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VIII.
Die Nebel fallen

Für Dobbl und Umgegend war indessen in wichtiger Tag herangekommen; der Teufel sollte, durch Gebete und Zeremonien gedrängt, die begnadete Prophetin für immer verlassen.

Da man von dem bösen Feinde während seines Ausfahrens nicht viel Gutes erwartete, so war man einige Tage her bereits auf allerlei Vorsichtsmaßnahmen bedacht gewesen, um sich und sein Haus vor Schaden zu bewahren.

Niemand ging mehr an der Wohnung der Prophetin vorüber, ohne ein Kreuz zu schlagen und gewisse Zauberworte auszusprechen; vor alle Haustüren wurden frische Rasenstücke gelegt, einer jeden Henne, die sich zu krähen unterstand, wurde sofort der Kopf abgeschlagen, wer Milch über die Straße trug, hütete sich wohl, einige Tropfen davon zu verschütten; besonders ängstlich waren jene, welche Muttermale am Leibe hatten, diese sollten dem bösen Feinde das Annähern sehr erleichtern, weshalb man sie mit kupfernen Münzen bedeckte und mit ungebleichter Leinwand dreimal umhüllte.

Nach Anwendung dieser und ähnlicher Schutzmittel wurde nun der große Morgen mit Neugier und Sorgen erwartet; er kam, und die Sonne stieg, bedeutungsvoll genug, aus einem blutroten Meer von Nebeln empor.

Schon einige Stunden vor Beginn der nie erlebten Zeremonie wimmelte es im Pfarrhof von Menschen, die gekommen waren, um das schauerlich angenehme Schauspiel einer Teufelsaustreibung zu sehen. Da Seine gehörnte Majestät von dem bevorstehenden Schicksal natürlich selbst genau unterrichtet war, so hatte Er Sich die Gnade ausbedungen, bei Seiner Ausfahrt einigen Glanz entwickeln zu dürfen; man wusste daher, dass Er im Augenblick der Flucht als mittelalterliche Jungfer zur Wohnung der Prophetin herauskommen und am Pfarrhof vorüber Sich aus dem Staube machen werde; deshalb hatte man diese Richtung des Weges auch mit frischem Sand und Blumen bestreut nach dem Grundsatz, dem Feinde sollst du goldene Brücken bauen!

So standen um acht Uhr morgens die Sachen – als eine vierspännige Postkutsche in größter Eile durch das Dorf fuhr und in der Nähe des Pfarrhofes anhielt. Ein hochgestellter Arzt, ein Regierungskommissär und zwei Gerichtsdiener stiegen aus und drei reitende Polizeisoldaten kamen nachgesprengt. Der Arzt begab sich ohne Verzug in die Wohnung der Prophetin, während sich der Kommissär zuvor einer Brillantnase an den Herrn Pfarrer entledigte und ihm dann folgte; die Gerichtsdiener und Gendarmen aber besetzten alle Ausgänge der Wohnung der Prophetin.

War dieser Zwischenfall in hohem Grade überraschend für das versammelte Volk, so war er für die Prophetin in vollem Sinne des Wortes betäubend.

Hatte sie doch diesen schönsten Tag ihres Lebens mit Sehnsucht lange erwartet, sollte sie doch die letzte Stufe der Gnade und Vollkommenheit vor Gott und Menschen eben ersteigen; – saß sie doch bereits da im weißen Kleide der Unschuld, geschmückt mit Blumen und Bändern! Da kam statt des Pfarrers mit heiligen Büchern und Gefäßen – ein Doktor! – eine Erscheinung, die für Kranke selten eine Freude ist, mit Entsetzen aber von jenen erblickt wird, die sonst keine Schmerzen haben als ein böses Gewissen.

Arzt und Kommissär versuchten nun durch freundliche Zusprache die Prophetin zu einem aufrichtigen Geständnis über ihren Zustand zu bewegen; man versicherte sie einer milden Behandlung, wenn sie die Wahrheit sagen würde, und bedrohte sie mit schwerer Züchtigung, wenn sie durch Unwahrheiten zu täuschen und hinzuhalten suchte; – statt aller Antwort bog die so Bedrängte plötzlich den Kopf zurück, geriet in eine Art Starrkrampf, zuckte dann einige Male und fiel wie leblos vom Stuhle.

Der Arzt sah den Kommissär flüchtig und ärgerlich an, bat um Assistenz der Ortsvorstände und ließ einige stille Vorbereitungen für seine Kur einleiten. Man war mit diesen kaum zu Ende, als die Prophetin wieder zu sich kam, in allerlei Verwünschungen und Flüche ausbrach, sich zu wälzen und zu krümmen anfing, die Augen verdrehte, alle Muskeln des Gesichtes verzerrte und den Hals so stark und schnell nach Schultern und Rücken verdrehte, wie man es kaum für möglich gehalten hätte. Man hob sie auf ein Bett in der Stube und redete ihr noch einmal gütig zu, sich in Geduld zu ergeben und ein aufrichtiges Bekenntnis über ihren Zustand anzulegen; allein sie schrie jetzt nur entsetzlicher, sang dazwischen kurze Bruchstücke unlauterer Lieder und suchte die Umgebung durch unverständliche Worte glauben zu machen, als rede sie eine fremdländische Sprache, hierauf fing sie an, Kopf und Füße aufs Bett gestemmt, den Leib in einem Halbkreis herumzubewegen, warf sich dann einen Fuß hoch in die Luft, fiel zurück und wiederholte dieses Treiben sechs bis acht Male hinter einander. Ermattet ruhte sie endlich wieder einige Augenblicke, welche der Arzt zu einer letzten gütlichen Besprechung benutzte; der Versuch misslang ihm aber wie die vorigen Male. Da gab er einem handfesten Mann ein Zeichen – und in dem Augenblicke, wo die Prophetin ihre Zuckungen wieder beginnen wollte, goss ihr dieser einen Kübel kalten Wassers plötzlich ins Gesicht und über den ganzen Leib.

Die Patientin stieß einen Schrei des Schreckens und der Überraschung aus, fuhr mit dem Oberleib heftig in die Höhe und starrte den Arzt mit furchtsamen Augen an; – diese nämliche Kurz, schauderhaften Andenkens, hatte man auch während ihrer letzten Haft mit Erfolg gegen sie angewendet und die Unglückselige schien im Gesicht des Arztes forschen zu wollen, ob er von ihrer früheren Haft und Behandlung wisse. Der Arzt trat ruhig näher und sprach sie mit freundlichen Worten an wie früher; eine Weile schien die Patientin sich auf eine Unterredung einlassen zu wollen, aber plötzlich besann sie sich eines andern, schrie und zuckte wieder ärger als je – bis ein frischer Kübel Wasser über sie hingoss …

Jetzt war es gewiss, dass der Doktor, so ruhig und artig er aussah, och ein strenger, unerbittlicher Herr sein müsse; – abschreckende Erinnerungen taten das Ihre auch, um zur Nachgiebigkeit zu bewegen; – die Prophetin blieb also, mit dem Gesicht gegen die Wand gekehrt, einige Augenblicke ruhig liegen und atmete nur, leise zuckend, als unterdrücke sie ein tiefes Schluchzen. winkte dann den Arzt zu sich heran und sagte:

»Ich will bekennen, was ich weiß, wenn alle anderen aus dem Zimmer gehen!«

Der Arzt erwiderte aber, dass die Zeugen durchaus notwendig wären.

»So lasst mich wenigstens aufstehen und trockene Kleider anlegen«, fuhr sie fort.

Dies wurde ihr gewährt, und man zog sich auf kurze Zeit in die Nebenstube zurück, wo eben ein seltsamer Mann erschien, um sich als freiwilliger Zeuge bei dem Verhöre zu melden. Dieser Mann stellte sich als den Baron von Scharfeneck vor und wurde vom Arzt und Kommissär seinem Range gemäß aufgenommen.

»Der Geisterbaron«, sagte der Kommissär leise, indem er an dem Doktor vorüberging, um den Herrn Baron zum Sitzen einzuladen.

Wirklich sah der Mann so ungewöhnlich aus, dass der Titel »Geisterbaron« nicht ohne Grund erfunden schien.

Klein, hager und äußerst fein von Gliedern, hatte der Herr Baron einen jener langen, schmalen Köpfe mit hoher Stirne, grauen, wenig belebten Augen und gelblich blassen, starren Gesichtszügen, welche seiner Zeit bei Gelehrten angetroffen wurden, die ihre körperliche Erscheinung um allen lebendigen Ausdruck studiert hatten. Diese Ähnlichkeit mit manchem unserer alten hypochondrischen Gelehrten war umso zutreffender, als der Baron, dem Beharren im Alten treu, noch Puder und ein Zöpfchen trug und in seiner Kleidung den entsprechenden Zuschnitt beibehalten hatte.

Mit einer ängstlichen Aufregung nahm das steife, melancholische Männchen Platz auf einem Stuhle und gab zu verstehen, wie besorgt es um das fremde Wesen sei, das man heute in einem erfreulicheren Zustande zu sehen gehofft habe.

Arzt und Kommissär erwiderten artig, dass ihnen leid sei, eine anziehende Feierlichkeit unterbrochen zu haben und Letzterer fügte hinzu, er hoffe, dass man allerseits zufrieden sein werde, wenn die erwarteten Aussagen der Fremden bekannt sein würden.

»Was hat man gegen dies höhere Wesen?« sagte der Baron mit einem leisen Seufzer: »Kennt man es denn schon genauer?«

Der Arzt trat an die Türe des Nebenzimmers, um zu untersuchen, ob sie zugezogen sei, kam dann zurück, ließ sich dem Baron gegenüber nieder und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Es ist gerade noch Zeit, Herr Baron, um Sie vor dem Verhöre mit einigen Nachrichten vertraut zu machen, die uns erst kürzlich aus zuverlässiger Quelle zugekommen sind; diese Nachrichten werden für Sie von besonderem Interesse sein, da sie bekannte Personen gerade dieser Gegend zum Ausgangspunkt haben …«

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort:

»Wie Sie wissen werden, lebte vor mehreren Jahren auf einem Gute dieser Gegend ein Fräulein namens Wilhelmine von Elben; das Fräulein war schön und mit allen Anlagen des Geistes und Herzens versehen, aber in der Erziehung war es mehr, als erlaubt ist, vernachlässigt; ihr Vater war seit ihrer frühen Kindheit nicht mehr am Leben, nur ihre Mutter befand sich um jene Zeit noch mit auf dem erwähnten Gute … Da die Familie reich war und gern auch Fremde bei sich sah, so fehlte es nicht an Gästen, welche oft aus weiter Ferne kamen und sich das angenehme Leben auf dem Schlösschen behagen ließen. Dieser gesellige Umgang hatte die Folge, dass die schöne Tochter wenigstens in ihrem äußern Benehmen alle Formen einer guten Erziehung lernte, die sie auch, durch ihre Schönheit unterstützt, so wohl anzuwenden verstand, dass sie bald einen Triumph um den anderen feierte und mit Vergnügen bemerkte, dass die männlichen Gäste sich in Eifersucht und Streit um sie verwickelten  … Allein diese Außenseite des Fräuleins war im Grunde nichts als Flitterstaat, den sie ablegte, sobald sich die Gesellschaft entfernte; sie war nur eine dünne Oberfläche ihres ungebildeten Herzens, dessen natürliche Güte durch einen hohen Grad von Eitelkeit und Eigensinn unwirksam wurde. Bei der törichten Liebe und Nachsicht der Mutter mussten diese beiden Fehler natürlich immer bedenklicher wachsen, und so geschah es, dass Wilhelmine bald die unumschränkte Gebieterin der Mutter wurde und allen Hausgenossen als kleiner Wüterich erschien; niemand durfte es wagen, ihren Ungerechtigkeiten und oft äußerst närrischen Einfällen ein Wort entgegenzusetzen – mit Ausnahme einer alten Haushälterin, welche ihre Amme gewesen war! … Diese alte Haushälterin war für Wilhelmine in allen Dingen eine wahre Prophetin, aber auch die hauptsächlichste Ursache alles Unheils, welches später über sie kam. Wilhelmine tat nichts, bevor sie nicht das Orakel der Kaffeetasse durch den Mund der Amme um Rat gefragt hatte, die geringste, die gewöhnlichste Sache hatte ihre prophetische Bedeutung. Putzte sich z.B. die Katze, so hieß es sogleich: »Es werden Gäste kommen!« – juckte dem Fräulein oder der alten Priesterin die Nase, so war ihnen nichts gewisser als eine Neuigkeit; betraf das Jucken die Hand, so gab es, wenn es die linke war, Geld einzunehmen, und war es die rechte, so erfolgten Ausgaben; juckten den beiden Damen die Augen, so hatte wieder jedes seine besondere Bedeutung, hatte das Licht einen Räuber, so kam ein Brief, rollte sich aber ein abgesonderter Faden des Dochtes, so war diese ein trauriges Anzeichen eines Todesfalles; und diese Bedeutung hatte auch das Nagen eines Holzwurmes. Die Träume waren ein besonders wichtiger Gegenstand der Aufmerksamkeit des Fräuleins und der Alten; diese zeigte bei Deutung derselben ihr Talent, die Zukunft zu enthüllen, in einer nicht minderen Vollkommenheit als beim Auslegen des Kaffeesatzes … Im Herzen des Fräuleins war schon seit einigen Jahren (man muss wissen, dass sie deren siebzehn hinter sich hatte) der Wunsch entstanden, sich vermählt zu sehen, wie es denn nicht anders kommen konnte, da die Amme ihr täglich von schönen Kavalieren vorschwatzte, in jeder Karte, in jeder Tasse schöne Jünglinge sah und durch ihre Beredsamkeit Wilhelmine den Kopf schwindelig machte. Indes hatte sich bis jetzt noch keine Mannsperson gefunden, welche diesen Wunsch hätte in Erfüllung bringen können; denn unter allen den adeligen Besuchern, welche von Zeit zu Zeit sich bei ihrer Mutter einfanden, war nicht ein einziger unverheirateter Mann; und ihre Absichten auf einen von bürgerlichem Stande zu richten, dies erlaubte ihr das ihr sehr teure Bewusstsein ihrer fünfundzwanzig Ahnen nicht … An einem unglücklichen Nachmittag, als Fräulein Wilhelmine eben mit ihrer Freu Mama am Kaffeetisch saß, kam die Amme ins Zimmer gestürzt und benachrichtigte ihre Herrschaft ganz atemlos, dass sie von Weitem einen wunderschönen Kavalier zu Pferde, mit einem Bediensteten hinter sich, aus ihrem Fenster gesehen habe, welcher seinen Weg nach dem Schlosse zu nehmen schiene: »Ach!« setzte sie hinzu, »geben Sie doch geschwind die Kaffeetasse, wir wolle sehen, ob der schöne Kavalier nicht bei uns einsprechen wird!« Das Fräulein warf beinahe den Kaffeetisch übern Haufen, um ihre nur recht eilig zu willfahren. Kaum hatte die Alte einen forschenden Blick in die Tasse geworfen, als sie mit der Miene einer wahren Prophetin schrie: »Ja! Er kommt! Freuen sie sich, spornstreichs kommt er her geritten, er hat eine Heirat im Sinne, die Heirat gilt Ihnen, gnädiges Fräulein – o! und was er reich ist! wie er Gold um sich her liegen hat!« Noch strömten diese Wunderworte von der geläufigen Zunge, als man einige Pferde in den Hof hinein galoppieren hörte. Schnell warf die Alte die Tasse aus der Hand, flog aus dem Zimmer, und das Fräulein ihr nach; – gern wäre vielleicht auch die Mutter gefolgt, wenn eine Unpässlichkeit sie nicht zurückgehalten hätte. An der Treppe kam dem Fräulein schon der Bediente entgegen, welcher seinen Herrn, den Baron von Falkenstein anmeldete. Die vermuten wohl schon, dass der Fremde keine abschlägige Antwort erhielt; es dauerte auch nicht lange, so hatte Wilhelmine das Vergnügen, sich von dem Herrn Baron die Hand küssen zu lassen. Die Prophezeiung hatte auf das Fräulein so sehr gewirkt, und sie war von deren Unfehlbarkeit so fest überzeugt, dass sie die Höflichkeit ihres Gastes auf eine so zuvorkommend liebreiche Art erwiderte, die diesen ganz entzückte. Die Mutter zeigte sich nicht weniger gütig gegen den Baron, und man brachte den übrigen Teil des Tages sehr vergnügt zu. Des andern Morgens ward der Fremde eingeladen, das Frühstück mit den Damen vom Hause einzunehmen, und er ließ nicht lange auf sich warten. Man überschüttete sich von Neuem mit Artigkeiten, und ehe es Mittag ward, hatte der Baron schon dem Fräulein mit tausend Eidschwüren beteuert, dass bloß der Ruf von den Reizen ihrer Person und ihres Verstandes ihn zu ihr geführt habe, dass er sie mehr als sein Leben liebe und dass er ewig unglücklich sein würde, wenn sie nicht darein willigte, die Seinige zu werden. Dieser Erklärung hatte er eine weitläufige Beschreibung seiner Güter und seines übrigen Reichtums vorausgeschickt; den Damen etwas von seiner Familie und von seinen fast unzählbaren Ahnen zu sagen, überhoben sie ihn, weil sie ihn gleich anfänglich versicherten, dass sie das Geschlecht der Freiherren von Falkenstein als eines der ältesten im Reiche kennten … Nie war eine Liebeserklärung wohl mit größerem Vergnügen aufgenommen und günstiger auf den ersten Augenblick beantwortet worden. Ohne erst die Meinung ihrer Mutter abzuwarten, versprach das Fräulein dem Baron ihre Hand in recht zärtlichen Ausdrücken; und Frau von Elben, gewohnt, den Willen ihres lieben Töchterchens als ein Gesetz anzusehen, stand nicht einen Augenblick an, ihre Einwilligung und ihren Segen hinzuzufügen. Nun war unmittelbar die Rede von der Hochzeit. Der Baron beschwor seine Geliebte, sein Glück nicht lange zu verschieben und erhielt einen kürzeren Termin, als er zu hoffen gewagt hatte. Zwei Tage nachher war Sonntag; die beiden Verlobten wurden ins Gebet eingeschlossen; und ehe die drauf folgende Woche noch zu Ende ging, war Wilhelmine schon die Gemahlin des Baron von Falkenstein … Aber dieser war in der Tat nichts weniger als das, wofür er sich ausgab. Ein ehrlicher Perückenmacher hatte ihm das Dasein gegeben und ihn von Jugend auf zu seiner Profession angehalten. Zu sehr Taugenichts, um dieselbe zu erlernen und zu faul, um das Wenige, was er begriffen hatte, zu seinem Unterhalte zu betreiben, verließ er im achtzehnten Jahre heimlich das väterliche Haus, nachdem er seine Eltern vorher bestohlen hatte. Von dieser Zeit an machte er den Abenteurer. Solange das entwendete Geld dauerte, führte er die liederlichste, sorgloseste Lebensart; als dieses beinahe durchgebracht war, geriet er mit Gaunern in Bekanntschaft, mit welchen er gemeinschaftliche Sache machte. Eine Zeitlang ging es gut, und er gewann eine beträchtliche Summe zusammen. Wie aber lasterhafte Verbindungen selten von langer Dauer sind, so ging es auch hier; die saubere Gesellschaft ward uneinig und trennte sich. Hinlänglich mit Gelde versehen, begab sich nun dieser Elende in die Fremde, baronisierte sich und nahm in D. seinen Aufenthalt, um daselbst sein Gewerbe, das Spiel, zu treiben. Eine Weile glückte es ihm auch hier; als er sich aber eines Abends mit einem anderen Spieler einließ, der noch mehr von jenen sauberen Künsten wusste als der vorgebliche Baron, verlor er alles, was er durch niederträchtige Mittel erworben hatte. Der Entschluss, den er nach dieser Widerwärtigkeit zur Herstellung seines Glückes fasste, war seiner würdig. Er gesellte sich zu einem anderen Bösewicht und kam mit diesem überein, eine Räuberbande zu bilden. Sie verließen in dieser Absicht die Stadt. Nach einigen Tagereisen erfuhren sie in einem Wirtshause etwas von der Frau Elben, von der Lage ihres Gutes und ihrer nur wenig zahlreichen männlichen Dienerschaft, wodurch sie bewogen wurden, einen Anschlag zu ihrer Bereicherung auf Kosten dieser Dame zu schmieden. Ihre Absicht ging dahin, sich unter den einmal angenommenen Namen eines Barons von Falkenstein und seines Bedienten bei der gastfreien Besitzerin des Schlosses ein Nachtquartier auszubitten und sie bei dieser Gelegenheit zu berauben. Die zuvorkommende Art, womit der vermeinte Baron von Mutter und Tochter behandelt ward, flößte ihm unvermutet die Hoffnung ein, dass er hier wohl sein Glück auf immer machen könnte; und dieselbe ward, wie Sie gesehen haben, auch völlig erfüllt … Ein halbes Jahr lang lebten die neuen Eheleute in der größten Einigkeit. Der Baron (wir wollen ihn so nennen) wusste sich so zu verstellen, wusste sich so zu betragen, dass er sich jedermanns Achtung erwarb. Nach Abfluss des halben Jahres starb die Mutter der jungen Frau, und nun sah sich ihr Mann im unbeschränkten Besitz von allem, weil Wilhelmines Liebe ihm nie einen Widerspruch entgegensetzte. Diese Liebe und die blinde Nachsicht der Mutter gegen ihre Tochter hatte ihn bisher in den Stand gesetzt, seine Rolle als Freiherr und Besitzer einträglicher Güter so gut zu spielen, dass niemand Argwohn schöpfte. Sein treuer Gefährte, der immer noch den Bedienten machte, musste von Zeit zu Zeit an anderen Orten Briefe mit beträchtlichen Summen auf die Post besorgen, und diese kamen denn an und wurden für die Einkünfte von des Baron Gütern, die am Rhein liegen sollten, ausgegeben. Anfänglich hatten Wilhelmines Reizen ihren unwürdigen Gatten wirklich gefesselt, allein nur zu bald ward er ihrer überdrüssig; und nicht lange darauf hasste er sie gar. Er ging mit seinem Getreuen zu Rate, und man wird wohl schon erwarten, dass kein anderer als der aller abscheulichste Anschlag das Ergebnis einer Beratschlagung war, bei welcher Bosheit und Niederträchtigkeit den Vorsitz hatten. Bald nachher bemerkte Wilhelmine eine Niedergeschlagenheit an ihrem geliebten Gatten, die nichts zu verscheuchen vermochte. Sie drang aufs Zärtlichste in ihn, und endlich, nachdem er sich lange genug hatte bitten lassen, gestand er ihr, dass seine Schwermut eine Folge der Sehnsucht nach seinem Vaterlande wäre. »Nun, wir wollen hinreisen«, war sogleich Wilhelmines Antwort. »Ach! ein bloßer Besuch«, erwiderte er, »kann mich nicht zufrieden stellen; wenn ich meine vorige Munterkeit völlig wieder erhalten soll, so müssen wir gänzlich auf meine Güter ziehen.« Kaum hatte Wilhelmine vernommen, von welcher Bedingung das Glück ihres lieben Mannes abhinge, als sie ihm auch gleich den Vorschlag tat, hier alles zu Gelde zu machen und in sein Vaterland am Rhein zu ziehen. Der Baron, der in diesem Vorschlage die Erfüllung aller seiner Wünsche sah, schloss seine Frau entzückt in seine Arme, und schon des andern Tages ward das Gut zum Verkauf angeschlagen, und die ausstehenden Kapitale wurden aufgekündigt. In Zeit von einem halben Jahre war alles berichtigt; der Baron verließ nebst seiner Frau und einer mit 60 000 Talern gefüllten Schatulle Wilhelmines Vaterland, und die Reise ging gerade nach dem Rheine zu. Schon befanden sie sich, nach des Barons Vorgeben, nur noch zehn Meilen vom Ziele ihrer Reise, als eines Morgens, da man in einem kleinen Städtchen übernachtet hatte – Wilhelmine Ihren Mann beim Erwachen vermisste. Sie rief ihr Kammermädchen, sie rief den Bedienten (den Gefährten ihres Mannes), aber es erschien niemand. Endlich ging sie hinunter zum Wirt; aber welches Entsetzen erfasste sie, als dieser sich wunderte, sie noch bei sich zu sehen und ihr sagte, dass der Herr Baron nebst dem Bedienten und dem Kammermädchen diesen Morgen schon sehr früh aufgepackt hätten und davon gefahren wären, er hätte nicht anderes gemeint, als dass die Baronin mit abgereist wäre! …

Schrecklich tönte diese Nachricht Wilhelmine ins Ohr, doch blieb ihr noch ein kleiner Zweifel über den ganzen Umfang ihres Unglücks übrig, und dieser lieh ihr Kräfte, die Treppe hinauf und in ihr Zimmer zu eilen. Sie warf einen Blick auf die Stelle, wo die Schatulle gestanden hatte – und ach, sie war weg, sowie ein Koffer, der mit Silberzeug und anderen Kostbarkeiten gefüllt war. Nun konnte sie Unglückliche dem Schlage, der sie ins Elend stürzte, nicht länger widerstehen, sie sank besinnungslos zu Boden … Als die Unglückliche wieder zu sich km, stand die alte Amme und Prophetin vor ihr und hatte den Mut und die Kraft, ihrer jungen Herrin, die sie begleitet hatte, Trost und Hoffnung einzusprechen; denn sie hatte nach ihrer ersten Bestürzung ihre Zuflucht sogleich wieder zu ihrer Prophetenkunst genommen und herausgebracht, dass noch nicht alles verloren sei, sonder dass der entflohene Gemahl über kurz oder lang Reue fühlen und bußfertig mit allen Schätzen wieder zurückkehren werde. Die Alte hatte einst vorhergesagt, dass ein schöner Kavalier kommen und das Fräulein heiraten werde – es musste nach Wilhelmines Meinung nun auch etwas an der ebenvernommenen Prophezeiung sein, und sie beschloss, ihren großen Verlust hinfort nur als einen zeitweiligen zu betrachte. Dies richtete den die Unglückliche aus so weit auf, dass sie den nächsten Morgen mit der alten Haushälterin von dannen ziehen konnte. Die Amme hatte zum Glücke manches für sich gespart und von dem Herrn Baron (aus leicht begreiflichen Gründen) wertvolle Geschenke erhalten; dies reichte hin, nach der nächsten großen Stadt zu reisen und die Rückkehr des Gemahls geduldig abzuwarten. Wahrscheinlich hätte Wilhelmine, da Woche um Woche ohne dieses Glück vorüberstrichen, die Zeit des Wartens sehr lang und lästig gefunden, wenn die Alte sie nicht in ihre verschiedenen Prophetenkünste eingeweiht – und bald auch in die verderblichsten Abenteuer verwickelt hätte, die sie nach und nach in den tiefsten Abgrund sittlicher Verderbnis niederzogen. Zwar fehlte es nun, solange die Schönheit ihre Anziehungskraft übte, nicht an Mitteln des Wohllebens, ja eines auffallenden Luxus; allein die Blume der Schönheit will heiliggehalten und vom reinen Duft der strengen Sitte genährt sein, wenn sie dauern und erfreuen soll; – Wilhelmines Schönheit welkte rasch; – und mit ihrem Verfalle musste auf eine andere Quelle der Einkünfte gedacht werden – die nun eben nun im Prophetentume und im Missbrauch der heiligsten Gegenstände des Glaubens aufgefunden wurde. Auch diese Quelle gab anfangs reichlich her; aber der Schauplatz des Betruges musste oft gewechselt werden, und Leiden und Verfolgungen aller Art waren es, die unsere Wilhelmine endlich in die Gebirge ihrer eigenen Heimat zurücktrieben, wo niemand mehr ihrer dachte oder sie erkannte … Dass nun sie es ist, Herr Baron, die wir hier in ihren prophetischen Geschäften stören, hat die sterbende Amme neulich während ihrer Haft aufrichtig selbst gestanden  …«

Schon vor Beendigung dieser Erzählung hatte sich einige Male ein dumpfes Lärmen vor dem Hause vernehmen lassen, das nun in gar sonderbarer Weise zu einer betäubenden Stärke anwuchs.

Man hatte die Entdeckung gemacht, dass aus dem Rauchfang des Hauses von Zeit zu Zeit ein schwarze Kopf mit roten Hörnern auftauchte, der wieder verschwand, sobald er sich vor den Augen der versammelten Menge nicht sicher glaubte, bald aber von Neuem zum Vorschein kam und die Beschaffenheit und Höhe des schweizerartigen Schindeldaches nach allen Richtungen prüfte. Wahrscheinlich war es die höchst unbehagliche Lage im Schlot, welche den Kopf zu der verzweifelten Anstrengung veranlasste, jetzt bis an den Hals sich hervorzuwagen und endlich auch ein paar Schultern mit Fledermausflügeln nachzuziehen; als dies ohne erhebliches Aufsehen gelungen war, schloss sich der Kopf und den Schultern auch ein Ober- und Unterleib mit einem Paar brennroter Beine an, deren eines sich aber von wegen eines daran haftenden Pferdehufs in den Zacke der Randmauer verfing und einen ziemlich eklatanten Sturz der baumlangen Erscheinung auf das Schindeldach nach sich zog.

Hatten bisher nur wenige Zuschauer vor dem Hause die höchst seltsame Erscheinung mit stummer Verwunderung gesehen, so stießen sie jetzt fast gleichzeitig einen Schrei des Entsetzens aus und veranlassten alle Augen, sich nach der Stelle des Daches neben dem Rauchfang zu richten.

Ein dumpfes Gewirr von Stimmen wogte bald durcheinander, aus dem nur ein Ruf deutlich zu vernehmen war:

»Es ist der böse Feind! Es ist der Teufel!«

Dies hätte nun freilich viele Wahrscheinlichkeit für sich haben mögen, wenn Seine gehörnte Hoheit nur etwas mehr Selbstvertrauen oder besser gesagt, Mut entfaltet hätte; aber es war denn doch zu kläglich anzusehen, wie Herr Satanas bald nach dem ganz ordinären Patsch auf das Schindeldach sich zitternd wieder aufraffte, eine sichere Versteckseite hinter der Schlotmauer suchte, dort entdeckt, die Stelle abermals mit einer besseren wechselt, hier von einem Polizeisoldaten angerufen, geradezu auf die Knie fiel und in dieser Lage von einer verwegenen Pudelmütze getroffen einen wahren Hasensatz machte, um an der niedrigsten Stelle des Daches nach dem Garten zu entspringen; hier aber starrte ihm ein Gendarmeriesäbel entgegen, dessen Blitz ihn jählings auf den unempfindlichsten Teil des Körpers niederstreckte.

Schon hatte es den Anschein, als würde sich der schwarzrote Hörnerträger für längere Zeit in diese unfreiwillige Labe finden, als ihm die Verzweiflung des Augenblickes von Neuem jene Kräfte verlieh, welche auch dem Schwachen und Kleinmütigen Unglaubliches möglich machen. Er sprang rüstig empor, taumelte mit Hintansetzung aller Gesetzt des Schwerpunkts bald rechts, bald links das Dach auf und nieder, trat in die Traufenleitung, um hinabzuspringen, wendete aber doch wieder zurück, und als am Ende durchaus kein vernünftiger Ausweg zum Entkommen übrig blieb, strebte er mit sehr uneinigen Beinen wieder nach dem Schlote zurück – um wenigstens sein schwarzes Gesicht darin zu bergen.

Diesen menschlichen Schwächen der sonst so schreckhaften Erscheinung mochte es zuzuschreiben sein, dass unter den Zuschauern der erste Anlauf des Entsetzens bald vorüber war und einem wilden Übermute Plate machte.

Mützen, Steine, Stücke Holz, und was sonst noch zu haben war, nahmen eine Luftfahrt nach dem armen Teufel empor, gefolgt von einem Lärm, der seinesgleichen suchte; und schon machte sich hier und dort ein mutiger Bursche an das Werk, um das Dach an einer guten Stelle zu erklettern und dem bösen Feinde auf Armeslänge nahe zu kommen – als plötzlich an der westlichen Seite des Daches eine Leiterspitze sichtbar wurde, eine fremde, verwilderte Mannsgestalt darauf erschien und mit wirklich unüberlegter Eilfertigkeit das Dach zu betreten suchte. Dies gelang denn auch, und mit wütender Gebärde stürzte die Gestalt nun gegen den Schlot hin, ergriff mit kräftigen Fäusten den Satan, der bereits zur Hälfte wieder im Rauchfange steckte, riss ihn heraus, zerrte ihn knirschend und fluchend nach der Vorderseite des Daches, riss ihm erst die Kopfbekleidung, dann die Fledermausflügel, dann das alte Samtmäntelchen herunter und rief, den Gegner kräftig auf die Knie niederdrückend:

»Da seht ihn an! Ist das ein Satanas? Ist das ein Teufel?«

Das versammelte Volk sah jetzt ein sehr verschmitztes Menschenantlitz, welches ohne allen Zweifel dem früher erwähnten Scherenschleifer zugehörte.

Aber schon hatte das Gesicht des wackeren Besiegers selbst alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen; – und nach wenigen Augenblicken hörte man einzeln und bald allgemein den Staunensruf erschallen:

»Der Mainhard ist's! Mainhard aus Dobbl! Er ist den Geisterwölfen entkommen! Er ist wieder da! …«


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