Wilhelm Raabe
Kloster Lugau
Wilhelm Raabe

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Neuntes Kapitel.

Wie interessant, praktisch und bequem es doch ist, einem in aller gebildeten Leute nächstem Gedächtnis vorhandenen Tages- und Zeitungs-Ereignis ein Mäntelchen aus der Mythologie, der Prähistorie oder auch der Poesie umzuwerfen – je leichter und je durchsichtiger, desto besser! Was kommt darauf an, wie die Vergleiche hinken? Das Publikum ist sofort klüger und unterrichteter als der phantasievollste Geschichts- und Geschichtenschreiber, wehrt schlaulächelnd, aber doch zustimmend ab: »Ja, fahren Sie nur fort, lieber Herr, wir wissen schon; – seien Sie nur so verschleiert-indiskret wie möglich, wir verstehen Sie vollkommen; Wittenberg ist auch für uns Wittenberg, Prinz Hamlet Hamlet, Ophelia Ophelia, und Horatio unser hochgeschätzter, lieber und verehrter, wenn auch etwas wunderlicher Herr und Gönner, der Doktor aller Weltweisheit, Hofrat Herberger. Wir sind vollständig auf dem laufenden in betreff dessen, was da neulich in Helsingör vorgefallen ist, noch dazu, da die Tragödie nun schon längst aus dem Reich der letzten Telegramme in die Weltgeschichte unterm Strich, da sie endlich, Gott sei Dank, in das viel amüsantere tägliche Feuilletonsbereich heruntergesunken ist. Berichten Sie ja so weiter! so hört man Sie wirklich mit Vergnügen!«

Also endlich einmal! Ja, wenn sich nur die Herrschaften nicht doch wieder einmal täuschen, das heißt, der Historiograph ihren aktuellen Unterhaltungsansprüchen wieder einmal ganz und gar nicht entspricht, und zwar gerade jetzt, gerade in dem Augenblicke, wo man die besten Hoffnungen in sein Verständnis für die intellektuellen Bedürfnisse seiner gebildeten Mitlebenden setzen durfte und wollte!

»Wirklich gar nichts mehr Neuestes, Nervenaufregendes, Nochnichtaufgeklärtes aus Dänemark – Kopenhagen – Helsingör?«

»Gar nichts!«

Franz Herberger hatte allen seiner Zeit an ihn gestellten Anforderungen in der wünschenswertesten Weise entsprochen, hatte seinen Empfehlungen bei Hofe alle Ehre gemacht und dem alten wirklichsten geheimen Rat in Berlin, der zuletzt für seine Verwendbarkeit in diesem Fache sich verbürgte, zu dem schmunzelnden Worte verholfen:

»Danken Sie mir nicht, lieber Freund. Ich habe wirklich auch ein wenig an das Wohl des Vaterlandes gedacht, als ich das Ihrige zu befördern suchte. Und nun seien Sie froh, daß Sie die Misere glücklich hinter sich haben und die fernere Entwicklung der Weltgeschichte in jenen Regionen ruhig ihren eigenen Weg suchen lassen können. Sollten Sie das sonderbare menschliche Bedürfnis à faire beau noch nicht ganz überwunden haben und es mit Ihrem Wundermädchen, der Komtesse Laura, nichts sein, nun, so sind Sie ja noch in den besten Jahren, und es gibt wirklich eine ganze Menge anderer hübscher und liebenswürdiger junger Damen in der Welt. Da warten Sie denn nach Belieben und wohlüberlegter Liebhaberei des weiteren auf – ein guter gesellschaftsfähiger Titel und angenehme Pensionsverhältnisse tun auch da manches zur Sache. Meinen Segen haben Sie auch hierbei, und wenn ich Ihnen sonst noch irgendwo und irgendwie gefällig sein kann, wird es gern geschehen. Es freut mich wirklich, lieber Franz, bei Ihnen mal mit meiner Gönnerschaft nicht an den Unrechten gekommen zu sein! Mögen Sie als Patron im Leben sich nicht so häufig in den Menschen irren, wie es bei mir der Fall gewesen ist.«

»Exzellenz konnten sich auch mit dem Pour le mérite in der Schublade nicht dem allgemeinen Menschenlose entziehen.«

»So ist es,« seufzte der würdige alte Herr und nahm, ohne es zu wissen, wieder einmal die Statuettenattitüde an, in welcher er auf eine ferne Nachwelt kommen wird, und zwar mit Recht.

Wir haben es wenigstens nun so ungefähr berichtet, wie sich »Horatio« in seinem ferneren Leben einrichtete, nachdem er seinen Hamlet auf der Terrasse von Helsingör dem Geiste, der in seinem erlauchten Hause umging, richtig wieder überliefert hatte. Wie er mit der »sonderbaren« Komtesse Ophelia im freundschaftlichsten Verhältnis blieb, werden wir später noch sehr genau erfahren. Wie sie ins Kloster ging und er in der Weltlichkeit blieb, nun endlich einmal, ohne einen Prinzen auf dem Halse zu haben, in Rom, in Paris und so weiter lebte; – wie es ihn von Zeit zu Zeit immer wieder nach »Wittenberg« zog, – wie er eine letzte große und längere Weltfahrt antrat und im Winter des Jahres 1869 auch von ihr zu dem Umgang der Tante Euphrosyne zurückkehrte, steht in den vorigen Kapiteln. –

»Gebt mir den Mann, den seine Leidenschaft
Nicht macht zum Sklaven, und ich will ihn hegen
Im Herzensgrund, ja in des Herzens Herzen.«

Wenn nur nicht gerade solche Edle, Seltene das Ekle, Schale und Unersprießliche der Welt zu oft derartig ausgekostet hätten, daß es gar kein Vergnügen sein kann, sie als Weltweise zu seinem nächsten Umgang zu zählen! Die Tante Euphrosyne hatte mit dem Mann oft geradeso ihre liebe Not, wie in anderer Weise mit ihrem Märchenkind, dem »jungen gestiefelten Kater«, dem Doktor Eckbert Scriewer, der Frau und dem Herrn Professor Kleynkauer und allen übrigen in der Stadt und an der Universität, wie sie sie alle ganz genau kannte. Daß er mit seinem Freund und jungen Günstling, seinem Amanuensis, dem blonden Eckbert, so arg hereingefallen war und sie selber auch in diesen Abgrund von Liebenswürdigkeit, Edelsinn und Streben nach dem Höchsten und Besten mit hineingezogen hatte, das ging freilich diesmal über ihren Horizont, und zwar bedeutend weiter, als wie er den Universitätsplatz und die ihrem Fenster gegenüberliegende Aula umspannte. Gottlob haben wir aber ja auch noch Kepplershöhe und Kloster Lugau und von dort aus einen etwas weiteren Blick über die Dächer.

 


 


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