Wilhelm Raabe
Meister Autor oder Die Geschichten vom versunkenen Garten
Wilhelm Raabe

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Drittes Kapitel.

Am Spätnachmittag zogen wir wieder ab, wie wir gekommen waren. Daß ein jeder Teilnehmer an der fröhlichen Fahrt ins Grüne ihrer mit Vergnügen gedachte, steht zu hoffen; was mich persönlich anbetrifft, so war ich am Spätabend herzlich froh, alles vollendet zu haben und wieder zu Hause zu sein. Die Lust des Tages war mir doch ein wenig auf die Nerven gefallen, und es bedurfte längerer Zeit, ehe ich mich so weit erholt hatte, um an den Meister Kunemund, den Förster Arend Tofote, sein Försterhaus und sein Töchterlein ohne Widerwillen denken zu können. –

Wie gesagt, ich heiße von Schmidt, habe außerdem den Bergbau studiert, wurde für längere Jugendjahre durch ein schlagendes Wetter an meiner Gesundheit geschädigt, erholte mich, verließ den Staatsdienst und bin jetzt meines Zeichens ein beschäftigungsloser Liebhaber wohlfeiler ästhetischer Genüsse. Recht niedliche Novellen aus meiner Feder sind in verschiedenen Blättern abgedruckt worden. Einige wurden mir auch als unbrauchbar zurückgesendet; ich halte dieselben für die bessern Erzeugnisse meines Geistes und benutze diese Gelegenheit, um sie den verehrlichen Redaktionen nochmals zur Verfügung zu stellen. Mein Vater war ein wohlhabender Domänenpächter, der das Glück hatte, fast ein Menschenalter hindurch lauter »gute Jahre« zu haben. Er starb als ein, nach deutschen Verhältnissen, wohlhabender Mann, und ich bin sein einziger Erbe, und er starb früh genug, um mir auf meinem Lebensgange und bei meinen Liebhabereien nicht hindernd in den Weg treten zu können. Natürlich verwendete ich auch das Försterhaus in Elm novellistisch; jedoch ohne viel Freude an der Leistung zu erleben. Sie schien sich auf keine Weise von meinem Schreibepult trennen zu können; mit überraschender Schnelligkeit langte sie von jedem Ausflug in die Welt wieder zu Hause an. Kaum daß ich sie glücklich wie aus der Seele so vom Halse losgeworden zu sein glaubte, war sie in ihrer ganzen tauigen, waldduftigen Frische wieder da. Ja, die waldfrischesten, tauduftigsten Redaktoren und Redaktionen schickten sie mir umgehend wieder zu. Eine ganze Literatur von Begleitschreiben sammelte sich um das unglückselige Kunstwerk an, bis ich zuletzt wütend den Deckel des Pultes über ihm zuschlug, den Kasten verschloß und den Schlüssel verlor. Nachher hatte ich Ruhe. –

Ich hatte Ruhe durch den Winter, und im nächsten Frühjahre stattete ich dem Förster Tofote, dem Herrn Kunemund und der Gertrud einen zweiten Besuch ab; jedoch diesmal allein. Das war an einem zweiundzwanzigsten Mai, und seit diesem Tage verging selten ein Jahr, in welchem ich nicht mehreremale den Besuch wiederholte. Was aber diese vorliegende Schrift anbetrifft, so wurde dieselbe wenigstens im Anfange einzig und allein nur deshalb unternommen und abgefaßt, um von dem Besuche zu handeln, den mir der Meister Kunemund abstattete. Daß ich aber am Schlusse heirate, beweist wieder einmal, daß man niemals weiß, wie's endet, wenn man in irgendeiner Weise anfing. –

Ich saß, beide Ellenbogen auf die solide aus Eichenholz herausgearbeitete Klappe gestützt, unter welcher ich alle meine besten lyrischen, epischen und dramatischen Gefühle und Empfindungen unter Schloß und Riegel zu halten pflege. Gähnend, aller Langweiligkeit des Daseins voll, saß ich, als es an meiner Tür pochte und blöde sich hereinschob ins Zimmer, nachdem ich mürrisch, ohne mich umzuwenden, die Störung aufgefordert hatte, heranzukommen. Offen gestanden traute ich meinen Augen dann gar nicht, und rückte den Stuhl mit solchem Nachdruck herum und dem Besucher entgegen, daß das Möbel darüber durchaus aus dem Leime ging.

»Ja, ich bin es; nehmen Sie es nur nicht zu sehr übel!« sagte der Meister Autor, als ich ihn an beiden Seiten gepackt hielt und die Trümmer des Sitzgerätes mit einem Fußtritt hinterwärts aus dem Wege stieß.

»Das war es, was anklopfte? . . . Gütiger Himmel, willkommen, Herr Kunemund! O Meister, Meister, welches Vergnügen! . . . Gottlob, daß Sie selber keine Ahnung davon haben, welches Behagen Sie unsereinem geben und welche Ehre Sie uns durch einen solchen Besuch antun!«

»Lieber Herr –«

»Liebster, bester Freund, seien Sie herzlichst gegrüßt! Was Sie auch herführen mag, mir bringen Sie alles mit, was ich eben ganz notwendig brauchte.«

»Lieber Herr –«

»Was macht der Alte? was macht die Alte? was treibt das Kind – das Fräulein, das Waldfräulein? Wahrhaftig, ich könnte noch nach hundert guten Bekannten fragen und fragte den Kreis nimmer aus. Bis auf die Fliegen an der Wand ist mir das Haus im Elm ins Herz gewachsen.«

Wie das fromme Kind aus Kneitlingen in seinen fröhlichsten Momenten, tanzte ich um den alten Mann herum und merkte erst lange nachdem ich ihn durch den überwältigenden Wortschwall und Ausbruch meiner Gefühle betäubt hatte, daß ich ihn betäubt habe. Da mäßigte ich mich denn, nahm ihm den Hut aus den Händen, drückte ihn auf den bequemsten Stuhl nieder, strich sämtliche Papiere vom Tische vor ihm und riß den Klingelzug ab, im hellen Eifer, ihm ein Frühstück zu schaffen. Er aber lächelte verlegen ob all der Aufregung und all des Umstandes – er verlegen! . . . er, der Meister Autor Kunemund!

Ach, er hatte keine Ahnung davon, wie sehr ich mich schämte, ihn in Verlegenheit setzen zu können, und wie ich grade deshalb in fieberhafter Hast mich bestrebte, ihn auf den richtigen Fuß und Schick zu bringen. Aber ich sollte sogleich noch mehr Grund finden, mich in meinem Sein und Für-mich-sein beunruhigt und ungemütlich zu finden – kurz mich zu schämen; denn es stellte sich bald heraus, daß der Herr Autor Kunemund mir trotz der jetzt ziemlich langen Bekanntschaft noch lange nicht recht trauete. Er brachte mir nämlich einen Brief mit, und zwar einen Empfehlungsbrief vom Pastor zu Ampleben (Amt Lehen sagt das Volksbuch), dessen geistlicher und leiblicher Vorfahr vor mehr als fünfhundertneunzig Jahren die welthistorische Ehre gehabt hatte, oben beregtes frommes Kind Till Eulenspiegel, Sohn von Klaus desselbigen Namens und dessen ehelich getrauetem Weibe Anna, geborener Weibikin mit dem Sakrament der heiligen Taufe zu versehen. Da kam es heraus, daß der Meister Kunemund, trotzdem daß er um Rat zu mir kam, nicht das geringste Vertrauen zu mir hatte; sondern daß er mich leider ganz ruhig für einen Menschen hielt, wie ein Stück von den vielen Dutzenden, deren Bekanntschaft er in seinem Leben gemacht hatte.

Ich nahm den Brief des Pastors, wie er mir gegeben wurde, und ich las ihn auch. Ich las ihn, doch ich behielt während des Lesens meinen Besucher im Auge; ich sah verstohlen über den Rand des Schreibens nach ihm hinüber. Der Pastor wußte im Grunde nichts Übles und Nachteiliges über den Herrn Kunemund mitzuteilen, und so frühstückten wir denn vor allen Dingen wirklich miteinander, und während des Frühstücks suchte ich ihn auszuholen, und unterließ und vollführte in Wort und Tat nichts, was mir meinerseits ihm gegenüber zur Empfehlung dienlich sein konnte.

Ich hatte hart zu kämpfen. Wie alle seinesgleichen wurde er durch eine für den die Welt bedeutenden Teil der Menschheit sehr lächerliche Schämigkeit behindert, sein Inneres einem doch verhältnismäßig fremden Menschen aufzuschließen und sich in seinen Gedanken, Überlegungen, Wünschen und Hoffnungen so nackt und bloß hinzulegen. Er hatte noch nie etwas drucken lassen; er war sehr blöde und die beste Beute für jeden, der in dem gewöhnlichen Sinne ein Interesse an ihm nahm und ihn gebrauchen konnte. Als ich endlich heraus hatte, was ihn in die Stadt führte, und was er überhaupt bei mir wollte, und wie er das, was er wünschte und zu tun hatte, ansah, und zwar von den verschiedensten Seiten, und wie seine Hausgenossen das Ding betrachteten, und zwar ebenfalls von mehreren Seiten: da hatte ich eine Schwergeburtshülfe an ihm vollendet, deren ich mich wohl rühmen durfte.

 


 


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