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Rede vor dem Reichstage am 21. Juni 1922

Die Interpellation Stresemann Die Interpellation STRESEMANN und Genossen ersuchte die Reichsregierung um Aufklärung über Gerüchte, die besagen, daß auf Grund einer Verständigung zwischen England und Frankreich die Besatzung in den Rheinlanden zurückgezogen, dafür aber als Sicherheit gegen einen Angriff des vollkommen wehrlosen Deutschlands die Rheinlande neutralisiert werden sollen, das heißt den Rheinlanden soll die Autonomie, angeblich im Rahmen des Deutschen Reichs, aber unter französischer Oberaufsicht und französischem militärischen »Schutz« verliehen werden. Es sollte also dem besetzten Gebiet das Schicksal des unglücklichen Saargebiets bereitet werden. habe ich die Ehre wie folgt zu beantworten:

Unter dem Ausdruck »Neutralisierung« kann man zwei rechtlich völlig verschiedene Begriffe verstehen. Soweit darunter zu verstehen ist das Verbot für Deutschland, innerhalb der Rheinlande ständig oder zeitweise militärische Streitkräfte zu unterhalten oder zu sammeln oder daselbst Befestigungen beizubehalten oder anzulegen, so hat die dahingehende Forderung bereits in den Art. 42 und 43 des Vertrages von Versailles ihre Verwirklichung gefunden.

Sollte unter der Neutralisierung der Rheinlande die Schaffung eines neutralen Pufferstaates verstanden werden, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Rheinlande auch nach dem Vertrage von Versailles ein integrierender Bestandteil des Deutschen Reiches und des preussischen Staates geblieben sind. Der Vertrag von Versailles enthält in der langen Reihe seiner Artikel nicht eine Bestimmung, auf die sich irgendeine Signatarmacht dieses Vertrags bei Erhebung einer dahingehenden Forderung stützen könnte. Eine solche Forderung könnte also nur unter Vertragsbruch verwirklicht werden. Bisher ist noch von keiner Seite ein Ansinnen dieser Art an die deutsche Regierung herangetreten. Auch sonst liegen der deutschen Regierung, abgesehen von unbeglaubigten Zeitungsmitteilungen, keine Nachrichten vor, die auf eine derartige Absicht schliessen lassen könnten.

Namens der Reichsregierung habe ich die Erklärung abzugeben, dass sie niemals für irgendwelche Zugeständnisse, und mögen sie noch so gross sein, dafür zu haben ist, das Rheinland, das während der Besatzungszeit so oft seinen unerschütterlichen Willen zum Festhalten am angestammten Vaterland bewiesen hat, preiszugeben oder seinen Bestand schädigen zu lassen.

Die Interpellation Lauscher Die Interpellation LAUSCHER und Genossen fordert von der Reichsregierung Erklärungen über die am 30. Mai übergebene Note der Botschafterkonferenz der alliierten Staaten, die unter Berufung auf Artikel 43 des Vertrags von Versailles die Einstellung bzw. Zerstörung einer ganzen Reihe wirtschaftlich bedeutsamer Eisenbahnbauten innerhalb des zurzeit von den Alliierten besetzten rheinischen Gebiets verlangt. bezüglich der Eisenbahnen habe ich die Ehre, wie folgt zu beantworten:

Am 25. Mai hat die Botschafterkonferenz eine von dem französischen Ministerpräsidenten unterzeichnete Note an die deutsche Regierung gerichtet, in der sie die sofortige Einstellung einer Reihe im Gang befindlicher Bahnbauten sowie die allmähliche Beseitigung gewisser Eisenbahnanlagen im linksrheinischen Gebiet verlangt. Sie stützt diese Forderungen auf Art. 43 des Vertrages von Versailles, der die Beibehaltung aller materiellen Vorkehrungen für eine Mobilmachung in jenen Gebieten untersagt. Die Botschafterkonferenz vertritt den Standpunkt, dass die Bahnlinien, deren Einstellung sie fordert, strategische Linien und die Anlagen, deren Zerstörung sie verlangt, militärische Anlagen seien. Sie hat es für nötig gehalten, mit besonderem Nachdruck zu betonen, dass alle in ihr enthaltenen Entscheidungen auf Grund eingehender Untersuchungen so getroffen seien, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des rheinischen Eisenbahnnetzes durch sie in keiner Weise vermindert wird. Die Botschafterkonferenz stellt ferner »mit Genugtuung« fest, dass die Einstellung der im Gang befindlichen Arbeiten es Deutschland erlauben werde, die dafür ausgeworfenen bedeutenden Ausgaben zu ersparen und damit seine finanzielle Lage zu verbessern.

So lebhaft die deutsche Regierung jede Gelegenheit begrüsst, die Finanzen Deutschlands zu heben, so vermag sie doch die Genugtuung der Botschafterkonferenz über die ihr gebotene Möglichkeit nicht zu teilen.

Denn einmal übergeht die Botschafterkonferenz mit Stillschweigen, dass über den Ersparnissen, die sich aus der Einstellung der im Gang befindlichen Arbeiten ergeben, Hunderte von Millionen an Ausgaben stehen, die für die geforderten Zerstörungsmassnahmen völlig unproduktiv aufgewendet werden müssen.

Zweitens trifft die Annahme der Note, dass es sich bei den einzustellenden Arbeiten und den zu beseitigenden Anlagen ausschliesslich um militärische, für die deutsche Wirtschaft gleichgültige Einrichtungen handele, in keiner Weise zu.

Die deutsche Regierung weiss, dass der Vertrag von Versailles ihr verbietet, im besetzten Gebiet irgendwelche ständigen Vorkehrungen zu unterhalten, die dem Zweck der Mobilmachung zu dienen bestimmt sind. Sie beabsichtigt nicht, sich dieser Verpflichtung zu entziehen und sie wird die vorhandenen Anlagen, soweit sie wirklich militärischer Natur sind, pflichtgemäss zerstören lassen, soweit dieses Verlangen allen ökonomischen Erwägungen zum Trotz aufrechterhalten werden sollte. Dass sie nicht daran denkt, neue Anlagen dieser Art zu schaffen oder begonnene fortzuführen, ist angesichts der deutschen Finanzlage und der ganzen politischen Situation eine einfache Selbstverständlichkeit.

Dagegen ist die deutsche Regierung weder nach dem Buchstaben noch nach dem Sinne des Versailler Vertrages verpflichtet, Einrichtungen, die für die gesunde wirtschaftliche Entwicklung des Rheinlandes zweckmässig und notwendig sind, nur deshalb zu zerstören oder unausgeführt zu lassen, weil die Botschafterkonferenz glaubt, dass sie eine etwaige Mobilmachung erleichtern.

Der Art. 43 richtet sich gegen die Vorbereitung eines Krieges. Er gibt den alliierten Regierungen kein Recht, störend und zerstörend in eine auf verständigen Grundsätzen aufgebaute Verkehrspolitik einzugreifen. Soweit das durch die Forderungen der Botschafterkonferenz geschieht, wird die deutsche Regierung diese Forderungen mit allem Nachdruck bekämpfen. Sie wird den alliierten Regierungen den Beweis liefern, dass die verlangten Massnahmen den betroffenen Gebieten schwere wirtschaftliche Nachteile zufügen, dass sie die Entwicklung nicht nur des Verkehrs, sondern zahlreicher für Deutschland lebenswichtiger Wirtschaftszweige hindern und so die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands keineswegs erhöhen, sondern stark beeinträchtigen würden. Von ganz besonderem Einfluss auf die Entschliessung der aliierten Regierungen sollte es sein, dass einzelne der beanstandeten Anlagen gerade dazu dienen sollen, die schnelle und pünktliche Ablieferung der Reparationskohle zu erleichtern.

Die Prüfung der einzelnen Forderungen der Note, die von den deutschen Behörden mit der grössten Sorgfalt vorgenommen wird, ist noch nicht abgeschlossen. Schon jetzt lässt sich aber mit Gewissheit sagen, dass die Entschliessung der Botschafterkonferenz, soweit sie sich mit den Linien Mörs–Geldern, Osterath–Dernau und Ehrang–Koblenz befasst, überwiegend von unrichtigen Voraussetzungen ausgeht.

Das gleiche gilt für eine grosse Anzahl der übrigen Punkte der Note, was sich zum Teil vielleicht daraus erklärt, dass den Verfassern die Entwicklung, die die Wirtschaft des Rheinlandes seit Beendigung des Krieges genommen hat, noch nicht bekannt geworden ist.

Die deutsche Regierung zweifelt nicht daran, dass die Aufklärung, die sie den alliierten Regierungen in aller Offenheit und Ehrlichkeit bieten wird, zu einer Aufgabe der jetzt erhobenen unberechtigten Forderungen führen wird. Die ohnehin so schwer unter dem Drucke der Besatzung leidende rheinische Bevölkerung mag gewiss sein, dass kein Mittel unversucht bleiben wird, um ihr neue grundlose Schädigungen zu ersparen.

Die dritte Interpellation Die Interpellation MARX und Genossen wünscht Aufklärung über die Stellung der Reichsregierung zu der Tätigkeit der vom Völkerbundsrat eingesetzten Regierungskommission im Saargebiet, die dem Versailler Vertrage, den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Demokratie – und dem Wesen des Völkerbunds widerspreche. erlaube ich mir wie folgt zu beantworten:

Ueberblickt man die Versailler Regelung für das Saarbecken, so drängt sich am stärksten ihre Kompliziertheit auf. Man vergegenwärtige sich nur folgendes: Das Land ist deutsch, die Bewohner sind Deutsche, die Verwaltung liegt in der Hand des Völkerbundes, die Gruben sind Eigentum des französischen Staates und das Zollsystem ist das französische. Das ergibt ein so vielfaches Durchschneiden und Ueberschneiden der Kompetenzen, dass es in der Praxis zu kaum mehr lösbaren Schwierigkeiten führt.

Auf die Frage, was das Saargebiet seiner juristischen Natur nach ist, dürften die Juristen die Antwort schuldig bleiben. Die Geschichte hat ein so seltsames Gebilde noch nicht gesehen. Dies hat begreiflicherweise eine grosse Belastung der beteiligten Behörden – und zwar nicht nur unserer – zur Folge, und im letzten Grunde ist der Leidtragende dabei immer die Bevölkerung.

Politisch springt vor allem die Entrechtung der Bevölkerung in die Augen. Gewisse, nicht immer genügend klar gefasste Bestimmungen gewährleisten ihr zwar einige selbstverständliche Grundrechte, von denen bezeichnenderweise das Recht des freien Abzuges am deutlichsten ausgestaltet ist.

Von der Mitbestimmung an ihrem Geschick ist sie aber so gut wie ausgeschlossen. In dem Fünfmännerkollegium, das sie regiert, befindet sich nur einer aus ihrer Mitte, und auch auf die Ernennung dieses einen hat sie keinen Einfluss.

Die Regierungskommission hat Befugnisse, die weit über das hinausgehen, was im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus die Regel war. Gewiss ist sie dem Völkerbund verantwortlich. Ob aber diese Verantwortlichkeit denselben praktischen Wert hat wie eine Verantwortlichkeit gegenüber einer Volksvertretung, müsste erst noch bewiesen werden. Die Betrauung des Völkerbundes mit dieser absolutistischen Mission ist überhaupt für jeden, der einen wahren Völkerbund errichtet zu sehen wünscht, tief bedauerlich. Die Idee des Völkerbundes wird dadurch entwürdigt.

Es ist kein Trost, dass dieses Regime auf 15 Jahre beschränkt sein soll. Denn 15 Jahre sind eine lange Zeit, und an ihrem Ende steht die Volksabstimmung. Nichts ist selbstverständlicher, als dass diese Abstimmung während der 15 Jahre die Interessen der Bevölkerung überragend beherrscht. Wir alle wissen ferner aus den Beispielen anderer deutscher Grenzgebiete, besonders Oberschlesiens, was eine Abstimmungszeit für die Bevölkerung bedeutet. Im Saargebiet soll diese Zeit 15 Jahre dauern, und wenn auch dort die Verhältnisse insofern günstig liegen, als der Bevölkerung fremdsprachige Elemente fehlen, so bedeutet es doch für sie ein überaus hartes Los und eine schwere Probe, 15 Jahre lang unter der Ungewissheit ihres endgültigen nationalen Geschickes leben zu müssen.

Ich wende mich zu der Frage, wie sich das geschilderte System bisher bewährt hat.

Das Wirtschaftsleben des Landes bietet kein erfreuliches Bild. Hier wirken verschiedene Umstände zusammen: die künstliche Trennung der Kohlenwirtschaft von dem übrigen Wirtschaftsleben, die neue Zollinie und endlich die Einführung des Franken. Das Mass, in dem der Frank im Saarbecken umläuft, ist nach Ansicht der Regierung vertragswidrig, denn der Vertrag räumt der französischen Münze nur die Stellung eines zugelassenen Umlaufgeldes neben der Mark ein. Die Regierungskommission hat ihr aber bei Post und Eisenbahn die Eigenschaft als Währungsgeld unter Ausschaltung der Mark verliehen und später trotz dringenden Abratens aller Sachverständigen ihren Umlauf noch erweitert. Wirtschaftlich widerspricht diese Abänderung der Währungsverhältnisse der Grundstruktur des Wirtschaftslebens. Das Land hat nun einmal seinen natürlichen Absatzmarkt in Deutschland und kann dafür anderswo, namentlich in Frankreich, um so weniger ausreichenden Ersatz finden, als seine Hauptindustrie, die Eisenindustrie, im Westen als unliebsamer Konkurrent empfunden und bekämpft wird. Wenn also die Industrie des Saarbeckens auf den deutschen Markt angewiesen ist und daher vorwiegend Markeinnahmen hat, so muss sie notwendigerweise in schwere Bedrängnis geraten, sobald sie bei sinkendem Markkurse ihre Hauptausgaben – nämlich Löhne, Kohlen, Erze, Frachten – in Franken leisten muss. Die Tatsachen haben dies reichlich bewiesen. Das Land hat schon verschiedene schwere Krisen durchgemacht, die noch schärfer verlaufen wären, wenn nicht grosse industrielle Werke von ihren Niederlassungen im übrigen Deutschland einen Ausgleich hätten schaffen können. Erfreulicherweise haben auch verschiedene deutsche Wirtschaftsorganisationen der schwierigen Lage des Saarbeckens volles Verständnis entgegengebracht. In diesem Zusammenhang kann ich auch erwähnen, dass die Reichsregierung im Einverständnis mit Preussen und Bayern die Belieferung des Saargebiets mit Waren zu deutschen Inlandspreisen und mit deutschen Lebensmitteln sich angelegen sein lässt. Es sind hierbei allerdings beträchtliche Schwierigkeiten zu überwinden, und es könnte ein Zeitpunkt kommen, in dem wir gegen unseren Willen diese Massnahmen aufheben müssten. Doch hoffen wir, dass wir nicht vor diese Zwangslage gestellt sein werden. Alles in allem trägt das Wirtschaftsleben des Saarbeckens eine spezifische Unstabilität als hervorstechendstes Merkmal an sich.

Wenn ich endlich zu der politischen Entwicklung übergehen darf, so muss ich zu meinem Bedauern hier feststellen, dass die Regierung des Saarbeckens von der den Völkerbund vertretenden Kommission nicht in der Weise geführt wird, wie es erwartet werden dürfte. Bekanntlich soll der Völkerbund die Regierung des Saarbeckens als Treuhänder führen. Eine solche treuhänderische Verwaltung darf nicht einen der beiden an dem endgültigen Besitz des Landes interessierten Staaten bevorzugen. Leider ist dies aber der Fall. Dass heute noch französische Truppen in beträchtlicher Zahl sich im Lande befinden, ist eine nicht abzustreitende Vertragswidrigkeit; denn nach dem Vertrag soll nicht Frankreich, sondern die Regierungskommission für Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen, und nur durch eine örtliche Gendarmerie. Diese Gendarmerie ist zwar errichtet worden, jedoch nur in bescheidenem Umfange, angeblich wegen Geldmangels. Neben ihr steht aber noch eine französische Gendarmerie. Wie deren Existenz gerechtfertigt werden kann, ist mir unerfindlich. Denn der Vertrag sagt mit der denkbar grössten Klarheit, dass »nur eine örtliche Gendarmerie« eingerichtet werden soll. Uebrigens liegen Nachrichten vor, dass die französische Gendarmerie die Aufgabe hat, unter anderem über die Notabeln und gewisse andere Persönlichkeiten Listen zu führen, vertrauliche Beobachtungen in politischen Angelegenheiten anzustellen, die politische Gesinnung der Beamten zu überwachen und die Berichte der Zivilbehörden unauffällig zu kontrollieren.

Auch die Errichtung der französischen Kriegsgerichte, die sogar durch eine besondere Verordnung erfolgt ist, widerspricht dem Vertrag, da dieser keine anderen Gerichte beibehalten wissen will als die früher bestehenden und ein neu zu errichtendes Obergericht.

Mit Recht hebt ferner die Interpellation die Vertragswidrigkeit der im Herbst 1920 anlässlich der Arbeitseinstellung der Beamtenschaft erfolgten Massenausweisungen hervor. Diese entbehrten jeder Rechtsgrundlage und warfen die Bevölkerung zurück in die trübsten Zeiten der Herrschaft des Waffenstillstandsabkommens. Nach längerer Zeit sind allerdings diese Ausweisungen rückgängig gemacht worden.

Die Regierungskommission hat ferner die Wahrnehmung der Auslandsinteressen der Bewohner der französischen Regierung übertragen. In formaler Hinsicht kann hiergegen kaum etwas eingewendet werden, da eine besondere Bestimmung des Vertrages der Regierungskommission freie Hand gibt. Es liegt jedoch auf der Hand, wie widersinnig es ist, dass deutsche Staatsangehörige im Auslande von Frankreich vertreten werden. Ausserdem ergeben sich hieraus allerlei praktische Schwierigkeiten. Die Regierungskommission hat uns sogar zugemutet, die Wahrnehmung der Interessen der deutschen Saarbewohner in Deutschland selbst durch Frankreich anzuerkennen. In diesem Punkt hat jedoch die Reichsregierung mit aller Entschiedenheit widersprochen, da das Saargebiet dem übrigen Deutschland gegenüber nicht Ausland ist. Wenn übrigens die Bewohner des Saargebiets ein Anliegen an deutsche Behörden haben, so wissen sie schon selbst den Weg zu ihnen zu finden und denken am allerwenigsten an eine Vermittlung durch französische Vertreter.

Eine Frage von besonderer Wichtigkeit ist die Schaffung des seltsamen Begriffes »Saareinwohner«. Während der Versailler Vertrag den Bewohnern des Saargebiets ihre bisherige Staatsangehörigkeit belassen hat, was nicht anders als dahin verstanden werden kann, dass auch die mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte ihnen gewahrt bleiben sollen, hat die Regierungskommission durch Schaffung des Begriffes »Saareinwohner« und durch Uebertragung aller politischen Rechte auf diesen Begriff der Staatsangehörigkeit der Bewohner tatsächlich so gut wie jeden Inhalt genommen und mit dem neuen Begriff zwar nicht dem Worte nach, wohl aber der Sache nach eine Art besonderer saarländischer Staatsangehörigkeit geschaffen. Nach Ansicht der Reichsregierung ist hiermit eine der Grundlagen der vertraglichen Regelung über das Saargebiet umgestossen.

In ähnlicher Richtung liegt eine Anzahl von Massnahmen der Regierungskommission, die das Ziel verfolgen, das Saargebiet dem übrigen Deutschland gegenüber als Ausland erscheinen zu lassen, obwohl doch unmöglich bestritten werden kann, dass das Saargebiet nach wie vor einen Teil des Reiches bildet. Es mag zwar im einzelnen schwierig sein, bei der besonderen Verwaltungsorganisation für das Saarbecken aus diesem Grundsatz heraus immer zu praktisch brauchbaren Ergebnissen zu gelangen. Wenn aber die Regierungskommission dieser Schwierigkeiten dadurch Herr zu werden sucht, dass sie kurzerhand erklärt, alles Gebiet ausserhalb des Saargebiets sei als Ausland zu betrachten, so ändert sie den Vertrag wiederum in einer seiner Grundlagen ab.

Auch auf dem Gebiete des Schulwesens sind Vertragswidrigkeiten festzustellen. Dem französischen Staat hat die Regierungskommission auf diesem Gebiet Rechte eingeräumt, die weit über das vertraglich vorgesehene Mass hinausgehen. Auch die Einführung des französischen Sprachunterrichts in den Volksschulen und allerlei, zum Teil als Experimentieren zu bezeichnende recht wesentliche Reformen auf dem Gebiet des Schulwesens stehen nicht im Einklang mit dem Vertrage; denn dieser sieht in absoluter Form die Beibehaltung des bisherigen Schulsystems vor, und ich glaube, dass dies eine der wenigen Bestimmungen ist, die innere Berechtigung hat, da gerade auf dem Gebiete des Schulwesens einer landesfremden Regierung schwerlich die Fähigkeit zugesprochen werden kann, das Schulwesen eines Landes auf eine seiner Eigenart gerecht werdende neue Grundlage zu setzen.

Die Reichsregierung hat wegen all dieser und ähnlicher Massnahmen der Regierungskommission wiederholt beim Völkerbund Einspruch eingelegt. Bisher ist keinem Einspruch Folge gegeben worden. Der Völkerbund begnügt sich in der Regel damit, den Standpunkt der Regierungskommission für gerechtfertigt zu erklären. Zu ihrem Bedauern kann sich die Reichsregierung dem Eindruck nicht verschliessen, dass ihre Einspruchnoten beim Völkerbund nicht die gebührende Beachtung finden. Die gemachten Erfahrungen werden die Reichsregierung natürlich nicht hindern, sich mit ihren Beschwerden weiterhin an den Völkerbund zu wenden. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass der Völkerbund schliesslich doch die Ueberzeugung gewinnt, dass die Verwaltung des Saargebiets nicht in einem Geiste geführt wird, wie es gerade von einer Völkerbundskommission erwartet werden kann.

Zu dieser Erwartung berechtigen die Reichsregierung namentlich auch die Schritte, die die Bevölkerung des Saargebiets selbst unternommen hat. Wiederholt hat sie in ausserordentlich eindrucksvollen Denkschriften und durch die Entsendung von Delegationen an den Völkerbund versucht, dessen Aufmerksamkeit mehr als bisher auf die Mißstände im Saarbecken zu lenken, und ich glaube sagen zu können, dass die Schritte nicht ganz erfolglos geblieben sind.

Inzwischen hat auch die Oeffentlichkeit ausserhalb Deutschlands dem Saarbecken mehr und mehr Interesse entgegengebracht, und in einer ganzen Anzahl von ausländischen Zeitungen hat sich eine ziemlich scharfe Kritik der Methoden der Völkerbundsregierung erhoben.

Das Verhältnis der Bevölkerung des Saarbeckens zu der Regierungskommission hat sich überraschend schnell festgelegt. Es ist das typische Bild einer Fremdherrschaft! Die Bevölkerung sah der Regierungskommission zwar nicht mit grossen Hoffnungen, aber doch unvoreingenommen entgegen und musste sehr bald Enttäuschung über Enttäuschung erleben. Mit verschwindenden Ausnahmen wurden die leitenden Posten der Verwaltung mit Franzosen besetzt. Die französischen Truppen blieben, desgleichen die französische Gendarmerie und die französischen Kriegsgerichte. Französische Einrichtungen wurden da und dort eingeführt. Eine Anzahl alteingesessener Bewohner wurde ausgewiesen. Der Franken brachte wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten. Der französische Unterricht für die Volksschulen wurde dekretiert. Den Beamten wurde die Frankenbesoldung wider ihren Willen aufgezwungen. Endlich wurden beinahe in allen wichtigen Fragen die Gutachten der Kreis- und Bezirkstage bei der Abänderung von Gesetzen nicht berücksichtigt. All dies schuf begreiflicherweise eine Atmosphäre der Mißstimmung, die schliesslich die Kreis- und Bezirkstage veranlasste, die Begutachtung von Verordnungsentwürfen vollkommen abzulehnen.

So stehen sich jetzt Regierung und Bevölkerung des Saargebiets ohne Vertrauen gegenüber, ein Zustand, der unzweifelhaft als äusserst ungesund anzusprechen ist. Dieser Zustand ist aber die leicht erklärliche Folge der Regierung eines Landes durch eine landfremde Kommission.

Am 16. Juni 1919 haben unsere einstigen Gegner uns erklärt, sie hätten volles Vertrauen, dass die Einwohner des Saargebietes keinen Grund haben würden, die neue Verwaltung als eine ihnen ferner stehende zu betrachten, als es die von Berlin und München gewesen seien. Wenn irgend etwas durch die Tatsachen widerlegt worden ist, dann ist es dieser Satz! Gewiss: die Regierungskommission sitzt im Saargebiet selbst; in Wirklichkeit aber steht sie der Bevölkerung ferner, als wenn sie in einem anderen Erdteil ihren Sitz aufgeschlagen hätte. Allein die Verschiedenheit der Sprache bildet eine unüberbrückbare Kluft.

Das Bild, das ich Ihnen in Vorstehendem vom Saarbecken entrollen durfte, ist kein erfreuliches. Als Deutsche aber können wir mit Stolz auf die Tatsache hinweisen, dass die Bevölkerung des Saargebietes in den schweren Jahren der Fremdherrschaft, von denen erst wenige vorübergegangen sind, sich um so fester zusammengeschlossen hat, um das zu wahren, was sie als ihr höchstes Gut betrachtet: ihr Deutschtum! Immer und immer wieder erhält die Reichsregierung und die Oeffentlichkeit aus dem Saarbecken Beweise bester deutscher Gesinnung. Ich stehe daher nicht an, zu erklären, dass die Deutschen an der Saar dem ganzen deutschen Volk Vorbild und Muster sind! Das deutsche Volk und die Reichsregierung wissen schon heute, was sie an der Bevölkerung des Saargebiets haben. Ihr muss ihr bestes Wollen und Können gelten in der Hoffnung auf den Tag, an dem auch äusserlich die Wiedervereinigung vollzogen wird.


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