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Aus dem Lebensbuch des Schulmeisterleins Michel Haas.

(Nach einem alten Manuscript.)

Das war am sechsten Juni Anno Christi 1697, da schritt vor seiner berühmten Baumschule auf der gräflich Waldeck'schen Pachtung Wetterburg mein Herr Vater seliger gar nachdenklich auf und ab, brummte und pfiff zwischen den Zähnen und kratzte sich oft genug, kopfschüttelnd hinter dem Ohr.

Hatte er allen Grund, sonderlich drein zu sehen, denn um ihn her quinkelirten und wimmelten zwölf lebendige Kinder, Büblein und Mägdlein durch einander, im Garten; liefen ihm vor die Füße, hingen sich an seine Rockschöße und verhinderten ihn nach Leibeskräften, einen vernünftigen Gedanken zu fassen und sich ruhigen Gemüthes auf den neuen Haussegen vorzubereiten, mit dem ihn seine Ehehälfte, meine liebe Frau Mutter, eben im Haus hinter den grünen Bäumen und Büschen zu beschenken gedachte.

»Das dreizehnte!« sagte er. »Das ist eine Frau! Na, Gott gebe, daß es gut ausgehe!«

Und es ging gut aus. Schlug die Glocke auf dem Thurm sechs Uhr Abends, und der Küster läutete eben den Feierabend aus, da entstand ein großes Getümmel im Garten des Pachthauses zu Wetterburg; die Wehemutter aus dem Dorf hielt über vierundzwanzig zappelnde Händlein und Hände vorsichtig ein schreiend Bündlein meinem Vater unter die Nase, und mein Herr Vater that trotzdem, daß ihm das gar nichts Neues mehr war, einen kleinen Luftsprung –

»Hurrah, ein Jung, ein lebendiger, dicker Jung! Vivat die Alte!«

Damit setzete er im Galopp durch den Garten, und all das Kindervolk folgte ihm mit wildem Geschrei, bis auf ein klein sechsjährig Mägdlein, welches bei der Wehemutter vor der berühmten Baumschule zurückblieb und sich das schreiende Ding in den Windeln erst mit großen Augen genauer betrachtete und allerhand wunderliche Fragen darob stellete und allerlei Antwort begehrete auf Dinge, die Niemand weiß. Das war mein Schwesterlein Johanna Magdalena Haasin, und ist nun lange todt, wie Vater und Mutter und alle die eilf andern Schreihälse, meine Brüder und Schwestern. Gott schenke ihnen und mir die ewige Ruhe!

Viel Thiere: Hunde, Vögel, Eichhörnchen, Katzen gab es in unserm Haus, viel Blumen blüheten vor den Fenstern, Sonnenschein und Mondenschein spielten drum her, und mein Herr Vater strich die Violin wie ein gelernter Meister. Meine Mutter aber sang ihre Wiegenlieder mit so heller Stimme, wie die jüngste Maid; obgleich sie nicht jung mehr war an Jahren, als ich das Licht dieser Welt erblickte. Meine zwölf Geschwisterlein lachten und weinten dazwischen durch alle Tonarten und Niemand wehrete es ihnen, wenn es irgend anging – – wahrlich, das war ein fröhlich Vaterhaus zu Wetterhaus in der Grafschaft Waldeck! –

Anno 1702 ist mein Vater nach Rohden in seine eigene Haushaltung gezogen, als ich grad fünf Jahre alt war.

Hüpfet mir heute noch das Herz, wenn ich dunkel mich erinnere an den lustigen Zug in diese neue Heimath. Als am vierzigsten Tage die Arche Noah geöffnet wurde auf dem Berge Ararat, und Menschen und Thiere hinaustraten in die frische Gottesluft, konnten sie nicht fröhlicher sein, als wir allgesammt. Alle meine Schwestern trugen bunte Kränze von rothen und blauen Kornblumen auf den blonden Haaren, alle meine Brüder schlugen mit hölzernen Löffeln den Reisemarsch an den Messingkesseln, bliesen die Gießkannen und Trichter, daß ihnen fast die Backen platzten. Hoch auf dem ersten Wagen hatte der Mutter und mir, dem Michelchen, der Vater eine schöne Laube von grünem Gezweig gemacht; drin saßen wir und hielten Ordnung über Alles; denn auch die Kühe, Ziegen und Schweine wurden hinten nachgeführt und auch die waren bekränzet nach Gebühr von dem Knecht und den beiden Mägden, die mitzogen, weil sie nicht von unserm Haus lassen wollten.

In Rohden bin ich vierzehn Jahre alt geworden, allda auch in die Schule gegangen und confirmiret. Da zeigte es sich, daß ich eine große Lust hatte zu den Büchern und zum Studiren, was meinem Vater schon ganz recht war, denn Keinen meiner Brüder konnte er anders als durch Schwarzbrot und Wasser und einen schwanken Haselstecken dazu bringen.

Hielt er deshalb einstmal um Weihnachten einen Rath mit dem Mütterlein, wobei ich an der Thür horchete und vernahm, daß mir zu Ostern mein Bündel gemachet werden solle, daß ich gelange an die Quelle der Gelahrtheit, mich satt allda zu trinken nach Herzenslust.

Und als der Schnee vergangen war, die Bäume und Gesträuche wieder ausschlugen, die Himmelschlüssel und Schneeglocken wieder blüheten im Walde, da sagte ich richtig dem Vaterhaus, dem Vater, der lieben Mutter und dem Geschwistervolk Valet und zog fort, schweren Herzens, mit noch zwei Kameraden durch die junggrünen Felder und Wälder, Lippstadt zu.

Ist eine schöne Festung, Lippstadt, und kann von einer Seiten eine gute Stunden in Wasser gesetzet werden, denn der Lippefluß fließet daran her. Diese Stadt ist brandenburgisch und soll vor alten Zeiten einstmal der Graf von der Lippe sie verspielet haben an den König in Preußen bis auf eine Straße, und diese contribuiret an Lippe-Detmold bis auf den heutigen Tag.

Ach, wie schlug mir das Herz gegen die Rippen, als ich die Thürme der Stadt zum ersten Male in weiter Ferne erblickte.

Noch mehr aber schlug es mir, als ich durch das Thor einzog, und meine Wandergenossen waren auch gar stille geworden. Als wir jedoch vor der Thür des Herrn Rectoris standen und Keiner wagte anzuklopfen, da tanzten uns wahrlich genug Funken und Flammen vor den Augen, und als sich endlich doch die Thüre geöffnet hatte, und wir die schwarze Gestalt inmitten der vielen Bücher vor uns erblickten, da tanzten nicht nur die Bücher und Weltkugeln und der große Ofen vor unsern Augen, sondern auch der gestrenge Herr Rektor selber mit.

Es ging aber besser, als wir es dachten in unserer Beklemmung. Auf hob der alte Herr seine bebrillte Nase, da wir uns einschoben in sein Gemach, wie die sieben Schwaben dem Hafen entgegen, und belugte uns von oben bis unten.

» Salvete juvenes!« sagte er. »Tretet näher, Ihr Bürschlein. Der Längste bleibe stehen an der Thür, der Kleinste gehe dicht zu mir heran, an den Ofen mag der Mittlere treten.«

Ich war der Kleinste; ich mußte dicht an den Lehnstuhl und die Seite des Alten.

» Bene!« sagte er und beschaute uns wiederum. »Germanisch Blut, caerulea pubes! Blaue Augen, blond Haar, gute Knochen; aber, aber .... eheu, lasset uns sehen, wie es stehet mit dem Lateinischen.«

Schlecht genug stand es, aber es ging; und alle drei wurden wir sogar in die oberste Classe gesetzet und mich hatte der gelehrte Herr vor Allen in seine Affection genommen. Ihm hab' ich es zu verdanken, daß ich bald genug ein Hospitium bekam bei dem Wallmeister, allwo auch mein Informatorenthum seinen Anfang nahm, indem ich allda drei wilden, bösen Jungen die Buchstaben lehren mußte.

Damit ging das Leiden an, welches ich ausstehen mußte in dieser Welt. Werde auch wohl nicht eher davon loskommen, als bis mich der Tod erlöset.

Auf der grünen Pachtung zu Wetterburg und zu Rohden, in meines Vaters Haus, pfiff und sang Alles, was den Mund aufsperren konnte, als sei es der Familie wie einem Vogelneste angeboren. Das kam mir nun gut zu statten; denn als gemerket wurde, daß ich die Vokalmusik erlernet habe, da durft ich mit in's Chor gehen, auch die Currende mitsingen durch die Straßen, wie unser Mann Gottes, der Doctor Martin, ja auch gethan hat. wovon das Weitere zu lesen ist in seinen Tischreden und auch anderswo. –

So ward ich sechszehn Jahre alt, da fiel das Quartanfieber auf mich und quälete mich sehr, daß ich heim gehen mußte zur Mutter nach Rhoden. Das war ein betrüblicher Weg, und noch betrüblicher war das Ende davon, denn als ich hager, bleichwangig und fröstelnd über den Zaun lugte, der um unser Gehöft ging, ob ich nicht Jemand erschauen könnte von den Meinigen, da sah ich ein Licht brennen am hellen Mittag, und es stand ein kleiner schwarzer Sarg auf der Hausflur, die mit weißem Sand künstlich bestreuet und mit viel Blumen und Grün künstlich aufgeputzet war. Und meines Vaters Geige klang aus dem Oberstübchen so traurig herab, und kein Laut war sonst zu hören. In dem kleinen Sarge lag in ihrem weißen Kleidchen Johanna Magdalena, welche ich immer am liebsten gehabt hatte unter meinen Geschwistern, und meine Mutter hatte still das Haupt auf das Kopfende des Sarges gelehnet, und still kauerten oder standen die Andern groß und klein darum herum.

An einem Maienmorgen vertraueten wir das schöne todte Mägdlein zu ewiger Morgenröthe und lieblichster Auferstehung im Licht dem Grabe an, und meine Mutter mußte mich auf dem Heimwege am Arme führen, so schwach war ich von der Krankheit und dem großen Herzeleid. Mein Vater ergriff aber wiederum seine Geige, als wir heim gekommen waren, und wir alle saßen nieder im Kreis unter der großen Linde im Garten und sangen im Chor:

Alles hat ja seine Zeit;
      Freud und Leid.
Gut Gewitter, böse Stunden
Werden wechselweis erfunden.
Dennoch geht es, wie Gott will,
      Halte still!

Der frommen Fürstin Elisabetha Juliana von Braunschweig sei hiermit Dank dafür gesagt. –

Als ich das böse Fieber durch die mütterliche Pflege wieder los geworden war aus den Adern und Gebeinen, ging ich von Neuem fort, aber nicht zurück nach Lippstadt, sondern nach Detmold auf dasiges Gymnasium, wo der Herr Rektor Hilger mit mir nach Herberhausen ging, einem adeligen Gute nicht weit von der Stadt, worauf ein Conduktor wohnte, der zwei noch kleine Kinder hatte, welche ich unterrichtete. Mußte ich denn täglich nach Detmold zur Schule gehen und auch hier zweimal wöchentlich im Chore singen; dann kann ich in die Stadt zum Herrn Oberstallmeister von Henderstedt, allwo ich einen Junker zu informiren hatte. Zu Herberhausen aber geschahe vorher mir noch etwas, was ich erzählen muß. Hatte der Conductor auch noch drei erwachsene Töchter, deren jüngste vor mir aufging, wie ein Sonnenstrahl an einem Regentage. Auch ich gefiel ihr und so wurden wir vertraut und kam es, daß ich ihr versprach, sie zu heirathen und heimzuführen als mein ehlich Weib; wann und wohin, das hätt ich wahrlich nicht sagen können.

O thörichter Einfall und närrisches Versprechen von einem jungen Fäntchen!

Wurde der Vater bald gewahr, wie es um uns stand, da er meine Schuhspange fand, wo sie nicht hingehörte. Lief er mit der verlorenen Spange zum Rector und gab es ein groß Spectaculum und mußte ich derohalben fortbleiben aus der Schule und dem Chor. Da wir nun einstmals um Mittags am Tische saßen, holte mein hospes die Spange herfür und fragte mich, ob das die meine wäre?

»Ja!« respondebam und duckte mich, denn er ergriff seinen Zinnteller und wollte mich damit auf den Kopf schlagen. Seine Frau aber fiel ihm in die Arme und wehrete ihm. Die Töchter aber und ich flohen vom Tisch, als ob der Weih zwischen ein Hühnervolk gestoßen sei, und mein blonder Schatz weinete bitterlich genug.

Das gab mir einen Muth und von der Thür aus sprach ich dem wüthenden Haustyrannen entgegen: Es sei noch lange kein Schelmenstück um die ehrliche Liebe, und ein junger Mensch könne schon einer schönen Dirne in die Augen sehen.

Er aber schrie, wenn er mich attrapirte, wolle er mir Arm und Bein zerschlagen.

Hierbei blieb es, und ich informirte nach wie vor; meine Liebe wurde auch nicht geringer darum.

Was geschiehet?!

Es war ein Winternachmittag, der Schnee lag hoch, die Raben spazierten durch den Schnee, und meine hospita war nicht zu Hause, sondern zu einer Freundin zu einem Schwatzstündlein gegangen; der hospes rumorete auf dem obersten Boden herum, und wir versahen uns Nichts Böses von ihm. In der kleinen Stuben saßen die drei Mädchen an ihren Spinnrädern, und ich am Tisch vor dem Kalender, las aber nicht darin, da er noch dazu mit Nächstem zu Ende ging, und ich ihn schon ein Jahr lang kannte. Es herrschte ein heimlich Geraun und Gekicher und dazwischen ein helles Lachen hinüber und herüber, bis endlich die Räder ganz aufhöreten zu schnurren und surren. Da stand im Fenster in einem Scherben ein Rosmarinbaum, den hatte mein Liebchen gezogen, und er gehörete ihr. Ich bat um ihn, und als ich ihn geschenket erhalten hatte, da brach ich ihn und flocht eine Krone daraus und alle drei Jungfern halfen. Dann trugen wir ihn die Stiege hinauf, und ich band ihn an der Töchter Kammer mit den Zweigen, und mein Schatz schlug die Hände vor das rosenrothe Gesicht und schaute durch die Finger dem zu und lachete und freuete sich. Aber wie das Feuer unter die Rotte Korah, so schlug das Unheil zwischen uns.

»Was machst Du Dirn bei dem Kerl?« erschallete es hinter uns, und ein Knüttel fuhr hernieder nach rechts und links auf Kopf und Schultern, Arm und Bein, wie es traf. In die Kammer und wieder heraus schlug der Tyrann seine Tochter, wie ich mich auch dazwischen warf, daß ich das Meiste bekäme. Endlich bekam ich ihn beim Kragen zu packen und drückete ihn gegen die Wand, daß ihm die Augen aus dem Kopf traten, und ließ auch nicht los, als er mich auf die Nase schlug, daß das Blut hell herunterlief. Als er still war, ließ ich ihn, denn ich gedachte: er ist doch Dein Herr! Mein Bündel mußte ich aber schnüren, denn hier war meines Bleibens nicht ferner. Nahm Abschied mit Thränen und watete denselben Abend noch durch den Schnee und die Nacht nach Detmold. Wohl kam mein Schatz heimlich und wollte mich zurück haben, und die hospita wäre auch damit zufrieden gewesen, aber der Rector Hilger legete sich drein und schaffete es, daß ich zu dem Oberstallmeister kam, wie ich schon gesagt habe. Bei Letzterm blieb ich ein Jahr lang, dann mußt' ich fort und ging nach Lemgo, wo sich der Weg in's Verderben vor mir aufthat, breiter wie sonst nie in meinem langen Leben. Gerieth ich zu einem Bäcker, Namens Knöbge, einem Wittwer, dessen älteste Tochter ihm den Haushalt führete. Diese hatte ein unehlich Kind von acht Jahren, welches ich informiren sollte und ging dieses feliciter an, ging ich auch dabei hier nochmalen in die Schul und das Chor. Das ward ein seltsam Leben voll viel Anfechtungen des Teufels. Ach, sind nicht die Frauensleute Schuld an aller Versuchung der Menschenkinder, seit den Tagen, da Eva den Adam verführete zum Apfelbiß?

Der Welt nach hatt' ich das herrlichste Leben und aß die schönsten Kuchen, und kam das böse Weib oft des Nachts, wenn sie buken und steckte mir den frischen Zwieback in den Mund. Zu den Kleidern kaufte sie mir im Krame was ich wollte und schenkte mir einen Hut mit einer silbernen Spitzen. Wenn die Schulkameraden zu mir kamen, durfte ich sie tractiren nach Herzenslust, und sie saß nieder mitten zwischen uns und sang mit und schauete nach rechts und links, nach mir aber am meisten. Der alte Vater aber durfte das Maul nicht aufthun und kaum zu dem Treiben den Kopf schütteln; denn was die Tochter wollt' und that, das war Alles wohlgewollt und wohlgethan.

Da wurd' ich auch hier in Lemgo vor den Rector citiret. Hu, der Reden, die er mir hielt.

»Söhnlein, Söhnlein, und wenn sie Dir nun etwas in den Kuchen backt, daß Du nicht von ihr abkommen kannst Dein Lebenlang? Cave, cave, , Michel Haas; Stricke sind Dir geleget und Schlingen sind Dir gestellet. Gib Acht, daß Du nicht in die Grube fallest, aus der keine Wiederkehr und Rettung ist!«

Das ging mir wahrlich zum Herzen; aber wie war da zu helfen? Wußte der Rector solches fast so wenig Rath als ich selbst. Das von dem Zauberwerk, welches sie mir eingeben konnt', kam mir nicht aus dem Sinn bei Tag und Nacht, und je freundlicher sie ward, desto heftiger drehete sich mein Magen um, desto mehr wandte sich mein Herz und mein Sinn von ihr. Ein Brieflein von der Mutter kam dazu und zur rechten Zeit; ich flohe wie der Joseph vor dem Weibe des Potiphar, ließ aber meinen Mantel nicht zurück, sondern brachte meine Sachen, eins nach dem andern aus dem Hause, ganz unvermerkt, bis auf den Kasten, darin sie waren. Der gehörete dem schönen wilden Weibsbild. Es war um Neujahr, als ich die Flucht nahm, und gab vor, ich und noch ein paar Schüler wollten aus, »stapeln« gehen.

War das eine Sitte zu der Zeit bei den Studenten zu Lemgo. Wenn man kein Geld hatte, und der Magen mehr brummete und knurrete als nöthig war, so ging man aus, ein paar Meilen von der Stadt, und sang in den Städten und auf den Aemtern bei den vornehmen Leuten das Neujahr, acht Tage lang. Dann kam man heim mit Geld und Eiern und Säcken voll allerhand guter Dinge, und das lustige Leben konnte von Neuem beginnen!

Das war also ein Vorwand, gegen den kein Mensch etwas haben konnte, und so glaubte man mir auch, und zog ich ab, alle Taschen voll süßen Gebäckes, auf Nimmerwiedersehen. Alle meine Kameraden begleiteten mich mit Gesang durch die Straßen vor das Thor; denn auf Schulen wollt' ich nun nicht wieder gehen, sintemalen mir däuchte, ich wisse Alles, was man brauche zum Informiren. Am Thore ward ich der Reihe nach nochmalen geherzet und geküsset von Allen, und ward mir ein feierliches Valet zugetrunken. Dann lief ich allein hinein in den dicken Nebel, der die ganze Welt umher verhing und schauete nicht um über die Schulter, obgleich es mir stets war, als riefe der Böse leise und immerfort mir in's Ohr: »Narr! Narr! Narr! O Narr, Narr, Narr!«

So war ich denn auf dem Lande, und mußte zum Lohn meiner Tugendhaftigkeit beim Amtmeier zu Hündersen als Informator dreier Söhne auch die schwere Arbeit lernen, als Dreschen, Holzhauen und auf die Jagd gehen. Gefiel mir das aber so übel nicht auf das lange Stillsitzen! Es war sogar ein lustig Leben; denn der Meier hatte außer meinen Schülern auch noch drei große Töchter und einen Sohn von achtzehn Jahren, welcher auch zu Detmold auf die Schul gegangen war. Die Mägdlein waren still und gegen Jedermann freundlich, und von dem Sohne lernte ich die kleine Jagd und einen Hühnerhund abrichten. Wohl war das ein lustig Leben; aber diesmal sollte es anders kommen, als es bisher gegangen war. Sonsten waren die Jungfern zu mir gekommen; diesesmal fiel auf mich die Liebe zuerst.

Ach weh, ach weh, und mein heimlicher Schatz hatte schon Einem das Herz und das Wort gegeben, einem reichen Meierssohn, das ward mir zu großem Leid in der Heumahd und bei der Ernte. Da wurde ich so bleich und hager wie damalen, als mich das böse Fieber schüttelte, und doch konnt' ich nicht fort, und war es mir, als sei ich mit tausend Banden angefesselt und werde nie loskommen, bis sie mir die drei letzten Schaufeln voll Erde auf den Sarg würfen.

Aber ich kam doch los!

War mein Prinzipal ein sonderlicher Kauz, welcher den ganzen Tag über nicht nüchtern wurde, da er immerfort den Griff am Wandschrank drehte. Dabei liebte er absonderlich die Musik, und die half mir davon; aber ein böses Weib mußte erst in's Spiel kommen.

Hatte mein Amtmeier einen Bruder, welchen er zu Tod füttern mußte, dieser blies die Flöte. Der Sohn spielte die Flöte Reverse oder die Hautboye; ich aber strich die Violin.

Wenn wir nun des Abends gegessen hatten, so ging die Lust an. Ein Jeder kam mit seinem Instrument, die Mädchen lauschten im Kreise, und die Knechte und Mägde drängten sich an die Thür oder die Fenster. Dann ging es los, und was auch die Andern spielten, mir war's immerzu, als sei jeder Ton, den ich strich, nur für die Anna Maria bestimmt. So ging das zu, bis uns die Hände am Leibe herunter fielen; dann hatten die Andern Ruhe; ich aber noch lange nicht. Ich mußte noch bis Mitternacht bei meinem Principal bleiben und ihm vorsingen, – lauter lutherische Lieder. Wenn ich nun einen Gesang anfing, legte er den Kopf auf den Tisch und hub an zu schnarchen, daß die Wände erzitterten. So wie ich aber endigte, war er wach und fragte: »Ist es aus?«

Respondebam: »Ja!«

»Nun, so singet ein Anderes,«

Das ging nun so fünf oder sechs Mal hinter einander, daß ich fast keinen Laut mehr aus der Kehle bringen konnte, und die Frau von ihrem Bett und der Kammer aus uns ein Paar Narren schalt, und immer stärker brummte.

»Wollt Ihr nicht singen, so seid Ihr auch mein Präceptor nicht!« hieß es dann, und ich mußte abermals dran, bis der Alte genug hatte und aufstand, mit mir an den Wandschrank ging, mir einen Wachholderbittern oder zwei Gutegroschen gab. Nun konnt' auch ich, heiser und müd', in die Federn kriechen.

Was geschiehet? Eines Abends im Spätherbst, saßen wir wieder, ich und mein Herr, und ich sang aus voller Kehle: »Nun laßt uns Gott den Herrn &c.«, der Principal trompetete wie gewöhnlich. Die Lampe hatte schon jetzt seit geraumer Zeit allerlei bedenkliche Zeichen des Erlöschens von sich gegeben, jetzt wurde es klar, daß wir im nächsten Augenblicke in tiefster Dunkelheit unsern Gesang fortsetzen mußten; endete ich deßhalb mit einen kunstvollen Schnörkel, mein Amtmeier wachte auf und hob die rothe Nase und die schwimmenden verschlafenen Augen in die Höhe.

Mühsam stolperte er nach der Oelkanne unterm Ofen, fand sie jedoch nicht an dem gewohnten Platze und rief in die Kammer:

»Frau, wo ist die Oelkanne? Gib uns ein Licht für mich und meinen Präceptor!«

»Heute nicht mehr!« klang es schrill zurück, als ob eine Eule aufgestört worden. »Marsch zu Bett.«

»Also Du willst nicht, Alte?«

»Nein, nein, nein, Ihr verrückten Lumpen!«

»Sie will nicht, Michel,« sagte mein Principal und stieß mir den Ellbogen in die Seite. »Sieht Er, das ist das Vergnügen beim Freien; merk' Er's sich. Hab' bemerkt, daß Er nach meiner Aeltesten schielt – da hat Er ein Exemplum, wie's mit dem Weibsvolk ist.« –

»Halt' den Mund, Du Saufaus, und laß unsere Tochter aus dem Spiel!« kreischte es aus der Kammer. »Was hat der Haselant von Schulmeister mit unserm Kind zu schaffen?«

»Nichts, Alte! Also Du willst uns kein Oel geben zu unserm Gesang?«

»Zum drittenmal, nein, nein, nein!«

»Bleibe Er hier, Präceptor,« brummte mein Principal, und tastete im Dunkel den Weg aus der Stuben, und ich hörte ihn draußen rumoren, wußte aber nicht, was er im Sinn hatte.

Nach einiger Zeit kam er wieder und sprach: »Nun singe Er weiter. Wer nur den lieben Gott läßt walten. Das ist ein passend Lied in allen Nöthen.«

Ich hub an und war zum dritten Verslein gekommen, als ich innehalten mußte, von wegen eines seltsamen Geruches und Rauches, welcher allmälig die Stuben füllte.

»Singe Er nur zu, Michel Haas,« greinte der Alte, »'s wird noch besser kommen.«

Und es kam noch besser! Aus dem Singen ward ein Husten und Niesen, und mein Principal hielt sich den Bauch, als aus der Kammer der Schrei kam:

»Jesus, Mann, was ist das? 's wird doch nicht brennen im Haus bei dem Sturm?«

Draußen machte der Herbstwind ein groß Getön und Getöse; schüttelte die Bäume hin und her, pfiff und heulte und fuhr in den Schornsteinen hinauf und hinunter, als tausend Teufel in einem Besessenen.

Mußten wir in der Stube husten und niesen, so ging das jetzt auch in der Kammer an und endete mit einem Gepolter und plötzlichen Aufsprung der Meisterin aus dem Bette und mitten unter uns.

»Feuer! Feuer!« schrie sie, und: »Feuer! Feuer!« schrie der Principal. »Feuer! Feuer!« ging es durch's ganze Haus.

»Wecke Er die Töchter, Präceptor!« sagte mein Brotherr, und ich war die Treppen hinauf wie ein Wirbelwind; dachte aber, als ich wieder herunterkam, wahrhaftig nicht mehr daran, der Anna Maria fürderhin süße Augen zuzumachen. O je! o je! – – Das ganze Haus, Knechte und Mägde, Kinder und Katzen und alles Geflügel war unterdessen in Alarm gekommen. Nun war Licht genug da, und bei seinem Schein gingen wir dem Gestank und Rauch nach.

»Prr, prr!« machte mein Princeps und stieß mich abermals in die Seite, daß mir schier der Athem verging. »Merk' Er's sich, Präceptor: Manneshand gehört oben.« In der Küche erhob sich nämlich ein groß Geschrei und hatte man allda auf dem Herd die Quelle des Spectaculums entdecket.

Alle alten Besen des Hauses, drei wollene Socken und ein zerlumpter wollener Frauenrock glimmten und qualmten darauf nach Herzenslust, daß man durch den Rauch nicht durchsehen konnt', und der Schornstein war fein sorgsam verschlossen, daß ja nichts verloren ging von dem Höllenstank.

Hu, wie fuhr die Meisterin gleich einer giftigen Katze herum, mir und dem Herrn mit zehn ausgespreizten Klauen vor den Augen herum! Hu, wie sah es aus! .... Aber mir war doch das Weinen näher als das Lachen, und da war die Anna Maria dran Schuld und der Sohn von dem nächsten Meierhofe und die Leiter, welche an der Hauswand im Garten lehnte.

Am andern Morgen schnürt' ich mein Bündel und ging, obgleich der Alte meinen Gesang um Alles nicht missen wollt', und mir Alles bot, was ich nur hätt' begehren können.

Aber ich ging doch, voll Wuth, Trotz, Haß und Hohn. Hatte mehr als ein Haar in der Schulmeisterei gefunden, und was thut der Mensch nicht, wenn er halb von Sinnen gebracht ist? Ging also wieder gen Detmold und ließ mich unter die Preußen annehmen als Reiter; sintemalen der Graf Karl von der Lippe damals ein Reiterregiment commandirte zu Königsberg. Als wir aber zum Schwören ausmarschiren sollten, da faßte mich Gottes Gewalt und warf mich auf's Krankenbett, daß ich lange, lange auf den Tod lag und nicht vermeinte, wieder davonzukommen. Bei mir hatte ich den Mittelknecht von Hündersen, der auch mit in den Krieg gehen wollte aus Liebe zu mir, und eine Magd vom Hofe mitgenommen hatte. Als der Graf Karl nun mit seinen Werbern und Recruten abging nach Königsberg, mußte er auch mit und heulte sehr vor meinem Bette, weil ich nicht mitgehen konnte. Gleich nachher hab' ich die Besinnung verloren und lange Zeit nichts mehr von mir und der Welt gewußt; bis ich endlich wieder aufwachte zum Leben.

Als ich die Augen zum erstenmal öffnen konnte, da sah ich dunkel, daß ein alter Herr mit einer Brillen auf der Nasen vor meiner Lagerstatt saß und ein großes Buch auf den Knien liegen hatte.

»Vater?! Herr Vater?!« rief ich, wußte nicht, wo ich war und was mit mir vorgegangen war.

Es war aber wirklich mein Herr Vater, und meine Frau Mutter war auch da und schluchzete vor Freuden, als sie merkte, daß ich noch einmal mit dem Leben davonkommen sollte.

Sie pflegeten mich wie ein Finkenpaar einen Kuckuck, und lasen mir erst den Text und wuschen mir den Kopf, als ich es ohne Gefahr ertragen konnte in meinen schwachen Gebeinen und Sinnen. Dann ward ich auf einen Wagen geladen und heimgeführet nach Haus, allwo sich Manches in den Jahren verändert hatte. –

Wie mußte ich mich verwundern, daß aus den kleinen, schmutzigen Mägdlein, meinen Schwestern, solch' ein Kranz blühender hübscher Jungfrauen geworden war; – blond und braun, schwarzäugig und blauäugig, mit Herzensgeheimnissen einige; einige noch ohne solche!

Meine Brüder waren allesammt fort von Haus bis auf den Aeltesten, den mein Vater von wegen seiner Gebrechlichkeit bei sich behalten hatte, damit er das Hauswesen führe.

Hatte aber Keiner aus dem Nestlein so viel von der Welt gesehen und erlebet wie ich, das Nestküchlein, und hab' Mancherlei erzählen müssen an Sommerabenden und Winterabenden; mußte jedoch auch Mancherlei für mich behalten, von wegen des Schwatzens und der bösen Nachreden.

Mein Herr Vater war bei alledem doch wohl zufrieden mit mir, und wenn er mich sonst geführet und gestützet hatte, so mußte ich das nun ihm thun, und so zogen wir Beide oft hinaus in die Felder, wenn der Roggen hoch und grün dastand, oder in den Wald in einen schattigen, kühlen Schlupfwinkel und redeten mit einander von der Ernte und den Schulen, auf denen ich gewesen, von dem Franzos und dem Türken und was es sonst noch Merkwürdiges in der Welt gibt. Das dauerte dann jedesmal, bis ein hell Rufen kam, oder ein Paar Schlitzaugen uns suchten im Korn oder im Busch, ein Schwesterlein vorsprang gleich einem jungen Reh und uns heimbefahl zur Mutter und zum Nachtessen.

Noch klang und sang die Geige des Alten; aber die Melodien waren viel ernster und langsamer geworden, und nur selten lösete einmal eine Tanzweise die frommen Choräle ab. Auch ich geigte mit und oft allein und den Alten in den sanften Schlummer herein.

Da konnt' ich wieder gar fromm und gut werden in dem stillen fried- und freudevollen Elternhaus, wo das Mütterlein über jedes Wort und Werk wachte gleich einem Schutzengel Gottes.

Aber, aber –

Gut Gewitter, böse Stunden
Werden wechselweis erfunden.
Dennoch geht es, wie Gott will, –
     Halte still!

Mit Anfang Winters, als die ersten Schneeflocken herabfielen, ist mein guter Vater sehr krank geworden und ist nicht davongekommen, sondern heimgegangen in die ewige Seligkeit, fromm und geduldig wie ein wahrer Christ. Ich habe immer bei ihm sitzen müssen in seiner Krankheit. Habe ihm auch die Augen zugedrücket und die Hände in einander geleget. Da hatte es mit Gesang und lustigem Lachen und Spiel ein Ende; still und stumm saßen wir bei einander und wenn Einer sprach, antwortete oder fragte, so geschah es leise, gar leise.

Die fürtreffliche Geigen des Vaters war nun mein, und ist auch mein höchster Schatz und Trost geblieben mein ganz Leben lang. Ist ihr Ton immer schöner und lauterer geworden und mir stets gewesen, als ob der Todte daraus zu mir spreche, mich warne, mir rathe, mich tröste.

Als der Frühling kam, hatten wir eine stille Hochzeit im Hause; ohne Sang und Klang wurde meine älteste Schwester, die Louise, heimgeführet, und als sie auszogen, zog ich mit, ließ sie aber am nächsten Kreuzweg und fuhr allein wieder hinein in die weite Welt, war aber nunmehro ein Mann geworden, der Alles eher dunkler als heller sah. Hat mich damals auch zum erstenmal die grausame Melancholey gepacket, von welcher ich späterhin noch zu reden haben werde.

So kam ich nun zuerst auf das adelige Gut Sülbeck als Informator, allwo ich wieder fleißig die Jagd exercirete; zumalen es allda überaus schöne Jagden und Hunde giebet. Blieb hier ein volles Jahr und wurde frisch und munter; dann aber kam die seltsamlichste Zeit meines Lebens, deren ich gedenken muß bis an meinen sanftseligen Tod.

Hatte mein Herr eine Schwester im Hildesheim'schen, welche einen Herrn von Bock zum Mann hatte. Diese Schwester wollte er auf Ostern besuchen, fragte mich auch, ob ich mit ihm gehen wolle.

Antwortete ich natürlich von Herzen: »Ja!«

Da wir nun zu dieser Reise Geld brauchten, so fischten wir in der Marterwoche einen Teich und fuhr ich dann mit einem Fuder Fische – vierpfündige Karpfen – nach Paderborn, hatte aber, als ich daselbst ankam, keinen einzigen lebendigen Fisch mehr.

Der Wirth, bei welchem wir einkehrten, hieß Deuvel, und war ein Schlaukopf, so dick er war. Schüttelte er den Kopf und sagte:

»Sehe wohl, Er ist ein junger Mensch und versteht den Fischhandel nicht. Geschwinde mit den Fischen vom Wagen! Ich will Ihm eine kleine Stube miethen, da lege Er die Fische alle auf's Stroh und reibe ihnen die Ohren und Kiefern mit Weinessig, so bleiben sie roth.«

Solches geschah, und ich ließ sie darauf ausrufen und ausbieten, das Pfund für vier Groschen. Da kamen wohl die Leute, besahen und berochen die Fische, wollten aber nicht daran, obgleich es in den Fasten und schöne Karpfen waren. Ich ließ sie zum zweiten und drittenmale ausschreien für drei Groschen und zwei Groschen, da wurde ich einen Theil los, meistens an die Juden. Ich behielt aber noch viele auf die Rückreise. Der Knecht, der Kutscher und ich fraßen nichts als Fische; wo wir in ein Wirthshaus einkehrten, gaben wir nichts als Fische; der Wirth in Paderborn nahm lauter Fische für das, was wir und die Pferde verzehret hatten. Das war eine Lust! Ist mir der Geruch und Geschmack heute noch nicht wieder aus Mund und Nasen gekommen.

Als wir nun wieder zu Hause ankamen, fragte der Herr sogleich, ob's gut abgelaufen sei, und ich fing mein Lamento an. Schlug der Herr die Hände über dem Kopfe zusammen und fluchte nach Noten und ohne Noten. Half's aber zu nichts; denn wo hätten wir in der sandigen Senne oder Heide das Wasser hernehmen sollen, die Thiere zu tränken?

Und die Reise war festgesetzt und sollte es fortgehen, ob es bog oder brach.

Weil wir von unserm Fischzug am Freitag Abend nach Haus kamen, so konnte die Abfahrt erst auf den ersten Ostertag losgehen, und bat die gnädige Frau unterdessen himmelhoch, mich dazulassen, denn man könne nicht wissen, was in unserer Abwesenheit passiren könne. Sagte also auch der Herr zum Kutscher, er wolle allein reiten, er solle nur zwei Pferde satteln. Wie das geschehen, wollte er seine Stiefeln anziehen, wollte aber einer nicht an, wegen Incommodirung des Podagra, fluchte der Herr gewaltig und schrie dem Kutscher wiederum zu:

»Zum Teufel, nur immer mit der Kutsche heraus, mit Geld oder ohne; Präceptor, mache Er sich nur fertig, Er gehet doch mit, und wenn Er auch tausendmal die Fische hat crepiren lassen!«

So fuhren wir ab und kamen in der Nacht, wie grade die Osterfeuer brannten und sämmtlich Volk darum hertanzte, an unsern Ort. Wenig Freude hatten wir aber davon, denn der Herr von Bock war ein unsinniger Mensch, und die Frau mußte allzuviel von ihm ausstehen, welches denn den Bruder dermaßen verdroß und zu Herzen ging, daß er vom Tisch aufstund und nach seinem Degen lief. Der tolle Bock fürchtete sich aber nicht, sondern warf die Teller nach uns. Als dem Streit nicht gewehret werden konnte, gingen wir fort und ließen ihn in der Stuben allein, konnten aber Alles sehen, was er machte. Hielt er Papier an das Licht, lief damit in der Stube hin und her und rief: er wolle die Geister austreiben.

»Schulmeister, lauf' und krieg' sie!« schrie er mir zu, schmiß auch die Gläser entzwei, und wollte sich Niemand an ihn machen, denn er sah aus, wie ein wilder, wüthender Löwe.

Der Frauen Bruder ärgerte sich so sehr, daß er eine heftige Blutstürzung bekam, welche vom Abend bis an den Morgen dauerte, gegen welche auch kein Hausmittel helfen wollte. Endlich mußte ich um Mitternacht nach Gronau zu einem berühmten Feldscheer reiten. Sprach dieser: »Wenn er so lange geblutet hat, so kann ich ihm nicht mehr helfen, ich will ihm jedoch einige Pulver mitgeben; solche kann der Herr mit Brunnenwasser einnehmen und zusehen, wie es dann mit ihm gehet.«

Stillete sich nach besagten Pulvern wirklich das Bluten, und als es ein wenig besser geworden war, eilte er, daß er nach Haus käme.

Hatte ich derweilen auch ein hitziges Fieber bekommen, und mußte mich mein Herr dalassen. Da kann man sich leicht vorstellen, wie es mir nahe ging, bei dem tollen Menschen zu bleiben, dem Keiner trauete. Es versprach mir zwar mein Herr, mich abzuholen, wenn ich wieder besser sein werde, allein bei dem Versprechen blieb es, und nachher blieb ich auf vieles Bitten bei der Frau von Bock. Davon will ich nun erzählen!

Diese Frau war eine rechte Kreuzträgerin; denn

1) hatte ihr Vetter, der Schatzrath, welcher auch auf dem Hofe wohnte, ihren Mann lange Zeit in's Zuchthaus setzen lassen, in der Beschuldigung, daß derselbe ihm die Scheuer in Brand gesteckt hätte;

2) hatten sie ihr ihre beiden Söhne heimlich, als sie einmal in Hildesheim war, weggenommen und sie in königlichem Schutz nach dem lutherischen Kloster Ilfeld bringen lassen. War sie nämlich katholisch und hatte man vorgegeben, sie wolle auch ihre Kinder katholisch machen. Der Herr von Bock war lutherisch;

3) war sie mit ihrem Vetter, dem Schatzrath in einem schweren Proceß, weil er sie vom Gute haben wollte. –

Wie nun der Mann neun Jahre im Zuchthause gewesen, supplicirte sie so viel, daß sie ihn endlich los bekam und that sie ihn nach Hildesheim zu einem Doctor, daß er ihn heile von seiner Melancholey. Er war nämlich vorher ganz klug und gescheit und in seiner Jugend ein Page am Hofe zu Rudolstadt gewesen.

Wie er nun einige Wochen bei dem Doctor gewesen ist, läuft er auf und davon, und wußte kein Mensch ein Jahr lang, wo er geblieben war, half auch alles Suchen und Aufbieten nichts. Endlich kehret er zurück und wird angehalten zu Lauenstein, ist umher mit lauter Lumpen und Stroh behangen und trägt einen langen Bart. Wie ein Mensch sieht er nicht mehr aus.

Der Amtmann läßt ihn setzen und fragt ihn, was er für eine Creatur sei, kriegt's heraus, und die Frau ist gleich in der Kutschen hin, nimmt Zeug mit, ihn zu kleiden, daß sie ihn ordentlich und anständig heimführen könne.

»Bist Du da, Fieke?« fragte der Tolle, als er sein arm Weiblein siehet, und sie fällt aus einer Ohnmacht in die andere, fasset sich jedoch in Gottesfurcht, läßt ihm den Bart abscheeren und führet ihn mit sich heim, und alle Kinder aus Lauenstein laufen ihr nach und schrei'n:

»Der wilde Mann! o der wilde Mann!« –

Nach diesem kam ich dahin und dauerte es wohl ein Jahr, ehe daß ich mich in den Unklugen konnt' schicken.

Hier war nun Gottes Hilfe und Herzhaftigkeit von Nöthen, denn wir hatten noch ein Gut, eine Stunde ab, da ging der Tolle alle Werkeltage hin, machte Teiche und Gruben im Garten und auf dem Hofe, daß er Alles ruinirte. Es floß zwar ein kleines Bächlein über den Hof, allein er machte lauter tiefe Löcher, daß man nicht gehen und stehen konnte.

Wenn man ihn fragte: »Was will Er da einsetzen?«

Antwortete er: »Häringe!« und dabei blieb er.

Nun stand er in diesen Löchern den ganzen Tag nackt und bloß, sowohl im Sommer als im Winter, und konnte ihn kein Mensch davon abbringen.

Das war ein Spectacul für die ganze Welt.

Wohl warf ich Dornen und Glasscherben in die Gruben, gedachte, er solle solches in die Füße treten; allein das war Alles vergebens, denn er hatte eine Haut von Stahl und Eisen.

Endlich brachte ich ihn doch durch Gottes Hilfe von dieser Arbeit ganz ab und will erzählen, wie es zuging. Wir ließen durch drei Hildesheim'sche Invaliden den Zehnten und unser Korn ausdreschen. Wie nun die Drescher am Mittage bei Tische saßen, spricht der Eine zur Frau: »Madame, es ist ein Jammer und Schade, daß Sie einen solchen Herrn hat, sollte man den nicht vom Graben abbringen? Wie siehet er vom Dr ... aus?!«

Spricht die Frau: »Hundert Thaler will ich dem geben, der das kann.«

Da steht ein Invalide auf und sagt: »Ich will hingehen, ihm dräuen und ihn an den Tisch rufen.«

Geht er hin und bringt ihn wirklich her, wie wir mitten im Essen waren.

Schreit der Herr: »Fieke, hast Du dem Kerl befohlen, daß er mich so ausmachen sollte?« Will auch der Frauen an den Leib und stehet drein zum Erschrecken. Da gedachte ich: nun ist's Zeit; sprang auf, griff ihn und hielt ihn fest im Sessel; er aber ertappete meine Haare und griff drein, daß es mir roth und grün vor den Augen ward, und ich ihn zur Erden werfen mußte. Da kam die Frau, machte meine Haare los, und ich ließ ihn aufstehen, sagte auch: Nun solle er gar nicht mehr graben! Ging hin und nahm ihm Spaten, Schubkarren und Alles vom Teiche weg.

Da ging das rechte Unglück erst an im Hause und dauerte es fast acht Tage, ehe daß er sich ergab. In der Küche warf er einen Pott in den andern, und trug ich immer eine Flinte, die ich auf der Kammer hatte, mit mir, drohete, ihn damit zu schießen, daß ihm der Dampf aus dem Halse käme. War sie jedoch nicht geladen, half's aber dennoch!

In den Nächten schlief ich bei ihm, und gab er mir in der ersten mit dem Daumen Eins in die Seite, daß mir der Athem stehen blieb.

Ich lag stille, schlief aber die ganze Nacht nicht, dachte immer: Wenn er das nochmals thut, mußt Du ihn angreifen! – Ich wußte ja, daß ich durch Gottes Hilfe sein Meister sei.

Schenkte auch der liebe Gott, daß er sich endlich drein gab. Saß er vor der Hausthür in der Sonne und sahe recht traurig aus, fragte auch, als ich zu ihm trat: »Was soll ich denn hier machen, wenn ich nicht graben soll?«

Da erzählte ich ihm, der König von Engelland habe all' sein Grabezeug abholen lassen, und das glaubte er, und kam er nicht wieder zu seinen Häringslöchern.

Fleißig mußten wir aber dabei Obacht geben, daß der Schatzrath, unser Feind, nichts vorzubringen hatte. Was ich da ausgestanden habe, steht nicht alle zu beschreiben, weil der Schatzrath auch mich pervors vom Hofe haben wollte, daß er seine bösen Absichten desto besser ausführen könne.

Als ich nun einsten mit dem Knecht und dem Herrn nach der Wiese war, Gras für die Pferde zu holen, kamen wohl zwanzig Kerle mit Flinten und großen Knütteln von der Stadt uns entgegen; die ließen den Knecht passiren, mich und den Herrn schlugen sie, daß ich den Himmel nicht sehen konnte.

Die Flinte nahmen sie mir auch ab.

Als das der Herr sah, sprang er auf und nach dem Wagen, faßte die Sense, mähete um sich und rief: »Laßt mir den Menschen los! laßt mir den Menschen los!«

Gedachte ich in meiner Angst: »Ach, wenn doch Gott gäbe, daß er Einen in die Beine hauete.«

Allein sie nahmen ihm die Sense und schlugen wieder auf uns zu und tractireten uns mörderlich.

Dann führeten mich drei von ihnen in Arrest mit sich fort.

Wie das die Frau oben auf der Stub alles gesehen und gehöret, daß sie mich in Arrest gebracht, läuft sie gleich und fragt den Amtschreiber, ob er mich gefänglich hätte.

»Nein,« sagt er, »Sie waren wohl mit ihm da, allein ich melire mich nicht in der Herrn von Böcke ihre Sachen.«

Drauf kam die Frau über die Leine geschiffet und holte mich und die drei ein, schalt und hieß mich mit ihr kommen. Solches thät ich. Die Kerls aber liefen voraus und erzählten das dem Schatzrath.

Wie die Frau und ich nun auf den Hof wollten, ließen sie die Frau ein, mir aber schlugen sie die Thür vor der Nase zu.

Die Frau rief mir durch's Schlüsselloch zu, ich solle in die Stadt gehen und mich verbinden lassen, und des Schatzraths Töchter lagen im Fenster und beschimpften mich und lachten, weil ich vor Blut keinem Menschen mehr ähnlich sahe.

Indem kam der Justitiarius Sander die Straße herunter und wollte auf dem Hofe zu Tisch gehen, und schrie:

»Kerl, was stehst Du hier?«

Schickte mich durch den Jäger und Gärtner abermals in Arrest, und saß ich im Loch bis es ganz dunkel war; wurde mir auch gesagt, nach Hannover unter die Soldaten solle ich, und wollten sie mir die Knöpfe von den Hosen schneiden, damit ich nicht ausreißen könne. Aber ich bat vom Himmel zur Erden, dieses mir nicht anzuthun.

Am Abend kam ein Befehl von der Regierung, mich dieses Mal wieder los zu lassen, allein ich solle mich nicht in der Herrn von Böcke ihre Angelegenheiten mischen, und der Schatzrath ließ mir dabei sagen, ich möge ja nicht wieder auf den Hof kommen, oder das Donnerwetter solle mir auf den Hals fahren. So hinkte ich denn am Abend nach unserm andern Gute, und die Frau kam auch dahin. Am andern Tage gingen wir zu einem Advocaten, welcher mich besahe und sagte: ich wäre nicht menschlich, sondern viehisch tractiret, er wolle mit mir auf die Regierung gehen und mich zeigen.

Dieses geschah. Lange standen wir, und wollte uns kein Mensch anhören, sehen und sprechen; bis daß der Canzler und die andern Hofräthe zu Tisch gehen wollten. Da wies mich der Advocate dem Canzler; aber der fuhr mich an: ich sei ein unruhiger Kopf, wolle hauen und stechen und keinen Frieden geben; – ließ mich stehen und mußte ich damit vorlieb nehmen; weil der Canzler und der Schatzrath so zu sagen wie Hand und Handschuh waren.

Als ich mit der Frau wieder heim kam, waren Knechte, Pferde sammt allem Ackergeschirr fort vom Hofe, und ein elendes Leben hub für uns an.

Die Hühner und anderes Vieh wurden uns all gesammt todtgeschossen und über die Thür geschmissen mit den Worten:

»Da freßt, Ihr Schelmenvolk!«

Als nun der Advocate diese Grausamkeiten an Menschen und Viehe sahe, appellirte er nach Wetzlar, und da ich auch den Herrn von Bock hatte so weit gebracht, daß er in die Kirche und zum heiligen Abendmahl ging, so wurde das Attestat vom Herrn Pastore mit zu den verschickten Acten geleget.

Dauerte also kein Jahr, da kriegten wir ein trefflich Urtheil, uns Alles wieder zu liefern und uns unturbiret zu lassen, bei Straf von so und so viel zehn Mark löthigen Goldes.

Das trieb durch, hatten wir von da an Fried und Ruhe, wurden sogar in einigen Jahren gute Freunde mit dem Schatzrath und seinem Anhang.

Blieb ich also zwölf Jahr in dieser Stadt bei der Frau von Bock und es war ein schöner und nahrhaftiger Ort. Allein wie sich allerhand Laster und Untugenden herfür thäten, mußte der liebe Gott ihn strafen mit dreimaligem Feuer, so daß fast die ganze Stadt und die Kirche eingeäschert wurden und es viel arme Leute gab.

Wenn ich Alles erzählen sollte, was bei meiner Zeit darin geschehen, müßte ich wahrlich noch viel Bogen Papier hieran heften, denn es verging fast keine Woche, daß nicht Pasquillen an den Schandpfahl geschlagen wurden; Ehemänner mit Eheweibern, vornehme Jungfern mit gemeinen Knechten, und mußten einsmal alle die Frauen, so darauf stunden, dem Schinderknecht fünf Reichsthaler geben für's Abreißen.

Da hatte der Herr Pastor genug zu thun, daß er von der gottlosen Stadt zu predigen hatte. Suchte ich auch endlich fortzukommen, meiner unsterblichen Seele wegen.

Es fügte sich einmal, daß ich nach Hause reisete, meine alte Mutter zu besuchen, da traf ich auf dem Wege einen bekannten Mann von Bergheim, allwo der Graf von Waldeck wohnete. Dieser Mann sagte mir: »Wenn ich anitzo keinen Herrn hätte, so könnte ich wohl bei dem Grafen als Hofverwalter ankommen, da er keinen hatte und einen suchete.«

Lust hatte ich, dieses zu probiren, ging also mit ihm zum Grafen. Da wurden wir gleich einig und mußte mir der Herr Secretarius die Instruction allen Verhaltens gleich mitgeben, auf sechs Bogen geschrieben.

Als ich heim kam, sagte ich meiner Frauen den Dienst auf, die aber wollte nicht dran und sprach:

»Nehme Er sich in Acht; bei so großen Herrn zu sein, ist gefährlich; – sie haben allzu lange Finger und ist nicht gut mit ihnen Kirschen essen!«

Das wurmte mich mehr, als ich mir merken ließ. Kratzete mich wohl ein Vierteljahr lang hinter den Ohren darob. Aber der Graf wollte nicht ablassen, schickte deswegen zu meiner Mutter und ließ anfragen, ob sie nicht wisse, wo ich wäre?

Sie sagte dem Boten: ich wäre im Geiste dagewesen und des Abends, als sie schon wäre zu Bett gewesen, zu ihr auf die Stube gekommen. Da hätte sie gesagt: weshalb ich denn so spät käme, und ich hätte geantwortet: ich könne nirgends in der Welt bleiben und Ruhe finden. Sagt sie darauf: ich solle mich ausziehen und in's Bett kriechen, welches auch geschehen sei; aber ich hätte den Rock ausgezogen und auf den Stuhl geworfen, daß die Knöpfe geklappert hätten. Dann, erzählte sie, sei ich wieder aus dem Bette gestiegen, habe die Thür aufgemacht und sei die Treppen hinaufgegangen zu der Kammer, wo ich sonsten geschlafen.

Meine Mutter aber ruft meiner Schwester, die noch im Hause bei mir war: »Stehe auf, Dein Bruder, der Schulmeister, ist gekommen und die Treppe hinaufgegangen. Stecke ein Licht an und sieh zu, wo er bleibt.« Meine Schwester, Gott hab sie selig! – thut das; aber ich bin nirgends zu sehen und zu hören.

Dieses Alles kommt vor den Grafen, welcher daraus schließt, daß ich möchte krank sein und nach Haus verlangen; er läßt also den Dienst noch eine Zeit offen, und der Herr Secretarius muß denselben so lange verwalten.

Was geschiehet?

Wie die Braunschweiger Messe im Frühling ist, kommt ein Kaufmann aus meiner Heimath und siehet mich im Wirthshause.

»Mein Gott,« schreit er, »was macht Er hier? Der Graf hat Ihn aller Orten suchen lassen. Warum will Er nicht dahin? Weiß Er nicht, daß mit so großen Herren nicht gut zu spaßen ist? Mache Er ja, daß Er mit mir gehe, wenn ich wieder zurückkomme.«

Nun war nichts mehr zu machen; ich schnürte mein Bündel, nahm Abschied und ging zur Mutter heim mit meinem Kaufmann.

Wie das der Graf erfuhr, schickte er den Kutscher mit zwei Pferden und ließ mich abholen nach dem Schlosse Bergheim, Da wurde mir die Instruction nochmalen vorgelesen und der Eid mir abgenommen in Gegenwart der Lakaien, Kutscher, Reitknechte und Vorreiter. Mußten sie mir Alle die Hand geben zum Zeichen, daß sie mir gehorsam sein wollten.

Ein Lakai wollte nicht dran, denn er sagte, er stünde unter dem Hofmeister von Heugel und ich hätte ihm nichts zu befehlen.

Da meinte der Secretarius: »Je schlimmer Hund, je ärger Flöh! Kehre Er sich nicht daran; wenn Er ihn um Acht Uhr noch im Bette findet, so schlage Er ihn heraus nach Noten, Schulmeister!«

Die Lakaien waren lauter Schneider.

An diesem Orte bin ich zwei und ein halb Jahr gewesen; aber ich war zu hitzig, dachte Wunder, was für eine Creatur ich sei, prügelte den alten Calefactor, daß sie ihm zwei Tage den Buckel einschmieren mußten, und die Herrschaft lag leider Gottes im Fenster und sah den ganzen Lärm an. Da ward mir aufgesagt, und kriegte ich meinen Abschied Knall und Fall.

Weil ich aber einen ziemlichen Vorrath an Geld-Lohn und Sportuln gesammelt hatte, so ging ich mit Freuden, gab auch einen Valetschmaus im Wirthshause: da wurde mit der Haushälterin und den Jungfern brav getanzet bis an den hellen, lichten Morgen.

Lieber Gott, man wird doch nicht eher klug, als bis man alt wird.

Wie ich nun so plötzlich aus dem Dienst gekommen war, so ließ ich mich das in dem Augenblick nicht kümmern, da ich, wie gesagt, des Geldes genug hatte; dachte also, einmal auch mein eigener Herr zu sein und begab mich nach Mengeringhausen zu meiner ältesten Schwester, welche den Feldscheer Thiele zum Mann hatte. Hätten sie Trompeten und Pauken gehabt, so würden sie mich damit empfangen haben, weil deren aber nicht vorhanden waren, so machten sie es auf andere Weise, und das Herz hüpfet mir heute noch vor Freuden, wenn ich daran gedenke.

War ich selbsten aus einem Haus voll Kinder entsprossen, so kam ich jetzt wieder in eins; und glaube ich, der liebe Gott muß es doch mit uns, der deutschen Nation, recht gut meinen und noch Vielerlei mit uns im Sinn haben, weilen er also herrlich dafür sorget, daß die Art nicht ausgehet, sondern vielmehr davon immer mehr wird auf der grünen Erden; trotz aller grausamen Kriege, Seuchen und andern Ungemachs, so er uns schicket, uns väterlich zu strafen für unsere Sünden.

Da war ich zu Mengeringhausen unter den vielen Kindern auch lieb Kind, und thaten sie mir alles, was sie mir an den Augen absehen konnten – Alt und Jung. Da informirete ich nicht allein im A-B-C, sondern ich lehrte das kleine Volk auch viel andere hübsche Dinge, als da sind: Pfeifen zu schneiden aus den Weidenästen, zu blasen auf dem Buchenblatt, Windmühlen und Wassermühlen zu bauen und so fort, Tausenderlei. Da hatte ich immer den ganzen Schwarm an den Ruckschößen hangen und gedachte oftmalen dabei mit Thränen in den Augen an meinen seligen Herrn Vater, dem es eben so gegangen war im vergangenen siebenzehnten und diesem achtzehnten Jahrhundert, hatte er aber noch dazu den Jubel, daß es sein eigen Völklein war, welches ihn umschwärmte, wie die Bienen den Weichsel.

Als das Geld zu Ende, war es auch für mich mit dieser Lust am Ende. Mußte ich wieder hinaus in die Dienstbarkeit Pharaonis und kam auf ein adelig Gut am Solling, dem großen Walde, als Informator zweier Junker und dreier Fräulein.

Weil nun hie die Gelegenheit so sehr günstig war, und Wald und Wild in Menge, so ward ich auch hier wieder ein Nimrod und gewaltiger Jäger. Kam aber dadurch in eine böse Sache.

Da liegt in den Bergen das alte hochberühmte Kloster Amelunxborn, aus welchem aber die Cisterzienser-Mönche schon lange ausgetrieben sind, sintemalen es nun lutherisch ist. Gar hübsch sieht es aus den Bäumen herab in das tiefe Eichenthal, welches sich dicht unter der Kirche hinzieht, und durch welches der klare Forstbach fließet.

Dahin zog es mich, oft aus alter Anhänglichkeit an das gelehrte Wesen, denn dazumalen war die Klosterschule noch nicht verleget, sondern hatte noch einen großen Ruf und Zulauf. Kannte ich bald manche der Lehrer daselbst und fast alle die Stipendiaten oder Schüler, und war ganz gut bei den letztern angeschrieben. Wurde heimlich bestellt zu jedem Gelage und hielt bei jedem Willkommen- und Valetschmauß mit, habe auch Manchem derer Herrn Primaner aus mancher Klemme geholfen durch Rath und That.

Die Klostergüter waren zu einem Klosteramt zusammengestellt, und saß damals daselbst ein gar böser Amtmann, welcher mich nicht leiden konnte und einen Tag seines Lebens für jedes graue Haar gegeben hätt', welches er mir hätte machen können. Hassete er auch die Schüler wie die Mauseplage, und lebeten er und die Schule im ewigen Zank und Hader unter einander, thaten sich auch zu Leid, was sie nur konnten, und spielten einander Possen nach Herzenslust.

Nun begab es sich einstmalen, daß ich mit dem Hühnerhund und der Büchse an einem Nachmittag im heißen Sommer, als die Sonne sich schon neigte, durch den Wald strich und an nichts dachte, bis ich auf einmal die Glocke der Klosterkirche über mir läuten hörete. Da fiel mir denn ein, meinen Scholaren noch einen Besuch abzustatten und kletterte bergauf, den alten Thürmen zu. Wie nun der Böse immer seine Hand im Spiele hat, so wollte er auch jetzt, daß mir auf meinem Wege an der Klostermauer der Amtmann mit seiner Frau und dem Gerichtshalter begegnete. Als mich der Amtmann ersah, fing er an, Feuer und Flammen zu speien und schrie mir entgegen:

»Da ist der Wilddieb, der Hallunke! Was thut er hier zu jagen?«

Griff mir an den Hals, wollte mir die Büchse abnehmen, den guten Hühnerhund damit zu erschießen; rief auch nach seinen Knechten, sie auf mich zu hetzen. Ich erwehrete mich aber seiner und rannte in den Krug, verrammelte mich gegen die Knechte in der Wirthsstuben und ließ den Schülern sagen, sie möchten kommen und mich erlösen aus der Belagerung. Dauerte auch nicht lange, so hörete ich die Schulglocke gehen, aber nicht langsam wie gewöhnlich, wenn es zum Essen oder Gebet gehet, sondern schnell und mächtig, als sei Feuer ausgebrochen, oder der Franzos in's Land gefallen. Dann kam ein großes Geschrei und Blasen in Waldhörner und Kuhhörner, und gleich darauf wimmelte es rundumher von meinen Schwarzröcklein, die bewaffnet waren mit Allem, was ihnen in die Hände gefallen war. Waren auch im nächsten Augenblicke der Amtmann und seine Gesellen und Knechte vertrieben, und drang das lustige Getös durch Thür und Fenster zu mir herein.

Da ging es: »Bruderherz!« hin und »Bruderherz!« her, und war eine Lust, daß die Wände erzitterten. Damalen war der Abt und Rector ein grausam gelehrter Herr und ein großer Mathematicus, welcher bei jedem Lärmen Laden und Thüren verschloß, um nicht aufgestöret zu werden. Die übrigen Lehrer ließen sich auch nicht blicken, weil es doch nichts geholfen hätte; – lacheten auch wohl heimlich in's Fäustlein, weil sie, wie schon gesagt, ebenfalls allesammt dem Amtmann nicht grün waren, bis auf den letzten Collaborator, der ein Verhältniß hatte mit einer Tochter vom Klosteramt, sie aber zuletzt doch nicht kriegte.

Da hatte ich denn in ein schön Wespennest gestört, und sah wieder einmal, daß es viel leichter ist, ein Spectaculum anzufangen, als dasselbe zu bändigen.

Meiner Büchse hatte sich das wilde Volk sogleich bemächtigt und schoß damit aus dem Fenster, daß es donnerte. Dazu wurde getrunken und gesungen, und zuletzt ein großer Zug formiret auf's Kloster. Half's auch nicht, ich mußte mit und ward vor des Amtmann's Fenster geführet und ihm mit Hohn und Lachen gezeiget. Darauf ging's in's Convictorium, allwo urplötzlich ein Stück Rothwildpret zum Vorschein kam, welches ich nicht geschossen hatte, bei meiner Seelen Seligkeit. Auch das wurde bekränzet dem Amtmann vorgeführet und dazu: Jo triumpho! gerufen und wieder geschossen und wieder in die Waldhörner und Kuhhörner gestoßen. Nachher ging ein großes Essen an, und was wir nicht bezwingen konnten, mußte der Hühnerhund fressen, welcher mager hineinkam in's Kloster, und fett wie eine Schnecke hervorging. Konnte ich nicht eher ihnen entwischen, als bis keiner der lateinischen Scholaren sich mehr auf den Füßen halten konnte. Da stahl ich mich von dannen und kam bei Nacht und Nebel wieder heim, und schlief einen wüsten Schlaf darauf.

Die Sache war damit jedoch noch lange nicht am Ende, sondern es entstand ein großer Proceß daraus; sintemalen der Klosteramtmann mich nun beim Fiscal als einen Wilddieb und Friedensbrecher angab. Behauptete er, er hatte mich in der Setzzeit in der Fürstlichen Wildbahn angetroffen und schob das Stück Rothwild auch auf meine Kappen.

Ich war aber ganz unschuldig daran, wollte es jetzt, wo kein Hahn mehr darnach krähet, wohl gestehen, wenn ich's gethan hätte. Waren es die Schüler gewesen; denn es gab unter denselben perfecte Jäger; welche sich vor nichts fürchteten und dem Teufel unter die Nase lachten. Kam ein Befehl derowegen an mich, zur Inquisition mich in Wolfenbüttel zu stellen, dachte aber: wenn Du dahin gehest, kriegen sie Dich beim Leibe und setzen Dich, daß Du nie wieder loskommst.

Denn die Revierförster waren mir ebenfalls allesammt nicht gut und hießen mich dito einen Wilddieb und eine Canaille. So muß die Unschuld Angst und Noth ausstehen in dieser bösen Welt! –

Blieb also weg und wurde zum zweiten Male citiret; kam ihnen aber auch jetzt nicht. Wie das nicht helfen wollte, citireten sie nach dem Amt Wickensen, blieb ich abermals aus wie das Röhrwasser; bestellten sie mich dann nach dem Amt Forst an der Weser, und ich ließ sie zum vierten Male warten auf mich.

Wie sie sahen, daß sie mich auf diese Weise nicht kriegten, schickte der Amtmann von der Forst seinen Voigt zu meinem Herrn und ließ alle meine Sachen mit Beschlag belegen.

Ich ließ mich weißlich nicht dabei sehen, und lachte mein gnädiger Herr und sagte dem Voigt: »Ich bin dem Menschen nichts mehr schuldig, weiß aber, daß er eine alte Geige und eine Flöte hat, wenn Ihr die haben wollt, so will ich sie Euch mitgeben.«

Da ging der Kerl mit Schelten und Fluchen, und dauerte dieses Wesen wohl zwei oder drei Jahre, kostete auch ein Ziemliches, welches aber Alles mein gnädiger Herr austhät und hat es mir nicht angerechnet.

Als der Canzleibote zum letzten Male kam, war der Herr eben nicht zu Haus, wohl aber ich, und ward ich so wüthend ob all' der Scheererei, daß ich den Befehl unbezahlt zurückgab. Als nun mein Herr nach Haus kam, schüttelte er den Kopf und sagte: »Michel Haas, das hat Er schlimm angefangen, nun wird die Guarde gewiß kommen und ihn vom Hofe holen; nun kann ich ihm nicht weiter helfen. Sehe Er zu, daß Er aus dem Lande und über die Grenze kommt; ich will Ihm ein Schreiben an meine Freunde im Lippe'schen mitgeben.«

Riß also aus und kam auf meines Herrn Betrieb zum Dr. Jaster in Lauenstein als ein Informator und Amanuensis. Hier konnte ich die Copialgebühren wohl auf vierundzwanzig Thaler jährlich bringen, denn der Herr mit vielen Prozessen überhäufet war, die ihm alle gut ausschlugen.

Lauenstein ist ein Flecken und ist auch ein Amthaus darin. In diesem Flecken liegt eine lutherische Kirche, »Spiegelberg« genannt, nebst einem Kirchhof, worauf die meisten Leichen aus dem Ort begraben werden. Bei dieser Kirche stehet ein Armenhaus, worin einige alte Weiber wohnen und todtgefüttert werden. Wenn nun Jemand ein Anliegen hat, es mag sein, was es wolle, so gehet derselbe zu den alten Weibern, gibt ihnen Geld oder Flachs, Wachs, Speck, Würste oder dergleichen und offenbart ihnen seine Noth. Nun gehen die alten Weiber in die Kirche, beten eifrig: »O Du großer Gott erhöre &c.« und wiederholen das wohl dreimal. Unter diesem Gebet soll sich nun in den Kirchen etwas eräußern und hören lassen mit Klopfen auf die Stühle; und muß man sich verwundern über die vielen Krücken, so in dieser Kirche stehen. Sollen in den katholischen Zeiten viele Wunder darin geschehen sein, und ist auch die Mutter Gottes in ziemlicher Größe auf dem Altare zu sehen.

Nach diesem war ich auf dem Eichsfelde als Verwalter bei einem adeligen Herrn, der ein Subjectum von wunderlichen Humores war. In der Nacht lag er alle Augenblick im Fenster und schrie: »Diebe, Diebe auf dem Hof! Verwalter heraus, was thut er in dem Bett – sehe Er nach der Scheuer und dem Boden! Diebe! Diebe!«

An einen ruhigen Schlaf war dabei nicht zu denken, und frage ich nun, was machte die Unruhe dieses Herrn!

Responsio: Am Morgen der – Branntewein und Nachmittag der Wein!

Die beiden hatten ihm schön das Gesicht und die Nase mit Rubinen besetzet. Macht ich, daß ich fortkam und gerieth in's Paderborn'sche, wieder auf einen adeligen Hof.

O wehe, hier kam ich an, wie das Schwein in des Juden Haus!

Alles rundumher, mein Herr und sein ganzes Haus war erzkatholisch und durfte ich weder die zwei Kinder informiren noch den Hof verwalten, weil der Herr einen katholischen Verwalter hatte. Konnte also wieder weiter nichts thun, als mit auf die Jagd gehen. Ich, der Jäger und der Kutscher speisten am Rabentische; man konnte wohl sagen am Rabentische, denn es wurde nicht gebetet, auch der Tisch nicht gedecket und alles Geschirr war hölzern, wurde auch manch liebes Mal nicht ausgewaschen. Die Gemeinen auf dem Hof waren wie die Schweine und hatten sonderliche Naturen an sich.

Hier wäre ich crepiret, wenn es Gott nicht anders geschicket hätte. Es kam aber einmal ein fremder Jäger dahin, dem erzählte ich meine Noth und sagte ihm: ich sei so lange Jahre bei vornehmen Herren gewesen, aber so schlimm wie hier, wäre es mir in meinem ganzen Leben nicht gegangen. Da kam's heraus, daß dieser fremde Jäger eine Stelle wußte als Informator bei einem Patricius zu Oerlinghausen.

Das war mir eine fröhliche Botschaft.

Kam ich auch richtig in meinen vorigen Charakter zurück und speiste mit dem Herrn am Tische. Hier hatte ich gute Tage; aber brach auch ein großer Jammer über mich los, weil hier der liebe Gott mich mit dem malo hypochondriaco heimsuchte. Und wenn ich an diese Krankheit gedenke, so gehet mir ein Grauen über den ganzen Leib; denn dabei kann in der ganzen Welt kein Mensch Einem helfen und Einen trösten. Lief ich in der größten Höllenangst nach Paderborn zu den Jesuiten und meinte durch ihre Vorbitte etwas Linderung zu haben. Sie behielten mich auch einige Tage und tractireten mich recht gut, lagen mich dabei an: ich solle katholisch werden, davon würde sich die große Pein wohl geben. Allein ich antworte: ich hatte nicht im geringsten irgend einen Scrupel an meiner Religion, könne das also nicht und werde es nie thun. Da gaben sie mir einen Brief an einen Dorfpastor, meinten, derselbe sollte mich persuadiren, weil er ein eigen Ingenium dazu habe. Lief ich also mit dem Briefe durchs Land, war der Pastor aber zu allem Glück nicht zu Hause, als ich bei ihm ankam, und übergab ich das Schreiben an seine Haushälterin, ging wieder aus dem Dorf und saß trübselig nieder an einen Zaun, stützete den Kopf auf beide Hände und schluchzete, daß ich beinahe das Herz gebrochen hätte, vor großem Weh und schrecklicher Angst.

Da hörte ich den Trab eines Pferdes daher kommen, regte mich jedoch nicht, bis ich merkete, daß der Reiter mir nahe war und vor mir anhielt.

Schauete ich auf und stand mit einem Satz auf den Beinen; denn auf dem Schecken saß mein guter Freund und Dutzbruder, mit welchem ich studiret hatte auf der Schule zu Detmold, der Sohn von dem Meierhof zu Hündersen, allwo ich, wie ich schon erzählet hab, jede Nacht meinen Principal in den Schlaf singen mußte, und allwo ich das süße Liebchen gefunden hatte, welches nichts von mir wissen wollte, und das ich mit Schmerz verlassen hatte in der Nacht, wo mein Principal die hospita und das ganze Haus aus den Betten räucherte.

Wie viele, viele Jahre waren seitdem hingegangen, und doch erkannten wir uns sogleich wieder, und mit einem Freudenschrei sprang das Bruderherz von seinem Pferd und fassete mich in die Arme:

»O Michel Haas! Der Michel Haas! Das Häslein! Das Schulmeisterlein!« schrie er, und ich rief: »O Hans, Hans, wo kommst Du her?«

Er besah mich von dem Kopf bis zu den Füßen und schüttelte das Haupt. Griff mich an der Hand und sprach: »Nun gehe Du mit mir; denn ich freue mich, daß ich Dich gefunden habe.« So ging er neben mir, und ich folgete ihm wie im Traum, und der Schecke ging langsam am Zügel nach. So führte er mich gen Stapelage, wo er auf einen Hof gefreiet hatte.

Ach da mochten vergebens unterwegs die Vöglein in den Bäumen und Büschen lustig ihre Stimmen erschallen lassen, jeglich Geschöpf, so Gott erschaffen hat auf Erden, fröhlich sein: mir war Alles schwarz verhänget, wie eine Todtenkammer, in welcher ich umging und keinen Ausweg finden konnt.

»Wohnet nicht weit von uns ein berühmter Nachweiser und Krystallengucker, den sollst Du fragen,« sagte mein Freund, »Der hat schon Vielen geholfen!«

So sprach er mir auf alle Weise Muth ein, und tröstete mich, so gut er es vermochte.

Als wir uns aber seinem Heimwesen näherten, wurde er stiller und immer stiller und ließ das Maul immer mehr hängen. Ich sagte ihm das auch; aber er wollte nichts davon wissen. Erfuhr ich bald genug, was ihm auf der Seele lag.

Als wir dem Gehöft zu Stapelage nahe kamen, da vernahm ich ein groß Geschrei, wie von zwei bösen Weibern, welche sich in den Haaren liegen und die Augen auskratzen. Und war es auch richtig damit.

Mitten auf dem Hof standen zwei Frauen, die eine hager und dürr, die andere kugelrund; hatten die Arme in die Seite gestemmt und fauchten einander an, gleich zwei giftigen Katzen.

Kratzte sich mein Freund bedenklich hinter dem Ohre und seufzete aus tiefem Herzen:

»Ach Gott, sie sind wieder dran! Ach du lieber Himmel!«

Wir standen hinter dem Zaun und sahen dem Wesen zu und höreten, wie es hinüber und herüber ging, – ein Ekelname immer schlimmer als der andere. War es mir dabei, als müsse ich die Dicke kennen und sann hin und her, wer es wohl sein möge; bis der Bruder schrie:

»Jetzt – na ja – nun haben sie sich wieder! Frau! Anna Marie! Wollt Ihr aus einander!«

»Anna Marie?!« rief ich, und schlug die Hände über dem Kopf zusammen und wußte in diesem Augenblick nichts mehr von meinem malo hyperchondriaco.

Sie war es! Ach Du lieber Gott; – sie war es wirklich! Und ich schüttelte mich und sprang meinem Dutzbruder nach, zwischen die beiden Furien, die sich eben beim Halse genommen hatten und sich über den Hof zogen, daß alles Gethier: Hühner, Gänse, Enten, Schweine, Hunde und Katzen schreiend nach allen vier Weltgegenden hin Reißaus nahmen. Ich fassete die Dicke und der Freund die Hagere. So zogen wir sie von einander. Ach Du heiliger Gott, da siehet man recht, was es mit den Weibern und der Liebe zu einer schönen Jungfrau ist! Da siehet man recht, was aus der Schönheit, und Sanftmuth und Stillheit werden kann mit den Jahren!

Was für Augen machte mein früherer Schatz, als ihr gesagt wurde, wer ich sei. Sie schien mich gar nicht ungern zu sehen und erzählte mir: sie sei eine junge Wittwe, und hatte viel zu schwatzen von den alten Zeiten. – Ja, ja, die alten Zeiten! Jetzt hätt' ich mir nicht mehr um sie die Augen aus dem Kopf geheult und die Haare ausgerauft. Ich ging fürsichtig um sie herum, wenn sie mir in die Nähe kam, und sie kam öfter in meine Nähe als mir lieb war und ich aushalten konnte.

Der Freund hätte sie gern vom Hof gehabt auf die gute Manier, und that Alles, damit er uns zusammenbrächte; sagte auch, es sei gar kein übel Weiblein in ihren guten Stunden, und sehr gut gegen die Hypochondrie; – sie habe dazu auch ein artig Geld und Gut und wisse zu kochen, zu braten und zu backen, wie es nur das Herz verlange. Aber ich wollte nicht dran, und so ließ er mich und fügte sich seufzend drein, daß er sie neben seinem Hausdrachen behielt. Und als die Doctores, die ich fragte, sagten, gegen meine häßliche Krankheit könne nichts helfen, als der berühmte Brunn zu Pyrmont, so lieh er mir aus alter Freundschaft, ohne daß sein Weib es merkte, eine Pistolette und fragte mich: ob ich damit wohl auskommen könne zu Pyrmont?

Respondebam: »Ja!« nahm Abschied, reisete ab, und brauchte drei Wochen lang die Cur und das Bad und wurde allmälig besser, aber nicht ganz gesund.

Diese gefährliche Krankheit zu beschreiben, ist kein Mensch im Stande; denn sie gehet vom Leben zum Tode, wenn man sich nicht fest an Gott hält und seine gethane Sünde herzlich beichtet und bereuet, wie David, Manasses, Jeremias &c. auch gethan haben. Ohne Gottes Beistand kann sie kein Mensch ein Jahr lang aushalten. Der gelehrten Leute gibt es viele, die damit behaftet sind, und haben sich auch Manche selbsten um's Leben gebracht.

Gott behüte uns dafür, denn es ist eine böse Anfechtung des Teufels.

O Du lieber Gott im Himmel, nimm Dich doch aller schwermüthigen und angefochtenen Leute an und richte ihr blödes und zaghaftes Herze auf. Wische ihre Thränen ab und ergötze ihre Seelen und stehe immer bei dem armen menschlichen Geschlecht! –

Mit erleichtertem Herzen fuhr ich wieder aus in die Welt und kam zum Lieutenant Schmidt, der ein Freigut hatte mitten in der Senne und der Wildniß; wo man nichts als wilde Pferde und Wild zu schauen bekam, wo die Menschen gar selten waren. Das war ein Oertlein für mich und mein krank Gemüthe!

Die Senne erstreckt sich weit umher, und die gemeinen Bauern, so darinnen wohnen, leben einzeln – bald hie, bald da – haben oft gar keine Stuben, sondern liegen beim freien Feuer und sehen aus wie die Tartarn, deren sich auch viele bei ihnen aufhalten.

Immen gibt es genug allda, und summet und brummet die ganze Heide von ihnen, wenn sie in der rothen Blüthe stehet. Oft wird ein weiter Landstrich in Brand gestecket, der Futterheide wegen, die dann frisch wieder ausschlaget. Wehet bei solchem Feuer der Wind, so hat man den Heerrauch, und ist der Lippe'sche Wald dieser Feuer wegen mit einem tiefen breiten Graben umzogen. Vor dem Wald liegen die Wildwächter, welche danach sehen müssen, daß das Wild und die Pferde nicht über die Grenze gehen, weil sie sonst von den Paderborn'schen weggeschnappt werden. –

Wie ich nun eine lange Zeit an diesem Ort gewesen war, däuchte es mir unmöglich, länger in der Einöde und Wildniß es auszuhalten; denn wenn ich ein Vögelchen singen hört', klang's mir immer in's Ohr: »Ach, wie kommst Du hier her? Michel Haas, wie, wie, wie kommst Du hierher? Michel, Michel, mach' Michel, daß Du fort kommst, Michel!«

Zog also von dannen, wieder unter die Menschen und kam in die neue Mühle bei Markoldendorf, wo ich vier Söhne zu informiren bekam. Hatte allda der Mühlen- und Biergäste wegen genug Zeitvertreib; denn die Schenke war erst eingerichtet, und das alte Sprichwort: In neue Nester legen gern die Hühner, – traf hier wieder ein. Da ich keine eigene Stube zum Informiren hatte und kein Sonntag kam, wo nicht Musikanten allhier aufwarteten, so wurde mir diese Unruhe zuviel. Ging derowegen nach Eschershausen zum Herrn Gerichtsschultheis Laurentius, welcher mich recht gut kannte und mich auch annahm als Praceptor seiner Kinder; und durch seine gute Recommendation kam ich dann nach Esbeck an der Leine zum gewesenen Hüttenmeister Herrn Schottelius; allwo ich noch bis dato bin.

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So habe ich nun mein Leben in der Fremde hiemit beschrieben, und das nicht mit kitzelndem Herzen und lachendem Munde; sondern eingedenk der Sünden, so ich in meiner Jugend gethan. Mein Vater ist todt, meine Mutter ist todt, alle meine Geschwister sind todt, bis auf einen Bruder, von dem Niemand weiß, wo er geblieben.

Es möchte wohl Jemand gedenken, ich sei ein Landläufer gewesen, weil ich so viele Herren gehabt; aber man richte nicht sogleich, und ein Jeder, der wohl steht, sehe zu, daß er nicht falle! Bin nun allgemach hoch in die Jahre gekommen und danke meinem Gott, daß er mich bis hierher hat kommen lassen und mich nicht weggenommen hat in der Jugend oder in der Hälfte meiner Jahre, und so gilt, in spem beatae resurrectionis, bis heute noch das Verslein der frommen Frau Herzogin Elisabetha Juliana:

Alles hat ja seine Zeit;
      Freud' und Leid.
Gut Gewitter, böse Stunden
Werden wechselweis erfunden.
Dennoch geht es, wie Gott will,
      Halte still!


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