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Die Erhebung des Hauses Österreich und die selbständige Macht des Hauses Brandenburg sind in einem und demselben Augenblick angebahnt worden: sie sind beide aus dem luxemburgischen Erbe hervorgegangen. An sich bestand ja ein hohenzollernsches Fürstentum sowohl, wie ein habsburgisches: diesem ward durch die luxemburgische Erbschaft eine neue Stellung zuteil, jenem durch die Verzichtleistung der Luxemburger auf die Mark, die nun erst ihre volle Wirkung hatte. Wie enge damals die Interessen sich verflochten, erkennt man daraus, daß ein Sohn des Markgrafen Friedrich es war, welcher im Auftrag des neuen römischen Königs aus dem Hause Österreich dem Vordringen der Polen in Schlesien, welche auf diese Weise auch Böhmen zu gewinnen dachten, und von denen man meinte, daß sie mit den Osmanen verbündet seien, Einhalt tat. Nach dem unerwartet frühen Tode des Königs Albrecht hatte der Kurfürst-Markgraf die Genugtuung, den Sohn desselben, Ladislaus, Enkel Sigismunds, in Ungarn und Böhmen anerkannt zu sehen. Seiner Beistimmung, die nach einigem Bedenken erfolgte, verdankte Friedrich von Österreich seine Wahl zum römischen König.
In Kurfürst Friedrich I. erkennen wir einen politischen Genius ersten Hanges, ebenso reich an Ideen, wie voll von Talent, sie auszuführen immer nach den wechselnden Umständen und Erfordernissen der Zeit. Sein Verhältnis zu [Kaiser] Ruprecht und dann zu [Kaiser] Sigismund, sein Anteil an der Königswahl des letzteren und dann an dem Kostnitzer Konzil, seine Erwerbung der Mark und der kurfürstlichen Würde, später sein Verhalten den Hussiten gegenüber, die daran sich anknüpfenden reichsständischen und konziliaren Entwürfe, selbst der Anteil, den er an dem Übergang der böhmischen Krone an das Haus Österreich hatte, bilden ein großes zusammenhängendes Ganze, getragen von originalen Gedanken und Bestrebungen, die für die Nachwelt grundlegend geworden sind. Friedrich stand auf der Höhe der Bildung seiner Zeit. In seiner Jugend hatte er gelehrten Unterricht genossen; er hatte nicht allein Latein gelernt, sondern auch die Anfangsgründe des bürgerlichen und kanonischen Rechtes sich zu eigen gemacht. Er war sowohl der französischen Sprache mächtig, in der noch ein ritterlicher Atem wehte, als mit der italienischen Literatur vertraut, in welcher bereits die klassische Bildung zu überwiegen begann. Und dabei vergaß er die deutsche Heldensage nicht: er gedenkt in seinem Testament seiner deutschen Lesebücher, die für seine Nachkommen aufbewahrt werden sollen. Darin lag eben der Charakter der Zeit, daß sich die Tendenzen verschiedener Epochen die Hand reichen. Der kirchlichen Andacht, welche die Gemüter erfüllte, hingegeben faßte er doch Gedanken, die jenseits des herrschenden Systems lagen: er war fähig, mit den konziliaren Männern zu verkehren, sie zu verstehen, ihre Ansichten aufzunehmen und sie selbst für die seinen empfänglich zu machen; er war wie von Natur zur Vermittlung geeignet. Als ein unerschütterlicher Freund kann er nicht gelten; man hat ihm das oft mit Bitterkeit vorgeworfen; auch ist es nicht ohne Grund: er folgte nur immer der allgemeinen Direktion, die er im Gefühl der Lage der Dinge ergriffen hatte, ohne sich durch persönliche Rücksichten für gebunden zu erachten. Und allezeit lebte in ihm etwas, was über den Moment erhaben ist. Zugleich fein und gediegen wußte er sich Eingang bei den verschiedenen Parteien zu verschaffen. Er war ein guter Kriegsmann. Man will dreißig Kriegszüge zählen, an denen er mit Mut und Einsicht Teil genommen; doch schien er dabei nur immer das Unvermeidliche zu tun. Es bekümmerte ihn, daß er Kirchenglocken zu Geschützen habe umgießen lassen; und noch mehr, daß er die armen Leute mit Steuern habe belasten müssen; er fordert seine Nachkommen auf, ihnen dafür gnädig zu sein: denn mit dem Schwunge seiner Ideen verband er einen Zug von Popularität und einen lebendigen Begriff vom Beruf des Fürstentums. In diesem Sinne faßte er den Beisatz in dem Titel: von Gottes Gnaden; alle seine Landschaften betrachtete er als ein ihm von Gott anvertrautes Gut. Von ihm ist das schöne und große Wort: Er sei der Amtmann Gottes am Fürstentum. In einem alten Bilde erscheint er in ansehnlicher Gestalt mit herabwallendem Haar und Bart in dem langen Talar, den ein Gürtel zusammenfaßt, jedoch nicht ohne einigen Schmuck der Zeit, würdig, vornehm und doch bürgerlich.
Kurfürst Friedrich Wilhelm steht ebenbürtig in der Reihe der großen theoretisch-praktischen Geister, die das siebzehnte Jahrhundert in seinen religiösen und politischen Kämpfen hervorgebracht hat. Gustav Adolf und Kardinal Richelieu waren von unvergleichlich größerer Bedeutung für die Entscheidung der Weltgeschicke; Wallenstein unternehmender; Cromwell unergründlicher angelegt, originaler, an seiner Stelle gewaltiger; Karl Gustav verwegener; er vermaß sich, die Welt des Nordens aus ihren Angeln zu heben; niemals wird man den feinen Begründer der diplomatischen Weltstellung von Frankreich, Mazarin, noch auch den bedächtigen erwägungsvollen Republikaner Johann de Wit, den Urheber des politischen Gleichgewichts, vergessen. Friedrich Wilhelm hatte nicht eine Stellung, um eine so universal eingreifende Wirksamkeit auszuüben; aber seine Tätigkeit ist nicht minder bedeutend. Er lebte nicht allein in den momentanen Kämpfen; er vollbrachte eine Gründung für alle Zeiten.
Kurfürst Friedrich Wilhelm erscheint als ein Mann von natürlichster Einfachheit, der, wenn er über den Markt geht, wohl ein paar Nachtigallen kauft, die man feilbietet; denn er liebt Singvögel in seinen Gemächern; der in seinem Küchengarten das aus der Fremde gebrachte Reis mit eigener Hand pfropft; in Potsdam die Trauben im Weinberge lesen, die jungen Karpfen im Teich fischen hilft. Dabei aber richtete er sich doch eine stattliche Hofhaltung ein; er hält auf die Abzeichen, die ihn von allen anderen unterscheiden, er legt selbst wert darauf, daß er einen gewissen Aufwand machen kann, nach welchem ihn niemand zu fragen hat. Für die Künste wohnte ihm ein natürliches Talent inne, so daß er das Gute und Brauchbare auf den ersten Blick unterschied. Er war mehr ein Kriegsmann als ein Gelehrter; aber er hatte Sinn für Gelehrsamkeit und den Wunsch, sich allseitig zu unterrichten, wichtige Fragen über zweifelhafte Punkte legte er den Gelehrten vor, die er erreichen konnte und ließ sich von ihnen Vortrag halten, ohne die Kontroverse zu scheuen. In seinen mittleren Jahren geschah das alle Tage: die Staatsgeschäfte litten dabei nicht. Er war vielmehr überzeugt, daß er eben des Rates der Gelehrten bedürfe, um sie zu führen.
Seine Staatsverwaltung hatte eine patriarchalisch-familiäre Ader.
Eine große Anzahl eigenhändiger Briefe von ihm an seinen vertrautesten Rat, Otto von Schwerin, sind aufbehalten. Alle öffentlichen Geschäfte und häuslichen Ereignisse werde darin in den Formen der herzlichsten Freundschaft erörtert. Der Fürst wünscht z. B. seinem Minister einen glückseligen guten Morgen oder Gottes Beistand bei der bevorstehenden Entbindung seiner Frau Liebsten. Darum durfte dieser aber keine persönlichen Interessen in die Verhandlungen mischen. Er wird wohl bedeutet, keine Affekte blicken zu lassen, wo er nur seine Meinung zu sagen habe.
In der alten Weise deutscher Fürsten liebte Friedrich Wilhelm noch regelmäßige und eingehende Deliberation.
Schon Oxenstierna lobt einmal den Fleiß, mit welchem der Kurfürst in seiner Jugend den Sitzungen seines Geheimen Rates beigewohnt; wie er sich sogar die Mühe gegeben habe, die verschiedenen Abstimmungen aufzuzeichnen. Er zog besonders juridisch gebildete Männer, welche politisches Talent verrieten, in denselben. In dem versammelten Staatsrat hielt er für's beste, alle sprechen zu lassen, und zwar die jüngsten Mitglieder zuerst, weil sie, wenn die älteren ihre Meinung zuvor aussprachen, durch deren Autorität leicht beherrscht werden würden; seine Methode war: alles zu hören, aber selbst keine definitive Meinung zu äußern. Dafür behielt er die stille Überlegung mit sich selbst vor, nicht ohne Gebet. Durch diese Erhebung der Seele meinte er in den Stand gesetzt zu werden, den besten Rat zu finden und zu wählen. Man verglich sein Urteil mit dem Neigen der Zunge in der Wage: nach der Seite hin, wo das Übergewicht der Gründe fällt, fast ohne Willkür. »Und was ich dann«, sagte er, »im Geheimen Rat einmal beschlossen, das will ich auch vollzogen haben.« Eben aus dieser Verbindung von Deliberation und entschiedenem Willen leitete man seine Successe her. Seine Grundsätze waren: wohl überlegen, rasch ausführen; wo die Not vorhanden, da gilt kein Privilegium.
Sehr bequem und beliebt war sein Regiment mitnichten; die allgemeine Klage war, daß er die Untertanen zu sehr belaste, und zwar immer stärker, je älter er wurde. Man hatte viel von seinem Jähzorn zu leiden, der dann auch keineswegs ohne Einfluß auf die Geschäfte blieb. Wenn die großen Angelegenheiten überhaupt selten ohne Leidenschaft verwaltet werden, so war das auch bei ihm nicht der Fall. Aber in der Situation lag ein gutes Korrektiv momentaner Aufwallungen. Man hat wohl erlebt, daß er nach irgendeiner ihm geschehenen Mißachtung Feuer und Flamme war, um sich zu rächen; den anderen Tag aber Pazifikationsentwürfe zum Vorschein brachte, welche sehr wohl erwogen und von der anderen Seite angenommen werden konnten. Alles war voll von Gärung und Wechseln der Entschlüsse. Wer in dem vorigen Jahre mit Krieg und Verderben bedroht worden, dem wurden nach veränderten Umständen im laufenden Anerbietungen zu der engsten Verbindung gemacht. Jede neue Wendung der Dinge regte neue Entwürfe auf. Die persönliche Stimmung wurde doch immer durch die allgemeine Erwägung beherrscht.
In seinem Geiste war etwas Weitausgreifendes, man möchte sagen, allzu weit; wenn man sich erinnert, wie er Brandenburg in unmittelbaren Bezug zu den Küsten von Guinea brachte und auf dem Weltmeer mit Spanien zu wetteifern unternahm, oder wie er auf den Entwurf einging, zur Begründung einer allgemeinen Wissenschaft eine von aller Rücksicht auf die christlichen Konfessionen unabhängige Universität zu stiften. Er zweifelte nicht an dem Erfolge der geheimen Wissenschaften; er liebte von dem Entlegenen und wunderbaren zu hören; und dabei war er doch durch und durch praktisch. An jeder Tätigkeit der Menschen hat die Imagination großen Anteil: denn das Zukünftige muß sich dem Geiste in ergreifbaren Formen darstellen. Die Verbindung einer ausführenden Tätigkeit mit einer Phantasie, die vor dem Unausführbaren nicht auf den ersten Blick zurückweicht, gibt seinem Wesen um so mehr etwas Großartiges und Außerordentliches. Wir fühlen um ihn her die geistige Luft, in welcher der Genius atmet; die Handlungen, die sich auf einen unendlichen Hintergrund der Gesinnung und der politischen Anschauungen erheben.
In seinen jüngeren Jahren erschien der Kurfürst als ein schöner Mann, groß und wohl gewachsen; mit vollem Gesicht, bedeutend ausgeprägten Zügen und hellen Augen. Er vereinigte den Ausdruck der Entschlossenheit mit höflichem Wesen. Man urteilte aus seinem Gespräch, daß er die Welt kenne und die Geschäfte verstehe. So erschien er bei jener Zusammenkunft in Bromberg, auf welche dann bald ein Besuch der Königin von Polen in Berlin folgte; da kehrte der Kurfürst eine andere Seite seines Wesens hervor. Er holte sie mit einem Gefolge von 4000 Mann ein und einem ansehnlichen Geschütz, das zu ihrer Begrüßung gelöst wurde. So begleitete er sie auch, als sie wieder abreiste. Als sie sich von seiner Gemahlin getrennt hatte, ritt er noch eine Zeitlang neben dem Wagen her, stieg dann ab, um persönlich Abschied zu nehmen. Der Besuch hatte seiner Gemahlin Louise Henriette von Oranien gegolten, die auch mit ihm in Bromberg gewesen war; sie erschien neben ihm sanfter und ruhiger; sie war klein, aber wohlgestaltet; sie sprach wenig und verriet eine Neigung zur Melancholie. Sie fastete alle Dienstage, weil ihr Bruder an diesem Tage gestorben war. Auch bei festlichen Gelagen hielt sie dies ihr Gelübde; sie nahm die Gesundheiten an, die man ihr brachte und erwiderte sie, ohne zu trinken. Aber mit ihrer religiösen Devotion verband sich doch auch ein Verständnis für die vorliegenden Fragen. Sie hielt es beinahe für die Pflicht der Gemahlin eines Fürsten, sich mit den öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Der Kurfürst hat sich bei ihren Ratschlägen wohl befunden: er hat sie nach ihrem Tode oft vermißt. Die zweite Gemahlin des Kurfürsten, Dorothea von Holstein-Glücksburg, war aus stärkerem Stoff gebildet. Sie begleitete ihn auf seinen Feldzügen, in das Getümmel des Feldlagers, in die Gefahren der Belagerungen; niemals wollte sie ihn verlassen. Sie behandelte ihn als den großen Mann, der er war; und war besorgt für sein Glück und seinen Ruhm. Man findet nicht, daß sie in den großen Angelegenheiten Einfluß auf seine Entschlüsse ausgeübt hat; dagegen in seiner äußeren Umgebung herrschte sie unbedingt. Unter den Freunden und Genossen der Familie war sie bekannt dafür, daß es ihr das größte Vergnügen auf der Welt mache, zu befehlen. Dem Kurfürsten, der sie gewähren ließ, verschaffte sie eine seiner Natur entsprechende Häuslichkeit. Er erscheint als ein Hausvater alter Zeit; wie wenn er vor Tische, im Lehnstuhle sitzend, die Begrüßung seiner Kinder empfing, die ihn ehren, aber auch fürchten. Wie ihn seine Bildnisse zeigen, und die, welche ihn kannten, versichern, in ihm war eine seltene Verbindung von Ernst und Wohlwollen, Güte und Majestät. In jedem Augenblick erschien er würdig und gediegen, seiner Stellung bewußt, die doch größtenteils sein eigenes Werk war. Er hat den brandenburgischen Staat nicht etwa geschaffen; denn in seinen Grundlagen bestand derselbe bereits und hatte seinen eigentümlichen Charakter: aber diese Bestandteile hat Kurfürst Friedrich Wilhelm nicht allein zusammengehalten, sondern auch solche von wesentlichster Bedeutung hinzugefügt und ihnen die Idee eines Staates eingehaucht, das Bewußtsein nicht allein eines äußeren, sondern auch eines inneren Zusammenhaltes.
Wir sehen wie dies zuerst im Kriege durch die Aufstellung einer aus allen Teilen zusammengesetzten und überall aus freiwilliger Beistimmung hervorgegangenen Armee geschah. Die bewaffnete Macht war der vornehmste Mittelpunkt der Einheit des Landes; sie hat ihm selbst und allen seinen Nachfolgern ihre Stellung in der Welt gegeben. Seine ganze Staatsverwaltung beruht darauf. Er selbst hat der Armee zwei Dritteile seiner Einkünfte zugewendet. Seinem Nachfolger hat er das Heer sterbend als seine eiserne Hand empfohlen und denselben verpflichtet, sie aufrecht zu erhalten. Ein anderer Moment, der alles zusammenhielt, war die Religion. Nicht sowohl die Ausbreitung des evangelischen Bekenntnisses als die Verteidigung desselben hat seine Politik alle die Jahre seiner Regierung hindurch beschäftigt. Anknüpfend an die Altvordern hat er dem werdenden Staat seinen protestantischen Charakter auf das tiefste eingeprägt und ihn für alle Folgezeit befestigt. Die Verbindung Brandenburgs mit dem Reiche war die Grundlage seiner Politik. Die Idee des Reiches trug er tief in seiner Seele; man sagte wohl: er sei der einzige, in welchem diese Idee lebe; ohne ihn würde sie zugrunde gehen. Und wenn Brandenburg durch ihn eine gesicherte Stellung in Deutschland und Europa gewann, so hat er gleichsam seinen Nachkommen ihre künftigen Bahnen demgemäß vorgezeichnet. Die Eroberung von Pommern in den Verbindungen, in denen sie später ausgeführt worden ist; die Eroberung von Schlesien schon mit Andeutung eines Feldzugsplans zu diesem Behuf; selbst ein Unternehmen gegen Frankreich, wo er das alte durch Parlamente und mächtige Stände beschränkte Königtum, mit welchem Europa in Frieden leben konnte, herzustellen gedachte, hat er entworfen; eine kleine Marine, die freilich wieder zugrunde ging, hat doch die Idee einer brandenburgischen Seemacht lebendig erhalten.
Eine der empfindlichsten Schwierigkeiten in seinem Leben bildete die Differenz des reformierten Bekenntnisses, zu welchem er sich mit vollem Herzen hielt, und des lutherischen, welches seine Untertanen mit altdeutscher Glaubensfreudigkeit erfüllte. Seiner Gemahlin Dorothee, die ihm zu Liebe zu dem reformierten Bekenntnis übergetreten war, schreibt man zu, daß sie seinen Eifer gegen die Lutheraner gemäßigt habe. Er hätte dann nichts mehr gewünscht, als beide Bekenntnisse, wenn nicht zu vereinigen, doch zu versöhnen. Er beschwerte sich oft über die Hartnäckigkeit der Lutheraner, aber auch über den Eifer der Reformierten, namentlich in Behauptung der Beschlüsse von Dortrecht. Noch in seinen letzten Stunden beklagte er sich darüber, daß unter den Evangelischen so wenig Eintracht herrsche. Er wußte, welch ein Moment entscheidungsvoller Kämpfe dem Protestantismus bevorstand. Jene Erwartung einer durchgreifenden Umwandlung der europäischen Politik zugunsten des allgemeinen Gleichgewichts, die er in seinen letzten Tagen kundgab, war zugleich religiöser Natur.
Was aber könnte den Abschied aus diesem Leben leichter machen, als religiöse Überzeugung. Der Kurfürst zeigte ein volles Bewußtsein davon.
Der Stoicismus, den man ihm wohl zuschreibt, ist eben der feste, seiner Sache gewisse Glaube. Er wußte, was die Lehre von der Erlösung bedeute: die Reinigung der im Laufe des Lebens nicht ohne Makel gebliebenen Seele und ihre Rettung. In ihm durchdrang sich das Vertrauen auf den Sieg der guten Sache in der Welt und auf die Fortdauer des persönlichen Daseins auf einer höheren Stufe.
Ich möchte nicht wagen, aus den literarischen Arbeiten Friedrichs, wie sie in jenen Zeiten [nach 1745], jener Umgebung entstanden, ein System von allgemeinen Gedanken zu entnehmen.
Manches der bedeutendsten Werke der alten und neuen Literatur eignete er sich erst noch an; unter den Anregungen der Lektüre, des Umganges und des Lebens machte er bald einen, bald einen anderen poetischen Versuch, bei dem er oft nur die Geschäfte zu vergessen, eines Eindruckes, der ihm unangenehm war, Herr zu werden suchte. Wollte man ihn als einen Schriftsteller betrachten, der das Publikum belehren oder vergnügen will, so würde man ihn verkennen; seine Werke tragen den Charakter des Gelegentlichen und individuell Momentanen. Darin wich er ganz von Voltaire ab, daß dieser nur für die Wirkung auf die Leser arbeitete, er dagegen eine unbedingte Freude an der Produktion an und für sich hatte.
Unter den größeren Arbeiten begegnet uns zuerst das Palladium, ein komisches Heldengedicht, worin die falsche Frömmigkeit und die Zuchtlosigkeit der Feinde aus dem letzten Kriege in großen karikierten Zügen verspottet wird; ein Phantasiestück in Callots Manier, voll von Talent, aber ungezügelt und wild.
Damit im Gegensatz tritt in dem Gedichte über die Kriegskunst der dort verspottete Karl von Lothringen sehr glänzend auf; sein Rheinübergang wird einer Tat des alten Hannibal gleich geachtet; er soll die reine Huldigung, das verdiente Lob eines Feindes empfangen, der für das Geschrei des Hasses taub ist. Selten ist wohl ein Lehrgedicht geschrieben worden, dem eine so gute Kunde des Gegenstandes zugrunde lag wie diesem. Leben empfängt es von den Erinnerungen des letzten Krieges, die ein patriotisches Feuer atmen. So recht grunddeutsch ist die Darstellung des in seine Heimat zurückkehrenden Offiziers; aber noch höher mag man die Schilderung des Feldherrn schätzen, der Friedrich selbst zu entsprechen suchte. Voltaire fragte ihn einst, ob ihn die Schlacht nicht mit Wut erfülle; im Gegenteil, antwortete er, nie bedarf der Geist größerer Fassung. So schildert er hier den General, wie er die Bewegungen des Kampfes beherrscht, jeder Unordnung steuert, bei jeder Erschöpfung zu Hilfe kommt, nichts vom Glück, alles Heil nur von sich selber erwartet; bedächtig im Rat, verwegen in der Ausführung. Im Vorhofe des Mars lehrt man die Gesetze der Ehre, des strengsten Verdienstes; Habgier und Grausamkeit werden verdammt, nur Menschlichkeit und Hingebung gepriesen, die Bildsäule des Kriegsgottes ist umgeben von der wachen Arbeitsamkeit, kaltblütigen Tapferkeit, der proteusartigen Kriegslist, der schöpferischen Imagination, die von göttlichem Feuer glühend ihre Pläne entwirft.
Wenn man die kleineren Gedichte liest, so sollte es dem Verfasser zuweilen bloß auf den Genuß des Lebens anzukommen scheinen. Die Anstrengung wird als ein Verlust der Freiheit betrachtet: man stößt auf Nachahmungen des Lucrez, deren Inhalt die Dogmen des Epikur wiederholt; wenn Friedrich in einer seiner Episteln die Lehre entwickelt, daß sich die Vorsehung um das Kleine nicht bekümmere, so darf man schwerlich behaupten, daß er sie in dem unverfänglichen Sinn von Malebranche verstanden habe. Daneben aber nimmt man allenthalben eine ernste, auf das Wesentliche und Echte in den Dingen des menschlichen Lebens vordringende Richtung wahr. Den Lockeschen Lehren gemäß erscheint der menschliche Geist nicht fähig, das Unendliche zu ergreifen, aber Friedrich schließt daraus nur, daß man sich auf dieses Gebiet nicht wagen, und vielmehr hier auf Erden sich der Tugend widmen, das Gute von dem Bösen unterscheiden lernen müsse. Einen seiner Brüder macht er aufmerksam, daß Tugend und Talent keine Ahnen haben: wer einen Namen besitzen will, muß ihn verdienen. Wie beklagt er die deutschen Fürsten, die, wenn sie von einer Reise nach Frankreich zurückkommen, ihren Ehrgeiz darin suchen, Meudon oder Versailles in kleinen Dimensionen zu Hause nachzuahmen. Von den Nichtigkeiten des Hoflebens oder des Treibens in großen Städten war wohl niemals ein Mensch mehr durchdrungen als Friedrich. Er ist vollkommen zufrieden in seiner Einsamkeit, denn das einzige Glück sieht er in geistiger Beschäftigung; was die Natur gegeben, muß der Fleiß vollenden. Ruhmesliebe hatte ihn zum Kriege gespornt, aber er weiß, daß die Meinung der Menschen von den Umständen abhängt, hin und wieder schwankt, das Glänzende oft dem Gediegenen vorzieht. Aus allen den Zufälligkeiten, welche auf Lob und Tadel einwirken, zieht er die Lehre, daß man den Weihrauch verachten, die Tugend um ihrer selbst willen lieben müsse.
Er bekennt seiner Schwester einmal, er habe eine zwiefache Philosophie: im Frieden und Glück schließe er sich den Schülern des Epikur an, im Unglück halte er sich an die Lehren der Stoa. – Das heißt nur eben, daß er den Genuß durch Reflexion mäßigt oder entschuldigt und sich im Unglück durch moralischen Schwung erhebt; es ist nichts anderes, als was ein Philosoph dieses Jahrhunderts sagt, daß Neigung zum Wohlleben und zur Tugend, im Kampfe miteinander, wo die erste durch die letzte eingeschränkt wird, das höchste moralisch-physische Gut hervorbringen; nur tritt in den Gedichten, der vorwaltenden Stimmung gemäß, bald die eine, bald die andere Richtung allein herrschend hervor.
Nicht alles, was an Poesie in ihm war, legte Friedrich in seine Gedichte. Wir kennen seine Meisterschaft auf der Flöte; auch hier war jede seiner Kompositionen ein Versuch, eine besondere Schwierigkeit zu überwinden; hauptsächlich aber seine Empfindungen, seine Freude, und besonders seinen Schmerz, ein melancholisches Gefühl, das ihn sein ganzes Leben begleitete, drückte er in diesen Tönen aus. Seine Verse sind oft mehr lebendig angeregtes Räsonnement als Poesie; wie Voltaire sagt, nicht von echt französischem Kolorit, aber um so eigentümlicher im Ausdruck, und voll Ideen eines weiten Horizontes.
Wie in den Gedichten, so beschäftigte sich Friedrich in seinen Briefen, seinen Gesprächen, unaufhörlich mit den schwierigsten Fragen, die der Mensch sich vorlegen kann, über Freiheit und Notwendigkeit (die er für das schönste Thema der »göttlichen« Metaphysik erklärt), über Schicksal oder Vorsehung, Materialität oder Unsterblichkeit der Seele; auf die letzte kam er immer von neuem zurück.
Zuweilen scheint ihm der Zusammenhang zwischen Körper und Geist unauflöslich bis zu ihrer Identität, was bleibe von dem Ich übrig, wenn man ihm zwei Dinge nähme, die Sinne und das Gedächtnis? Der Mensch befinde sich in der Mitte der Unendlichkeit der Zeiten, die vor ihm gewesen und nach ihm sein werden; wenn er vor seiner Geburt nicht existiert habe, so müsse er davon auf das schließen, was ihm nach dem Tode bevorstehe; die Nacht des Grabes umfange das Wesen, das da denkt. Allein nicht immer blieb er bei diesen Meinungen, namentlich hielten sie nicht aus, wenn ein Freund, den er liebte, oder wenn jemand aus dem Familienkreise abschied. Dann meinte er, obgleich der Geist unabhängig vom Körper sei, so sehe man doch oft, und zwar gerade, wenn die Maschine sich auflöse, daß er einen neuen Schwung nehme, und eine bewundernswürdige Stärke entfalte. »Vielleicht werde ich die Verlorenen eines Tages wiedersehen. Wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn ich dann die großen Männer des Altertums erblicken könnte.« Zuweilen war er mehr von den Ansichten des Lucrez, zuweilen von den Argumenten der Apologie des Sokrates durchdrungen.
Nicht glauben ist noch lange nicht leugnen; aber nur nicht verwerfen, auch keine Überzeugung. Ich weiß nicht, ob man über diesen Skeptizismus hinaus kommen kann, wenn man die Offenbarung nicht annimmt, wozu Friedrich sich nie bewogen fühlte.
Wir kennen sein Schwanken zwischen der Annahme eines blinden Geschickes und einer allwaltenden Vorsehung, und wie er in den großen Entscheidungen auf die letzte zurückkam. Meistenteils schien es ihm doch, daß alles ein nicht aufzulösendes Rätsel bleibe, wenn man nicht eine Vorsehung voraussetze, die das Weltgeschick zu einem großen Ziele leite. Nur in einem Punkte war er unerschütterlich; er fuhr auf, wenn jemand im Gespräche seinen Glauben an einen lebendigen Gott bezweifelte; die populären Beweise für das Dasein Gottes, besonders den von der weisen Ordnung in der Natur hergenommenen, wiederholte er mit dem vollsten Ausdruck der Überzeugung. »Ich kenne Gott nicht, aber ich bete ihn an.«
Sein skeptisches Verhalten zu den meisten positiven Lehren gehörte ohne Zweifel dazu, um ihm die Politik möglich zu machen, die er in Beziehung auf die verschiedenen Bekenntnisse ergriffen hatte: er würde sonst mit sich selbst in Widerspruch geraten sein. Aber wie er schon im Gespräch abbricht, wenn er bemerkt, daß sein Mangel an Orthodoxie den andern verletzt, so hätte er im Leben noch viel weniger daran gedacht, seine Meinungsabweichungen auszubreiten, von denen er wohl fühlte, daß sie das Gemüt nicht befriedigen, einem Volke nicht genügen können. Er hielt es schon für ein Glück, daß man dieselben an ihm duldete.
Für ihn reichte die Überzeugung hin, daß der Zweck der Welt in dem individuellen Glücke liege; – die wahre Philosophie bestehe nicht in den verwegenen Spekulationen, durch welche die Wissenschaft zu einer Kunst von Vermutungen gemacht, von den Sitten losgerissen werde, sondern in der Moral, welche die Heftigkeit der ersten Eindrücke zu mäßigen und zu zügeln fähig mache. Um glücklich zu sein, dazu gehöre sittlich leben, seinen Stand erkennen, sich der Mäßigung befleißigen, das Leben nicht zu hoch anschlagen. Friedrichs religiöses Gefühl erhob sich nicht über die ersten und einfachsten Elemente: dagegen sein moralisches Bewußtsein war von der lebendigsten Energie.
Eine der ersten Pflichten des Menschen, doppelt notwendig in seiner Stellung, sah er in der Selbstbeherrschung und arbeitete dafür unaufhörlich an sich. Er bekannte seinen Vertrauten, wenn er etwas Unangenehmes, Aufregendes erfahre, suche er nur durch Reflexion über die erste Bewegung Herr zu werden, die bei ihm unendlich lebhaft sei; zuweilen gelinge es, zuweilen auch nicht, dann aber begehe er Unvorsichtigkeiten und komme in den Fall, sich über sich selbst zu ärgern.
Er bildet sich eine Politik des persönlichen Glückes aus, die darin bestehe, daß man die menschlichen Dinge nicht zu ernstlich nehme, sich mit dem Gegenwärtigen begnüge, ohne zuviel an die Zukunft zu denken. Wir müssen uns freuen über das Unglück, das uns nicht trifft; das Gute, was wir erleben, müssen wir genießen, der Hypochondrie und Trauer nicht erlauben, das Gefühl der Bitterkeit über unser Vergnügen zu gießen.
»Ich habe den Rausch des Ehrgeizes überwunden, Irrtum, Arglist, Eitelkeit mag andere berücken; ich denke nur noch daran, mich der Tage, die der Himmel mir gegeben, zu erfreuen, Vergnügen zu genießen ohne Übermaß, und soviel Gutes zu tun als ich kann.« Besonders dieser letzte Wunsch erfüllt seine Seele.
Unter allen Dichtern liebte er Racine am meisten, den er weit über Voltaire stellte, nicht allein der Harmonie und Musik seiner Sprache, sondern des Inhalts wegen; auf seinen Reisen, im Wagen, las er ihn immer aufs neue und lernte ganze Stellen auswendig. Von allem aber, was dieser Dichter geschrieben hat, machte nichts einen größeren Eindruck auf ihn, als die Szene (im vierten Akt des Britannicus), wo Burrus dem jungen Nero vorstellt, daß die Welt »das öffentliche Glück den Wohltaten des Fürsten« verdanken könne, daß ein solcher sich sagen dürfe: überall in diesem Augenblicke werde er gesegnet und geliebt. Ah! rief Friedrich aus, gibt es etwas Pathetischeres und Erhabeneres als diese Rede, ich lese sie nie ohne die größte Rührung. Er muß das Buch weglegen, Tränen ersticken seine Stimme: dieser Racine, ruft er aus, zerreißt mein Herz.
Eine Weichheit, die niemand in ihm suchen sollte, der nur seine Kriege und seine strenge Staatsführung kennt, und die doch mit dieser wieder in genauem Zusammenhange steht.
Es scheint ihm ein lächerlicher Stumpfsinn der Welt, daß man das Glück der Fürsten beneidet; sie seien schlecht bedient, ihre Befehle führe man mangelhaft aus, und schreibe ihnen doch alles zu, was geschehe; man messe ihnen Absichten bei, an die ihre Seele nicht denke, und hasse sie, wenn sie schwere Dinge fordern; leicht werde die Welt ihrer müde.
Wer sollte glauben, daß ihm noch in jungen Jahren, im Genusse des Ruhmes und der Welt, aus dem Innern seiner Seele die Idee einer Verzichtleistung aufstieg. Er dachte die Krone seinem Bruder zu überlassen, den er in dieser früheren Zeit ungemein hoch hielt. Eins wäre ihm freilich unbequem gewesen, einen fremden Willen über sich zu fühlen, und er dachte sich Einrichtungen aus, wie dem vorzubeugen sei; aber das Glück, zu gebieten, reizte ihn nicht, noch der Besitz großer Geldmittel; er würde, sagte er, mit 12 000, ja mit 1200 Taler leben können, er würde Freunde haben, und ihr wahrer Freund sein, nur den Wissenschaften würde er sich widmen.
Indem er dem nachsinnt und in dem Gedanken schwelgt, nichts zu sein als ein einfacher, aber ganz unabhängiger Gelehrter, sieht er doch, wenn er die Umstände und Persönlichkeiten überlegt, besonders in kritischen Augenblicken, wie deren so viele kamen, daß alles dies unmöglich ist. »Ich habe ein Volk,« ruft er aus, »das ich liebe, ich muß die Last tragen, welche auf mir liegt, ich muß an meiner Stelle bleiben.«
Was macht den Menschen, als der innere Antrieb und Schwung seines moralischen Selbst?
Wir wollen nicht sagen, daß jene Stimmung die vorherrschende, daß Friedrich nicht von dem Gefühl des geborenen Königs fortwährend durchdrungen gewesen sei; aber er ging nicht darin auf: die Reflexion, daß er es auch nicht sein könne, die Neigung selbst, einem anderen Beruf zu leben, schärfte sein Pflichtgefühl für diesen, der ihm durch Geburtsrecht zuteil geworden.
Wir mögen es nicht unerwähnt lassen, was er selber sagt, daß er oft lieber der Morgenruhe noch genossen hätte, aber sein Diener hatte den bestimmtesten Befehl, sie ihm nicht länger zu gönnen; der Grund, welchen Friedrich angibt, ist, daß die Geschäfte sonst leiden würden.
Er bekennt einmal, es mache ihm ein größeres Vergnügen, sich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, als mit der Verwaltung der laufenden Geschäfte; aber er fügt hinzu, daß er darum diesen doch keinen Augenblick der Tätigkeit und Aufmerksamkeit entziehen würde, denn dazu sei er geboren, sie zu verwalten.
Ein Fürst, sagt er in dem politischen Testament, der aus Schwäche oder um seines Vergnügens willen das edle Amt versäumt, das Wohl seines Volkes zu befördern, sei nicht allein auf dem Thron unnütz; er mache sich sogar eines Verbrechens schuldig. Denn nicht dazu sei der Fürst zu seinem hohen Rang erhoben und mit der höchsten Gewalt betraut, um sich von den Gütern des Volkes zu nähren und im Glück zu schwelgen, während die ganze Welt darbe. »Der Fürst ist der erste Diener des Staates und gut bezahlt, um die Würde seiner Stellung aufrecht zu erhalten, aber man verlangt von ihm, daß er nachdrücklich zum Wohl des Staates arbeite, und daß er wenigstens die wichtigsten Dinge mit Ernst betreibe.« Die Frau, welche einem König von Epirus, der nicht auf ihre Klagen hören will, die Frage vorlegt, warum er denn König sei, wenn er ihr nicht Hilfe schaffen wolle, scheint ihm ganz recht zu haben.
Die Auffassung der königlichen Pflichten, wie sie Friedrich hegt, erinnert an die Vorstellungen, die in dem ältesten, nicht priesterlichen Staat der Welt, in China, nach den Aussprüchen der Weisen und Gesetzgeber des Landes, über die höchste Gewalt vorherrschten. Der Fürst ist nach diesen die lebendige Vernunft der Dinge, seine Gewalt ist unumschränkt, aber nur um die Herrschaft der Ordnung zu realisieren. »Der höhere Mensch, heißt es in den Unterhaltungen des großen Meisters, muß Wohltaten erweisen, ohne verschwenderisch zu sein, Dienste und Abgaben fordern ohne Geiz; Würde und Majestät haben, ohne Ostentation; wenn er verlangt, was vernünftig und notwendig ist, wer könnte ihm darüber zürnen? Seelengröße gewinnt die Menge; Offenheit erweckt Vertrauen; wenn ihr tätig und wachsam seid, so gehen die Geschäfte gut, wenn ihr für alle Interesse zeigt, dann fühlt das Volk sich glücklich.« Es ist, als wenn man Friedrich reden hörte.
Das Zurücktreten des religiösen Begriffes mußte in einer energischen Natur das Bewußtsein des weltlichen Berufes um so lebendiger hervorrufen. Die Seele ist dann nicht durch das Gefühl des universalen Zusammenhanges des Geistes gehoben, der auch dann noch genug tut, wenn die Erfolge den Absichten nicht entsprechen; es liegt etwas Trockenes, Beschränktes darin, aber um so geschärfter wird der praktische Sinn, da man des Erfolges bedarf. Der Geist der Zeit kam dem Könige Friedrich mit der gleichen Tendenz entgegen und förderte sein Tun; auch in der Erfüllung der Pflicht an sich liegt eine unendliche Befriedigung.
Um sich dazu fähig zu machen, hielt es Friedrich für nötig, die Menschen, wie er es einmal selbst nennt, zu studieren, besonders diejenigen, die ihm entweder als Werkzeuge dienten, oder der Gegenstand seiner Sorgfalt waren. Unter seinen Untertanen unterschied er die feinen und gelenken Preußen, deren Gewandtheit jedoch besonders innerhalb ihrer Grenzen leicht in Fadheit überschlage, von den naiven und geraden Pommern; die Kurmärker stellt er weder den einen noch den anderen gleich, das Wohlleben gelte ihnen zu viel, in Geschäften seien sie selten mehr als mittelmäßig; lebhafteren Geist besitze die Magdeburgische Ritterschaft, mancher große Mann sei aus ihr hervorgegangen; den Niederschlesiern fehle es an einem Prometheus, der sie (durch Erziehung) mit dem himmlischen Feuer erfülle; Anstrengung und Arbeit sei bisher noch nicht ihre Sache, sondern eher Genußliebe, gutmütige Titelsucht. Auch in Minden und der Grafschaft Mark fehle es nur an Erziehung und Übung, nicht an Talent, am wenigsten entsprach Kleve seinen Wünschen. Er suchte sie alle zu heben und dadurch zu vereinigen, daß er die provinzialen Bezeichnungen vor der allgemeinen als Preußen verschwinden liest; besonders machte er diese im Felde geltend.
Wir sahen, wie er sich für jeden Zweig nach den demselben inwohnenden Erfordernissen Gehilfen zu bilden suchte: in Justiz, Administration, Militär; so hatte er auch eine Pflanzschule für den Dienst in den auswärtigen Geschäften im Sinn; um das Jahr 1752 ward dazu unter der Leitung von Podewils ein Anfang gemacht. Die natürliche Gabe, die allem zugrunde liegt, sollte durch allgemeine Kenntnis sowohl als durch das Aufnehmen der Idee des Staates entwickelt werden.
Die Minister, die an der Spitze der verschiedenen Abteilungen des Dienstes standen, schickten dem König über die wichtigen und zweifelhaften Punkte täglich ihre Berichte ein. Friedrich hielt nicht für gut, den Geheimen Rat zu versammeln, denn aus großen Ratsversammlungen gehe selten eine weise Beschlußnahme hervor, durch Privathaß und Rechthaberei werde da eine Sache eher verdunkelt; das Verfahren der schriftlichen Anfrage mit Gründen und Gegengründen hielt er für das bessere: der Fürst müsse sich nur die Mühe geben zu lesen und einzusehen; ein gesunder Sinn fasse leicht die Hauptpunkte, auf die es ankomme. Eine Kabinettsregierung, zu deren Ausführung aber eben soviel Anspannung des Geistes wie Talent gehören. Friedrich besaß das letztere in einer seltenen Vielseitigkeit. Wie er nach schriftstellerischer Vollendung strebte, so sahen wir ihn die obersten Gesichtspunkte für die Einrichtung der Justiz fassen, die Verwaltung bis in das geringste Detail des Rechnungswesens beaufsichtigen; neue Manöver für seine Feldübungen ersinnen; nicht ohne Nutzen besucht er Spitäler, denn schon sein Vater hat ihn viel dahin geschickt, so daß er sich eine Kenntnis von Chirurgie verschafft hat; er gibt Verbesserungen der Manufakturen im einzelnen an und macht selber die Pläne zu seinen Bauwerken.
Zu dieser Mannigfaltigkeit der Befähigung kam nun aber eingehende Rücksicht auf die vorgelegten Gründe, der ernste Wille, die Sache recht zu machen.
Nicht alles ward auf der Stelle, beim ersten Vortrag entschieden. Wenn die Kabinettsräte nach demselben sich entfernt hatten, griff Friedrich zu seiner Flöte; doch war seine Seele weniger beim Spiel, in das sie nur ihre Stimmung hauchte, als bei den Angelegenheiten; ganz mit sich selber allein überlegte er die schwierigen Fragen und gab seine Entscheidung, wenn sie zurückkamen.
Nicht selten klagen die auswärtigen Gesandten in ihren Berichten, daß er sich in den Audienzen unbestimmt und sogar furchtsam ausgedrückt habe; seine Entschließungen wurden in der Tiefe seines Gemütes gefaßt und standen ihm dann auf immer fest.
Auch darüber beschweren sich die Gesandten häufig, daß er alles allein tun wolle, und sie von niemand sonst beschieden werden können. Die auswärtigen Angelegenheiten seien unter zwei Minister verteilt, und keiner von beiden kenne sie alle; ein Geheimer Rat, der vielleicht eine allgemeine Übersicht habe, wage doch nie, zu dem Repräsentanten einer fremden Macht zu kommen. Im ganzen Lande gebe es, außer dem König, nur einen einzigen Mann, der die inneren und äußeren Angelegenheiten zugleich kenne. Von diesem Manne, der alle Morgen mit dem Könige arbeite, ihn auf seinen Reisen begleite, machen sie eine beinahe mythische Beschreibung; er wisse alles, erfahre alles, aber kein Sterblicher könne sich rühmen, ihn je mit Augen gesehen zu haben; auf eine wunderliche Weise verunstalten sie seinen Namen. Es ist Eichel, dessen Briefwechsel mit Podewils wir zuweilen erwähnt haben, der im Kabinett die Feder führte, die mündlichen Resolutionen Friedrichs niederschrieb, die wichtigsten Anordnungen nach seiner Anweisung anfertigte; ein Mann von einer unermüdlichen Arbeitsamkeit, die aus Liebe zur Sache und persönlicher Hingebung entsprang, scharfsinnig und einsichtsvoll, nur ein wenig pedantisch und nicht ohne eine zaghafte Scheu bei den unberechenbaren Bewegungen des Genius, den er vor sich sah. Wenn die Fremden dem König schuld geben, er habe nie auf Gegenvorstellungen der Minister geachtet, so erweisen die Akten das Gegenteil: zuweilen zeigt er sich sogar ungeduldig, daß er seinen Willen nicht durchsetzen könne. Nur mündliche Beratungen vermied er je länger, je mehr. Wenn er noch einen zweiten seiner Minister befragte, so hielt er doch nicht für gut, denjenigen, dessen Gutachten er zuerst gefordert, davon wissen zu lassen, er besorgte, daß der Vorzug, den er dem einen vor dem anderen gebe, Eifersucht und Entzweiung verursachen möchte. Überdies wäre dann leicht das Geheimnis, worin er die Seele der Geschäfte sieht, verletzt worden.
»Ich verberge«, äußerte er einmal gegen einen seiner Vorleser, »meine Absichten denen, die mich umgeben; ich täusche sie sogar darüber; denn wenn sie vermuten, was ich im Sinne habe, so könnten sie davon sprechen, ohne die Folgen zu ahnen; nur durch das Geheimnis kann ich mich vor Schaden bewahren.«
»Ich verschließe mein Geheimnis in mich selbst; ich bediene mich nur eines Sekretärs, von dessen Zuverlässigkeit ich versichert bin; wenn ich mich nicht selbst bestechen lasse, so ist es unmöglich, meine Absicht zu erraten.« Von den auswärtigen Angelegenheiten überließ er die, welche mehr rechtlicher Statur waren, den Ministern; die Leitung der anderen behielt er in eigener Hand.
So viel Argwohn legte er gegen fremde Verschwiegenheit an den Tag, daß es für den Umgang mit ihm als eine Regel galt, sich zwar übrigens ohne Zwang zu bewegen, vertraulichen Mitteilungen aber lieber auszuweichen.
Auch er selbst aber war gegen alles auf der Hut, was seine Umgebung ihm sagen mochte.
»Wenn wir uns jedem Gespräch hingeben, das irgend jemand mit uns anfängt, darauf hören, wovon man will, daß wir es hören, uns in zweifelhafte Verbindungen einlassen, so kann dies leutselige Wesen schlimmere Folgen haben als die Hartherzigkeit. Von Anfang an habe ich meiner Umgebung zu zeigen gesucht, daß sie bei mir durch Ränke und falsche Berichte nichts gewinnen wird, daß ich ein Mann bin, um die Dinge selber zu sehen, und unerschütterlich in den einmal gefaßten Plänen. Gutmütigkeit muß mit Festigkeit vereinigt sein; der Fürst muß sich mit braven und ehrlichen Leuten umgeben; für sich selber gewinnt er damit wenig, aber alles für das Wohl des Staates.«
Es mag sein, daß ihm auch darum für seinen persönlichen Umgang Fremde am liebsten waren, weil sie keinen Zusammenhang mit kleinen einheimischen Interessen hatten.
Soll die Monarchie eine Wahrheit sein, so müssen die Regionen, wo die Entschlüsse gefaßt werden, von allem fremdartigen Einfluß frei bleiben: der höchste Wille muß sich nur auf das Wesen der Dinge richten.
An den französischen Zuständen fand Friedrich nichts widerwärtiger und schädlicher, als das Auseinanderstreben der verschiedenen Minister, deren jeder seine besonderen Rücksichten habe, seinen besonderen Vorteil suche.
»Sowenig«, sagt er, »wie Newton sein System in Verbindung mit Leibniz und Cartesius hätte zustande bringen können, sowenig kann ein politisches System gemacht und behauptet werden, wenn es nicht aus einem Kopfe entspringt; und das muß der des Fürsten sein; Minerva muß aus dem Haupte Jupiters hervorgehen. Von dem, was er selber gedacht hat, mehr durchdrungen, als von dem Gedanken anderer, wird er all sein Feuer an die Erreichung eines Zweckes sehen, der zugleich die Eigenliebe in Anspruch nimmt. Finanzen, Politik und Militär sind unzertrennlich. Nicht der eine oder der andere dieser Zweige muß gut verwaltet werden, sondern alle zusammen. Sie müssen zusammenwirken, wie in den olympischen Spielen die Rosse vor den Wagen, die mit gleicher Anstrengung die Rennbahn durchlaufen und dem Lenker den Preis verschaffen.«
In Hinsicht der Finanzen und des ganzen inneren Regierungssystems folgte er, wie wir wissen, dem Vorgange seines Vaters, dessen Bild und Andenken ihn unaufhörlich begleitete. Im Gespräch erzählte er zuweilen Züge der Gutmütigkeit von demselben, die anderweit nicht vorkommen; öfter gedachte er seiner Härte und dessen, was er von ihm gelitten habe. »Ein schrecklicher Mann, vor dem man habe zittern müssen, aber durch und durch brav, ja im wahren Sinne des Wortes ein philosophischer König; er habe nur eine zu hohe Vorstellung von der Fähigkeit der Menschen gehabt, und von seiner Umgebung und seinen Untertanen die nämliche Strenge gefordert, deren er sich gegen sich selbst bewußt gewesen sei. Wer es nicht wisse, könne sich keine Vorstellung davon machen, welchen Geist der Ordnung er in die verschiedenen Teile der Regierung gebracht, wie er bis in das einzelste nach möglichster Vollkommenheit gestrebt habe. Der unermüdlichen Arbeitsamkeit, bewundernswürdigen Ökonomie und strengen Soldatenzucht des Vaters verdanke er alles, was er sei. Auch ihn habe derselbe zu einem Soldaten machen wollen, aber kaum glauben dürfen, daß es damit gelingen werde; wie würde er erstaunen, wenn er wieder auflebte und ihn, mitten in den ehemals kaiserlichen Gebieten an der Spitze einer siegreichen Armee sähe, namentlich mit einer Kavallerie, von der man in jenen Zeiten keine Idee gehabt habe; er würde seinen Augen nicht trauen.«
Dürfen wir das Verhältnis Friedrichs zu seinem Vater noch einmal berühren, so war es bei weitem nicht von so umfassender Welteinwirkung, wie, womit man es verglichen hat, das Verhältnis Karls des Großen zu Pipin, Alexanders zu Philipp, aber in sich selbst um vieles merkwürdiger.
In dem Vater erscheint die Selbstherrschaft noch als Eigenwille, mit der Rauheit und Gewaltsamkeit des siebzehnten Jahrhunderts, verbunden mit einer Religiosität, die eine pietistische Ader hatte, der Idee einer allgemeinen Ordnung im deutschen Reiche sich auch dann fügend, wenn diese unbequem ward. In dem Sohne lebt dagegen seit der ersten Jugend ein lebendiger Trieb persönlicher Ausbildung: er begreift die Wissenschaften mit dem doppelten Eifer eines Autodidakten; von der Religion hält er nur die allgemeinsten Grundsätze fest; das Reich erkennt er an, inwiefern es Rechte gewährt, nicht inwiefern es Pflichten auferlegt. Der natürliche Gegensatz, worin sie sich befanden, führte einst zu jenen Konflikten, welche die Augen der Welt auf den preußischen Hof lenkten. Hätte Friedrich Wilhelm wirklich, was er nach den alten Berichten beabsichtigt haben soll, den Sohn hinrichten lassen, so würde der Staat, den er aufrechterhalten wollte, vielmehr in Gefahr geraten sein, sofort wieder umgestürzt zu werden. Er hätte einen geistigen Selbstmord begangen: oder vielmehr, wenn der Ausdruck erlaubt ist, das eine Janushaupt hätte das andere erschlagen. In allen wesentlichen Dingen zeigte sich eben dieser Sohn als der wahre Fortsetzer des Vaters; an ihrem Beispiel sieht man, wie ein Zeitalter sich aus dem anderen entwickelt, zu gleicher Zeit Identität und Verschiedenheit möglich sind. Nur Weiterbildung ist die rechte Fortsetzung. Zur Gründung gehört ein noch von der Unwillkürlichkeit des ersten Antriebes umfangener starker und rücksichtsloser Wille; die Durchführung fordert eine selbstbewußtere und umsichtigere Tatkraft.
Friedrich vereinigte die strenge Staatsordnung des Vaters mit den ihm eingeborenen Kulturbestrebungen, wodurch der Widerspruch des soldatischen Wesens mit den Tendenzen des Jahrhunderts vermittelt ward. Seine glücklichen Kriegsunternehmungen gehörten dazu, um dem Staate die Kräfte zu gewinnen, deren er noch bedurfte, ihm Haltbarkeit, Ansehen und Rang in der Welt zu geben.
In der Heerführung blieb Friedrich fortwährend einiger Lehren eingedenk, welche ihm einst, bei jener Anwesenheit im kaiserlichen Lager, Prinz Eugen von Savoyen gegeben hatte; eine namentlich, die Geschichte der früheren Feldzüge zu durchdenken, sich die Lage der Generale zu vergegenwärtigen, um in dem Geiste die Fähigkeit auszubilden, in dringenden Momenten das rechte Mittel zu ergreifen, hat er nie vergessen; er bekannte sich zuweilen als ein Schüler Eugens, doch war es die Schule aller großen Feldherren, in die ihn dieser geführt, der er sich in den eifrigsten Studien hingegeben hatte.
In der Politik dürfte man sich nicht einmal an Vorbilder halten, da die Zeiten sich unaufhörlich verändern, und Einsicht in die sich bildende Gegenwart die Summe davon ausmacht.
Was man sonst wohl dafür fordert, Kenntnis der Formen, Schonung und rücksichtsvolle Rede, war nicht Friedrichs Sache; er sprach mit Lebhaftigkeit und sparte die Sarkasmen nicht; seine Musterungen, von Mund zu Mund getragen, haben ihm an den meisten Höfen Feindseligkeiten erweckt, ja selbst Nationen, wie die Ungarn, gegen ihn aufgereizt; ein guter Diplomat wäre er nicht geworden. Die Eigenschaften aber, welche zur obersten Leitung der Geschäfte gehören: Bewußtsein der eigenen Stellung und ihrer Grundlagen, natürlichen Scharfblick des Geistes, vor dem jede Täuschung zerrinnt, Gefühl von dem, was sich ausrichten läßt, kluge Mäßigung, verschlagene Entschlossenheit, besaß er von Statur und bildete sie täglich mehr aus. Nur dadurch konnte ihm die nach dem Begriffe der Zeit verwegenste Unternehmung gelingen; das politische Talent hatte daran nicht geringeren Anteil als die Heerführung.
Noch entsprach die Stellung, die er nun einnahm, mit nichten dem, was man sich im allgemeinen von einer neu zu begründenden Macht hätte denken können. Wäre es auf Friedrich angekommen, so würde er sich in ein ganz anderes Verhältnis zu Deutschland gesetzt, Westpreußen an sich gebracht, die Grenzen nach der sächsischen Seite erweitert haben, denn höchst ungern sah er seine Hauptstadt den Anfällen eines gefährlichen Nachbarn ausgesetzt, die östlichen preußischen Lande von den übrigen Provinzen getrennt; er hätte sich wahrscheinlich auch zur See bewaffnet; allein die gemachten Erfahrungen verboten ihm jeden Gedanken dieser Art.
Auch in den beschränkten Grenzen aber, in denen er sich halten mußte, hatte er eine Macht gegründet, unantastbar und unüberwindlich, dem Wesen nach von niemand abhängig. Ihre letzte historische Grundlage war das reichsgesetzmäßige Fürstentum mit seinen Erbrechten und Anwartschaften, allein die Monarchie Friedrichs erschien hiervon losgerissen, ihre Notwendigkeit in ihrem Dasein tragend; der protestantisch-kontinentale norddeutsche Staat, zu dem jahrhundertelang Volk und Fürst, Anstrengung und Talent, sowie das gute Glück gewirkt, war zustande gekommen.
Wie im Eingange berührt, die großen Mächte hatten sich auf der Grundlage der früheren Völkerbildungen und religiös-politischen Weltereignisse erhoben. Die slawisch-griechische Welt konzentrierte sich in der russischen Autokratie; die romanisch-katholische in dem bourbonischen Königtum; eine katholisch-germanische Weltmacht stellte sich in Österreich dar; England beruhte in seinem damaligen Zustand auf der Ausschließung der Katholiken und beherrschte das Meer.
Der kontinentale Protestantismus hatte einen Versuch gemacht, sich in Schweden zu einer Weltmacht zu erheben, aber vergeblich; im welthistorischen Sinne dasselbe, was die streitbaren Schwedenkönige Gustav Adolf, Karl X. und Karl XII. nicht zu vollbringen vermocht hatten, vollzog jetzt Preußen, aber auf eine andere Weise. Jene würden den religiösen Begriff mit Strenge festgehalten haben; das Emporkommen von Preußen, wie es in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts erschien, beruht darauf, daß das nicht geschah. Hier riß sich die Idee des Staates von ihrer Verbindung mit dem positiven Bekenntnis zum ersten Male los. Der Begriff des protestantischen Reichsfürstentums mit dem Rechte der kirchlichen Reformation setzte sich in den des Staates um, der vor allen Dingen hierauf Verzicht leistete. Um sich vor dem Übergewicht anderer Weltelemente zu schützen oder ihr Recht gegen sie zu behaupten, mußte die protestantische Welt diese Umwandlung vornehmen.
Was in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts eine Neuerung schien, war nach zwanzig bis dreißig Jahren der allgemeine Sinn von Europa. Daß Friedrich mit der geistigen Bewegung der Zeit verbündet war, machte ihn groß in ihren Augen und förderte seine Unternehmungen. Er richtete einen Staat auf, in welchem der Druck, der noch an vielen Stellen nicht vermieden werden konnte, durch die Erwägung der Notwendigkeit gemildert wurde, der Gehorsam ein Bewußtsein von Freiheit nicht ausschloß. Da der Fürst sich den Bedingungen des Bestehens vollkommen unterwarf, so tat es auch ein jeder andere ohne Beschämung.
Die Generation, welche Friedrich in dieser Zeit umgab, war eine der geistesmächtigsten, die Norddeutschland jemals aus seinem Schoße hervorgebracht hat. Wie vielleicht die besten Generale der Welt, Münnich, der Marschall von Sachsen, der alte Dessauer und so viele andere Gefährten des Königs Norddeutsche, so waren es die, auf denen die Regeneration der deutschen Philosophie und Poesie, die zum erstenmal hervorgehende Kritik und Altertumskunde beruhte, wie Friedrich die Disziplin der Römer in seinem Heer wiederherstellte, so wetteiferte der deutsche Geist in seiner eigenen Sprache in allen Zweigen der Literatur mit dem Altertum; eine gesinnungsvolle, in ernster Arbeit emporstrebende Zeitgenossenschaft; Geister der verschiedensten Richtungen, weder untereinander einverstanden noch zu diesem Werke herbeigezogen, aber im höheren Sinne zusammenwirkend.
Im deutschen Reiche war es nun dahin gekommen, daß das Kaisertum in dem Kerne seines politischen Daseins mehr als je Territorialfürstentum geworden war: das Territorialfürstentum dagegen war beinahe zum Kaisertum entwickelt. In Brandenburg-Preußen ward weder in legislativer noch religiöser Beziehung, weder in Gericht noch Verwaltung auf etwas anderes als das innere Bedürfnis Rücksicht genommen. Den Anspruch darauf rechtfertigte es durch die Unabhängigkeit nach außen, die es behauptete. Selbst Österreich arbeitete erst, sich dem maßgebenden Übergewicht der Seemächte zu entziehen; Sachsen hing von Rußland ab; die Verbindung mit England knüpfte Hannover an die Politik dieses Landes. Die übrigen Fürstentümer waren zu schwach, um etwas für sich zu bedeuten. Nur in Preußen war eine große, zugleich deutsche und europäische Selbständigkeit gegründet, welche das volle Gefühl der Unabhängigkeit seit Jahrhunderten zum erstenmal wieder in die Gemüter brachte, durchdrungen von dem Stolze, auch in bezug auf die Weiterbildung der Welt anderen voranzugehen.
Wenn jemals ein Ereignis auf einer großen Persönlichkeit beruht hat, so ist es das Ereignis des Siebenjährigen Krieges.
Die Kriege unserer Zeit pflegen durch wenige entscheidende Schläge zu Ende gebracht zu werden; frühere dauerten länger; doch stritt man mehr über Forderungen und Ansprüche, als über die Summe der Existenz, über das Sein oder Nichtsein der Staaten selbst. Der Siebenjährige Krieg unterscheidet sich dadurch, daß bei so langer Dauer doch jeden Augenblick die Existenz von Preußen auf dem Spiele stand. Bei dem Zustande der Dinge, der allgemeinen Feindseligkeit bedurfte es nur eines einzigen unglücklichen Tages, um diese Wirkung hervorzubringen. Vollkommen fühlte dies Friedrich selbst. Nach der Niederlage von Kolin rief er aus: »Es ist unser Pultawa!«, und wenn sich ihm dies Wort glücklicherweise nicht erfüllt hat, so ist doch wahr, daß er sich seitdem von Moment zu Moment vom Untergange bedroht sah.
Ich will nicht berühren, welche Hilfsquellen ihm in einer so verzweifelten Lage sein militärisches Genie, die Tapferkeit seiner Truppen, die Treue seiner Untertanen oder zufällige Umstände dargeboten haben. Die Hauptsache ist, daß er sich moralisch aufrechterhielt.
Nur zu leichten Geistesübungen, zu flüchtiger Poesie, zu akademischen Arbeiten hatte ihn die französische Philosophie angeleitet; eher zum Genuß des Lebens, solange es dauert, schien sie ihn einzuladen, als zu so gewaltigen Anstrengungen. Aber wir dürfen sagen, daß der wahre Genius selbst von der irrigen Lehre unverletzt bleibt. Er ist sich seine eigene Regel; er ruht auf seiner eigenen Wahrheit; es gehört nur dazu, daß ihm diese zum Bewußtsein komme; dafür sorgt dann das Leben, die Anstrengung einer großen Unternehmung; das Unglück macht ihn reif.
Ein großer Feldherr war Friedrich II. längst; die Unfälle, die er erlitt, machten ihn zum Helden. Der Widerstand, den er leistete, war nicht allein militärisch; es war zugleich ein innerer, moralischer, geistiger; der König führte diesen Krieg fortwährend in Überlegung der letzten Gründe der Dinge, in großartiger Anschauung der Vergänglichkeit alles irdischen Wesens.
Ich will seine Gedichte nicht als ausgezeichnete Werke poetischer Kraft rühmen; in solcher Hinsicht mögen sie manche Mängel haben; aber diejenigen wenigstens, welche während der Wechselfälle dieses Krieges entstanden sind, haben einen großartigen Schwung einfacher Gedanken; sie enthüllen uns die Bewegungen einer männlichen Seele in Bedrängnis, Kampf und Gefahr. Er sieht sich »mitten im tobenden Meer«; der Blitz streift durch das Ungewitter; »der Donner«, sagt er, »entladet sich über mein Haupt; von Klippen bin ich umgeben; die Herzen der Steuernden sind erstarrt; die Quelle des Glücks ist ausgetrocknet, die Palme verschwunden, der Lorbeer verwelkt.« Zuweilen mag er wohl in den Predigten des Bourdaloue einen Anhalt, eine Stärkung gesucht haben; häufiger wendete er sich zu der Philosophie der Alten. – Jedoch das dritte Buch des Lucrez, das er so oft studiert hat, sagte ihm nur, daß das Übel notwendig und kein Heilmittel dagegen möglich sei. Er war ein Mann, dem selbst aus dieser harten, verzweiflungsvollen Lehre erhabene Gedanken hervorgingen. Dem Tode, den er sich oft gewünscht, auf dem Schlachtfelde gefunden zu haben, sah er auch auf eine andere Weise ohne Scheu geradezu ins Auge. Wie er seine Feinde gern mit den Triumvirn verglich, so rief er die Manen des Cato und des Brutus auf und war entschlossen, ihrem Beispiel zu folgen. Doch war er nicht ganz in dem Falle dieser Römer. Sie waren in den Gang eines allgemeinen Weltgeschickes verflochten – Rom war die Welt – ohne anderen Rückhalt als die Bedeutung ihrer Person und der Idee, für die sie sich schlugen; er aber hatte ein eigenes Vaterland zu vertreten und zu verfechten, wenn irgendein besonderer Gedanke auf ihn gewirkt hat, so würden wir sagen, daß es dieser Gedanke an sein Land, an sein Vaterland gewesen ist. Wer schildert ihn uns nach der Kunersdorfer Schlacht, wie er den Umfang seines Unglücks und die Hoffnungslosigkeit seines Zustandes ermaß, wie er bei dem Haß und dem Glücke seiner Feinde alles für verloren hielt, wie er dann für sein Heer und sein Land nur einen einzigen Ausweg sah und den Entschluß faßte, diesen zu ergreifen, sich aufzuopfern, – bis sich ihm denn doch allmählich die Möglichkeit eines erneuten Widerstandes zeigte und er sich dieser fast hoffnungslosen Pflicht aufs neue widmete. Unmöglich konnte er sein Land, wie er es solange sehen mußte, zurücklassen: »von den Feinden überschwemmt, seiner Ehre beraubt, ohne Hilfsquellen, in lauter Gefahr«; »dir«, sagt er, »will ich die Reste meines unheilvollen Lebens widmen; ich will mich nicht in fruchtlosen Sorgen verzehren; ich werfe mich wieder in das Feld der Gefahr.« »Setzen wir uns«, ruft er dann seinen Truppen zu, »dem Geschick entgegen; mutig auf wieder so viele, miteinander verschworene, vor Stolz und Vermeßenheit trunkene Feinde!« So hielt er aus. Endlich erlebte er doch den Tag des Friedens. »Die Standhaftigkeit«, sagt er am Schluß seiner Geschichte dieses Krieges, »ist es allein, was in den großen Geschäften aus Gefahren zu erretten vermag.« Ungeschmälert behauptete er sein Land, und von dem Moment, daß er sich wieder den Herrn desselben wußte, ließ er seine vornehmste, seine einzige Sorge sein, die Wunden zu heilen, die der Krieg ihm geschlagen.
Wenn es als der Begriff einer großen Macht aufgestellt werden könnte, daß sie sich wider alle anderen, selbst zusammengenommen, zu halten vermögen müsse, so hatte Friedrich Preußen zu diesem Range erhoben. Seit den Zeiten der sächsischen Kaiser und Heinrichs des Löwen zum ersten Male sah man im nördlichen Deutschland eine selbständige, keines Bundes bedürftige, auf sich selber angewiesene Macht.
Es erfolgte, daß Frankreich von dem an in deutschen Angelegenheiten wenig oder nichts vermochte. Mit einer Opposition, wie es sie in dem österreichischen Erbfolgekriege erweckt oder begünstigt hatte, war es völlig vorbei. Hatte Preußen sich emanzipiert, so hatten Bayern und Sachsen sich wieder an Österreich angeschlossen.
Auch war sobald an keine Erneuerung dieses Verhältnisses zu denken; Frankreich selbst hatte sie dadurch verhindert, daß es in jene enge und genaue Allianz mit Österreich getreten war, die den Siebenjährigen Krieg herbeiführte. Ich will nicht untersuchen, inwiefern dieses Bündnis alle die anderen Folgen gehabt hat, welche die Franzosen, wenigstens nicht ohne Übertreibung, ihm zuschreiben; aber gewiß ist, daß Frankreich seine bisherige Stellung, kraft deren es die deutsche Opposition begünstigt hatte, hierdurch selber aufgab, daß »von diesem Augenblicke an«, wie dort gesagt, »der König von Preußen zum Nachteil der französischen Suprematie auf dem Kontinent der Beschützer der deutschen Freiheiten wurde«. Man glaube nicht, daß Österreich den Franzosen ihren alten Einfluß gestattet habe. Noch als Coregent und von allem Anfang ließ Joseph II. erklären, »er halte die Rechte der kaiserlichen Krone für heilig; er bitte sich aus, daß man ihm nicht daran rühre, wenn man mit ihm gut stehen wolle.« Es war schon damals zu erkennen, daß der wahre Schuß der politischen Unabhängigkeit von Deutschland in einer freien und fest begründeten Vereinigung dieser beiden Mächte gegen das Ausland bestehe.
Diese große Veränderung bekam jedoch erst dadurch ihre volle Bedeutung, daß zugleich in der Literatur eine Befreiung der Nation von den französischen Vorbildern und ihrer falschen Nachahmung erfolgte. Ich will nicht sagen, daß sich unsere Nation nicht auch bisher geistiger Unabhängigkeit in einem gewissen Grade erfreut hätte. Am meisten lag dieselbe wohl in der Ausbildung des theologischen Systems, welches alle Geister ergriffen hatte und in der Hauptsache ursprünglich deutsch war. Allein einmal war es doch nur ein Teil der Nation, dem es angehörte; sodann in welch seltsame, scholastische Form fand sich hier die reine, ideale, innerliche Erkenntnis der Religion eingezwängt! Man kann die Tätigkeit und den teilweisen Erfolg nicht verkennen, mit denen in manchen anderen Wissenschaften gearbeitet wurde; aber sie hatten sich alle der nämlichen Form unterwerfen müssen; in verwickelten Lehrgebäuden, für die Überlieferung des Katheders, selten für eigentlich geistiges Verständnis geeignet, breiteten sie sich aus; die Universitäten beherrschten nicht ohne Beschränktheit und Zwang die allgemeine Bildung. Um so leichter geschah es, daß die oberen Klassen der Leserschaft allmählich davon minder berührt wurden und sich, wie gedacht, von französischen Dichtungen hinreißen ließen. Seit der Mitte des Jahrhunderts aber begann eine neue Entwicklung des nationalen Geistes. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese doch sehr von jenem Standpunkt ausging, obwohl sie in einem gewissen Gegensatze mit demselben begriffen war. Unbefriedigt, zwar noch festgehalten, aber nicht mehr so beschränkt von dem dogmatischen System, erhob sich der deutsche Geist zu einer poetischen Ergänzung desselben; die Religion ward endlich einmal wieder, und zwar, worauf alles ankommt, ohne Schwärmerei, in ihren menschlichen Beziehungen dem Gemüte nahegebracht. In kühnen Versuchen ermannte sich die Philosophie zu einer neuen Erörterung des obersten Grundes aller Erkenntnis. Nebeneinander, an demselben Orte, wesentlich verschieden, aber nahe verwandt, traten die beiden Dichtungen der deutschen Philosophie hervor, welche seitdem, die eine mehr anschauend, die andere mehr untersuchend, sich neben- und miteinander ausgebildet, sich angezogen und abgestoßen, aber nur zusammen die Fülle eines originalen Bewußtseins ausgedrückt haben. Kritik und Altertumskunde durchbrachen die Masse der Gelehrsamkeit und dringen bis zu lebendiger Anschauung hindurch. Mit einem Schlage dazu erweckt, von seiner Gründlichkeit und Reife unterstützt, entwickelte dann der Geist der Nation selbständig und frei versuchend eine poetische Literatur, durch die er eine umfassende, neue, obwohl noch in manchem inneren Konflikt begriffene, doch im ganzen übereinstimmende Weltansicht ausbildete und sich selber gegenüberstellte. Diese Literatur hatte dann die unschätzbare Eigenschaft, daß sie nicht mehr auf einen Teil der Nation beschränkt blieb, sondern sie ganz umfaßte, ja ihrer Einheit zuerst wieder eigentlich bewußt machte. Wenn nicht immer neue Generationen großer Poeten auf die alten folgen, so darf man sich nicht so sehr darüber wundern. Die großen Versuche sind gemacht und gelungen; es ist im Grunde gesagt, was man zu sagen hatte, und der wahre Geist verschmäht es, auf befahrenen, bequemen Wegen einherzuschreiten. Doch wurde das Werk des deutschen Genius noch bei weitem nicht vollendet; seine Aufgabe war, die positive Wissenschaft zu durchdringen; mancherlei Hindernisse haben sich ihm dabei entgegengestellt, die aus dem Gange seiner eigenen Bildung oder auch anderen Einwirkungen entsprangen; wir dürfen nun hoffen, daß er sie alle überwinden, zu einem vollkommeneren Verständnis in sich selbst gelangen und alsdann zu unablässig neuer Hervorbringung fähig sein werde.
Jedoch ich halte inne, denn von der Politik wollte ich reden, obschon diese Dinge auf das genaueste zusammengehören und die wahre Politik nur von einem großen nationalen Dasein getragen werden kann. So viel ist wohl gewiß, daß zu dem Selbstgefühl, von welchem dieser Schwung der Geister begleitet war, keine andere Erscheinung so viel beigetragen hat wie das Leben und der Ruhm Friedrichs II. Es gehört dazu, daß eine Nation sich selbständig fühle, wenn sie sich frei entwickeln soll; und nie hat eine Literatur geblüht, ohne durch die großen Momente der Historie vorbereitet gewesen zu sein. Aber seltsam war es, daß Friedrich selbst davon nichts wußte, kaum etwas ahnte. Er arbeitete an der Befreiung der Nation, die deutsche Literatur mit ihm; doch kannte er seine Verbündeten nicht. Sie kannten ihn wohl. Es machte die Deutschen stolz und kühn, daß ein Held aus ihnen hervorgegangen war.