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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Der Erzähler ärgert sich über sich selbst und wirft seine Feder aus dem Fenster.

In dem Kopf und der Brust eines Reiters, welcher acht Tage nach der Heimkehr des Schreiners Otto Klusmeier und des Schusters Anton Pfefferkorn in den Bergen und Wäldern des linken Weserufers am Spätnachmittag mühsam seinen Weg dem aufwachenden Herbststurm abkämpfte, sah es wirr und wild aus. Wir wollen nur ohne Umschweife sagen, daß dieser Reiter, der über dem linken Auge ein großes schwarzes Pflaster trug, kein anderer als unser guter Freund Klaus Eckenbrecher war, welcher seine im Krieg, in der Fremde gewonnenen Schätze und verwirklichten Träume kläglich seufzend und grimmig fluchend dem süßen Bräutchen heimtrug. Wohl hatte er Ruhm und Ehre aus Flandern mitgebracht, aber Geld und Geldeswert wenig; wohl kam er nicht als simpler Reitersbub, sondern mit dem Federbusch eines Lippe-Pyrmontschen Hauptmanns auf dem Hute heim, aber teuern Preis hatte er dafür bezahlen müssen. Alle Augenblicke griff er, die Zähne zusammenbeißend, nach dem Pflaster, welches sein linkes Auge verdeckte.

»O Gotts Teufel, was wird sie dazu sagen? Sacrrrrre! Was hilft's mir und ihr, daß der Hund vermodert, so das Unheil angericht't hat? O Sacrrrrre! O Monika, Monika!«

Nicht, wie er es sich in seinen Träumen einst vorgemalt hatte, fiel sein Heimzug aus. Nicht kam er zurück aus dem Krieg mit Flöten und Pfeifen, mit Pauken und Posaunen; nicht führte er mit sich einen Schwanz von Knappen und Pagen und Mohren in köstlichen Gewändern; nicht kam er heim im hellen, glänzenden Sonnenschein; ach, die Stimmung des jungen Veteranen paßte ganz vortrefflich zu dem Wetter, durch welches er sein Roß lenkte.

Vom Köterberg her pfiff und sauste es, als ob sämtliches Hexenvolk, welches auf dem kahlen Gipfel jenes Berges sein Wesen treibt, den Kopf darauf gesetzt habe, den Klaus samt seinem Gaul, seinem Ärger und seiner Angst platt auf den Boden zu legen, und das so schnell als möglich!

Hui, wie strich es gleich dem wütenden Heer durch die Hohlwege und Schluchten, wie fing es sich in den Schlüften und kehrte um, wütend die Äste der Eichen und Buchen zerzausend!

Zum Tollwerden war's, in solchem Wetter bei so freudigem, behaglichem Mute der Heimat und der Herzallerliebsten entgegenzureiten.

Ein Nürnberger Eilein hatte der Hauptmann Eckenbrecher in der Schlacht bei Sankt Quentin auch nicht erbeutet, um darauf nach der Tagesstunde zu schauen. Der Weg ward immer schlechter, oft mußte der Reiter sein Pferd anhalten, um sich zu vergewissern, daß er sich noch auf dem rechten Pfade befand. Aus Herzensgrunde verwünschte er das gutmütige Bäuerlein, welches ihn durch seine verlockenden Angaben verführt hatte, einen »Richteweg« einzuschlagen und von der bekannten Landstraße abzuweichen.

Es mußte nach der Berechnung des Klaus ungefähr vier Uhr nachmittags sein, als der Pfad in einem engen, düstern, verwachsenen Tal ein Ende nahm und der Lippesche Hauptmann plötzlich im Gebüsch festhing.

»Sacrrrrrre!« fluchte der Eckenbrecher. »Diable – morbieu!« setzte er hinzu. Er hatte solche fremdländische Kraftworte in Flandern aufgegriffen und bediente sich ihrer nur allzuhäufig.

»Das ist nun auch wieder, um zu platzen! Richtig festgefahren! Holla – heda! Keine Menschenseele weit und breit, um einem Christenmenschen auf den rechten Weg zu helfen. Heda – holla!«

Aus vollen Lungen schrie der Verirrte seine Not nach allen vier Himmelsgegenden aus; aber niemand hörte, niemand antwortete seinem Rufen. Dabei bedeckte sich der Himmel, soviel von ihm durch das Gezweig der Bäume zu sehen war, immer mehr mit dunkeln Wolken. Es fielen einzelne Tropfen – nach fünf Minuten regnete es ganz lustig, wodurch der Sturmwind zu erneueten Kraftanstrengungen ermuntert zu werden schien.

Immer unbehaglicher rückte der Klaus im Sattel hin und her, hob sich in den Steigbügeln, schauete nach rechts und nach links:

»O hätt ich doch den Hallunk, den Bauer, hier, so mich verlocket hat! Steh du Hund von einem Gaul! Will das Vieh sich auch noch mausig machen? Das fehlte grad mir noch. Holla, heda, holla! Hört denn keine Menschenseele – morbieu – o hätt ich den Bauer hier, holla, heda, hol – alle guten Geister –«

Hoch bäumte sich der Rappe im jähen Schreck und hätte seinen nicht weniger erschreckten Reiter fast aus dem Sattel geschleudert. Dicht vor Roß und Mann starrte aus dem Gebüsch ein Gesicht, welches wohl durch seine geisterhafte Erscheinung Schrecken und Schauder erregen konnte. Aus dem Gebüsch hervor wand sich ein Wesen, eine Gestalt, welche man wohl in Verbindung mit der fahlen Beleuchtung und dem sausenden Sturm dem Geisterspuk des alten Zauberbergs, des Köterbergs, zurechnen konnte.

Klaus Eckenbrecher der Hauptmann griff unwillkürlich nach dem Schwert:

»Alle guten Geister – Donnerwetter, was ist – wer seid Ihr?«

Die Erscheinung blickte den Reiter starr an.

»So antworte doch, in drei Teufels Namen, oder zeige mir den Weg, oder packe dich fort!« schrie der Klaus. »He – zum letztenmal – wer und was bist du? Antworte!«

Die Gestalt hob das geisterhafte Gesicht empor zu dem jungen Reiter, mit hohler Stimme fragte sie:

»Warst du nicht dabei, als man mich begrub? Warst du nicht auf dem Kirchhofe?«

Klaus Eckenbrecher bog sich mit offenem Munde über den Hals seines Pferdes und blickte dem rätselhaften, unheimlichen Wesen schärfer in die Augen.

»Jesus Christus, wer seid Ihr? Jesus Christus, Ihr seid der Mönch von Stahle, Ihr seid der Vikarius Festus, der verlorenging, als wir die Gauklerin Fausta und den Doktor Spada begruben! Seid Ihr nicht ertrunken? Habt Ihr Euch nicht in die Weser gestürzt? Was ging Euch die Monika Fichtner an?«

»Als ich noch lebte, war ich der Bruder Festus«, antwortete die Gestalt; »aber ich bin tot und begraben. Ich kenne dich nicht, aber ich weiß, daß du bei meinem Begräbnis warst – bete für die irrende Seele, bete für die verdammte Seele des Bruders Festus!«

»Gott schütze uns«, murmelte der Hauptmann Eckenbrecher; »'s ist wirklich der Vikarius von Stahle, 's ist der Bruder Festus!«

»Nein, nein«, sagte die Erscheinung, »ich bin nicht Festus der Mönch, ich bin tot – lange tot und eingescharrt in die Erden; die Toten haben keinen Namen – bete für die arme Seele, die umgeht bis zum jüngsten Tage.«

Dem Reiter standen die Haare steilrecht zu Berge, und kalte Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn; er wurde irre an sich selbst, er zweifelte wirklich, ob die Gestalt vor ihm wirklich ein Wesen von Fleisch und Blut oder nur ein Phantom, ein gräßlicher Schein, ein Affenspiel der Hölle sei. Sein Roß ängstete sich wie er, er fühlte es unter sich erzittern. Und – jetzt-jetzt streckte das Gespenst die dürre Hand aus; ohne sich Rechenschaft über das, was er tat, geben zu können, drückte der Lippesche Hauptmann seinem Gaul die Sporen tief in die Weichen, und mit einem gewaltigen Satze flog das Tier seitwärts in das Gebüsch. Der erschrockene Reiter achtete nicht der Zweige, die ihm das Gesicht, das wunde bepflasterte Auge trafen; mit aller Gewalt brach er durch das Unterholz, ohne auf die Richtung, die er nahm, Achtung zu geben. Ein Schrei wahrhaften Entzückens entrang sich ihm daher auch, als plötzlich, unverhofft, als er noch endlosen Wald vor sich zu haben glaubte – ein letzter Satz seines Pferdes ihn ins Freie, auf die breite Landstraße, die der Weser zu führte, brachte.

Das Bäuerlein hatte doch recht gehabt mit seinem Richteweg.

Nach dem gewaltigen Sprunge, welchen das scheue Roß über Busch und Graben weg getan hatte, stand es einen Augenblick zitternd von der Anstrengung da. Krampfhaft die Zügel in der Hand zusammenpressend hing der Eckenbrecher im Sattel und schöpfte ebenfalls tief Atem nach dem Schrecken und tollem Ritt. Aber schon raschelte es im Gebüsch und brach hindurch, und abermals setzte der Hauptmann in heftiger Furcht vor dem Gesicht des wahnsinnigen Mönchs seinem Rappen die Sporen in die Seiten und jagte davon durch das graue Zwielicht.

Als die Landstraße nach zwanzig durchmessenen Pferdelängen sich um eine Holzecke wandte, blickte der Klaus noch einmal über die Schulter zurück und sah einen Schatten den weißen Weg entlang, daher, ihm nachgleiten.

»Jesus Christus!« schrie er, und im wildesten Galopp jagte er vorwärts – immerzu, immerzu – bergauf, bergab, und stets vermeinte er, den schrecklichen Schatten neben sich zu haben, bald auf der rechten, bald auf der linken Seite; stets glaubte er das unheimliche Keuchen und Atmen des gespenstigen Mönches dicht neben sich zu hören.

Dem war aber nicht also!

Langsam schritt der Bruder Festus, nachdem er hinter dem Klaus her ebenfalls die Landstraße erreicht hatte, durch die Dämmerung und den Sturm ebenfalls gegen die Weser.

Wohl war er ein Bild des Grauens! Sein weites graues Gewand, zerfetzt und verwahrlost, wurde durch einen Strick um die Hüften zusammengehalten. Wild wühlte der Wind in den langen, wirren Haaren des Mönchs und warf sie bald zurück, bald über das hagere Gesicht. Die Arme über der Brust kreuzend, stier vor sich hinblickend, schritt der Wahnsinnige dahin.

Die Regenwolke hatte der Sturm bereits seitwärts fortgetrieben, und eben zog sie in der Ferne zur rechten Seite schwarz in grau über eine Berglehne. Auf die Landstraße schlugen nur noch vereinzelte Tropfen schwer herab. – –

Wo war die arme Seele des Bruders Festus gewandert in der Welt seit jenem schrecklichen Tage, an welchem der Vikarius von Stahle in dem Nebel und Dunst verschwand?

Weit, weit, weit! Hier und da – ruhelos – rastlos. Durch den Frühling und seine Blütenpracht, durch den glühenden Sommer, durch die dichten, rauschenden, in Licht und Schatten funkelnden Wälder, über die grünenden Ebenen, durch die golden nickenden Saaten, über welchen die Lerche in der blauen Luft schwebte – blind und taub war die arme, irrende Seele des Mönchs gewandert:

»Der Bruder Festus ist tot! Betet für die arme Seele des Bruders Festus!«

Durch große und kleine Städte, durch Flecken und Dörfer, vorüber an einsamen Häusern und Hütten war die arme Seele gewandert;

»Der Bruder Festus ist tot! Betet für die arme, verlorene Seele des Bruders Festus.«

Und die Kinder, die auf den Wegen ihre Spiele trieben, flüchteten scheu zu ihren Müttern, und diese hoben im höchsten Schreck die Hände. In Feld, Wiese und Wald richteten sich die Arbeiter von ihrer Arbeit auf, wenn der Bruder Festus vorüberschritt:

»Jesus Maria, schütze uns!«

O wie weit, wie weit war die Seele des Bruder Festus in die Irre gegangen! Und nun wurde sie zurückgetrieben im kalten, schaurigen Herbst, willenlos zurückgetrieben nach dem Unglücksorte, von welchem sie ausgewandert war. –

Betet für die arme Seele des Bruders Festus!...

Es war vollständig dunkel, als der junge Hauptmann Klaus Eckenbrecher in das Dorf Stahle mit hochklopfendem Herzen einritt. Das Herz drohete ihm zu zerspringen vor Angst und Jubel –

»O Monika – süße, süße Monika!«

Aus dem niedern Fenster des katholischen Pfarrhauses fiel der Schein der Lampe auf die Dorfgasse, und sein Roß hielt der Klaus an vor dem Pfarrhaus, bog sich nieder und klopfte an die trüben Scheiben. Noch immer saß der alte Chrysostomus in seinem Stuhl – der Tod schien ihm vorbeigehen zu wollen! – Von seinem Breviarium hob der neue Vikar, der Nachfolger des Bruders Festus, das Gesicht, als Klaus Eckenbrecher abermals anpochte. Er stand auf, schritt zum Fenster und öffnete es:

»Wer ist da?«

»Den Bruder Festus hab ich gesehen!« rief der Lippesche Hauptmann. »Weiß nicht, war's sein Geist oder war er es selber; aber gesehen hab ich ihn. Im dicken Wald ist er mir erschienen und wird mir wohl folgen. Wollt's Euch nur sagen, Pater, auf daß Ihr Achtung geben könnt – behüt Euch Gott!«

Der Mönch bekreuzigte sich, und Klaus Eckenbrecher ritt gegen den Fluß hinab.

Drüben flimmerten die Lichter von Holzminden – der alte Fluß rauschte, und kalt und wild umsauste der Wind den Reiter. Starr blickte der Junge Reiter auf eins der Fünkchen unter den jenseitigen Lichtern – alle Angst, alle Sorge, alle Zweifel waren wie weggeblasen aus seiner Brust – die Tränen stürzten ihm unaufhaltsam aus dem unversehrten Auge; dann hob er sich hoch im Sattel und jauchzte hell auf und schwang den Hut in die Luft –

»O Monika! Monika!«

Am liebsten hätte er seinen Rappen in den Strom getrieben, um schwimmend jenes holde Lichtpünktchen drüben am andern Ufer zu erreichen; kaum konnte er die Ankunft des Fährbootes, das er mit aller Kraft seiner Lungen anrief, erwarten. Endlich erschien es, der Klaus führte sein Pferd hinein, und die beiden Fährleute begrüßten mit großer Verwunderung und unverhohlenem Respekt den einstigen Taugenichts von Holzminden. Eine wahre Ewigkeit schien diesem die Überfahrt, und dreimal wieherte der Rappe, als endlich das Boot auf der rechten Seite des Flusses an das Ufer stieß. Unter der Gartenmauer des Pastors Fichtner band der Eckenbrecher sein Pferd an, dann fand er trotz der Dunkelheit mit Leichtigkeit jene Stelle, wo man die Mauer ohne Mühe erklimmen konnte. Im nächsten Augenblick stand er im Garten, dessen Bäume der Nachtsturm wild hin und her riß. Mit fliegendem Atem schlich der Klaus gegen das Haus und lauschte an dem Fenster, dessen Lichtschein ihn so hold, so traulich über die Weser angeflimmert hatte.

Wie brauste und sauste die Windsbraut hohl über die Welt! Bitterkalt war's, und wieder schlugen eisige Tropfen hernieder, kein Sternlein schaute durch die Wolken. Aber drinnen die kleine Stube leuchtete in desto hellerem, lieblicherem Glanz. O wie gut kannte der Klaus diese kleine Stube und jedes Gerät darin! Jeder alte Stuhl, der schwerfällige Tisch von altersschwarzem Eichenholz, der gewaltige Kachelofen, alles und jedes rief in ihm eine Erinnerung der Kindheit wach. Wie manche Kinderfreude, wie manches Kinderleid knüpfte sich an diesen engen Raum! O welch ein Blick aus der kalten, stürmischen Nacht hinein in dieses süße, heimliche Schlupfwinkelchen!

Wie war es denn? Gestern noch waren der Klaus und die Monika kleine, kleine Kinder – wie war es denn gekommen, daß sie heute nicht mehr hinter diesem schwarzen Ofen sich verkrochen, daß sie nicht mehr auf diesem alten Eichentische ihr Spiel mit Blumen, Steinchen, Muscheln des Flusses trieben? War es nicht recht seltsam, daß der Fluß auf dieselbe Weise unter der Mauer des Pfarrgartens vorüberrauschte, während die Kinder so ganz andere geworden waren? War das nicht ein recht großes, ein unbegreifliches Wunder, daß der Klaus Eckenbrecher, der gestern noch ein so kleiner Knabe war, heute so viel gesehen, so viel erlebt hatte, in der schrecklichen Schlacht bei Sankt Quintin mitgekämpft und dem König von Hispanien den Sieg mit gewonnen hatte? War es nicht ein schier noch viel größeres, viel unbegreiflicheres Wunder, daß da im Stübchen im Schein der kleinen Lampe die wunderschöne Jungfrau mit den blonden Locken saß und im tiefen Sehnen an den lauschenden Klaus dachte? War diese wunderholde Jungfrau die Monika, welche gestern noch mit dem Klaus kindisch die zerbrochene Puppe beweinte?

Wie hing der Blick des jungen Hauptmanns an der Braut, welche in der Mitte ihres Stübchens auf niedrigem Schemel hinter dem Spinnrade saß gleich der Prinzessin inmitten des Zaubermärchens!

Fort und fort drehte sich surrend das Rad, und mit halbgeschlossenen Augen saß die liebliche Spinnerin und nickte mit dem müden Köpfchen und sang mit leiser Stimme:

»Ich träumte so holden,
So seligen Traum;
Drin baut ich ein Schloß
In den Himmelsraum.

Drin baut ich ein Schloß
Aus Edelgestein
Und setzte den Liebsten
Als König darein.

Doch als die Sonne
Zur Höhe sich hob,
Der schöne Traum
Im Lichte zerstob.

Mein Liebster ist fern,
Er ist nicht allhier;
O Sonne, o Sonne,
Was leuchtest du mir?

Gott grüße dich, Abend,
Gott grüße dich, Nacht;
Ihr habt mir den Traum
Und das Glück gebracht!«

Mit einem hellen Schrei fuhr die Sängerin in die Höhe; vor dem Fenster klang es jubelnd:

»Gott grüße dich, Abend,
Gott grüße dich, Nacht,
Die Liebe zu Liebe
Zurück ihr gebracht!«

Zu dem Fenster stürzte die Monika und riß es auf: »Klaus, Klaus – um Gottes willen, Klaus, lieber Klaus, bist du es? Bist du es wirklich?«

»Wirklich und wahrhaftig!« jauchzte der junge Hauptmann, und Lippe an Lippe, Brust an Brust, durcheinander schluchzend und lachend, hielten sich die beiden Verlobten umschlungen. Hundert heiße Küsse wechselten sie, ehe eins von beiden ein irgend verständliches Wort hervorbrachte. Erst als ein Windstoß die Lampe auf dem Tische ausblies und alles um sie her in die tiefste Nacht versank, wand sich die Monika aus den Armen des Klaus und eilte aus dem Zimmer, um die Tür, die aus dem Hause in den Garten führte, dem heimgekehrten Herzliebsten zu öffnen. Auf der Flur trat ihr der Vater entgegen, welcher mit seiner Studierlampe aus seinem Studierzimmer herabgestiegen war, um dem Lärm in den untern Räumen des Hauses nachzuforschen.

»Der Klaus, mein Klaus ist da!« rief die Monika, an dem Vater vorübereilend und den Riegel der Tür, welche den Schatz ausschloß in die dunkle Nacht, zurückschiebend. Herein stürzte der Klaus, und mit ihm kam ein neuer Windstoß, welcher auch die Lampe Ehrn Valentins auspustete.

»Eh!« rief der Alte. »O über den Windbeutel – ist das ein bös Omen!«

»Monika, Monika, wo bist du?« jubelte der Klaus, und abermals lagen die Liebenden einander in den Armen, während der Pastor in der Küche ärgerlich mit Stahl, Feuerstein und Schwefelfaden sich abquälte.

»O, wie hab ich dich lieb, mein herzig Reiterlein! O, wie hab ich geweint, als ich vom Vater herausgebracht hatt', daß dein armes Aug verlorengangen sei in der greulichen Schlacht!« schluchzte die Monika.

»Du weißt es schon?« rief der Eckenbrecher. »Ich dacht –«

»O gräm dich nicht, gräm dich nicht, noch viel lieber hab ich dich, Herzlieb –«

»Ich hab mich also den ganzen Weg von Flandern her vergeblich um das gequält, was du dazu sagen würdest? Himmeldonnerwetter – morbieu, ich möchte mich zu Tode heulen!«

»Man lasse solches greuliche Fluchen!« sprach Ehrn Valentin, der endlich über die mangelhaften Feuerzeugseinrichtungen des sechzehnten Jahrhunderts Meister geworden war und nun mit seiner Lampe vom Kopf bis zu Füßen den einstigen Zögling beleuchtete.

Er seufzte mehrmals bedenklich, über das schwarze Pflaster schüttelte er das Haupt, sprach aber während dieser Untersuchung kein Wort. Nach Beendigung derselben befahl er der Monika, für Speise und Trank zu sorgen, er selbst führte, nachdem der Klaus sein Roß in den Stall neben dem blinden Gaul des Pfarrhauses untergebracht hatte, den Reitersmann in seine Studierstube hinauf, deren Tür er hinter sich verriegelte, um weder durch das Töchterlein noch sonst Magd, Knecht oder Nachbar gestört zu werden. Eine böse halbe Stunde verlebte der unglückliche Klaus nun unter einem Kreuzfeuer der verfänglichsten Fragen. Aber als ein mutiger Kriegsmann hielt der jetzige Lippesche Hauptmann diesem Feuer stand, holte jedoch tief und freudig Atem, als der Alte den Riegel der Tür wieder zurückschob und das Examen dadurch für beendigt erklärte.

»Kann ich jetzt hinuntergehen?« fragte der Kriegsheld demütig, schüchtern, bittend.

»Meinetwegen«, brummte der Alte. »Kann ich was dargegen tun? Packe dich!«

Mit einem Satz war Klaus aus der Tür und die Treppe hinunter. Ehrn Valentin Fichtner stand recht nachdenklich da; dann saß er nieder vor seinem Schreibtisch und fing ein neues Kapitel an in seinem Traktat wieder des Babsts Abgötterey:

»Was es mit dem Cölibat für eine Bewandtnis hat, und was dagegen zu sagen ist.«

Er kam aber an diesem Abend über diese Überschrift nicht hinaus. Nach einer halben Stunde schon saß er in der einstigen Kinderstube des Pfarrhauses zwischen dem Klaus und der Monika und ließ sich von dem Klaus Eckenbrecher die Schlacht von Saint Quentin und den Tod des Grafen zu Pyrmont und des Ritters Don Cesare Campolani berichten, wahrend der Herbststurm draußen immer wüster forttobte. Nach der Schlacht von Saint Quentin erzählte der Klaus von der Erscheinung des Bruders Festus, und dichter drängte sich die Monika zusammenschauernd an den Geliebten und warf einen scheuen Blick in die Dunkelheit hinter den Fenstern. Der alte Pastor Fichtner aber nahm das Käpplein ab und stimmte aus den Liedern des teuern Mannes Gottes Martin Luther den Vers an:

»Von allem Übel uns erlös,
Es sind die Zeit und Tage bös;
Erlös uns von dem ewgen Tod
Und trost uns in der letzten Not,
Bescher uns all'n ein selges End,
Nimm unsre Seel in deine Händ!«

Beide Kinder stimmten in den Gesang ein – o hätte der Sturmwind doch die feierlichen, holden Töne über die Weser zum Kirchhof von Stahle, zu den »Gräbern der Fremden« tragen können! Auf dem Grabhügel Simone Spadas kauerte eine Gestalt und starrte in die Nacht hinein hinüber nach den Lichtern des Städtleins Holzminden. Auf dem Grabhügel Simone Spadas fanden am andern Morgen die Bauern von Stahle den leblosen Leib des Bruders Festus.

 

Dreihundert Jahre sind vergangen! Weiß schimmert in der Nacht nach Christi Himmelfahrt 1860 die Apfelblüte vor den Fenstern des Erzählers; es ist Frühling, schönster Frühling geworden. In der Mitternachtsstunde durchzieht ein warmes Lüftchen säuselnd die Bäume – am Himmel funkeln Millionen Sterne – es schneiet Blüten! Anno 1640 ist der Glaubenskrieg mit allen seinen Greueln über das Wesertal fortgezogen; in Flammen ist die lutherische Stadt Holzminden, in Flammen ist das katholische Dorf Stahle aufgegangen. Dorf und Stadt sind wieder aufgebaut worden, aber wer kennt noch zu Stahle und Holzminden die »Gräber der Fremden«? Noch leuchten Berg und Tal und Fluß im jugendlichen Glanz, aber wer weiß noch in Holzminden und Stahle ein Wörtlein von dem Klaus und der Monika Eckenbrecher? Wer weiß noch Bericht zu geben von dem unseligen Vikarius Festus? Es schneiet Blüten!

Noch einmal ziehen in langer Reihe alle Gestalten seines Buchs dem Erzähler in der Mitternachtsstunde vorüber, dann verschwinden sie im Dunkel – es schneiet Blüten, die Geister müssen weichen.

Aus dem offenen Fenster wirft der Erzähler seine Feder jauchzend in die Nacht hinaus:

»Was mir der Winter hat Leids getan,
Das klag ich diesem Sommer an!«
Memento vivere!


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