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Daß im Jahre nach Christi Geburt Achthundertsiebenzig Kloster Lugau ohne seinen Gründer nicht möglich war, ist selbstverständlich; undenkbar aber war Lugau im Jahre Achtzehnhundertsiebzig ohne Fräulein Augustine Kleynkauer, der frommen Stiftung Erzkuchelbäckerin, in »Wittenberg«, um sie von der Tante Euphrosyne in der Familie Kleynkauer und deren Verwandtschaft und Bekanntschaft zu unterscheiden, die »Klostertante« genannt. Ja, was den Kuchen- und Küchengeruch anbetraf, so wußten die frommen Büßerinnen von Lugau, was sie an der Schwester Augustine hatten! Ein hohes kirchliches Fest, ganz abgesehen von den »privaten Festivitäten«, Geburtstagen und dergleichen, ohne die Schwester Augustine war rein undenkbar. Wie sehr sie auch im lutherischen Lugau sich durch stilles Gebet, durch, natürlich den verschiedensten Charakteren angemessenes, Insichgehen auf Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt und Weihnachten vorbereiten mochten, die Kleynkauer mit ihrem wunderbaren Gefühl für so was und mit ihrem Rezeptbuch schlossen sie immer darin ein, sowohl in das stille Gebet wie in die lauten übrigen Vorbereitungen.
Wer hatte für die neun gesunden Kräuter zum Gründonnerstag zu sorgen?
Die Schwester Kleynkauer.
Wer für die bunten Eier zum ersten Ostertag, und zwar nicht bloß für die Kinder des Dorfes Lugau?
Fräulein Augustine.
Auf wen verließen sich gegen den Tag des heiligen Ritters Martinus heran die Nonnen von Lugau den Gänsen von Lugau gegenüber, und wem sahen die letzteren um diese Zeit des Kirchenjahrs mit dem bittersten Mißtrauen in die guten, aber verständnisvollen Augen?
Fräulein Augustine Kleynkauer war's.
Beim Pfingstfest sind wir: wenn wir jetzt noch von den Weihnachten anfangen wollten, wo würden wir da ein Ende finden, wenn sich das Reden anfängt um Fräulein Augustinens Verdienste und Unentbehrlichkeit um und im Kloster Lugau?
Bleiben wir bei den Maienbäumen! Sie hatten auch unangenehme Charaktere im Kloster, sogar gräßliche (»das erspart der Herrgott keiner Menschengemeinschaft,« sagt die Tante Kennsiealle); aber selbst die scheußlichsten gingen wenigstens an den hohen Festtagen in sich und im Backhause und in der Küche der guten Kleynkauer um den Bart. Sie kochte und buk gar zu gut; und ihre Rezepte gingen weit über Kloster Lugau hinaus, wurden an verschiedenen kleineren Höfen hochgehalten und erst neulich auch an einem größern durch Ophelias Vermittelung der regierenden Herrin in Abschrift mitgeteilt. Wenn der Luisen- oder Schwanenorden für dergleichen weibliches Verdienst verteilt würde, hätte ihn die Tante Augustine Kleynkauer längst, wäre Großkreuz oder besser Grand Cordon, denn von ihrem Herde aus hatte sie alle, die sie hier kennen lernten, am Bande.
Maienbirken nicht bloß am Tor, sondern auch an allen Zellentüren, die sich auf den langen Gang öffneten, durch den Fräulein Augustine jetzt ihre Wittenberger Gäste zu ihrem Privatreich in dem gottgesegneten frommen Immenkorbe führte!
»Auch dafür habe natürlich ich sorgen müssen. In den Büchern und Gedichten wissen sie alle damit Bescheid und vor Gefühlen und Rührung nicht aus und ein; aber in der Wirklichkeit sind die Gefühlvollsten sogar die Faulsten und lassen sich am liebsten von andern aufwarten. Und nun, Kinder, da seid ihr gottlob mal wieder bei mir, und nun macht's euch bequem. Hört ihr, da läuten auch gerade die Pfingstglocken vom Kloster Lugau das Fest ein:
Wenn die großen Glocken gehn,
Muß der Kuchen auf dem Tische stehn,
und seht ihr, da steht er, und nun laß dich noch einmal genauer besehen, Kleine! Vor allen Dingen müssen wir dich erst wieder ein wenig herausfüttern; und jetzt bist du in der Beziehung in meiner Kur und Behandlung. Ich denke, es wird sich schon machen – nun aber entschuldigt mich für einen Augenblick, was zetert denn die alte Katze, die Kattelen, da im Korridor in das liebe Glockengeläut hinein? Fräulein Kleynkauer wird gewünscht von der Frau Priorin? Ja, warte, hat sie sich selbstverständlich gerade diesen Augenblick ausgewählt und aufgespart, um mir mit einer ihrer Dummheiten zu kommen! Also einen Augenblick – Bescheid wißt ihr, legt ab, macht es euch bequem. Beim Kofferauspacken helfe ich natürlich.«
Nun war es eine bekannte Sache in Lugau, daß, wenn Fräulein von Kattelen und Fräulein Kleynkauer, sei es in geistlichen, sei es in weltlichen Angelegenheiten, etwas untereinander auszumachen hatten, das Ding nie kurz übers Knie abgebrochen wurde.
Die schönen alten Klosterglocken von Lugau läuteten wohl eine gute Viertelstunde in die Verhandlung bei der Frau Priorin hinein. Der Wittenberger Logierbesuch hatte völlig Zeit, es sich bei der Schwester Augustine bequem zu machen, sowie sich auch von neuem in der Klausur derselben umzuschauen.
Gottlob, hier in der frommen Einsamkeit noch alles so wie sonst, alles so wie immer! Für große Veränderungen und Fortschreiten mit der Mode, für Stilgerechtigkeit und dergleichen war die Klostertante nicht. Alles noch an seiner Stelle in altjungferlicher Reinlichkeit und Behaglichkeit: dem Behagen alle Raumverhältnisse angemessen! Geräte, Bilder und Tapeten, daß die Frau Doktorin Luther ihre wahre Freude daran hätte haben und sagen dürfen: »Sieh mal, Martin, hätten wir das im Kloster Nimptschen so haben können, wer weiß, ob ich mir von Freund Koppe dort so bald über die Gartenmauer und nach Torgau hätte helfen lassen. Mann, und der Blick hier aus dem Fenster ist doch auch ganz was anderes als der bei uns in unserm multrigen Wittenberg! Und sieh mal, was für hübsche Gardinen!« . . .
Jawohl, der Blick aus allen Fenstern vom Kloster Lugau! Über die blühenden Gärten der Stiftung, die Teiche, die Wiesen und Felder, über Dorf Lugau und vor allem auf das nahe Gebirge! Das war freilich etwas anderes als Wittenberg – selbst von Kepplershöhe aus gesehen!
»Setze dich da in der guten Seele Stuhl, guck in die schöne Welt und kümmere dich um nichts; hier sind wir Herren,« sagte die Tante Euphrosyne mit der Kaffeetasse in der Hand und dem zärtlichsten, besorgtesten Blick auf die junge Braut – des blonden Eckberts Braut. »Und ihren Festkuchen soll sie uns auch nicht umsonst gerühmt haben. Du mußt dich zwingen, Kindchen; denn das Herz willst du der Tante Augustine doch wohl nicht brechen wollen.«
Und Evchen Kleynkauer zwang sich, so gut es gehen wollte; aber in dem Fensterlehnstuhl der Klostertante saß sie gern nieder, mit dem Blick über das grüne Land und auf die blauen Berge; und obgleich sie die Aussicht schon gut kannte, sagte sie doch wieder:
»O, wie schön!«
Es war auch schön. Vorzüglich nachdem man so durch einen langen, heißen, staubigen Tag gefahren war und noch dazu aus Wittenberg kam und sich dort, wie sich Mama, das heißt die Frau Oberkonsistorialrätin Kleynkauer, ausdrückte, so schwer aus den Armen der Liebe losgemacht hatte.
»O, hier das Leben zuzubringen,« seufzte Eve Kleynkauer. »Wie schade, daß die Glocken aufgehört haben! Ach, und auch begraben zu werden auf dem lieben, alten Kirchhof bei den guten Schwestern seit tausend Jahren. Es ist ja so schlecht, so böse von mir, nicht mit allen Kräften mit für das Beste der Welt wirken zu können! Ich wollte es ja auch so gern; aber – o, hier, hier so in Sicherheit zu sein im Leben wie im Tode, hier in Lugau bei den guten – guten Tanten!« . . .
Die Kirchenglocken von Lugau schwiegen freilich jetzt, nachdem sie die Pfingsten eingeläutet hatten; aber wie als wenn sie das Wort an den Nächsten dazu abgegeben hätten, erklang es hinter der Klostermauer dem Dorf Lugau zu, nicht gerade harmonisch und melodisch, aber mit desto größerem Nachdruck und mit jugendkräftiger Stimme:
»Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.«
Die Tante Euphrosyne, vom Auspacken ihres Reisekoffers sich aufrichtend, horchte und fragte die in diesem Augenblick von ihrer Vorfestkatzbalgerei mit Fräulein von Kattelen, der Frau Priorin, hochroten Kopfes in die Zelle zurückkehrende Tante Augustine:
»Was ist denn das für ein neuer Singvogel im Kloster Lugau?«
»Die Person!« sagte die Tante Augustine zuerst über die Schulter rückwärts. »Zuviel Zucker verbraucht?!« . . . O könnte ich dir doch in den Teig kneten, was der Menschheit am dienlichsten ist. Da hast du wieder eine Probe von unserm hiesigen Klosterfrieden, Synchen! Soll man da nicht selber vor Gift vergehen, weil man der Menschheit hier einen wirklichen Dienst durch eine gute Dosis Rattengift wohl erweisen möchte, aber doch nicht darf? Und wieder gerade heute, vor den heiligen Pfingsten!« . . .
»Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.«
»Laß doch die alte Hexe, Stinchen! Wer der Sänger da hinter eurem Zaun ist, wollen wir wissen,« lächelte die Tante Euphrosyne, auch Kennsiealle in Wittenberg genannt.
Und das verkniffene Gesicht von Lugaus Erzkuchelbäckerin glättete sich wie der Ozean vor einem Faß voll Öl:
»Der Sänger? Na, wenn ihr das Gesang nennen wollt, meinetwegen! Ja, das ist freilich ein ganz frisch nach Kloster Lugau zugeflogener Singvogel. Das ist unser Schwab.«
»Euer Schwab?«
»Jawohl! Und daran knüpft sich freilich eine Geschichte – mehr als eine Geschichte – eine ganze Historiensammlung. Aber wenn ich davon anfange, höre ich sobald nicht wieder auf; also jetzt erst weiter in eurer Einrichtung. Kinder, werdet nur erst wieder warm im Kloster Lugau; auch wir können hier in unserer Abgeschiedenheit das Unsrige erleben. Für dich, Synchen, hab ich gerade hier noch eine ganz besondere Pfingstüberraschung.«