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Betrachten wir zuerst die süddeutschen, wie man sonst gesagt hätte, oberländischen Staaten!
Es sind die Gegenden, die man zuletzt vorzugsweise das Reich nannte: man weiß, wie voll von kleinen Unabhängigkeiten, wie mannigfaltig zerschnitten in Bistümer und Städte, Ritterschaft und kleine Fürstentümer sie waren.
Mit einem Male hörten alle diese Unabhängigkeiten auf; nur eine einzige, die der größeren Fürsten, blieb übrig.
Hierauf traten vor allem zwei Übelstände hervor.
Gerade denen wurde man hier und da unterworfen, denen man ziemlich gleichzustehen geglaubt, mit denen man zuweilen sogar in einer nachbarlichen Eifersucht gelebt hatte.
Sodann waren die Hauptgebiete nicht bedeutend genug, um die ihnen zugesellten Landesteile durch überwiegende innere Kraft anzuziehen und sich zu verähnlichen. Baden wuchs von 92 Quadratmeilen auf 274; unter Württemberg wohnten ums Jahr 1790 nicht mehr als 600 000, 1815 dagegen bei anderthalb Millionen Menschen; man zählt 78 Landesherrschaften, die dazu geschlagen worden. Nicht viel anders war es in anderen Ländern.
Wollte man nun diese fremdartigen Bestandteile wahrhaft in einen Staatskörper vereinigen, so konnte es nicht anders als vermittels starker, durchgreifender Maßregeln geschehen, wie das Kriegsoberhaupt, an das man geknüpft war, dazu Schutz und Muster gab; nur mit gewaltsamer Hand konnte man sie zügeln.
Der [1816] verstorbene König [Friedrich] von Württemberg verfuhr unnachsichtig mit seinen neuen wie mit seinen alten Untertanen. Man hat bemerkt, daß er, der dem Adel das Recht absprach, sich durch Fideikommisse zu erhalten, dennoch gefragt sein wollte, wenn sich ein Edelmann mit einer Bürgerlichen zu verheiraten dachte, daß er den ehemaligen Reichsstädten den größten Teil ihres Einkommens nahm und den größeren Teil ihrer Schulden ließ. Zugleich schaffte er die abgesonderte Verwaltung des Kirchengutes und mit ihr die ganze Verfassung des Herzogs Christoph ab; er entzog seinen wanderungslustigen Schwaben das letzte der hergebrachten Rechte, sein Gebiet zu verlassen. Dies aus so verschiedenartigen Bestandteilen, mit Ansprüchen, die einander so vollkommen zuwiderliefen, erwachsene kleine Reich suchte er im Bunde mit den neuen Ideen von der Gleichheit vor dem Gesetz und von der Unabhängigkeit der Staatsgewalt zusammenzuhalten.
Gewiß, auch für den Breisgau, der seine Verfassung unter Österreich unverletzt behauptet hatte, war es hart, dieselbe bei seiner Vereinigung mit Baden durch den Beschluß sogar eines so milden Fürsten, wie Karl Friedrich ohne Zweifel war, auf der Stelle zu verlieren ... Eine Zeitlang wurde der Adel geschont; aber noch in dem Jahre der Befreiung, noch nach der Lützener Schlacht verlor er den Rest seiner Rechte.
In Bayern hatte man schon früher, vor aller weiteren Ermächtigung, den unabhängigsten der drei Stände, von welchem, wie wir gesehen, die Erhaltung des Katholizismus in diesem Lande und in ganz Deutschland überhaupt so sehr abgehangen, den geistlichen, ohne Schonung angegriffen. Ich finde bei Rudhart, daß sich die Prälaten beschweren, man habe Abteien aufgehoben, sechs Tage, nachdem die feierlichste Versicherung gegeben worden, es solle keine aufgehoben werden. Als hierauf das Land durch den Preßburger Frieden [1805] so bedeutend vergrößert worden, vernichtete man alle einzelnen landschaftlichen Verfassungen, alle Privilegien: der Generalkommissär erhielt die Gewalt eines französischen Präfekten. Nein, in der Gesinnung des menschenfreundlichen wohlgesinnten Königs lag dies nicht; aber die herrschende Meinung erlaubte es; die Notwendigkeit der Dinge schien es zu fordern.
Eben darum aber konnte nun, als das Glück umschlug, als jene große Gewalt sank und fiel, unter deren Schirme auch die deutschen Neuerungen durchgesetzt worden, als die große Flut, die den Erdkreis eingenommen, zurücktrat und die alten Marken und Grenzen der Dinge wieder zum Vorschein kamen, eine Reaktion nicht ausbleiben.
In diesem Sinne machte man von außen her bemerklich, daß es doch einen Unterschied zwischen Souveränität und Despotismus gebe, in diesem Sinne erhob sich in dem Innern das allgemeine Geschrei nach Verfassung.
Wenn man fragt, von welcher Seite es zuerst erschollen, so wird man finden, daß es zunächst von jenen Fürsten und Grafen des Reiches erhoben ward, die in den früheren Ereignissen so große Verluste erlitten, wie der Verlust der Reichsunmittelbarkeit, einer tatsächlichen Unabhängigkeit, ist. Der Adel im Kraichgau, im Odenwalde und in der Pfalz erklärte dem Großherzog von Baden, er könne nur dasjenige Verhältnis als gesetzlich verbindend anerkennen, das auf seiner freien Einwilligung beruhe; der hohe Adel von Darmstadt behielt sich vor, über seine Rechte an den Bundestag zu gehen; von allen Beschlüssen wollte er nur denjenigen billigen, der seine Teilnahme an der Vertretung aussprach. In Württemberg kam es zu einer Vereinigung der Stände des alten Landes mit dem neu hinzugetretenen Adel. Während jene die Absonderung des Kirchengutes, die Herstellung der Ausschüsse und der Freizügigkeit, ja der ständischen Kasse, jener geheimen Truhe, forderten, verlangte dieser eine besondere Vertretung: – ein Teil begünstigte den anderen.
In dieser großen Bewegung und Gärung, nachdem zuerst infolge der Weltereignisse die Regierungen ihr Gebiet so ungemein erweitert, so viel Rechte verletzt, so viel Unabhängigkeiten unterworfen hatten, nachdem hierauf durch den Umschlag der Begebenheiten und den Fall derjenigen Gewalt, in deren Bunde, durch deren mittelbar oder unmittelbar nötigenden Antrieb dies größtenteils geschehen, die alten Lebenselemente doch noch einmal wieder emporgekommen waren, in dieser unvermeidlichen, aus der Natur der Dinge hervorgehenden Gärung konnte niemand zweifeln, daß eine gesetzliche, soviel tunlich, freiwillige Ausgleichung erforderlich, ohne Frage notwendig war.
Jene Fürsten selbst waren weit entfernt, dies zu bezweifeln. Keineswegs hatten sie, etwa um ihres Vorteils willen, sich gegen das allgemeine Unglück verhärtet; sie hatten es als ihr eigenes gefühlt; bei dem großen Umschwung der Begebenheiten hatten sie so gut wie ihre Völker sich erinnert, daß sie Deutsche waren: in diesem Gefühl hatten sie zu gerechtfertigteren Waffen gegriffen als sie früher geführt; durch ihren Abfall von der Macht, an welche sie sonst gebunden zu sein schienen, hatten sie ihre Rückkehr zu den alten Grundsätzen des Rechts kundgetan; sie hatten zu dem Sturze derselben soviel an ihnen lag beigetragen und hierdurch an dem großen Ereignis einen Anteil genommen, selbsttätig genug, um dadurch in ihrem neuen Bestehen gesichert zu sein. Leicht sahen sie, wieviel noch fehle, daß die Bestandteile ihrer Länder oder die Verschiedenheiten ihrer Provinzen miteinander versöhnt und ausgeglichen wären; so boten sie ihre Hand – es war gerecht, es war unvermeidlich – zu den Verfassungen...
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Anders als in den oberländischen Gegenden griff man die Sache in den restaurierten nördlichen Staaten an, dort, wo die Regierungen durch die Revolution verjagt worden waren, wo denn die Neuerungen im Widerspruch mit ihnen unternommen, von ihren Feinden bewerkstelligt, sich unmöglich ihres Beifalls erfreuen konnten.
Zwar, wie wir ein andermal auszuführen gesucht haben, waren weder jene mit Napoleon noch diese mit den Bourbonen auf gleicher Stufe: selbst in den Gebieten der ersten war die Revolution nicht so ganz Meisterin geworden, und es waren doch die alten Fürsten, welche die Zügel in der Hand behielten; in den anderen war die Bewegung nicht von dem Volke ausgegangen, noch hatte man Emigrierte zurückzuführen; allein vermöge der Natur der Dinge mußten die Prinzipien, die man befolgte, einander entgegengesetzt sein, so wie es der Punkt war, von welchem man ausging.
In Hannover taten sich die unterdrückten Privilegien wieder hervor, z. B. die Steuerfreiheit des Adels, seine Begünstigung im Militär. Man kehrte in der Administration zu den verlassenen Bahnen zurück und schaffte die Trennung der Justiz von der Verwaltung nicht allein da ab, wo sie neu, sondern selbst da, wo sie alt war; – obwohl man Bedenken trug, die alten Landschaften geradezu wiederherzustellen, so setzte man doch die provisorische Ständeversammlung aus einer überwiegenden Anzahl von Repräsentanten der alten Interessen zusammen. Sie empfing den Auftrag, »die Verhältnisse aller Stände in billigem Gleichgewicht zu erhalten und das Beste des Ganzen, welches nur in dem Besten der einzelnen Teile bestehe, zum Ziele ihrer Bemühungen zu machen.« Ob sie das aber auch getan? Ob sie imstande war, es zu tun?
Als der alte Kurfürst von Hessen aus seiner Verbannung zurückkam, wollte er die exotischen Pflanzen, von denen, wie er sagte, auf hessischem Boden kein Gedeihen zu erwarten war, nicht um sich dulden. Gegen alle Hervorbringungen der Revolution, der westfälischen Zeit, bezeigte er Abscheu und Widerwillen. Er vereinigte aufs neue Verwaltung und Justiz; das alte Beamtenwesen, die alte Munizipalverfassung stellte er wieder her; er richtete die Lehnsabhängigkeit wieder ein. Jedoch ging er hierin nur so weit, als es seinen alten Überzeugungen und dem Gutachten seiner Räte nicht widersprach. Was ihm früher selber lästig gewesen und schädlich geschienen, wie die Steuerfreiheit oder das Patronatrecht der Edelleute, stellte er entweder nur zum geringen Teile her oder ließ es völlig abgeschafft. Er wollte eine Regierung in den althergebrachten Formen, strenge, soldatisch, wie er sie in seiner Jugend an Friedrich dem Großen bewundert hatte. Er hielt sich in abgemessener eigensinniger Fürstlichkeit. Da er nun einiges abschaffte und anderes nicht herstellte, nicht ohne Einseitigkeit und wenigstens den Anschein von Willkür; da er zwar in seinem Bewußtsein niemals unrechtlich, aber doch in der Tat nach dem allgemeinen Urteil mehr geizig als sparsam das Kammergut in seiner ganzen alten Berechtigung sowohl den einzelnen als auch dem Lande gegenüber geltend zu machen suchte, so erhob sich wider ihn ein Sturm von Opposition, dem die Interessen der Domänenkäufer vornehmlich die Farbe gaben und das allgemeine Wort liehen.
Auch in dem benachbarten Braunschweig konnte die heftige, hastige Art, mit welcher der zurückkehrende Herzog Altes und Neues vermischte, der unverhältnismäßige Militärstand, den er, kriegerisch gesinnt wie er war, einrichtete, seine Abneigung auf der einen Seite wider Preußen, auf der anderen wider alle westfälischen Einrichtungen, der er ihren Lauf ließ, nicht anders als mannigfaltige Mißverhältnisse hervorbringen. Doch war ihm nur eine kurze Laufbahn, nur eine flüchtige Wirksamkeit beschieden. Die vormundschaftliche Regierung wußte die Klippen glücklich zu vermeiden, bis zuletzt wieder ein Sprößling aus diesem an außerordentlichen Geburten so reichen welfischen Geschlechte hervortrat, der seinen Vater, an seltsamer Willkür weit überbot und in einer Leidenschaft, deren Schlüssel leicht zu finden ist, die bereits ruhenden Triebe der Bewegung wieder in Gärung setzte.
Man bemerkt leicht, daß es wohl Bestandteile sind, ähnlich den ersten, aus denen auch diese Staaten sich zusammensetzen; allein ihre Mischung ist verschieden; die Richtung, welche die höchste Gewalt infolge der Vorgänge, die ihr das Dasein wiedergaben, nehmen mußte, ist mehr dem Alten verwandt als dem Neuen. Obwohl die Schwierigkeiten schon an sich und überdies auch darum geringer scheinen sollten, weil nur Hannover mit einigen neuen Landesteilen vergrößert worden und nicht so viele eben erst herabgedrückte Unabhängigkeiten zusammenzuhalten waren, so ist es doch, die Wahrheit zu sagen, nur wenig gelungen, sie zu überwinden.
Immer wird die Willkür den Widerstand aufrufen, Auch muß man sich nicht überreden, daß jemals eine vollkommene Restauration möglich sei. Das Leben hat indes neue Hervorbringungen getrieben, die nicht zu verneinen, nicht zu beseitigen, nicht zu unterdrücken sind.
Mit allgemeinen Gedanken wird es nicht ausgerichtet. Man tat in Hannover, wozu der König von Württemberg nicht zu bringen war: man stellte die alte Verfassung her. Allein eine eindringendere, angemessenere Ausgleichung forderten die Dinge. Dem König von Württemberg half es nicht, daß er sich den neuen Interessen günstig zeigte; die Regierung von Hannover förderte es wenig, daß sie den alten zugetan war; diese fand eben darum in den neuen, jener in den alten eine starke Opposition.
Auch hier möchte wohl der Erfolg bezeugen, daß man nicht ganz die rechten Mittel ergriffen hatte ...
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Diesen beiden Staatengruppen gegenüber stehen nun die großen Mächte, wenn uns nicht alles täuscht, in ihrem besonderen Charakter, in ihrer eigentümlichen Aufgabe.
Österreich, aus so verschiedenen Stämmen deutscher und magyarischer, slawischer und italienische Zunge zusammengesetzt, muß eine Einheit suchen, die auf ganz anderen Grundsätzen beruht, als welche ein kleiner, einfach gemischter Staat anwenden kann; auf eine ganz andere Weise muß diese Einheit die einzelnen Teile umschließen oder ihnen ihre Freiheit lassen.
Näher, weil es von kleinerem Umfange, weil es doch in seinen wesentlichen Bestandteilen so überwiegend deutsch ist, steht Preußen den übrigen Staaten. Sei es uns erlaubt, auf dem schwierigen Wege, von dessen Gefahren wir uns nun einmal nicht haben abschrecken lassen, auch daranzugehen, eine Aussicht über die innere Lage dieser Monarchie zu gewinnen.
In den großen Jahren der Gefahr war, wie bekannt, eine neue Entwicklung genommen worden, den übrigen dieses Jahrhunderts analog, aber von eigentümlichem Genius durchdrungen, durchgreifend, aber gesetzlich, nicht im Bunde mit den Fremden, sondern in Opposition wider sie. In den alten Provinzen, in denen seit langer Zeit von keiner Unabhängigkeit die Rede gewesen, in denen demnach nicht so entschiedene Gegensätze zu überwältigen waren, Provinzen, deren Dasein und innerer Bestand schon lange mit dem Namen, dem Ruhme, dem Glück und Unglück der Monarchie eins geworden, hatte man sie durchgeführt; zwar, wie natürlich, nicht mit allgemeiner Beistimmung, allein auch nicht mit jenem starren Eigensinn, der an dem untauglich Befundenen schlechterdings festhalten will; in dem Gefühl eines unleugbaren Bedürfnisses; mit Wohlwollen und Rücksicht; nicht ohne Zwischenräume, welche Erfahrungen zu machen und zu benutzen erlaubten; in der Aussicht fortwährender Verbesserung. Man hatte daselbst wohl nach beiden Zeiten hin ausweichende Ansichten; aber keine eigentliche Opposition. Niemand wird dies sagen können. Wäre eine solche aber auch vorhanden gewesen, so wäre sie durch den großen Gang der Ereignisse überwältigt und mit fortgerissen worden.
So stand man, als man durch eine Anstrengung aller öffentlichen und privaten Kräfte das Verlorene wieder eroberte und den zur Wiederherstellung der Monarchie in ihre alte Größe und europäische Bedeutung bedungenen Zuwachs neuer Provinzen erwarb.
Selten hatte ein Staat eine schwierigere Aufgabe.
In einigen dieser neuen Provinzen hatte die Revolution den größten Teil ihrer Verwandlungen durchgemacht und das oberste zu unterst gekehrt, wie am Rhein. Es waren andere, an die sie nicht gleich von Anfang gekommen, in denen sie nur einen Teil ihrer Absichten durchgeführt, alle in einen sehr starken Widerstand gegen eben dieselben zurückgelassen hatte, wie in Westfalen. Es wurden alte Landschaften wieder erobert, in denen seitdem die Neuerungen eines revolutionären Königreichs mit den früheren Instituten der Monarchie in Kampf gesetzt worden waren. Noch andere Verschiedenheiten ließen sich bemerken. Man hatte hier beide Schwierigkeiten zusammen. Man hatte Restauration; man hatte auch Erwerbung und Einverleibung. Sollte man auf der einen Seite darangehen, das Alte wieder herzustellen und das Neueingetretene zu vernichten, weil es ungesetzlich gewesen? Sollte man allgemeine Normen annehmen und etwa die Rheinlande der Mark gleichzumachen suchen, oder diese jenen? Oder sollte man sonst eine wesenlose Idee von Monarchie aufgreifen und ins Werk zu setzen suchen?
Solche Versuche von rein doktrinärer Art würden alle Möglichkeiten der Opposition noch vor der eigentlichen Vollziehung der Vereinigung in Bewegung gebracht haben.
Für die Lage, in die man kam, ist es gewiß als ein Glück anzusehen, daß in den alten Provinzen so wesentliche Verbesserungen vorgenommen worden. Man hatte Institute, welche das Alte und das Neue vermittelten.
Hierdurch geschah, daß die Landschaften, welche man zurückerwarb, sich leicht und gern von den Veränderungen, welche die fremde Gewalt eingeführt, lossagten, auch dann, wenn dieselben einem gewissen Bedürfnis entsprachen. Noch hatten diese Einrichtungen doch während der kurzen Zeit der fremden Herrschaft nicht eigentlich Wurzel gefaßt; sie waren oft mit schonungsloser Härte durchgesetzt worden; beide Teile, nicht minder der, welchen man begünstigte, als der, dessen Nachteil offenbar war, fühlten sich verletzt, verstimmt und unmutig; sie standen einander überdies in heftigem Hader gegenüber. An deren Statt empfingen sie nunmehr die Verbesserungen, die man unter der gesetzlichen Monarchie mit milderer Hand eingeführt hatte, die dem nämlichen Bedürfnis entgegenkamen und eine enge Verwandtschaft mit ihrem alten Dasein bewährten.
Irren wir nicht, so geschah eben hierdurch, daß die Besitznahme der sächsischen Provinzen, die in sich selber – es ist nicht zu leugnen – so viel schneidendes und Hartes hatte, doch so gut vonstatten ging. Man fühlte sich dort in den alten Formen schon lange gedrückt und unbehaglich; die Veränderungen erschienen den meisten als ebenso viele Verbesserungen. Leicht verähnlichte man sich dem organisierten Körper einer mächtigen, Schutz verleihenden, in ihrem Ursprung und ihrer Ausbildung, ihrer Religion und Sinnesart so nahe verwandten Monarchie.
Die vornehmste Schwierigkeit lag in den beiden westlichen Provinzen [Westfalen, Rheinland], die überdies einander geradezu entgegengesetzt waren.
Ich will nicht behaupten, daß alles nun gerade so eingerichtet worden sei, daß besser unmöglich gewesen wäre. Allein sollte und konnte man alle Forderungen der einen, die so oft ihren Ursprung in der Revolution hatten, bewilligen? Oder hatte man in der anderen das Lehnsystem der altbischöflichen Lande wieder aufzunehmen und den Adel in die Rechte einzusetzen, die er durch den Impuls der Revolutionszeiten verloren hatte? Sollte man sich in ein gewaltsames Zerstören des Entstandenen, in ein willkürliches Aufrichten des Zugrundegegangenen einlassen?
Glücklicherweise hat die Monarchie einen solchen Umfang, daß es nicht notwendig war, alle Provinzen eine mit der anderen in eine jede Abweichung ausschließende Gleichförmigkeit zu setzen.
Wenn nur die allgemeinen Institutionen, deren Doppelseitigkeit auch hier einen großen Vorteil gewährte, sie wesentlich zusammenhielten! Der Verwaltung, die notwendig Einheit sucht, gegenüber wurden die Provinzialstände eingerichtet, um die Eigentümlichkeit der Landschaften in Schutz zu nehmen.
In welch eine unselige Nichtigkeit und Abhängigkeit von dem Auslande war der deutsche Verkehr durch die zusammenwirkenden Erfolge des napoleonischen Systems, der Kriege und des Friedens geraten! So tätig und gewerbsam die Nation sein mag, so war doch ohne eine festere Stellung gegen das Ausland, ohne befreiende innere Maßregeln eine wahrhafte Ermannung nicht möglich und alle Bemühung zur Hälfte vergeblich.
Von allgemeinen Unterhandlungen unter den verschiedenen deutschen Staaten, von gemeinschaftlichen Verabredungen im voraus ließ sich indes hierfür nichts erwarten, da der Gegenstand allzu tief mit dem Haushalte jedes einzelnen zusammenhing.
Durch seine Lage darauf angewiesen, durch seine Bedürfnisse genötigt, griff endlich Preußen auf eigene Hand, für sich allein, zu rettenden Maßregeln. Was die tiefsten Geister, die sich je mit Staatswirtschaft beschäftigt, in reiner Anschauung der Realität der Dinge, gefunden und gelehrt, hatte Preußen unter allen Staaten zuerst den Mut zur Ausführung zu bringen. Solange sich die fremden Staaten nicht zur Reziprozität verstanden, mußte es sich ihnen freilich noch immer entgegensetzen; aber wesentlich adoptierte es die Grundsätze eines freien inneren Verkehrs, eines freien Handels nach außen [1818]. Diese Grundsätze erprobten sich in ihrem Erfolge über alle Erwartung.
Allerdings trennte es sich hiermit zugleich von dem übrigen Deutschland, es sonderte sich selbst von seinen Nachbarn mit Entschiedenheit ab; und die innere Trennung von Deutschland schien damit eher zu wachsen. Aber gerade in dieser Stellung lag die Möglichkeit einer Abhilfe des vornehmsten Übels. Es gab ein Mittel, durch welches man sich mit einem Male sowohl der inneren Trennung entledigen als in eine respektable Verfassung gegen das Ausland setzen konnte: man brauchte sich nur dem preußischen System anzuschließen; dazu bot Preußen die Hand.
Oder wäre dies System darum nicht anzunehmen, weil es nicht durch gemeinschaftlichen Beschluß zustande gekommen, sondern von einem einzelnen Staate ausgegangen war?
Ich sollte nicht denken, wenn es sich nur gut und nützlich erwies; hatte es doch jetzt sogar den Vorteil, schon erprobt zu sein.
Zu einer solchen Vereinigung geschah der erste entscheidende Schritt von dem Großherzogtum Hessen [1828]; bald ist ein zweiter gefolgt, von dem Kurfürstentum Hessen; der Kreis der Unterhandlungen hat sich immer mehr erweitert; der größere Teil der deutschen Staaten, außer Österreich, ist dem System 1834 beigetreten ... Für den gewerblichen Zustand Deutschlands war dreierlei erforderlich: die Befreiung des inneren Verkehrs – eine feste Stellung gegen das Ausland –, die Berücksichtigung der finanziellen Bedürfnisse der verschiedenen Länder ... Man erwarte, durch eine solche Vereinigung würden diese Forderungen sämtlich erledigt werden. Die Schlagbäume, die ein Gebiet von dem anderen trennen, würden fallen; für das einheimische Gewerbe würde sich ein Markt eröffnen, wie ihn Deutschland niemals gekannt hat; alle mit dem Handel zusammenhängenden Lebenszweige würden durch ihre eigene Regsamkeit, ihre eigene Kraft emporkommen. Die gewerbliche Intelligenz von Deutschland könnte erst in Zukunft recht zeigen, was sie vermag, wessen sie fähig ist. Wenn nun hierdurch die Konkurrenz mit dem Auslande zu einer noch ganz anderen Bedeutung steigen müßte, als die sie bisher erreicht hat, so würde man jetzt erst vollkommen frei von demselben; man würde seine Willfährigkeiten und seine Verletzungen gemeinschaftlich zu erwidern imstande sein. Was fünfzehn Jahre früher kaum wenige Privatleute in flüchtiger Hoffnung in Gedanken zu fassen, aber nicht einmal zu einem Umriß der Ausführbarkeit, zu einer haltbaren Aussicht zu bringen vermochten, würde man ruhig, ohne Erschütterung, zu allgemeinem Nutzen ausgeführt sehen. Wer wollte sich an kleine Unbequemlichkeiten stoßen; durch große, nationale Vorteile würden sie aufgewogen werden.
König Friedrich Wilhelm IV. erscheint in einer großartig eigentümlichen Haltung und Sinnesweise, die wir wohl nicht versäumen dürfen in ihren Grundzügen und allgemeinsten Beziehungen möglichst objektiv zu vergegenwärtigen.
Die Gemeinschaft der gesamten Christenheit umfaßte er von einem freieren Standpunkt aus, als der römische Papst: die lateinische und die griechische Kirche betrachtete er als gleichberechtigte Glieder derselben; ebenso auch die protestantischen Kirchen: der Episkopalismus der Engländer, die unabhängigen kirchlichen Bildungen Nordamerikas, die Lutheraner und Calvinisten des europäischen Kontinents, vornehmlich in Deutschland, getrennt oder uniert, galten ihm als Bestandteile einer einzigen zusammengehörigen Genossenschaft. In dem Glauben der Evangelischen, welcher die durch nationale Irrungen oder vorübergehende Zeitereignisse herbeigeführten Zufälligkeiten abgestreift hat, erblickte er den reinsten Ausdruck des Gedankens des göttlichen Stifters, in dessen Wesen er sich mit gläubiger Inbrunst vertiefte. Denn über seiner umfassenden Weltanschauung ging ihm das Mysterium des menschgewordenen Wortes nicht verloren. Er gestattete mancherlei Formen; auch die quäkerischen fanden seine herzliche Anerkennung; nur da hörte diese auf, wo der lebendige Gott nicht mehr unmittelbar angebetet und das ewige Heil aus den Augen gesetzt wurde. Von den evangelischen Grundlehren, die auf diesem Moment beruhen, durchdrungen, von ganzer Seele bibelgläubig, gab er doch keinem Hasse weder gegen Griechen noch gegen die Katholiken Raum; nur die Übertreibungen des Papismus, die damals emportauchten, zunächst in dem Kultus der Jungfrau, erweckten seine Antipathie.
Die politische Gesinnung des Königs wurzelt in dem Kampfe gegen den ersten französischen Imperator, von dessen unterdrückender Obergewalt sich Preußen in Verbindung mit den übrigen europäischen Mächten losgerissen hatte, und der dann der allgemeinen Anstrengung, die in Preußen am stärksten und populärsten auftrat, unterlegen war. In dem Imperator haßte der König nicht sowohl die Person, als den Vertreter des revolutionären Prinzips, welches, indem es alle bestehenden historisch erwachsenen Ordnungen vernichtet, der Usurpation und Gewaltsamkeit Tür und Tor geöffnet habe. Die Legitimität hatte für ihn einen noch außerhalb seines Rechtes liegenden Wert darin, daß sie zu dem Widerstande den Mittelpunkt gebildet und die Völkerkräfte um sich vereinigt hatte. Er hielt für notwendig, an den alten Ordnungen festzuhalten, die bei der Entstehung der abendländischen Staaten begründet worden waren, sich in den mannigfaltigsten Abwandelungen fortgebildet hatten und noch weiterer Fortbildung fähig schienen. Den vornehmsten Ausdruck derselben sah er in dem deutschen Reich, dessen Idee er selbst in dem Zerfall der Einheit erkannte und festhielt; er schloß sich ihr mit Hingebung an; ein vereinigtes und kampfgerüstetes Deutschland bildete sein Ideal, zumal auch Preußen darin fast die vornehmste Rolle spielen mußte. Wie der Umfang seines Gebietes und des deutschen Bundes überhaupt infolge des großen Kampfes bestimmt worden war, so wollte er denselben behaupten, im Verein mit den verbündeten Mächten, nicht selten wieder im Gegensatz gegen die revolutionären Gewalten.
Denn kaum war der Imperator gefallen, so regten sich die Tendenzen, die derselbe im großen und ganzen teilte, aber im einzelnen niederzuhalten verstand, in freier Bewegung, gereizt durch die Mängel der versuchten Restauration, und erweckten allenthalben die Analogien, die sie durch ihre lange und glückliche Aktion hervorgebracht hatten. Rußland und England wurden davon nicht unmittelbar betroffen; das erste machte den Versuch, sich gegen die Bewegung zu verschließen und sie, wie einen äußeren Feind, abzuwehren; England wollte, durch die doppelseitige Natur seiner Verfassung bewogen, sich neutral dazu verhalten.
Der neue Kampf vollzog sich in dem kontinentalen romanisch-germanischen Europa. Da trat in den restaurierten romanischen Ländern eine weit verbreitete revolutionäre Bewegung ein, die durch das Ereignis von 1830 das allgemeine Übergewicht und einen unermeßlichen Einfluß auf Deutschland erlangte.
Österreich und Preußen nahmen dagegen abweichende Stellungen.
Das erste, in seinen europäischen Verhältnissen bedroht, hielt sich folgerichtig auf dem Wege des absoluten Widerstandes, für den es auch sein altes Ansehen in Deutschland verwendete.
Der Zweck der preußischen Regierung, vor allem Friedrich Wilhelms IV. war dagegen, die alten Institutionen in einem den Forderungen der Zeit gemäßen Sinne auszubauen, so daß kein Antrieb übrigbleibe, durch welchen das Land nach der anderen Seite hin getrieben würde. Mit den liberalen Ideen, die ja in dem preußischen Staat namentlich durch die Städteordnung und die Gesetzgebung über das Landeigentum Eingang gewonnen hatten, würde sich der König in verwandter Form vielleicht verständigt haben; aber in ihrem Gefolge trat noch eine andere Bewegung auf, die ihm allgemeines Verderben zu enthalten schien: die des Radikalismus und Sozialismus, welche der gesamten gesellschaftlichen Ordnung den Boden unter den Füßen zu entreißen drohte, und deren Anhänger alle Offenbarung und selbst den Glauben an den lebendigen Gott von sich warfen. Diesen zu widerstehen hielt er für seine vornehmste Pflicht als Fürst, als Christ, wie als Mensch; er verwarf das liberale System, weil er keine greifbare Grenze zwischen den Grundbegriffen der Liberalen und Radikalen entdecken konnte: in der Verbindung der beiden sah er die Gefahr der gebildeten Welt.
Indem Friedrich Wilhelm IV. diesen Elementen ein unüberwindliches Bollwerk entgegenzusehen beschäftigt war, wurde er von ihnen überrascht und mußte ihnen weichen.
Seine Regierung wird durch den 18. März in zwei verschiedene Perioden geschieden, in denen er doch die Identität seiner Gesinnung bewahrte.
Denn auch in der zweiten blieb er weit entfernt, den revolutionären Tendenzen, die so häufig den konstitutionellen Formen verbunden sind, nachzugeben. Er hätte sonst einfach die belgische Verfassung herübergenommen und sich den Anschauungen der Frankfurter Versammlung angeschlossen.
Daß er es nicht tat, kann als die vornehmste Handlung, wenigstens als die nachwirkendste seines Lebens betrachtet werden.
Nach beiden Zeiten hin erhielt er das Selbst des preußischen Staates. In der Verfassung behauptete er den Nerv des monarchischen Prinzips; in bezug auf das deutsche Reich bezwang er seinen Ehrgeiz und ließ sich nicht durch den geheimen Wunsch seines Herzens dazu verführen, das Prinzip zu verleugnen, welches er bekannt und auf seine Fahne geschrieben hatte.
Dazu gehörte ein Mann von der idealen und doch strengen, der im einzelnen biegsamen und im ganzen festen Gesinnung, von der geistvollen, aber in die Institutionen und das Leben alter Zeit versenkten Weltauffassung, die ihm eigen waren. Eine Überzeugung von einer Nachhaltigkeit und Tiefe, wie sie ihm innewohnte, war erforderlich, um die konservativen Grundsätze, die aus einer großen Vergangenheit stammten, nicht untergehen zu lassen für Zukunft und Welt.
Dabei ist nun aber nicht zu verkennen, daß zwischen seinen Ideen und ihrer praktischen Durchführung, bei den ganz veränderten Umständen ein weiter Abstand eintrat; sein nach vielen Dichtungen hin anstrebender Geist bildete eine neue Schwierigkeit für die Verwaltung. Mit der verdienstvollen Bureaukratie, die er vor sich fand, konnte er sich nie verständigen, da er sie unaufhörlich nach einem Sinne lenken wollte, der nicht der ihre war. Dieser Widerstreit gab seiner Regierung den Charakter der Unsicherheit und des Schwankens; aber die Entwicklung der inneren Lebenskräfte hat dabei nicht gelitten.
Wenn man sich des Zustandes erinnert, in welchem er die Regierung übernommen hatte – mit patriarchalischer Fürsorge waltend, aber zugleich trocken und einseitig gebieterisch –, wie war unter ihm alles so ganz verändert, von Leben und eigener Regsamkeit erfüllt, freilich nicht ohne tiefe Gärung.
In der Politik kann man überhaupt zwei Direktionen unterscheiden: das Ergreifen der beherrschenden Ideen und die Verwaltung der laufenden Geschäfte. Glücklich der Regent, für den beide zusammenfallen und ein einziges Ganze bilden.
An Friedrich Wilhelm IV. tadelten die Mitlebenden, daß er die jeweiligen Zeitumstände nicht entschlossen genug benutzte, so daß er mit alle den Mitteln, über die er verfügen könne, doch nichts ausrichte; seine auf Zustände der Vergangenheit begründete Doktrin hindere ihn, in die Fragen des Tages energisch einzugreifen, und gebe seiner Tätigkeit selbst eine falsche Richtung; sein stetes Schwanken mache jeden Erfolg unmöglich und entziehe ihm das allgemeine Vertrauen. Und so mag es scheinen, wenn man die Verhandlungen, soweit sie bekannt wurden, in ihren Einzelheiten auffaßt und danach urteilt... Sein Briefwechsel aber führt doch zu einer anderen Ansicht.
In der Mitte der miteinander ringenden Weltkräfte, die einander das Gleichgewicht hielten, war für den preußischen Staat eine neutrale Politik geboten, nicht eigentlich um das Gleichgewicht zu erhalten, sondern vor allem um sich selbst zu behaupten, Erwägungen von religiös-moralischem Inhalt über Recht und Unrecht der streitenden Parteien oder Staatsgewalten übten Einfluß auf die Entschließungen Friedrich Wilhelms. Aber überdies hatte er jeden Augenblick das lebendigste Bewußtsein seiner eigenen Stellung, die ihm Rücksichten und selbst Nachgiebigkeiten auferlegte. Und immer schwebte ihm die Bedeutung des Moments für die Zukunft vor Augen. Die Welt sah in seinem Verhalten häufig charakterlose Oszillation und Unentschlossenheit, nicht die dabei doch immer vorwaltende einheitliche Direktion. Heutzutage aber ist es möglich, den Blick über den momentanen Eindruck hinaus auf das Konstante in der Politik des Königs zu richten. Dann treten doch, wenn wir uns nicht täuschen, die Wirkungen derselben für den preußischen Staat und Deutschland als überaus bedeutend hervor: der heutige Zustand beruht großenteils darauf.
Ein unendlich wichtiger Schritt war es doch, daß er die absolute Monarchie, wie er sie von seinen Vorfahren überkommen, mit einer ständischen und deliberativen Institution in Verbindung brachte, die, wie sie sich auch entwickeln mochte, allemal der monarchischen Gewalt Schranken gezogen haben würde. Er kam damit nicht zu dem Ziele, das ihm vorschwebte; die liberalen und demokratischen Ideen gewannen die Oberhand. Dann war es seine vornehmste Absicht, in der neuen Verfassung die wesentlichen Bedingungen der Monarchie zu retten. Ihm vor allem gehören die Bestimmungen der Verfassung an, die das finanzielle Bestehen des preußischen Staates von der Fluktuation der Parteien und dem jeweiligen Übergewicht der Opposition unabhängig machen: dem Königtum hat er seine unmittelbare Autorität über das Heerwesen gesichert: man darf darin wohl die beiden Grundpfeiler der Monarchie in dem konstitutionellen Preußen erkennen.
Indem Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone unter den Bedingungen und Umständen, unter denen sie ihm angeboten wurde, ablehnte, hat er doch die Erwerbung derselben in anderen Formen unter einer veränderten Weltlage möglich erhalten und selbst angebahnt. Sein Grundgedanke, einen Bundesstaat zustande zu bringen, unabhängig von Österreich, aber nicht feindselig gegen diese Macht, hat sich nach den großen Kämpfen, die seitdem [1864–1870] ausgefochten worden sind, zuletzt realisiert...
Mit dem zweiten französischen Imperator in unmittelbaren Hader zu geraten, vermied Friedrich Wilhelm IV. sorgfältig und rücksichtsvoll; aber in dem Auftreten desselben auf den Grund der revolutionären und militärischen Erinnerungen, in den inneren Trieben der Dinge, von denen die Macht des Gebieters sich herschrieb, und die ihn fortreißen konnten, selbst ohne seinen Willen, erblickte er eine Gefahr für den territorialen Bestand von Europa und Deutschland, vor allem auch des preußischen Staates. In der Voraussicht eines bevorstehenden Kampfes suchte er ein der alten Bundesgenossenschaft entsprechendes Verhältnis zu Rußland aufrechtzuerhalten. Das Verdienst, das er sich in einem gefährlichen Augenblick um dieses Reich [durch seine Neutralität im Krimkriege]] erwarb, hat für den preußischen Staat, als es zu dem vorausgesehenen Angriffe kam, segensreiche Frucht getragen [1870].
Sein ganzes Leben hindurch ist Friedrich Wilhelm bemüht gewesen, in freundschaftlicher Verbindung mit England zu stehen, ohne sich von vorübergehenden Wechselfällen in der Politik der verschiedenen Ministerien zurückstoßen oder fortreißen zu lassen ...
Mit alledem gelangte Friedrich Wilhelm IV. noch nicht in eine feste und gesicherte politische Lage.
Nach jener Abkunft von Olmütz [1850] gestaltete sich das Verhältnis zu Österreich in dem wiederhergestellten Bunde unerträglich für Preußen und Deutschland. Sollte das Ziel erreicht werden, das Friedrich Wilhelm IV. angestrebt hatte: die Errichtung und Leitung eines Bundesstaates, so mußte man den vorwaltenden Meinungen einen Schritt näher treten; denn sie hatten doch auch ihrerseits eine historische Berechtigung und waren zu tief gewurzelt und zu mächtig, um ihnen nicht Rechnung zu tragen; überdies mußte man sich entschließen, mit Österreich zu brechen.
Wenn wir recht unterrichtet sind, so war der König am Ende seiner Tage dazu geneigt. Er hatte alles versucht, um mit Österreich Hand in Hand zu gehen; aber vergeblich. Für jenen Entwurf zu einer Expedition nach der Schweiz versagte Österreich seine Zustimmung, wenn sie auch nicht weiter gehe, als zur Herstellung des preußischen Königshauses in Neuenburg. In den deutschen Angelegenheiten kam es so weit, daß der König in Wien erklären ließ, seine Nachgiebigkeit habe ihre Grenzen; wenn Österreichs Verhalten mit der Pflicht kollidiere, die er als König von Preußen für Deutschland habe, so werde er nicht weichen. Er hat das bedeutungsvolle Wort ausgesprochen: es könne wohl geschehen, daß die beiden Mächte am weißen Berge – er zielt auf jene Schlacht von 1620 – noch einmal ihre Kräfte messen würden. Seine Reise nach Wien im Jahre 1857 war darauf berechnet, die Zwistigkeiten zu beseitigen. Es gehörte zu den schmerzlichen Eindrücken seiner letzten Tage, daß er das unmöglich fand. Männer, die ihm nahe standen, versichern, er habe sich ernstlich mit dem Gedanken beschäftigt, den Kampf aufzunehmen. Ihm war es jedoch nicht beschieden, den alten Antagonismus, dessen Ausbruch er noch zurückgehalten hatte, zur Entscheidung zu bringen: denn nur einen Moment in der Geschichte bildet ein einzelnes Leben.