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Herr Metz aus Darmstadt hat das Wort!« klang es vom Präsidentenstuhl und überhob glücklicherweise den jüngsten Politiker der Versammlung der Aufgabe, für seinen möglichen zukünftigen Schwiegervater eine passende Antwort zu finden.
»Jetzt kommt's, Pärnreuther. Achtung! An die Gewehre!« wendete sich Major Blume an seinen auch immerhin noch möglichen zukünftigen Schwiegersohn. Was aber von der Rednertribüne kam, vernahm Herr Wilhelm Gutmann nur sehr unbestimmt und wie durch einen dicken, dicken Vorhang, auf dem alle Farben und Figuren, die es in der Welt gibt, durcheinanderwirbelten.
Metz sagte, daß der Ausschuß die zehn Minuten Pause nach Möglichkeit ausgenutzt habe; aber wozu, wurde dem Kameralsupernumerar nicht ganz klar, und konnte das auch niemand verlangen.
Wie es schien, hatte der Ausschuß sämtliche Gegenanträge noch einmal geprüft und rasch mit dem seinigen verglichen: du lieber Himmel, wenn Vater Blume, ihr Vater, der Major Blume, demnächst vor die Aufgabe gestellt wurde, seinen, Willis, Antrag zu prüfen und ihn mit einem des Freundes und Ritters Alois von Pärnreuther zu vergleichen! . . .
Metz schien Herrn Pickford aus Heidelberg was aufzuriechen zu geben, weil der sich an den früheren Mitgliedern eines Montagskränzchens in Frankfurt am Main, den »Trägern des ganzen politischen Fortschritts« in jener Stadt gerieben hatte: o ja, Klotilde hatte ihm, ihrem Wilhelm, auch von einem Montagskränzchen in Wunsiedel gesprochen, welches freilich nicht schon von Achtzehnhundertachtundvierzig her für Fortschritt und Freiheit gekämpft hatte, welches sich aber sehr über ihr plötzliches Verhältnis mit ihm, Willi, wundern würde . . .
Metz ging himmelweit auseinander mit Herrn Weber aus Stade. Er konnte sich dessen Geneigtheit, Preußens Hegemonie auch mit einem Ministerium Stahl-Gerlach anzunehmen, nur daraus erklären, daß er eben im Königreich Hannover wohne, wo, »wie keine andere Regierung das getan hat, alles aufgeboten wird, den Teufel des Partikularismus auszutreiben.« Metz erkannte zwar eine Auffassung an, welche selbst unter dem Teufel und seiner Großmutter einig zu werden wünschte, allein zu einer solchen Höhe der Anschauung hatte er sich für seine Person noch nicht aufgeschwungen: Willi Gutmann hatte das, soweit Klotilde Blume bei der Vereinigung in Betracht kam. Mit ihr ein Leib und eine Seele für Zeit und Ewigkeit auch unter dem Teufel und seiner Großmutter, auch unter zwei pech- und schwefelschnaubenden Schwiegervätern und zwei dito Höllenschwiegermüttern! Mit ihr auch in der Hölle selig! . . .
»Hören Sie mal, junger Herr, sind Sie nicht wohl, oder sind Sie nur immer noch nicht bei der Sache?« brummte ihn gerade jetzt, und eigentlich also zur ganz richtigen Zeit, der Major an. »Donnerwetter, so sitzen Sie doch still, und – zum Henker, was machen Sie mir denn für Augen? Habe ich was an mir, was Sie –«
Rundum sahen schon andere, zum Beispiel der alte Lützower Pastor Nodth, nach ihrer Richtung hin, und es wurde schon ziemlich deutlich Ruhe geboten.
»So sitz doch endlich still, Liebster,« flüsterte Freund Alois. »Der Papa Blume hat ganz recht, was hast du denn? Erst störst du uns durch dein Haußenbleiben, und jetzt zum Schluß kannst du möglicherweise deines Kommens wegen wieder hinausgeworfen werden. Wir hier sind doch auch in ziemlicher Aufregung, und es kommt doch wahrhaftig was darauf an, was Herr Metz sagt und wozu er uns noch bringt bei der Abstimmung! Bist du selbst aus irgendwelchen fröhlichen Gründen unfähig, momentan für dein künftiges Wohl und Wehe im deutschen Volke mitzusorgen, so hindere mich und den Major nicht. Sitze still!«
Er saß still: Ward je in solcher Laun' ein Weib gewonnen? nämlich einem ahnungslosen Papa und einem noch ahnungsloseren feurigen Nebenbuhler abgewonnen? Er versuchte anzuwurzeln auf seinem Sitze. Er versuchte es, politisch zurechnungsfähiger Mensch zu sein, zu hören, zu verstehen, zu wägen und zu beschließen. Metz redete weiter – immer besser, immer eindringlicher, immer überzeugender. Er rief, daß, wenn die Frankfurter Herren fort und fort wiederholten, sie wollten sich nicht für die Zukunft verschreiben, sie damit ganz unrecht hätten, denn er habe ja dasselbe gesagt, und der Ausschuß sei ganz seiner Meinung: die Statuten des Nationalvereins blieben ja unverändert und nur das Programm stelle man fest, wenn man den Ausschußantrag annehme. Das Programm könne man immer ändern, wenn es nötig sein sollte. Wenn es durch die Macht der Verhältnisse sich zeige, daß Deutschland nicht anders gerettet werden könne, als durch Änderung des Programms, so werde jedermann darauf eingehen.
Der tosende Beifall, der diesen letzten Worten in der Versammlung folgte, deutete schon ziemlich bestimmt an, was das am Ort versammelte Deutschland über sich beschließen werde: Willi Gutmann hatte es nun aufgegeben, nach einem Verständnis dessen, um was es sich handele, zu ringen. Bei seiner Gemütsverfassung kam er heute nicht mehr dazu. Er saß still jetzt und stierte auf den Vater Klotildens und dachte an seinen eigenen Vater und Klotilde draußen vor dem herzoglichen Reithause.
»Der junge Mensch muß zu Hause von Mama sehr scharf gehalten worden sein. Einen Hausschlüssel hat er sicherlich noch nie mitbekommen!« dachte Freund Alois, trotz gespanntester Aufmerksamkeit auf den Darmstädter Hofgerichtsadvokaten, das Kind seiner Wohltäter immer wieder ins Auge fassend.
Metz näherte sich dem Schluß. Er sprach:
»Es ist weiter gesagt worden, die Reichsverfassung von 1849 bestehe zu Recht. Meine Herren! Über diese Frage hat der Ausschuß sich nicht verneinend ausgesprochen; er spricht nur gegen eine sofortige Agitation für die Reichsverfassung. Wenn uns erwidert wird: habt ihr keine Mittel für die Durchführung der Reichsverfassung, so habt ihr sie auch nicht für euer Programm; so können wir hingegen sagen: wir haben für unser Programm Einigkeit des Nationalvereins; wenn wir aber in Spezialitäten uns einlassen, dann öffnen wir doktrinären Streitigkeiten Tür und Tor. Meine Herren, es kann unmöglich jemand in der Versammlung entgangen sein, wie richtig der Ausschuß die Sache auffaßte, wenn er sagte: die widerstrebendsten Ansichten zeigen sich, da heute Anträge, die sich diametral entgegenstehen, zu Dutzenden kamen.«
»Da hat der Herr recht!« murmelte der Vater Blume. »Was meinen Sie, Herr Kameralsupernumerar?«
Der Herr Kameralsupernumerar wußte nur von Einem Antrag, mit welchem er aber dem Herrn Major noch nicht gekommen war. Auf die Frage ging es ihm durch den wirbelnden Sinn, ihn jetzt zu stellen. Unmöglich! Metz ließ es nicht zu.
»Wenn Sie dieser Tatsache den Umstand entgegenstellen, daß der Ausschuß nach mehrtägiger reiflicher Diskussion einstimmig zu einem bestimmten Antrag kam, so werden Sie doch vorerst glauben müssen, daß die Ausarbeitung des Ausschusses, soweit menschliche Kräfte es möglich machen, die geeignetste ist, um Zwistigkeiten zu vermeiden.«
»Hören läßt sich das wohl!« meinte der Major.
»Ja, aber was soll aus mir werden!« ächzte Herr Alois von Pärnreuther. »Österreich wird hinausgeworfen, ich sehe es jetzt schon ganz deutlich. Ich fühle mich schon ganz draußen vor der Tür!«
»Liebster, bester Freund, Sie bleiben unter allen Umständen bei uns! Sie wissen es, was Sie uns in Wunsiedel sind. Wir wissen es in Wunsiedel, in Franken, – in Bayern, was wir an Ihnen haben.«
Die beiden drückten sich die Hand; Willi griff mit der seinigen nach der Kehle, um das stöhnende Herz aus ihr an seinen natürlichen Platz wieder herabzudrücken. Metz mit erhobener Stimme rief:
»Wir haben mehr oder minder für die Sache Opfer gebracht, ich kann Sie versichern, daß ich persönlich in Eisenach alte Ansichten aufgab, daß ich in Frankfurt abwich von manchen Überzeugungen, nur um die Einigkeit herbeizuführen. Ich weiß nicht, wie es mit meiner Person, mit meiner Freiheit und Existenz demnächst aussieht; schrecklich wäre es für mich, wenn ich jetzt nach Hause ginge und hätte alles umsonst gewagt!!«
»Klotilde!« stöhnte Gutmann der Jüngere.
»Ich bin aber überzeugt, daß die Abstimmung Einigkeit ergeben wird. Denn es sind wohl Meinungsverschiedenheiten vorhanden, aber keine solchen, welche einen einheitlichen Beschluß verhindern müssen, und dieser Beschluß wird ganz gewiß mit imponierender Stimmenmehrheit auf die nach reiflicher Erwägung aller Umstände gefaßten Ausschußanträge hin fallen. Meine Herren! In Ihrer Hand liegt das Geschick des Vereins, aber ich bin außer Zweifel: Der Nationalverein wird fortleben und wird die deutsche Nation ein gutes Stück vorwärts bringen, zur freiheitlichen Einigung!!!«
»Großer Beifall,« steht im Protokoll, wie Herr Wilhelm Gutmann es nachher gedruckt vor sich hatte. Ob er dabei beteiligt gewesen war, konnte er nicht sagen. Daß der Ausschußantrag mit allen gegen fünf Stimmen angenommen worden war, hatte er gleichfalls gedruckt nachher vor sich: ob er mitgestimmt hatte und wofür, wußte er nicht. Reine Freude können wir an diesem, seinem völligen Aufgehen im Herzen nicht haben; der Kopf muß doch auch immer, wenigstens ein bißchen, sein Recht behalten, besonders bei solchen Gelegenheiten. Bloß Fräulein Klotilde Blumes wegen war er doch nicht nach Koburg gekommen, befand er sich augenblicklich nicht in dem herzoglichen Reithause in Koburg!
Aber befand er sich wirklich in dem herzoglichen Reithause in Koburg? Und wenn oder wenn nicht – war er bei solchen geistigen Zuständen augenblicklich einer ferneren genaueren Berücksichtigung, Beaufsichtigung durch uns wert?
Wir halten es wahrhaftig für das Beste, jetzt über ihn hinwegzusehen. Die höhere Macht, die ihn ergriffen hatte, mochte auch für ihn sorgen in seiner Erdenentrückheit. Was uns anbetrifft, so befinden wir uns ruhigen Herzens, klaren Kopfes immer doch in der ersten Generalversammlung des deutschen Nationalvereins in Koburg wirklich am Platze.
Auf seinen Stuhl stieg ein kleiner, dürrer, schwarzer Herr, schwang den Hut und rief:
»Alles, was für das deutsche Volk ritt, stritt und litt, stimme mit mir, und ich stimme für den Ausschuß!«
Das war der Pastor Nodth, der alte, tapfere, klaräugige Lützowsche Reiter.
»Ich ritt, stritt und litt für Deutschland, und ich stimme – nein – ich enthalte mich der Abstimmung!« rief jemand hinter ihm und das war der ungarische Weingroßhändler von Pärnreuther aus Wien.
»Pärnreuther!?« rief der Major Blume aus Wunsiedel. »Herr von Pärnreuther, ich würde mit Ihnen gegen die preußische Spitze gestimmt haben; der Abstimmung enthalte ich mich nicht. Ohne Sie stimme ich für den Ausschuß! Herr Alois, nehmen Sie's mir nicht übel, liebster, bester Freund! Im Grunde habe ich wahrhaftig deshalb nicht hierher nach Koburg kommen wollen.«
»Wenn ich nur wüßte, welcher Dämon mich hierher nach Koburg gebracht hat!« ächzte Herr Alois von Pärnreuther. »Wenn ich nur wüßte, wie es anderen so leicht möglich ist, festen Fuß zu fassen zwischen Kopf und Herz, zwischen Vernunft und Gefühl! O, Willi, weshalb bin ich nicht auch wie du draußen geblieben und habe diese Leute hier, wie du, unsere Zukunft unter sich ausmachen lassen! Maria und Joseph, ich wußte es doch, welche Rücksicht ich jetzt in meinen jungen Jahren schon auf mich und meine Nerven zu nehmen habe!« . . .
Nach der Abstimmung wurde noch ein Antrag wegen Erteilung einer Amnestie für vergangene politische Verbrechen einstimmig angenommen von den gegenwärtigen in dem herzoglich koburgischen Reithause versammelten Sündern, die selber die Verzeihung ihrer vielfachen, beziehungsweisen Landesväter so sehr, so hoch nötig brauchten. Willi Gutmann schloß sich davon nicht aus, aber bei dem Wort »Amnestie« hatte dieser Verbrecher doch bedeutend mehr seinen möglichen zukünftigen Schwiegervater, als seinen ganz gewissen im bitteren Ernst schon vorhandenen Landesvater im Auge.
Nun wurde noch die schleswig-holsteinische, die kurhessische und die italienische Frage, dann die Militärfrage und die Wahl eines neuen leitenden Ausschusses auf die nächste Tagesordnung gesetzt.
»Die Sitzung ist geschlossen!« sagte Herr von Bennigsen: das jüngste Mitglied des nunmehr festbegründeten deutschen Nationalvereins war nicht zu seinem Worte gekommen. – –