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zeigt, wie es gekommen war.
Wenn urplötzlich ein großes Unglück, dessen Kommen im Augenblick vorher niemand ahnete, die Menschen überfällt; wenn eine Katastrophe, gegen welche kein menschliches Schutzmittel ausreicht, die einzelnen oder die Völker überrascht: dann beugt man, solange die Blitze zucken, der Donner rollt, die Häupter, unfähig zu grübeln, zu denken. Man unterwirft sich, sei es in Demut, sei es grollenden Herzens, der waltenden höheren Macht, deren Wille das Unheil herbeigeführt hat. Das Grübeln, das Denken, die Frage; wie ist es gekommen? weshalb ist es gekommen? folgt erst, wenn die dunkeln Wolken über den Horizont hinabsinken, die Sonne wieder glänzend vom blauen Himmelsgewölbe herabstrahlt und alles sein gewohntes Ansehen wieder annimmt. Nun ist die eigentliche, rechte Zeit da, wo die große Klage anhebt über die zerstörten Saaten – die gestorbenen Freunde – die vernichteten Völkerhoffnungen:
Wie ist es gekommen? – – –
Ja, wie war es gekommen? Was hatte die Pläne Don Cesare Campolanis auf dem Schloß Pyrmont scheitern gemacht? Was hatte die schöne Fausta dem bleichen Tod in die Arme geworfen? Was hatte den Arzt Simone Spada aus Bologna darniedergestreckt am Ufer des Weserstroms?
Der Erzähler darf es wie die übrigen Erdbewohner machen und nach hereingebrochener Katastrophe die Lösung der Frage: Wie kam es? unternehmen.
Nachdem Christof von Wrisberg im vergangenen Monat vom Schloß Pyrmont abgezogen war, um die Werbetrommel im Kreis Niedersachsen für den König von Frankreich zu rühren, hatte auf dem Schloß selbst Don Cesare Campolani das begonnene Werk auf seine Weise fortgesetzt, indem er nicht nur den Grafen Philipp mehr und mehr in seine Netze verwickelte, sondern auch von der Burg am heiligen Born aus seine Schlingen weit nach allen Seiten ins Land hinein nach den umsitzenden Herren auswarf. Überall wurde der Gast Philipps von Spiegelberg mit Zuvorkommenheit aufgenommen, und alles schien seinen Plänen und Absichten so günstig wie möglich zu verlaufen. Weit und breit wurde sein Lob von jeglicher Zunge gesungen, alle Damen auf den Schlössern und Burgen schwärmten für den italienischen Edelmann und somit auch für die Sache desselben. Gegen Ende März hofften der Wrisberger und Don Cesare an der Spitze von zwanzigtausend Mann den Zug gegen den Rhein, Herrn Heinrich von Valois zu Hülfe, antreten zu können!
Wohl wußte Philipp von Spiegelberg, daß die Seite, auf die ihn sein Gast hinüberziehen wollte, die falsche sei; wohl wußte er, daß sein Lehnsherr Erich von Braunschweig nicht unter dem weißen Lilienbanner reiten würde; wohl wußte er, daß in kommenden Zeiten groß Ärgernis für ihn entstehen würde, wenn das Panier von Spiegelberg und Pyrmont im Heereshaufen des Wrisbergers wehen würde; aber – wenn er auch den lockenden Vorspiegelungen Don Cesares widerstanden hatte, welche Kraft konnte er aufbieten gegen die Fausta La Tedesca?
Was das glatte Wort Cesares nicht ausrichtete, das brachte das Auge und die Zunge Faustas zustande. Beide wußte die große Verführerin gut zu gebrauchen.
Wenn der Ritter Campolani das Weltgetriebe von seiner glänzendsten, buntesten Seite gemalt hatte, von allen Ehren und Freuden, die da draußen, hinter den Bergen, in der blauen, unbekannten Ferne zu gewinnen waren, gesprochen hatte, dann heftete sich das Auge Faustas fragend auf den jungen deutschen Grafen:
»Und du sitzest hier, um kümmerlich deine Tage zu verträumen? Draußen ringen sie um alles, was die Erde Köstliches bietet, und du willst dich vergraben in diesen armseligen Mauern, willst dir ein Genügen sein lassen, von Tag zu Tage das Wild in deinen Wäldern zu jagen? Hörst du nicht, wie draußen andere Hörner zu einer andern Jagd rufen? Glaubst du, mich – mich, die Fausta, dadurch zu gewinnen, daß du dich blöde hinter die Spinnrocken deiner Schwestern verkriechst?«
Wie oft griff an den langen Abenden des Vorfrühlings die Hand der Gauklerin Fausta in die Saiten der Laute, wenn Don Cesare Campolani schwieg. Dann sang sie – nicht mehr liebelockende, klagende, sehnsüchtige Weisen – nein, von der Lust des Streites sang sie; von Helm und Schild und Schwert, vom Donner der Schlacht, von Siegesruf und Lorbeerkränzen und ewigem Ruhme sang sie, daß atemlos alle Hörer auf dem Schloß am heiligen Born lauschten und Philipp von Spiegelberg das hochklopfende Herz kaum zu bändigen wußte.
Dazu regte es sich mehr und mehr im Land. Alltäglich sprachen einzelne Knechte im Schloß Pyrmont ein und erzählten den Mannen von Spiegelberg, Krieg gegen die Spanier gebe es, zu Tausenden schare man sich schon um den Wrisberger. Alltäglich verkündete das Horn des Turmwärtels den Durchmarsch größerer Haufen, welche mit Sang und Klang zu Roß und zu Fuß über den heiligen Anger zogen.
Krieg, Krieg! Einerlei für wen und gegen wen! Krieg, Krieg! Wer will hinter dem Ofen sitzen bleiben, wenn Frühling und Krieg zusammen den Weckauf blasen?
So kam endlich die Stunde, wo die Fausta in den Blick ihres Auges auch den kalten Hohn, den vernichtenden Spott legte:
»Du, du liebst die Fausta? Du Feigling, du Schwächling? O Herr Graf zu Pyrmont, also gewinnt Ihr die Fausta La Tedesca nicht! Bleibe denn in deinem vergessenen Winkel, schwacher Knabe! Laß die Fausta ziehen! Tor, der den Venuswurf werfen will und nicht Kraft und Macht hat, den Würfelbecher, welchen ihm das günstige Geschick in die Hand gibt, zu schütteln!«
Da ward Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont, gewonnen für Heinrich von Valois, den König von Frankreich und Navarra, und gewaltiger Jubel brach aus im Schloß, als der Graf seinen Vasallen das Wort verkündete.
Das war am vierundzwanzigsten März des Jahres fünfzehnhundertsiebenundfünfzig.
»Hab ich es gut gemacht? Bist du zufrieden?« fragte Fausta, und der Ritter zog sie in die Arme und küßte sie auf die Stirn:
»Wie wird es die Mediceerin mir Dank wissen, wenn ich ihr die Zauberin Fausta La Tedesca zuführe! Gewonnen! Gewonnen!«
Boten gingen an demselben Tage noch ab an die übrigen von dem französischen Werber geworbenen Herren der Umgegend, um sie aufzufordern, sich bereit zu halten. Am letzten März wollte man dem großen Haufen, der sich um den Wrisberger sammelte, zuziehen. Am Abend desselbigen Tages kehrte aber auch Franz Lindwurm von Münden von der Hochzeit des Herrn von Rosenberg zurück, und mit ihm kam ein Gesandter des Braunschweigers Erich, welcher dem Grafen von Pyrmont ein Schreiben des Herzogs brachte, in welchem Schreiben Herr Erich seinen Lehensmann aufforderte, mit Roß und Mann bereit sich zu halten für den Dienst Don Philipps des Zweiten von Spanien.
»Zu spät!« murmelte der Graf, das Schreiben des Herzogs zusammenknitternd. Wüst und häßlich sah es in seinem Innern aus. Nach jeder Seite hin hatte er den Halt verloren; er wagte kaum, zu den Bildern seiner Ahnen, die grimmig von den Wänden herabschauten, aufzublicken. Niemals hatten die alten Herren und Frauen so drohende Blicke aus ihren Rahmen herabgesandt. Die flackernde Lampe konnte nicht allein die Schuld daran haben.
»Noch etwas hätte ich zu erzählen«, sprach Franz Lindwurm, welcher sich noch immer an der Tür hielt, nachdem er seinen Bericht von der Hochzeit der Herzogin Katharina abgestattet hatte. »Noch etwas hätt ich zu erzählen, aber – aber –«
»Nun«, fragte Philipp seufzend, »was ist's? Was stotterst du? Rede frei weg, was hast du mir noch zu sagen?«
»Ich weiß nicht recht, ob ich davon sagen darf, Herr Graf. Meine Sendschaft gen Münden betrifft's nicht, sondern – sondern jemanden, so hier auf diesem Schloß Pyrmont ist.«
»Ah, ah«, dachte der Graf, »so haben sie schon Wind davon, was hier im Werke ist.« Laut fuhr er fort: »Zum Teufel mit den Umschweifen – dem Herrn von Campolan gilt's, nicht wahr?«
Der Reiter schüttelte das Haupt: »Nicht den fremden Herrn betrifft's, sondern die fremde –«
Mit einem Satz war Herr Philipp dicht vor dem Franz.
»Die Fausta?! Was ist's? Was ist's? Bursch, Bursch, nimm dich in acht! Was hast du gehört? Was ist geschehen?«
Franz Lindwurm machte eine abwehrende Handbewegung, warf einen scheuen Blick über die Schulter, schien sehr zu bedauern, daß er sich nicht weiter von seinem Herrn zurückziehen konnte, und sprach endlich leise:
»Sie ist gerichtet!«
Mit beiden Fäusten packte der Graf seinen Reiter an der Brust.
»Bist du toll, Franz? Von wem sprichst du? Bei der Hölle und allen ihren Teufeln, wer ist gerichtet? Die Fausta ist gerichtet?«
»Nein, nein i – um Gottes willen, gnädiger Herr – die andere, die andere meine ich!«
»Welche andere, Dummkopf? Rede, rede!«
»Die andere Verzauberte vom vorigen Sommer«, stammelte Franz Lindwurm hervor, »das Weib des blinden Zauberers Simon, der allhier am heiligen Born sein Zauberwerk trieb. Was viele fromme und gottesfürchtige Leute prophezeiet haben, das ist richtig gekommen am Ende; denn wo die Teufel durch Beelzebub ausgetrieben werden, da geht der Krug doch nur so lange zu Wasser, bis er bricht, oder der liebe Gott –«
»Zur Sache, zur Sache; mach mich nicht wahnsinnig, Bursche!«
»– seinen Willen darzu gibt«, fuhr Franz Lindwurm, immer mutiger werdend, fort. »Wisset Ihr, wohin vom heiligen Born der blinde Simon gezogen ist, gnädiger Herre? Gen Münden ist er gekommen und hat daselbsten sein junges, liederlich Weibsbild sich antrauen lassen durch einen Pfaffen, welches wohl einer von der rechten Art gewesen sein mag. Die junge Frau ist aber des blinden Satans bald überdrüssig worden, hat ihn vom Hausboden gestürzet, daß er Hals, Arm und Bein gebrochen hat. Darauf hat sie das Aas im Backofen verbrennen wollen, ist aber darbei gegriffen und von den Stadtknechten in den Turm gebracht. Auf meine Ehre und Seligkeit, Herr Graf zu Pyrmont, ich habe selbsten bei ihrem Scheiterhaufen gestanden und hab sie brennen sehen und hab sie nicht im allerwenigsten bedauert, indem –«
»Aber bei allem, was vernünftig ist, was soll mir das? Was hat das mit der – der Fausta zu tun?«
»Höret, mein Herre Graf, und versprechet mir, daß Ihr es mich nicht entgelten lassen wollet, was ich euch zu sagen hab als ein treuer Dienstmann.«
»Sprich, sprich.«
»Gut denn! ... Sie haben sie – ich meine das Weib des blinden Teufelsbanners – auf die Tortur gebracht, und sie hat alles gestanden, sintemalen der Meister Scharfrichter zu Münden seines Amtes im Peinigkeller gut zu warten gewußt hat.«
Der Graf griff mit beiden Händen vor Ärger in die Haare und stampfte vor Ungeduld die Steinplatten des Bodens, daß das Gemach erzitterte. In seiner Gemütsstimmung war solch zickzackartig laufender Bericht in der Tat eine wahre Höllenqual.
»Erzürnt Euch nicht, ich bitte Euch, Herr Graf«, fuhr Franz Lindwurm fort. »Also hat der Meister Hammerling alles aus dem Geschöpf herausgezogen, was dem peinlichen Gericht zu wissen nötig war, und noch ein bißchen mehr, und das ist's, was Euch, Herr Graf zu Pyrmont, mit anbetrifft. Alles, was der Blinde und sie – das Weibsbild, allhier im vorigen Sommer am heiligen Born getrieben haben, ist eitel Gaukelspiel gewesen. Vom Teufel ist sie – ich meine immer des Blinden Beiläuferin – besessen gewesen, aber nicht von einem solchen, so sich durch solchen betrügerischen Halunken austreiben ließe. Sie hat sich nur also anstellen müssen, als sei sie besessen, und der Blinde, der Simon Magus, hat sie darauf erlöset mit leichter Mühe – alles, um das Volk anzulocken. Ihr wisset, Herre Graf, wie gut ihnen solches leider Gottes allhier gelungen ist.«
»Weiter, weiter!«
»Ja, weiter. Da solches das hochnotpeinliche Gericht nichts anging, so hat man es auf sich beruhen lassen und sich nur an den Mord des blinden Kerls gehalten und daraufhin den Urtelspruch gefället. Ich hätt auch nichts darvon in Erfahrung gebracht, wenn nicht der Stadtschreiber, so die Geständnisse bei der Torquierung alle aufgezeichnet hat, in der Schenke mein guter Freund worden wäre. Hat er mich also gefraget, ob allhier auf dem Schloß Pyrmont noch eine Maid umgehe, genennet Fausta. Und als ich dazu genicket und – und ihr Lob gesungen hab, hat er mit dem Kopf geschüttelt und gesprochen: wenn er in Euerer Stell wäre, Herr Graf, so würde er weit die Augen aufhalten, auf daß er nicht hinter das Licht geführet würde; eine Gauklerin, Landläuferin, Betrügerin sei die Fausta gleich dem Weib des blinden Simons. – Herr Graf, Herr Graf, o höret mich, ich bin Euer treuer Diener, und Ihr könnet mich hängen lassen, wann's Euch beliebet; aber meinen Kopf setz ich zum Pfande ein, daß diese Fremde, diese Fausta, ein falsch Spiel gespielt hat, mit dem blinden Zauberer Simon und allein, und auch jetzt wieder falsche Karten ausspielt mit dem Herrn von Camplan, Euch, meinem lieben Herrn, Leib und Seele zu betören und zu verderben!«
»Nein, nein, nein!« rief Herr Philipp von Spiegelberg, die Hände ballend. »Es ist nicht wahr! Eine Lüge ist's, eine schandbare Lüge!«
»Gnädiger Herr, der Stadtschreiber hat's mir auf seine Ehre versichert und einen teuern Eid darauf geleistet, und die Gauklerin hab ich brennen sehen. Man hätt sie wohl noch länger im Turm gelassen, aber den hohen Herrschaften, so anwesend zur Hochzeit waren, zum Vergnügen und zur Ehren hat man den Scheiterhaufen alsogleich getürmet auf Befehl der fürstlichen Gnaden von Braunschweig. Alle Fürsten, Grafen, Barone und Herren sind in Person, ein jeder mit seinem Gefolge, zugegen gewesen!«
»Nein, nein, nein!« stöhnte Philipp von Spiegelberg. »Es ist nicht möglich, es kann nicht sein – die Fausta ist keine falsche Betrügerin – keine Gauklerin; ich will sie fragen, ich will –«
»Gnädiger Herre!«
»Geh, geh – fort mit dir, und danke Gott, daß ich dir das lose Maul nicht stopfe, wie ich es eigentlich tun sollt!«
Schnell genug kam Franz Lindwurm diesem Gebote nach, und da ihm der Mund nicht gestopft war, so wußte man binnen kürzester Zeit im Schloß Pyrmont, was der junge Reiter zu Münden über die Fausta La Tedesca in Erfahrung gebracht hatte. Auch Fausta La Tedesca wußte bald darum, und unter der Einwirkung der seltsamen, drohenden Blicke, die ihr überall begegneten und folgten, verlangte sie sehr nach der Heimkehr Cesares. Dieser aber war mit seinen Leuten nach Lügde, wo er im Liboriuskloster mit den Mönchen gute Freundschaft hielt, geritten und sollte erst am folgenden Tage zurückkommen. Mancherlei Boten, die der Ritter auf dem Schloß Pyrmont nicht empfangen konnte und wollte, traf er bei den Vätern Franziskanern zu Lügde.
Schwer, schwül und schwarz zog es sich um das Schloß am heiligen Born zusammen. Jeden Augenblick konnte das Ungewitter losbrechen, und daß es losbrechen würde, wußte jedermann. O wie lang sind in solchen Stunden die Minuten! Man fürchtet und man ersehnt den ersten Blitzstrahl, den ersten Donnerschlag, der freilich vernichten kann, aber jedenfalls der zusammengepreßten Brust das freie Atmen wiedergibt.
Vergebens sollten die Schloßbewohner heute hoffen, harren und sich ängsten – heute brach es noch nicht los! Der Graf kam nicht zum Nachtmahl herab, verschlossen blieb seine Tür, welche sich den inständigsten Bitten seiner sorgenden Schwestern nicht öffnete.
Auch die Fausta stieg an diesem Abend nicht mehr herab aus ihrem Turmgemach. Bleiern schlichen die Stunden der Nacht hin, bis endlich – endlich der fünfundzwanzigste März dämmerte.
Daß der Spiegelberger während des Abends – während der Nacht nicht kam, Rechenschaft von ihr zu fordern, hatte die Fausta mehr als alles andere beunruhigt. Mit wahrer Sehnsucht hatte sie auf jedes Geräusch gehorcht; aber kein Schritt war die Wendeltreppe heraufgekommen. Trat der Graf in ihr Gemach ein, so wußte sie, daß sie ihm den Fuß von neuem auf den Nacken setzen würde. Er kam nicht, und ruhelos durchwachte sie die Nacht. Und Cesare mußte dazu auch abwesend sein; sein Rat, sein Arm fehlte ihr – sie fühlte sich verlassen, hülflos wie noch nie.
Das Mondlicht lag draußen auf den Wäldern und Bergen wie in jener ersten Nacht, die sie auf dem Schloß Pyrmont zubrachte, in jener Nacht, welche sie so seltsam mit ihren Träumen und Erinnerungen bevölkerte. Diesmal hafteten ihre Gedanken nicht in der Vergangenheit; der Zukunft wandte sie sich zu: was wird der Morgen bringen?
Als die Dämmerung des neuen Tages kam, hielt Fausta die Abwesenheit des italischen Ritters und seiner Leute nicht mehr für einen unglücklichen Zufall, sie hielt sie im Gegenteil für ein Glück. Noch vor seiner Rückkehr in die Mauern der Burg, die sich so leicht in Kerkermauern verwandeln konnten, mußte dem Ritter Nachricht werden von dem, was auch ihm verderblich werden konnte in seinen Folgen. –
Gegen Mittag öffnete sich die Tür des Grafen, und Herr Philipp schritt hervor, anzuschauen gleich einem von langer schwerer Krankheit Auferstandenen. Walburg von Spiegelberg stieß einen Schreckensschrei aus, als sie ihm in das Gesicht blickte; mit einem Schrei schloß ihn Ursula in die Arme. Sanft machte er sich aus der schwesterlichen Umarmung los und schritt durch den Korridor zu der engen, niedern Spitzbogentür, durch welche man die Wendeltreppe betrat, die emporführte im Turme Faustas.
Als die beiden Schwestern die Absicht ihres Bruders merkten, rief Ursula mit unterdrücktem Schluchzen: »Du findest sie da oben nicht, Philipp!«
»Wo ist sie?«
»Sie hat ein Roß satteln lassen und ist davongeritten – eine Stunde mag es her sein.«
»Weshalb hat sie keiner gehindert?« rief der Graf wild.
»Wer sollte sie hindern?« fragte mit sanftem Vorwurf Fräulein Ursula. »War es nicht dein Wille, daß dieses Weibes Wort in diesen Mauern soviel galt?«
Herr Philipp seufzte, neigte das Haupt, antwortete aber nicht. Er stieg hinunter in den Schloßhof, rief ebenfalls nach seinem Rosse, warf sich darauf und jagte über die Zugbrücke. Kopfschüttelnd blickten ihm Pförtner und Knechte nach, doch wurden sie sogleich durch die Stimme des Fräuleins Ursel in ihren Betrachtungen unterbrochen. Da Klaus Eckenbrecher der erste war, welcher der Schwester seines Herrn in den Weg trat, so wandte sie sich an ihn:
»Schnell, schnell zu Pferd, Klaus; reite dem Herrn nach; gib acht auf ihn – schwer liegt's mir auf dem Herzen, als müsse uns ein großes Unglück treffen! Schnell, schnell – o das abscheuliche Weib – ach, der fremde Arzt hatte wohl recht, als er ihr seinen Fluch zurief. O hätten wir sie doch niemalen erschauet!«
Als Klaus nach dem Befehl des Fräuleins sich auf seinen Gaul schwang, rief ihm Ursula noch zu:
»Höre, Klaus, der Graf möchte dich fragen, weshalb du ihm nachreitest; sage darauf, ich habe dich gen Lügde geschickt, um –«
»Euch Nadeln zu holen! Wohl, wohl, sorget nicht – kein Haar soll dem Herrn gekrümmet werden, und ein bös Gesicht soll er auch nicht ziehen ob Eurer Fürsorglichkeit.«
Damit gab auch der Klaus seinem Pferd die Sporen. –
Den ganzen Vormittag durch hatte es mit kurzen Unterbrechungen leise geregnet, jetzt brach die Sonne durch das Gewölk und leuchtete in das letzte Schauer hinein. Als Herr Philipp über die Emmerbrücke galoppierte, bildete sich in der Luft der prächtigste Regenbogen und überspannte die liebliche Landschaft. Niemals hatte der Graf von Pyrmont viel Sinn für solche Naturschönheiten gehabt, wie konnte er in seiner jetzigen Stimmung darauf achten? Er sah weder noch fühlte er das funkelnde, glitzernde Demantengewirbel.
Wohin war die Fausta geritten?
Jetzt waren die Wiesen zu Ende, und der Weg lief in einen Winkel durch ein Gehölz, bestehend aus alten, gewaltigen Buchen und dicht verwachsenem Unterholz. Obgleich die Zweige noch kahl waren, so gewährten die dichtgedrängten Baumstämme gegen den Regen etwas Schutz. – Der Graf hielt sein Roß an; in der Ferne bewegte sich über dem Gezweig des Buschwerks ein Etwas, eine schwarze Feder, eine Feder, wie sie Don Cesare Campolani auf seinem Barett trug, und – da – da neben dieser schwarzen Feder bewegte sich ein anderes Etwas, purpurfarbig gleich dem spitzen Sammethütlein der Fausta. Atemlos horchte der Spiegelberger – wie ein Blitz schoß es ihm durch Herz und Hirn. »Falsch Spiel spielt sie mit dem Ritter«, hatte sein Reiter gesagt. Ohne zu wissen, was er tat, stieg der Spiegelberger vom Roß und knüpfte den Zügel desselben an einen Ast. Von Stamm zu Stamm schlüpfte er, vorsichtig, lautlos durch das triefende Gebüsch sich windend, der Gruppe hinter den alten Buchen zu. – Er hatte sich nicht getäuscht!
Zu Roß hielten Cesare und Fausta dicht nebeneinander im eifrigen Gespräch. Zehn Schritte von ihnen stand der Graf und horchte. Seine Brust zerfleischte er, seine Lippen zerbiß er,
»O Falsche! Falsche!« stöhnte er. »O der schändliche Verräter!«
Finster horchte der Ritter Campolani dem Berichte seiner Genossin. Sollte das klug übernommene und fortgeführte Werk im Augenblick des Gelingens scheitern? Sollte das Netz reißen in dem Augenblick, wo die Beute vollständig gefesselt zu sein schien?
»Fausta, es ist nicht möglich!« rief Cesare. »Halte mir diesen Knaben; du weißt, wie wichtig er uns ist. Zurück zum Schloß, Fausta; noch ist er in deiner Gewalt; sprich zu ihm, verantworte dich gegen ihn – noch ist er unser. Zum Teufel, nicht ihn allein verlören wir, wenn er sein gegeben Wort zurückzöge. Das darf nicht sein! Fausta, Fausta, er darf uns nicht verloren gehen, hörst du? Ans Werk, Zauberin, tue deine Pflicht, Fausta La Maga, und fessele mir diesen deutschen Tölpel – – da kommen meine Leute von Lügde – reite vorauf, Fausta, und kehre zurück ins Schloß, doch auf einem andern Wege! Langsam folge ich dir auf diesem. Ich hätte nicht gedacht, daß du dich so leicht erschrecken ließest, ma mie – nun, nun, reite nur und baue auf mich, wir wollen die Sache schon wieder ins Geleise bringen.«
Ein gelles Lachen antwortete diesen Worten des italienischen Ritters. Das Schwert in der Hand stand Philipp von Spiegelberg vor Cesare und Fausta, deren Rosse erschreckt durch die unerwartete Erscheinung sich hoben.
»Weiter, weiter, Herr Ritter von Campolan! Weiter, Fausta! Laß dich nicht irren, du falsche H...!«
Einen Fluch stieß der Italiener aus. Jetzt ließ sich nichts mehr gut machen. Vergeblich hatte der Abgesandte des Königs von Frankreich seine köstliche Zeit auf dem Schloß Pyrmont vergeudet. Zornig griff er nach dem Schwertgriff und schaute über die Schulter nach seinen Leuten, deren Waffen und Harnische in der Ferne, auf der Landstraße blitzten. Langsam ritten sie von Lügde heran.
»Verräter, heimtückischer Verräter!« schrie Philipp von Spiegelberg. »Herunter vom Gaul und sehet zu, ob Euere Kunst standhalten wird gegen den Tölpel von Pyrmont!«
»Sei's denn!« knirschte Don Cesare. »Dummer Zufall. Fausta La Tedesca, wir kehren nicht zurück ins Schloß Pyrmont; reite zu den Knechten, ich werde im Augenblick bei Euch sein. Zu Eueren Diensten, Signor Conde!«
Vom Pferde sprang er, riß ebenfalls das Schwert aus der Scheide und kreuzte es mit der Klinge des Grafen.
Schon hatte er seine ganze Kaltblütigkeit wiedergewonnen, und ein Lächeln umspielte seine Lippen, als die Waffen gegeneinander klirrten.
»Auf meine Ehre, Herr Graf, es tut mir sehr leid, daß unsere Freundschaft also zu einem übeln Ende geraten muß – hütet Euch, das war unvorsichtig. Rechnet's aber der Fausta nicht zu hoch an, was geschehen ist; wir sind alte Bekannte, amor antico mai non invecchia, alte Liebe rostet nicht, wie Ihr saget – corpo di bacco, so deckt Euch doch, zum zweitenmal gehörte Euer Leben eben mir! – Hört mich, Herr Graf, wollt Ihr im Ernst um eines Weibes willen unsere stolze Sache aufgeben?«
»Verräter! Verräter! Falscher, heimtückischer Verräter!«
»Nicht also, Herr Graf – bei Gott, Euer Leben ist in meiner Hand; aber ich töte Euch nicht! Ich bitte Euch, fasset Euch, lasset nicht eines Weibes wegen von uns – – was ist das?«
Von Pyrmont her erschien im vollen Galopp Klaus Eckenbrecher und stieß seinem Gaul die Sporen bis an die Fersen in die Weichen, als er seinen Herrn mit dem Ritter Campolani im Kampf erblickte.
»Hie Spiegelberg! Hie Spiegelberg!«
»Bellissimo, da kommt Euch Hülfe, Signor Conde. Das ändert die Sache, wir müssen scheiden. Noch einmal: gebt um eines Weibes willen unsere Sache nicht auf; wir warten auf Euch im Lager des Herrn von Wrisberg und so denn – ecco!«
Einem leuchtenden Blitz gleich flog die Klinge Philipps durch die Luft und schoß weit seitwärts von den Kämpfenden in das Gebüsch. Ehe der Graf den Dolch herausreißen und sich von neuem auf seinen Gegner stürzen konnte, hatte dieser sich auf sein Roß geschwungen und eilte zu seinen zwanzig Schritt entfernt haltenden Knechten.
»Weshalb habt Ihr ihn nicht getötet?« fragte Fausta; aber Cesare antwortete nicht. Im Sattel sich wendend, rief er gegen den Grafen zurück:
»Nun hütet Euch, Herr Graf zu Pyrmont! Meinen Dank für Euere Gastfreundschaft hab ich Euch soeben abgestattet – wir sind jetzt quitt – hütet Euch, mir von neuem die Brust zu bieten! Mein bleibt Fausta La Tedesca, die deutsche Glückbringerin –«
Ein Schuß krachte, und die Kugel riß die schwarze Feder vom Barett des Ritters, der sich gegen den Grafen lächelnd verneigte und gefolgt von seinen Knechten gegen Lügde zurück trabte.
»Verflucht!« brummte Eckenbrecher, die abgeschossene Büchse schüttelnd. Im wildesten Galopp jagten der Graf und der Klaus zum Schloß am heiligen Born zurüdc, die Mannen von Pyrmont zur Verfolgung der schönen, falschen Zauberin Fausta La Tedesca aufzubieten.
Eine Stunde später vernahmen die Flüchtigen das Spiegelbergsche Horn hinter sich. Sie hatten von Lügde aus einen Bogen gegen Nordwesten gemacht, wurden aber bald gezwungen, von ihrem Wege abzuweichen und sich in die Wälder zu werfen, die vom Teutoburger Walde sich in die Ebene hineinziehen. Da die Spiegelbergschen mit Weg und Steg allhier wie mit ihrer Tasche bekannt waren, so gelang es ihnen bald, dem Ritter Campolani den Pfad zu verlegen. Endlich, nach kurzem Rat wandten die Verfolgten ihre Rosse wieder und jagten gegen die Weser. Mit einbrechender Nacht waren die Verfolger dicht hinter ihnen; Schüsse wurden gewechselt, als der Mond aufging; mehr als einmal hielt hinter einem geschwollenen Waldbach Don Cesare Campolani dem Grafen von Pyrmont stand. Was dann um Mitternacht zu Stahle am Ufer der Weser und auf dem Flusse geschah, ist im vorigen Kapitel erzählt worden.
Tot war Fausta La Tedesca! – – Tot war Simone Spada aus Bologna! – – –