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Ein mysteriöser Vorfall, der der näheren Aufklärung noch bedarf, wird gegenwärtig viel diskutiert an der französischen Riviera.
Am Karnevalsdienstag erklärte nach größeren Spielverlusten im Kasino von Monte Carlo der Kapitän eines im Hafen liegenden auswärtigen Kreuzers, daß er soeben die Schiffskasse verspielt habe und sie von der Bank zurückerbitten müsse, widrigenfalls er am nächsten Morgen das Kasino beschießen werde.
Unter den Gästen entstand zunächst eine Panik. Am nächsten Morgen war der Kreuzer aus dem Hafen verschwunden. Die Bank gab beruhigende Erklärungen ab. Die Regelung des noch recht unaufgeklärten Vorfalles wird mit dem Eingreifen der gegenwärtig zur Kur in Monte Carlo anwesenden Fürstin eines kleineren Balkanstaates in Verbindung gebracht.
Zeitungsmeldung des ›Meridional‹
vom 8. März 1922.
Dies ist, wie ich meine, eine fröhliche, eine beschwingte Geschichte – ich glaube, daß sie in dem nun etwas mürrisch und rauchgrau gewordenen Europa eine der letzten fröhlichen und übermütigen Geschichten ist. Weswegen sie damals vor sieben Jahren, als sie sich zutrug, gerade in Deutschland nicht bekanntgeworden ist, habe ich mir nie recht erklären können, da sie ja doch um den ganzen Erdball herum ihren Weg gemacht hat: von Port Said (wo die Welt notorisch am unanständigsten ist) ist sie durch alle die unzähligen Überseeklubs in Aden und Singapore gewandert . . . in der Tent-Bar in Yokohama ist über sie gelacht worden, und in Sydney und in Kapstadt, als wir frostklappernd im Südwinter vor den Kaminfeuern des »India-Hotels« saßen, und sich puritanische und bibelfeste alte Holländer ärgerten über unseren 8 Alkoholkonsum: immer war es diese lustige Geschichte von dem Kapitän Cradock, der zum Entsetzen der ganzen Welt eines Tages seine Kanonen auf das Kasino von Monte Carlo richtete. Bis dann eine Frauenhand dazwischenfuhr und diesen grimmigen Abenteurer zu einem wohlgesitteten und ordentlichen Mitglied der menschlichen Gesellschaft machte. –
Was nun diesen Kapitän Cradock anbelangt, so muß ich ja wohl, ehe ich seine Geschichte erzähle, eine persönliche Feststellung machen. Ich für mein Teil glaube zwar, daß diese ganz großen Abenteurer sozusagen Weltwunder sind, daß sie unabhängig von Nationalitäten und politischen Sentiments durch den Weltenraum schwirren wie Kometenschwänze und Planetentrümmer. Immerhin möchte ich in aller Form feststellen, daß dieser Cradock, obwohl er vor dem Kriege ganz kurze Zeit die Uniform eines britischen Marineoffiziers getragen hatte, durchaus kein Engländer von Blut war, sondern aus einem durchaus internationalen Raufbold- und Seeräuberadel stammte. Zuzugeben ist, daß einer seiner 9 Vorfahren vor fünfhundert Jahren um die Zeit der britisch-französischen Kriege englischer Oberst gewesen war und als solcher der Familie Cradock ein ganz merkwürdiges Privileg erstritten hatte. Das von jenem mittelalterlichen Cradock befehligte Regiment nämlich hatte an der Ruhr gelitten, hatte infolgedessen öfter als andere Regimenter Ursache gehabt, sich seiner Hosen zeitweilig zu entledigen, und war in einem solchen Zustande der Hosenlosigkeit von den Franzosen – unschicklicherweise vermutlich unter der persönlichen Führung der Jungfrau von Orleans – angegriffen worden. Nun also, der damalige Cradock hatte mit seinem hosenlosen Regiment den Feind in die Flucht geschlagen und dadurch für alle Zeiten für sich und seine Nachkommen von den britischen Königen ein ganz seltsames, in Europa viel belachtes Privileg erstritten: das glücklicherweise nie ausgeübte Privileg, jederzeit und unangemeldet bei sämtlichen Mitgliedern des Hofes – ohne Hosen zu erscheinen . . .
So also verhielt es sich mit dem Stammvater aller Cradocks, und seine Nachkommen 10 hatten so ziemlich in allen Armeen Europas und auf allen Schlachtfeldern des Erdballes gerauft und sich die Schädel blutig schlagen lassen. Für den Schwedenkönig und die reine Lehre hatten sie gefochten. Für die Ostindische Kompanie und den Großen Friedrich. Und sogar für die Sterne und Streifen des jungen Amerika. Es gibt eben solche über alle Staaten verteilte Raufbolde, die ebensogut in Hu- wie in Büsum oder selbst auf dem Monde zu Hause sein können. Leute, die heute Soldaten für Amanullah und morgen für die chinesischen Marschälle ausbilden, und deren ewiges Schicksal es ist, wie Kometen ruhelos durch das Weltall zu sausen. Wenn es ihnen eben nicht passiert, was im Jahre neunzehnhundertundzweiundzwanzig diesem langen Kapitän Cradock passierte: daß sie von Frauenhänden gezähmt und schließlich doch noch zu leidlich gesitteten Europäern gemacht werden. Ja. –
Und nun: es tut mir innig leid, daß diese an sich so unromantische und beschwingte Geschichte eine ganz kleine Vorgeschichte hat – 11 eine Vorgeschichte, in der sogar eine so romantische und rar gewordene Angelegenheit wie eine Prinzessinnenhochzeit eine Rolle spielt. In den allerletzten Jahren vor dem Kriege nämlich hatte dieser »lange Cradock« (wie er wegen seiner ganz unwahrscheinlichen Körpermaße genannt wurde!) in London als eben beförderter Flottenleutnant einen Flirt gehabt. Einen Flirt mit einer kleinen Prinzessin aus einer Nebenlinie des königlichen Hauses von Großbritannien und Irland. Einen Flirt, von dem nur bekannt ist, daß die gemeinsamen Ausritte der beiden Beteiligten etwas länger dauerten, als nach den Grundsätzen der höfischen Schicklichkeit solche Ritte zu dauern haben. Ferner, daß dieser Flirt einige Zeit Gegenstand des Hofklatsches von alten silberbestickten Palastdamen war. Drittens, daß der Flirt zwischen dem neubeförderten Flottenleutnant Cradock und der kleinen Prinzessin Maria so endete, wie alle solche Flirts zu enden pflegen. Damit nämlich, daß der Hof die kleine Prinzessin Maria standesgemäß verlobte.
12 Mit dem Potentaten eines kleinen armen Balkanstaates, der hier, damit durch diese fröhliche Geschichte um Gottes willen keine internationalen Spannungen verursacht werden, mit dem Phantasienamen »Labrador« bezeichnet sein mag. Mit diesem, um mindestens dreißig Jahre älteren Sixtus von Labrador, der diese fröhliche und beschwingte Geschichte mit dem Gewichte seiner Persönlichkeit und seines Namens nicht im allermindesten beschweren wird. Da er nämlich schon bei seiner Heirat ein verlebtes altes Scheusal, ein altes Austerngrab mit pontacroter Burgundernase gewesen war. Und im achten Jahre dieser im November neunzehnhundertundzwölf zu London geschlossenen Ehe vom Darmkrebs geholt wurde und die kleine Mary als Fürstin-Witwe von Labrador zurückließ. Und begraben wurde mit allen Zeremonien seines Landes und damit gottlob ein für allemal ausscheidet aus dieser Geschichte, die mit Hoheiten gar nichts . . . aber auch gar nichts zu tun hat. Sondern eben nur mit diesem wilden Abenteurer Cradock, der partout das Kasino von Monte Carlo 13 in Brand schießen wollte und dann doch auf unerwartete Weise von einer Frauenhand zu einem zivilisierten Manne gemacht wurde. Ja.
*
Diese Verlobung und diese Hochzeit der kleinen Mary aber, sie bildet den einzigen mit höfischem Ballast beschwerten Bestandteil meiner Geschichte. Daß man sie an diesen greulichen alten Mann verlobt habe, das hatte sie dem langen Cradock unter Tränen erzählt am Tage, ehe der Hofbericht die Verlobung bekanntgab, bei einer Fuchsjagd in Hampton, bei der sie (absichtlich oder zufällig) sich verirrt hatten und für eine halbe Stunde allein geblieben waren. Und als sie es ihm gesagt hatte, da war der lange Cradock kurzerhand zum Angriff übergegangen und hatte diese kleine Prinzessin furchtbar geküßt. Ganz furchtbar und mit Küssen, auf die kleine Prinzessinnen eigentlich nicht eingerichtet sind. Dann war er aufgesessen und hatte sie zum Jagdfelde zurückbegleitet. Und hatte sich sehr 14 formell verabschiedet und hatte sie in den acht bis zur Hochzeit verstrichenen Wochen nie wieder gesehen, und nur das war bekanntgeworden, daß er in diesen Wochen wilder trank und noch wilder ritt als gewöhnlich. Bis dann eben die Hochzeit gekommen war, und sie sich bei dieser Hochzeit für lange Jahre ein letztes Mal gesehen hatten . . .
Diese Hochzeit aber fand in London an einem kalten windigen Novembertage statt. In der Westminsterabtei, in der bekanntlich alle englischen Könige begraben liegen – der blutige Richard und der fröhliche Prinz Heinz und dann der achte Heinrich, der bekanntlich neben dem Rekord von acht Frauen den anderen Rekord von dreihundertundfünfundsechzig Bastarden aufgestellt hat, und wenn es gerade ein Schaltjahr gewesen wäre, so wären es todsicher dreihundertundsechsundsechzig gewesen . . . An diesem mit Geschichte und Romantik schwer belasteten Orte also vollzog sich die Trauung des Paares so, wie nach alter Sitte sich Trauungen von englischen Prinzessinnen immer vollziehen. Daß nämlich Braut 15 und Bräutigam bei ihrem Gange zum Kirchenportal durch ein Spalier von Flottenoffizieren schritten, und daß diese Offiziere über das Paar dachsparrenartig und schützend ihre entblößten Degen hielten. So, wie das heute noch geschieht, wenn ein Mitglied des königlichen Hauses heiratet. Höchst romantisch und unzeitgemäß eigentlich. Ich kann's nicht ändern. –
So also war das auch dieses Mal. Und zuerst standen da alte eisgraue Admirale mit beträchtlichem Leibesumfang und Leberverhärtung und goldbetreßten Schiffshüten und blitzenden Victoriakreuzen auf Milz und Blinddarm. Dann – näher schon dem Portal – waren es magere Linienschiffskapitäne in mittleren Jahren mit harten Gesichtern, und auf diesen Gesichtern war zu lesen, daß man hier sei, um mit Anstand eine etwas romantische Zeremonie zu erledigen, und daß man im übrigen diese kleine süße Mary bedauere, weil sie nun ein solch altes verlebtes Laster heiraten müsse. Ganz dicht am Portal aber, da stand unter sechs blutjungen, eben beförderten 16 Flottenleutnants einer, der mit seiner verwegenen Nase und den kühlen und vielleicht ein wenig frechen Augen eigentlich wie ein vorzeitig in die Uniform gepreßter Schuljunge aussah. Das also war der Leutnant Frederic William Cradock. –
Ja, so war das, und alles vollzog sich, wie die Etikette es vorschrieb und heute noch vorschreibt. Und Zeremonienmeister, leuchtend in ihren zinnoberroten Hoffräcken wie riesige seltene Vögel, waren eingeschwenkt und hatten Front gemacht und ihre Stäbe aufstampfen lassen . . . die Kameras der Presseleute hatten geschnappt, und unter dem Dach von entblößten Säbelklingen schritt auf das Portal zu mit ihrem abgelebten alten Bräutigam diese in der Gloriole ihrer zwanzig Jahre strahlende Braut. Und erst da, als dieses ungleiche Paar schon auf der obersten Stufe der Treppe stand, und als aus dem Dunkel von Westminsterabtei schon die bunten Meßgewänder der amtierenden Geistlichkeit leuchteten, da hatte sich etwas ereignet, was als eine, wenn auch nur flüchtige Störung dieser 17 feierlichen Zeremonie bezeichnet werden muß, und was dann auch für den weiteren Verlauf dieser Geschichte allerlei Folgen hatte.
Die Sache war eben die, daß es ein kalter, unfreundlicher Novembertag war mit eisigem Nordost, und daß gerade, als das Brautpaar das Portal durchschreiten wollte, ein solch grober Bursche von Windstoß über den Platz gefahren kam. Zuerst war es nur so, daß weißhaarige Hofdamen zusammenschauerten und alte Kammerherren die Gicht in ihren Knochen fühlten und wohl auch daran dachten, daß jetzt ein männlicher Whisky guttun könnte. Das Gros dieses unheiligen Windes aber, das mit voller Wucht und mit tanzenden Wirbeln von Staub und Papierfetzen und Strohhalmen daherkam, das richtete schlimme Verheerungen an. Zuerst flogen von den kammerherrlichen Häuptern etliche Schiffshüte davon, ließen schön polierte Glatzen sehen und erregten einiges Lachen ringsum. Dann stürzte der Kurbelapparat eines Kinomannes um, dann machten, scheu geworden durch die allgemeine Wirrnis, vor einer der Galakutschen die à la 18 Daumont gespannten Schimmel und Rappen Miene, durchzugehen. Zum Schluß aber fuhr dieser Lümmel von einem Wind mitten hinein in das Kirchenportal, nahm den Schleier der Braut und bauschte ihn wie eine Fahne auf, bis er sich da oben an irgend etwas verfing. Dieses »Irgendetwas« aber, das war die Degenspitze des Leutnants Frederic William Cradock.
Das war ja nun wirklich ein störendes, um nicht zu sagen peinliches Ereignis. Die Braut hatte es zunächst nicht bemerkt und war einfach weitergegangen; da hatte sie alles nur noch schlimmer gemacht und den Schleier über die ganze Länge der Klinge gezerrt bis zum Degengefäß. Und als der Leutnant Cradock den Degen gesenkt und versucht hatte, den inzwischen schon stark beschädigten Brautschmuck von der Klinge zu ziehen, da war ein zweiter Windstoß gekommen und hatte ihm den Schleier um die Schulter geweht. Und als sie dann beide durch allerlei Manipulationen versucht hatten, sich von diesem Erzeugnis der englischen Textilindustrie und seinen 19 mannigfachen Umschlingungen zu befreien, da war es ganz schlimm geworden. Da standen sie nämlich und waren untrennbar verbunden durch eine Boa constrictor aus Tüll. Notgedrungen blieb natürlich der ganze Brautzug stehen, und natürlich fingen alte Hofdamen an, mokante Blicke zu tauschen. Da nahm denn die resolute kleine Braut ihren Brautschleier und riß ihn . . . ritsch – ratsch . . . mitten durch. Dann blieb sie noch eine kleine Weile stehen neben dem langen Cradock, und beide sahen sich ins Gesicht und mußten zuerst lachen und waren hinterher doch beide ein wenig rot geworden . . .
Grober Unfug wäre es natürlich, in diesem Falle von »Liebe auf den ersten oder auch nur auf den zweiten Blick« zu reden – beide waren sie für derlei Sentimentalitäten viel zu lebenstüchtige Menschenkinder. Es war einfach so, wie es eben manchmal ist zwischen jungen Leuten, die sich einmal gut gewesen sind und sich unvorhergesehenerweise noch einmal begegnen, ehe sie sich auf immer trennen müssen. Und sich das, was sie sich zu sagen 20 haben, in aller Verschwiegenheit mit den Augen sagen . . .
»Dank dir«, sagten die Augen der kleinen Mary, »daß du mir nun ein so schöner Brautkavalier bist.«
»Laß dir's nicht zu schwer werden«, sagten die Augen des langen Cradock und streiften dabei den alten, klapprigen Bräutigam, »laß dir's nicht allzu schwer werden, wenn du nun dieses alte Laster heiraten mußt!«
Das war alles, und damit setzte sich der Brautzug auch schon wieder in Bewegung. Und nur noch einmal, dicht an der Tür, drehte sie sich um nach dem langen Cradock. »Zum Andenken an Mary«, sagte ganz leise die Braut und reichte dem langen Cradock einen Fetzen ihres zerrissenen Schleiers hin. Das aber war auch wirklich alles. Und alles Weitere vollzog sich so, wie es nach altem Brauch sich zu vollziehen hatte. Und höchstens dieses eine nur noch wurde von älteren Hofdamen flüsternd vermerkt, daß am Abend die Prinzessin-Braut den langen Cradock ungebührlich oft zum Tanz auffordern ließ. Das war alles, und das 21 ist eigentlich die ganze Vorgeschichte zu dem, was sich dann zehn Jahre später in Monte Carlo ereignete. –
Was die kleine Mary anbelangt, so habe ich schon angedeutet, daß ihr Gatte nach siebenjähriger Ehe schon vom Darmkrebs geholt wurde und sie als Fürstin-Witwe jenes kleinen Balkanstaates zurückließ, den wir, »den Gesetzen internationaler Courtoisie folgend«, unter dem Namen »Labrador« verbergen wollen.
Da war sie denn also Herrin über fünf Millionen halbwilder Menschen, die von Schweinemast en gros, von ein paar schlechten Petroleumquellen, vom Grenzschmuggel nach der Türkei hinüber und vom Hammeldiebstahl lebten . . ., Herrin über eine Liliputarmee und eine aus drei asthmatischen alten Kreuzern bestehende »Flotte«, für die sie die Offiziere aus allen Marinen der europäischen Staaten . . . mit Vorliebe wohl auch aus der ihres Heimatlandes bezog. Im ganzen eine kleine korrekte konstitutionelle Balkanfürstin von weltberühmter Schönheit. Und nur das eine noch wäre zu erwähnen, daß sie ein wenig zart und 22 anfällig geworden war. Daß ihre Lungen das skythische Klima ihres Landes nicht recht vertrugen, und daß sie eigentlich jeden Winter in Ägypten zubringen mußte . . .
Was aber den langen Cradock betrifft, so hatte es gleich nach der eben beschriebenen Hochzeit ein etwas voreiliges Ende genommen mit seiner Laufbahn in der großen Flotte. Daß er mit allen seinen verwegenen Wetten und Poloponys und seiner heillosen Passion für Roulette und Baccarat sein ziemlich beträchtliches Vermögen in anderthalb Jahren vertan und vermöbelt hatte und bis zum Hals in Schulden stak, das war nur der eine Grund gewesen. Daß er aber dann (kurz vor dem Weltkriege!) als Dritter Offizier des kleinen Kreuzers »Thunderer« im Hafen von Bangkok in Siam in stark angeheitertem Zustande die im Po-Wat-Tempel gehaltenen heiligen Tempelkatzen mit Hilfe von Baldriantropfen auf die Straße gelockt und zu einem in der buddhistischen Religion durchaus nicht vorgesehenen Konzert veranlaßt hatte: das war der Streiche zuviel gewesen. Ernsthafte diplomatische 23 Verwicklungen hatte es damals wegen dieses Frevels gegeben zwischen den Regierungen von England und Siam. Und dann hatte auch die Herzogin von Fife ihrem als Dritten Seelord im Flottenamt sitzenden Vetter einen Besuch gemacht in ihrer Eigenschaft als Protektrice der internationalen Liga für Katzenzucht und Katzenschutz: da war denn der lange Cradock (der ja sowieso eigentlich kein Brite von Geblüt war!) in weitem Bogen und für alle Zeiten hinausgeflogen aus dem Dienste in der königlichen Flotte.
Zu berichten ist, daß er, der internationale Abenteurer, während des Krieges durch die üblen Gebiete am mittleren Kongo sich mühselig mit einer Expedition durchschlug, von der außer ihm nur zwei zum Skelett abgemagerte Träger und sein Terrier »Quidam« zurückkehrten. Zu berichten ist ferner, daß er sich im Jahre 1918 in Betschuana-Land mit den allerletzten Vermögenstrümmern eine Farm kaufte und Schafe züchtete. Daß er für zwei weitere Jahre verschollen blieb für die große Welt. Bis ihn im Jahre 24 neunzehnhundertundzwanzig eine fabelhafte Schafpest vollends ruinierte und er zum namenlosen Erstaunen aller alten Klub- und Flottenkameraden in San Sebastian aufgetaucht war, wo er mit einem geradezu lächerlichen Betriebskapital in drei Nächten fast die Bank gesprengt hatte, um dann binnen eines besonders tollen Jahres auch dieses recht beträchtliche Sümmchen an den Mann zu bringen: mit dem berühmten Steeplerhengst »Nevermind«, der sich dann beim Derby neunzehnhundertundzwanzig auf dem letzten Sprung das Erbsbein gebrochen hatte. Und mit der fabelhaften Segeljacht »Rhadames«, die er vor Spezia auf die Felsen gejagt hatte. Und endlich mit der alten Passion für Baccarat und sonstiges Spiel und mit großartigen Dotationen für hundert in Not geratene Freunde und Feinde von ehedem und mit seiner notorisch offenen Hand für alle die sonstigen zahllosen Parasiten, die für solche plötzlich vom Monde gefallenen Gelder ja eine notorisch gute Witterung haben.
Item – in einem weiteren Jahre war auch dieses der Bank von San Sebastian 25 abgenommene Geld zu Ende gewesen, und der lange Cradock hatte sich schließlich und endlich darauf besinnen müssen, daß er von Hause aus Seemann war: am Ende des Jahres hatte die (wie gesagt, aus drei asthmatischen Kreuzern bestehende) Marine von Labrador gerade Offiziere gesucht, und da hatte er sich eben um eine Stelle beworben. Hatte wieder einmal Glück gehabt, hatte das Kommando des Kanonenbootes »Persimon« erhalten und war somit Offizier und sozusagen auch Untertan seiner ehemaligen Reitgenossin und Tänzerin geworden. Wobei übrigens zu bemerken ist, daß er sie nie wiedergesehen hatte seit dem Tage ihrer Hochzeit, und daß er, der alte abergläubische Spieler, nur den geschenkten Schleierfetzen als Talisman in allen kitzligen Situationen seines etwas bewegten Lebens bei sich getragen hatte. In Afrika, wo er in seiner entlegenen Farm mit drei weißen Arbeitern zusammen einmal von neunzig bolschewistisch infizierten Kaffern belagert worden war. In Suez, wo er aus dem von Haien wimmelnden Hafen einen aus Liebeskummer über Bord 26 gegangenen deutschen Kellner nach viertelstündiger Katzbalgerei mit dem Tode doch noch herausgeholt hatte. In San Sebastian endlich, wo ihm, wie gesagt, der größte Baccarat-Coup seines baccaratreichen Lebens gelungen war. So war das. Im übrigen war es gar nicht so einfach, nach einer so glanzvollen Jugend und mit einem so unruhigen Abenteurerblut ums liebe Brot zu dienen in der armseligen Marine eines armen, halbexotischen Staates, der die Gehälter notorisch unpünktlich anwies und oft nicht einmal die Kohlen seiner Flotte bezahlen konnte.
Ja, so stand es mit dem langen Cradock. Am sechsundzwanzigsten Februar neunzehnhundertzweiundzwanzig aber – an solch einem Tag, an dem der Frühling zum erstenmal erfolgreich sich mit dem Winternebel herumbalgte –, an diesem Tage also brachte im Hafen von Genua der diensttuende Funker dem Kapitän Cradock ein Telegramm. Der Kapitän Cradock saß gerade bei Tisch mit seinem aus alten Sündern und Abenteurern aller europäischen Staaten zusammengewehten 27 Offizierskorps: der alte Schiffsarzt Crofts war da (ein dicker Schotte, mit dem Cradock sich duzte) . . . der Navigationsoffizier Bromley aus Gravesend (wo bekanntlich die größten Spitzbuben der Welt zu Hause sind) . . . und der kleine stiernackige Ostpreuße Kries, der so stark war, daß er Tischkanten abbeißen und Fünfschillingstücke zerbrechen konnte. Dann noch der alte Chefingenieur Pavlicek, der noch in der verwehten Seemacht der Habsburger Doppelmonarchie gedient hatte, und endlich noch der blutjunge Williams aus Cornwall, der eigentlich nur »Ja« und »Nein« sagen konnte und seinen Liebeskummer um irgendein kleines Berberiner-Mädchen aus Alexandria in ungeheuren Whiskymengen zu ersäufen pflegte. Es wurde, wie gewöhnlich, scharf getrunken und dann, beim Kaffee, ziemlich hoch gespielt: das Telegramm, das ihm eben überbracht worden war, hatte der lange Cradock zunächst uneröffnet in den Ärmel geschoben.
Erst nach Tisch, als er allein auf der Brücke noch eine Zigarette rauchte, öffnete er es. Es 28 war ein kurzes Telegramm seiner Regierung, die ihm auftrug, sofort nach Monte Carlo zu dampfen und weitere Befehle dort zu erwarten. Was er dort eigentlich sollte, und wie lange er dort zu liegen haben würde, war nicht gesagt. Er ließ das Monokel fallen und steckte kopfschüttelnd das Papier fort. Als er es in seiner Brieftasche barg, fiel ihm der bewußte Schleierfetzen in die Hand.
Es war ein Fetzen Seidentüll mit Silberfäden, die nun schon rot angelaufen waren – er selbst war ein alter, hartgesottener Sünder, dessen Herz nicht eben sentimental genannt werden konnte. Aber da, als der lange Cradock seinen Talisman in der Hand hielt, mußte er doch an jenes rotblonde Haar denken, auf dem dieser Schleier einmal befestigt gewesen war; und an die Besitzerin dieses rotblonden Heiligenscheines, die man seit zehn Jahren nicht gesehen hatte, und die nun »oberste Kriegsherrin« und »grundgütige Landesmutter« war. Und in diesem Augenblick, wo der lange Cradock zum ersten Male wieder an seine kleine Tänzerin von einst dachte, da geschah 29 ringsum in der spätwinterlichen Hafenbucht etwas Seltsames und beinahe Aufregendes . . .
Es war eine scharfe Bö, die vom offenen Meer hineinfuhr in den griesgrämigen Tag und die Nebel über den Höhen lockerte und zum erstenmal so etwas wie Sonne hineinließ in den traurigen Nachmittag. Es war nichts weiter als der erste entscheidende Frühlings-Schirokko, der sich am Südhimmel meldete. Aber er war geladen mit Sonnenfeuer und Meereshauch und wußte von dem glühenden Granit des fernen Atlas und von den Fanfaren nordwärts ziehender Kraniche und den Brunstschreien numidischer Stuten und den Brautliedern der westlichen Berberstämme an der roten Afrikaküste.
Solch ein verbuhlter Wind war das, und er machte, daß Mensch und Tier und das ganze noch winterliche Genua sofort seine Sprache verstanden. Daß drüben auf dem Kai die mit dem Ausklarieren ihrer Schiffe beschäftigten italienischen Clerks Verdi-Koloraturen in die Lüfte schmetterten und bei den Zollspeichern verliebte Katzen schrien und selbst hier auf 30 der Brücke der mit dem Putzen des Maschinentelegraphen beschäftigte Quartermeister Jackson ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Kapitäns in hohem Tenor leise zu singen begann.
Der lange Cradock aber, der zum erstenmal wieder ganz bewußt an einen Heiligenschein aus rotblondem Haar und an eine kleine übermütige Jagdreiterin gedacht hatte, steckte seinen Talisman fort und ging mit gerunzelter Stirn in seine Kabine. Noch immer war er schlank und drahtig wie früher und konnte noch immer für einen schönen Burschen gelten. Das Leben aber war das eines einsamen und nicht mehr so übermäßig jungen Abenteurers geworden. Das Leben war eine Kette von Erinnerungen an gute und schlechte Baccarat-Tage, an schwarze, weiße, braune, gelbe und selbst grüne Weiber aus allen Strichen des Globus . . ., an Spelunken in Yokohama und in Kapstadt, an zahllose Blenton- und Ginfizz- und Chocolate-Cocktails. Das Leben war ein wenig ärmlich geblieben, und manchmal begann schon ein etwas kalter und scharfer 31 Wind von seiner Bühne zu wehen. Der Steward Blix erzählte an diesem Abend seinen Kameraden, daß der Kapitän heute lange vor seinem Spiegel gestanden und schließlich ihn (Blix) gefragt habe, ob man hinten bei ihm graue Haare entdecken könne . . .
An diesem Abend gab es übrigens noch einigen Krach zwischen dem Kapitän Cradock und der Genueser Kohlenfirma Zanelli & Peto, die der fürstlichen Marine von Labrador ohne Barzahlung (denn die Bordkasse war ziemlich leer) Brennstoff partout nicht liefern wollte. Und in der Nacht lief mit ihren letzten, aus den Bunkern zusammengekratzten Kohlen unter den Kesseln die »Persimon« nach Monte Carlo aus. Und erst hier in Monte Carlo konnte dann der Kapitän Cradock tausend für die Schiffskasse telegraphisch angeforderte Pfunde erheben.
Was er sonst noch in diesem mit seinem Karneval auf das intensivste beschäftigten Monte Carlo sollte, konnte er nirgends erfahren.
Auch nicht auf dem fürstlichen Konsulat 32 von Labrador mit seiner mehr als dürftigen Office und dem verblaßten Wappenschild und dem Porträt der süßen kleinen Mary, die nun als Fürstin-Witwe und grundgütige Landesmutter über dem Schreibtisch ihres Konsuls hing.
*
Bis Weihnachten hatte sie, die kleine Fürstin-Witwe, den Winter ihres in Europas Wetterwinkel auf des Teufels Rinne gelegenen Landes leidlich vertragen. Im Januar war auf Wintergewittern von unwahrscheinlicher Heftigkeit und auf groben Schneestürmen eine schwere Grippe dahergefahren gekommen, hatte sie, die ehedem so gesunde kleine Mary, für Wochen aufs Krankenlager geworfen: da hatten die Ärzte zuerst Madeira und dann, im Hinblick auf die ernstlich affizierten Lungen, sogar eine längere Überseereise verordnet. Da aber der Verwalter der etwas mageren fürstlichen Schatulle (irgend so ein fetter armenischer Anwalt) ein Veto eingelegt hatte, so 33 hatte die kleine resolute Patientin sich wieder mit Ägypten begnügt und hatte ausgerechnet, daß erhebliche Kosten sich ersparen ließen, wenn man zur Überfahrt einen der gerade im Mittelmeer liegenden alten Kasten von der fürstlich-labradorischen Kriegsmarine beordere. Die alte Gräfin Hensbarrow (noch aus London importiert und einzige »Palastdame« Ihrer Hoheit und über die alten Flirtgeschichten mit Cradock noch gut unterrichtet) hatte zwar protestiert, hatte, als der gerade in Genua Iiegende alte Kreuzer »Persimon« in Betracht gezogen war, unverblümt Ihre Hoheit auf das wenig Schickliche dieses Projektes aufmerksam gemacht . . . hatte sogar zu verstehen gegeben, daß sie in dem diesbezüglichen Plan nur einen Vorwand Ihrer Hoheit sähe, diesem Cradock (der doch nicht einmal Brite von Geburt war!) wieder zu begegnen.
Geholfen hatte dieser Protest nicht im mindesten. Gegen die Energie der kleinen Hoheit hatte man eben wieder einmal nicht ankommen können, und so war dem in Genua ankernden Kreuzer »Persimon« (Kapitän Cradock) der 34 Befehl gegeben, am siebenundzwanzigsten Februar neunzehnhundertundzweiundzwanzig Monte Carlo anzulaufen und dort weitere Befehle zu erwarten. Zweck und Ziel dieser Fahrt waren in dieser Order mit keinem Worte angegeben: Ihre Hoheit hatte streng befohlen, die Ägyptenreise und ihre beabsichtigte Anwesenheit an Bord geheimzuhalten, und hatte sich auch jede besondere Vorbereitung des Schiffes verbeten.
Am fünfundzwanzigsten Februar schon waren als Avantgarde in Monte Carlo im Hotel de Paris fünf große Koffer angekommen . . . Ledergebirge von einer altmodischen uneuropäischen und beinahe schon barbarischen Solidität, und der Portier Chazel hatte auf »russische Aristokratie mit mäßigem, in die Schweiz gerettetem Vermögen« geraten. Dann war am Morgen des sechsundzwanzigsten die Zofe Susan gekommen, hatte für zwei Damen Quartier gemacht, hatte die zwei Zimmer der einen Dame in der dritten Etage und die der jüngeren seltsamerweise in der ersten gewählt; hatte die Preise des Hotel de Paris als 35 ungebührlich hoch bezeichnet und den Portier Chazel in der Annahme »emigrierte russische Aristokratie mit mäßigem, in die Schweiz gerettetem Vermögen« nur bestärkt. Zum Schluß freilich, als mit dem Mittagszuge von Mailand die beiden Damen eingetroffen waren, hatte der alte Chazel diese seine Diagnose wieder verworfen. Engländerinnen waren die beiden, da die jüngere die Zimmerpreise sofort um zwanzig Prozent heruntergehandelt hatte, sicherlich. Die etwas phantastisch klingenden gräflichen Titel waren sicherlich Decknamen, und nur das eine war dem alten Routinier unklar, in welcher illustrierten Zeitschrift er schon das Gesicht der jüngeren, der kleineren mit dem Helm aus kupferrotem Haar und dem etwas knabenhaften Gesicht gesehen haben mochte: der alte Chazel beschloß, sich bei dem Barmixer zu erkundigen, der als ehemaliger österreichischer Dragoneroffizier als Autorität für berühmte Schönheiten der internationalen Aristokratie gelten konnte.
So war also der Einzug gewesen im Hotel de Paris. Vor dem etwas verspätet servierten 36 Luncheon lag man wohlverpackt in den Liegestühlen des Balkons, sah ein wenig sehnsüchtig hinunter in den tobenden Mittagskorso dieses nun doch etwas heruntergekommenen Monte Carlo. Unter dem Balkon klapperten eifrig gelbrote Sonnendächer im Seewind, und unnatürlich nahe stand in den dunklen Katarakten von Lorbeer und Feigen und Myrten der braune Granit des Gebirgsstockes. Und ziegelrote und kobaltblaue und gurkhafarbene Limousinen zogen vorüber auf der großen Autostraße nach Cannes und Antibes mit ihrer Last von Chicagoer Schweinemetzgern und Berliner Großverdienern und mimosenhaft zarten und müden Luxusweibern, und in das vielstimmige Geschrei ihrer Sirenen mischten sich wieder die langgezogenen Rufe der kleinen Liftboys bei dem Elevator unten an der See. Monegasser Fischer, braun und statuenhaft wie antike Hirten, ließen sich begaffen von lodengepanzerten sächsischen Provinzialen, und aus den großen Hotels die kleinen dienstfreien Zimmermädel zwitscherten und kicherten unter primitiven Masken und 37 wiegten sich in schwarzbespannten Hüften, Arm in Arm mit den Urlaubsmatrosen der Flottenstation von Cap d'Antibes. Seehauch kam, beladen mit dem Parfüm der nahen Exotik. Sehnsucht kam ihr, der doch noch so jungen kleinen Hoheit, etwas noch zu erhaschen von der allzu früh und allzu jäh beendeten Jugend . . . Sehnsucht, mitzutun mit den jungen, fröhlichen Menschenkindern, als unerkannte Maske mitzuschwimmen in dem Strom, von dem man ja nicht unbedingt zu wissen brauchte, wohin er trieb. So beschaffen also waren zur Stunde die Wünsche der kleinen Mary – ich glaube, daß in dieser Stunde schon der Plan entworfen wurde zu dem, was dann im Laufe des nächsten Tages einiges Leben brachte in dieses etwas schläfrig, etwas verstaubt, etwas provinzial gewordene Monte Carlo.
Sie, die alte Violet, tat das, was sie eigentlich immer tat: sie jammerte . . .
Sie jammerte über die Uneleganz von Monte Carlo. Sie jammerte, daß man nicht in Cannes oder wenigstens in Nizza abgestiegen war, und 38 sie jammerte vor allem, daß man nun auf ein primitives Kriegsschiff müsse, und daß das Ganze ja doch nur ein Vorwand Ihrer Hoheit sei, die ihren alten Flirt Cradock wiedersehen wolle . . .
Sie, die kleine Mary, hörte nicht weiter darauf und beäugte mit dem Glase lieber die kleine Rauchwolke, die im Südosten zu sehen war. Serviert wurde schon, als aus der Rauchwolke zuerst ein kleines silbergraues Schiffchen und dann ein wirklicher Kreuzer geworden war mit zierlichen Miniaturkanonen und zwei pathetisch qualmenden Schornsteinen und der fürstlich-labradorischen Flagge am Stock. Der Nachtisch wurde schon aufgetragen, als dieses kleine Spielzeug unten zu Anker ging. Da hatte die kleine Mary sehr resolut erklärt, daß »Eio-Mammy« (so nannte sie, seit Babytagen schon, ihre alte einstige Erzieherin) . . . daß »Eio-Mammy« jetzt müde sei von der Nachtfahrt und unbedingt schlafen müsse. Und als die alte Violet dann wirklich und übrigens nicht ohne boshafte Stichelei auf diese übertriebene Sorge um ihren Mittagsschlaf das Feld endlich 39 geräumt hatte, da war die kleine Mary aufgesprungen und war hinuntergelaufen zu dem großen Fernrohr auf der Frühstücksterrasse. Die dunklen Massen auf den Ankerwinden bei der Back, das waren fürstlich-labradorische Matrosen und mithin (was sie mit einem etwas ironischen Lächeln vermerkte) ihre Landeskinder. Dann hatte unten das Schiffchen diese dunklen Massen wieder eingesogen in seinen Silberleib, und dann hatte es ein Boot heruntergelassen, das vorläufig wie ein kleines gelbes Entenjunges neben dem Leibe der Mutter schwamm. Endlich aber, nach langem und hastigem Suchen, war da ganz oben auf dem Kompaßdeck in schneeweißer Sommeruniform ein schlankes, elegantes Figürchen zu entdecken gewesen. Das Figürchen aber lehnte mit untergeschlagenen Armen in einer lässigen, der kleinen Mary gut bekannten Haltung an der Reling, verschwand und tauchte wieder auf und verschwand dann definitiv in dem Menschengetümmel der Decks. Als dann nach zehn Minuten das Boot sich trennte von dem Leibe der Mutter und über die Bucht auf 40 die Landungsbrücke zugeschwommen kam: da war die kleine Mary atemlos in ihr Zimmer gestürmt und hatte die Zofe Susan in die obere Etage geschickt und erkunden lassen, ob die alte Dame schon schlafe. Dann, als es sich ergeben hatte, daß »Ihre Exzellenz« wie ein Sägewerk schnarche, da hatte man sich für zehn Minuten eingeschlossen mit der Zofe. Und wieder zehn Minuten später hatte der Portier Chazel, der sich als welterfahrener Mann über nichts mehr wunderte, einen schwarzmaskierten Domino blitzschnell die Halle passieren und in dem Menschengewühl beim Café drüben verschwinden sehen.
Dominos gab es heute am Faschingdienstag an sich in genügender Anzahl in Monte Carlo. Bei diesem hier, den der alte Chazel in Figur und Bewegung mit der jüngeren der beiden gestern angekommenen mysteriösen Damen in Verbindung bringen mußte . . . bei diesem hier versprachen weitere Recherchen immerhin interessante Resultate. Die beiden Pagen nämlich, die der Alte hinter dem seidenen Phantom hergeschickt hatte, berichteten 41 einstimmig, daß sie den Domino hinter der Rue de la Constitution aus dem Auge verloren hätten.
An der Grenze der gänzlich indiskutablen Altstadt also, wo, nebenbei gesagt, das ziemlich ärmliche Konsulat des Fürstentums Labrador lag. 42