesen zu sein; Stepney, der spätere englische Gesandte in Dresden, schreibt von ihm, ›er habe ihn in London, in Flandern und in Hannover als ausschweifenden debauché kennengelernt und wäre ihm immer gern aus dem Wege gegangen‹; die Knesebeck sagt später von ihm aus, er sei geschlechtskrank gewesen (was freilich die meisten Barockkavaliere waren). Das Bildnis, das wir von dem Siebenundzwanzigjährigen haben, zeigt deutlich die Züge des Roués. Nach Hannover kommt er 1688, wird zuerst Chef eines Infanterie- und später der eines Dragonerregiments, er nimmt bis zu der Katastrophe von 1694 Jahr für Jahr teil an den Feldzügen in Belgien, er ist inzwischen Trinker, Spieler, Flaneur und beginnt seine Tätigkeit am hannoverschen Hofe zunächst damit, daß er sich der Platen, der Mätresse des Herzogs, nähert. Die Platen aber war in jenem gefährlichen Alter, wo Frauen von der Panik ›vor Toresschluß‹ leicht befallen werden, die Platen scheint ihm sehr, sehr weit entgegengekommen zu sein, und die Memoiren der Aurora Königsmarck berichten über dieses Abenteuer des Bruders schier unerträgliche Einzelheiten. Er hat die Platen, die er später in seinen Briefen ›Vieille bagmate‹ (alte Steppenstute) nennt und die angeblich mit einer Fehlgeburt diese Begegnung liquidierte, fallen gelassen, sowie er Sophie Dorothee nähertrat – es liegt mehr als nahe, daß die alternde und eifersüchtige und der Prinzessin sowieso nicht eben gewogene Platen hierher jenen infernalischen Haß bezog, den man in dem Dunkel der Königsmarck-Katastrophe ja doch allenthalben wittert. Um diese Katastrophe in aller Kürze vorwegzunehmen: Philipp Christoph Graf Königsmarck ist in der Nacht vom 1. zum 2. Juli 1694 De facto in der vom 11. zum 12. Juli. Weswegen auch heute allenthalben die Daten des alten Kalenderstiles beibehalten werden und den Leser irreführen, ist nicht recht klar. im hannoverschen Leineschloß spurlos verschwunden und hat hinter sich einen Berg von Schulden und Dokumenten zweifelhafter Art, eine ganze Wetterwolke von Legenden und eine ganze Bibliothek von guten und schlechten Dichtungen hinterlassen, die ihm und seiner Liebschaft mit Friedrichs Großmutter gewidmet sind. Angeblich übrigens auch einen vermoderten Schädel, der bei Umbauarbeiten im hannoverschen Schlosse vorgefunden wurde und die Spuren einer schweren Verletzung aufgewiesen haben soll Ich werde von Ortskundigen darauf aufmerksam gemacht, daß von Königsmarck in Hannover mindestens sieben ›echte‹ Köpfe existieren. Das alte Leineschloß steht auf dem Platze eines alten Klosters, es ist leicht verständlich, daß Aenderungsarbeiten oft Gebeine zutage fördern, die mit Königsmarcks Körperlichkeit nichts zu tun haben dürften.. Dies ist in aller Kürze sein Schicksal. Das parallele der Prinzessin, um auch dies vorwegzunehmen, heißt: Ehescheidung, ewige Haft auf dem einsamen Schlosse Ahlden und Tod als vereinsamte und vergessene sechzigjährige Staatsgefangene.

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Philipp Graf von Königsmarck

Dies ist das Aktenmäßige, das Unanfechtbare aus dem Lebenslauf zweier Menschenkinder, die wir heute als Liebespaar kennen, nachdem vor allem die niedersächsische Historiographie des 19. Jahrhunderts sie lange als schuldlose Opfer höfischer Intrige und ihre unzähligen Liebesbriefe als raffinierte Fälschungen angesprochen hat.

Folgt man nun den mannigfachen Darstellungen der ›klassischen‹, jedwede Schuld der Prinzessin leugnenden Partei (zu der übrigens als ältester Eideshelfer auch der Marschall von Sachsen gehört), so war Königsmarck durchaus nicht der Roué, als der er auf den ersten Blick wohl erscheint, und selbst das Techtelmechtel mit der Platen ist nur eine edelmütige Intrige, mit der der Graf die Erzfeindin der Prinzessin, die Platen, in den Augen des Herzogs und Kurfürsten unmöglich machen will, ja, der Graf treibt dort diesen beinahe schon unerträglichen Edelmut so weit, daß er sich zu diesem Zweck mit der ›vieille bagmate‹ auf einem Gartenfeste in unmöglicher Stellung erwischen läßt. Die Platen aber erscheint, was der Wirklichkeit ja auch am Ende näher kommt, in der Darstellung dieser Partei der ›Klassiker‹ als ein Teufel von Boshaftigkeit, der dem Kurprinzen seine unterschiedlichen Mätressen (darunter ihre eigene Schwester) zuführt, gleichzeitig aber Sophie Dorothee auf die Abwege ihres Gatten aufmerksam macht. Alles dies, um die Gatten einander zu entfremden, um Sophie Dorothee unsicher zu machen. Gleichzeitig aber habe die Platen einerseits der jungen Prinzessin Königsmarck zugeführt, anderseits aber wieder den Kurprinzen auf den Verkehr der beiden argwöhnisch gemacht, und diese ganze etwas komplizierte und wegen ihrer Kompliziertheit allein schon unwahrscheinliche Intrige gipfelt in einer Episode, die verzweifelt an das Finale von Mozarts ›Figaro‹ erinnert: Georg Ludwig nämlich hat seiner Gattin ein Paar Spitzenhandschuhe geschenkt, die Platen entwendet der Prinzessin diese Handschuhe, kleidet sich ähnlich wie Sophie Dorothee, fordert Königsmarck zu einer Gartenpromenade in einer Gegend des Parkes auf, wo sie Ernst August und Sophie Dorothees Gatten in unmittelbarer Nähe weiß. Die Platen, die genau weiß, daß man sie aus einiger Entfernung wegen der gleichen Kleider für Sophie Dorothee halten muß, schützt Königsmarck gegenüber einen Defekt an ihrer Robe vor, bewegt ihn auf diese Weise, mit ihr einen Pavillon zu betreten, verläßt ihn dann zusammen mit Königsmarck in absichtlich derangierter Toilette unter den Augen der promenierenden Herren, die natürlich an ein gestörtes Tête-à-tête zwischen Königsmarck und der Prinzessin glauben müssen und denen dann als Zeichen des Ehebruches ein Lakai die im Pavillon von der Platen absichtlich liegengelassenen Handschuhe der Prinzessin bringt: wahrlich wiederum eine reichlich komplizierte Angelegenheit! Der Prinzessin aber habe die Platen beigebracht, daß die Schulenburg vom Kurprinzen einen Sohn habe, es kommt infolgedessen zwischen den Ehegatten zu einer heftigen Szene, während Königsmarck, eben von einer Reise zurückgekehrt, ein Billett vorgefunden habe, das ihn nachts in Sophie Dorothees Zimmer entbot – dieses Billett aber sei eine Fälschung der Platen gewesen. Der Graf begibt sich denn auch zu der Prinzessin, und während er bei ihr weilt, benachrichtigt die Platen, die dies alles arrangiert hat, Ernst August und erhält von ihm die Vollmacht zu Königsmarcks Verhaftung. Platen postiert hinter dem großen Kamin des Rittersaales die (zuvor gründlich unter Alkohol gesetzten) Trabanten, diese versuchen an den tapfer sich wehrenden Königsmarck Hand zu legen, der Graf wird verletzt und stirbt, nicht ohne daß die Platen ihm vorher einige Fußtritte versetzt hätte. Er wird in eine Wand gemauert und verschwindet damit, Sophie Dorothee wird der Prozeß gemacht: dies ist die Darstellung, die die Platen später auf dem Sterbebette dem Pastor Kramer gegeben haben soll, und ähnlich habe der bei dem Kampfe schwer verletzte und später gestorbene Trabant Busmann oder Buschmann dem gleichen Geistlichen gebeichtet …

Wozu nun bemerkt werden muß, daß es einen Geistlichen dieses Namens nach den sorgfältigen Forschungen der letzten Jahre nicht gegeben hat, wodurch diese Nick-Carter-Tragödie sozusagen torpediert wird. Da die Kritik all dieser Darstellungen erst später folgen soll, so seien hier noch weitere, nicht minder nach ›Blut- und Leberwursttragödie‹ geartete Legenden berichtet. Nach der einen – es ist die Aussage des Modellierlehrers der Prinzessin, Zeyge (und er will sogar Augenzeuge der Abschlachtung gewesen sein), nach diesem Bericht also habe der Kurprinz in der Oper die Nachricht von einem eben sich vollziehenden Ehebruch zwischen Königsmarck und Sophie Dorothee erhalten, sei mit einem Begleiter – beide in Masken – ins Zimmer der Prinzessin eingedrungen. Königsmarck habe den Degen gezogen, sei in dem sich entspinnenden Gefecht mit den beiden Maskierten schwer verwundet und in einen Stuhl gesetzt worden, habe dem herbeigerufenen Geistlichen gebeichtet und sei dann (immer vor Zeyges Augen!) von dem ebenfalls herbeigerufenen Henker geköpft und (diese Bestattungsart erhält sich in allen Darstellungen) in die Wand des Zimmers gemauert worden. Eine zweite, nach der man Königsmarck lebend in einen brennenden Ofen gestopft habe, ist nicht minder blutrünstig, nach der anderen aber habe man den verwundeten Grafen noch fünf oder sechs Monate im Apothekengewölbe des Schlosses verwahrt, dann sei er von der Platen eingehend verhört und zum Schluß, nicht ohne vorherigen geistlichen Zuspruch, feierlich und sozusagen in allen Ehren vergiftet worden …

Dann aber habe man (was tatsächlich erfolgte) Königsmarcks Wohnung durchsucht, seine Papiere beschlagnahmt, und nach deren Durchsicht habe der Kurfürst seine Schwiegertochter vom Verdachte des Ehebruches freigesprochen. Die Kurprinzessin, angeekelt von ihrer durch die Untreue des Gatten beschmutzten Ehe, habe sich freiwillig (!) nach Schloß Ahlden begeben, habe später dortselbst und sogar in Anwesenheit des hannoverschen Hofes (!) ihre Unschuld feierlich auf das Sakrament geschworen, sei nach dieser Zeremonie aufgestanden und habe die anwesende Platen aufgefordert, das gleiche zu tun. –

Leider erfahren wir bei dieser gefühlvollen Darstellung nicht, was die Platen, die ja in allen Ehren gewissermaßen als ausgediente Staatsmätresse des hannoverschen Hofes gestorben ist, daraufhin getan hat. Wir aber wollen uns, den wahrscheinlichsten Verlauf der ganzen schaurigen Angelegenheit rekonstruierend, an die Regel halten, daß man an den Dingen sicherlich vorbeischießt, wenn man an ihnen herumkünstelt, und daß die wahrscheinlichste und zwangloseste Annahme meist auch die richtigste ist. Wir wollen dabei die schriftlichen Hinterlassenschaften dieses Liebespaares – seine Briefe – erst später begutachten, wir wollen so tun, als wären sie nicht vorhanden und wollen uns an die bekannten und unwiderleglichen Dinge halten. Der Kurprinz ist eisig kühl und seiner jungen Gattin untreu, die Kurprinzessin ist temperamentvoll und sinnlich – sollte es da wirklich an sich so schrecklich weitab liegen, daß in dem Augenblick, wo ein glanzvoller und hemmungsloser Dritter auf dem Plan erschien, die Dinge denjenigen Verlauf nahmen, den sie auch sonst zu nehmen pflegen? Königsmarck hat volle sieben Jahre, bis zu seinem Tode, am hannoverschen Hofe geweilt, es war Zeit genug, um eine, wie die Knesebeck später bezeugt, alte und schon auf Celle zurückgehende Liebe wachsen zu lassen. Damit wären einfach die Gesichtspunkte der Wahrscheinlichkeit, das was man gewöhnlich ›Schuld‹ der Frau nennt, erwiesen. Wir haben aber, von den gleich zu erörternden Königsmarck-Briefen immer abgesehen, weit zwingendere, weit unanfechtbarere Beweise, die ich hier, den später zu schildernden Verlauf der Angelegenheit vorwegnehmend, zusammenstellen will …

Ich frage die nicht eben mehr sehr zahlreichen, aber desto hartnäckigeren Anhänger der ›Unschuldhypothese‹:

1. Weswegen hat, wie wir noch sehen werden, Sophie Dorothee später von Ahlden aus ihre Schuld in den Briefen an ihren ehemaligen Gatten und an ihre ehemalige Schwiegermutter klipp und klar eingestanden?

2. Wie kommt es, daß Liselotte von der Pfalz, die von ihrer Tante mit dem wirklichen Stand der Dinge sicherlich bekannt gemacht worden war, im November nach der Katastrophe einen Brief schreibt, in dem sie der Frau prinzipiell das Recht abspricht, die Untreue des Gatten mit gleicher Münze zu vergelten?

3. Was bewog den früher so zärtlichen Vater der Kurprinzessin, Georg Wilhelm von Celle, sich von der Tochter nach der Katastrophe zurückzuziehen? Was bewog die strenge Hugenottenmutter, ein gleiches zu tun, und wie kämen Eltern dazu, die bei einer wirklichen Unschuld des Kindes doch nur noch fester werdenden Bande also zu durchschneiden?

4. Was bewog Georg Ludwig später als englischen König, seine ehemalige Gattin völlig zu negieren, alle ihre Bilder aus seiner Nähe zu verbannen und sie sogar aus den Zimmern des Sohnes, des nachmaligen Georg II., entfernen zu lassen?

5. Was bewog die zur Untersuchung des Königsmarck-Skandales bestimmte Untersuchungskommission, von einer ›skandaleusen Korrespondenz‹ zu sprechen, die man vorgefunden habe, weswegen wurde in des verschwundenen Königsmarck Wohnung so eifrig nach kompromittierenden Schriftstücken gefahndet, weswegen wurde die Knesebeck nur in Richtung auf den Ehebruch verhört … und endlich: weswegen sind alle den Scheidungsprozeß betreffenden Aktenstücke aus den hannoverschen Archiven verschwunden? Wäre das wohl der Fall, wenn nicht ein den Hof schwer kompromittierender Ehebruch, sondern nur eine simple Scheidung aus gegenseitiger Abneigung vorgelegen hätte?

Man wird ohne die in solchen Fällen leider üblichen Künsteleien alle diese Fragen nicht beantworten können, man wird sich an das zu halten haben, was ohne alle diese Tüfteleien naheliegt, und wird gut tun, in dieser nun bald zweihundertundfünfzig Jahre alten Sache ohne Prüderie und ohne jene berühmte These vorzugehen, ›daß nicht sein kann, was nicht sein darf‹! Wir sind nicht auf Indizienbeweise angewiesen, wir verfügen über Dokumente, die der Kritik der letzten Jahre standgehalten haben, und diese Dokumente bestehen in den zwischen dem Liebespaar ausgetauschten Briefen …

Das Preußische geheime Staatsarchiv bewahrt deren fünfundsechzig, die Bibliothek zu Lund in Schweden aber nicht weniger als sechshundertundneunundsiebenzig auf, die, seltsamerweise bis heute erst zum Teil veröffentlicht, einen Zweifel an den wirklichen Beziehungen des Paares nicht mehr gestatten.

Es ist seltsam genug, diese Blätter in der Hand zu halten, die, von Königsmarck auf Feldzügen und Reisen mitgeführt, noch heute die Spuren der Durchfeuchtung, der Aufbewahrung im Reisegepäck und in der Satteltasche tragen. Sophie Dorothee schreibt in dem klassischen Französisch, das wohl mütterliches Erbteil war, Königsmarck handhabt für die gleiche Sprache, die er wohl geläufig sprach, eine Orthographie, die geradezu barbarisch genannt werden kann (›aist‹ statt ›est‹, ›illia‹ statt ›il y a‹, ›soar‹ statt ›soir‹). Alle sind an Mittelspersonen adressiert (meist war die Knesebeck der Vermittler), manche tragen noch den Vermerk der expedierenden Postmeister, teilweise ist sympathetische Tinte verwendet, vielfach sind Namen chiffriert, oder es tauchen statt der dem Paar geläufigen Namen Deckworte auf. ›Ich hoffe‹, heißt es bei Königsmarck, ›daß Sie mein Herz nicht mehr mißhandeln und Mitleid mit ihm haben werden. Am kommenden Sonntag sehe ich Sie in Hannover … denken Sie ein wenig daran, Gelegenheit zu finden, mich glücklich zu machen … lassen Sie mich kommen, Sie wissen ja, wohin …‹

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Schriftprobe aus den Königsmarck-Briefen
(aus Schnath, Der Königsmarck-Briefwechsel eine Fälschung?
Niedersächsisches Jahrbuch 1936)

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Adresse eines Briefes von Königsmarcks Hand mit Portovermerk »6 Gr.« [oschen]
(aus Schnath, Der Königsmarck-Briefwechsel eine Fälschung?
Niedersächsisches Jahrbuch 1936)

Die Furcht vor Beobachtung dieses Briefwechsels, vielleicht auch eine wirkliche Postspionage, muß frühzeitig die Liebenden bestimmt haben, frühzeitig tauchen für die beiderseitige Umgebung seltsame Decknamen auf. ›Der Reformeur‹, das ist Georg Ludwig, der ›Pädagog‹ die d'Olbreuse, die ›Perspektive‹ heißt die Platen, auch einen ›Innocent‹, einen ›Duc Diego‹ und einen ›Extreneur‹ gibt es in dieser seltsamen Nomenklatur, ohne daß es gelungen wäre, in jedem Falle die gemeinte Persönlichkeit festzustellen. Frühzeitig mischt sich in diesen Briefwechsel auf seiten der Prinzessin die Angst um den im Felde liegenden Geliebten, oft fühlen wir am Vorabend von Gefechten auf beiden Seiten Schicksalsschwere, fast immer Angst vor Entdeckung und vor jenem Schicksal, das ja denn auch kam …

›Der Pädagog‹, schreibt Sophie Dorothee, ›verläßt mich eben, sagte mir, es sei nun eine zweite Schlacht gewiß. Wenn ich nicht im Bett gewesen wäre Die Prinzessin schrieb diesen Brief von Celle aus, wo sie die Eltern besuchte., wäre es für sie (die Mutter) leicht gewesen, meine Bestürzung zu merken. Nun bin ich wieder in dieser tödlichen Unruhe, weiß Ihnen von nichts anderem zu sprechen als von meinem Kummer. Es ist so grausam, Sie in tausend Gefahren zu wissen …, werde ich denn nie das Vergnügen genießen, zu lieben und geliebt zu werden?

Soeben werde ich von dem Pädagogen und dem Grondeur unterbrochen. Alles, was ich tun konnte, war, das soeben Geschriebene rasch zu verstecken, es wäre ein fetter Bissen für die beiden gewesen. Die beiden predigen mir unaufhörlich, gut mit dem Reformeur Ihr Gatte Georg Ludwig. zu leben, und in bezug hierauf versteht der Grondeur keinen Spaß.‹

In der Tat verstand der Grondeur, wie er hinterher, nach der Katastrophe, durch sein strenges Verhalten gegen die ehebrecherische Tochter bewies, in diesen Dingen keinen Spaß, in der Tat hatte das Paar allen Grund, Entdeckung zu fürchten, und in der Tat dürfte eine geheime Ueberwachung des Briefwechsels durch die Agenten des Platen, vielleicht auch durch die kurfürstlichen Funktionäre, frühzeitig eingesetzt haben. Vielleicht schon nach einem in Königsmarcks Brief vom siebzehnten Juni 1693 in sympathetischer Tinte Daß K. diese Tinte zu diesem Zweck bestellte, wissen wir aus einem Briefe seines Vermögensintendanten Hansen. verabredeten Treffen in Schloß Linsburg, schon in diesem Jahr stößt man auf die Schilderung von Situationen, wo die Liebenden ihrem Schicksal gleichsam nur durch einen Zufall noch einmal entkommen sind. Fast überall ist Königsmarck dort, wo seine Geliebte sich verliert in Zärtlichkeiten, eifersüchtig. Eifersüchtig auf die wechselnde Hofgesellschaft, in der er, doppelt entflammt durch die räumliche Entfernung, überall Nebenbuhler wittert …

›Da Sie mich bitten zu erklären‹, heißt es im September 1692, ›was ich gegen Sie habe, so will ich es offen sagen. Erstens, daß Sie nicht erwähnten, daß Sie Sparr in Celle sahen. Zweitens haben Sie sich gefreut, Gyldenleu in Wiesbaden Wohin Sophie Dorothee ihre Mutter auf einer Badereise begleitet hatte. getroffen zu haben …, dann, daß Ihr neuer Verehrer Wahrscheinlich ein Graf Georg August Nassau-Idstein. in Ihrer Nähe ist. Sie gehen zur Messe, er mit seiner Kupplerin wird ebenfalls dort sein, und wenn er nach Hannover kommt, so wird seine Schwester, das hinterlistigste und intriganteste Weib, das ich kenne, auch mitkommen und ihn in Ihr Zimmer einführen. Das dulde ich nicht, lieber gehe ich nach Indien. Es wäre kein Vergnügen für mich, einen Liebhaber in Ihrem Zimmer zu finden. Aber freilich, ich vergesse, er ist ein Prinz …‹

Dort ist es ein nassauischer Duodezfürst, der Königsmarck um die Besinnung bringt, ein anderes Mal, kurz nach der Erteilung der Kurwürde an Hannover, wächst seine Eifersucht auf Sophie Dorothees rechtmäßigen Gatten Georg Ludwig sich schier ins Zynische und Obszöne aus …

Kurprinzessin‹ so kann ich Sie jetzt nennen, denn anscheinend hat der Kurprinz Sie mit diesem Ehrentitel vergangene Nacht belehnt. Sind seine Umarmungen reizender, wenn man diesen Rang bekleidet? Ich jedenfalls kann nicht schlafen vor Wut, daß ein Kurprinz mich des Vergnügens beraubt, meine reizende Geliebte zu sehen. Ich würde Ihnen heute zur neuen Würde gratuliert haben, aber ich zweifele, ob Ihr Gatte heute nacht seine Pflicht getan hat, denn nach der Eile, Sie wiederzusehen, wird diese Rechnung erst um zehn Uhr morgens vollzogen worden sein. Ich wünsche, daß sie Ihnen zugestellt wird, nachdem Sie die kurprinzlichen Vergnügungen in frischem Andenken hatten. Ach, ich würde nicht wagen, Sie an die unsrigen zu erinnern …‹

Wie Königsmarck überhaupt zu Unzartheiten dort neigt, wo Sophie Dorothee hingebend bis zur Sinnlosigkeit ist …

›Wenn ich an den Augenblick denke‹, schreibt sie, ›wo ich Sie wiedersehe, so bin ich in einem Freudenrausch, den nur der empfinden kann, der so liebt wie ich. Ich glaube, ich werde dann sterben … möge es doch Gott gefallen, es wäre so …‹

Bei welchen Gelegenheiten Königsmarck auf stärkeren Instrumenten spielt …

›Ich habe geschlafen wie ein König und wünsche nur, daß Sie es auch getan haben mögen. Gott, welche Nacht habe ich in Ihren Armen verbracht …‹

Das alles sind Briefe aus der Zeit des noch leidlich ungetrübten, wenngleich immer durch die Feldzüge Königsmarcks unterbrochenen Glückes. Später merkt man an den zunehmenden Chiffrierungen, an der zunehmenden Verwendung sympathetischer Tinte, an den Zahlen, die nun die Decknamen ersetzen, wie tief der Himmel dem Liebespaar sich mit Wolken verhängt und wie die Donner des Schicksals zu murren beginnen.

›Der gute Mann Der Hofmarschall Podewils. sagte mir gestern‹, schreibt Königsmarck, ›ich möge heute zu ihm kommen, er habe mir etwas zu sagen. Er sagte mir, daß er immer mein Freund gewesen sei, und so wolle er mich benachrichtigen, daß jemand von 201 Sophie Dorothee. und 120 Königsmarck. gesprochen und gesagt habe, welche Verwirrung die Sache anrichten werde …‹

Und weiter …

›Marschall P. war der erste, der mir einen Wink gab, ich möchte doch auf mein Benehmen achten, da er aus guter Quelle wisse, daß man uns beobachtete …‹

Dann, schon im Schatten des Schicksals …

›Ich habe nicht Gewalt über mich, Sie zu lassen, und wenn nicht der Tod darüber entscheidet, so werde ich es nie tun. Sollte ich vergiftet, massakriert, gerädert und lebendig verbrannt werden, so werde ich es nicht tun und nicht tun können …‹

Bis die Knesebeck mit ihren Warnungen vor der Platen recht behalten hat und die Schicksalsnacht gekommen ist und Sophie nach dem Verschwinden Königsmarcks ihre tödlichen und nur mühselig verhehlten Aengste dem Geheimrat v. d. Bussche klagt …

›Ich zittere, daß der Graf in den Händen der bewußten Dame (Platen) ist, daß es ihm dann ans Leben geht. Haben Sie doch die Güte, sich dieser Angelegenheit anzunehmen, und warten wir lieber ein paar Tage, um über das Schicksal des armen Grafen unterrichtet zu sein. Ich überlasse es jedoch Ihrer Klugheit, denn in dem Zustande, worin ich mich befinde, kann ich meinen Verstand nicht zusammennehmen.‹

Dieser Brief und der drei Tage nach der Mordnacht an Aurora Königsmarck berichtende des gräflichen Sekretärs Hildebrandt Er ist geschrieben unter dem Eindruck der eben in der Königsmarckschen Wohnung vorgenommenen Haussuchung, aber auch unter dem Eindruck finanzieller Verlegenheit und der ungeordneten Verhältnisse, in die Königsmarck geraten war. Interessant ist übrigens, daß auch Hildebrandt in diesem in der Nähe des Tatortes geschriebenen Briefe es nicht ausschließt, sein Herr werde gefangen gehalten, interessant ist, daß die Version, der verschwundene Graf sei noch monatelang im Leineschloss eingesperrt gewesen, von seiner Schwester Aurora selbst verbreitet wurde. Auch der Marschall von Sachsen, der mit seiner Mutter oft über den Fall gesprochen haben mag, hat fest daran geglaubt. schließen die Reihe ab. Damit aber verschwindet der Graf aus der Reihe der Lebenden und aus dem Kreise dieser Betrachtungen für immer, sein wirkliches Schicksal Kopiert man alle die wirren und phantastischen Legenden über die mutmaßliche Mordtat (der von der Forschung merkwürdig wenig Beachtung geschenkt wird!) übereinander, so bleibt bei allen Berichtenden das eine: daß die Platen unmittelbar beteiligt war, und daß Königsmarck noch einige Zeit gelebt habe und im Schlosse verwahrt wurde. An Gerüchten dieser Art ist immer ein wahrer Kern, wenn sie in der Umgebung der Tat entstehen, und wenn die Täter selbst auf das Schweigen der Domestiken sich verlassen müssen: es sickert dann eben doch immer etwas durch. Das Wahrscheinliche ist, daß Königsmarck verhaftet werden sollte, sich zur Wehr setzte, verwundet und im Schloß aufgehoben wurde und starb und tatsächlich irgendwo verscharrt worden ist (auch das Grab in der Mauer kehrt mit verdächtiger Uebereinstimmung in allen Legenden wieder). wird, sollte nicht plötzlich ein unerwarteter Zufall Klarheit schaffen, wohl für immer in Dunkel gehüllt bleiben: dies dank der Gründlichkeit, mit der man damals in Hannover alles vernichtete, was auf die Affäre Königsmarck Bezug hatte Nach einer Hannoverschen Archivlegende wurden die Akten bis ins XIX. Jahrhundert hinein in einem eisernen Schrank sekretiert und später vom Herzog von Cambridge nach England gebracht.. Hannover hat jede Schuld und jedes Wissen um sein Schicksal abgeleugnet, alles Wichtige und sogar alles scheinbar Unwichtige ist verschwunden, alles hat im wesentlichen geschwiegen. Sophie erledigt in ihrer Korrespondenz mit ihren Verwandten den Fall in geradezu monumentaler Kühle. ›Die Hexen haben Königsmarck von hier weggeführt, denn seit mehr als vierzehn Tagen ist er weg und weiß kein Mensch, wo er hingekommen.‹

Wir aber haben ja auch dem Schicksale von Friedrichs Großmutter nachzugehen und kehren in diesem Aspekt noch einmal, und dieses Mal kritisch, zu diesem Briefwechsel zurück. Schon das Schicksal dieser Blätter ist seltsam genug. Sicher ist, daß die, die Königsmarck von der Prinzessin empfing, bei der Katastrophe Es sei hier in aller Kürze das bemerkt, was für das Thema dieses Buches von zweitrangiger Bedeutung ist: daß Königsmarck kurz vor seiner Katastrophe den hannoverschen Dienst quittiert und sächsische Dienste angenommen hatte – sein Geschick ereilte ihn auf einem letztmaligen Besuch in Hannover, es erfolgten nach seinem Verschwinden seitens des Dresdener Hofes ernsthafte diplomatische Schritte in Hannover. Ernst August leugnete in geradezu stoischer Ruhe jedwedes Wissen um sein Schicksal, bis allmählich diplomatische Ruhe eintrat. längst am dritten Orte, vielleicht in Dresden, deponiert waren und auf diese Weise der nach Königsmarcks Verschwinden in seiner Wohnung veranstalteten Haussuchung entgangen sind. Sicher ist eines: die Briefe tauchen – und das spricht schon für sich allein für ihre so lange angezweifelte Echtheit – in den der Katastrophe folgenden Jahrzehnten mehrfach als Erpressungsmittel auf, sie werden, nicht ohne einen sanften Hinweis auf die sonst erfolgende Veröffentlichung, von der weiteren Verwandtschaft Königsmarcks beiden kompromittierten Parteien – dem hannoverschen Hofe ebenso wie Sophie Dorothee und der d'Olbreuse – zum Rückkauf angeboten. 1710 meldet sich in dieser Sache ein Unbekannter zunächst bei der d'Olbreuse und kurze Zeit darauf bei der seit sechzehn Jahren gefangen sitzenden Sophie Dorothee – in beiden Fällen zerschlagen sich sofort die Verhandlungen, weil schon damals ein geradezu schamloser Preis für den Rückkauf gefordert wurde. Später wenden sich Unbekannte zuerst an den nunmehrigen Georg I., Sophie Dorothees inzwischen geschiedenen Gatten, der achselzuckend erklärt, ›es sollten getrost die Schuldigen die Briefe zurückkaufen‹. Der dritte … ich kann nur sagen Erpressungsversuch erfolgt 1727 unter Georg II., der, pietätvoller als sein Vater, mit den Rückkaufsverhandlungen den Geheimsekretär v. Chappuzeau beauftragt. Chappuzeau aber prüft tagelang die Papiere, ist entsetzt über den Inhalt, trifft zur entscheidenden Verhandlung im hannoverschen Gasthause ›Graf von Oldenburg‹ die geheimnisvollen Leute von der Gegenpartei, die sich dieses Mal als die Erben des weiland Königsmarckschen Güterintendanten Hansen entpuppen und sich auf fünftausend Taler herunterhandeln lassen. Kurz vor dem Abschluß aber stellt sich heraus, daß weitere Briefe bei der mit Königsmarck verschwägerten schwedischen Familie Lewenhaupt liegen – diese aber, die nun befragt wird und ihrerseits durch einen recht übel erscheinenden Balten verhandelt, verlangt zuerst 10 000, später gar 100 000 Taler, und an dieser von dem Balten vermittelten schamlosen Erpresseraffäre scheitert schließlich das weitere. Der Lewenhauptsche Anteil wandert teils in die Lunder Bibliothek, teils kommt er in die Hände von Friedrich des Großen Schwester Ulrike, die ja schwedische Königin ist und ihrem königlichen Bruder am achten März 1754 ein kleines Paket von Briefen, die Sophie Dorothee an Königsmarck schrieb, mit der Bemerkung schickt, es stünden ziemlich heikle Dinge darinnen.

Friedrich verschließt dieses Briefpaket mit dem großen Staatssiegel und versieht es mit der Aufschrift ›Lettres d'amour de la Duchesse d'Ahlden au comte Königsmarck‹.

Die Hohenzollern scheinen also die Echtheit der Briefe niemals angezweifelt zu haben, ja, es scheint ihnen solches nie in den Sinn gekommen zu sein – das versiegelte Paket wird im Nachlaß Friedrichs vorgefunden und liegt heute, wie gesagt, im Geheimen preußischen Staatsarchiv. Es bleibt uns nun die Frage, ob ein solcher Zweifel heute, wenn wir aus dem Arsenal der modernen Untersuchungsmethoden alle Hilfsmittel hervorholen, überhaupt möglich ist. Ich will das Ergebnis vorwegnehmen: ein Zweifel an der Echtheit ist heute nicht mehr möglich.

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Vermerk Friedrichs des Großen auf den in einem Nachlaß gefundenen Königsmarck-Briefen
(im Preußischen Geheimen Staatsarchiv)

Soweit der graphologische Vergleich unbezweifelter echter Handschriften der beiden Brief Schreiber mit den ›inkriminierten‹ Liebesbriefen solche Zweifel, wenigstens bei der Prinzessin selbst, aufkommen ließ, sind diese Zweifel heute behoben. Wir wissen heute, und es ist auch durch die hannoverschen Protokolle über das Verhör der Knesebeck belegt und schon damals ›amtlich erhoben‹ worden, daß die Prinzessin, wie viele komplizierte Naturen, ›zwei Handschriften‹ schrieb … daß sie eine, übrigens sehr schöne ›offizielle‹ für Staatsbriefe usw. bereit hielt, und daß sie dort, wo sie gar in der Eile eines insgeheim hingeworfenen Schreibens sich gehen ließ, ihre Briefe so hinwarf, wie es ihrer Hand naturgemäß gegeben war. Da aber schließlich auch die heute zur Wissenschaft erhobene Graphologie nicht die nämliche Exaktheit wie bei einer chemischen Untersuchung, etwa die Spektralanalyse, für sich beanspruchen kann, da ferner, wie bei den berühmten Kassettenbriefen der Maria Stuart, an die ganz ungewöhnlichen Fälscherkunststücke der Zeit immerhin zu denken sein wird, so blieb die weit mühevollere und dankbarere Aufgabe einer genauen äußeren und inneren historischen Kritik.

Zunächst wird doch wohl die Frage beantwortet werden müssen, wer eigentlich an einer solchen Fälschung ein Interesse hätte haben können. Der hannoversche Hof, der lange Zeit im 19. Jahrhundert mit einem solchen Vorwurf belastet wurde, fällt bei dem geringsten Aufwand an Nachdenken völlig aus: wie konnte er, der durch diese Briefe selbst auf das schwerste kompromittiert wurde, auch nur im entferntesten an die Unsinnigkeit denken, solche Briefe herstellen zu lassen? Etwaige Fälschungen wären einzig und allein der Königsmarckschen Verwandtschaft und dem unter chronischem Geldmangel leidenden Grafen Lewenhaupt, Königsmarcks Schwager, zuzutrauen, diese Verwandten aber müßten sich doch wohl oder übel darüber ausweisen können, wie sie den Briefwechsel überhaupt zustandegebracht haben.

Man denke, daß diese Briefe mit ihrem durch Königsmarcks Verschwinden bedingten gespenstischen Nimbus inzwischen zahllose Forscher auf den Plan gerufen haben, daß uns heute die damals in den welfischen Landen gültigen Posttarife ebenso bekannt sind wie die teilweise auf den Briefen notierten Auslaufzeiten, wie die Stabsbücher der hannoverschen Armee, in der Königsmarcks Regiment marschierte … ja, wir verfügen über eingehende Materialuntersuchungen und wissen, daß Königsmarck manche dieser Briefe auf einem in der Nehlener Mühle hergestellten, damals sehr selten verwendeten Papier geschrieben hat; wir wissen, daß diese Bogen das Wasserzeichen der Fabrik mit der Jahreszahl 1687 tragen, und stünden nun vor der mehr als seltsamen Tatsache, daß der in Skandinavien sitzende Fälscher sich dieses wie gesagt außerordentlich seltene Papier nach vielen Jahren verschaffte, um seine Künste glaubhafter zu machen …

Weiter: Tatsache ist, daß die ›Verzahnung‹ dieses Briefwechsels, also dieses Spiel zwischen dem auf der einen Seite angeschlagenen Gedankenakkord und dem auf der anderen Seite antwortenden Gedankenecho so lückenlos ist wie nur in einem Briefwechsel, an dem wir selbst teil hatten und den wir hernach sorgfältig sammelten. Mehr noch: diese Briefe enthalten im Gegensatz zu den angeblich von Lassay geschriebenen Einzelheiten, die sich auf ihre Richtigkeit ohne weiteres nachprüfen ließen und die ein Fälscher unmöglich gewußt haben kann, er hätte denn jahrelang alle möglichen Archive der europäischen Staaten für seine Zwecke durchwühlt. Beispiele: ein Brief Königsmarcks berichtet, daß auf einem Marsch ein Oberst Dumont mit dem Pferde gestürzt und sich verletzt habe, und siehe, auch das Tagebuch des betreffenden Regimentes berichtet diese gewiß nicht weltbekannte Tatsache, Königsmarck erwähnt eine Truppenschau, und wir finden die Bestätigung in den hannoverschen Armeeakten; er berichtet über ein Gewitter, und wir finden es als marschverzögerndes Hindernis irgendwo amtlich erwähnt: sollten denn alle diese gewiß nicht welterschütternden Ereignisse dem Fälscher, der wahrscheinlich nach dem Gesagten in Schweden zu suchen wäre, noch nach Jahren bekannt gewesen sein und bekannt gewesen sein gar nach dem Datum und der Stunde?

Man müßte wieder einmal an den Dingen schon sehr herumkünsteln, würde man die im 19. Jahrhundert von den hannoverschen Historiographen großgepäppelte Annahme von der ›Unschuld‹ der Prinzessin heute noch am Leben erhalten wollen, man müßte um geradezu verzweifelte Ausflüchte bemüht sein und damit den schwersten Fehler begehen, den man bei der Ausdeutung eines dunklen Problems begehen kann: den natürlichen Ablauf der menschlichen Dinge in ein papierenes Bette zu leiten versuchen – dies alles, um eine für Backfische zurechtgemachte Legende zu stützen. Tatsache ist nun einmal, daß die Prinzessin an einen ungeliebten, von allen Zeitgenossen als kalt, käuzisch und menschenscheu geschilderten Mann verheiratet war, Tatsache ist, daß dieser Mann sie öffentlich betrog, Tatsache ist, daß der glanzvollste, eleganteste und vielleicht auch skrupelloseste Kavalier der Zeit ihren Weg kreuzte, Tatsache ist endlich, wenn man von all den oben angeführten ›Indizien‹ absieht, dieser Briefwechsel, von dem noch kein Sterblicher hat sagen können, wie er mit diesen Einzelheiten, mit dieser Fülle bestätigter Daten, in diesem Umfang, in dieser durch die Jahre gegebenen Modulation auf dem Wege einer nachträglichen Fälschung überhaupt hat Zustandekommen können: hieße es da nicht, ein Zimmer statt durch die offene Tür durch einen engen Kamin betreten, wollte man heute noch länger an die rührselige Legende von der unschuldig in Ahlden eingesperrten Frau glauben?

Was ist denn nach solcher Sühne durch eine zweiunddreißigjährige Haft noch Schuld? ›Alles hat seine natürliche Konsequenz‹, sagte der alte Fontane und hat damit unendlich recht, und für Fürsten gilt dieses Gesetz doppelt und dreifach, und wer wie Fürsten an weithin leuchtender Stelle steht, muß es hinnehmen, daß er Fehler weithin sichtbar büßt. Wer aber würde, nachdem das Richtbeil von Fotheringhay dreimal zuschlug, es wagen, von Maria Stuarts ›Schuld‹ noch zu sprechen, wer würde es wagen, den gleichen Stab zu brechen über dieser unglücklichen Frau? Das Gericht, das, wenn erst einmal genügend Zeit verstrichen ist, die Menschenherzen über die ›Schuld‹ geschichtlicher Figuren sprechen, verlangt nicht nach blütenweißen Fabelwesen, es verlangt nur nach dem vom Staate herzustellenden Gleichgewicht von Tat und Sühne und öffnet weit die Gnadenhand, sowie dieses Gleichgewicht hergestellt und zu Ende gesühnt und zu Ende gebüßt und zu Ende gelitten ist. Ich sagte schon von den Stuarts, daß sie, oft genug verwünscht von ihren Zeitgenossen, immer den ganzen schweren Sündensack ihres Geschlechts auf das Schafott und auf ihr letztes Lager schleppten und dennoch entsühnt und beweint und geliebt waren, sowie sie ihre Todesnot geschmeckt hatten. So bei Karl I., so bei Maria, so später bei dieser ihrer unglückseligen Frau, die nicht ihres Blutes, wohl aber so etwas wie ihre Schwester im Geist war, Mennoniten und Quäker und säuerliche Puritaner mögen rechten. Der Staat hebe die Waage des Rechts, der Mensch aber selbst halte den Atem an vor dem großen Gewitter, das vorüberging, er denke an die apokryphe Evangeliumsgeschichte von der Ehebrecherin und schweige. –

In Hannover kommt nun alles, wie es kommen muß. Der Staat greift ein, er tut es mit jenem kühlen Macchiavellismus, der in solchem Falle vor dem Menschlichen die Augen zu schließen und sie für die Raison desto weiter zu öffnen hat. Königsmarcks Wohnung wird durchsucht und versiegelt, einem illegitimen Vetter, der sich in Hannover einfindet und auf eigene Faust Erhebungen zu machen versucht, wird bedeutet, daß er schleunigst zu verschwinden habe. Aurora Königsmarck, hinter sich den kurfürstlichen Geliebten wissend, schreibt an Ernst August und begehrt Auslieferung des Bruders – Ernst August schweigt. Der sächsische Hof schickt, Königsmarck als seinen neuernannten Generalmajor zurückfordernd, den Gesandten Bannier, der immer dringlicher wird und schließlich sogar mit einer sächsischen Intervention droht. Ernst August bedeutet, daß er in diesem Falle die Hilfe des Berliner Hohenzollern, des hannoverschen Schwiegersohnes, an seiner Seite haben und zudem sofort seine Truppen aus der gegen Frankreich stehenden Reichsarmee ziehen werde, wofern man auch Wien und den Kaiser für die Königsmarcksche Sache interessieren wolle. Worauf der Kaiser Sachsen zur Ruhe mahnt. Worauf Bannier sich allmählich beruhigt. Worauf allmählich es stille wird um den also Verschwundenen. –

Die Welfen wahren ihr Gesicht. An der Versailler Hoftafel spricht Ludwig XIV. Liselotte auf den Fall Königsmarck an. Liselotte, die, wie wir aus ihren Briefen wissen, felsenfest an Sophie Dorothees Ehebruch mit Königsmarck glaubt, leugnet alles Wissen um Königsmarcks Schicksal. Die beiden Welfenbrüder erlassen, da Europa zu tuscheln beginnt, im August 1694 an die Höfe ein Rundschreiben, das jedweden Zusammenhang zwischen der in Hannover inzwischen angebahnten Ehescheidung des kurprinzlichen Paares und dem Falle Königsmarck leugnet. Es besagt, daß ›zwischen dem Kurprinzen und der Frau Prinzessin Liebden einige froideur seit einiger Zeit sich habe blicken lassen‹ und legt im übrigen der inzwischen festgesetzten Knesebeck diese ›froideur‹ zur Last. Gleichzeitig wird gegen den ›Wahn protestiert, als habe Königsmarcks Disparation etwas mit der Frau Kurprinzessin zu tun‹. Das war, da man gleichzeitig die Knesebeck über alle Einzelheiten des amtlich als selbstverständlich angenommenen Ehebruchs befragte und sie auch ›mit der peinlichen Frage‹ bedrohte, ein Stück echten Macchiavellismus. Aber ich möchte denjenigen Staat sehen, der ohne diesen Macchiavellismus auskommen kann …

Dies also die offizielle Stellungnahme der beiden welfischen Höfe. Innen sieht es anders aus. Am zwölften Juli ist die Knesebeck, die Vermittlerin des Briefwechsels, verhaftet worden, in den nächsten Tagen hat sie sich vor dem Grafen Platen und dem Vizekanzler Hugo einem zweimaligen Verhör zu unterziehen, dessen Fragen und Antworten in den Memoiren der Aurora Königsmarck, und zwar in der eigenen Handschrift der Gräfin, wiedergegeben sind. Die Fragen der beiden Herren zielen eindeutig auf das Faktum des Ehebruches, sie bedienen sich dabei gewisser eindeutiger Worte, die man sonst im Umgange mit Hofdamen gern meidet. Was der hannoversche Hof von den Vorgängen gedacht hat, ist nach diesen Fragen jedenfalls nicht zu bezweifeln, und Tatsache ist, daß die Knesebeck bei diesen beiden Verhören und späterhin ihre Herrin getreulich deckt. Geliebt hätten sich die beiden freilich, geliebt hätten sie sich seit den Celler Kindertagen … von einem wirklichen Ehebruch aber sei keine Rede …

So die Knesebeck. Sie ist ein tapferer und treuer Mensch gewesen. Sie wird zuerst nach Springe, dann aber nach der an den Hängen des Harz gelegenen Burg Scharzfeld gebracht, in Haft durch Jahre gehalten, sie bedeckt die Wände ihres Kerkers mit Kohleinschriften, mit Gebeten, mit Flüchen, mit Verwünschungen, mit Unschuldsbeteuerungen, der hannoversche Hof läßt diese durch den Amtmann des Schlosses kopieren. Die Knesebeck aber entwischt. Sie flieht im Herbst 1697, indem sie sich an zusammengedrehten Handtüchern waghalsig aus ihrem hochgelegenen Fenster hinabläßt und die verbleibende leere Strecke von ›vierzig Ellen‹ hinabspringt, und es bleibt dem armen Schloßhauptmann nichts anderes übrig, als zu beteuern, es habe die Gefangene sich der Hilfe des Teufels bedient dabei …

Soweit die Knesebeck. Von den ersten Tagen, die Sophie Dorothee nach dem Verschwinden des Geliebten verbracht hat, zeugt nur der an Bussche geschriebene und bereits zitierte Brief. Sie dürfte zunächst ganz von dem Gedanken an den Geliebten erfüllt gewesen sein, und der ganze furchtbare Ernst ihrer Lage geht ihr erst auf, als man ihr, bei sofortigem Zimmerarrest, die zukünftige Staatshaft ansagt. Schloß Ahlden, das für diesen Zweck bestimmt ist, muß zunächst hergerichtet werden, sie selbst siedelt zunächst für die Dauer des nunmehr beginnenden Scheidungsprozesses nach Lauenau über, das sie erst im Februar 1695 mit Ahlden vertauscht.

Inzwischen konstituiert sich in Hannover das Ehegericht. Es sei gleich eingangs erwähnt, daß wir kennzeichnenderweise von seinen Verhandlungen so gut wie nichts wissen, daß die Akten bis auf dürftige Trümmer verschwunden sind. Wir wissen nur, daß es sich gleichmäßig aus hannoverschen und celleschen Beamten zusammensetzte und unter dem Vorsitze des schon erwähnten Bussche tagte, daß es mehrfach mit der nunmehrigen Gefangenen unmittelbare Fühlung nahm, und daß zu diesem Zwecke sich eine Kommission, bestehend aus Bussche, Bernstorff, Hugo und Bülow, zur Prinzessin begab. Schon vorher hatte am dreizehnten August 1694 ein geistlicher Herr namens Casaucau mit ihr Rücksprache genommen und unter dem genannten Datum an Georg Wilhelm nach Celle berichtet, die Prinzessin habe ihre Schuld eingesehen und ihre Haft als gerecht bezeichnet. Das Protokoll, das die vier obengenannten Herren nach ihrem Besuch bei Sophie Dorothee aufsetzen, spricht sich nicht viel anders aus – es heißt darin, ›daß die Kurprinzessin sich selbst condemniere auch agnosciere, alles meritieret zu haben, was ihr geschehen. Vor dem Herrn Kurprinzen scheine sie sich zu fürchten, leugne aber, daß der Königsmarck in ihrer Kammer gewesen …‹

Soweit dieses Protokoll. Man beachte wohl die Spannung zwischen der offiziellen Einstellung des hannoverschen Hofes und der Haltung der Richter, zwischen der amtlichen Feststellung, ›es bestehe zwischen diesem Scheidungsprozeß und der Affäre Königsmarck nicht der mindeste Zusammenhang‹, und der Eindringlichkeit, mit der man hinter den Kulissen zur gleichen Zeit ihren Beziehungen zu Königsmarck nachgeht. Aufschlußreich ist auch ein im Herbst 1694 geschriebener Brief der Liselotte von der Pfalz, die natürlich über alle Einzelheiten des Falles durch Tante Sophie unterrichtet war und nun auf Grund dieser Kenntnis ihrer penetranten Neigung zu kernigen Weisheiten in folgender Weise Luft machte:

›Wie kann die Herzogin von Celle glauben, daß ihre Tochter nicht unglücklich hat werden müssen bei diesen Erziehungsmaximen! Denn welchen Herrn findet man in der Welt, der seine Frau allein liebt und nicht mit Maitressen oder Buben etwas hat? Sollten die Frauen deswegen ebenso übel leben, so könnte wohl keiner sicher sein, daß seine Kinder die rechten Erben seien. Weiß denn diese Herzogin nicht, daß der Weiber Ehre darin liegt, mit niemandem als ihrem Manne zu tun zu haben und daß es den Männern keine Schande ist, Mätressen zu haben, wohl aber Hahnreie zu sein? Ihrer Tochter Unglück wird sie diese Weisheit lehren …

Das bedeutet, daß die d'Olbreuse, um ihre Tochter zu entlasten, deren Ehebruch mit dem des Schwiegersohnes entschuldigt hatte, und Scheinwerferlicht fällt plötzlich auf das Theater, das vor diesem Ehegericht und in diesem auf ›malitiosam desertionem‹ … auf böswillige Verlassung zielenden Prozeß gespielt wurde Offenbar hat Sophie Dorothee während ihrer unglücklichen Ehe mehrfach Besuche bei ihren Eltern dazu benützt, um deren Einwilligung zur Scheidung zu erlangen … der ›Grondeur‹ verstand nur eben, wie wir ja aus den Königsmarck-Briefen wissen, in diesen Sachen keinen Spaß. Weit weniger gestützt ist die Behauptung, die Prinzessin habe sozusagen am Vorabend der Katastrophe fliehen wollen.. Es nimmt also bei diesem Doppelspiel nicht wunder, daß ein Unbekannter den größten Teil der Prozeßakten vernichtete oder verschleppte und daß der Bericht über einen wohl pro forma unternommenen Sühneversuch das Wesentlichste ist, was wir besitzen. Dieses Ehegericht ist inzwischen durch cellesche und hannoversche Bevollmächtigte … meist Geistliche … erweitert worden, und unter Hinweis auf I. Corinther, Kap. 7 Vers 10 ›Den Ehelichen aber gebiete nicht ich, sondern der Herr, daß das Weib sich nicht scheide von dem Mann.‹ setzt sich der Superintendent Molanus mit der Prinzessin auseinander, die jedoch jede Wiederherstellung der Ehe verweigert. Nach den vorliegenden Schriftsätzen der beiden Anwälte und nach dem, was wir aus der Privatkorrespondenz der Richter wissen, kann kein Zweifel bestehen, daß der Sühneversuch ein Theater war und daß das Scheitern dem Wunsche der beiden Parteien entsprach. Einiges Hin und Her gibt es dort, wo die finanzielle Lage der Prinzessin geregelt werden soll, und in einem der Gutachten, die der hannoversche Vizekanzler Hugo abgegeben hat, finden wir einige Sätze dick und in der offenbaren Absicht endgültiger Tilgung ausgestrichen und durch den Satz kommentiert: ›Es sind sehr wichtige considerationes, die sich aber nicht wohl sagen lassen.‹ Das, was ausgestrichen wurde, ist aber im Laufe der Jahrhunderte wieder leserlich geworden, und hier findet sich, von Hugos Hand, ein Satz, der für die Einstellung Hannovers zu der unglücklichen Frau und ihrer Mutter charakteristisch ist. ›Habet matrem indulgentem, dieselbe begreift statum causae nicht … zeigt wenig affectationem gegen dieses Kurhaus.‹ Danach ist in diesem Prozeß trotz aller Kälte, mit der das Celler Elternpaar der unglücklichen Tochter begegnet, doch der alte Zwist mit Hannover, der alte Haß gegen die d'Olbreuse erwacht. An einer weiteren Stelle ist der aufschlußreiche Satz getilgt: ›Alle particuliaria lassen sich nicht exprimieren. In re publica sind viele Sachen, die man nicht sagen, aber doch nötige praecautiones dagegen nehmen muß.‹

Das beweist zur Genüge zweierlei: erstens, daß man viel zu verschweigen hatte, zweitens, daß der alte böse Geist, Sophiens Haß, in diesen Tagen wieder umging. Das Urteil, das am 28. Dezember 1694 ergeht, bürdet denn auch die ganze Schuld Sophie Dorothee auf, es versagt ihr als der Schuldigen das Recht der Wiederverehelichung. Auf Berufung verzichtet sie ausdrücklich, sie dankt am Silvesterabend 1694 ihrem Anwalt, Hofrat Thies, und ist offenbar froh, von der Seelenfolter des Prozesses erlöst zu sein. Im Februar siedelt sie nach Ahlden über. Das hannoversche Kirchengebet tilgt ihren Namen, ihr Vater schließt sie in seiner Empörung über die mißratene Tochter von seinem Hofe aus, und die Rückführung nun in das Celler Kirchengebet ist alles, was der fromme, aber unerbittliche Herr gewährt.

Schloß Ahlden ist der namensgebende Sitz eines längst verschollenen Geschlechtes, dessen Burg um 1600 durch einen Neubau – ein Amtshaus mehr denn ein Schloß – ersetzt wurde. Für Sophie Dorothee sind einige Zimmer hergerichtet, ein kleiner Hofstaat – ein Gouverneur, ein Kammerherr, eine Kammerfrau, zwei Pagen, zwei Lakaien, drei Köche, ein Konditor, ein Kellermeister, ein Bäcker, ein Hausmeister, ein Kutscher und einige Dienstmädchen – begleitet sie. Alles in allem erscheint das reich bemessen, alles in allem gleichen ihre nunmehrigen Lebensbedingungen denen, unter denen Maria Stuart die ersten Jahre ihrer Haft verbrachte: sie darf ein Cabriolet selbst lenken, darf aber keine Spaziergänge unternehmen, es sei denn, daß sie sich Aufsichtspersonal als Begleitung gefallen läßt. Die kurfürstliche Instruktion an den Gouverneur (genannt werden die Namen Bothmer, dann Graf Bergest und Georg v. d. Bussche) geben diesem auf, ›nichts zu versäumen, jeder Intrigue und jedem Unglück vorzubeugen und für die volle Sicherheit des zur Residenz der Frau Prinzessin Durchlaucht bestimmten Platzes zu sorgen und alles zu verhindern, was irgendeinem Feinde ein Unternehmen möglich machen möchte, in die erhabene Familie eine Spaltung zu bringen‹. So ähnlich dürften auch die Instruktionen gelautet haben, die einst Elisabeth von England dem Kerkermeister Marias, Amias Paulet, gab – sie legten eben alles in die Hand des Vertrauensmannes. Mancherlei spricht außerdem dafür, daß in dieser Suite zahlreiche Spione saßen, die die Platen in Ahlden unterhielt. Ihre finanzielle Lage ist leidlich, sie kann ihren Liebhabereien nachgehen und Taglöhnerwohnungen für das Gesinde bauen, der Dorfkirche, die sie freilich nicht besuchen darf, eine Orgel, Altartuch und Silberleuchter stiften.

Trotzdem ist es so, daß in der pressenden Einsamkeit von Ahlden das Leben der heißblütigen Frau gewissermaßen gefriert. Wenig ist über die feuchten Mauern des alten Amtshauses gedrungen, was wir wissen, läßt kaum noch auf die leidenschaftliche und selbstvergessene Verfasserin ihrer Liebesbriefe schließen. Täglich hält sie Andacht mit dem Hausgesinde, leidenschaftlich und nicht ohne Sinn für gute Anlage verwaltet sie ihren Besitz, berechnet die täglichen Ausgaben sehr genau …

Und sitzt in dieser Oede zweiunddreißig Jahre, bis der Tod sie als Sechzigjährige erlöst. Das Grausamste mag die Entfremdung der Kinder, die sie nie wiedersieht, gewesen sein. Folgenden Brief empfängt im Jahre 1698, als Ernst August einem Schlagflusse erlegen ist, ihre unerbittliche Schwiegermutter Sophie …

›Madame, es entspricht meiner Pflicht und Neigung, Ew. Kurfürstlichen Hoheit zu versichern, daß es Niemand gibt, der mehr als ich Anteil an dem Schmerz nimmt, worin der Tod des Herrn Kurfürsten, Ihres Gemahls, Sie versetzt hat. Ich beschwöre Sie noch einmal, mir alles das zu verzeihen, was ich getan habe und sich ein wenig beim Herrn Kurfürsten, Ihrem Herrn Sohn, zu verwenden. Ich flehe Sie an, mir die Verzeihung zu gewähren, die ich so schmerzlich ersehne, und mir zu gestatten, meine Kinder zu umarmen …

Und weiter, bei der gleichen Gelegenheit, an Georg Ludwig, ihren einstigen Gatten, der nun Kurfürst ist …

Ich beschwöre Sie, mir Verzeihung für meine früheren Vergehungen zu gewähren, worum ich Sie hier nochmals auf den Knien bitte. Die Aufrichtigkeit meiner Reue darf Verzeihung von Ew. Kurfürstlichen Durchlaucht erwarten, und wenn Sie mir als Gipfel der Gnade gestatten wollten, Sie zu sehn und unsere teuren Kinder zu umarmen, so würde meine Dankbarkeit unbegrenzt sein …‹

Sie wurde aber nicht unbegrenzt, diese Dankbarkeit, da aus Hannover weder von Sophie noch von ihrem Sohn Antwort gekommen ist und keines der Kinder die Mutter jemals wiedergesehen hat. Ich glaube nun nicht, dass ein beleidigter Ehegatte, sei ihm noch so Schlimmes widerfahren, das Recht hat, die Kinder etwa gegen den anderen Teil aufzuhetzen. Ich glaube, daß solch Tun eine feige und frevlerische Untat darstellt, auf die früher oder später schlimme Vergeltung wartet …

Ich stelle fest, daß in Hannover der Haß von Mutter und Sohn stärker war als die Zeit und jener heilsame Prozeß des Vergessens, durch den der höhere Richter die schlimmste Untat schon auf Erden begnadigt; ihre Kinder, wie gesagt, hat die Gefangene von Ahlden nie wiedersehen dürfen. Einmal, schon als Prinz von Wales, soll ihr Sohn, der spätere Georg II., in der Nähe des Schlosses gejagt und den Wunsch, die Mutter zu sehen, geäußert haben – man sagt, seine Suite habe es ihm mit der Warnung vor dem väterlichen Zorn ausgeredet. Georg Ludwig vergab ebensowenig wie Sophie. Daß er als britischer König alle Bilder der Geschiedenen aus seiner Nähe entfernen läßt und sogar an die Abscheulichkeit denkt, die Echtbürtigkeit des Sohnes durch das Parlament anfechten zu lassen, ist hier schon erwähnt worden. Erst als das Alter kommt und ihn selbst an den Tod denken läßt, befällt ihn Sorge um das Wohlergehen der einstigen Gattin. Von den im März 1314 hingerichteten Tempel-Rittern heißt es, sie hätten vor ihrem Tode ihre Gerichtsherren, Philipp den Schönen und Papst Clemens V., binnen Jahresfrist feierlich vor Gottes Richterstuhl geladen und beide, der König wie der Papst, seien vor Ablauf dieses Jahres gestorben. Eine ähnliche Legende wird von Sophie Dorothee erzählt. Wie jene Templer, so habe sie, ihr Ende ahnend, ihrem Gatten mitteilen lassen, sie werde nun sterben und ihn im gleichen Jahr vor Gottes Gerichtshof holen. Auf den käuzischen und von Marotten geplagten Georg Ludwig mußte derlei Eindruck machen. Er hat seither den Gesundheitszustand der Gefangenen scharf beobachten und sorgfältig betreuen lassen. Tatsächlich ist er ihr ja sehr rasch nachgefolgt. Allerdings hatte er es vorher, nach dem im November 1726 erfolgten Tode der Gefangenen, seinem Schwiegersohne Friedrich Wilhelm tödlich verübelt, als der wegen des Todesfalles für den Berliner Hof Trauer anordnete.

Soweit Georg Ludwig. Das Leben der Gefangenen versinkt inzwischen in ungeheuerlicher Monotonie. Tatsächlich aber hat sie, wie heute feststeht, mit ihrer Berliner Tochter, der nunmehrigen Königin von Preußen und Mutter des großen Friedrich, durch einen Agenten namens Lüdemann in Verbindung gestanden. 1715 schreibt Sophie Dorothee die Jüngere ihrem Gatten über den unten erwähnten Schloßbrand von Ahlden, bei dem die Mutter selbst an Leib und Leben bedroht war, im selben Jahre beklagt die Königin sich über die Unerbittlichkeit Georg Ludwigs und beklagt sich ›que ma pauvre mère restera toujours enfermée‹. Im Januar 1726 aber teilt sie mit, sie habe ›une triste nouvelle par la poste de Hannovre‹ erhalten, wonach ihre arme Mutter an einem schweren rechtsseitigen Schlaganfall erkrankt sei, der sie drei Tage der Sprache beraubt, ihr das Essen unmöglich gemacht und das ganze Gesicht verzogen habe. Schon vorher hatte die Mutter dafür gesorgt, daß die Berliner Tochter, die ja chronisch unter Spielschulden litt und für ihr geliebtes Schloß Monbijou immer Geld brauchte, einhundertfünfzig Pfund Sterling im Jahre laufend aus den Mitteln der Mutter erhielt. Der Verkehr von Mutter und Tochter aber dürfte streng geheim gehalten worden sein, denn im Februar 1726 wünscht die Königin, daß ›der Name des Couriers, der ja noch gute Dienste leisten könne, nirgends genannt werde‹. Als ihr im November 1726 der Tod der Mutter bekannt wird, vermerkt sie ihn mit folgendem Brief: ›Ich bin sicher, daß der Tod meiner Mutter meinen Vater schwer betroffen haben muß. Hätte er dieses Ereignis verschweigen oder verläugnen können, er hätte es sicher mit Freuden getan. Ich hoffe trotzdem, daß mein Vater und mein Bruder Trauer anlegen werden, wie sich das ja wohl gehört und daß es dieserhalb, was mir sehr schmerzlich wäre, keine Reibereien und keinen Aerger gibt!‹

Das aber ist erst nach langen, schmerzlichen 32 Jahren hermetischer Absperrung von der Welt, und diese Jahre wollten durchlitten sein. Bauern der Ahldener Umgebung berichten, sie hätten die Gefangene, der ihr heißes und sinnliches Blut wohl zu schaffen machte, in ihrem Dogcart im Galopp, begleitet von einer klirrenden Wache, querfeldein jagen sehen; bei dem schon erwähnten Schloßbrande, bei dem sie beinahe ihr Leben eingebüßt hätte, sieht man sie angstvoll hin und her laufen und nach dem rettenden Ausgang suchen. Dann mag wohl die Apathie gekommen sein, die erlösende Apathie. Es wird einsam um sie. 1705, ohne die verstoßene Tochter auch nur eines versöhnenden Wortes gewürdigt zu haben, ist der Vater gestorben, Celle, die alte Heimat, ist in dem feindseligen Hannover aufgegangen. Daß die d'Olbreuse (vergebens!) sich bei George I. für ihre Tochter bemühte, ist nachzuweisen, daß sie sie je wiedergesehen hat, ist nicht wahrscheinlich: man fürchtete wohl zwischen Mutter und Tochter Verabredungen, die den Erbanspruch an das Celler Barvermögen möglicherweise hätten gefährden können.

Langsam also wird es Nacht um die Frau, die einst sich in dieser Liebschaft mit einem Abenteurer verlor. Als sie sich zum Sterben legt, ist der spätere Sieger von Leuthen ein fünfzehnjähriger Knabe, ihr ehemaliger Gatte König von England, ihr Sohn George in einer nicht eben glücklichen Ehe verheiratet, ihre Tochter in schwerer Ehe Königin von Preußen. Alle sind sie gestiegen auf den Leitern der menschlichen Rangordnung, alle halten mit ihren Königs- und Prinzenkronen stumm ihr vor, was aus ihr selbst hätte werden können, wenn es keinen Königsmarck-Skandal gegeben hätte … alle tragen sie gleichwohl selbst schwer unter der Erbbürde des Stuartblutes. Sie aber stirbt so leicht, wie alle undifferenzierten Menschen leicht sterben, und findet als Tote wenigstens heim. Bis der Paradesarg fertig ist, wird's freilich Januar, dann setzt man sie nieder in der alten Celler Gruft neben der Mutter, und es ist eine jener schaurigen Folgerichtigkeiten der Geschichte, daß man später auf der anderen Seite eine andere Fürstin beisetzt, die, stuartblütig auch sie, ihrerseits einem Abenteurer zur Beute geworden war: jene verstoßene Dänenkönigin Karoline Mathilde, die, Gattin Christians VII., Geliebte des Arztes Struensee gewesen war und den nämlichen tiefen Fall getan hatte, wie diese Sophie Dorothee.

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Sophie von Hannover
Urgroßmutter des Königs

Inzwischen aber wird es Abend auch an dem einst so turbulenten Hannoverschen Hof. Schon 1698 hat ein Schlagfluß das galante Leben Ernst Augusts geendet, 1705 ist Georg Wilhelm dem Bruder gefolgt. 1706 stirbt die Platen und bekennt sich auf dem Sterbebette angeblich zur Mitwisserschaft an jenem Morde, dem Königsmarck zum Opfer fiel. So wird es mählich einsam auf jener Bühne, auf der so klug und so geräuschvoll gespielt wurde, und im Saale verlöschen langsam die einst so strahlenden Lichter …

Eine Frau von Sophiens großem Format, so geschaffen dafür, ›daß es ihr wohl ergehe und sie lange lebe auf Erden‹: eine solche Frau konnte nicht altern in dem Sinne, wie andere Menschen wohl altern – in Nörgelsucht, Verbitterung, seelischem Verfall, Lächerlichkeit. Gewiß stirbt ihr im Februar 1705 nun auch die geliebte, an Friedrich I. von Preußen verheiratete Tochter … diese Tochter, die als erste, als anmutigste und geistvollste Frau die preußische Krone getragen hat – sie stirbt an einer Erkältung, die sie sich im glanzvollen, alljährlich von ihr besuchten hannoverschen Karneval zugezogen hat. Sophie stand, als sie die schöne und so heiß geliebte Tochter in den Sarg bettete, im achten Lebensjahrzehnt, in den ersten Jahren ihrer bewußten Kindheit sprachen die Leute vom Tode des alten Tilly, von dem des Schwedenkönigs und von Wallensteins blutigem Ende als von frischen, eben gesehenen Ereignissen – just so, wie es in ihrem Geburtsjahr noch alte Leute gegeben haben muß, die Karl V. gesehen hatten, sich aber der Katastrophe des Don Carlos und der Maria Stuart als sozusagen des ›Gestern Erlebten‹ erinnerten …

Die gleiche Frau aber schreibt – schier unfaßbar für die neue Zeit des geschwächten Katholizismus und der gesicherten protestantischen Welt – Briefe, aus denen noch die alten Kampfrufe aus Gustav Adolfs Tagen zu hören sind. Und sie, in deren Kindheit die letzten in Hans Sachs' Tagen geborenen Menschen starben, sie kann noch, drei Jahre vor ihrem Tode, es bemängeln, daß der Prinz von Preußen, der spätere Sieger von Leuthen, durch drei verschiedene Ammen genährt wird, was nach ihren reichen Erfahrungen in der Aufzucht von Kindern keineswegs gut tun kann …

Ich aber erwähnte dies alles um der ungeheuren Zeitabstände willen, die dieses Leben in sich schloß, und wohl auch um der erstaunlichen Kraft willen, mit der es alle Wechsel der Menschengeschlechter überdauerte. Geschaffen dazu, durch acht Jahrzehnte einen Kurs probater (und manchmal auf die Nerven gehender) Lebensweisheiten zu steuern, abhold jedem Lebensrausch und jeder seelischen Selbstzerstörung und auch jedweder Tragik, ist sie eines jener kühlen und dennoch groß bemessenen Geschöpfe, denen die Götter jedweden Erfolg und am Ende eines langen Lebens einen leichten Tod zu bescheren pflegen. Als in London mit Anna die gekrönten Stuarts auszusterben drohen, wird sie, einst die Gattin eines apanagierten Prinzen, durch britische Parlamentsakte die offizielle und anerkannte Erbin der Krone Englands – hätte sie nur wenige Monate länger gelebt, so hätte man sie, die Tochter des gewissermaßen im Müllhaufen verscharrten landesflüchtigen Winterkönigs, unter der glanzvollsten Königskrone Europas begraben.

Daß es nicht dazu kam, ist nahezu der einzige Versager ihres erfolgreichen Lebens. Das sich übrigens nicht, wie es anderwärtig wohl leicht hätte geschehen können, mit dem ungeduldigen Erwarten dieses letzten Triumphes belastet hat. Als nämlich die Bühne leer wird, bleibt ihr, dem wehrhaften Seniorchef des alten Welfenhauses, die Erinnerung an ihr wechselvolles Leben und die Korrespondenz mit ihren zahllosen Nachfahren und Lieben. Gute Lehren, derbe Witze und alle die bunten Anekdoten des zeitgenössischen und des vergangenen Europa füllen diese Blätter mit ihrer kunstvollen Namensunterschrift. Der Schwedenkönig Karl XII. ist ihr ein armer Narr, der ganz nutzlos seinen Thron gefährdet, und seine bei Bender gefangengenommenen Pagen hat der Sultan zum Ergötzen der alten spottlustigen Dame beschneiden lassen. Der Zar Peter aber, der Große, der ziemlich oft Hannover passiert, wäre durchaus ein Mann nach Sophiens Geschmack, wofern er's lassen könnte, bei der Hoftafel sich ins Tischtuch zu schnauzen …

Es brechen sich in diesem alten und herrlich geschliffenen Glase alle die bunten Farben dieser eleganten und seidigen Zeit. Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel (derselbe, dessen so früh gefallener Sohn einst der unglücklichen, nun in Ahlden sitzenden Sophie Dorothee verlobt wurde) bricht das Bein, weil er über seinen fetten Mops stolpert, der Erzbischof von Cöln aber, der in Paris weilt, findet am Soldatenspiel kleiner vor Notre Dame tollender Jungen so viel Gefallen, daß er, nach eben gelesener Messe noch im Ornat, mitzuspielen beginnt, und eine ganz tolle Geschichte gibt es von der Prinzessin Anna von Württemberg zu erzählen: als die nämlich von einer französischen Reise nach Stuttgart zurückkehrt und dort am Hofe das bis dahin unbekannte Getränk Chocolade einführt, erregt sie den Unwillen der Hofbeamten, weil die Weißzeugbeschließerinnen die braunen Chocoladenflecken auf den Servietten in befremdlicher Verkennung ihres Ursprunges und in der Annahme einer höchst mißbräuchlichen Verwendung der Servietten beanstanden …

Worauf die Hoheit, als sie von diesem Mißverständnis hört, wütend wird und dem Hofmarschall die gefüllte Chocoladentasse an den Kopf wirft, damit er sich merke, was für ein Getränke das sei, und daß es sich eben um Chocolade und nicht um etwas ganz anderes handele …

Solche lustigen Dinge also füllen die Briefe, die die alte Dame mit dem preußischen Hofe gewechselt hat. Im übrigen solle der preußische König weniger ›galant‹ leben, weniger Geld auf so nichtswürdige Schwindler wie die in Berlin hoch angesehenen Goldmacher verwenden. Und endlich solle der Kronprinz, der spätere erste Friedrich Wilhelm, nicht so viel und vor allem nicht gleich auf nüchternen Magen Kaffee trinken.

So verhält es sich mit der alternden und vereinsamenden und dennoch bis zu ihrem letzten Lebenstage ungebrochenen Sophie. Ihre alte Partnerin und Gegnerin Leonore von Celle, Tochter des französischen Dragonerkapitäns aus schlechtem Poitou-Adel, bezieht, als Celle nach Georg Wilhelms Tode testamentmäßig in Hannover aufgeht, Lüneburg als Witwensitz und verbittert ihren Lebensrest an den wirtschaftlichen Drangsalierungen, denen der geizige Hannoversche Hof sie nach dem Tode ihres Herzogs aussetzt …

Mit ihrer alten Feindin Sophie scheint sie in diesen Jahren beiderseitiger Witwenschaft einen leidlichen Frieden geschlossen zu haben: beide Damen begraben den alten Hader unter der Vereisung des Wittums und unter der beiderseitigen stummen Trauer um ihre Toten. Als beide fast achtzig sind, besucht die d'Olbreuse ihre alte Feindin in Schloß Herrenhausen, und da als dritter der damals noch lebende, aber ebenfalls nun schon uralte Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel kommt, so kann Sophie in einem nach Berlin geschriebenen Briefe sarkastisch feststellen, daß ›man zusammen ein Alter von 240 Jahren repräsentiert habe‹. Und von den beiderseitigen Ausflügen in die europäische Kabinettspolitik, von den beiderseitigen Intrigen der Damen ist nichts geblieben als die ein wenig komisch wirkende Klage der gealterten d'Olbreuse über die unsittlichen Gepflogenheiten ihrer Kammerfrauen und daß ›sie durch fünf Jahre von einem wahren Bordell sei umgeben gewesen‹.

So also endet ein großes Spiel um das Schicksal von Staaten und Dynastien in ein wenig Dienstbotenklatsch.

Der Lebensweg beider Frauen ist seltsam genug. Beide tauchen sie – Sophie aus den verdüsterten Fluchttagen der winterköniglichen Eltern, die d'Olbreuse aus dem Schoße einer kleinen Hugenottenfamilie – auf in das helle Licht der Geschichte, und weder dem weichen Friedrich von der Pfalz noch diesem unbekannten Dragoneroffizier Ludwigs XIV. mag je eine Ahnung gekommen sein, es werde aus ihrer Blutsaat ein solcher Adler wie Friedrich von Preußen aufsteigen. Wie weit Sophiens Leben zurückreicht, habe ich schon gesagt. Als die d'Olbreuse geboren wurde, hatte Paris eben aufgehört, Flamisch statt des Französischen zu sprechen, und eben erst schickte die Stadt sich an, die Erinnerungen an Heinrich IV. und Ravaillac, an die Pariser Bluthochzeit und Karl IX. zu vergessen.

Friedrich, das Kuckucksei unter den Zollern, erbt von beiden Frauen. Von der Französin und von der kaltblütigen und zum Rationalismus neigenden Sophie, in der das Stuartblut für die Spanne eines reichen und klug verwalteten Lebens geschwiegen hatte. Mit dem Erbgute aber, das beide Frauen auf den Urenkel übertrugen – mit dem stuartischen und dem keltischen des Poitou kam in Friedrichs Adern der Keim des Schicksals: der Keim zu Abgründigkeiten, zu zwiegespaltenem Leben, zu Tandalidenlos.

Ich aber sagte schon, daß Genies und Heroen von den Göttern nicht den Lebensauftrag zu Harmonie und Glück auf ihren Lebensweg mitbekommen, und daß Feuerbrände immer dort auflodern, wo zwei widerstrebende Blutströme aufeinander treffen.

Nur aus diesen beiden Urgroßmüttern ist Preußens geheimnisvollster König zu verstehen.


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