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Es war spät nach Mitternacht, mondhell und gespensterstille; ein Mann lehnte regungslos im Fenster und sah immer nach dem Fußsteige, der über die Dauberhöh' nach Meiningen führt.
Vor drei Tagen hatte man sein Weib über Hals und Kopf auf diesem Fußsteige davoneilen sehen; sie hatte das Kind und in einem großen Packe auch sonst noch manches mitgenommen. Die bösen Leute sagten gleich, als sie dieses sahen: »Hui, die macht bei gutem Wind davon!« Die Verständigeren sagten: »Das arme Weib, da kann sie jetzt ihr Ganzes in einem Bünkel (Bündel) tragen!« Seitdem waren zwei Tage vorüber, und die zweite Nacht war nah' daran, dem dritten Tage zu weichen; Sorge und Bekümmernis hielten noch den Irrker wach, denn morgen musste er aus seinem eigenen Hause fort, es war ihm geschätzt und verkauft worden, ein schweres Missgeschick hatte ihm den ansehnlichen Handel mit Federn zernichtet und den Verlust alles dessen, was sein war, herbeigeführt, nur seinem Weibe blieb ein Teil des Hauses gerettet, der ihr zugeschrieben war, sonst aber fielen Hof und Feld und Waldung dem reichen Juden Elias Maier heim.
Katherine Irrker kam auch diese Nacht nicht wieder; ihr Mann wartete vergebens.
Mit dem Frühesten des nächsten Morgen erschien der neue Eigentümer, welchem der Jude Irrkers Wirtschaft käuflich überlassen hatte. Tief erschüttert von so manch anderem Kummer noch empfing ihn Irrker doch gefasst und freundlich, reichte ihm die Hand und sagte: »Viel Glück in diesem Haus, und komm' hinter Euch nicht wieder ein Fremder herein.« Dann führte er ihn durch alle Räume des Hauses, gab jeden Vorzug und jeden Mangel getreulich an und sprach auf jeder bedeutenden Stelle seinen Segen. Im Stalle hatten die Knechte und Mägde, ungewiss, ob sie künftig noch im Hause dienen würden, sich versammelt; Irrker trat bald mit dem neuen Eigentümer hinein und machte den warmen Fürsprecher, denn es waren lauter brave Menschen, für die er sich verwendete, er hatte sie nach langer Wahl zusammengefunden. Der neue Eigentümer sagte gerne zu, was Irrker wünschte, und dieser führte dann von Rindern und Pferden Stück für Stück in den Hofraum hinaus, um sehen zu lassen, wie er keineswegs die beste Pflege habe fehlen lassen, seit er gewiss, dies alles sei für ihn verloren. Der große, braune Stier war das letzte Probestück, welches herausgeführt wurde; Irrker klopfte blass und mit feuchten Augen das Kreuz des prächtigen Tieres, es sah freundlich brummend zurück auf seinen lieben Herrn und wurde dann wieder nach dem Stalle geführt. Die entlegensten Felder hatte man schon früher einmal umschritten, heute waren nur die nächstgelegenen noch zu zeigen. Alles Getreide stand in voller Frühlingspracht. Doch war der neue Eigentümer mehr erschüttert von dem Anblicke Irrkers, der alles dies verlieren musste, als erfreut von dem Gedanken, diese reiche und segensvolle Besitzung sei nun sein. Irrker schritt fest und aufrecht neben seinem Begleiter her, er war ein Mann von ernster, strenger und frommer Seele, der von jeher mit unglaublicher Fassung zu ertragen wusste, was auch über ihn kam. Wenige hätten diese männliche Haltung bewahrt, wenn sie wie Irrker, kürzlich noch so reich und besitzend und gesegnet, plötzlich bis auf den Bettelstab gekommen wären. Nur dann und wann schien auch Irrker von einer augenblicklichen Schwäche heimgesucht zu werden, wenn er lange mit Eifer die Geschichte dieses oder jenes Lieblingsackers erzählt hatte; mit dieser Herrlichkeit war es nun für ihn zu Ende, er hatte nur erzählt, um den Verlust selbst schmerzlicher zu fühlen. Aber nicht lange ließ er sich von einer solchen Schwäche meistern. »Hat's doch am End' ein jeder nur, bis er stirbt«, setzte er hinzu, »zuletzt ist das auch ein Trost, ich habe keinen Heller Schulden, und keiner kann sagen, ich bin arm und schlecht auch noch geworden ... Ich hab' Weib und Kind, so bin ich nicht ganz allein.«
Der Begleiter sagte: »Habt Ihr selbst Euer Weib nach Meinigen geschickt? Wie ich durch den Ort gegangen bin, hab' ich sie dort gesehen; Euer Kind hat im Sand' gespielt, und sie ist an der Haustür von ihrer verrufenen Base gestanden. Ich hab' ihr zugerufen, ob sie Euch nichts vermelden ließ, sie aber ist blutrot worden und ist ins Haus hinein wie angeschossen. Ich hab' gemeint, das wär' nur der Zorn auf mich, weil Euer Haus jetzt mein geworden und bin ruhig weiter 'gangen; mir kann ja niemand deshalb einen Vorwurf machen, hätt' ich das Haus hier nicht gekauft, so hätt's ein anderer getan.«
Nach dieser Rede seines Begleiters blieb Irrker lange blass und schweigsam und merkte nicht, dass er in Gedanken seinem Begleiter ein fremdes Kornfeld für ein eigenes zeigte.
Beide Männer waren endlich wieder in das Haus zurückgekehrt, und der neue Eigentümer fragte: »Irrker, habt Ihr Euch schon eine Wohnung gestiftet?«
Irrker sagte nach einer Weile: »Ich will schon unterkommen.«
Gerne hätte jener noch hinzugefügt, dass er bei ihm selbst bleiben möchte, aber er fürchtete, mit diesem Antrage ihm mehr als wohl zu tun.
Irrker verließ sein Haus und hatte nichts gerettet als die Kleider, die er am Leibe trug, und weder Weib noch Kind waren in dieser schweren Stunde seine Begleiter; der einzige treue Gefährte war Donau, sein großer Hund. Beide schritten hinter den Häusern davon, wer nicht sehr aufpasste, der bemerkte die beiden Auswanderer nicht einmal, selbst seine Dienstleute vermerkten den rechten Augenblick, und ihr lieber Herr war fort, bevor sie Abschied von ihm genommen hatten.
Die Stricker-Annl in ihrem Häuschen, das eine weitaussehende Lage hat, war den ganzen Vormittag schon auf jeden Schritt und Tritt Irrkers aufmerksam und sah dann richtig, wie er nun so verlassen davon schritt. Sie machte Lärm, und wer schnell genug herbeikam, sah den Irrker eben noch über die Dauberhöhe eilen. Hatte man schon früher gegen sein Weib manches Bittere verlauten lassen, so hielt man jetzt viel weniger zurück, gegen sie Beschwerde zu führen. Einige gingen so weit, zu behaupten, Katharine wollte ihre tausend Gulden von ihrem Manne getrennt verzehren, sie habe überhaupt von jeher zu ihrem Manne keine Neigung gehabt; eine Stimme rief sogar, als die Versammlung vor dem Häuschen der Stricker-Annl sehr zahlreich geworden war:
»Jetzt wird der Obergrenzjäger gute Tage kriegen!«
Die Veit-Bärbel war blutrot, als man umsah, wer das gerufen hatte; gleich versetzte eine andere Stimme:
»Gelt, der Teufelsmensch macht dir schwere Not? Lass ihn fahren!«
Es war bereits Abend geworden, als man noch immer dort und hier zahlreiche Gruppen Dorfbewohner beisammen stehen sah und Irrkers schweres Schicksal weitläufig besprechen hörte. Es war auch ein Unglücksfall von besonderer Bedeutung. Doch ein jeder fühlt, wenn ein doppelter Verlust ihm kommt, am besten, welcher ihn am schmerzlichsten bedrückt und nach der männlichen Fassung Irrkers mochte diesem der Verlust des Hofes noch immer nicht der schlimmste sein. Er hielt noch immer sein Weib für treu und in jeder Weise brav; sein Vertrauen in ihre guten Eigenschaften war ohne Grenzen und konnte von ihrer Seite leicht erhalten werden, denn Irrker war von seinen vielen Geschäften immer so in Anspruch genommen, dass er im Laufe eines Jahres kaum ein Drittel der ganzen Zeit zu Hause sein konnte. So war es möglich, dass Katharine bequem auf ihre Weise leben konnte, wenn sie nur die kurze Zeit ihres Zusammenseins mit ihrem Manne klug benutzte und eine herzliche Rolle spielen wollte. Das tat sie denn auch meisterlich und ihr süßes: »O, mein Jesu, wie bist du geplagt und wie selten hab' ich dich zu Hause!« konnte man hundert Mal des Tages hören. Die Knechte und Mägde hätten wohl manches verraten können, aber sie hielten sich nicht berechtigt und sie wussten auch, Irrker kehre immer seinen Zorn gegen Zwischenträger, weil er einmal für allemal behauptete: »Wo viel Geplausch, ist viel Verleumdung.« Diese Gesinnung Irrkers kostete dem ersten Knechte, der zu warnen kam, den Dienst. Später, als die Zeiten schlechter wurden, verdoppelte Irrker seine Anstrengungen, er war noch seltener zu Hause als zuvor, und was da vorfiel, blieb ihm unbekannter als je. Endlich fiel der schwerste Schlag, und Irrker sah alles verloren. Er war so um die Ruhe seines Weibes besorgt, dass er lange das Unglück zu verbergen suchte, aber Katherine kam doch dahinter, und eines schönen Nachmittags packte sie zusammen und war auf und davon. Irrker war beinahe der einzige Mensch in der Gegend, der von diesem Schritte nicht gleich Übles dachte; der bloße Argwohn hätte ihn schon erdrückt. Selbst jetzt noch, da er allein und arm wie eine Kirchenmaus seinen früheren Besitz verließ, hielt sein Glaube noch ziemlich fest, und er beschloss, aus einer kleinen Probe Gewissheit zu erlangen.
Auf dem Wege nach Meinigen holte er den Valentin Bohmann ein, dem sagte er: »Wenn du jetzt im Orte drin an der Brander-Elis' ihrem Haus vorübergehst, wo sich mein Weib aufhält, so sag' ihr, sie soll mit dem Kind zum Föhrenwäldchen kommen, ich warte da und hab' mit ihr zu reden.«
Bohmann übernahm den Auftrag gern, und Irrker blieb zurück.
Katharine goss eben Spülwasser vor der Türe aus, da Bohmann bei ihr ankam. Kaum merkte sie, er habe einen Auftrag an sie, als sie pfeilschnell im Hause verschwand. Bohmann ließ sich dadurch nicht verdutzen, sondern ging ihr frischweg nach ins Haus und sagte: »Nun, nun, Irrkerin, Ihr schießt ja wie ein Pfitschepfeil herum, ist mit Euch kein Wort mehr zu wechseln? Euer Mann ist drüben beim Föhrenwald, kommt 'nüber mit dem Kind, er will ein Wort mit Euch reden.«
Die Irrkerin sah, dass hier kein Ausweichen helfen wollte, sie sagte daher freche: »Ihr habe ein Haus, Bohmann, und sollt Euch schämen, um Botenlohn zu gehen. Was will der Benkrottier beim Fichtenwalde drüben? Wenn ich was will, werde ich schon von selbst zu ihm kommen.«
Dem Bohmann erstarrte das Blut bei dieser Antwort; er sagte nach einer Weile: »Was? Wie? Katharine, ist das auch eine Antwort? Die Leut' sagen, Ihr wär't mit Sack und Pack Eurem Mann davon – wenn Ihr so red't, so glaub' ich's beinah'; gebt mir eine andere Antwort.«
Katharine erwiderte: »Gesagt ist gesagt, es braucht keinem zu schmecken. Ich hab' zum Glück mein Teil vom abgeschätzten Haus gerettet, das andere geht mich nichts mehr an. Ich hab' so das Kind bei mir, unser drei können nicht von mir leben. Amen. Setzt Euch nieder, wenn Ihr wollt, und verkostet mein Brot.« Sie wischte sich die Hände an der Schürze, holte einen Laib aus der Tischlade und legte ein Messer darauf.
Bohmann konnte diese neue Unverschämtheit gar nicht fassen und sah dem Weibe nur immer unverwandt ins Gesicht; dann sagte er, indem er sich niedersetzte und beide Hände über den Knopf des Stockes legte:
»Katharine, wenn ich Euch so betracht', kommt mir immer noch vor, Ihr habet ein menschliches Gesicht; aber wär' ich blind, mir wär's, als hätt' ich einen höllischen Teufel mit einer Weibsstimme vor mir ... Was ist das für ein Reden? Irrkerin, Ihr seid ein böses, böses Weib!«
»Das geht keinen Menschen was an«, erwiderte Katharine, »was ich bin, das bin ich.« Dabei stieß sie unter dem Geschirre herum, warf einen Bund angefeuchteter Löffel auf die Bank und fing an, einen um den andern abzutrocknen.
Als sich Valentin Bohmann von seiner tiefen Erschütterung einigermaßen wieder erholt hatte, sagte er, indem er das herzlose Weib starr ansah: »Katharine wenn Ihr Euch nicht besinnt und anders für Euren Mann seid und von ihm redet, so sollt' man Euch kreuz und quer die Hände binden und durch das ganze Land führen und mit Fingern auf Euch zeigen lassen; Ihr habt den besten Mann gehabt und seid doch selbst für den Teufel zu schlecht; besinnt Euch, ich sag's noch einmal, besinnt Euch, Ihr wisst nicht, was Ihr tut; ich bitt' Euch, wenn Euer Herz so schlecht ist, hört es nicht, hört lieber auf mein Wort. Nehmt Euer Kind auf den Arm und geht mit zum Föhrenwald hinüber, Ihr seid's Gott im Himmel und Eurem braven Eh'mann schuldig. Denkt, was es wär', wenn Ihr nicht kämt; Euer Mann ist noch der einzige Mensch, der von Euch Gutes hält, stecht ihm nicht so ein Messer auch noch in die Brust, sein Herz ist so zerfleischt und zerrissen genug, er hat alles verloren und meint noch ein Weib und ein Kind zu haben. Glaubt, Katharine, er hat keinen Gedanken auf Euer Geld, behaltet, was Ihr habt, genießt's immer allein, aber zeigt nur dem unglücklichen Mann Eure Lieb', so wird alles gut werden; die Gemeind' in Alt-Angern wird den Mann auch sonst nicht zu Grund geh'n lassen.«
Katharine warf einen getrockneten Löffel nach dem andern auf ein Stück Leinwand und schwieg bösartig-lächelnd.
Bohmann sah sie eine Weile scharf und hoffend an und sprang wütend auf, als er außer dem kalten Lächeln keine Antwort erhielt.
»So helf' dir Gott, du ausgeartetes Weib«, rief er, »wenn du nichts Besseres für deinen Eh'mann hast, so will ich ihm das bringen!«
Er eilte fort, kehrte aber gleich wieder zurück und sagte: »Es geht nicht, es geht nicht, dass ich ihm diese Antwort bring', nehmt das Kind und geht mit, Katharine.«
Diese stand ruhig lächelnd wie früher da und trocknete ihre Löffel.
»Besinnt Ihr Euch nicht anders«, fuhr Bohmann fort, »habt Ihr alles Gute und alles Liebe an Eurem Mann vergessen? Wisst Ihr nicht mehr, dass er Euch vom Bettelstab weggeheiratet hat? Wisst Ihr nicht mehr, dass Ihr Euer' Lebtag mit Taglöhnern hättet zubringen müssen? Er hat Euch ein Leben voll Glück und Freuden bereitet, Ihr habt jeden Tag Euer Fleisch gegessen und Euern Kaffee getrunken, Ihr seid wegen ihm auf einmal in Ansehen gestanden, habt Kirche und Jahrmarkt in Euerm Wägelchen besucht, seid mit einem Wort eine gnädige Frau gewesen – und jetzt steht es so mit Euch? Ist's nicht, dass einem Hören und Sehen vergeht, wenn man Euch ansieht und reden hört? Macht und geht mit. Euer Mann kommt um den Verstand, wenn er hört, wie wenig Lieb' er an Euch erleben muss!«
Katharine nahm die getrockneten Löffel zusammen, trug sie nach der Tischschublade und sagte: »Bohmann, ich hab' schon auch meine Ursach', warum ich so bin; mehr braucht Ihr nicht zu wissen.« Sie verschwand nach diesen Worten in der Kammer.
Sehr betrübt stand Valentin Bohmann noch eine Weile wie angewurzelt in der Stube da und ging dann langsam fort, seine Geschäfte in Meinigen abzumachen. Er beschloss anfangs, zu Irrker gar nicht mehr zurückzukehren und ihn lieber glauben zu lassen, er habe seinen Auftrag vergessen, als ihn mit dem zu entsetzen, was vorgefallen war. Als aber die Geschäfte abgemacht und es indessen spät geworden war, besann sich Bohmann eines Besseren, er wollte denn doch das schwere Kreuz auf sich nehmen und den unglückseligen Mann nicht länger vergebens warten lassen; die Wahrheit musste doch einmal zu Irrkers Ohren kommen, und Bohmann dachte, wer weiß, unter welchen schlimmeren Umständen es vielleicht geschehen könnte, er wollte wenigstens seine Botschaft und des Mannes Schmerz zu mildern suchen.
Irrker ging am Waldsaume etwas aufgeregt hin und wider und hatte den Hut in der Hand; es war schwül, obwohl es bereits dämmerte.
Als er den Bohmann kommen sah, blieb er stehen und erbebte sichtbar. Etwas lebhaft, mit dem Tone trüber Schwermut sagte er:
»Ich hab' lange gewartet, Bohmann, kommt mein Weib?«
Bohmann hatte sich eine sehr kluge Botschaft ausgesonnen, sie entfiel ihm aber, als er einen Blick auf Irrkers unheilschwangeres Gesicht fallen ließ; um keine unüberlegte Antwort zu sagen, schwieg er lieber einen Augenblick.
Irrker fuhr fort, und der Ton seiner Stimme wurde immer düsterer und gebrochener:
»Bohmann«, sagte er, »ich bin auf der Welt, wie ich jetzt da steh', Ihr wisst, was ich gehabt hab', wer hätt' mir vor einem Jahr' noch weismachen wollen, was es mit all' diesem Glück auf Erden sei? ... Gut ... gut. Nun, wie geht's meinem Weib und meinem Kind? ...« Viel Erschütterndes verschluckte er bei diesen Worten; er sagte es lieber noch nicht heraus, was er dachte.
Bohmann sagte betrübt:
»Seid ruhig, Irrker; Euer Kind hab' ich nicht gesehen, es muss eben in der Kammer geschlafen haben; macht Euch nicht viel daraus – Euer Weib hab' ich in übler Laune gefunden ...«
Irrker fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn und sagte nach einer Weile scheinbar sanfter als zuvor: »So? ... Tausend Gulden in einem und allem sind freilich nicht viel, aber ich hab' nicht mehr retten können ... Bohmann ... Bohmann!«
»Fasst Euch, Irrker, und kommt mit mir ins Dorf zurück«, sagte Bohmann, »den Weibern muss man viel nachsehen. Es wird schon gut werden. Ihr zittert ganz. Kommt, ich muss Euch noch sagen, dass die Gemeind' für Euch gesorgt hat, und mit Recht, denn viele leben jetzt im Dorf und kommen gut fort, denen habt Ihr in Euern guten Zeiten auf die Bein' geholfen. Die Gemeind' will Euch das kleine Grundhaus geben, und wenn Ihr keine Arbeit mehr tun wollt, werden wir von Herzen zusammenschießen, dass Ihr ohne Sorgen lebt. Kommt, und Euer Weib wird auch wieder besser gelaunt werden.«
»So? So? So?« rief Irrker mit einer Stimme, die den ganzen unberechenbaren Sturm verkündete, der nun bald im vollen Losbruche war. »O Bohmann ... Bohmann ... Schaut, dort rechts ist die Sonn' hinter dem Gebirg' hinunter, sie brennt noch scharf hinter den Bäumen in die Höh', aber das hilft jetzt alles nichts mehr; die Wolk' da linker Hand wird immer schwärzer wie die Hölle. Wie kommt das, vorhin ist sie noch eine Freude und ein Licht nur gewesen? Bohmann, das Gold ist weg, und jetzt hat sie keine Lieb' mehr zur Sonne. O Bohmann, Bohmann, schreibt Euch's mit Messerstichen in das Herz, ein armer, reicher Mann ist zehntausend Mal arm, wenn er arm wird; Lieb', Treue, alles, alles ist fort, wenn's mit seinem Gold' zu Ende geht; du glaubst, da hast du noch Freunde, da hast du noch Weib, Kind, Vater, Mutter ... schau aber nur hin, schau recht hin, der erst' Unglückswind hat alle auf einmal verblasen, böse Gesichter und Launen nur haben sie auf ihrer Flucht verloren, folg' ihnen, die kannst du finden auf Schritt und Tritt; das ist alles; das wird mir das Herz noch brechen!«
Nach diesen Worten sprang er nach dem Dickicht des Waldes, der getreue Hund schlug an und folgte ihm. Ein Ast hatte dem Irrker den Hut vom Kopfe gestreift; Bohmann hob ihn auf und folgte den Flüchtigen, aber vergebens, bald hatte er ihre Spur verloren.
Am folgenden Morgen ging Valentin Bohmann nach Meiningen in die Kirche. Er nahm Irrkers Hut mit und sprach vor dem Gottesdienste bei der Brandner-Elis' ein.
Katharine wurde vor Wut abwechselnd blass und rot, als sie den Bohmann, den sie schon vorigen Abend mit einer abscheulichen Antwort abgefertigt hatte, heute wieder eintreten sah, sie rief ihm an der Schwelle schon entgegen: »Seid Ihr wieder da, ungebet'ner Gast? Ich hab' Euch schon einmal gesagt, was ich mein', kommt mir nicht wieder herein; ich will nicht, ich mag nicht, ich kann keinen Mann brauchen, der sich von mir füttern lässt. Punkt. Schabes ist, sagen die Juden.«
Bohmann hielt an sich und legte den Hut ruhig auf den Tisch.
»Der Hut da«, erwiderte er, »wird Euch wenig Futter kosten, Irrkerin. Seht ihn an, es ist von Euerm Mann der Hut, ich hab' ihn gefunden; Euer Mann wird Euch nicht mehr zur Last fallen, ich glaub', er ist auf und davon.«
Katharine riss ihr Kind, das auf dem Fußboden saß und weinte, unsanft in die Höhe und schleppte es nach der Kammer, hinter sich sperrte sie die Türe ab.
Bohmann sah ihr sprachlos nach, dann ging er nach der Kirche, aber konnte wenig beten, da er Katharinen auch in die Kirche kommen und hinknien sah.
Kaum war der Gottesdienst zu Ende, so stand Valentin schon vor der Kirchentüre und wartete auf sie.
»Ihr geht auch in die Kirch', Irrkerin?« sagte er zu ihr und nahm sie an dem Arme fest.
»Möcht' wissen, warum ich nicht sollt'?« erwiderte sie; »ich kann meine Mess' auch brauchen so gut wie Ihr. Lasst meinen Arm los!«
Bohmann bezähmte sich kaum und sagte: »Schütteln möcht' ich dich, du bestilenzialisches Weib, bis es dein letztes Stündlein wär'; geh, marsch, pack' dich, mach' fort, ich vergreif' mich sonst an dir!« Er drückte sie heftig von sich, um nicht wahr zu machen, was er gedacht hatte, und setzte hinzu, indem er sich wegwendete: »Wir werden noch miteinander reden!«
Den Kirchengängern, welche der kurzen Szene zugesehen hatten, erzählte er nun Irrkers Flucht, von der noch nichts bekannt geworden war, und die ganze Abscheulichkeit der Katharine wurde ohne Rückhalt preisgegeben. Nachmittags versammelten sich alle Männer des Dorfes und beschlossen, den flüchtigen Irrker suchen und zurückbringen zu lassen; man wollte ihm ein kleines Haus der Gemeinde zur lebenslänglichen Wohnung anweisen, und wenn er aller Geschäfte überdrüssig wäre, einen jährlichen Lebensunterhalt auswerfen, denn jedermann ehrte den Mann wie eine gefallene Größe. Man schickte sogleich mehrere Boten aus, den unglücklichen Irrker zu suchen, aber während diese vergebens seinen Spuren folgten, zeigte er sich nach einigen Tagen freiwillig; plötzlich stand er nämlich in der Stube der Brander-Elis' vor seinem Weibe da. Sein Gesicht war verwildert und aufgetrieben, seine Kleider zum Teil in Fetzen; aus der Wade seines linken Fußes floss Blut, welches Donau, der treue Hund, unablässig wegzulecken bemüht war; an dem rechten Fuße fehlte die Bekleidung ganz, wodurch man leicht entdecken konnte, dass dieser Fuß viel kürzer war als der andere.
»Du«, sagte er zu seinem Weibe mit ein paar Augen, deren Blick ihr durch Mark und Bein dringen musste; »du, wer ist denn seit kürzlich nicht gut bei Laun'?«
Katharine hatte bei seinem Anblicke alle Sprache verloren und hielt sich an einer Stuhllehne aufrecht. Irrker bewegte sich nicht von der Stelle, fasste sein Weib immer unverwandt ins Auge und fuhr nach einer Weile fort:
»… Das wirst du wissen, dass alles in Ordnung ist; der Jud' ist mit dem Pankraz Handels einig, der Kauf hat seine Richtigkeit; Pankraz hat alles, wie es liegt und steht, übernommen, er ist schon mit Weib und Kind drüben in unserm Haus. Man könnt' jetzt sagen: ich bin vom Unglück bis ans Hemd ausgezogen ...!«
Katharine machte einen Versuch zu reden, konnte aber noch kein Wort hervorbringen; Irrker fuhr immer mit gleichem Tone fort:
»Jetzt ist die Frag', was zu tun? Hast du deine tausend Gulden verwahrt im Kasten? Ich will sehen, was ich dir noch dazu legen kann; aber warten wirst noch eine Weile müssen.«
In diesem Augenblicke stieg das dreijährige Mädchen über die Kammerschwelle und lief freudig schreiend auf den Donau los, der das Kind traurig ansah und einen Augenblick abließ, das Blut der Wunden zu lecken; der Vater erkannte das Kind nicht wieder.
»Ich bin eigentlich nur da«, fuhr Irrker fort, ohne von dem Kinde Notiz zu nehmen, »Mit dir ein ander' Wort zu reden ... Ich glaub', ich hab ein Haar in deinem Betragen gefunden.«
Katharine gewann ihre Fassung indessen und erwiderte hitzig: »Sag' lieber zwei, mit einem wär' mir auch nicht gedient gewesen!«
In Voraussicht eines fürchterlichen Sturmes wollte sie nun sogleich die ärgsten Waffen aufbieten und setzte mit unbeschreiblicher Keckheit und im ganzen Gesichte glühend hinzu:
»Ich weiß, was du willst, und du hättest dir den weiten Weg ersparen können; was ich getan hab', reut mich nicht; du hättest dir alles längst denken können. Du musst grad meinen, ein Krüppel zum Mann sei auch etwas, wofür man die Finger ablecken müsst', ich kann mich eben nicht dafür bedanken. Die Leute glauben, ich hab' weiß was für ein' ebenen graden Mann gehabt und schimpfen, dass ich ihn verlassen hab'; hundert andere wären dir schon früher davon; mit so einem Fuß verheirat' sein, ist auch keine Gustosach'. Ich hab' ausgehalten, so lang was dagewesen ist; jetzt ist noch alles dazu hin und zum Dank, dass du mir erst nach der Hochzeit deinen Naturfehler eingestanden hast, soll ich dir auch noch meinen letzen Kreuzer hinwerfen und mitsamt dir den Bettelstab nehmen? Daraus wird nichts. Geh' nur und lauf herum mit diesem kurzen Fuß da; die Leut' sollen seh'n, was ich an dir gehabt hab'.«
Irrker erzitterte und erbebte bis in das Innerste seines Wesens bei diesen Worten; aufstürmende Empörung und namenloser Schmerz machten ihn schwindeln.
»O, du sprichst von der Leber weg!« rief er nach einer Pause und stieß beide Fäuste gegen die Brust. »Wie lang hast du's denn einstudiert, dass es dir so flink vom Mundwerke geht? Ich kenn' dich und mich nicht mehr! O, ich muss mich näher umseh'n, was du eigentlich getrieben hast seit Jahren her, mit dem Teufel musst du Geschäft' getrieben haben, es ist nicht möglich anders, und doch – er hinkt ja auch und ihn hättest du vorgezogen? Weib, o Weib ... Was? Du meinst, ich komm' dir deinen Bettel Geld ablungern, ich soll Gelüst haben, noch unter einem Dach mit dir zu bleiben? Ich will dir noch schenken, was du verlangst und müsst' ich's pfennigweis zusammenbetteln; komm mir nicht mehr unter die Augen, du luziferisches Weib! Du hast mich angeheuchelt vom ersten Eh'tag an, du hast mich diebisch bei Dämmerung und Nebel verlassen, wie die traurigste Stund' gekommen ist, und jetzt, wo ich dich fragen wollt', warum, gehst du recht tapfer mit giftigen Messern auf mein Herz los. Verfluchtes, höllisches Weib, wo hab' ich mein Aug' gehabt, wie ich dich herausgesucht hab' aus hundert frommen, ehrbaren Mädchen; wo hab' ich mein Aug' gehabt, als du wirklich mein Weib gewesen bist? Ich sag' dir, ich will im Schweiß meines Angesichts arbeiten und fasten, ich will betrügen und zusammenscharren Tag und Nacht, und wenn ich in Gold steck' bis über die Ohren, soll's die ganze Welt gut haben, nur du nicht, damit dich der Neid umbringe, weil Geiz, Habsucht, Betrug dein Wesen und Gewerb ist!«
Das Kind flüchtete sich erschreckt und weinend vor dem wütenden Manne zur Mutter; aber kaum fiel dem Irrker sein Kind in die Augen, als er es schnell aufhob und trotz des Sträubens fest im Arme hielt.
»Das Kind nehm' ich dir weg«, fuhr er fort, »so kannst du dich von heut' an allein zur Tafel setzen und von deinem Kapital zehren; spar' jetzt wohl, ich warn' dich, es ist kein Segen mehr dabei. Jetzt leb' wohl; bet' und schlaf' gut, wenn du kannst.«
Das Kind schrie und wehrte sich, der Hund sprang gegen Katharinen und riss der Flüchtigen ein Stück aus dem Kleide, dann folgte er seinem Herrn, der aus dem Hause und bald auch aus dem Dorfe verschwunden war.
Es wurde Nacht, und Irrker wusste nach langem Irrlaufe noch immer nicht, wohin er eigentlich mit dem Kinde wollte. Diese war ihm endlich, von Schreien und Wehren müde, auf dem Arme eingeschlafen. Jetzt entschloss er sich, um keinen Menschen beschwerlich zu fallen, das schlummernde Kind in einer Scheune sachte auf das Heu zu legen und mit stürmischer Eile zu mehreren Schuldnern zu laufen, bei denen er noch kleinere Summen stehen hatte. Dem Kinde sollte es bei ihm wie im Paradiese wohl werden, und dazu musste er etwas auf der Hand haben.
Aber gleich der erste und nächste Schuldner war nicht zu Hause, als Irrker im vollen Laufe hinkam, und des Schuldners Weib wusste des Mannes Geldbüchse nicht zu finden; hier war es also nichts.
Eine größere Forderung hatte Irrker an Johannes Wittmann zu machen, der wohnte aber viel weiter weg und war auch sonst ein unsicherer Mann, ebenso geizig als treulos. Irrker hatte längst auf die Forderung im Stillen verzichtet, die äußerste Not nur konnte ihn jetzt vermögen, an diesen Mann zu denken und von ihm Hilfe zu erwarten. Der weite Weg wurde angetreten und rastlos zurückgelegt; auch fand er den Wittmann behaglich bei einem Kruge Bier zu Hause sitzen.
»Wittmann«, rief er, kaum in die Stube getreten, »ich kann Euch nicht helfen, ich brauch' Geld, Ihr wisst meine Umständ', gebt mir so viel Ihr könnt, entweder die ganze Schuld oder vor der Hand nur die Hälft'; ich muss mein Kind erhalten.«
Johannes Wittmann stand auf, hustete und sagte: »Grüß Gott, grüß Gott; aber dertausend, warum kommt Ihr grad' heut'; gestern hätt' ich's gehabt, heut' hab' ich den letzen Heller für ein Krügel Bier ausgeben; das ist doch ... Setzt Euch nur, lieber Irrker ... Ei, hätt' ich das gewusst! ... Gott, Gott, wie seht Ihr aus! Lieber, lieber Irrker, Euch geht's wohl recht knapp jetzt? ... Euer Dorf will doch für Euch was tun, warum lasst Ihr Euch denn nicht seh'n zu Haus? ... O, setzt Euch; ich will – wartet! – vielleicht borgt mir der Müller drunten derweil einige Gulden – setzt Euch und trinkt! ... He, Mathes!« rief er seinem kleinen Buben, »geh', spring' 'nunter zum Müller, sag', der Vater lasst recht schön bitten, er möchte mir fünf Gulden leihen bis auf morgen, ich brauchet sie recht notwendig.«
Der Bub' sprang hinaus, war aber schon so abgerichtet, dass er sich hinter der Holzschuppe stellte und nach einer Weile wider hereinkam mit den Worten: »Da bin ich schon wieder, der Müller lässt sagen, er tät's gern, aber er hat jetzt kein Geld nicht zu Haus, ein andermal wird er gern mehr schicken.«
Irrker hatte sich gesetzt und hatte auf Wittmanns Drängen einmal aus dem Kruge getrunken; jetzt sagte Wittmann:
»Seht, seht, was das Unglück nicht will, muss grad' der Müller auch kein Geld nicht zu Haus haben, das ist oft zum Verzweifeln. Lieber Irrker, sprecht in ein paar Tagen wieder einmal ein; es kann nichts verschlagen, wenn Ihr's im Vorübergehen tut, inzwischen schau ich mich ordentlich um. Mit dem Müller ist's nichts, der Mann hat immer alles, nur kein Geld nicht, wenn man ihm kommt. Ihr steht auf und wollt gleich wieder weiter? Nehmt's nicht übel, Irrker, mir ist von Herzen leid! Geht noch nicht!«
Irrker war bereits wieder marschfertig an der Türe und sagte: »Macht keine Wort'; wenn Ihr nichts habt, so muss ich fort und hab' noch einen weiten Weg. Behüt' Euch Gott!«
Heiß gingen die Gedanken und Empfindungen in Irrkers Herzen durcheinander wie die glühenden Luftwogen in einem Feuerofen, und so außer Fassung hatte ihn seine Lage und seine Leidenschaft gebracht, dass er die einfachsten und sichersten Hilfsmittel übersah und die nur aufsuchte, welche ihn bestimmt in seinem Unglücke auch verließen. Es hätte ihn einen Gang zum nächsten besten Ehrenmanne gekostet, und ihm wäre nicht bloß für den Augenblick geholfen worden; in seinem Dorfe hätte man ihn mit offenen Armen aufgenommen, wenn er sich nur gezeigt hätte; aber das fiel ihm gar nicht bei, den Ort in solcher Not zu betreten, wo er selbst einst so vieler Not abgeholfen hatte. Lieber eilte er von einer Schuldnerschwelle zu anderen und verließ sie unbefriedigt wieder. Noch gegen Mitternacht klopfte er den Letzen aus dem Bette, und dieser wusste seinen guten Willen nicht anders zu zeigen, als dass er ihm ein silbernes Besteck hinreichte, um es wann und wo immer zu Gelde zu machen. Fast war es nun geschehen, dass der herumirrende Vater, aus peinlicher Sorge für das Kind, das Kind selbst in der fremden Scheune vergaß, und sterbensmüde schleppte er endlich in pechfinsterer Nacht die erschöpften Glieder heimwärts, erreichte aber das ersehnte Ziel nicht mehr und blieb auf dem Wege ohne Besinnung liegen. Früh morgens fanden ihn zwei Handelsmänner und brachten ihn, weil dahin am nächsten war, in sein eigenes Haus zum Pankraz, dem neuen Eigentümer.
Am nächsten Abende saß in der Stube der Branderin der Obergrenzjäger mit der Irrkerin, sie aßen und tranken dann Kaffee mitsammen, und endlich wurde die Flasche süßen Weines herbeigeholt, welche der Oberjäger mitgebracht hatte.
Die Irrkerin bedurfte heut ihres kecken Gesellschafters ganz besonders und sprach nicht ohne Grund dem Kaffee und dem Weine bedeutend zu, denn eine bedenkliche Stimme ihres Herzens war zu betäuben.
Der Oberjäger war heute zufällig oder absichtlich ungemein »fidel«, ein Scherz und Gelächter jagte das andere, er sang dazwischen allerlei kreuzlustige Lieder und schenkte der Katharine jeden Augenblick wieder voll, wenn auch kaum ein Drittel des Inhaltes ausgetrunken war; am Schlusse jedes Scherzes und Liedes rief er immer laut: »Nur immer zu, Katharine, uns plagt jetzt kein Mann und kein Tod und kein Teufel mehr, du bist frei, und bist du einmal Witwe, so heiraten wir uns frischweg; da trink'!« Katharine stimmte halb willenlos und erhitzt von dem vielen und ungewohnten Getränke in den Jubel des Oberjägers ein, lachte mit, wenn er lachte, und trank, sooft er ihr einschenkte.
So war die Mitternacht mit unhörbarem Schritte herangekommen.
Die Branderin war schon früher zu Bette gegangen, schlief aber noch nicht, sondern hatte sich ein Tischchen neben ihr Bett und darauf ein Fläschchen Wein gestellt, woraus sie auch dann und wann ein Schlückchen nahm und wieder mit süßem Schwindel auf den Polster zurücksank; sie konnte aber was vertragen, solche Dinge waren ihr nicht unbekannt und ungewohnt. Sie hatte mit Absicht die Kammertüre nur angelehnt, um jedes Wort zu hören, welches draußen gesprochen wurde.
Gegen 1 Uhr schienen dem Oberjäger nach und nach die Scherze und Lieder auszugehen, und er sagte endlich halb ernst und halb scherzend:
»Schau, Katharine, lass mich einmal seh'n, ich kann immer noch nicht recht glauben, dass es wirklich tausend Gulden voll sind, die du bei dir hast; ich zähl's, gib her.«
Katharinens Sinnen schwankten bereits vom Schlaf und Weine, sie lachte unvernünftig und schlug ihn zwischen Ohr und Schulter:
»Schlankel«, sagte sie, »glaubst mir nichts aufs Wort? Da, so zähl' ...«
Sie griff in den rechten Strumpf hinab und zog einen Pausch Banknoten herauf, den sie ihm hinschob. »Zähl' das letzt' Mal«, fuhr sie fort, »du ... du ... Ich soll dir immer den Narrn machen, du ...«
Dabei schlug sie ihn auf die Hand, als er nach dem Gelde griff, und schien lachen und schäkern zu wollen, hing aber schon tief schlafend auf dem Stuhle, als der Oberjäger kaum mehr als fünf Stück des Papiergeldes gezählt hatte.
Jetzt ging die Kammertüre leise auf, und ein Kopf streckte sich heraus.
Der Oberjäger stand sachte auf, steckte die tausend Gulden hastig ein und wollte fort; aber die Branderin vertrat ihm den Weg, legte die Finger über den Mund und machte »St!« Dann sagte sie dem Erschrockenen ins Ohr: »Ich hab' alles gehört und geseh'n, Ihr habt das Geld; halbpart, so schweig' ich.«
Der Oberjäger knirschte mit den Zähnen, aber er konnte nicht anders als die Hexe am Diebstahle beteiligen.
»Wisst Ihr was, Elis'«, sagte er, »ich geb' Euch hundert Gulden, damit könnt ihr wohl zufrieden sein. Da sind hundert, Ihr sollt's gleich haben.«
Elis' erwiderte: »O Gott bewahr' mich, dass ich's unter fünfhundert Gulden tu', lieber zeig' ich die ganze Sache an.«
Der Oberjäger sagte grimmig: »Verfluchte Hex', ich will dir noch hundert zu dem Hundert dazugeben; bist's noch nicht zufrieden, so bring' ich dich auf der Stell' um, dann kannst du hingehen und mich verraten.«
Die Branderin sah, dass er der Mann war, seine Drohung zu erfüllen; sie wollte lieber die zweihundert Gulden nehmen und schweigen als Lärm machen, in Lebensgefahr sein, und wenn sie mit heiler Haut davonkam, dem Gerichte umsonst eine gewissenhafte Anzeige machen.
So war denn der Raub nach wenigen Sekunden geteilt, der Oberjäger geräuschlos davon, die Branderin wieder sittsam in ihrem Bette, Katharine nur blieb in tiefem Schlafe auf dem Stuhle sitzen.
Aber nicht lange, so pochte sie jemand heftig aus dem Schlafe wach, Stimmen waren draußen hörbar und riefen: »Katharine, komm heraus, Euer Kind ist beim Pletz in der Scheune gefunden worden, holt es nach Haus, es ist beinah' verhungert auf dem Heu gelegen.« Es waren Männer, welche von Kohlheim kamen und denen man die Botschaft aufgetragen hatte. Katharine sprang auf und taumelte schlaftrunken eine Weile hin und her in der Stube.
»Wo ist das Kind?« rief Katharine wie außer sich; »so gebt's zur Türe herein, ich kann die Türe nicht finden.«
Es war, als habe in diesem Augenblicke das unverwüstliche Gefühl der Mutterliebe nur deshalb sich so auffallend bei Katharina bewiesen, weil die eigentlich bösen Sinne von Wein und Schlaf gefangen dem natürlichen Andranges desselben nichts in den Weg setzen konnten; denn schwerlich hätten wir Katharina bei völlig wachem Zustande die Nachricht von ihrem Kinde mit dieser stürmischen Teilnahme empfangen sehen, weil der schwächeren Mutterliebe wahrscheinlich augenblicklich der stärkere Hass gegen den Mann, der das Kind ihr mit Gewalt fortgeschleppt hatte, den Vorsprung würde abgewonnen haben. Mit dem Hasse gegen den Mann hätten sich wohl gleich Schadenfreude und andere gefühlabschwächende Gedanken eingefunden, die Aussicht, ohne das Kind mit dem Geliebten freier leben zu können, wäre nicht ohne Einfluss auf ihren Entschluss geblieben: dem Besitze des Kindes ganz zu entsagen, da es ihr einmal mit Gewalt entrissen worden war.
Aber jetzt stand es eine gute Weile anders.
»Fast verhungert auf dem Heu gefunden?« rief sie wieder und suchte noch immer die Türe. »Wie ist mir nur das Kind aus dem Sinn gekommen?«
Endlich fand sie die Türe und die Klinke und im Vorhause den Riegel; die Haustüre flog weit auf; die Männer standen draußen vor ihr, und der eine sagte: »Wir kommen von Kohlheim und sagen Euch nur davon; sonst hat's schon Zeit, wenn Ihr morgen früh hinübergeht, die Pletzin hat Euer Kind mittlerweil' bei sich, es fehlt nicht mehr an Essen jetzt; das Kind hat schon wieder ruhig geschlafen, wie wir fort sind.«
Katharine sagte sehr lebhaft: »Nein, nein! Ich will lieber gleich fort; ich bin angezogen.«
Die freie Luft machte ihr zwar noch mehr Schwindel, aber erfrischte sie auch zugleich, der Drang nach dem Kinde überwand für den Augenblick alles.
Die Männer sagten, als sie Katharine wie sinnverwirrt fortstreben sahen: »An dem Weib ist ja doch nicht alles Teufel!« Dann gingen sie ihrer Wege.
Aus der Kammer war die Branderin auf den Zehen geschlichen und sah mit unbeschreiblichem Vergnügen der forteilenden Katharine nach, die bald genug in der wenig hellen Nacht verschwand. »Jetzt muss sie glauben, sie hat ihr Geld auf dem Weg verloren«, sagte sie nach einer Weile still vor sich hin und schloss das Fenster wieder; dann ging sie mit dem Fettlämpchen, das noch immer auf dem Ecktische flackerte, nach der Kammer zurück, zog sehr behutsam die Vorhängelchen an den zwei kleinen Fenstern zu, holte auf den Zehen Schere und Nadel und nähte die zweihundert Gulden ins Futter eines alten Unterrockes. Damit fertig, legte sie sich wieder zu Bette und schlief ein, als hätte sie das beste Werk vollbracht.
Aber wenn ein solches Wesen die Unruhe nicht mehr selbst im Innern mit sich führt, so kann es doch selten fehlen, dass bedeutende Ängste von außen anstürmen, und diese blieben denn heute für die Brander-Else nicht aus.
Kaum war sie behaglich eingeschlummert, so wurde schon wieder an die Fenster und zugleich an die Haustüre getrommelt, und raue Männerstimmen riefen: »Auf! Auf!« Elis' erwachte entsetzt. Sie wollte sich nicht gleich melden, aber man drohte die Türe einzurennen, wenn nicht gleich geöffnet würde; es blieb nichts übrig als aufzustehen und zu öffnen. Grenzjäger traten herein.
»Oberjäger Finke dagewesen?« rief der Vornehmste. »Wahrheit, oder es geht Euch schlecht!«
Elis' sagte keck: »Nein!«
Der Frager schaute sie durchdringend an: »Nein! Und wenn wir's bereits bestimmt wissen?«
Elis' sagte nochmals kurzweg: »Nein!« und erwiderte frech den Blick des Fragers. Dies machte den Letzteren sichtbar zweifeln, doch sagt er nach einer Pause: »Ihr wisst nicht, was ihr Euch selbst schadet, wenn er doch da wär'.« Zu den Begleitern gewendet, setzte er hinzu: »Sucht!«
Man durchsuchte jeden Winkel des Hauses, und weil man niemand finden konnte, zogen alle wieder ab. Es waren Entdeckungen gemacht worden, und die Beweise lagen unwiderleglich vor, dass der Oberjäger Finke sich bei großen Paschunternehmungen beteiligt hatte; die letzte dieser Unternehmungen war auf die heutige Nacht berechnet und scheiterte an der Wachsamkeit eines diensteifrigen Kommissars. Finke war nicht auf seinem Posten gefunden worden, und seine untergeordnete Mannschaft lag betrunken auf ihren Posten. Durch die Aussage zweier Pascher erfuhr man alle näheren Umstände; sogleich wurde Verhaftbefehl erteilt, und so kam man in das Haus der Brander-Elis', weil man wusste, bei dieser halte er sich seit kurzer Zeit sehr häufig auf. Finke war aber bereits über der Grenze, seine Uniform hatte er in einen Graben geworfen, daneben fand man des andern Morgens auch eine Flocke seines großen Schnurrbartes.
War der Oberjäger für den Augenblick in seiner Flucht glücklich, so war dagegen Katharine auf ihrer Wanderung umso unglücklicher daran. Sie war inzwischen auf dem Wege nach Kohlheim unaufhaltsam fortgeeilt und kam an den Brettersteg, der über den großen Sägmühlenbach führt; da fiel ihr ein, geschwinde hinunter zu langen und eine Hand voll Wasser zum »Gesichtüberfahren« heraufzuholen, aber der Steg schwankte, ihren Schwindel vermehrte das Niederbücken, plötzlich war es ihr wie einem Träumenden, der von einem Dache zu fallen meint, ein unbeschreiblich süß-schauerliches Gefühl beengte ihre Brust, sie fiel hinab in das warme finster-rauschende Gewässer, und es blieb hierauf einige Augenblicke stille. Doch bald wogte und rauschte es wieder auf, Katharine wehrte sich wütend gegen die Fluten, und der Zufall, dass sie auf eine seichte Stelle traf, half ihr auf die Füße und wieder heraus. Erschöpft stürzte sie am Ufer hin und schrie aus allen Kräften, aber wer sollte sie so spät in der Nacht und bei der weiten Entfernung menschlicher Wohnungen hören? Da niemand kam und niemand antwortete, raffte sie sich auf und kam jetzt erst zu furchtbarer Besinnung. Ihr fiel ein, dass sie ja ihr Geld im rechten Strumpfe herumgetragen habe; der Strumpf war aber vom vorigen Abend her noch unbefestigt und war durch das Wasser völlig hinab gezogen worden. Entsetzt griff sie danach und glaubte nun, ihr Geld im Wasser verloren zu haben. Sie erinnerte sich zwar auf ihr Zusammensein mit Finke wieder dunkel; aber der Gedanke, dass Finke mit dem Gelde davon sein könnte, fiel ihr nicht im Entferntesten ein; vielmehr glaubte sie sich zu erinnern, dass er ihr das Geld, nachdem er es gezählt und vollzählig gefunden, zurückgegeben und gleich darauf »Gute Nacht« gesagt habe. Heulend über den Verlust ging sie nun nicht weiter nach Kohlheim um ihr Kind, sondern kehrte zurück zu ihrer Base, der Brander-Elis'. Es wäre ihr lieber gewesen, tot im Wasser bei ihrem Gelde zu liegen, als ohne dieses lebend heimzukommen. Ihr Jammer beschwor nun wieder all' ihre Leidenschaft herauf, ihre Wut kehrte sich gegen alles, was ihr außer dem Geliebten und dem Gelde in den Sinn kam; sie hätte jetzt viel schlimmere Dinge von ihrem Kinde hören können, ohne bewegt zu werden, es aufzusuchen und heimzunehmen, denn ihr fiel ein, dass ihr ja Irrker das Kind gewaltsam fortgenommen habe. Am allerheftigsten aber erbitterte sie der Gedanke, dass Irrker durch die Entführung des Kindes an dieser nächtlichen Wanderung und also auch an dem Verluste des Geldes schuld sei, und nun beschloss sie, ihren Hass gegen Irrker bis aufs Äußerste zu treiben.
Ihre Base traf sie wach in einem Winkel sitzen, als sie heimkam; ihr rief sie schreiend entgegen: »Bas', Bas', ich hab' all' mein Geld verloren!«
Die Brander-Elis' stand auf und tat verzweifelt überrascht, indem sie sagte: »Du willst nur, dass ich erschreck'.«
»Nein! Nein!« rief Katharine »Nein! Seht her, ich bin ins Wasser gefallen, es ist mir der Strumpf hinab, und jetzt schwimmen meine tausend Gulden der Sägmühle zu.«
»O, dass Gott erbarm'!« erwiderte Elis'. »Was hast Du drüben beim Sägmühlenbache zu schaffen gehabt? Was ist den vorgefallen? Hab' ich so lang geschlafen, dass ich von so vielem nicht wissen soll?«
»O, Bas', ich will Euch's mein Lebtag nicht sagen; Ihr sollt nur seh'n, wen ich dafür plagen will aufs Blut!«
Irrker hatte inzwischen bis zur späten Morgensonne geschlafen und wusste nicht sobald, wo er sei, als er in seinem eigenen Hause erwachte.
Mehrere Männer hatten schon gewartet, bis er erwache, um gleich freundlich mit ihm zu reden; sie grüßten ihn jetzt und reichten ihre Hände nacheinander hin.
»… O, ich hab' einen schweren Traum gehabt«, sagte er mit schwacher Stimme. »Gott sei Dank, dass ich wieder wach bin ...« Nach einer Pause fuhr er fort: »Richtig, da bin ich in meiner eigenen Stube ... und geträumt hat mir, ich bin, wer weiß wo, in meinem Jammer herum gewesen ...«
Man ließ ihn gerne bei seinem anfänglichen Wahne, dass ihm auch von seinem Bankerotte, seinem Hausverkaufe, besonders aber von dem Zwiste mit seinem Weibe geträumt habe. Von dem letzeren Umstande sprach er, dass er ihn unter allen Übeln um meisten geschmerzt habe. »Wer so ein Weib hätte«, sagte er und blickte ängstlich und verlegen um sich, ... »wär' der geschlagenste Mann auf Gottes Erdboden ... Ich muss von dem Traum schneeweiße Haar haben ... Wo ist mein Weib? Ich will sie um Verzeihung bitten, dass ich so geträumt hab'; man kann doch nichts für seinen eigenen Traum.«
In diesem Augenblicke trat die neue Eigentümerin, Pankrazens Weib, mit aufgeschürzten Ärmeln vor den Irrker und reichte ihm freundlich die Hand.
»Grüß Gott, Irrker! Das ist recht, schlaft und esst und trinkt bei uns, und denkt, es ist alles noch beim Alten.«
Irrker machte große Augen, sah die Redende und wieder die Männer und die Stube an und sagte: »Aha, jetzt hab' ich gemeint, ich bin wach und träum' erst recht. Verzeiht, ich weiß nicht, wie ich daran bin ...« Auf seinen linken Fuß blickend fuhr er fort: »Da bin ich gestern wund gewesen, habt Ihr's verbunden? ... Wenn ich nur wüsst' ... Ah, hier liegt ja noch mein Donau, mein treuer Hund ... Nur mein Weib, mein Weib ...«
Plötzlich war er wie gestochen mit einem Satze auf den Füßen.
»Hat jemand in der Scheune beim Pletz gesucht!« schrie er. »Geträumt oder nicht geträumt, dort muss mein Kind noch liegen; auf dem Heu hab' ich's gelassen! Lasst mich fortspringen, es ist tot, verhungert, tot; ich hab' drei Tag geschlafen, und niemand hat mich aufgeweckt – tot, verhungert, o, ich bin ein geschlagener Mann!«
In diesem Augenblicke kam der Pletz aus Kohlheim zur Türe herein, und ihm folgte eine Magd mit Irrkers Kind auf dem Arme. Er hatte gehört, dass Irrker da sei und brachte ihm nun das Kind. Irrker stürzte der Magd entgegen und nahm das weinende Kind mit Fieberfreude in die Arme, sprang und tanzte herum damit und rief einmal jubelnder als das andere: »Lebt! Lebt! Nicht tot! Wer hat ihm zu essen gegeben?« Pletz sagte, ein Knecht habe gestern gegen Abend beim Heuholen das Schreien des Kindes gehört und habe es nach der Stube gebracht; die Pletzin habe das Kind zuerst erkannt und habe ihm gleich zu essen gegeben. Da man aber von dem Unfrieden der Eltern gewusst, habe man gezaudert, wem man es eigentlich einhändigen solle. Aber ein Bote, der heute früh von der Irrkerin zurückgekommen sei, habe entschieden; denn die Irrkerin habe sagen lassen, ihr sei das Kind geraubt worden, der Räuber soll's nun haben und ernähren, sie wolle nichts mehr wissen davon. So habe er jetzt das Kind lieber dem Irrker gebracht.
Pankraz wollte durch einen schnellen Vorschlag zwischen Irrkers Schmerz und Wutausbruch sich stellen und sagte: »Besser, Euer Weib nimmt das Kind nicht zu sich; lasst mich dafür sorgen, ich behalt' es bei mir und verpfleg's wie mein eigenes, Irrker, bis es Euch wieder besser geht. Lasst Euch's nicht zu viel grämen und erzürnt Euch nicht, Irrker, gelt es bleibt, wie ich sag'?«
Aber Irrker stand schon marschbereit mit dem Kinde auf dem Arm: »Nein, nein!« rief er. »Ich dank' Euch, es kann nicht sein. Jetzt geh' ich schnurgrad 'nüber. Ich will mit ihr reden, ob sie das Kind haben will oder nicht. Will sie's nicht, so führ' ich Prozess mit ihr auf Leben und Tod und beweis', dass sie eine Wolfsmutter aus der untersten Höll' ist. Gewinn ich, so setz' ich mich dazu und pass auf, wie sie mit dem Kind umgeht; um ein Scheltwort oder um einen schlechten Bissen Kost erwürg' ich sie auf der Stelle!«
Er schnalzte dem Donau und fuhr fort: »Ich dank' Euch für die Aufnahm', ich kann Euch nichts geben. O, hätt' ich noch ein Stück von diesem Haus, wie gern möcht' ich mir den Weg ersparen, das Kind müsst' bei mir bleiben, ich wüsst' schon, was ich tät. So aber kann ich's nicht nähren; o, es hilft nichts, ich muss zu ihr zurück mit dem Kind. Pankraz, in Eurem Hause wär' mein Kind doch ein fremdes, es geht nicht, es wird vergessen, es steht im Wege – nein, wenn mein Weib zehnmal eine Wölfin ist, sie hat etwas und muss mein Kind waren und pflegen!«
Er ging; Pletz und die Magd folgten ihm, ohne gerastet zu haben, auch Pankraz zog eine Feiertagsjacke an und setzte einen Hut auf, um zu folgen und einen entschiedenen Schritt auf Irrkers Herz los zu tun, denn es war eine Notwendigkeit geworden, dem Irrker endlich in jeder Hinsicht die Augen zu öffnen und die beiden Eh'leute getrennt zu erhalten.
Man war bereits eine Strecke aus dem Dorfe hinaus, das Kind hatte man wieder der Magd zu tragen gegeben, die neugierigen Dörfler, welche bisher mitgelaufen waren, kehrten wieder um, als Pankraz den ersten Anlauf nahm, dem Irrker von der Herzenstreulosigkeit seines Weibes zu reden, ihm zu entdecken, wie lange schon und wie vertraut Katharine mit dem Oberjäger heimlich verstanden gewesen, was sich die Leute erzählten und wie der allein in der ganzen Gegend übrig sei, der von der ganzen Geschichte nichts wisse!
Irrkers Wangen erblassten, soweit sie noch Farbe zu verlieren hatten, dann durchzog sie ein dunkles, unnatürliches Rot, das bald wieder einer Totenblässe wich; er zog nur dann und wann den vorderen Hutschirm tiefer in die Stirne und sah mit regungslosen Blicken drein. Worte kamen keine über seine Lippen.
»Das sechste Jahr ist dieser Mensch nun in der Gegend, und so lang ist Euer Weib schon mit ihm heimlich so vertraut«, fuhr Pankraz fort. »Euch hat das Geschäft wenig zu Haus gelassen, und das ist für die Sach' ganz erwünscht gewesen. O, lieber Irrker, man hat viel Erbarmen mit Euch gehabt, aber niemand hat Euch's zu sagen getraut. Ihr habt so glücklich getan und habt Euer Weib allwärts so herausgestrichen, dass man Euch Euer Glück nicht gern verbittert hat. Einen Knecht habt Ihr zur Stund' aus dem Haus getan, weil er ein verdächtig Wort gegen Euer Weib geredet hat; Euern besten Freund, den Seewiesen, habt Ihr seither nicht mehr angeschaut, es hat ihn auf einmal um Eure ganze Lieb' gebracht, weil er auch von Eurem Weib ein unbedachtes Wort gesprochen hat. O, lieber Irrker, Euer Freund hat recht gehabt, Euer Knecht hat recht gehabt; und wär' Euer Vermögen nicht hin, Euer Weib hätt' Euch durch ihr Davonstehlen zur schlimmsten Stund' selbsten gezeigt, wie sie Euch anhängt, und meine Wort' werdet jetzt nicht auch wieder verkennen und übel deuten ...«
Valentin Bohmann war eben auf dem Wege, den Irrker aufzusuchen und begegnete jetzt dem kleinen Trupp Wanderer; er staunte groß, als ihm plötzlich Irrker, der ihn eben erblickte, schwer schluchzend am Halse lag und markdurchschüttert sagte:
»Und was wisst Ihr von meinem Weibe, Bohmann?«
Pankraz erklärte in Kürze, wovon die Rede gewesen war, und Bohmann sagte nach einer Pause sehr betrübt: »Irrker, wenn ich Euch vorlüg', das nützt Euch nicht und ehrt mich nicht. Ich wär' auch dafür, Ihr bringt ihr das Kind nicht hinüber; der Oberjäger kommt noch immer zu Euerm Weib, erst gestern am Abend ist er zur Brander-Elis' ihrer Haustür hinein, und wer weiß, ob nicht erst am Morgen fort. Denkt, wie's Euerm Kind in der Gesellschaft erging' ... O, kränkt Euch nicht zu viel, so ein Weib verdient's nicht, und sie hat am End' ihre Lust auch noch d'ran, wenn sie Euch quälen kann ...«
Irrker erhob sich von Bohmanns Halse und rief, durch und durch erschüttert:
»Zurückkehren! Zurückkehren!«
Bohmann und die anderen sagten erfreut wie aus einem Munde: »Das ist brav, Irrker; bleibt da, wo Ihr geboren seid und wo Ihr den Leuten Gutes getan habt; das kleine Gemeindehaus ist für Euch hergerichtet, wohnt darin, Ihr braucht nicht für Taglohn zu arbeiten, es soll Euch nichts fehlen; für Euch und Euer Kind wird lebenlang gesorgt.«
Irrker erwiderte nichts, er folgte in dumpfer Stille nach dem Dorfe zurück, und als man ihn fragte, ob er gleich in das Gemeindehaus wollte, nickte er nur leise.
Dort angekommen und allein gelassen, brach er in einen so wütenden Schmerz aus, dass man es weit herum in den Nachbarhäusern hören konnte. Er hatte aber von innen das Haus verschlossen und ließ niemand hinein. Gegen Abend war das Lärmen wohl zu Ende, die Türe blieb aber verschlossen. Man stellte ihm das Essen von außen auf das Fensterbrett, aber am nächsten Morgen stand es noch unberührt da. Erst gegen Mittag öffnete sich die Türe, und Irrker kam in trauriger, gealterter Gestalt zum Vorschein und ging mit dem Kruge nach dem Brunnen. Wer ihn sah, erschrak, und viele weinten, dass der reichste und rüstigste Mann vor Kurzem noch, jetzt in der Gestalt mit dem Kruge Wasser holen kam.
Nun besuchte man ihn wieder, man wetteiferte ihm einen freundschaftlichen Dienst zu erweisen, an Essen und Trinken ließ man es nicht fehlen.
Irrker aß und trank aber wenig, sprach nur selten einige dunkle Worte, und was besonders auffiel, zeigte kein Verlangen, sein Kind zu sehen und bei sich zu haben. Dieses war, seitdem Irrker das Gemeindehaus bewohnte, beim Pankraz in der Kost und wurde gut gehalten. Nach einigen Wochen erst sah man ihn auf einmal in Gedanken nach dem Hause des Pankraz schreiten und sich dem Kinde schweigend gegenübersetzen.
Lange betrachtete er es, sein Gesicht zeigte weder Schmerz noch Freude, kein Lächeln zog um seine Lippen, als ihm das Kind nacheinander Weißbrot und Spielzeug vorwies, das es eben bekommen hatte.
Plötzlich warf ihn aber ein innerer Aufruhr empor, er sprang auf, pfiff seinem Hunde und hinkte eiligst hinaus davon, dem Walde zu. Donau bellte und sprang heftig um ihn, als wollte er warnen, seinem Herrn in die Nähe zu kommen.
Nur Pankraz wagte nachzueilen und kam den Flüchtigen in einem Augenblicke nahe, als Irrker laut jammernd den Stock fortwarf und auf sein Angesicht hinstürzte.
Als merkte der treue Donau, dass sein Herr jetzt menschliche Hilfe brauche, ließ er ungehindert den erschrockenen Pankraz hinzu und legte sich selbst betrübt zur Seite seines Herrn nieder.
»Irrker, lieber Irrker, kommt, steht auf und geht mit mir ins Dorf zurück«, sagte Pankraz aufgelöst in Mitleid. »Wohin wollt Ihr den schon wieder? Wenn Ihr weiter wollt, müsst Ihr ausruh'n, müsst essen und trinken, müsst Euch kein Leid zu Herzen gehen lassen. Kommt, steht auf; sind wir Euch denn alle nicht so wert, dass Ihr bei uns bleiben wollt? Wir sind viele, die Euch lieben.«
Er machte den Versuch, den Irrker sanft vom Boden aufzurichten, es gelang ihm aber erst nach einer Weile. Irrker ließ sich dann willig nach dem Dorfe zurückführen und sagte nur einmal leise und bitterlich schluchzend vor sich hin: »Nicht einmal mein Kind ist es gewiss!«
Pankraz und andere Männer kamen nun wieder häufiger auf Besuch und ersannen allerlei, den unglücklichen Mann zu erheitern. Um diese Zeit kam auch ein Brief von Friedlänger, der zur Zeit in Köln war, und in diesem Briefe erbot sich der Friedländer, dem Irrker sein Haus und seinen Hof wieder zurückzukaufen und ihn wieder auf guten Fuß zu bringen.
Aber umsonst; der Kern des Mannes war zerstört, es war kein Aufblühen mehr zu hoffen. Er lehnte auch das großmütige Anerbieten seines Freundes ab.
Nach einigen Wochen hatte er fast die ganze Kraft des Körpers und des Geistes eingebüßt; er erlebte nicht einmal mehr den Tag, als man plötzlich die Brander-Elis' und die Irrkerin nach dem nächsten Gefängnisse brachte. Finke war über der Grenze erwischt und zurückgebracht worden, und da er alles für sich verloren sah, verriet er auch, was er von der Brander-Elis' wusste; die Irrkerin war für die Verhöre nötig und wurde aus allerlei Verdachtsgründen mit in Haft genommen. Man ließ sie zwar bald wieder frei, weil man ihr keine Teilnahme an Finkes und ihrer Base bösen Streichen beweisen konnte, und verschaffte ihr bis auf vierhundert Gulden ihr Geld wieder; aber die Schande, in Haft gewesen zu sein, und die allseitigen Zeichen der Verachtung und des Spottes, endlich doch auch der Tod ihres Mannes, der inzwischen erfolgt war, taten das Ihre, dem unseligen Weibe das starre Herz zu brechen. Jetzt stand sie allein da, niemand ihr zur Seite, der ihr Mut zusprach und sie in ihrer Abscheulichkeit bestärkt hätte. – Bald nach ihrer Befreiung sah man sie beichten gehen und dann ihr Kind verlangen. Dies Letztere wurde ihr bis auf Weiteres nicht gewährt, man wollte sehen, wie sie sich später aufführen würde. Katharine mietete sich, um der Aufsicht noch mehr bloßzustehen, in ihrem eigenen Dorfe wieder ein, wo sie früher so angesehen gewesen war, ging alle Tage ihr Kind besuchen und erhielt es erst auf einzelne Stunden, später aber doch für immer, weil man eine gute Behandlung erwarten durfte.
*
Einige Monate verflossen so. Es kam der traurige Herbst, die welken Blätter fielen, feuchte Nebel stiegen und wogten, es war die Zeit wieder, wo die Schwermut häufiger erwacht, vergessener Schmerz doch immer wieder als Wehmut aufersteht und starke Herzen auch einmal eine Schwäche fühlen; ein trüber Tag war vorüber, eine stille Herbstnacht nahte und mit ihr der blasse Mond.
Nach Mitternacht ging jemand unsicheren Schrittes durch die Stube des Valentin Bohmann, und weil es ziemlich dunkel war, trat er dem Bettler, welchem nächst der Stubentüre ein Nachtlager von Stroh gemacht war, mit Nachdruck auf einen Fuß, dass dieser erwachte und schlaftrunken sagte: »Heiume, weg vom Futtertrog; eine Kuh ist ledig!« Eine kaum minder schlaftrunkene Stimme erwiderte: »Oha, sind das Eure Füß'? Ich muss 'naus und zum Irrker sei'm Hund 'nüber; der flennt wieder, dass kein Aushalten ist.« Der Bettler entschlief sich unbehaglich auf die andere Seite wälzend und zog das Knie des getretenen Fußes fast bis zum Halse hinauf. Der Wanderer hatte die Stuben- und Haustüre erreicht, und die Letztere zog er eben angelweit auf; die ganze Schwermut einer düsteren, stillen, majestätisch-gespensterhaften Nacht drang auf ihn ein, die freie Luft nahm ihm den letzten Rest des Schlafes von den Augen. Von dem Nebelwetter des vorigen Nachmittags waren nur mehr weiße, regenleere Streifen durch das Firmament gespannt, und wo dessen schwarze Tiefe sichtbar blieb, erblickte man schläfrig nickende Sterne. Es war Valentin Bohmann selbst, der nachtschauernd jetzt auf seiner Haustürschwelle stand, das traurige Firmament ansah und leis' erbebte vor der Gespensterstille der Nacht, die sich gleichsam selbst behorchte. Auf einmal fing der Hund, der seit einer Weile still gewesen, wieder sein einsames Geweine an; Bohmann ermannte sich, zog die Haustüre hinter sich geräuschlos zu und ging nach der Mitte des Dorfes hin, woher des Hundes Weinen kam. Es hatte den Valentin schon vor einer Stunde sein Weib mit weinerlich-ängstlichem Tone geweckt, indem sie sagte: »O Jesus, Jesus, bist denn gar nicht aufzuwecken? Hör' den Hund vom Irrker, mein Gott, o Gott, ich kann drei Stund' schon wieder nicht schlafen; jede Viertelstund' hör' ich die Uhr schlagen – o mein Jesu, mir läuft der Schweiß herunter, ich bet' und dreh' und wend' mich, alles umsonst; du bist kein Mann, wenn du dem Hund sein Weinen nicht abstellen kannst.« Valentin Bohmann sagte ganz verschnupft und verschlafen. »Ja, ja, gleich«, drehte sich auf die andere Seite und schlief wieder ein, bis ihn sein Weib aufs Neue weckte; unbehaglich mit den Zähnen klappernd, seufzte er: »Ui, ui, ah!« zog sich an und hörte nun selber erst, wie erschütternd der Hund des jüngst verstorbenen Irrker weinte. Im ganzen Dorf war es still, kein Mensch zu sehen und zu hören, Bohmann war an der Mühle bald vorbei und ging jetzt im unteren Teil des Dorfes über den Bach, dem kleinen Hause des verstorbenen Irrker nahend; es erstarrte ihm vor Wehmut fast das Mark in allen Gliedern, als der schwarze Hund eben von Neuem sein tiefschmerzliches, wie von menschlichem Schluchzen unterbrochenes Weinen begann; und allein dazustehen unter dem gespenstigen Firmamente, dem weinenden Hunde gegenüber, schien ihm trostlos, unerträglich. Doch fasste er sich, so gut es ging, und sprach den Hund, als dieser eine Pause machte, freundlich an: »Was ist's denn, gut's Alterl; was geht dir so zu Herz? Gelt, Donau, dein Herr? ... Nun, komm' her, du lieber, lieber Hund; wein' nicht mehr, sei still, leg' dich dort 'nein auf dein Stroh und sei ruhig oder geh' mit mir, denn da drin wohnt jetzt niemand mehr, der mit dir ein freundlich Wort red't ... Du musst nicht so viel weinen.« Von dem Monde schob sich eine dichte Wolke weg, und sein bleiches Licht fiel jetzt gerade auf den Bohmann und den Hund. Dieser sah den Sprecher eine Weile unbeweglich schweigend an mit einem Blick der Schwermut aus den großen, braunen Augen, der nicht zu beschreiben ist, dann fing er an, indem man ihm trostvoll zugeredet; aber unsere Worte sind verklungen, und die Tränen fließen reichlicher als je; wenn erst der Trauernde uns seine Hände auf die Schultern legt und an unsere Wange seine glühende Stirn lehnt, dann begreifen wir, Trost sei hier nur leerer Schall, ja unzarte Störung, Ärgernis. Valentin glaubte auch, noch einmal dem trauernden Hunde reden zu müssen und sagte, indem er noch einige Schritte näher trag: »Wenn du willst, gut's Alterl geh mit und bleib' bei mir; das hilft alles nichts, der Irrker wird nicht lebig mehr; leg' dich lieber und weck' die Leut' nicht auf. Du bist brav, Donau, ja bei Gott, komm her und sei still; es ist viel, wenn ein Kind um Unserein' nach dem Tod so weint wie du. Schön ist's von dir, aber die Leut' können nicht schlafen. Komm, komm, tu' nicht so peinlich, es tut uns allen weh; leg' dich und ruh'; du bist ein guter Freund, so welcher ist selten ein Mensch.« Der Mond verhüllte sich in diesem Augenblicke wieder, der Hund war still, und nach einer Weile fühlte Bohmann, wie zwei Arme sich auf seine Schultern legten, an seine Wange streifte fast zu gleicher Zeit das lange seidenweiche Ohr des Hundes, und gleich darauf drückte dessen klagende Schnauze sich an Valentins Hals. Zwei Freunde umarmen sich nicht liebevoller. »Jesu Christ, bist du es, Donau?« sagte Bohmann überrascht und sehr bewegt. »Gelt halt, es tut dir auch wohl, dass jemand mit dir freundlich red't? Du bist ein guter, lieber Hund.« Donau weinte leise und blieb ruhig mit den Vorderpfoten auf Bohmanns Schultern haften; es bedurfte nicht viel Einbildungskraft, des Hundes Klagen zu verstehen, und dem Valentin war's, als läge ihm ein Mensch untröstlich an dem Halse, der einmal über das andere mit Schluchzen sagte: »Jetzt freut mich mein ganzes Leben nicht mehr; für mich ist nichts mehr auf dieser Welt; o mein Herr, mein Herr, mein Herr! ...« Aber plötzlich wurde der Hund lautlos stille, seine Schnauze und seine rechte Pfote erhoben sich von Bohmanns Hals und Schultern, als horchte er aufmerksam gegen Westen hin, dann sprang er ganz von Bohmann weg; der wieder entwölkte Mond ließ diesen seh'n, wie der Hund jetzt horchend dastand; gleich darauf schlug er wütend an, hinter dem Gärtchen des Augustin Großkopf zeigte sich eine weiße Gestalt. Valentin hatte eben noch Zeit und Geistesgegenwart genug, um den Hund am Halsbande zu fassen und zurückzuhalten, denn allen Anschein hatte es, dass er auf die Gestalt losstürzen wollte, um sie zu zerreißen. »Pfui, pfui, Alterl, was ist's ... die Gestalt dort?« sagte Valentin, und es bebten ihm vor Entsetzen alle Glieder. »Wart', lass uns miteinander hingeh'n«, setzte er hinzu, indem er sich mannhaft zusammennahm, und das tat wirklich not, denn er meinte, niemand anderem als einem Gespenste entgegenzugehen. Donau ras'te und schleppte den zurückhaltenden Begleiter oft mehrere Schritte unaufhaltsam weiter; die weiße Gestalt bewegte sich nicht vor und nicht zurück. »Sei still, Donau«, sagte Valentin zum Hunde, als sie etwa noch zehn Schritte von der geheimnisvollen Gestalt entfernt sein mochten, und zu dieser gewendet fuhr er fort: »Wer ist's? Oder ich lass' den Hund los!«
Ein schmerzhaftes Schluchzen war zunächst die Antwort, wurde aber von dem wütenden Geheul des Hundes überlärmt, und selbst, als die Gestalt hierauf vernehmbar unter Schluchzen sagte: »Halt' den Hund zurück, Valentin, ich bin die Irrker-Katharin'«, verstand Bohmann durch das Geheul des Hundes nicht die Worte, sondern erkannte nur die Stimme, und er sagte heftig: »Wie, Irrker-Katharin', bist du's? Dann mach' fort, du verdienst, dass man dir den Hund auf den Hals hetzt; du bist kein Weib, du bist ein böses Geschöpf, du hast den Irrker, deinen Mann, zu Tod gebissen, jetzt weiß dieses unvernünftige Tier da auch, wofür es dich wieder zerreißen will; ich sag' dir, der Donau da ist tausend Mal besser ein guter Mensch als du ein schlechtes Vieh, und mach' fort und geh' nicht mitten in der Nacht auf dem Tau herum, sonst halt' ich dich für eine Mondher' und lass' dich von dem Hund da in Stücke reißen.« Die Irrker-Katharin' erwiderte: »O Jesus Christus, red' nicht so, Valentin, ich bin gestraft genug, ich vergeh', wenn du über diesen Hund nichts vermagst, sein Weinen ist mein Tod.« Valentin sagte zum Hunde: »Kusch dich!« und kehrte sich dann wieder gegen die Irrker-Katharin': »Da sieht man, was du bist: wenn ein Hund weint, ist's dein Tod, aber dein Mann hätt' weinen dürfen, dass sich Steine erbarmt hätten, du bist doch alert zu Haus gesessen und hast deinen Kaffee nicht hinten gelassen. Geh, geschieht dir recht, wenn dich dafür ein Hund zu Grund richt't, du selbst hast wie eine Tigerkatz an deinem Mann getan; marsch, oder ich lass' den Hund los, dir gehört nichts anderes.«
Heftiger als zuvor wütete der Hund und riss sich los, man hörte im nämlichen Augenblicke ein fürchterliches »Jesus Maria Joseph!« aus Katharinens Munde, sie schleppte den Hund, der sich in ihren Fuß verbissen hatte, eine Strecke mit sich fort, bevor Valentin helfen konnte.
Der Lärm hatte bereits früher schon viele Menschen in der Nachbarschaft geweckt, und man kam nun bestürzt bei Irrkers Haus zusammen. An einigen war Katharine schreiend vorübergestürzt, die andern umdrängten den Valentin Bohmann, der nun den Hund wieder am Halsbande hielt und sagte: »Kommt Ihr auch? ... O Freunde, Nachbarn, lasst uns Friede halten zu Haus, wenn es damit schief geht zu Haus ist's ein Jammer, nicht zu sagen. Hier hat einer gelitten für tausend andere, dass sie ein Beispiel haben ... O Irrker, Irrker, armer, unglücklicher Mann; solang' ich leb', wird mir dieser Mann nicht aus dem Kopfe kommen ...«
Tief im Herzen wieder einmal Irrkers Geschichte überdenkend, ging man nach einer Weile auseinander, und es erwachten die besten Vorsätze in jeder Brust. Von dieser Nacht an nahm der Hund Donau keine Nahrung mehr und wurde nach drei Tagen tot auf dem Grabe seines Herrn gefunden.
Katharine lebte zwar noch lange; aber es war ein Leben, das in jeder Stunde mehr Qualen bereitete, als der Tod eine gewesen wäre.
*
Als die erste Kunde von dieser unglücklichen Geschichte in Hofers Hause bekannt wurde, da rückte man sich schauernd und wehmutsvoll näher; der Georg Mulderer umarmte sein Käthchen, Anton seine liebe Anne-Marie, und man hätte gar kein Wörtlein dabei reden dürfen, um zu zeigen, wie sich die Herzen jetzt wärmer als je ewige und ungetrübte Liebe schwuren. Nur der alte Hofer ging immer, sooft von Irrker die Rede war, unruhig auf und nieder, schob die Kappe rechts, schob sie links und warf sie einmal gar heftig zu Boden mit den Worten. »Und ich ... ich alter Esel hab' kürzlich auch noch immer ans Heiraten gedacht, es ist zum Kopfabreißen! Und wen hab' ich heiraten wollen? Das Binder-Lenchen, die noch jünger ist als die Rösel-Katharine! O ... o ... Jesus Christus, was gibt's unter uns Moshäupeln für steinharte Köpf', wenn so einer ans Heiraten denkt, so kann man eher ein Gebirg' mit ihm umrennen, als er einsieht, so was ist und bleibt einmal nichts mehr für uns alte Steinböck.«
Noch mehr als der erschütternde Tod Irrkers erregte bald darauf ein Ereignis, welches den Friedländer betraf, die Teilnahme der ganzen Gegend.