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Ich gab rasch den Apfel des Glückes zurück in die Hand des Professors, der ihn schnell, zärtlich und vorsichtig wieder in seine Hülle von Seidenpapier einwickelte und in der Brusttasche seines Frackes barg. Der würdige gelehrte Herr hatte uns seinen Vortrag gehalten, wußte ganz genau, was das Ding bedeute, und mochte also die Folgen seine Besitzes tragen.
»Sie haben die Hand in alledem! leugnen Sie es nicht!« flüsterte mir die schöne Hexe scharf zwischen den Zähnen durch ins Ohr, und ich hatte mich zu sammeln, ehe ich imstande war, es unter nachdrücklichstem Kopfschütteln in der Tat zu leugnen.
»Dann begreife ich nichts davon!« rief die Frau Christine, »Aber wenn ich nicht dieses dumme Volk, das ich mir jetzt zu meinem Verdruß auf den Hals geladen habe, anzulächeln und zu unterhalten hätte, so wüßte ich wohl, was ich tun würde.«
»Und was würden Sie tun, Gnädigste?«
»Ich würde einen Mondscheinspaziergang wie die alberne Dirne, das Trudchen, die Gertrud machen, und – Sie zur Begleitung mit mir nehmen.«
»Ach! würden Sie? . . . Ja, aber beste Frau, dann bitte ich doch meinerseits um Aufschluß über das Verschwinden unserer kleinen Freundin. Gnädigste, Sie wissen es, wohin das Kind gegangen ist, seinerseits meinen Freund, Ihren Mohren Ceretto als Begleiter mit sich führend.«
»Wohin Sie es doch geschickt haben!« zischelte die Hexe böse, wendete sich, trat zum Professor und bat lieblichst lächelnd:
»Teurer Freund, was habe ich versäumen müssen? Ist es gar nicht möglich, daß ich es noch nachhole? O bitte, bitte, jetzt lassen Sie mich doch auch betrachten, was Sie vorhin den Herrschaften zeigten. Wahrhaftig, Doktorchen, ein Kreis, der Sie nicht in sich schließt, entbehrt seiner besten Zierde, wie ein Kranz, in dem die Rose fehlt.«
Es war ein Glück, daß »unsere gute Charlotte«, durch ihre große Wäsche im Hause festgehalten, das wonnige Lächeln nicht sah, mit welchem der Gelehrte sich vor seiner schönen Wirtin neigte, das selige Behagen, mit welchem er seinen hieratischen Glücksapfel von neuem aus der Fracktasche und dem Seidenpapier hervorholte. Ich aber verlor mich aus dem zierlichen Getümmel, nachdem ich mich möglichst in demselbigen verloren hatte. Ich machte den Mondscheingang, den die wundervolle Hexe leider oder auch vielleicht glücklicherweise anzutreten nicht imstande war – weil – sie ihre Gäste anzulächeln hatte. –
Er war den Gaskronen und den aus Glaslilienkelchen leuchtenden Flammen zum Trotz aufgegangen, der Mond, der deutsche Mond, und schien voll und rund auf die Dächer und in die Gassen der alten Stadt, sowie auf ihre neuen, modernen Teile. Daß das Haus der Hexe in der allermodernsten Vorstadt lag, verstand sich von selber, und jetzo lag es auch hell im hellsten Mondenschein, oder wenn man will, romantisierten Sonnenschein: es mußte ein ausgezeichnet verständiger, klarer Tag auf dem Monde herrschen und das Wetter dort himmlisch vernünftig sein. Die andere Seite der »Promenadenstraße« lag natürlich tief im Schatten, und ich trat schnell in diesen Schatten hinein, sah auf die roten Fenstervorhänge in der Höhe, schüttelte den Kopf und seufzte:
»Und es ist doch eines der herrlichsten Weiber, welches je einen Ballsaal verzaubert, einen alten Ehemann begraben und einen vernünftigen Menschen in den besten Jahren gründlich um seine Kaltblütigkeit und alle ruhige Überlegung gebracht hat!« Ich hätte beinahe hinzugesetzt »unglücklich gemacht hat«, erfaßte jedoch glücklicherweise im letzten Augenblick noch einen Binsenhalm und versank wenigstens nicht in diesen Abgrund der Lächerlichkeit, entfernte mich jedoch mit den weitesten Schritten eilig von seinem Rande.
Ich lief durch das Gebüsch und um die Blumenbeete der städtischen Anlagen bis dahin, wo sich die begleitenden Häuserreihen dem Bahnhofe zu erstrecken.
Es war noch ein später Zug angelangt. Gasthofswagen und Droschken rollten an mir vorbei; Reisende in Gruppen oder einzeln wanderten mit ihrem Gepäck, ohne solches, oder in Begleitung von Packträgern in die Stadt hinein. Die Nacht schien von Minute zu Minute lieblicher werden zu wollen, und um das letzte Rasenrund und Blumenbeet am Eingange der eigentlichen Straßen biegend, traf ich auf den letzten Reisenden, der in der soeben geschilderten Weise mit der Eisenbahn gekommen war und dem Weichbilde zuwanderte, nämlich auf den Meister Autor Kunemund.
Er sah mich natürlich nicht. Er wollte hastig an mir vorüber. Er schien es jetzt sehr eilig zu haben, er, der uns so lange auf eine Antwort hatte warten lassen, und selbstverständlich packte ich ihn sofort fest am Oberarm und hielt ihn auf.
»Alle Hagel! was soll – was ist – ja, Herr, sind Sie denn das?« rief er anfangs erschreckt und zornig und dann um so freudiger. »Sind Sie es wirklich? O, ich kann Ihnen gar nicht ausdrücken, was für ein Segen das für mich ist, daß ich Ihnen hier so gleich zum Anfang in die Arme renne. Das nenne ich wahrhaftig eine Schickung.«
Vor allen Dingen hatte er hastig meine Hände gefaßt und schüttelte sie kräftig.
»Wer schickt Sie denn, Meister? Meiner Meinung nach haben wir Sie doch kläglich genug gerufen! Kommen Sie nicht auf den Hülfeschrei in meinem Briefe?«
»Ein Brief? Von Ihnen? Einen Brief von Ihnen habe ich nicht gekriegt – wenn Sie mir wirklich geschrieben haben, wird er wohl noch beim Vorsteher liegen – das macht sich öfters so bei uns. Ich bin erst heute mittag mit der Alten zu Hause angekommen! Herr, ich habe die Alte mir holen müssen, und das ist wieder eine Geschichte für sich! Sie sollen sie beiläufig auch ins einzelne hören – ich sage Ihnen, ich habe Tage erlebt und Komödien an meinem eigenen Leibe durchgemacht, wie das in keinem Buche steht. Sie saß richtig schon vor dem Dorfe auf dem Anger, ihr Gerümpel um sie her; und eine Woche von meinem Dasein hat's mich gekostet, um ihr zu ihren Rechten und aber auch von drei Dutzend Injurienprozessen zu helfen. Jetzt habe ich sie denn endlich glücklich bei mir unter Dach, und wenn Sie mir wieder einmal die Ehre schenken wollen, mich zu besuchen, so – doch, Herr, von alledem später, mir wirrt der Kopf und gellen die Ohren, daß es gar nicht zu sagen ist. – Was passiert hier? was ist es, das mich hierher gerufen hat, daß ich hätte kommen müssen, und wenn ich der alte Fritz an der Spitze seiner ganzen Armee gewesen wäre und nicht gewollt hätte?! Herr, wer rief hier um Hülfe? wer ist tot, oder wer will sterben?«
Mich überlief es weder heiß noch kalt, doch ich sah in dem bleichen Lichte über die Schulter und dann empor und fühlte den leisen, schönen Nachtwind mehr auf der Stirn und im Haar.
»Sind die geheimnisvollen Hände immer noch an ihrem Werke? Nun, dann mögen wir guten Leute mit unserm Erdentage anfangen was wir wollen: es bleibt doch beim alten und die Welt ein großes Wunder! . . . Mein alter, teurer Freund, seit jenem Tage, an welchem wir vor Ihrem Dorfe am Hohlwege zusammentrafen, kämpft jemand, von dem wir damals auch sprachen, einen schweren Kampf, und es geht ihm sehr – sehr schlecht.«
»Wer? wer?«
»Der gute Steuermann Karl, dem alle blinden Klippen und wilden Stürme nichts anzuhaben vermochten. Bei jenem Eisenbahnunglück sind ihm die Füße zerschmettert worden, und er liegt hier in der Stadt bei der Base Schaake, und um seinetwillen habe ich Ihnen geschrieben.«
»Also das war es!« sagte der Meister Autor leise. »Ihren Brief habe ich, wie gesagt, nicht erhalten, aber man hat mich heute nach dem Mittagsessen gerufen. Ja, dann ist's der Karl, der stirbt und der rief; – o ich habe eine unbeschreibliche Angst gehabt, daß unserm Trudchen etwas Schlimmes passiert sei.«
Wir gingen jetzt rasch vorwärts durch die Straßen der Stadt.
»Wer – was hat Sie nach dem Essen gerufen?« fragte ich, den Alten im Gehen stützend.
»Sie werden ja wohl nicht lachen, aber auch das würde mich nicht verhindern, Ihnen das Ding zu erzählen,« sagte Herr Kunemund. »Lächerlich genug ist's auch im Grunde, wenn sich gleich der Ernst schlimm genug dran hängt! Sehen Sie, die Alte spielte natürlich ihre Rolle dabei; denn die werde ich jetzt mal wieder aus nichts mehr los. Wir waren eingerückt, und sie hatte Besitz von meinem Topfe und meiner Pfanne genommen, und ich merkte gleich, daß nun wieder alles beim alten sein werde; denn da schon ging es an, und nichts war ihr recht, und so brachte sie denn ihre erste Suppe wieder auf den Tisch, und da sie zum ersten Anfang ihre Sache recht gut hatte machen wollen, so war die Geschichte nicht allein versalzen, sondern auch recht sehr angebrannt, und ich gestattete mir die erste Bemerkung wieder darüber. Da ging die Unruhe an!«
»Aber das trieb Sie doch nicht dreiviertel Stunden Weges über das Feld zur Eisenbahnstation und mit dem Nachtzuge hierher?«
»Nein; aber im Anfang schob ich es doch darauf; denn, Herr, ich war in großen Sorgen, und mein Leben kam mir wieder einmal recht verdreht vor. In der Stube hielt ich es nicht aus, – suchte also meinen Mittagsschlaf im Grasgarten unterm Baum abzutun; aber da wurde es nur schlimmer als arg. Ich war grimmig über mich, über die Alte, über meine Bauern in meinem Dorfe und über ihre in ihrem; ich hielt es nämlich zuerst für Ingrimm, bis ich herauskriegte, daß es Angst war – ich sage Ihnen – Angst, Herr Bergschreiber! Ja was denn? fragte ich mich. Ein Gewitter steckt nicht in der Luft, das Unwetter, was du jetzo wieder im Hause hast, hast du doch länger als zwanzig Jahre mit deinem Tofote ohne Schaden an Leib und Seele ertragen! Sehen Sie da – da – da war es, am hellen Tage, in der hellen Sonne, daß ich gerufen wurde! von hier gerufen wurde – und natürlich sagte ich mir mit dem kalten Schweiß auf der Stirn: Es ist das Kind, es ist unser Trudchen! auf das Kind ist ein Unglück gefallen. Herr, lieber Herr, und einen Gang wie meinen heutigen nach der Station, ein Warten wie das stundenlange Warten da und eine Fahrt wie meine jetzige, die hoffe ich nicht wieder durchmachen zu müssen.«
»Fassen Sie Mut, Meister. Wer weiß, was Ihr Kommen wenden soll? Wer weiß, wozu Sie – gerufen wurden? Nicht jedermann bekommt einen solchen Ruf, das schon allein kann Ihnen eine Bürgschaft sein, daß alles im richtigen Geleise sich befindet.«
»Da haben Sie vielleicht recht,« sagte der Meister Autor. »Seit ich den Fuß aus dem Wagen gesetzt habe, ist es mir auch wirklich besser und ganz wie gewöhnlich geworden. Seitdem die Alte über meinen ganz unschuldigen Spaß sofort wieder die Schürze an die Augen brachte und losheulte, als ob der Bock sie gestoßen habe, ist es mir durch den vollen Tag gewesen, als halte mich eine Hand hinten am Rockkragen gepackt, dränge mich gegen die Wand und wolle mich mit dem Kopfe zuerst durchstoßen. Dieser Karl, der arme gute Junge tut mir mit seinen blutigen Füßen, weiß es Gott, herzinnig leid, aber die Hand spüre ich nicht mehr im Genick; – wissen Sie, mit der See und dem Erdumfahren wird's aus und zu Ende sein; aber, was meinen Sie, er zieht zu mir – wir passen zueinander – haben aneinander einen Trost und eine Stütze gegen die Alte, und führen doch noch ein Leben, das sich tragen läßt!«
»Möge es so sein,« sprach ich in der Seele, doch nicht laut. Wir hatten jetzt die Altstadt wiederum erreicht und suchten unsern Weg durch die dunkelsten Gassen derselben, über ein Pflaster, welches noch nie der Mond mit seinen Strahlen hatte beleuchten können. Beizu erzählte ich dem Meister, daß ich mit seinem Kinde, der Gertrud Tofote am heutigen Abend auch bereits zusammengetroffen sei, und er erkundigte sich dringend und hastig nach dem Wie, Wo und unter welchen Umständen. Ich gab ihm alle nur mögliche und rätliche Auskunft, und dann rief er:
»Sie werden es unter den jetzigen traurigen Umständen für ein Unrecht halten, daß mir immer stiller zumute wird, lieber Herr; aber ich kann wahrhaftig nichts dafür. Zuletzt ist es doch immer nur einzig und allein das Kind, welches mir im Sinne liegt. Wenn ich das Kind in Sicherheit und Behaglichkeit weiß, ist mir alles übrige nur wie ein Unwetter, das man unter einem Busch am Wege abwartet.«
Nun hätte ich dem alten Herrn um keinen Preis jetzt andeuten mögen, daß das »Kind« sich recht unbehaglich gefühlt habe, als ich vor einigen Stunden mit ihm zusammengekommen war. Ich sagte ihm auch nicht, wie man dann nach ihr gesucht habe: vielleicht hatte er selber noch in dieser Nacht Gelegenheit, sie zu sehen, und mußte sie selber ihm mitteilen, wie es ihr ums Herz war. Hier war wahrlich Magie! ich sah das Erdenleben, wie ein Taucher das Sonnenlicht in der Tiefe des Meeres schwebend sieht, und wie paßte der greise Zaubermeister aus dem Elmwalde in die Beleuchtung und in die sonderbare Nacht überhaupt! Nachdem er seine innerste Herzensmeinung kundgemacht hatte, hatte er auch für den kranken Steuermann das höchste Interesse übrig; – er jammerte heftig um ihn und fragte bis auf die kleinsten Einzelheiten nach allen ihn betreffenden Vorgängen der letzten Tage. Auch die Base erhielt ihr Teil Teilnahme aus seinem guten Gemüte:
»Hätt' ich ihr das dadurch ersparen können, daß ich's auf mich genommen hätte, so würde ich mich nicht besonnen haben. Aber so ist es, sie wird expreß dazu hingesetzt sein, um dies Elend abzuwarten und den Jungen auf ihrem Bette zu pflegen. Unsereiner meint immer, daß er um seinetwillen da sei, doch das ist nicht so – es ist wahrhaftig nicht an dem, man muß aber alt werden, um es auszukundschaften. Zum Exempel, was sollte jetzt aus der Alten (und da meine ich natürlich nicht den Hafenmeister) werden, wenn ich nicht länger als siebenzig Jahre meinen Charakter darauf hingezogen hätte, mir die Suppe versalzen und die gute Laune – nicht verderben zu lassen?«
Da ich auf diesen Humor augenblicklich doch nicht recht eingehen konnte und nur durch ein etwas dämpfig-trübsinniges: Ja, ja! darauf zustimmte, meinte er kläglich:
»Der Arend hat das auch immer gesagt.«
»Was denn, Meister?«
»Sehen Sie, daß ich mich überall, wie man das nennt, unmöglich mache. – ›Herrgott, ich sage ja nie etwas!‹ antworte ich dem Arend, aber er weiß mir Bescheid zu geben und sagt: Aber du lachst und grinsest und zwar niemals an der richtigen Stelle, und das sollen dann die Leute nicht verquer aufnehmen! – Und wenn der Tofote das von sich gegeben hatte, ging er jedesmal hinter die Stalltür oder die nächsten Bäume, zog den Kopf zwischen die Schultern und grinste toller als ich. Ja, es war ein gutes Leben mit ihm und unserm Trudchen; selbst die Alte gehörte dazu.«
Er hatte keine Ahnung davon, wie tief ich in diesem Augenblicke in dieses »gute Leben« hineinsah. In der Welt, in der ich hausete, pflegte der gute beratende Freund nach erteiltem Rate zwar die Achseln auch zu zucken und sich hinter den Busch zu schlagen; aber er tat's gewöhnlich wie jemand, der seines eigenen Besten wegen seinen besten Freund aufgeben muß – aufgeben will – aufgibt, und zwar auf der Stelle. Von dem, was vor langen, langen Jahren, so ungefähr in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts Eugenius zu Norick sagte, wußte der Meister Autor Kunemund nichts. Er erfuhr in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nur an seinem eigenen Leibe wieder, was damals einige Leute auch schon an sich in Erfahrung gebracht hatten. –
»Daß Sie, lieber Herr, sich hier am Orte so ohne weiteres und noch dazu in der Mitte der Nacht, wenn auch bei Mondschein zurechtzufinden wissen, ist mir auch eine Merkwürdigkeit. So oft ich auch am hellen lichten Tage hierher kam, alle zehn Schritte lang hab' ich vor einer Mauer gestanden und mich zurecht- und meistens auch zurückfragen müssen; aber hier – hier sind wir ja wohl? Herr, Herr, jetzt geht es mir erst recht auf, wie über alles wunderlich es ist, daß ich wieder einmal hier bin und mit Ihnen und in dieser Stunde!«
Wir waren beide mit gesenkten Köpfen gegangen, und jetzt erhoben wir dieselben zu gleicher Zeit vor dem schon einmal beschriebenen Torbogen, der in den Cyriacushof führte; und ein dritter, der mit untergeschlagenen Armen dort lehnte und den Rauch einer Zigarre in das blaue Mondlicht hineinblies, erhob ebenfalls das Gesicht.
»Ich wußte es ziemlich sicher, daß ich Euch hier treffen würde, Ceretto,« sagte ich. »Ihr habt das Fräulein hierher begleitet; und seht – der Herr Autor ist ganz von selber gekommen, ich bin nur durch einen Zufall unterwegs mit ihm zusammengetroffen. Wißt Ihr, wie es da oben geht?«
Der Mohr aus dem Schüsselkorbe beantwortete vorerst diese Frage nicht. Er hatte vor dem Meister Kunemund den Hut gezogen, und nun warf er auch die Zigarre fort und rief:
»So gerät man auseinander und wieder aneinander und zueinander; aber solange ich denken kann, soll es stets der Zufall sein, der's zuwege bringt; und wenn wir mit den Nasen zusammenrennen, geschieht's natürlich ganz von selber. Wenn ich die Weisheit in Spiritus, für jede Abart ein besonderes Glas, der Menschheit in einer Bude zeigen könnte, so hinge ich in dieser Nacht noch die gnädige Frau hinter die Tür und ginge wieder einmal ohne Abschied durch.«
»Schwatze Er keinen Unsinn, Wichselmeyer,« sprach der Meister Autor, dem Schwarzen die Hand reichend. »Und wenn Er sich wirklich bei Seinem Senf etwas denkt, so gebe Er uns auch das Fleisch dazu oder behalte ihn nur ruhig bei sich; – was mein Junge macht, will ich jetzt wissen, und weiter nichts!«
»Mir gefiel es eben nicht da in der Stube,« sagte der Mohr mürrisch. »Das gnädige Fräulein winselt, die Alte sagt gar nichts; ich hab' mich leise wieder heraus gemacht; denn da wir doch alle einmal dran müssen, so muß es wenigstens von Zeit zu Zeit einen vernünftigen Kerl geben, der es sich bei solcher Vorstellung lieber draußen in der frischen Luft und bei einer Zigarre überlegt, wie er sich auf dem Seil ausnehmen wird, wann die Reihe an ihn kommt. O meine Herren, dieser Herr Wichselmeyer hier ist klug und alt genug geworden, um zu wissen, was das Beste für den Menschen ist.«
»Der Teufel soll dich braten, wie er dich schwarz geräuchert hat, du Kaffer, du Hottentott, du hinterafrikanischer deutschgekochter Jahrmarktslump!« schrie der Meister Autor wütend. »Was geht es hier mich an, was für den Menschen das Beste ist? Ich bin doch auch ein alter Kerl geworden und habe das Meinige in der Welt gesehen; aber solch ein sackermentsches, in jeder Brühe umgewendetes Stück Vieh, wie dich, noch nicht! Das Kind sitzt da oben in Tränen bei meinem armen Jungen, und dieser Flegel stellt mir hier mit seiner Jahrmarktsweisheit ein Bein! Aus dem Wege, sage ich!«
Der Meister stürzte in das Tor, ich wollte ihm rasch folgen; als Signor Ceretto mir über die Schulter hastig zuflüsterte:
»Halten Sie ihn doch auf! Der Herr Steuermann befanden sich vor zehn Minuten eben im Sterben. Lassen Sie den Alten doch nicht grade in den letzten Jammer hineinbrechen. Zum Trost für die Damen kommt er am richtigsten, wenn der junge Herr Abschied genommen hat.«
Das mochte wohlgemeint sein, und wurde jedenfalls gesagt, wie es gedacht wurde, aber ich machte dessenungeachtet meinen Arm ziemlich grimmig von dem Griff des dunkelfarbigen Weltweisen frei und hätte beinahe etwas sehr laut gerufen, was ich keineswegs hier niederzuschreiben gewagt haben würde. Ich eilte dem Meister Autor nach und irrte mich wahrscheinlich nicht, wenn ich später beim Wiederüberdenken dieser Erlebnisse für gewiß angenommen hatte, daß der schwarze Philosoph vor allen Dingen die bei unserer Annäherung weggeworfene Zigarre vom Boden aufgelesen und von neuem in Brand gesetzt habe.