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Ein bewegter Tag

Anton Mulderer hatte Anne-Marie geheiratet; der Oberknecht Friedel war zu seiner geliebten Wittiberin und zugleich zu Haus und Hof gekommen; Georg Mulderer lebte mit seinem Hofer-Käthchen gar nicht zu sagen wie glücklich, und beide halfen jeden kleinen Zwist im Nachbarhause zwischen Lobeiner und seinem Weibchen immer eiligst in Frieden lösen; aus Küssüben hatte man schon seit einigen Monaten gehört, dass die Friedländer-Lotte mit ihrem feurigen Paul ganz unvergleichlich Hochzeit gehalten habe; der Schuster Prumler war wieder unverbesserlich in seine Plauderhaftigkeit verfallen, nachdem er sich das bewusste Teufelholen recht bei Lichte besehen und sich heldenmäßig an die Schrecken der Vorhölle gewöhnt hatte; vom Schneider Pangerl und seinem Weibchen aus Everdingen konnte man schon wieder sagen: »Purzelbaum und ein Kind ist da«; der Pater Wenzel war tot; der Zogelmann aus Scharlotten war gerichtet, von dessen Familie man nach und nach eines um das andere vorfand und versorgte; ein frommer Priester hatte es durchsetzen wollen, dass man ein Frauenkloster in der Gegend baue, wozu die Bauern steuern und Fuhren leisten sollten, die aber sagten: »Wieder wir? Jetzt möchten wir für uns auch einmal steuern lassen; das Kloster hat keine Eil'«; ein fruchtbares Jahr war eingetreten, und der Friedländer hatte im Vereine mit mehreren reichen und wohlgesinnten Männern die Vorräte aufgekauft, bevor die »Ratten« (Spekulanten) kamen, und nachdem man den über Überfluss sehr vorteilhaft ins Nachbarland vertrieben hatte, ward der Nutzen gewissenhaft unter die verteilt, welche ihren Überfluss veräußert hatten – so; jetzt könnten wir auf den Hutdeckel klopfen und sagen: Da liegen alle Neuigkeiten wie Kraut und Rüben durcheinander; aber noch eine Neuigkeit bleibt uns im Hut zu unterst, sie stemmt sich rechts und links, mit Händ' und Füßen und will nicht wie Alltagsunterhaltungsfutter herausgeklopft sein, wir sollen sie, verlangt sie ausdrücklich, wie ein schönes, zartes Kind bedächtig bei der Fingerspitze nehmen und von allen Seiten wohl betrachtend vor die Leute führen. Gut. Sie verantworte sich selbst, weil sie mit so viel Ansprüchen gezeigt sein will.

Eines schönen Sonntagmorgen kam ein Wägelchen nach Everdingen gerade auf Hofers Haus losgefahren, und drei Personen stiegen vor demselben ab, ehe sie jemand im Hause noch gewahrte; die drei Personen waren der frühere Oberknecht Friedel mit seinem spät erkämpften Weibe und seiner vielgeliebten Mutter.

In Hofers Hause war nur Käthchen und eine alte Magd daheim geblieben, alle anderen waren im Morgengottesdienste abwesend; Käthchen kniete gerade vor einem Fenster, durch welches man die ferne Kirche sehen konnte und betete inbrünstig und schlug bei dem Glockenzeichen der »Wandlung« erbaulich an das Herz und übersah das Wägelchen mit den drei Personen ganz, welches auf der Halbstraße daher gerasselt kam; die alte Magd saß im Hinterstübchen und las durch eine große Zwängbrille in einem alten Gebetbuche halb laut und oftmal tief erseufzend, und wo die kleineren Buchstaben eingeschlossen sind (hier klopfe an die zwo Mal an die Nieren), da gab sie sich immer ein paar dumpf-andächtige Schläge gegen die Brust, dass es im ganzen Stübchen widerhallte; auch sie hatte die Gäste überhört und übersehen. Aber das hatte nichts zu sagen, denn Friedel kannte jeden Schritt und Tritt im Hause, er spannte ohne Umstände das Pferd vom Wägelchen, sagte zu seinen Begleiterinnen: »Wartet da ein wenig, ich häng' das Ross nur drinnen an«, kam zurück und trat dann mit den Seinen an die vordere Stubentüre und klopfte an.

Niemand rief »Herein!«; Käthchen hatte das Klopfen nicht gehört. Jetzt machte Friedel die Türe auf und sagte: »Ist niemand da?«

Käthchen erschrak über die unerwartete Stimme und blickte um: drei fremde Gestalten standen zwischen der Türe, Käthchen erkannte auch den Friedel nicht mehr, so gut und lustig sah er aus und so wohlgekleidet stand er da; aber als er noch einmal sagte: »Meiner Seel', das Haus ist angelweit offen, und niemand ist zu sehen«, fiel es dem erfreuten Käthchen wie Schuppen von den Augen, jetzt war ihr wenigstens die eine Gestalt Friedels bekannt, und wie der Blitz besann sie sich, wer die beiden Begleiterinnen Friedels sein könnten.

Fast mit einem Freudenschrei kam sie nun auf den guten Friedel zu und reichte ihm die Hand. »Grüß dich Gott«, sagte sie, »das ist ja gar schön, dass du auch einmal kommst, wenn's Glück und Frieden gibt in unserm Haus, und dass du selbst recht glücklich bist; o, ich seh' dir das schon von Weitem an! Gelt, Jesu mein Gott, das da ist gewiss dein liebes Weib, und das da ist deine Mutter, o, ich errat's und kann mir's ja denken!«

Friedel bejahte und wischte sich lächelnd die Haare über die Stirn; Käthchen hieß nun auch die beiden Weiber herzlich willkommen und gab ihnen lebhaft die Hand. »O, kommt nur gleich weiter vor und sucht Euch ein Plätzchen bei uns, Ihr seid uns liebe, liebe Gäste heut'; aber, mein Gott, wir sind nicht vorbereitet gewesen, das wird jetzt schwer halten, dass wir Euch recht bewirten.«

Friedels Mutter, deren erstes Wort immer »mein Sohn« war, sagte: »O, mein Sohn hat es ja drauf angelegt, dass Ihr nicht viel häbet, er will ja, dass Ihr nicht viel »Gescherr« mit uns häbet, meines Sohns seine Margreth da und ich denken auch so, dass Ihr Euch keine Müh' und Plag' umsonst machet, wir sind ja nicht Essens wegen da, hehe«, dabei fuhr sie sich lächelnd mit der flachen Hand geläufig von der Stirn über Augen, Nasen, Mund und Brust und ließ dann die Hand lächelnd in den Schoß sinken.

Margarethe sah das Käthchen immer unverwandt neugierig an und fügte jetzt nur, um auch etwas zu sagen, hinzu: »Ja, ja, Mulderin, mein Mann hat schon recht gehabt, dass er Euch so unverhoffter über Quer gekommen ist.«

Käthchen aber ließ sich jetzt keinen Augenblick mehr zurückhalten und sprang hinaus, um geschwinde noch was mögliche für ein gutes Mittagessen zu besorgen.

Die alte Magd erschrak so über Käthchens hitzigen Ruf, schnell in die Küche zu kommen, dass ihr das Gebetbuch vom Schoße und fast auch die Brille von der Nase gefallen wäre. Käthchen steckte eilig in jedes Kastenschloss den rechten Schlüssel und sagte: »Jetzt, Walpurg', da hast alle Türen und Riegel offen; Mehl, Eier, Butter, Schmalz, alles ist da, schür' mehr Feuer zu und mach', was recht und möglich ist; spar' nichts, verschwend' lieber, als dass du heute sparst, Gäst' sind drinnen – denk' dir, der Friedel mit Weib und Mutter auf einmal wie hergeschneit, das wird heut' einen lustigen Tag geben! Wie wird mein Mann große Augen machen, und alle, wenn sie aus der Kirche kommen und hören, der Friedel ist da! So und jetzt schau, und mach', und schließ ein wenig flink herum, und wenn du etwa ein' kleinen Buben draußen vorübersurren hörst, ruf ihn herein, versprech' ihm eine Semmelschnitte, er soll dir herumlaufen, um was du brauchst; schick' ihn hinüber, mein Vater hat Zahnweh, er soll herüberkommen, schick' auch zur Lobeinerin und zur Anton Mulderin, der Schwägerin, sie sind in der Frühmess' gewesen und sind jetzt auch zu Haus, sie sollen aufs wenigst' einen Sprung herüber machen, so gewinn' ich auch Zeit und kann dir dann und wann hier beispringen, stech die zwei Enten ab, ein paar Hühnerln sind auch in der Steig', alles zusammen wird schon reichen, jetzt muss ich wieder hinein.«

So sprach und ordnete Käthchen an und verhielt sich länger, als die dachte.

Inzwischen sahen sich die Gäste in der Stube mit Bedacht rundum, und die Witwe äußerte verwunderlich: »Du, Friedel, ich kann mir nicht helfen, ich hab' mir nicht alles hier so schön und ordentlich gedacht. Ich hätt' eher gedacht, in dem Haus ist ehvorher so viel Unglück geschehen, und da müsset alles mehr zerbrochen und verstellt sein. Wenn so ein Mann manchmal ganz wüster nach Haus kommt und nur die Hand rührt, so geht's dort in ein Fenster da in ein' Spiegel, da in ein Glasbild, dort in ein Uhrblatt, und wenn man nach langer Zeit wieder in so eine Stube kommt, so sieht man immer noch hier und dort einen verrauchten Sprung im Glas oder ein Stück aus der Wand geworfen – hier ist ja alles schön ordentlich geputzt wie in einer Kirche!«

Die Mutter erwiderte: »Schau doch, Margareth', mein Sohn hat dir doch immer gesagt, dass das Unglück hier niemals keine Schlägerei gewesen ist, alles ist unglücklich gewesen, und doch ist alles in Ordnung hergegangen, bis auf die Rauschgeschichte.«

»Ja«, erwiderte Friedel, »andere sind oft im besten Frieden nicht so ruhig wie die da im größten Unglück still und ordentlich gewesen sind, man hat hier nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen dreinschauen müssen, und, o liebes Weib und liebe Mutter, mein Herz hat tausend feurige Augen gehabt für ein solches Unglück!«

Käthchen kam herein, und man begrüßte sich abermals freundlich, und die Gäste wollten Käthchen wieder vom überflüssigen Kochen zurückhalten – da weinte ein kleines Kind in der Kammer, und Friedel sagte lachend: »Ah, schon wieder so was?«

Käthchen sagte errötend: »Was will man tun, wenn's der Himmel nicht anders will?« und ging eilig in die Kammer, um das Kind zu beruhigen.

Jetzt bemerkte Friedels Weib auch: »Gott, und wie hab' ich mir dieses Hofer-Käthchen zugerichtet gedacht! Ich hab' gemeint, totenbleich, hundsmager, engbrüstlich, dass sie kaum mehr schleichen kann, müsse sie von so vielem Leiden geworden sein; aber da ist sie ja voll und frisch zum Springen, hat ein Paar Wangen wie ein Reh und spricht lustig und geht lustig, und schon wieder ein zweites Kind in der Wiegen – bei Gott, so hab' ich mir's doch nicht gedacht!«

Die Mutter erwiderte: »Aber schau, hat dir denn mein Sohn nicht auch gesagt, dass es ein besonders Kreuzweibchen ist, dem kein Mensch ansehen sollt', was es alles gelitten und ausgestanden hat?«

»Nur wie der Georg einmal drei Tag' und Nächt' ausgeblieben und mit einem unsinnigen Rausch heimgekommen ist«, fügte Friedel hinzu, »ist es mit dem Käthchen ihrer Schönheit talabwärts gegangen; damals schon gar, wie man vermeint hat, dass der erschlagene Wildschütz im Wald ihr Mann sei, und wie man ihn als dafür auch begraben hat – ja, Mutter, da hat mein Weibchen schon recht, damals ist's nicht mehr weit von totenbleich und hundsmager gewesen. Aber man sieht jetzt, wie die Freude den Menschen, bis man die Hand umkehrt, wieder frisch und gesund machen kann; das Kind in der Wiegen wird jetzt auch noch nicht das letzte sein in diesem glücklichen Hause.«

Sein Weib neigte sich jetzt zu seinem Ohre und sagte behutsam leise: »Sag', Mann, ist das die Tür' dort, wo der Georg in der damaligen Nacht, wie ihm auf einmal der Rausch vor Jammer und Not vergangen ist, mit Herzweh und Schwindel herauskommen ist? Du hast uns gesagt, du häbest draußen vor den Fenstern gewacht dazumal in der Nacht – sag', ist das dieselb' Kammertür' noch?«

»Aber, aber«, fiel die Mutter wieder ein, »hat uns denn mein Sohn nicht alles sonnenklar erklärt, und gibt's denn noch eine Kammertür', als die in der Stube?«

»Ja, aber eine andere Stube könnt' es doch sein!« erwiderte Margarethe.

»Nein, nein«, sagte Friedel, »es ist schon dieselbe Stube und Kammertüre. Dort ist das Käthchen gesessen, und da auf einem Stuhl hat die geweihte Kerze gebrannt – Gott, Gott«, fügte er hinzu, »wer hätt' in derselbigen Nacht daran gedacht, dass man nicht gar lang darauf den Georg toter im Haus haben wird? Es macht nichts, dass man einen andern für ihn gehalten hat, der Schmerz ist derselbe gewesen, und dort, denkt euch ihn recht lebendig, wie er dort an der Wand auf der »Siegel« (Kleiderschrank) tot liegt und nicht mehr zu retten ist ... Ich bin noch jetzt ganz närrisch, wenn ich daran denk'.«

So redeten die willkommenen Gäste noch eine gute Weile untereinander, und Friedels Weib wollte zu guter Letzt noch das Fenster sehen, wo Anton hinausgestiegen ist mit Käthchens seidenem Tüchlein, aber von seinem Bruder unglückseliger Weise bald niedergestochen worden wäre. Die Mutter hatte schon wieder auf der Zunge: »Aber mein Sohn hat uns ja ...«, indessen waren ja vier Fenster in der Stube, und der Sohn hatte da doch noch nicht genau angegeben gehabt; sie ließ also ihren Sohn ungehindert erklären.

Mittlerweile prasselte das Feuer auf dem Herde, wohlgenährt durch die tüchtig zugreifende Hand der alten Magd; Mehl, Schmalz, Eier, Butter mussten unbarmherzig herbei und untereinander, zwei Enten und anderes Geflügel hatte bereits der Tyrannenhand der Köchin verblutet, und dem Feuer blieb das Beste noch zu tun. Auch ein Knabe war indes gefunden und lief für die versprochene Semmelschnitte wie besessen in der Nachbarschaft herum: »Man solle schnell herbei, herbei! Die junge Hoferin häbe Leut' bekommen, der Droßauer-Friedel sei auch darunter.«

Den alten Hofer traf er hinter einem Häuschen lebhaft auf- und niederschreiten; die Vronl Lobeinerin sah er eben Kinderhemdchen in die Sonne hängen und rief ihr nur von Weitem die Nachricht zu; die junge Mulderin Anne-Marie stand eben, als der Knabe kam, ruhig köchelnd am kleinen Nebenherde und sang, ein Kindermus umrührend, laut das Wiegenlied »Haiopumpaio«, damit das Kind in der Stube, die Mutterstimme hörend, noch ein Weilchen schweige. Die Nachricht von den Gästen wurde allseitig freudig aufgenommen, und man rief dem Knaben lebhaft freudig zu: »Gleich, gleich; sag' nur, ich komm' den Augenblick hinüber.«

In Verlegenheit über seine eilfertige Zusage war eigentlich der alte Hofer nur, es schien, als warte er auf jemand, der ihm wichtige Botschaft oder sonst was bringe und dürfe daher seinen Platz nicht früher räumen. Bei jedem Geräusche, das er vernahm, fuhr er sich schnell nach dem Gesichte, um sich den ungeheuren Leinwandverband herab zu nehmen, den er wegen Zahnweh umzuhaben vorgab; bald lächelte er in Gedanken vor sich hin, ging schneller, lachte laut, überschlug die Arme, hielt plötzlich an und sagte, als stünde er bereits vor jemand: »Jetzt erst, Mäuslein, Maus? Ich schütz' Zahnweh vor, dass ich mit Ehren aus der Kirch' zu Hause bleiben kann, und du lasst mich gleich stundenweis' da auf- und niederrennen? Wart', sind wir nur ein Paar, das bring' ich dir schon erklecklich herein!« Dann stieg er wieder hin und wider wie ein glücklicher Haushahn und mochte wohl an Käthchen denken, als er vor sich hinsprach: »O, lach' nur deinen Vater aus, vornehme Tochter, du hast gut lachen jetzt, ich frag' aber doch nichts nach dir, meine Wirtschaft hab' ich für mich, und ein Weib gehört dazu, und so eins muss ich haben!«

Jetzt rauschte es wirklich neben Hofer, und wie der Blitz war sein Verband herunter. »Die jung' Brandtlin lasst Euch schön grüßen, Hofer«, sagte eine Altweiberstimme, »und sie lasst Euch halt gar schön bitten, dass Ihr nicht bös sein möget, sie hat sich's überlegt und denkt doch nicht mehr so wie damals vor ein paar Wochen, gestern auf den Abend ist der jung' Messerschmied wieder heimkommen, von dem sie so lang nichts gehört hat, und jetzt meint sie, wird nichts draus werden doch besser sein.«

Hofer stand wie mit kaltem Wasser übergossen da und sah das alte Weib mit offenem Munde an; er konnte gar nicht reden.

Die Alte fuhr fort: »Nu, macht Euch nicht viel draus, lieber Hofer, Ihr kriegt schon eine andere auch noch, es muss ja grad die nicht sein; was soll ich denn der jungen Brandtlin sagen, ich rast' gar nicht und geh' gleich wieder heim, weil ich gern heim sein möcht', 'vor die Kirchgänger einen auf dem Weg derblicken.«

Die letzten Worte brachten den Hofer wieder zu sich. »Kreuzdiwidomine! Ja, es darf Euch kein Mensch nicht sehen«, rief er, »o, du ... du ... du Druden- und Hexenvolk übereinander, hol' euch der Teufel und der Luzifer auch noch dazu, da hätt' ich doch eher geglaubt, ich geh' auf meinem Kopf – da, da, auf diesem alten Wirbel da – als dass dieser süßlichen Brandtlerin – auch ein jungs Messerschmiedlein heimkehr'. So kehrt heim bis man keinen Platz mehr hat, und alle Bäch' austreten, ich pfeif' von heut' an auf alles und auf Euch auch, alte Bas', da habt Ihr mein Lohn und Dank, es ist ein Silberzwanziger, macht Euch aber aus dem Staub, sonst schlag' ich drein wie mit Dreschflegeln und jag' das ganze Dorf zum Tempel hinaus!«

Während er noch ganz wütend auf- und niederstieg, hörte er Stimmen, die ihn suchten; Käthchen war es mit ihren Gästen und mit Anne-Marie und der Freundin Vronl.

»Herr Hofer«, sagte Käthchen lustig, »schaut's doch an, was ich da für Gäst' bekommen hab'! Ist der Friedel noch zu kennen? Und wer, meint Ihr, sind diese Basen da? Ihr errat's nicht, ich sag' Euch's lieber gleich, diese da ist dem Friedel sein liebes Weib, und diese da ist dem Friedel seine liebe Mutter, von welcher er uns schon so viel vor Zeiten verzählt hat.«

»Das ist mein Sohn«, sagte die Mutter, wohlgefällig auf den Friedel zeigend.

Hofer machte einen sehr verlegenen spitzigen Mund und schlug ein hölzernes Freudengelächter auf: »Ohohooooo!«

Friedel reichte ihm die Hand, und Hofer drückte sie ihm trotz aller Pein und Verlegenheit des Augenblickes herzlich.

Da sagte Anne-Marie mitten unter den Begrüßungen: »Vetter, Ihr habt ja heut' schon einmal Zahnweh gehabt, wo ist denn Euer Mundverband hin? Gotteswillen, auf zehn Schritt weit von Euch liegt er! Da schaut hin!«

Käthchen sagte: »O Vater, Vater, Ihr könnt halt nichts ums Gesicht leiden; seht nur zu, wie Euch auf die Weis' besser wird.« Dann fügte sie hinzu: »Vater, wer ist denn das alt' Weib, das grade von Euch weg ist, wie wir kommen sind? Dort geht sie noch über die Anhöhe 'naus.«

Hofer hustete und erwiderte: »Mmmja – die? Weiß nicht – vorüberkommen – will mir eine Geis verkaufen – mir eine Geis! Ich hab' ihr gesagt, eine Geis? Was brauch' ich eine Geis? Ich brauch' keine Geis. Meine Wirtschaft wirft mir doch noch etwas anderes ab – vielleicht der Messerschmied, hab' ich ihr gesagt, vielleiht braucht der eine Geis!«

Alle lachten, und Anne-Marie sagte: »Der Messerschmied wird Augen machen, wenn die mit ihrer Geis ihm kommen will, er wird ihr sagen: ‚Hab' den Stall voll Küh, und jetzt kommt Ihr mir mit einer armseligen Geis daher? Geht nur wieder, macht fort, wenn ich mich besinn', könnt ich Euch's übel nehmen!'«

»Das ist ja mein Spaß«, rief jetzt Hofer mit einem unsinnigen Gelächter, da er einen Anhaltspunkt gefunden hatte, seine gewohnte Heiterkeit anzubringen; er nahm dem Käthchen den aufgehobenen Gesichtsverband aus der Hand und setzte hinzu: »Den da nehm' ich gar nicht mehr um, die Freud' über unsere Gäste hat mir allen Schmerz verschlagen!« Er blies die rechte Wange auf, horchte gleichsam dem Schmerz darinnen einen Augenblick zu, ließ den Atem wieder los und die Wange einfallen und rief, die Arme auseinander werfend: »Fort, weg wie geblasen, aufgehört wie mit dem Takt, verschwunden wie von der Geis vertreten! Hol' der Teufel die Geis und den Messerschmied auch noch dazu!«

Jetzt erbat sich der Friedel mit den Seinen, ein wenig um die Wirtschaft und um die nächsten Felder herumgehen zu dürfen. »Derweilen«, meinte er, »halte er niemand von Geschäften auf, und bis dahin werde auch die Kirche auswerden und die Männer heimkommen.«

Schanden halber machte Hofer einige Einwendungen wegen den Geschäften, die ja gar nicht so dringend wären, Käthchen und die anderen stimmten Hofers Meinung bei, wurden aber doch erleichtert, als Friedel seine Bitte wiederholte.

Er ging nun, die Mutter rechts, sein Weibchen links, in und um Hofers Haus herum, erklärte und rühmte alles übern grünen Klee und knüpfte, wo es nur ging, seine Leidensgeschichte an jeden Gegenstand, was er dort und dort gedacht, hier und da gelitten, was er dort und da gewünscht und da und dort sich bitterlich zu Herzen genommen hatte. Die Mutter stieß bei jeder solchen Leidensklage einen leisen Jammer aus, und Margarethe fragte mittendurch: »Wie wär's, wenn wir das Zeug auch in unserer Wirtschaft auf die Weis' einrichten täten?« Und so ging es fort, bis man auf die Stelle kam, wo sich die Brüder nach Antons Heimkehr in der Nacht zu ersten Mal die Hände reichten, und der Mond bleich und bange für die Zukunft auf sie niederblickte. Friedel erklärte dabei, dass Georg zuerst eigentlich seine Hand und nicht Antons gedrückt habe, Anton sei erst einen Augenblick später, wer weiß woher gekommen.

Die Zeit verging unter solchen Erklärungen pfeilschnell, nicht schneller konnte sie dem Priester am Altare, dem Käthchen in der Küche, den Hirten auf dem Felde, dem alten Hofer in seinem Liebeszorne scheinen; denn als der Hirte heimtrieb, war auch der Gottesdienst zu Ende, als der Gottesdienst zu Ende war, hatte auch der Friedel alles Beste vor den Seinen ausgekramt, und als er heimwärts lenkte, war auch Käthchen mit dem Kochen fix und fertig. Jetzt war nur noch das Wiedersehen zwischen Friedel, Vater Mulderer und seinen Söhnen und sonst noch einer Menge Kameraden und Leuten zu erwarten und fiel sehr lebhaft, erfreuend und erschütternd aus. Man ging zu Tische, und tausend frohe Dinge kreuzten sich in den munteren Gesprächen.

Nach dem Essen fing die rechte Freude erst an; man blieb um den Tisch beisammen sitzen, und jedes kramte nun mit heiterer Gesprächigkeit aus, was eben passen wollte oder nicht.

Nach und nach hatte man auch in Mulderers und Lobeiners Hause abgegessen, und alles bis auf den Abend voraus geordnet und ersah nur noch den Augenblick, wo man zum Hofer, ohne noch beim Essen zu stören, hinüberkommen durfte.

Bald füllte sich also hier die Stube mit den nächsten Verschwägerten und Befreundeten, Vater Mulderer mit seinem Anton und dessen Weibchen Anne-Marie waren bereits da, Lobeiner mit seine Vronl trat herein und wünschte mit gerücktem Hute »gut verrichtete Sach'«, auch Vater Pahlsen mit seinem Weibe und dem kleinen Loisl ließ nicht lange auf sich warten.

Diese alle hatten sich kaum gesetzt und auf lebhaftes Drängen ein Stück Kuchen zum frischen Trunke angebrochen, als auch das Binder-Lenchen und noch andere Mädchen und Burschen daher schimmerten und lächelnd sich durch die halboffene Stubentüre drückten. Sie sträubten sich aber tapfer gegen die Einladung Käthchens, doch auch näher an den Tisch heranzukommen und einen Bissen Kuchen und ein Mundvoll Bier zu versuchen; »sie seien ja nicht dessentwegen gekommen«, sagten die Mädchen lächelnd und wischten etwas verlegen mit einem Kopftuchzipfelchen ein paar Mal über die Lippen »hmphm!« Die Burschen gossen ihre Pfeifenwassersäcke in den und jenen Winkel der Stube und stopften eine Weile mitten in der Stube, ernsthaft dastehend, und sprachen, prüften die Mädchen bereits stille und unverwandt des Friedels Weib, und jedes dachte sich: »Ein hübsches Weibchen hat er da«. Begegnete ihren Blicken dann Margarethens Auge, so lächelten sie ihr freundlich zu, hüstelten ein wenig, aber nicht stark, strichen sich langsam über den Mund und ließen nach und nach die Blicke sinken, um sie gleich wieder zu erheben. »Die müssen meinen Sohn doch alle recht lieb gehabt haben, sonst täten sie nicht daher geloffen kommen wie gerufen«, sagte einmal Friedels Mutter der Margarethe ins Ohr, und diese dachte: »Schau, da sind ihrer so viel' hübsche Dinger, und der Friedel ist doch lieber zu mir zurückgekommen; er ist doch ein guter Mensch.«

Diesem Gedanken folgte ein donnerndes Gelächter in der ganzen Stube.

Margarethe erschrak nicht wenig, weil sie im ersten Augenbicke glaubte, man habe sie denken gehört; aber das Gelächter war über den lustigen »Dischkurs« des alten Hofers entstanden, der auf deine Frage nach seinem Zahnweh' mit allerlei Zusätzen die Geisgeschichte vom Vormittage her erzählte. Der Beifall überraschte und erfreute sein Herz so sehr, dass es sich einer Lustigkeit ohne Schranken auftat, und im Strome eines prächtigen Humors sogar von seiner Herzensangelegenheit verriet, was nicht wenig heitern Lärm erregte.

Anne-Marie, die heute ganz besonders gut aussah, indem sie wieder einmal die Frisur der Österreicherinnen unter dem Kopftuche hervorblicken ließ, setzte nun dem alten Hofer gemütlich-hitzig zu und machte ihn wie die ganze Stube ein um das andere Mal laut auflachen. Da goss Hofer plötzlich noch einen Schluck hinunter, sprang auf, schlug auf den Tisch und sang:

»Jetzt will ich einmal, jetzt will ich einmal
Ein' rechten Spaß vollführ'n:
Ich tu' aus dem Pistol ein' Knall
Und komm' auf allen Vier'n!
Mein Schätzelein, o Schätzelein,
Da bin ich, nimm mich auf;
Ich bin noch immer jung und fein
Und steh' noch gut im Kauf!
Doch willst du nicht, doch willst du nicht,
So ist es noch nicht aus:
Noch brennet mein Laternenlicht,
Ich geh' wiedrum nach Haus.«

Großes Gelächter; vor den offenen Fenstern drängten sich nun auch schon junge und alte Zuschauer.

Anne-Marie, nicht verlegen und lange bedenkend, ließ ihre linke Hand ruhig im Schoße liegen, schlug aber mit der rechten auch auf den Tisch und erwiderte singend, indem sie den Hofer fröhlich ansah:

»O alter Wiegelwogelmann,
Was fällt denn dir noch ein?
Brennst ein so altes Lichtle an
Uns suchst noch Schätzelein?

Viel Junge, Wiegelwogelmann,
Gibt's heut' zu Tag noch sonst;
Brenn' immer nur dein Lichtle an
Und bleibe, wo du wohnst!«

Gelächter; Hofer stemmte glückselig, »dass der Spaß so gut in Aufnahm' sei«, seine beiden Fäuste mitten auf den Tisch hinein und sang mit noch mehr Nachdruck als zuvor und Anne-Marie fest ansehend:

»Kreuzsackerdi, Kreuzsackerdi,
Was kramst du mir hervor?
Ein alter Wiegelwoge – wie?
Bedanke mich dervor!

Ich habe Hof und habe Geld,
Viel' Haar' noch auf dem Schopf' –
Jetzt wachs' ich noch auf freiem Feld
Und käm' gern in den Topf!«

Erneuertes Gelächter in der Stube und auch vor den Fenstern.

Hofer setzte sich und stimmte ein, weil er glaubte, seinem Gesange sei dieser glückliche Erfolg beizumessen; allein er merkte bald mit den übrigen Leuten in der Stube, dass draußen sich etwas nicht minder Lustiges begeben müsse.

Man eilte an das Fenster und sah nun zum großen Ergötzen aller in den seichten Wassern des Altbaches den Schneider Pangerl sich mit seinen acht Buben wälzen und balgen; er war mit ihnen auf dem schmalen Damme des Baches militärisch daher geschritten und wollte, dass ihm alle in gleichem Tritte und einer hinter dem andern folgen sollten; die Buben lächelten, gleich verständigt untereinander, und sagten: »Ja, Vater, kumadiert's nur und geht's voran.« Kaum aber waren sie einige Schritte vorwärts geschritten, so gab der vorderste der Buben dem Vater einen leichten Ruck, und dieser konnte sich nicht länger mehr auf der schmalen Erde halten; er griff nur geschwinde nachdem schelmischen Feinde zurück, gab ihm einen Ruck, dass er zugleich mit ihm über den Damm hinunter musste, beiden schnappten beim Hinunterlaufen die Knie ein, und mit einem Plumps, dass der Bach auseinander spritzte, lagen beide nebeneinander in dem seichten Wasser. Jetzt alle andern Buben mit einem betäubenden Hallo hinunter nach und über den schnaufenden Vater her, der bald die größte Freude hatte, einen um den andern trotz der Sonntagskleider umzuwerfen und unterzutauchen. Nur der Jüngste, die »Maus« genannt, blieb auf dem Damme oben und wagte sich nicht in die gefahrvolle Seeschlacht hinunter; dafür schrie und lachte er wie besessen und rief einmal über das andere:

»Mein Vater, der Dalk,
Is ein Schneidermeister,
Er hat lange Ohren
Und Panerl heißt er!«

Pangerls kleins Töchterlein Annerl saß spielend auf der Haustürschwelle und rief jetzt der Mutter: »Der Vater ist in 'n Bach gefallen! Der Vater ist in 'n Bach gefallen!« Da hörte Pangerl sein Weib mit Entsetzen daher schreien, warf geschwinde noch einen von den Buben rechts, einen links ins Wasser und ergriff die Flucht; die Buben aber, triefend und mit erneuertem Hallo ihm nach; es hatte sich gleich noch eine Schar schreiender Dorfbuben dazugesellt, dass jetzt die Szene aussah wie ein Schwarm schreiender Schwalben um einen grauen Stoßgeier, der durch das Dorf streicht.

Das Hofer-Käthchen hatte sich der lauten Lustigkeit zu Hause dadurch auf eine Weile entzogen, dass sie mit der Pahlsin »auf einen Augenblick« in das Gärtchen hinter dem Gebäude hinausging; dort brach sie dem kleinen Loisl eine Blutnelke ab und steckte sie ihm, weil er keine Mütze aufhatte, in das oberste Knopfloch seiner neuen Jacke. »Da, lieber Loisl«, sagte sie mit einem stillwehmütigen Blicke und strich ihm die feinen, blonden Härchen aus der Stirne, »denkst du noch, wie du deiner Mutter im Wald verlaufen bist? Jetzt bist du aber brav und folgst deiner Mutter, dafür hast jetzt ein' schöne Blume, und wenn wir dann in die Stube zurückkommen, kriegst auch noch ein Stück Kuchen.« Diese Erinnerung an Loisls Verlaufen im Walde erweckte noch andere, mitunter noch traurigere aus Kätchens Erlebnissen, die beiden Weibchen kamen immer tiefer in dieses und jenes hinein, und als sie sich erinnerten, dass Zeit sei, in die Stube zurückzukehren, fanden beide, dass sie sich erst die Augen trocknen mussten. – In der Stube war noch alles voll Heiterkeit und Leben. Aber bald hätte ein kleines Ereignis alle Herzen in schwere Sorgen versetzt.

Es klopfte nämlich plötzlich an die Stubentüre, und der Richter führte zwei fremde Herren herein, denen ein uniformierter Gerichtsdiener folgte. Alles in der Stube wurde augenblicklich mäuschenstille, Käthchen wollte eben in das Nebenstübchen sehen, ob das kleine Kind nicht wach geworden sei, musste aber geschwinde niedersitzen, vor Schrecken brachen ihr die Knie. »Wo ist Georg Mulderer?« sagte der eine von den Herren. Georg trat einen Schritt näher mit der Kappe in der Hand und machte nur etwas heiser: »Hmphm ...«, denn reden konnte er nicht gleich, vor der plötzlichen Erscheinung der Gerechtigkeit nicht wenig verkommen, ohne sich des Geringsten gegen dieselbe schuldig zu wissen. Das ist nun nicht anders; in Familien, wo sich einmal ein schweres Unglück eingefunden hatte, wird man in Zeiten des endlich erlebten Friedens für jede Freude, aber auch für jede Ahnung der Gefahr empfänglicher geworden sein, und wie sich im Glücke der heitere Vordergrund der Gegenwart auf dem düsteren Hintergrunde der Vergangenheit umso heller abmalt, ebenso schnell ins Düstere wird die Gegenwart bei jeder halben Sorge schon sich malen, wenn sie eine düstere Vergangenheit zum Hintergrunde hat. Der fremde Herr sagte, man solle ihm einen Teil des Tisches räumen, und als jedes erschrocken bereitwillig aufgesprungen war und jedes schnell sein Plätzchen auf der Tischplatte mit der Hand von Biertropfen und Brosamen blank gewischt hatte, trat man mit bleichen Wangen und klopfenden Herzen an die Wände herum zurück; der Sandelpetermichel stand »biberrot« im ganzen Gesichte, ins Ofeneck gedrückt, die Pfeife wie eine große Sünde hinter dem Rücken verbergend, und glaubte, weil er einmal Rekrutierungsflüchtling gewesen, nun nichts anderes, als er werde jetzt heißen: »Sandelpetermichel da? Rekrut gewesen und nicht erschienen – Stuckknecht deshalb auf Lebenslang – keine Gnad' und Pardon.« Aber der fremde Herr hatte sich ohne Veränderung einer Miene gesetzt, Papier zurechtgelegt, sein mitgebrachtes Tintenzeug daneben gestellt und sagte jetzt mit unbeschreiblicher Gleichgültigkeit, ein leichtes Spritzerl Speichel vom Rocklappen wischend: »Georg Multerer, tretet näher.« Käthchen fing jetzt laut zu schluchzen an, und den meisten Leuten traten Tränen der Angst und des Mitleids in die Augen. »Georg Mulderer, gebt die näheren Umstände an, wie Ihr den Raubschützen im Walde gefunden habt und wie die zwei Männer im Walde ausgesehen haben, welche ihn haben im Gebüsche verscharren wollen.« Jetzt erst atmeten alle in der Stube leichter auf, denn dieses Vorfalles willen war Georg wenigstens zehn Mal schon vorgerufen gewesen und war natürlich immer wohlgemut und ohne Gefährdung heimgekehrt. Als Georg seinen ausführlichen, schon geläufigen Bericht geendet hatte, durchflog der Fremde ein mitgebrachtes Protokoll, machte hier und da ein Komma und sagte:

»Gut, Georg Mulderer, das ist also das Neueste, was Euch von der Sache noch eingefallen ist?«

»Ja, Gestrengen«, erwiderte Georg, noch halb in Sorgen, was geschehen werde.

»Dann ist es gut«, sagte der Herr, stand auf, winkte dem Gerichtsdiener, dass er das Papier und Schreibzeug aufnehme, und sagte zu dem nebensitzenden Herrn:

»Es ist also richtig der verrufene Kerl, der auch allerlei Dieberei im baierischen Hochgebirg verübt hat.«

Neuer Schrecken flog durch die Stube, weil man diese Worte auf Georg Mulderer bezog; Käthchen stand schon auf, um eine verzweiflungsvolle Verteidigung dagegen einzulegen, aber die hellste Freude entwaffnete ihr gerüstetes Herz wieder, als der fremde Herr sagte:

»Wenn er nur lebte, dass wir ihn dem baierischen Landsgericht ausliefern könnten!«

Man ersah jetzt, dass von dem toten Wildschützen die Rede sein musste. In seiner Freude ergriff der alte Hofer einen erklecklichen Krug Bier und wollte mit höflichem »Zahnen« denen Herren Beamten aufwarten, die aber lächelten, kaum nickend, ihren Dank und gingen in unverständlichen Gesprächen wieder fort.

Der Gerichtsdiener sagte dem Richter:

»Nehmt die Akten dort und das Tintenzeugs und bringt es uns nach.«

Der Richter mit der Mütze in der Hand sprang, geschäftig lächelnd, hin und folgte dem willkommenen Befehle, denn nun ging auch ein bisschen vornehmer Wichtigkeit der heutigen Verhandlung auf seine Wenigkeit über – er durfte Akten und »Dinken« (Tinte) tragen. Voll dieses glücklichen Gefühles buckelte er zwischen den Leuten in der Stube durch, sich schon etwas höher dünkend als alle anderen da, und sagte, seinen Ruhm gleichsam auf allen Gesichtern suchend:

»Nun, heute haben wir euch gnädig durchgelassen – so; ade, ade, und führet euch brav auf, meine lieben Kinder.«

Richter ab.

»Geh', mach', dass d' fortkommst, du alter Katzenbuckel«, sagte Hofer, als der Richter hinaus war; denn dieser war bekannt als »Herrenschwanz«, weil er immer etwas mit allen Kanzleien zu geschäfteln hatte, hier jemand unverzeihlich verschwärzte, dort abgerissenen Worte die harmlosen Hälse brach und sie dann als gefährliche Ungetüme bei der Herrschaft angab usw. Er war nur Richter geworden, weil es Sitte ist, dass es jedes Jahr ein anderer Nachbar wird, bis es im ganzen Dorfe herum ist.

Über Hofers Äußerung entstand ein großes Gelächter in der Stube; der Gerichtsdiener sah im Vorübergehen grimmig zum Fenster herein, weil er glaubte, das Gelächter gelte ihm; der Richter aber schlug die Augen nieder und sagte mitleidig lächelnd: »Denen Bauernleuten ist halt nur wohl, wenn sie brüllen können; der alt' Hofer ist ein lustiger Mensch, aberst kein Menschen lasst er bei guter Ruh', er hat Euch jetzt was angehängt, Herr Gerichtsverwalter.«

Der Gerichtsdiener schwankte zwischen zwei Gefühlen: zwischen dem freudigen Gefühle einer schmeichelhaften Titulatur und dem zornigen Gefühle der beleidigten Ehre, beide hielten sich ziemlich im Gleichgewichte; er ging also ohne Explosion weiter und brummte nur vor sich hin: »Der soll mir einmal unter die Hände kommen und einen Prozess haben ...« Das andere verschluckte er.

Aber Hofer legte inzwischen, durch den allgemeinen Beifall hingerissen, noch einige Kraftausfälle gegen den Richter los, und erneuertes Gelächter war sein Lohn.

Auch der Sandelpetermichel lachte mit den andern in die Wette, aber nicht sowohl über Hofers Späße als zu zeigen, dass er im Geringsten nicht, o gar keine Angst nicht gehabt habe; er pfiff zur Türe hinaus und pfiff auch draußen noch eine Weile, wurde aber bald stille und blass und blässer und legte sich zu Hause auf das Heu, um seinen Kummer auszuschlafen.

Die Heiterkeit in Hofers Hause war nun völlig wieder hergestellt; aber nun hieß es auch ohne Verweilen aufbrechen und heimfahren. – »Mein Sohn sitzt schon wie auf Kohlen«, sagte Friedels Mutter.

»Ja, ich möcht' wohl noch lang genug bleiben«, sagte Friedel; »aber wir dürfen gut fahren, wenn wir bei den viel' schlechten Wegen um Mitternacht heimkommen wollen.«

Es wurde eingespannt, und alles beschloss bis Alt-Angern zu Fuß mitzugehen, um bei dieser Gelegenheit den prachtvollen Grabstein, welchen der Friedländer dem unglücklichen Irrker eben erst hatte setzen lassen, teils selbst zu sehen, teils ihn den »Fremden«, Friedel nämlich und seinen Begleiterinnen, zu zeigen; es sollte etwas in der Gegend Niegesehenes, ganz Besonderes sein.

Das halbe Dorf schloss sich nun den Wanderern nach Alt-Angern an, und es wurde Irrkers Geschichte von allen Seiten mit vieler Teilnahme besehen und besprochen. Friedel erzählte wieder mit Tränen in den Augen, was er während seiner Dienstzeit in Irrkers Hause erlebt und gesehen hatte.

Der Friedhof zu Alt-Angern liegt samt der Kirche etwas höher als das Dorf selbst und kann von der Nord- und Westseite schon aus weiter Entfernung gesehen werden.

Unsere zahlreiche Gesellschaft, welche den Friedel, sein Weib und seine Mutter begleitete, wunderte sich nicht wenig, zu gleicher Zeit auch von andern Seiten der Gegend her viele Menschen gegen Alt-Angern wandern zu sehen, besonders viele von Westen her, wo Küssüben gelegen ist. Es war freilich bekannt, dass an schönen Sonntagnachmittagen immer andächtige und neugierige Menschen nach Alt-Angern gingen, um das schöne Grabesdenkmal zu bewundern, aber so scharenweise wie heute mochte es wohl noch nie der Fall gewesen sein. Begreiflicher wurde unserer Gesellschaft dieser Zusammendrang entfernt wohnender Menschen erst, als es von mehreren Seiten hieß, der Friedländer aus Küssüben selbst sei heute auf dem Wege, mit seiner ganzen Familie den Kirchhof zu Alt-Angern zu besuchen. Man vermutete nun mit vieler Sicherheit, dass er sich bereits unter jener bedeutenden Schar Menschen, welche sich von Küssüben her gegen Alt-Angern bewegte, befinden müsse; sogleich ward allgemein beschlossen, einen ausgreifenden Schritt zu gehen, damit man mit dem Friedländer ziemlich zugleich in Alt-Angern und auf dem Friedhofe eintreffe.

Die Neugierde, was ein solcher Zusammendrang verschiedener Menschen etwa noch Besonderes bringen oder veranlassen dürfte, verdoppelte die Schritte aller, und man erreichte Alt-Angern von der Nordseite fast im nämlichen Augenblicke, als der Friedländer das Dorf von Westen her betrat; weil aber Letzterer zu dem Friedhofe näher hatte, konnte der Dorfschuster Prumler unserer Gesellschaft, als sie dort ankam, bereits berichten, dass der Friedländer »schon lange, beinahe an die zwei geschlagene Stunden da drinnen sei«.

Man glaubte dem Plauderer und dachte sich früher geirrt zu haben, der Friedländer sei also doch nicht unter jener Menschenmenge gewesen – gut, gleichviel, also wollte man doch unverweilt den Friedhof betreten und das Weitere sehen und vernehmen; aber Prumlers Redestrom machte ihnen doch noch eine Weile das Weiterschreiten unmöglich, da er ein so buntes Allerlei zum Besten gab, dass die neugierigen Weibchen einmal über das andere riefen: »O du mein Jesu Christ! Ist's möglich? Ist's denn wahr! Jetzt geht doch und meint das ernstlich!« Zum Glücke kam der Augenblick der Erlösung eher, als die ungeduldigen Männer dachten. Prumler sagte nämlich plötzlich: »Ah, nun ja, wisst ihr denn das Beste schon, das Allerneueste? Pfi Teuxel owara, das ist ja eine reine Schmach von einem reichen Bauern übereinander, von dem jungen Mulderer, wie ich hör' und wie man sich schon dort und hier und drunten und droben verzählt; der junge Mulderer, den Georg heißen ihn die Leut', der was schon ein paar Mal ist von Bäumen erschlagen worden, sollt' man's glauben? Ja übermorgen! Der ist noch immer nicht genug erschlagen, der hat lieber selber dem Raubschützen dazumal, den man für ihn begraben hat, eins hinter die Ohren versetzt und ist dann durchgegangen, wie ihr alles wissen werdet, und jetzt hat sich eine Kommission niedergesetzt und wird ihn schon richten, bis es genug auf sich hat, und zurichten, dass er selber genug hat, verlasst euch drauf, ich wünsch ihm's; du sollst nicht ‚döden', heißt es in der Bibel, schlankaramichl übereinander; hat er 's Herz gehabt und hat's unterlassen? Nein und zum dritten Mal nein! G'juckt hat's ihn, jetzt lass' er sich kratzen!«

Er sah alle rundum triumphierend über eine solche Prachtneuigkeit an und erwartete wenigstens zahllose »O himmlischer Vater, was das wieder für eine Geschichte ist! Jesu! Gott! Gütige Engel und Patriarchen ...«, aber dafür schwieg alles herum, nur eine zürnende Stimme sagte laut genug: »Und wisst Ihr, dass Ihr heut' noch Schläg' heimbringen werdet, mehr als zu viel?«

Prumler wollte zurückspringen und stotterte: Awawawawa – was?« Doch eine kräftige Männerhand legte sich rasch und schwer auf seine Schulter, dass er sich nicht regen konnte, dann fuhr die Stimme fort:

»Und wisst Ihr, von wem Ihr die Schläge für Eure abscheulichen Lügen mitnehmen werdet? Von mir, vom Georg Mulderer, der immer noch lebt, der immer noch frei herumgeht und keinen Wildschützen erschlagen hat! Sagt Ihr noch jemand in der Weis' von mir, so tu' ich, was ich prophezeit habe, und ich weiß Euch zu finden; Ihr seid der Schuster Prumler aus Küssüben!«

Zur Gesellschaft gewendet, fuhr Georg fort: »Da weiß man oft gar nicht, woher ein böses Gered' unter die Menschen gekommen ist, und hinter all solchem Schand' und Spotte steckt so ein müßiger Herumlaufer wie dieser Schuster da!«

Man suchte Georg zu besänftigen und führte ihn halb mit Gewalt nach dem Friedhofe, sagend: »so einem bekannten Aufschneider glaube ja so niemand«.

Georg erwiderte: »Aber wen's angeht, dem ist es halt doch nicht lieb, und es steigt die Galle.«

Prumler blieb allein zurück, die Dose heraus, sah wie ein Eichhörnchen blitzschnell rechts und links und wieder rechts und nahm eine Pries' und schlürfte sie langsam, klopfte auf den Dosendeckel, steckte die Dose ein, schaute wieder rechts aus und links aus – sagte: Prdauxl, das war dumm übereinander! Na ja, mit den Leuten ist ja jetzunter kein Dischkurs mehr, keiner versteht mehr keinen Spaß nicht; das hat doch jeder Lump verstehen müssen, wie ich's gemeint hab'? Aber dem Manne, dem Georg Mulderer, muss ich wieder eine Freud' machen, und die soll schön genug ausfallen!«

Viele Leute noch eilten nach dem Kirchhofe, unter diese mengte sich der Prumler auch und verschwand mit ihnen hinter der Friedhofsmauer.

Wir dürfen ihnen doch auch folgen.

Der Friedhof war gedrängt voll Menschen, die jetzt alle fast atemlos aufmerksam nach der Mitte der Versammlung hinhorchten, wo eine kräftige Mannesstimme, die des Johannes Friedländer, nach allen Seiten wohl vernehmbar, sprach. Der Friedländer stand auf dem Grabe Irrkers, sein Haupt war entblößt, ernst-bewegt sein männlich schönes Angesicht und ganz zu seiner rührend-feierlichen Rede passend, ragte über die horchende Menge und über ihn selbst der weinende Grabesengel hinaus, der auf Irrkers Grabesdenkmale stand. Der Friedländer war nichts weniger als anfangs zu einer langen Rede vorbereitet hergekommen, er sprach nur zuerst zu den Seinen, die mit ihm neben Irrkers Grabe standen, liebe Worte des Angedenkens; aber als er nach und nach mehr Umstehende stille werden und horchen sah, ging er allmälig in lautern Ton und gewähltern Inhalt über. Er fing damit an, seine Absicht zu erklären, welche ihn bestimmt hatte, einem Manne ein Grabesdenkmal zu setzen, der ihm sonst doch nicht unentbehrlich gewesen sei, durch dessen Tod, wenn er es schon erwähnen wolle, er in seinem irdischen Vorteile viel gewonnen habe; denn alle Käufer Irrkers seien fast ohne Ausnahme nun zu ihm gekommen. Mancher Nachbar, meinte er, rede in einem Nachmittage mehr mit seinem Nachbar, als er je mit Irrker mündlich verhandelt habe; aber der Irrker sei ein Mann voll prächtigen Gemütes, voll Ehrenhaftigkeit in seinem Geschäfte, voll des reinsten Vertrauens in die gleiche Ehrenhaftigkeit der Leute gewesen, und das habe ihm all sein Unglück zugezogen im Leben – und dieses geringe Ehrendenkmal nachdem Tode. Andere Menschen, die sein Schicksal rührt, meinte Friedländer, hätten nur höchstens eine Träne der Rührung für sein Angedenken, er aber sei mit Gütern von oben gesegnet und müsse vermöge seiner Mittel das Andenken eines brave Mannes also sichtbar ehren. Das Grabesdenkmal, für jene erbaut, welche sich von flüchtigen Wünschen ihres Herzens hinreißen lassen, Verbindungen der Ehe einzugehen, welche selten nur geraten können; jung und alt passe einmal nicht mehr zusammen, und nicht wenig Unheil sei von jeher aus diesem Fehler hervorgegangen, weil von einer Seite mindestens der Schwur gewöhnlich gebrochen wird; und so hätte auch hier noch alles gut werden können, wenn Irrkers junges Weib gehalten hätte, was sie vor Gott und den Menschen am Altar versprochen, wenn es nicht gut abgelaufen sei, denn der Mann habe mehr als zu viel des Guten getan; er war nachsichtig bis den letzten Augenblick für die Schwächen seines Weibes. – So sprach der Friedländer noch lange und erzählte viele rührende Züge aus dem Leben Irrkers, die jetzt im Gedächtnisse aller wie verklärt aufstiegen und manche Träne aus dem Augen lockten. Zuletzt brachte der Friedländer noch eine kleine Anwendung von Irrkers Unglücksgeschichte auf Ehen, die trotz des wünschenswerten Alters unglückselig genug ausgehen. Aber als sein Auge während dieser Worte auf sein liebes Weibchen und sein Lottchen fiel, welche nebst Paul und der Apollonia vor ihm dastanden, schien er selbst nicht mehr an so unheilvolle Verkündigungen zu glauben, er lenkte merklich ein und mäßigte, wo er konnte, und schloss mit wenig zurückgehaltener Erschütterung: »Meinen Lieben aber möge dieses Grabesdenkmal immer ein ernstes Zeichen sein, dass ich selber nahe daran war, vor dem guten Irrker noch ins Grab zu steigen; ein gütiger Himmel hat mich aber zu rechter Zeit gerettet, und dafür wollen wir ihm unser Leben weihen in allem, was gut und recht, was fromm und löblich ist!«

Bei dem Letzten brachen alle, welche zu Friedländers Familie gehörten, in lautes Schluchzen aus, und der Friedländer, der jetzt von dem Grabe herunterstieg, hatte geraume Zeit zu tun, dem Weinen der Weibchen endlich wieder Einhalt zu tun.

Die Leute drängten sich nun nach und nach an das Grabdenkmal heran und weihten dem Irrker manche herzliche Träne; erst spät wurde der Friedhof von gerührten Menschen leer.

Während das Hofer-Käthchen den Friedhof schluchzend verließ, fielen ihres Mannes Augen auf ein Fenster des Pfarrhauses und sahen das greisehrwürdige Haupt des Priesters, dem er einst seine große Sünde gebeichtet hatte, auf ihn herauslächeln; Georg zog unter allerlei ernsthaften Gefühlen den Hut.

Zu schneller Heiterkeit wurde die Gesellschaft Käthchens bald genug wieder gestimmt, als man den alten Hofer eine Weile erneuertes Zahnweh vorschützen hörte, welche die Rede des Friedländer besonders durch jene Stelle hervorgebracht hatte, wo der unglückseligen Heiraten zwischen jung und alt Erwähnung geschah.

Nach einem kurzen Aufenthalte im Wirtshause trennte man sich endlich von Friedel und den Seinen und kam im Ganzen wieder friedlich gestimmt nach Hause. Als sich Käthchen zur Ruhe begab, seufzte sie: »Ach Gott, wie glücklich habe ich's jetzt, wenn's halt den ganzen Tag recht durcheinander geht – am Abend hat man doch wieder sein warmes Bettlein und kann sich einander nichts vorwerfen; ... was mag jetzt die arme Irrkerin machen, sie ist doch jetzt recht arg verlassen!« ...

Spät, spät in jener Nacht schlich eine einsame weibliche Gestalt nach dem Kirchhofe zu Alt-Angern und kniete, heftig schluchzend, auf Irrkers Grabe nieder und betete lange, bis es gegen Morgen ging, bis es dämmerte – dann floh sie mit dem letzten Schatten der Nacht in ein einsames Häuschen zu Everdingen zurück. – Es war die Irrkerin. ...

 


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