Fritz Reck-Malleczewen
Bomben auf Monte Carlo
Fritz Reck-Malleczewen

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VI.

Von Maria, Fürstin von Labrador, habe ich nachträglich zu berichten, daß sie seit der Trennung von Cradock nicht gerade angenehme Stunden verlebt hatte.

So nämlich stand es doch nun einmal, daß sie selbst sich schuldig fühlen mußte.

Sie war es gewesen, um derentwillen der Cradock sich in diese unmögliche Perlen- und Schiffskassenaffäre gestürzt hatte . . . sie war es gewesen, die ihn aus verletzter Eitelkeit in sein wahnsinniges Spiel und in den Konflikt mit der Bank gehetzt hatte. Schoß er aber wirklich, so war der internationale Skandal da, so war sie es, die (allem Schuldgefühl zum Trotz) ihren alten Freund fallen lassen mußte. Seit dem allerersten Licht hatte sie mit dem Fernglase am Fenster gestanden, hatte das kleine Schiff beobachtet und allerlei verzweifelte Orakel befragt, ob alles am Ende noch 162 gut ausgehen könne. Es war wirklich keine angenehme Viertelstunde gewesen, die sie an diesem Morgen gegen sieben Uhr erlebt hatte . . .

Wirkliche Hoffnung aber war in ihr tapferes Herz erst eingezogen, als sie – in der allerkritischsten Minute – das Boot des Direktors Samanon gesehen hatte. Sofort hatte sie (zu einer gänzlich unmöglichen Stunde!) ihren Konsul herausgeklingelt, und sofort war jenes Telephonat arrangiert worden, das dann der Leutnant Kries gerade in der allerletzten Sekunde noch dem Kapitän überbracht hatte. Dann war sie pleine chasse zur Landungsbrücke gefahren, hatte (die alte Violet und die Zofe schliefen natürlich noch) das erste beste Motorboot genommen. Ohne Gepäck und nur mit einer Handtasche, in der die Maske von gestern und das ominöse Perlenkollier lagen. Sieben Uhr und dreiunddreißig Minuten war es, als sie, auf das Schlimmste und Allertollste gefaßt, das Fallreep ihres Schiffes betrat. –

Bewohner des europäischen Kontinents werden es vielleicht ohne weiteres verstehen, daß und weswegen der oben geschilderte, etwas 163 kuriose Empfang durch ihren Kapitän der kleinen Mary nicht so überraschend kam.

Es ist, wie es ist: wird in London der Leichtmatrose James Taylor wegen öffentlicher Trunkenheit zur Geldstrafe von anderthalb Guineen verurteilt, so trägt bekanntlich der das Urteil verkündende Richter eine Allongeperücke. Will ich . . . etwa in einer leidlich modernen englischen Stadt wie Capetown . . . ein Taxi haben, so fährt jene »Cab« genannte, auf Räder gesetzte Rokokosänfte vor. Und wenn das Oberhaus dem Unterhaus Akten über Braugerstenzölle zuschickt, so überbringt nach jahrhundertealtem Brauch diese Akten ein rotbefrackter Diener in Perücke und Degen, fragt vorher bei dem Pförtner des Unterhauses an, ob er eintreten dürfe, fragt und erhält seinen Bescheid vorgeschriebenerweise in einem Englisch, das zur Zeit Richards III. schon so geklungen haben mag, wie heute unseren Ohren das Wessobrunner Gebet oder die Merseburger Zaubersprüche klingen würden.

England ist eben konservativer als der 164 Kontinent. Und alte Privilegien (gingen sie selbst um eine Audienz in Unterhosen) sind für ein englisches Hirn niemals Chimären. Außerdem aber hatte im vorliegenden Fall ja schon die alte Violet warnend an das alte Recht der Cradocks erinnert. Und drittens war einem Manne, der in einem siamesischen Tempel mit Baldriantropfen heilige Katzen närrisch gemacht hatte, alles zuzutrauen. Item: die Hoheit von Labrador war gar nicht so überrascht. Sie war eben auf alles gefaßt und war, was ja nur gebilligt werden kann, ihrerseits entschlossen, ihre Würde zu wahren. –

Und nun war es so weit. Sie war die Ruhe selbst – der Cradock, in Badeanzug, Lackstiefeln und Galahut vor seiner ehemaligen Tänzerin stehend, stutzte. Die Frau, die da gekommen war, war eine schöne und blühende Frau . . . war alles andere als »grundgütige Landesmutter« und »freudlose Witwe«, und merkwürdig bekannt waren ihm Figur und Stimme, und seltsame Gedanken wollten kommen und ihn verwirren im entscheidenden Augenblick. Daß hier Haltung und Frechheit 165 seine einzigen Waffen waren, wußte er natürlich, und legte die Hand an den Hut und meldete, daß die ganze Mannschaft unter Deck sei. Dann begann er für sein Leben zu fechten . . .

»Mache«, sagte der Cradock, »wenn ich in diesem Anzug vor Ew. Hoheit erscheine, von einem verbrieften und Ew. Hoheit wohl bekannten Privileg Gebrauch . . .«

»Sparen Sie sich das!«

»Bitte unter dieser Voraussetzung Ew. Hoheit um Gnade. Habe die Kasse dieses Schiffes unterschlagen. Habe sie gebraucht, um einen Perlenschmuck für eine hübsche Kokotte . . .« –

»Hübsche Kokotte?«

»Hübsche Kokotte zu kaufen.« So weit war es. Der entscheidende Augenblick. Da nahm sie aus der Tasche das Perlenhalsband. »Die Kokotte, Kapitän Cradock, gibt Ihnen das Kollier zurück.« Dann nahm sie die Maske. »Guten Tag, Kapitän Cradock.« Da war es, als das große Erkennen über ihn gekommen war, geschehen um seine kühle Frechheit und 166 um den Plan, Europa zum Lachen zu bringen . . .

Aufgebaut hatte er diesen Plan auf der stillschweigenden Voraussetzung, daß wirklich eine verbitterte Frau, eine »freudlose Witwe« (böser ältlicher Mann in Weiberröcken sozusagen . . .) an Bord kommen werde.

Gekommen war statt dessen eine schöne Frau, die man vor drei Stunden noch geküßt hatte; und man kann sich als Mann (wofern man unverbildete Instinkte hat) nicht lächerlich machen vor einer Frau, die man vor drei Stunden noch geküßt hat. Da man aber ein ritterlicher und wohlerzogener Mann war und diese Ritterlichkeit ihm jedes Erwähnen dieser Küsse für diesen Augenblick verbot, so war für ihn eben das Spiel verloren: Zusammenbruch, Blamage, Vernichtung.

Er nahm seinen Gummimantel und legte die Hand an den Hut und bat um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen.

Sie sah ihn streng an. Nichts mehr von »Madame« und »Domino«. Daß er sich als arretiert zu betrachten und alles weitere in 167 seiner Kabine zu erwarten habe, sagte die Hoheit von Labrador. Damit drehte sie sich ungnädig ab und entließ ihn.

Dann freilich, als sie allein war, fühlte sie, daß es zu Ende ging mit ihren Kräften. Sie setzte sich nieder, stützte den Kopf in die Hand, hätte am liebsten weinen mögen. Sie weinte nicht. Sie war nur eben sehr ratlos. Sie hörte wieder Schritte kommen und bemühte sich um gute Haltung. Als sie aber die Augen aufhob, da war jemand gekommen, der in diesem Falle wohl als rettender Engel angesehen werden konnte. Der Doktor Crofts kam.

Regierende Häupter, soviel ihrer noch existieren in Europa, haben in den letzten zehn Jahren ziemlich seltsame Audienzen erteilt – ich glaube, daß diese Begegnung zwischen der Fürstin-Witwe von Labrador und dem Doktor Crofts doch so ziemlich die seltsamste gewesen ist. Er war ein alter schottischer Herr mit ewiger Angst vor Erkältungen, hatte sich eben frisch rasiert und hatte nun (auf diese Begegnung war er vorläufig wohl nicht gefaßt gewesen) zum Schutz gegen die Morgenbrise ein 168 rotes Tuch um den Kopf gebunden. Er sah somit wie eine alte Frau aus, hustete, daß es wie ein Eisenbahnunglück klang, und man kann ja wohl auch sonst von ihm sagen, daß er die typische Ritterlichkeit des Briten alter Observanz unter ziemlich rauhen Formen verbarg.

Das aber hatte die kleine Mary schon am Tage zuvor erkannt: daß er, der alte einsame Schiffsdoktor, seinen etwas leicht konstruierten Kapitän im Grunde als verlorenen Sohn behandelte. Daß man gut aufgehoben sein mußte, wenn man sein Herz ausschütten konnte bei dem alten Crofts. Item: was sich hier abspielte, das war nicht eine Unterredung von Hoheit und Untertan. Es war eine Unterredung zwischen Beichtvater und Beichtkind. Nicht in den Formen der katholischen Kirche. Sondern in den Formen eines alten Mannes, der keine Kinder hat und manchmal doch so tut, als habe er welche: ja, aber ich will den Dingen nicht vorgreifen.

»Doktor . . .«

»Kleine Hoheit . . .«

Es ging ihr so, wie es einem immer geht, 169 wenn man in schwieriger Situation sich recht zusammengenommen hat und dann mit einem Male Rettung kommen sieht: die Nerven begannen zu versagen und trieben ihr die Tränen in die Augen.

Er seinerseits sagte sich, daß ein Schiffsdeck kein passender Aufenthaltsort ist für weinende Fürstinnen, und reichte ihr den Arm. Gleich darauf saß dann die regierende Fürstin-Witwe Maria von Labrador in der Kabine des Marinearztes erster Klasse Wilbour Crofts. In einem Raum, den seit mindestens einem Jahrzehnt keine Frau betreten hatte. Auf einem Sofa, gegen das die Granitplatten des Sinaigebirges schwellende Polster sein mochten. Zwischen Sammlungen von indianischen Totems und Negerfetischen, deren Anblick für Damenaugen nicht durchweg schicklich war. Unter der Photographie einer noch in Aberdeen lebenden alten und schon ganz vertrockneten Crofts-Schwester, die so ziemlich die einzige menschliche Brücke zwischen dem alten einsamen Herrn und dem Leben darstellte.

170 Von ihrer Seite aber begann es so, wie es beginnen mußte. Mit Selbstanklagen und mit der notwendigerweise dazugehörenden Vorgeschichte. Daß sie Cradock doch schon in London vor ihrer Ehe gekannt, daß sie damals . . . (das weitere brauchte, da der alte Herr einen furchtbaren Hustenanfall bekam, nicht gesagt zu werden) . . .

Daß sie Cradock volle zehn Jahre nicht gesehen, daß sie sich unbändig gefreut habe auf dieses Wiedersehen, und daß sie es dann gewesen sei, die ihn hineingehetzt habe in alle diese Wirrnisse.

In diesen unmöglichen Perlenkauf.

In dieses noch unmöglichere Spiel.

Aus verletzter Eitelkeit.

Weil es unerträglich war, daß ein Mann so rasch vergessen konnte. Weil man doch nicht »freudlose Witwe« sagte zu einer einst geliebten Frau. Weil man doch geschenkte Brautschleier nicht als Glückstalismane in den linken Schuh steckte . . .

Deswegen.

Durch ihre Schuld.

171 Ein internationaler Skandal.

Eine Situation, die sie jetzt womöglich nur durch die Bestrafung desjenigen Mannes lösen könne, den sie selbst hineingehetzt habe. Eine Situation, in der sie sofortige Hilfe brauche. An dieser Stelle wurden sie, da draußen jemand stark an die Tür pochte, unterbrochen.

Der Leutnant Williams stand draußen und fragte nach dem Kapitän. Der Doktor hinter der Tür antwortete, daß der Kapitän leider verstorben sei und eben begraben werde. Der Leutnant Williams sagte, daß er eine wichtige Meldung habe vom »Sadi Carnot«. Der Doktor schrie, daß er nichts wisse vom »Sadi Carnot«. Daß der Leutnant Williams mit oder ohne »Sadi Carnot« in die Hölle fahren solle. Daß er, Crofts, eigenhändig jeden erschießen werde, der noch einmal vom »Sadi Carnot« rede. Mit diesem Bescheide entfernte sich der Leutnant Williams. Und schlimm war nur, daß jetzt die Hoheit nun durchaus wissen wollte, wer dieser »Sadi Carnot« war . . .

Es hatte ja doch keinen Sinn, ihr die 172 Wahrheit vorzuenthalten. Er sagte ihr alles. Daß die Bank den Franzosen gerufen hatte. Daß der Franzose unterwegs war, daß der Direktor Samanon im Kohlenbunker saß. Daß alles, auch für sie selbst, noch viel, viel schlimmer stand, als sie's geglaubt hatte. Da sprang sie auf.

Es gibt, wenn die Fürsten Frauen sind, solch plötzliche Temperaturstürze. Sie wußte plötzlich nichts mehr von eigener Schuld und Selbstbezichtigung. Sie war mit einem Male eine kleine Renaissancefürstin, die unbedenklich ihre Freunde opferte, wenn die Freunde Gefahr brachten über den Staat.

»Sie werden«, sagte Maria, die Fürstin-Witwe von Labrador, »sofort den Ersten Offizier rufen und den Kapitän Cradock verhaften lassen.«

»Es gibt«, sagte nachdenklich der Doktor Crofts, »im Pazifik auf den Weihnachtsinseln gewisse Stämme, wo die Häuptlinge Weiber sind . . .«

»Sind Sie wahnsinnig?« schrie die Hoheit.

»O nein«, sagte ernst der alte Doktor, »sie sind nicht weiter wahnsinnig. Es sind nur sehr 173 herrschsüchtige Weiber, die ihre Freunde zuerst zu Ministern machen und dann hinrichten lassen.« Da war es vorbei mit Renaissance und Machiavell. Sie schob wie ein Kind die Unterlippe vor und fing bitterlich zu weinen an. So tat der alte Doktor das, was hier das Nächstliegende war.

Ging zu ihr und strich ihr über das Haar. »Aber«, sagte etwas rätselhaft Wilbour Crofts, »es ist nicht so schlimm damit. Es geht manchmal auch ohne Hinrichtung ab.« Und mit diesem etwas dunklen Trost ließ er sie vorerst einmal allein.

Wußte, daß er augenblicklich der einzige vernünftige Mann an Bord war. Wußte, daß die Pflicht zu helfen auf ihm lag. Ging hinaus und drehte ganz leise, um sie nicht zu kränken, den Schlüssel um. Hatte so das Gefühl eines Vogelzüchters, dem bis auf einen alle seine Vögel ausgekommen sind, und der nun wenigstens den schönen bunten Wellensittich in Sicherheit hat. 174

 


 


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