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Am Tage Mariä Himmelfahrt ging die Hanne Beichlin in die Frühmesse und sah vor der Martinskapelle einen Silbersechser liegen.
Sie hob ihn auf und dachte: »Wer hat das Geld verloren?« wollte es einstecken und weiter gehen, als die Lucia Bartl hinter der Kapelle hervortrat und fragte:
»Was hast du gefunden?«
Jene zeigte ihr das Geldstück und fragte, ob sie wisse, wem es gehöre.
Die Lucia Bartl aber schlug die Hände zusammen und schrie: »Ein Stück vom Schatzbaum!«
Verwundert, was damit gemeint sei, ließ die Beichlin sich das Nähere erklären, und jene sagte: da wo ein solches Geldstück gefunden werde, stehe ein unsichtbarer Baum von reinem Gold mit silbernen Ästen, daran als Blätter ausgeprägte Landesmünzen und als Früchte reine Goldklumpen und Edelsteine hängen; der Baum habe seine Wurzeln in einem unermesslichen Schatz der Erde, und sooft ein Erdbeben den Boden rüttle, falle ein Blatt vom Baume, und das sein manchmal ein Sechser, manchmal auch ein ganzer Gulden; bei ganz großen Erschütterungen löse sich auch einend er kostbaren Früchte ab.
»Das ist ja merkwürdig!« rief die Beichlin.
»Da hast du recht«, erwiderte die Bartl, »wenn du deinen Vorteil verstehst, so tust du auch, was ich dir rate!«
Sie riet ihr nun, drei Hände voll Erde von der Stelle des Fundes zu nehmen, sie in den Sack zu Silbersechser zu stecken und damit ruhig in die Kirche zu gehen; nach dem Gottesdienste solle sie, ohne ein Wort mit jemand zu reden, nach Hause eilen, auf dem Brett des Kammerfensters nachsehen, ob nicht ein blutiges Beinchen dort liege, welches sie sofort auch mit ihrem Blute benetzen und mitsamt dem Sechser hinter eine Hollunderstaude des Gartens vergraben müsste. Wären hierauf drei Tage vergangen und würden sodann in der folgenden Mitternacht fünfundzwanzig Silbergulden in Kreuzesform über die Stelle gelegt und die bewussten drei Hände voll Erde darüber gezettelt, so hätte das die allerglücklichste Folge: der Teufel werde gezwungen, eine Wurzel des Geldbaumes unterirdisch bis an den Hollunderstrauch zu leiten und da einen Tochterbaum aufsprießen zu lassen, der binnen Jahresfrist halbe Turmhöhe erreichen und schon beim nächsten Erdbeben (also längstens in drei Jahren) einen Wert von zehntausend Silbergulden abschütteln würde.
Die Hanne Beichlin war ganz erschrocken vor Freude, dankte für den guten Rat, steckte die drei Hände voll Erde gleich zu sich, ging in die Kirche, betete in wahren Stoßseufzern um Gnade, eilte dann nach Hause, fand das blutige Beinchen wirklich auf dem Kammerfenster und tat nun alles, was ihr sonst geraten war.
Freilich waren am vierten Morgen die fünfundzwanzig Gulden verschwunden, und die Hanne Beichlin erhielt auf die Frage, wo sie seien, von der Bartl zur Antwort, sie habe der Teufel geholt, um einen Kornwucherer zu bezahlen, bei dem er gegen Hypothek seines Schatzbaues das Geld vorher geborgt; ohne diese Rückzahlung wäre der Teufel nicht im Stande gewesen, über eine Wurzel des Schatzbaumes zu verfügen.
Hanne Beichlin war es nun zufrieden und hoffte von jetzt an mit Ungeduld auf den gedeihlichen Wachstum ihres Tochterschatzbaumes und auf das baldige Eintreffen eines tüchtigen Erdbebens.
Das geschah in Dobbl.
In Amsteg dagegen ereignete sich um dieselbe Zeit der folgende Fall:
Ein Austragbauer, Looser mit Namen, wollte schon längerher bemerkt haben, dass in seiner Hauswirtschaft gar nichts mehr recht zusammen gehen wolle; das Vieh wurde krank, die Bienen starben dahin, das Butterausrühren wollte nicht von Statten gehen, im ganzen Hause herrschte ein seltsam übler Geruch, und während der Nächte ließ sich allerlei in Kammern und auf Hausböden hören; ja Looser, der erst seine achtzig Jahre auf dem Rücken hatte, glaubte allen Ernstes, seine Kräfte wollten etwas nachlassen, es müsse auch ihm fehlen!
In dieser bedrängten Lage wollte er sich an die Prophetin in Dobbl um Abhilfe wenden; allein die Katharine Habl, die sich seines Vertrauens erfreute, riet ihm davon ab, weil sie, wie sie sagte, so gut als jene zu helfen wisse.
Sie übernahm denn auch die Aufgabe mit der Erklärung, dass alles Unglück von Loosers Nachbar angetan sei, der den Austrag geben müsse.
Geld im Betrage von zehn bis dreißig Gulden zweierlei Mehl, Bier, Wein, Fleisch, Wachs und Leinwand wurde nun von der Habl in Empfang genommen, teils zum Vergraben und Verbrennen, wie sie sagte, teils um Messen lesen zu lassen und Reliquien einzukaufen.
Dem Bauern dagegen wurden Zauberpäckchen eingehändigt, welche er drei Tage lang an Kammertür- und Stallfenster nageln und dann zum Durchräuchern des Hauses nach und nach verbrauchen musste.
Schon hatte der Looser an die fünfhundert Gulden geopfert und glaubte wirklich etwas Besserung in allen Dingen zu spüren; aber er meinte doch, dass nach so viel Zeit und Opfern dem Übel besser abgeholfen werden könnte.
Dies gab die Habl auch zu; nur, meinte sie, hätte sie dann den spanischen Geistlichen, der sich als Bauer verkleidet in der Gegend befinde, zu Hilfe rufen müssen, denn er vermöge jedenfalls noch mehr als sie.
»Wenn das ist, so bring' ich her«, sagte Looser.
Es geschah auch, ein fremder Mann in Bauerntracht erschien, durchging das Haus, besah und berührte das Vieh, und erklärte, es sei schon weit gekommen, aber es werde geholfen werden.
Die erste Forderung bestand in zweiundsechzig Gulden und siehe da! Die Kühe bekamen ihre Haare wieder, welche ihnen ausgegangen waren, es ging besser.
Um nun auch die übrigen Mängel zu beseitigen, erklärte der Geistliche bei seinem zweiten Erscheinen, er bedürfe eines Buches, das in einem Kloster verwahrt sei und wofür einhundert Gulden erlegt werden müssten.
Looser gab neunzig, der Rest wurde nachgetragen.
Der Geistliche kam wieder mit dem Buche, worin ein Teufel mit einem Geldsack auf dem Rücken gemalt war.
Mit diesem Buche, erklärte er, müsse er nach Miringen gehen, dort Ämter lesen lassen, ihnen beiwohnen und dabei eine geweihte Wachskerze brennend in der Hand halten.
Looser bezahlte das Reisegeld, die Ämter, die Kerze.
Aber plötzlich erschien die Habl und erklärte, der Geistliche sie wegen Mangel an Reisegeld in Miringen verhaftet worden, es müssten schleunigst fünfzehn Gulden für den Geistlichen und fünfzehn Gulden »Dusär« für den Beamten geschickt werden, damit die Freilassung gleich erfolgen könne.
Looser hatte nur noch sieben Gulden, die gab er hin, und als er auch den Rest beschafft hatte, übergab er der Habl auch diesen … Seitdem waren acht Tage vergangen, und der Geistliche sollte helfend und rettend immer noch bei Looser wieder erscheinen …
Diese und ähnliche Wunderfälle hatten sich in und um Dobbl rasch aufeinander ereignet, als auch endlich die Stunde kam, wo die Mainhardin das schauervolle Glück haben sollte, ihren von bösen Geistern entführten Mann nicht nur im Zauberspiegel, sondern, wie sie jetzt verlangte, leibhaftig wieder zu sehen.
Eines Tages erschien nämlich ein Scherenschleifer in Mainhards Hause und gab sehr geheimnisvoll zu verstehen, dass in seinem Kasten, den er auf dem Rücken trug, manches vorgehe, was sich niemand einbilden würde, dass unter Umständen – Tote sogar zu sehen wären, was natürlich für die Angehörigen von höchstem Wert sein müsste. In solchen Fällen, wo es ungewiss sei, ob ein Verschwundener bloß entführt oder getötet worden, gebe der Zauberspiegel in dem Kasten die beste Auskunft, und wenn es der Mainhardin wichtig wäre, über ihren Mann das Rechte zu erfahren, so sei er bereit, ihn sofort in seinem Spiegel erscheinen zu lassen.
Wer war froher als die Mainhardin, ihren Mann wieder zu sehen! Mit größter Freude gab sie fünfzig Gulden hin, damit der Wundermann seinen Kasten öffne. Dies geschah denn auch, und nachdem die Fenster geschlossen, ein Lichtlein an die Rückseite des Kastens gestellt war, erblickte die Mainhardin ihren Mann wahrhaftig, wie er in Gesellschaft zweier grimmig lächelnder Männer an einem Tisch im Freien saß und Karten spielte. Er schien sehr zerstreu und starrte traurig auf sein Blatt, während seine Genossen, die in Steirertracht gekleidet waren und über den Stirnen nette, braune Hörnchen hatten, sich sehr vertraulich zugrinsten. Die Gegend, wo die Männer unter einem Baume saßen, war höchst fremdartig, ängstlich gelb und sehr grell beleuchtet, so dass sie ihren Tag vom Widerschein der Hölle zu erhalten schien.
Die Mainhardin war eben im Begriff, auf die Knie zu fallen und ihren Mann bei Namen zu rufen, als der Kastenflügel wieder zuschlug und die ganze Erscheinung verschwunden war.
»Liebes Weib, wenn Ihr mit Eurerm Manne reden wollt, so ist das eine andere Sache«, bemerkte der Fremde, »für diesen Fall kann ich den Mainhard auch lebendig erscheinen lassen!«
Zitternd an allen Gliedern bat die Mainhardin um diese noch größere Gunst, zahlte fünfundzwanzig Gulden voraus und versprach hundert Gulden nachzutragen.
Der Fremde gab nun Zeit und Ort an, wo dies geschehen könnte, und schrieb der Mainhardin vor, was sie zu tun und zu lassen hätte, um einer so außerordentlichen Gnade würdig zu werden.
Seitdem waren acht Tage vorüber, und die Mainhardin hatte sich zu diesem feierlichen Augenblick vorbereitet.
Sie hatte (wie ihr befohlen war) unter dem Vorwand des Unwohlseins aller Arbeit und Zerstreuung entsagt, an nichts als Vergangenheit, Tod, zukünftiges Leben und an ihren armen Mann gedacht, hatte täglich ein kleines Bad genommen und als Speise und Trank nur Brot, dünnes Gemüse und Wasser mit etwas Essig genossen.
Jeden Abend dieser Vorbereitungswoche erschien der Geisterbanner (obiger Scherenschleifer aus Habern) und befragte das in großer Aufregung befindliche Weib noch einmal ernsthaft, ob es entschlossen sei, der gewaltigen Nachtfeierlichkeit beizuwohnen.
Die Mainhardin ließ sich trotz der wachsenden Beängstigung nicht abschrecken »Ja« zu sagen, und diese Antwort gab sie auch noch zwei Stunden vor der festgesetzten Schauermitternacht.
Sie hatte sich diesen Abend von jedem Genusse ganz enthalten und musste nun noch einmal so lebhaft als möglich die wichtigsten Lebensumstände ihres Mannes erzählen; dann traten zwei sehr vertraute Nachbarinnen herein, die acht Tage unter ähnlichen Kasteiungen gelebt hatte, es wurden ihnen die Augen verbunden, und ein Wägelchen brachte sie alle nach einem Orte, den sie nicht erraten durften.
Halb zwölf Uhr nachts mochte es sein, als man vor einem einzeln stehenden Hause anhielt und abstieg.
Es war stockfinster, am Firmamente jagte der Sturmwind ein schwarzes Heer von Wolken, eine alte Wetterfahne ächzte in der Nähe und bildete mit dem einsamen Schrei der Nachteule und dem fernen Gebell von Hunden eine schauerliche Musik.
Die Weiber wurden nun durch eine Türe geführt und befanden sich, als man ihnen die Binde von den Augen nahm, in einem Zimmer, welches schwarz ausgeschlagen, mit Hirnschädeln, Knoche und allen Schrecken der Gespensterwelt verziert war; eine Lampe mit Weingeist und Salz erleuchtete den Schauplatz unheimlich und schwach.
»Da nehmt und trinkt von diesen Lebenstropfen«, sagte der Geisterbanner jetzt und reichte den Erschütterten ein großes Glas Punsch; und sofort spürten sie die von langer Diät erkalteten Lebensgeister sich mächtig regen.
Hierauf musste man sich an kleine Tische mit grinsenden Schädeln setzten, der Geisterbanner durchräucherte die Stube mit einer Kohlenpfanne und hielt dann stockend und furchtsam eine wohlgesetzte und mit Zauberformeln gewürzte Anrede.
»Nun folgt und sei uns Uribad und Sinal gnädig!« Mit diesen Worten schritt der Geisterbanner nach der Nebenstube, und die bebenden Weiber folgten, um sogleich aufs Gräulichste entsetzt zu werden.
Denn kaum waren sie über die Schwelle und der Geisterbanner in einen Zauberkreis getreten, als ein gewaltiger Kampferblitz losging, ein dicker Nebel aufstieg und die einzigen zwei Lichter eines Tisches mit einem Knall erloschen.
Aber nicht lange sollte vollkommene Finsternis die Eingetretenen durchschauern, denn statt der Kerzenlichter loderten eine blaue und eine grüne Flamme von dem Tische auf – und Mainhards Gestalt erschien bleich, hager und eingehüllt in ein langes, wallendes Totenhemd dort in einer Ecke.
Er näherte sich langsam dem Geisterbanner und gab auf jede Frage desselben dumpf, traurig und mit vielem Ächzen Antwort.
Daraus war zu entnehmen, dass Mainhard wirklich von bösen Geistern gefangen gehalten werde, und zwar seines Unglaubens wegen.
»Sieh hin, dort liegt Dein Weib auf dem Boden und vergeht in Schmerzen; so sag' ihr nun, wie Du zu retten bist!« sagte jetzt der Geisterbanner.
»Ach, mein armes, armes Weib! O mein Leiden, meine Schmerzen!« seufzte die Erscheinung und gab nun an, es müssten fünfzehn Messen gezahlt, durch den Geisterbanner um hundert Gulden Reliquien gekauft, der Prophetin fünfzig Gulden Armensündergeld gegeben, drei Wallfahrten gemacht und täglich früh und abends zwanzig Vaterunser gebetet werden.
Nach Angaben dieses Rezeptes wieder ein Knall – vollkommene Finsternis – ein dumpfer Fall, ein Schrei … und verschwunden war der Geist; – die Weiber wurden halb tot hinausgeführt und gegen zwei Uhr morgens wieder heimgebracht. …
Waren diese und ähnliche Vorfälle in aller Stille vor sich gegangen und von den Eingeweihten sorgfältig geheim gehalten, so schien sich die Tätigkeit der besessenen Prophetin jetzt so recht mit Absicht in die Öffentlichkeit zu drängen und das allgemeine Aufsehen zu suchen.
Ihre Leiden hatten ihr eine weitere Stufe der Vollkommenheit errungen, und es fand sich, dass der böse Feind in ihr von nun an täglich zwei Stunden spazieren geschickt wurde.
Diese große Vergunst des Teufels war nun freilich den Leuten sehr unbequem, da er in der Tat berits einen wachsenden Rumor in der Gegend erregte; allen die Hochbeglückte hatte zugleich von den Engeln Macht über ihn erhalten, so dass es einer kleinen Bitte bei ihr bedurfte, um eine einzelne Person oder eine ganze Gemeinde von seinen Anfechtungen zu befreien. Auch kamen der Gegend die Fortschritte der Begnadigung zu Gute, welche die Prophetin in ihren freien Stunden jetzt verwertete. Nicht nur, dass sie während ihres glücklichen Halbschlummers den Leuten Antwort gab auf ihre schriftlichen Fragen, sie widmete jetzt auch, natürlich gegen angemessene Vergütung, einige Stunden ihres wachen und recht gesunden Zustandes der Wahrsagekunst aus dem Feuer, den Händen, den Karten, dem Kaffeesatz, den Wolken und Gewittern, den Schatten und Schuhabsätzen, Hauskreuz, Lotterielose, verborgene Schätze, Liebes- und Leberangelegenheiten gehörten in den Umkreis ihrer Macht und Wissenheit; ja sogar gegen Hühneraugen hatte sie eine Weile getan, was ihr aber jetzt schon viel zu gemein geworden – natürlich –
Denn es ging ihr gut. Ihr hübscher Körper nahm zu, das wirklich schöne Gesicht rundete sich, die Stirne wurde weiß, und die Wangen fingen an, ins Rötliche zu spielen.
Das alles schien ihr selbst nicht zu entgehen, denn sie verwendete viele Zeit auf Haar- und Kleiderputz, hatte die letzten Stücke ländlicher Tracht bei Seite gelegt und städtische dafür herbei getrieben. Hinsichtlich der Wäsche und Kost verstand sie auch keinen Spaß mehr, sie ließ daher gelegentlich einer Bäuerin sagen, ein halbes Dutzend feiner Leinwandhemden seien ihr jetzt ganz genehm; einer anderen schickte sie das »Gefräß« zurück und ließ ihr sagen, dass Butter und Eier inskünftig nicht so sehr zu sparen seien …
So standen die Sachen, als ein Ereignis anderer Art, das namentlich den Weringer beträchtlich anging, die Gegend um Dobbl einige Tage vorwiegend beschäftigte.