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Lebensbild aus den Tagen Ludwig's XIV.
Wenn man bedenkt, was für wunderliche Geschichten in dieser Welt tagtäglich geschehen, so muß man sich sehr wundern, daß es immerfort Leute gegeben hat und noch gibt, welche sich abmühten und abmühen, selbst seltsame Abenteuer zu erfinden und sie ihren leichtgläubigen Nebenmenschen durch Schrift und Wort für Wahrheit aufzubinden. Die Leute, die solches thun, verfallen denn auch meistens – wenn sie ihr leichtfertig Handwerk nicht in's Große treiben und was man nennt große Dichter werden, – der öffentlichen Mißachtung als Flausenmacher und Windbeutel, und alle Vernünftigen und Verständigen, die sich durch ein ehrlich Handwerk ernähren, als wie Prediger, Leinweber und Juristen, Bürstenbinder, Aerzte, Schneider, Schuster und dergleichen, blicken mit mitleidiger Geringschätzung auf sie herab und das mit Recht!
So sage ich denn reu- und wehmüthig confiteor, confiteor; – me culpa, mea culpa! so beginne ich denn meine – wahre Geschichte.
Es war in dem durch die Seeschlacht von La Hogue für das Glück und den Glanz des französischen Königs und Volkes so unheilvollen Jahre 1692. Viel Noth und Elend herrschte im Lande; in Guienne, Bearn, Languedoc und der Dauphinée starben die Menschen zu Tausenden vor Hunger; Banquerotte, gräuliche Mordthaten, Aufstände waren an der Tagesordnung; – es war, als wollte es abwärts gehen mit dem großen Louis. Es regnete und der Novemberwind fuhr in kurzen Stößen scharf über die Stadt Paris und durch die Gasse Quincampoix, welche letztere gar wüst, schmutzig und verwahrlost ausschauete. Und sah die Gasse Quincampoix an diesem düstern Novembernachmittag häßlich aus, so gewährten die Menschen, welche sie bevölkerten, einen noch schlimmeren Anblick. War es nicht, als ob das allgemeine Unglück jedem Gesicht seinen Stempel aufgedrückt habe? – O wie verkommen erschien diese französische Nation, welche sich für die erste der Welt hielt!
Vier Uhr schlug's, als ein junger Mensch von ungefähr achtundzwanzig Jahren, hager, bleichgelblich von Gesicht, schwarzhaarig, schwarzäugig, in luftigen, ärmlichen, schäbigen Kleidern, in der Gasse Quincampoix in die Kneipe zum Dauphinswappen trat, um seine letzten Sols an eine Mahlzeit zu wenden. Stefano Vinacche hieß dieser junge Mann; ein Neapolitaner war er von Geburt, ein Abenteurer vom reinsten Wasser. Als er in die Gargotte eintrat, herrschte in derselben ein wahrer Höllenlärm: ein Sergeant vom Regiment Villequier war mit einem Cornet vom Regiment Ruffey über dem Spiele in Streit gerathen, ein Perrückenmacher zankte mit einem Lakaien der Prinzessin von Conti über die Frage: ob es Recht sei, daß Monsieur de Pomponne, der Staatsminister, soviel einzunehmen habe, als ein Prinz von Geblüt; – andere Gäste unterhielten sich über andere Gegenstände mit so viel Lärm als möglich. Im Hinterzimmer, welches an die Kneipstube grenzte, war ein äußerst hitziger Wortkampf ausgebrochen zwischen dem Wirth zum Dauphinswappen, Claude Bullot, und seiner hübschen galanten Tochter; – kurz, Alles ging drunter und drüber und nur Margot, die Kellnerin, eine Picarde, bewahrte ihren Gleichmuth, blickte vom Kamin aus mit untergeschlagenen Armen in das Getümmel und gab Achtung, daß dem Sergeanten und dem Cornet jede zerbrochene Flasche, jedes zertrümmerte Glas richtig angekreidet wurden. Margot die Picarde wußte, daß im Nothfall die Marechaussée in der Gaststube Alles schon in's Gleichgewicht bringen würde, und was im Hinterzimmer vorging, zwischen ihrem Herrn und der Mademoiselle, machte ihr das höchste Vergnügen. –
Am Kamin legte Margot die Picarde dem Neapolitaner das Couvert, und der Fremde war allzu ausgehungert und allzu naß, um anfangs an etwas Anderes zu denken, als den Hunger aus dem Magen und die Kälte aus den übrigen Gliedern zu verjagen. Ruhig setzte er sich auf den ihm angewiesenen Platz, aß und trank, trocknete seine Kleider bis er allgemach wieder auflebte und fähig wurde, seine Aufmerksamkeit den Vorgängen in seiner Umgebung zuzuwenden. Der Sergeant vom Regiment Villequier erhielt richtig einen Degenstoß in die Schulter, verhaftet wurde darüber der Cornet von Regiment Ruffey; die Bürger, Lakaien, Diebe und Tagediebe zerstreuten sich mit einbrechender Dämmerung, um sich vor der Dunkelheit zu retten, oder in der Dunkelheit ihren lichtscheuen Geschäften nachzugehen. Es wurde still in der Gargotte, nur im Hinterzimmer konnte man sich immer noch nicht beruhigen. In der Thür, welche auf die Gasse führte, stand die Kellnerin Margot und blickte in den Regen und die Nacht hinaus, das Feuer im Kamine prasselte und knatterte und warf seinen rothen Schein über die Tische und Bänke des weiten Gemaches, die trübe Hängelampe qualmte an der geschwärzten Decke; Niemand störte jetzt mehr den jungen Neapolitaner in seinen trüben Gedanken. Mechanisch klimperte er mit den wenigen Geldstücken in seiner Tasche; – was sollte er beginnen, um nicht Hungers zu sterben, um nicht in den Gassen dieses schmutzigen, kalten, stinkenden Paris zu erfrieren? »O Neapel, Neapel!« seufzte Stefano Vinacche.
Ja wohl, ein Anderes war es, eine Nacht obdachlos am Strande des tyrrhenischen Meeres, ein Anderes, eine Nacht obdachlos am Ufer der Seine zuzubringen! Eine Art stumpfsinniger Schlaftrunkenheit überkam den jungen Italiener, seine Augen schlossen sich unwillkührlich und immer dumpfer und verworrener vernahm er das Schluchzen der Mademoiselle Bullot und die kreischende Stimme des zornigen Vaters.
Aber was war das? Plötzlich schwand jedes Zeichen von Ermüdung, von Erschöpfung an dem Italiener. Vorgebeugt saß er auf seinem Stuhle und horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach der Thür hin, welche in das Hinterzimmer führte. Das Wechselgespräch zwischen Vater und Tochter war dem Fremden auf einmal interessant geworden durch einen Namen, der so eben mehrere Male darin vorgekommen war.
Immer gespannter horchte Vinacche.
Hatte nicht Meister Claude Bullot, ehe ihm Monseigneur der Herzog von Chaulnes die Kneipe zum Dauphinswappen einrichtete, als Seifensieder Banquerott gemacht?
War nicht Mademoiselle Bullot ein reizendes Schätzchen, dem man schon etwas zu Gefallen thun konnte?
Hoch spitzte Stefano Vinacche die Ohren bei'm Namen des Herzogs von Chaulnes.
»Oho, Stefano, solltest Du da unvermuthet in den Honigtopf gefallen sein? Ohe, Glück geht immer über Verstand, – val piu in' oncia di fortuna, che una libra de sapere'. Achtung, Achtung, Vinacche!«
Mancherlei sprach der Vater im Hinterzimmer der Kneipe zum Wappen des Dauphins. Mancherlei sprach das Töchterlein dagegen; immer fröhlicher rieb sich Stefano die Hände, bis endlich die Verbindungsthür mit Macht aufgerissen wurde, und Mademoiselle – eplorée –. in das Schenkzimmer stürzte. Hinter ihr erschien der zornige Papa, einen zusammengedrehten Strick in der Hand:
»Warte Creatur!«
Stefano Vinacche wußte schon längst, was er zu thun hatte. Er warf sich auf den ergrimmten Gargottier und packte seinen erhobenen Arm.
»Monsieur?!«
»Monsieur!«
»Laßt mich frei! was fällt Euch ein?«
»Ich leid's nicht, daß Ihr Mademoiselle mißhandelt; – tretet hinter mich, Mademoiselle!«
»Margot, Margot!« rief endlich der Wirth zum Dauphinswappen.
Margot erschien, stemmte aber nur die Arme in die Seite und sah der Scene zu, ohne ihrem Herrn zu Hilfe zu kommen.
»Haltet ihn, um Gotteswillen, haltet ihn, er wird mich ermorden, wenn Ihr ihn frei laßt!« rief Mademoiselle Bullot.
»Seid ruhig, Schönste; er soll Euch nichts zu Leide thun. Pfui, schämt Euch, Monsieur, wie könnt Ihr eine liebenswürdige Tochter also behandeln?«
»Ich frage Euch zum letztenmal, wollt Ihr mich loslassen«
»In Ewigkeit nicht, wenn Ihr mir nicht den Strick gebt, Signor, und versprecht artig zu sein gegen die Damen, Signor!«
» Morbleu!« schrie der Wirth zum Dauphinswappen, und der Himmel weiß, was geschehen wäre, wenn nicht der Eintritt eines in einen Mantel gewickelten Mannes der Scene ein Ende gemacht hätte.
Der Mantel fiel zur Erde, und Wirth und Töchterlein und Kellnerin und Italiener riefen mit Einer Stimme:
»Monseigneur!«
Der Eingetretene war Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes, Pair von Frankreich, Vidame von Amiens, ein ältlicher Mann, dem man den »großen Herrn« nicht im mindesten ansah, woran der bürgerliche Anzug durchaus nicht Schuld war; ein Mann, von welchem einige Jahre später ein deutscher Schriftsteller sagte: »Er erwartet den Tod mitten in seinen Vergnügungen, er ist freigebig ohne Unterschied und von einem sehr abgenutzten Gehirne.«
»Holla, das geht ja lustig her!« rief der Herzog » Notre Dame de Miracle, und auch Vinacche dabei! Sagt mir um aller Teufel willen –«
Mademoiselle Bullot ließ ihn nicht aussprechen; sie eilte auf den hohen Herrn zu und – warf sich an seinen Hals, schluchzend, Gift und Galle speiend:
»Monseigneur, ich halt's nicht mehr aus; Monseigneur, errettet mich aus den Händen meines Vaters! Wäre dieser edle junge Mann eben nicht dazwischengekommen, er hätte mich gewißlich zu Tode geschlagen.«
»Wieder das alte Lied? Bullot, Bullot, ich frage Euch um Gotteswillen, glaubt Ihr in der That, ich habe Euch Eurer rothen Nase wegen zum Eigenthümer dieses Dauphinswappens gemacht? Ich sage Euch, auf den Knien solltet Ihr Euere liebenswürdige Tochter verehren; – notre Dame de Miracle, ich sage Euch zum allerletzten Male, behandelt Mademoiselle wie es sich ziemt, oder –«
»O Monseigneur!« flehte Meister Claude, welcher seinen Strick längst ganz verstohlen in den Winkel geworfen hatte, und katzenbuckelnd so gemein und niederträchtig aussah, wie man unter der Regierung des großen Louis nur aussehen konnte. »O Monseigneur, ich versichere Euch, sie hat's darauf abgesehen, ihren unglückseligen Vater in ein frühzeitig Grab zu bringen. Monseigneur, Ihr kennt sie nur von der einen Seite; aber ich – o Monseigneur!« –
»Still! Ihr seid ein Schurke und Mademoiselle ist ein Engel! – beruhige Dich, Kind –«
»Monseigneur, er ist zu boshaft. Monseigneur, wenn Ihr mich wirklich liebt, so laßt mich nicht in seiner Gewalt.«
»Ruhig, ruhig, süßes Kind. Was ist denn nur eigentlich vorgefallen?«
Ja, was war vorgefallen?
Eine Zungenfertigkeit sondergleichen entwickelten Mademoiselle Bullot und Meister Claude Bullot gegen einander, doch haben wir mit dem Ausgangspunkte des Streites nicht das Mindeste zu schaffen und brauchen nur zu sagen, daß der Herzog von Chaulnes, obgleich er im Grunde seines Herzens dem erzürnten Papa Recht geben mußte, in Anbetracht seiner zarten Stellung zu Mademoiselle, sich auf deren Seite stellte. Sehr ärgerlich war der Herr Herzog von Chaulnes! In äußerst lebendiger Stimmung war er durch die Gasse Quincampoix zum Dauphinswappen geschlichen; nun fand er statt Ruhe und Behagen, Unzufriedenheit und Streit; wo er Lächeln und Lachen erwartet hatte, mußte er Thränen trocknen; – notre Dame de Miracle, es war zu ärgerlich!
»Etienne«, sagte der Herzog zu Vinacche, »Etienne, ich bin dieses Lärms müde; ich will nach Haus und Du magst mit mir kommen. Meister Claude, ich versichere Euch meine gnädigste Ungnade! Mademoiselle, Eure rothgeweinten Augen betrüben mich sehr – gute Nacht, Mademoiselle – dazu zweihundert Louisd'or im Landsknecht verloren – kommt Etienne Vinacche, Ihr mögt mit mir zum Hotel fahren, ich habe Euch Etwas zu sagen; ich habe eine Idee!«
Vergebens hing sich Mademoiselle Bullot an den Arm des Herzogs mit den süßesten Schmeichelworten und Liebkosungen. Er machte sich los, streckte dem niedergeschmetterten Wirth zum Dauphinswappen eine Faust entgegen, ließ sich von Vinacche den Mantel wieder um die Schultern legen und verließ, im höchsten Grade mißmuthig gestimmt, die Gargotte, in welcher nach seinem Abzuge der Tanz zwischen Vater und Tochter von Neuem anging, doch diesmal mit allem Vortheil auf Seiten von Mademoiselle, Meister Claude Bullot sah ein, daß er ein Esel – ein gewaltiger Esel war; demüthig kroch er zu Kreuze und nahm jede Injurie, welche ihm das Töchterlein an den Kopf warf, mit gekrümmten Rücken in Empfang.
Unterdessen wateten mühsam der Herzog und der Italiener durch den Schmutz und die Gefahren der Gassen von Paris, bis sie an einer Ecke zu der harrenden Carrosse des Herzogs gelangten. Mit tiefen Bücklingen riß ein Lakai den Wagenschlag auf.
»Steig hinten auf, Etienne; ich habe mit Dir zu reden,« sagte der Herzog und warf sich in die Kissen seiner Kutsche.
»Achtung Stefano, jetzt mag's in Deinen Topf regnen!« murmelte der schlaue Neapolitaner, und schwerfällig setzte sich die Carrosse in Bewegung.
Während vor dem flackernden Kaminfeuer in seinem Hotel der Herzog von Chaulnes dem obdachlosen Vagabunden Stefano Vinacche den annehmbaren Vorschlag thut, Mademoiselle Bullot, das liebenswürdige Erzeugniß der Gasse Quincampoix, zu – heirathen und dadurch nicht nur sich selbst sondern auch Monseigneur aus mancherlei ärgerlichen Verdrießlichkeiten des Lebens herauszureißen, wollen wir erzählen, wer Stefano Vinacche eigentlich war. Im Jahre 1689 war der junge Neapolitaner als Lakai im Gefolge des Herzogs, dem er zu Rom mancherlei Dienste curioser Art geleistet haben mochte, nach Frankreich gekommen, ohne jedoch in diesem Lande anfangs die Träume, welche ihm seine südliche Phantasie vorspiegelte, zu verwirklichen. Es wird uns nicht gesagt, was ihn im folgenden Jahre schon aus dem Dienste seines Gönners trieb, und ihn bewog, sich als gemeiner Soldat in das Regiment Royal-Roussillon aufnehmen zu lassen. Wir wissen nur, daß er im Jahre 1691 dem Regimentsschneider Nicolle, seinem Schlafkameraden, einige Officiersuniformen, welche derselbe ausbessern sollte, stahl und mit ihnen desertirte, welches Wagestück aber fast übel abgelaufen wäre. Auf dem Wege nach Paris, der Stadt, nach welcher von jeher eine, dumpfe Ahnung künftiger Geschicke das seltsame Menschenkind trieb, gefangen und als Fahnenflüchtiger in's Gefängniß geworfen und zum Tode verurtheilt, entging er nur durch Verwendung des Grafen von Auvergne dem Galgen. Im nächsten Jahre in Freiheit gesetzt, machte sich Stefano Vinacche von Neuem auf den Weg nach Paris und haben wir seiner Ankunft in der Gargotte zum Wappen des Dauphins in der Gasse Quincampoix so eben beigewohnt. – Ei, wie wunderlich, wunderlich spinnt sich ein Menschenleben ab! Wir armen blinden Leutlein auf diesem Erdenballe, wandeln freilich in einem dichten Nebel, der sich nur zeitweilig ein wenig hier und da lüftet, um im nächsten Augenblicke desto dichter sich wieder zusammenzuziehen. Wir getriebenen und treibenden Erdbewohner haben freilich nur eine dumpfe Ahnung von dem, was, im Getümmel ringsumher vorgeht. Warum sollten wir uns auch in der kurzen Spanne Lebenszeit, die uns gegeben ist, viel um andere Leute bekümmern, da wir doch so viel mit uns selbst zu thun haben? Ueber allen Nebeln ist Gott; der mag zusehen, daß Alles mit rechten Dingen zugeht; der mag Acht geben, daß sich der Faden der Geschlechter, welchen er durch die Jahrtausende von dem Erdknäul abwickelt, nicht verwirrt. Nur weil sie abgewickelt werden, drehen sich Sonne Mond, Sterne; – von jeder leuchtenden Kugel läuft ein Faden zu dem großen Knäul in der Hand Gottes, zu dem großen letzten Knäul, in welchem jeglicher Knoten, der unterwegs entstanden sein mochte, gelöst sein wird, in welchem alle Fäden nach Farben und Feinheit harmonisch sich zusammenfinden werden.
Da ist solch ein Knötlein im Erdenfaden! wir finden es in unsrer Erdgeschichte am Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts nach Jesu Geburt, wo viel Sünde, Schande und Verderbniß sich häßlich in einander schlingen, wo Krieg und Sittenlosigkeit das abscheulichste Bündniß geschlossen haben, daß das jetzige Geschlecht schaudernd darob die Hände über dem Kopfe zusammenschlägt.
Der Erzähler aber, des letzten großen knotenlosen Knäuels in der Hand Gottes gedenkend, schlägt nicht die Hände über dem Kopfe zusammen; – den Handschuh hat er ausgezogen, muthig in die Wüstenei hineingegriffen, einen längst begrabenen, vermoderten, vergessenen Gesellen hervorgezogen. Da ist er – Stefano Vinacche – späterhin Monsieur Etienne de Vinacche, großer Arzt, berühmter Chemiker, – Goldmacher, nächst Samuel Bernard der reichste Privatmann seiner Zeit! ....
»Also, Etienne«, sprach der Herzog von Chaulnes zu dem halb verhungerten, obdachlosen Vagabunden, »eine allerliebste Frau und eine vortreffliche Aussteuer ....«
» Servitore umilissimo!«
»Und, Etienne, eine Empfehlung an meinen Freund, den Herzog von Brissac, Ihr geht nach Anjou, – lebt auf dem Lande, wie die Engel à la Claude Gillot, – ich besuche Euch – stehe Gevatter –«
»Ah!« machte der Italiener mit einer unbeschreiblichen Bewegung des ganzen Oberkörpers.
» Plait-il?«
»O nichts, Monseigneur!« sagte der Italiener. »Ihr seid mein gnädigster, gütigster Herr und Gebieter.« Er machte eine Verbeugung bis auf den Boden. »Wann soll die Hochzeit sein, Monseigneur?«
»So schnell als möglich – ach!«
»Monseigneur seufzt?!« rief Stefano schnell. »Noch ist's Zeit, daß Monseigneur sein Wort zurücknehme; Mademoiselle Bullot ist ein reizendes Mädchen; aber wenn Monseigneur die hohe Gnade haben wollte, mich wieder zu seinem Kammerdiener zu machen –«
»Nein, nein, nein, es bleibt dabei, Vinacche; Ihr heirathet die Schöne, und ich – ah notre Dame de Miracle – ich will hingehen und sorgen, daß Madame von Maintenon und der Pater La Chaise davon zu hören bekommen. Also geht, Vinacche; bis zur Hochzeit gehört Ihr wieder zu meinem Haus. Der Intendant soll für euch sorgen.«
»Monseigneur ist der großmüthigste Herr der Welt!« rief Vinacche dem Herzog die Hand küssend. Unter tiefen Bücklingen schritt er rücklings zur Thür hinaus, und tief seufzend blickte ihm sein Gönner nach.
Als sich die Thür hinter dem Italiener geschlossen hatte, murmelte dieser: » Corpo di Bacco, Achtung, Achtung, Vinacche, Stefano, mein Söhnchen! Halte die Augen offen, mein Püppchen! Ist's mir nicht versprochen bei meiner Geburt, daß ich vierspännig fahren sollte in der Hauptstadt der Franzosen?!«
Drinnen rieb sich der Herzog die Stirn und ächzte:
»Ach, Madame von Maintenon ist eine große Dame! Vive la messe!«
Acht Tage nach dem eben Erzählten war eine Hochzeit in der Gasse Quincampoix. Der Wirth zum Dauphinswappen Claude Bullot verheirathete zu seiner eigenen Verwunderung und zur Verwunderung sämmtlicher Nachbaren und Nachbarinnen seine hübsche Tochter mit einem ganz unbekannten, jungen Menschen, der nicht einmal ein Franzose war. Mancherlei Glossen wurden darüber gemacht, und allgemein hieß es, Mademoiselle Bullot sei eine Thörin, welche nicht wisse, was man mit einem hübschen Gesicht und tadellosen Wuchs zu Paris anfangen könne.
Da aber Mademoiselle Bullot und Stefano Vinacche mit ziemlich vergnügten Mienen ihr Schicksal trugen, so mochten Papa und Nachbarschaft nach Belieben sich wundern, nach Belieben Glossen machen. Sämmtliche Dienerschaft des Herzogs von Chaulnes verherrlichte die Hochzeit durch ihre Gegenwart; Flöten und Geigen erklangen in der Gargotte zum Wappen des Dauphins. Man sang, jubelte, trank auf das Wohl der Neuvermählten bis tief in die Nacht. Zuletzt artete das Gelage nach der Sitte der Zeit in eine wahre Orgie aus; blutige Köpfe gab's, und zum Beschluß mußte der Polizeilieutnant einschreiten und die ausgelassene Gesellschaft aus einander treiben. Am folgenden Tage machte das junge Paar sich auf den Weg zum Gouverneur von Anjou, dem Herzog von Brissac, einem »armen Heiligen, dessen Name nicht im Kalender steht.«
Ein tüchtiges Schneegestöber wirbelte herab, als der Wagen der Neuvermählten hervorfuhr aus der Gasse Quincampoix. Auf der Schwelle seiner Thür stand der Vater Bullot mit der Kellnerin Margot, und beide blickten dem Fuhrwerk nach, so lange sie es sehen konnten. Dann zog der Wirth zum Dauphinswappen die Schultern so hoch als möglich in die Höhe und trat mit der Picarde zurück in die Schenkstube, welche noch deutlich die Spuren der Hochzeitsnacht an sich trug.
»Alles in Allem genommen, ist's doch ein Trost und ein Glück, daß ich sie los bin,« brummte der zärtliche Papa. »Es hätte noch ein Unglück gegeben; das war ja immer, als brenne der Scheuerlappen zwischen uns. Vorwärts, Margot! an die Arbeit, mein Liebchen, auf, daß das Haus rein werde.« –
Liebe Freunde, wer das Leben Stefano Vinacche's beschreibt, der muß recht Acht geben, daß er seinen Weg im Nebel nicht verliere. Schattenhaft gleitet die Gestalt des Abenteurers vor dem Erzähler her, bald zu einem Zwerg sich zusammenziehend, bald riesenhaft anwachsend, gleich jener seltsamen Naturerscheinung, die den Wanderer im Gebirge unter dem Namen des Nebelgespenstes erschreckt. Bald klarer, bald unbestimmter tritt Stefano Vinacche aus den Berichten seiner Zeitgenossen uns entgegen. Wir wissen nicht, was ihn mit seiner Frau so schnell aus Anjou nach Paris zurücktrieb; wir wissen nur, daß am neunten April 1693, an dem Tage, an welchem Roger von Rabutin, Graf von Bussy, sein wechselvolles Leben beschloß, der Papa Bullot, in höchster Verblüffung die Hände über dem Kopfe zusammenschlug, als er Tochter und Schwiegersohn zu Fuß, kothbespritzt mit höchst winziger Bagage, durch die Gasse Quincampoix auf das Dauphinswappen zuschreiten sah. Der gute Alte traute seinen Augen nicht und überzeugte sich nicht eher von der Wirklichkeit dessen, was er erblickte, bis ihm Madame Vinacche schluchzend um den Hals fiel, und Stefano ihn herzzerbrechend anflehete, ihn und sein Weib für eine Zeit wieder unter sein Dach zu nehmen.
»Wir wollen auch recht artige Kinder sein!« bat Madame Vinacche.
»Und wir werden nicht lange Euch zur Last sein!« rief Stefano.
» Diable! diable!« ächzte Meister Claude Bullot, und Margot die Picarde gab ihm verstohlen einen Rippenstoß, daß er fest bleibe und sich nicht beschwatzen lasse.
Wer hätte aber den beredten Worten Stefano Vinacche's widerstehen können? Das Ende vom Liede war, daß das junge Ehepaar mit seinen armen Habseligkeiten einzog in die Kneipe zum Dauphinswappen, und daß Meister Bullot und Margot die Kellnerin, nachdem Madame Vinacche die Schwelle überschritten hatte, seufzend sich in das Unvermeidliche fügten.
»Ach, Margot, Margot, nun sind die schönen Tage wieder vorüber!« seufzte Meister Claude, und während die Heimgekehrten im oberen Stockwerk des Hauses ihre Einrichtungen trafen, saßen am Kamin in der leeren Schenkstube der Wirth und seine Kellnerin trübselig einander gegenüber und konnten sich nur durch das weise Wort, daß man das Leben nehmen müsse, wie es komme, – trösten. Dann schlossen die beiden Parteien ein Compromiß, in welchem festgestellt wurde, daß weder Monsieur Etienne noch Madame in die Angelegenheiten des Papas und der Kellnerin Margot sich mischen sollten, und daß sie durch ihnen passend scheinende Mittel für ihrer Leiber Nahrung und Kleidung selbst zu sorgen hätten. Wohnung, Licht und Feuerung versprachen Meister Bullot und Margot die Picarde zu liefern.
Feierlich wurde dieser Vertrag vor einem Stammgast der Gargotte, dem Sieur Le Poudrier, einem Winkeladvocaten, verbrieft und besiegelt, und man lebte fortan mit einander, wie man konnte.
Da der Herzog von Chaulnes seine Verpflichtungen gegen das junge Ehepaar glänzend abgetragen zu haben glaubte, so floß die Quelle seiner Gnaden immer spärlicher und versiegte zuletzt ganz. Die Haushaltung im zweiten Stockwerk des Dauphinswappens mußte für Eröffnung anderer Geldquellen sorgen, zumal da noch im Laufe des Sommers ein kleiner Vinacchetto das Licht der Gasse Quincampoix erblickte. Die Noth und der Zug der Zeit machten Stefano zu einem Charlatan; aber jedenfalls zu einem genialen Charlatan.
» Anima mia, laß den Muth nicht sinken, wir fahren doch noch vierspännig!« sagte er zu seiner hungernden Frau und fing an, den Nachbaren und Nachbarinnen, sowie den Gästen, welche die Gargotte seines Schwiegervaters besuchten, Mittel gegen das Fieber und andere unangenehme Uebel zu verkaufen.
Allmälig verwandelte sich das Wohngemach der kleinen Familie in ein schwarzangeräuchertes chemisches Laboratorium; mit wahrer Leidenschaft warf sich Stefano Vinacche, obgleich er bis an sein Ende weder Lesen noch Schreiben lernte, auf das Studium der Simpla und der Mineralien.
Eine gewaltige Veränderung ging mit den seltsamen Menschen vor; – nicht mehr war er der vagabondirende Abenteurer, der das Glück seines Lebens auf den Landstraßen, in den Gassen suchte. Tag und Nacht schritt er grübelnd einher, das Haupt zur Brust gesenkt, die Arme über der Brust gekreuzt. Wer konnte sagen, was er suchte?
Eine fast eben so überraschende Veränderung kam über das junge Weib Vinacche's. Die frühere Maitresse des Herzogs von Chaulnes verehrte den ihr aufgedrungenen Mann auf den Knien, sie war die treuste, liebendste Gattin geworden, und ist es über den Tod Stefano's hinaus geblieben.
Sie konnte lesen, sie konnte schreiben: – wie viele alte vergilbte Bouquins hat sie dem suchenden Forscher, in stillen Nächten, während sie ihr Kind wiegte, vorgelesen!
Der Vater Bullot hatte nicht mehr Ursache, sich über das wilde, unbändige Gebühren seiner Tochter zu beklagen. Die eigenthümliche Gewalt, welche Stefano Vinacche späterhin über die schärfsten, klarsten Geister hatte, trat auch jetzt in der engeren Sphäre schon bedeutend hervor. Papa Claude, Margot die Picarde, Gratien Le Poudrier der Rabulist, alle Nachbaren und alle Nachbarinnen beugten sich dem schwarzen funkelnden Auge Stefano's. Der Stein war in's Wasser gefallen, und die Wellenringe liefen in immer weitern Kreisen fort; – weit, weit über die Gasse Quincampoix hinaus verbreitete sich der Ruf Stefano Vinacche's!
Unterdessen schlug man sich in Deutschland, Flandern, Spanien, Italien und auf der See. In Deutschland verbrannte Melac Heidelberg, und der Feldmarschallieutenant von Hettersdorf, der »die poltronnerie seines Herzens mit großen Peruquen und bebremten Kleidern zu bedecken pflegte,« – Hettersdorf, der elende Commandant der unglücklichen Stadt, wurde auf einem Schinderkarren durch die Armee des Prinzen Ludwig von Baden geführt, nachdem ihm der Degen vom Henker zerbrochen worden war. Aus Flandern schickte der Marschall von Luxemburg durch d'Artagnan die Nachricht vom Sieg bei Neerwinden. Roses in Catalonien wurde erobert. Zu Versailles, zu Paris in der Kirche unserer lieben Frau sang man Te deum laudamus; aber im Bischofthum Limoges starben gegen zehntausend Menschen Hungers. Zu Lyon wie zu Rouen fiel das Volk in den Gassen wie Fliegen, und ihrer viel fand man, welche den Mund voll Gras hatten, ihr elendes Leben damit zu fristen.
Stefano Vinacche, nach einer Reise in die Bretagne, verließ die Gasse Quincampoix und das Haus seines Schwiegervaters und zog in die Gasse Bourg l'Abbé. Strahlend brach die Glückssonne Stefano's durch die Wolken. Fünf Monate war er in der Bretagne gewesen, und Niemand hat jemals erfahren, was er dort getrieben, – gesucht, – gefunden hat! Zu Fuß zog er aus, in einer zweispännigen Carrosse kehrte er zurück. Zwei Lakaien und ein Kammerdiener bedienten ihn in der Straße Bourg l'Abbé, wohin er aus der Gasse Quincampoix zog. Von Neuem errichtete er in seiner jetzigen Wohnung seine chemischen Feuerherde, von Neuem braute er seine Recepte, und das Gerücht ging aus, Monsieur Etienne Vinacche suche den Stein der Weisen, und es sei Hoffnung vorhanden, daß er denselben binnen Kurzem finden werde; und wieder tritt dem Erzähler der alte Gönner des unbegreiflichen Mannes, der Herzog von Chaulnes, entgegen, welcher ihm zum, Ankauf von Kohlen, Retorten und dergleichen Apparate zweitausend Thaler giebt.
Im Jahr der Gnade Eintausendsiebenhundert war das große Geheimniß gefunden; – Stefano Vinacche hatte das Projectionspulver hergestellt, Etienne Vinacche machte –
Gold!
In demselben Jahre Eintausendsiebenhundert kaufte Monsieur de Vinacche aus dem Inventar von Monsieur, dem Bruder des Königs, für sechzigtausend Livres Diamanten.
Wir schauen wie in ein Bild von Antoine Watteau durch das zarte frühlingsfrische Blätterwerk zu Coubron, – fünf Meilen von Paris – wo Monsieur Etienne de Vinacche auf seinem reizenden Landsitze ein glänzendes Fest giebt. Die untergehende Maisonne des Jahres Siebzehnhunderteins übergießt die Landschaft mit rosigem Schein; – Lachen und Kosen und Flüstern des jungen Volkes ertönt im Gebüsch; – geputzte ältere Herren und Damen durchwandeln gravitätisch die gradlinigen Gänge des Parkes. Carrossen und Reitpferde mit ihrer Begleitung von Kutschern, Lakaien und Läufern halten vor dem vergoldeten Gitterthor; Monsieur de Vinacche und seine Frau sind so eben im Begriff, von einem Theil ihrer Gäste, der nach Paris oder den umliegenden Landhäusern zurückkehren will, Abschied zu nehmen. Die Dame Rochebillard, die Geliebte Tronchin's, des ersten Cassirers Samuel Bernards, des » fils de Plutus,« – wird von Madame de Vinacche zu ihrer Kutsche geleitet; Monsieur Etienne befindet sich im eifrigen Gespräch mit einem jungen Edelmann, dem Sieur de Mareuil. Für fünftausend Livres will Vinacche dem Herrn von Mareuil einen constellirten Diamant, vermöge dessen man immerfort glücklich spielen soll, anfertigen. Ein wenig weiter zurück unterhalten sich die beiden reichen Banquiers van der Hultz, der Vater und der Sohn, mit Herrn Menager, Secrétaire du Roi und Handelsdeputirter von Rouen; – auf einem Rasenplatz tanzen einige junge Paare nach den Tönen einer Schalmei und eines Dudelsacks eine Menuet; bunte Diener tragen Erfrischungen umher, für die abfahrenden Gäste erscheinen andere; der Chevalier von Serignan, Monsieur Nicolaus Buisson, der Sieur Destresoriers, Edelleute von der Robe, Edelleute vom Degen, Finanzleute, Beamte und so weiter mit ihren Frauen und Töchtern, allgesammt angezogen von dem Glanz, der Pracht und dem großen Geheimniß des einstigen neapolitanischen Bettlers Stefano Vinacche.
Hat sich aber um Mitternacht dieser Schwarm der Gäste verloren, so erscheinen andere Gestalten. Aus verborgenen Schlupfwinkeln tauchen Männer auf, finstere bleiche Männer mit zusammengezogenen Augenbrauen und rauhen, rauchgeschwärzten Händen. Da ist Conrad Schulz, ein Deutscher, den Herr von Pontchartrain später verschwinden läßt, ohne daß man jemals wieder von ihm hört. Da sind Dupin und Marconnel, hoch erfahren in der geheimen Kunst. Da ist Thuriat, ein wackerer Chemiker; da ist ein anderer Italiener, Martino Polli. Geheimnißvolle Wagen, von geheimnißvollen Fuhrleuten begleitet, langen an und fahren ab, und Säcke werden abgeladen und aufgeladen, die, wenn sie die Erde oder einen harten Gegenstand berühren, ein leises Klirren, als wären sie mit Goldstücken gefüllt, von sich geben. Geheimnißvolle Feuer in geheimnißvollen Oefen flammen auf, – Wacht hält Madame de Vinacche, daß die nächtlichen Arbeiter nicht gestört werden in ihrem Werke.
Hüte dich, Stefano Vinacche! Im geheimen Staatsrath zu Versailles hat man von dir gesprochen: Monsieur Pelletier von Sousy, der Intendant der Finanzen, hat den Mann mit dem Kopf voll böser Anschläge, hat Monsieur d'Argenson aufmerksam auf dich gemacht.
Hüte Dich Stefano Vinacche! –
Wer klopft in dunkler Nacht an das Hinterpförtchen des Landhauses zu Coubron?
Salomon Jakob, ein Jude aus Metz, welcher die Verbindung des »Unbegreiflichen« mit Deutschland vermittelt.
Wer klopft in dunkler Nacht an die Pforte des Landhauses zu Coubron?
Franz Heinrich von Montmorency-Luxemburg, Pair und Marschall von Frankreich, welchen Stefano Vinacche die Kunst lehren soll, den Teufel zu beschwören.
In dunkler Nacht fährt nach Coubron der Herzog von Nevers, um sich in die geheimen Wissenschaften einweihen zu lassen.
In dunkler Nacht fährt nach Coubron Karl d'Albert, Herzog von Chaulnes, und Madame de Vinacche empfängt ihn in brocatnen Gewändern, geschmückt mit einer Cordeliere und einem Halsband im Werth von sechstausend Livres,
» Notre Dame de Miracle, wie habe ich für Euer Glück gesorgt, Allerschönste!« sagte der Herzog von Chaulnes, und die Tochter des Wirths zum Dauphinswappen verbeugt sich mit dem Anstand einer großen Dame und führt den hohen Gast und Gönner in ihren Salon, welcher den Vergleich mit jedem anderen zu Paris aushält.
Stefano Vinacche trägt nicht mehr sein eignes Haar; eine wallende gewaltige Lockenperücke bedeckt sein kluges Haupt. Mit feiner Ironie sagt er, in den wallenden Stirnlocken dieser seiner Perücke halte er seinen Spiritus familiaris, sein » folet« verborgen und gefesselt.
» Notre Dame de Miracle, Ihr seid ein großer Mann, Etienne!« sagte der Herzog von Chaulnes, und der Hausherr von Coubron verbeugt sich lächelnd: »O Monseigneur!«
»Ja, ja, Wer hätte das gedacht, als ich Euch in Italien von der Landstraße aufhob? Wer hätte das gedacht, als ich Euch durch den Grafen von Auvergne vom Galgen errettete; – Vinacche, Ihr müßt mir sehr dankbar sein.«
Stefano legte die Hand auf das Herz. »Monseigneur, ich habe ein gutes Gedächtniß für empfangene Wohlthaten. Glaubt nicht, daß das Glück und die errungene Wissenschaft mich stolz mache. Fragt meine Frau, was gestern geschehn ist.«
»Wahrlich, Monseigneur, es war eine tolle Scene. Stellt Euch vor, es befindet sich gestern eine glänzende Gesellschaft bei uns, Monsieur Despontis, Monsieur von Beaubriant und viele Andere, als ein abgelumpter Mensch Etienne zu sprechen verlangt. Die Diener wollen ihn abweisen; aber Etienne hört den Lärm und läßt den Vagabunden kommen. Mon Dieu, was für eine Scene!«
»Nun?!«
»Nicolle war's, gnädigster Herr! Nicolle, meines Mannes Kamerad aus dem Regiment Royal-Roussillon!«
»Oh, oh, oh! ah, ah, ah!« lachte der Herzog. »Dem Wiederfinden hätt' ich beiwohnen mögen. Das muß in der That eine eigenthümliche Ueberraschung gegeben haben.«
»Ich fiel in Ohmacht, und Etienne – fiel dem Vagabunden um den Hals –«
»Und die Gesellschaft?«
»Stand in starrer Verwunderung! Es war ein tödtlicher Augenblick,« rief Madame de Vinacche klagend, doch Etienne sagte:
»Ich hatte dem Manne einst ein schweres Unrecht zugefügt, jetzt war mir die Gelegenheit gegeben, es wieder gut zu machen, und ich benutzte diese Gelegenheit.«
» Notre Dame de Miracle, ich werde der Frau von Maintenon diese Geschichte erzählen. Ihr seid ein braver Gesell, Etienne. Ah, oh, oú la vertu vla-t-elle se nicher? wie Monsieur Molière sagt, – sagt er nicht so?«
»Ich glaube, gnädiger Herr,« meint Vinacche, die Achsel zuckend, und setzt hinzu, als eben Jemand an die Thür des Salons mit leisem Finger klopft: »Da kommt Conrad, uns zum Werk zu holen. Wenn es also beliebt, Monseigneur, so können wir unsere Arbeit von Neuem aufnehmen; Zeit und Stunde sind günstig, jeder Stern steht an seinem rechten Platz, und gute Hände schüren die Flamme!«
In die geöffnete Thür schaut das finstere Gesicht des deutschen Meisters Conrad Schulz:
»Es ist alles bereit!«
»Wir kommen!« sagte der Herzog von Chaulnes, mit zärtlichem Handkuß von Madame Vinacche Abschied nehmend. In das chemische Laboratorium herab schreiten die Männer.
Um den schwarzen Herd stehen regungslos die Gehülfen des großen Goldmachers. Athemlos verfolgt der Herzog jede Bewegung des Alchymisten. Der Meister arbeitet!
Tiegel voll Salpeter, Antimonium, Schwefel, Arsenik, Quecksilber gehen von Hand zu Hand. Die Phiole mit dem »Sonnenöl« reicht Martino Polli, das Blei bringt Conrad Schulz zum Fluß; – der große Augenblick ist gekommen. Aus einem Loch in der schwarzen feuchten Mauer ringelt sich eine bunte Schlange hervor, sie steigt an dem Beine Stefano Vinacche's empor, sie umschlingt seinen Arm und scheint ihm in's Ohr zu zischen. Ein Zittern überkommt den Goldmacher, aus der Brust zieht er ein winziges Fläschchen; – im Tiegel gährt und kocht die metallische Masse, – die Flammen züngeln, – aus der Phiole in der Hand des Meisters fällt das Projectionspulver in den Tiegel – – –
Das Werk ist vollbracht! In die Form gießt Conrad Schulz die kostbare, im höchsten Fluß sich befindliche Masse, – nach einigen Augenblicken wiegt der Herzog von Chaulnes eine glänzende Metallbarre in der Hand. »Reinstes Gold, Monseigneur.« sagt Stefano Vinacche. –
Vinacche fuhr mit seiner Frau vierspännig durch die Straßen von Paris. Lange war Claude Bullot todt und erinnerte sie nicht mehr an die Dunkelheit ihrer Herkunft. In der Gasse Saint Sauveur besaß Stefano jetzt ein prächtiges Haus, wo er die beste Gesellschaft von Paris bei sich sah. Sein Leben strahlte im höchsten Glanz. Die Theilnehmer seiner wunderlichen Operationen hatte er durch Drohungen, Versprechungen, List und Ueberredung zu seinen Sclaven gemacht; er durfte ihnen drohen, sie bei der geringsten Auflehnung gegen seinen Willen als Fälscher, Kipper und Wipper hängen zu lassen. Seine Geschäftsverbindungen mit Samuel Bernard, Tronchin, Menager, mit den beiden van der Hultz, mit Saint-Robert und dem Sieur Buisson Destresoriers nahmen ihren ungestörten Fortgang. Man sah in seinen Gemächern oft fünfzehn, zwanzig, dreißig Säcke voll nagelneuer Louisdors aufgestellt. Neu geprägte Goldstücke fanden die Diener und Dienerinnen, von denen das Haus überquoll, im Kehricht, in den Winkeln, unter der schmutzigen Wäsche; – sie verkauften Stückchen von Goldbarren an die Juden, und Madame de Vinacche erschrak eines Tages heftig genug, als sie ungesehen von ihnen ein Gespräch zwischen ihrer Kammerfrau La Martion und einigen Lakaien ihres Mannes belauschte. –
Der spanische Erbfolgekrieg hatte begonnen. War das Geld im Hause Stefano Vinacche's im Ueberfluß vorhanden, so mangelte es um desto mehr im Hause des Königs Ludwig des Vierzehnten. Herrschte im Hause Stefano Vinacche's Jubel und Uebermuth, so herrschte Mißmuth, Angst, Sorge und Noth zu Versailles. Ein gewaltiger Umschwung aller Dinge trat in diesem früher so glänzenden Frankreich mehr und mehr hervor. Auf die Zeit des phantastischen lebenvollen Carnevals folgte der Aschermittwoch mit seinen Grabgedanken. Zu Grabe gegangen waren die Schriftsteller und Dichter; Pasqual und Franz von La Rochefoucauld ergründeten nicht mehr die Tiefe des menschlichen Herzens. Jean de Lafontaine hielt nicht mehr den lustigen Spiegel der Welt vor, Jean war »davongegangen wie er gekommen war;« – verstummt war die mächtige Leier des großen Corneille, Jean Racine hatte sein Schwanenlied gesungen und war hinabgesunken in die blaue Fluth der Ewigkeit. Todt, todt war Molière, der gute Kämpfer gegen Dummheit, Heuchelei, Aberglauben und Laster; todt war Jean Baptiste Poquelin, genannt Molière, aber Tartuffe lebte noch!
Die Heiterkeit des Daseins war erblaßt, auch die feierlichen Stimmen der großen Canzelredner Bossuet, Bourdaloue, Flechier verstummten! König in Frankreich war der Pater La Chaise, Königin in Frankreich war Franzisca d'Aubigné, die Wittwe Jean Scarron's. Die Schutzherrschaft über das Land nahm man dem heiligen Michael und gab sie der Jungfrau Maria, wie man sie vorher dem heiligen Martin und vor diesem dem heiligen Denis genommen hatte. Schaffe Geld, schaffe Geld, Geld, Geld, o heilige Jungfrau Maria! Schaffe Geld, holde Schutzherrin, Geld zum Kampf gegen deine und unsere Feinde! Schaffe Geld und abermals Geld und wiederum Geld, süße Mutter Gottes! Schaffe Geld, Geld, Geld, o Schutzpatronin von Frankreich und Versailles, Marly und Trianon!
Wiederum war ein Staatsrath gehalten worden zu Versailles über die besten Mittel, Geld zu bekommen, und Niemand hatte Rath gewußt; weder Pontchartrain, noch Pomponne, noch du Harlay, Barbesieux, d'Argouges, d'Agnesseau. Wohl war manche neue Steuer vorgeschlagen worden; doch ohne zu einem Resultat gelangt zu sein, hatte Louis der Vierzehnte seine Räthe entlassen müssen. Verstimmt im höchsten Grade, rathlos bis zur Verzweiflung, schritt er auf und ab in seinem Gemach und seufzte:
»O Colbert, o Louvois!«
Der König von Frankreich befand sich vollständig in der Seelenstimmung Saul's, des Königs der Juden, als er Verlangen trug nach dem Geiste Samuel's des Hohenpriesters.
Dazu war die Frau Marquise nach Saint Cyr zu ihren jungen Damen gefahren, und der Vater La Chaise gab einigen Brüdern in Christo in der Vorstadt Saint Antoine in seinem Hause ein kleines Fest. Armer, großer Louis! zu seinem letzten Mittel mußte er greifen, um sich zu zerstreuen; – Fagon, sein Leibarzt, wurde gerufen. In der Unterhaltung mit diesem klugen Manne ging dem Monarchen, freilich doch langsam genug, dieser trübe Octobernachmittag des Jahres 1703 hin, und zuletzt kam auch Madame von Maintenon zurück. Der König seufzte tief auf, gleich einem, der von einer schweren Last befreit wird; Fagon machte seine Verbeugungen und entfernte sich, ebenfalls höchst erfreut über seine Erlösung.
Im klagenden Tone erzählte nun der König seiner Rathgeberin von seiner trüben Nachmittagstimmung, von seiner Sehnsucht nach ihr, seiner einzigen Freundin, von der Dummheit der Aerzte und von der vergeblichen Rathssitzung.
»Sire,« sagte die Marquise lächelnd, »ich bin Eure demüthige Dienerin; die besten Aerzte sind die, welche die Seele zu heilen verstehen, was aber die Rathlosigkeit Eurer Räthe betrifft, so ist hier ein Billet, welches die Mittel angiebt, dem Staat Geld zu schaffen. Von unbekannter Hand wurde es mir in dem Wagen geworfen. Leset es, Sire, wir haben schon einmal über den Mann gesprochen, von dem es handelt.«
Der König nahm das Schreiben und überflog es.
»Vinacche?! der Goldmacher!« murmelte er und zuckte die Achseln.
»Ich höre Erstaunliches über den Mann,« meinte die Marquise. »Sein Luxus geht in's Grenzenlose. Die größten Herren Eures Hofes, Sire, gehen bei ihm ein und aus. Der Herzog von Brissac hat mir neulich Stunden lang von dem geheimnißvollen Menschen gesprochen. Neulich war auch Madame von Chamillard bei mir; sie steht in Verbindung mit dem reichen holländischen Banquier van der Hultz. Auch dieser Mann soll vollständig überzeugt sein, Monsieur de Vinacche habe das Projectionspulver gefunden, Monsieur de Vinacche mache in Wahrheit Gold.«
»Ach, Marquise, von wie vielen haben wir das geglaubt.«
»Sire, wäre ich in Eurer Stelle, ich würde d'Argenson beauftragen, diesen Italiener zu beobachten.«
Der König zuckte abermals die Achseln und gab das Billet zurück.
»Wenn d'Argenson das für nöthig hält, so mag er seine Anordnungen treffen; – ich will nichts damit zu thun haben. Was beginnen Eure Fräulein zu Saint Cyr, Marquise?«
Nachdem der König das Gespräch auf eine andere Bahn geleitet hatte, war es vergeblich, von Neuem den verlassenen Punkt zu berühren; aber die Marquise schob das Billet in ihre Tasche und faßte einen Schluß. Am andern Tage schickte sie ihren Stallmeister Manceau in die Gasse Saint Sauveur zu Vinacche, unter dem Vorgeben: er solle Diamanten kaufen für eine fremde Prinzessin. Manceau, von seiner Herrin bestens instruirt, ließ nichts in dem Hause des Alchymisten außer Augen und erzählte nachher Wunder von der Pracht und dem Glanze, die darinnen herrschten. Pferde, Gemälde, Silbergeschirr, Meubles, Alles taxirte er, wie ein Auctionscommissär; auf seine Frage nach Juwelen, antwortete aber Vinacche, er besitze deren wohl sehr schöne, aber er handle nicht damit.
Fast schwindelnd von dem Geschauten kam der Abgesandte der Marquise nach Versailles zurück und stattete seiner Herrin Bericht ab. Einige Tage nachher wurde Stefano Vinacche selbst nach Versailles beschieden und daselbst sehr höflich und zuvorkommend von Herrn von Chamillard empfangen! Ein langes Gespräch hatten die beiden Herrn mit einander und hinter einem Vorhange lauschte die Marquise von Maintenon demselben. Aber aalglatt entschlüpfte Vinacche jeder Frage, die sich auf seine große Kunst bezog; er nahm Abschied und bestieg seine Carrosse wieder, ohne daß die Marquise und Chamillard ihrem Ziel im Geringsten nähergekommen wären.
»Lassen wir d'Argenson kommen!« sagte Frau von Maintenon. »Um keinen Preis darf uns dieser Mann entgehen.«
Monsieur de Chamillard verbeugte sich bis Erde, und d'Argenson ward gerufen.
Und Monsieur d'Argenson streckte seine Hand aus; – es fiel ein schwarzer Schatten über das glänzende, fröhliche Leben in der Gasse Saint Sauveur; nach allen Seiten hin zerstob das Getümmel der vornehmen reichen und geistreichen Gäste. Die Flucht nahmen die Herzöge, die Marquis, die Chevaliers, die Abbé's, die Poeten. Wer durfte wagen, da zu weilen, wohin Monsieur d'Argenson den Fuß gesetzt hatte?
Aus dem Nebel ragt düster drohend die Bastille! Sie halten den Stefano Vinacche, auf daß ihnen sein köstliches Geheimniß »nicht entgehe« und – am 22 März 1704, einem Sonnabend – scharren sie ihn ein auf dem Kirchhof von Sanct Paul, unter dem Namen Etienne Durand.
Wer hat je das Genie durch Gewalt gezwungen seine Schätze mitzutheilen?
So liest man in den Registern der Bastille:
»In der Nacht vom Mittwoch auf den grünen Donnerstag, als am 20. März 1704, Morgens um ein Viertel auf zwei Uhr verschied in Nummer drei der Bertaudiere, Monsieur de Vinacche, ein Italiener in der Gegenwart des Schließers La Boutonnière und des Corporals der Freicompagnie der Bastille, Michel Hirlancle. Nach dem Tode des Gefangenen gingen die beiden Wächter, Monsieur de Rosarges davon zu benachrichtigen, und erhob sich dieser und verfügte sich in die Zelle des Sieur Vinacche, welcher sich selbst getödtet hat, indem er sich gestern, als am Mittwoch, ungefähr um zwei Uhr Nachmittags mit seinem Messer die Kehle unter dem Kinn zerschnitt und sich also eine sehr große und sehr weite Wunde beibrachte. Obgleich ihm alle mögliche Hilfe geleistet wurde, konnte man ihn doch nicht retten. Da der Sterbende einige Zeit hindurch das Bewußtsein wieder erlangte, so hat unser Almosenierer sein Bestes gethan, ihn zur Beichte zu bewegen, jedoch ganz und gar vergeblich. Gegen neun Uhr Abends habe ich Monsieur d'Argenson von dem Unglück Nachricht gegeben, und ist derselbe in aller Eile sogleich erschienen, um zu dem Sterbenden zu reden, jedoch auch ihm hat der Unglückliche keine Antwort gegeben.
In diesem Schlosse der Bastille 20. März 1704.
Dujonca,
Königslieutenant in der Bastille.
Wohl mochte nachher d'Argenson in seinem Bericht an Chamillard von »billonage,« von Kipperei und Wipperei sprechen, es glaubte Niemand daran, selbst der Berichterstatter glaubte nicht daran; man brauchte nur eine Rechtfertigung dem aufgeregten Publicum gegenüber. Zu Versailles wirkte die Nachricht von dem Tode Stefano Vinacche's gleich einem Donnerschlag; der König Ludwig der Vierzehnte wurde darob eben so zornig und niedergeschlagen, wie später in demselben Jahre über die Kunde von den Niederlagen auf dem Schellenberge und bei Höchstedt. Die Frau Marquise und die Herren de Chamillard und d'Argenson hatten einige bittere Stunden zu durchleben; aber was half das? Stefano Vinacche war todt und hatte sein Geheimniß mit in das Grab genommen!
Der Wittwe des Unglücklichen meldete man officiell, ihr Gemahl sei in der Bastille am Schlagfluß verschieden; sie blieb im ungestörten Besitz aller der auf so geheimnißvolle Weise erworbenen ungeheuren Güter. Der alte Bericht, dem wir dieses seltsame Lebensbild nacherzählen, vergleicht den gemordeten Stefano mit jenem Künstler, welcher dem Imperator Tiberius ein köstliches Gefäß von biegsamem, hämmerbarem Glas überreichte. Der Kaiser bewunderte die vortreffliche Erfindung und fragte, ob dieselbe schon andern Menschen bekannt sei, welches der Künstler verneinte. Auf diese Antwort hin ließ der Tyrann dem genialen Erfinder den Kopf abschlagen und die Werkstatt desselben zerstören, damit nicht »Gold und Silber gemein und werthlos würden, wie der Koth in den Gassen von Rom.«
» Par notre Dame de Miracle, Madame, Euer Gemahl war ein großer Mann,« sagte der Herzog von Chaulnes zu der trauernden Wittwe Stefano's, »Euer Gemahl war in Wahrheit ein großer Mann; aber einen Fehler hatte er, er war zu verschwiegen! Wie oft hab ich ihn beschworen, mir sein großes Geheimniß anzuvertrauen, – Madame, auf meine Ehre, Monsieur Etienne, war zu verschwiegen, viel zu verschwiegen.«
»O Madame, Madame, die Welt ist nicht so beschaffen, daß sie ein großes Genie in sich dulden könne!« sagte zur Frau von Vinacche der Dichter Jean Baptiste Rousseau, der Freund Stefano's. »Madame, die Welt kann das Talent nur tödten, und es giebt nur einen Trost:
c'est le même Dieu qui nous jugera tous!«
»Liebste Schwester,« sagte der Graf d 'Aubigné zur Marquise von Maintenon, »liebste Schwester, in meinem Leben habe ich noch nichts erfunden, wohl aber traue ich mir viel Geschick zu, die Erfindungen anderer Leute herauszuholen. Ihr wißt das ja; mon Dieu, weshalb habt Ihr mir nicht diese Geschichte mit diesem Italiener überlassen? Das war kein Charakter für die Kunst Monsieur d'Argenson's.«
Die Frau Marquise seufzte, zuckte die Achseln und griff nach ihrem Gebetbuch, Mademoiselle La Caverne, ihre Kammerfrau, meldete: Seine Majestät verfüge sich so eben in die Messe. Graf d'Aubigné, welcher »sich wegen seiner Schwester Regierung einbildete, er sei die dritte Person in dem Königreiche,« ließ die Unterlippe herabsinken und legte sein Gesicht in die frömmsten Falten.
»Gehen wir, mein Bruder,« sagte die Marquise. »Wir wollen beten für die Seele dieses unglücklichen Monsieur de Vinacche und bitten, daß Gott uns seinen Tod nicht zurechne.«