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Schoss Jeneveldts war zu einem festlichen Tempel der Freude umgeschaffen.
Nicht nur, dass alle Eingänge in dasselbe, mit frischem Blätterwerk und Blumen reich umschlungen waren, auch ein großer, geschmackvoller Triumphbogen vor dem nordöstlichen Tore erwartete den glücklichen Einzug der Braut.
Es mochte neun Uhr morgens sein.
Von Gästen aus der Nähe und Ferne war noch niemand angekommen; auch die Braut mit ihrer Mutter wurde erst um Mittag in dem Schloss erwartet.
Es war daher um diese Stunde noch fast gottesdienstlich ruhig überall; die Dienerschaf in Festeskleidern ging schweigsam ihren Geschäften nach, der Springbrunnen inmitten des Hofraumes, ebenfalls mit Blätter- und Blumengirlanden ausgeschmückt, ließ seine Wasserperlen eintönig niedergleiten wie ein betender Klosterbruder die Paternosterküglein seines Rosenkranzes, in dem Laube der Linde an der Gartenmauer blätterten die Lüfte leise rauschend wie in einem Andachtsbuch; selbst das zahlreiche Geflügel, sonst in großen Wanderzügen die Räume des Vorhofes bunt durchschreitend, hatte sich in schüchterne Gruppen an ferne Wände, Zäune und auf Feuerleitern zurückgezogen und schien respektvoll einander zuzuflüstern: Lasst uns stille sein, wo gute Menschen ein so hohes Freudenfest begehen.
Die Mutter Jeneveldt, still-glücklich, süß und weh bewegt, durchprüfte von Zeit zu Zeit noch einmal die Pracht des Hauses und Hofes, ging nach den Zimmern des Sohnes, den sie suchte, um ihn stille anzulächeln, den sie wieder nicht zu finden wünschte, um ihn die Tränen der Seligkeit nicht sehen zu lassen, die von Zeit zu Zeit in ihre Wimpern traten.
War doch Otto nicht nur ihr einziger Sohn, überhaupt wie Friedrich Erbacher das einzige Kind seiner Eltern; und diesen ihren Einzigen sollte sie heute den Tag des höchsten Glückes erleben sehen, ohne ihr Herz aufs Innerste erfreut und erschüttert zu fühlen? Weiß man doch schwerlich jemals zu ermessen, was alles eine Mutterseele in solchen Augenblicken rühren und bewegen mag.
Eine verwitwete Schwester und eine ferne Verwandte, die seit Jahren in dem Schlosse wohnten, begleiteten die Mutter Jeneveldt auf diesen stillen Gängen durch Haus und Garten, wohlwollend alles Angenehme der mütterlichen Freundin zu Liebe berührend, des Sohnes immer von Neuem mit rühmlichen Worten gedenkend, die Freuden und den Frieden der Zukunft und das Glück inmitten einer Schar blühender Enkel aufs Wärmste preisend.
Mutter Jeneveldt wusste kaum von Zeit zu Zeit ein Wort des Dankes zu finden, ein Zeichen des Beifalls zu geben; nur dann und wann nickte sie, durch Tränen lächelnd, mit dem Haupte oder reichte rechts und links ihre Hände den Begleiterinnen hin, um ihnen für ihre Liebe warm zu danken.
Anders Vater Jeneveldt.
Was seine Frau in eine weichmütige Stimmung versetzte, das gab ihm eine ungewöhnlich heitere Spannung.
Schon die ganzen Tage her, welche zu den Vorbereitungen des Festes alle Kräfte des Schlosses in Bewegung setzten, fand er es geraten, das Freudenfeuer des Witzes und Scherzes ja nicht erlöschen zu lassen; noch im Laufe der verflossenen Nacht, welche zum großen Teile dazu diente, die letzten Vorarbeiten zu vollenden, ließ er von Zeit zu Zeit zur wirksamen Ermunterung ermüdeter Kräfte »einige Luftbomben und Lachgranaten« mittn unter die Dienerschaft fallen, die denn auch den feindlich nahenden Schlaf gar wirksam vertrieben und den Arbeitenden belebend in die Glieder schlugen.
Jeneveldt war einst mit Vorliebe Offizier gewesen, hatte erst kurz vor seiner Heirat den Degen abgegeben und liebte es noch immer, bei besonderen Gelegenheiten unter militärischen Formen Anordnungen zu treffen, Befehle zu erteilen.
Heute freilich, am feierlichen Verlobungsmorgen seines Sohnes, des »Feldmarschall-Leutnants seiner samt und sonders aufmarschierten Freuden« hatte er einen großen Teil seiner »ordonanzwidrigen« Lustigkeit zum Profosen »Geziemenes« (des Geziemens, der Schicklichkeit) geschickt und war entschlossen, mit dem Rest seines schwungvollen Humors (einem wackeren Fähnlein Vaterfreuden) den Festlichkeiten des Tages entgegen zu rücken.
Es wäre daher um die neunte Morgenstnde in den Räumen des Schlosses schwerlich so gar feierlich stille gewesen, hätte nicht Vater Jeneveldt bereits draußen vor dem Tore in der Nähe des Triumphbogens eine Art Schanz aufzuwerfen und eine riesige ›Augenkanone‹ dort aufzupflanzen gehabt.
Diese Augenkanone, alias Fernrohr, wurde aufgepflanzt, um durch dieselbe ›glühende Blicke der Sehnsucht nach dem nordöstlich gelegenen Gebirge abzuschießen‹, wo bei Zeiten auf dem weißen Brett der Straße der schwarze Punkt des Wagens zu treffen war, welcher die liebliche Braut ihrer neuen Heimat zuführen sollte.
Otto Jeneveldt war inzwischen mit seinem Freunde Erbacher bis in die Nähe des großen Schlosstores gekommen und erblickte seinen Vater jetzt, wie er mit heiterer Geschäftigkeit die drei Augenkanoniere unterwies, »ihre Blicke präzise und sicher nach der Straße des Gebirges abzuschießen«. Es war ergötzlich genug, wie auf das Kommando: »Abgeprotzt« der oder jener von den Dienern an die Loppe vorsprang und auf die Frage: »Was getroffen?« voll Verlegenheit die Antwort gab: »Ein Trumm Finsternis« oder »ein Stück Nebel« oder »einen Haufen Straßensteine«. Erst als die Sehkraft der Burschen genau geprüft war, konnten die Beobachtungen verlässig angestellt und fortgesetzt werden.
Otto Jeneveldt erklärte seinem Freunde lächelnd mit wenigen Worten, was d mit der ›Augenkanone‹ vorging und winkte demselben, lieber durch ein Nebenpförtchen nach dem Inneren des Schlosse ihm zu folgen, damit der heitere Papa seine Schießübungen mit den Burschen ungestört fortsetzen könne.
Als beide Freunde in der großen Vorhof traten, konnte Friedrich seine angenehme Überraschung nicht unterdrücken über die großartig-geschmackvolle Ausschmückung aller Räume rings umher. Selbst die Wände einiger Nebenbaue, die dem Auge hätten ungefällig scheinen müssen, hatten von oben bis unten das schönste grüne Blätterkleid erhalten.
Friedrich sah im Garten Mutter Jeneveldt auf und nieder schreiten und wollte hin, um ihr seinen Morgengruß zu bringen; allein Otto hielt ihn ab, es jetzt sogleich zu tun, indem er sagte:
»Du siehst sie in Gesellschaft zweier Freundinnen, die am besten jetzt in ihre Nähe passen. Grüße sie dann, wenn alles zwischen ihnen abgehandelt ist, was so vertraute Herzen in diesem Augenblicke einer Mutter zu sagen haben.«
Beide gingen also durch das Tor des Wohnhauses, und die gleichfalls mit Blumen, Teppichen und Statuen gezierte Treppe hinauf; in den großen, noch ziemlich altertümlichen Saal eintretend, konnte Friedrich wieder nicht umhin, sein freudiges Erstaunen über die Art der Wandverzierungen zu äußern.
Otto nahm ihn lächelnd und etwas leidenschaftlich an der Hand und führte ihn nach einer Nische, die besonders festlich aussah, in welcher ein prachtvoller vergoldeter Käfig stand, einen sehr munteren, wahrscheinlich nicht lange gefangenen Hänfling beherbergend.
»Eine zarte Aufmerksamkeit meiner Mutter«, sagte Otto mit leuchtenden Augen: »Mathilde, meine Braut, hat eine wundersame Leidenschaft für derlei Tiere; von Kindheit auf hat sie gerade diese Gattung allen anderen vorgezogen, und nun soll sie auch diese kleine Überraschung bei uns finden.«
Das eigentliche Ziel der Freunde war zunächst das Zimmer Ottos, welches an den großen Saal anstieß.
Teils ein geheimer Zug der Herzen beider, noch eine Weile ungestört zu sein, bevor der Lärm des Tages in das Schloss gedrungen; teils die frühe Gewöhnung der Freunde, alle bedeutenden Momente ihres Lebens ernst und weihevoll allein zuzubringen, zog sie auch heute nach der Stille jenes Zimmers.
Sie traten ein.
Auf dem runden Tische inmitten des Zimmers stand eine Flasche des feinsten Weines, bekränzt auf einer Platte und zwei geschliffene Gläserkelche daneben.
Es bedurfte keiner weiteren Erklärung, was mit diesem festlichen Bedachte wohl gemeint sein könne, denn in demselben Kabinette, aus denselben Gläserkelchen, war schon oft von beiden Freunden einem feierlichen Lebensaugenblicke zugetrunken worden.
Otto und Friedrich traten also schweigend, aber mit Augen und Mienen, die alles, was in ihren Gemütern vorging, deutlich sagten, an den Tisch, und nachdem das reine Gold des Weines in den Kelchen mit dem Licht des weihevollen Tages spielte, stießen sie an, auf dass es hell und lieblich wie der Freundeston in ihrer Seele klinge, stellten dann die leeren Kelche nieder und umarmten sich mit einer Wärme und Lebhaftigkeit, als feierten sie, nach langer Trennung erschüttert, ein unverhofftes Wiedersehen …