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Dieser erste Abschnitt der Artikelserie, die jetzt den Sammeltitel »Der Mord als eine der schönen Künste betrachtet« trägt, wurde 1827 im Februarheft von »Blackwoods Magazine«, derselben Nummer, die auch de Quinceys Aufsatz »Kants letzte Tage« enthielt, veröffentlicht. Mit einigen Abänderungen erschien jener erste Teil dann 1854 im vierten Bande der Gesamtausgabe von de Quinceys Werken zusammen mit dem zweiten, ergänzenden Artikel, den unterdessen die November-Nummer des Blackwood Magazine von 1839 gebracht hatte, sowie mit dem umfangreichen, die Mordartikelserie abschließenden »Postskriptum«.
Diesen Untertitel schob de Quincey bei dem Neudruck 1854 ein. Im »Blackwood« begann der Artikel folgendermaßen: »An den Herausgeber von ›Blackwoods Magazine‹. – Sir, wir haben wohl schon alle von einer Gesellschaft zur Förderung des Lasters gehört usw.«
Der geneigte Leser wird vielleicht schon von der Gesellschaft zur Förderung des Lasters, dem Höllenfeuerklub, gehört haben, der im verflossenen Jahrhundert von Sir Francis Dashwood gegründet wurde. Brüderschaften, die unter dem cynischen Namen »Höllenfeuerklubs« auf dem Prinzip absoluter Verachtung und Verspottung der herrschenden Religion und Moral fußten und dabei – wie allgemein angenommen wurde – in schändlichen, gotteslästerlichen Orgien schwelgten, wurden am Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet und verbreiteten sich während der nächsten 50 bis 60 Jahre wie eine Epidemie über ganz England. Einer dieser Klubs, die de Quincey in seinen Werken erwähnt, war die berüchtigte Brüderschaft der Franziskanermönche, auch Medmenham-Klub genannt, weil er seine Zusammenkünfte im Medmenhamhause zu Buckinghamshire, einem ehemaligen Cisterzienserkloster, abhielt. Zu den bekanntesten Mitgliedern dieses Klubs gehörte der Baronet Sir Francis Dashwood (seit 1763 Lord Le Despencer genannt) und John Wilkes; doch auch der Dichter Churchill, die unbekannteren Schriftsteller Lloyd und Whithead, sowie Sir John Dashwood, King Bubb Doddington und andere hatten sich dem Klub angeschlossen. Auch in Brighton bildete sich eine Gesellschaft zur Bekämpfung der Tugend, die zwar wieder aufgehoben wurde, leider aber ein noch viel abscheulicheres Seitenstück in London besitzt, nämlich eine Gesellschaft zur Förderung des Mordes oder, wie sie sich selbst mit vornehmem Euphemismus nennt, den Klub der Mordkünstler. Die Mitglieder dieser Vereinigung rühmen sich, Künstler im Totschlag, Amateure und Dilettanten in den verschiedenen Arten des Abschlachtens, mit einem Wort: Mordliebhaber zu sein. Jedes in den europäischen Polizeiberichten auftauchende derartige Verbrechen wird von ihnen besprochen und kritisiert wie etwa ein Bild, eine Skulptur oder irgendein anderes Kunstwerk. Trotz aller erdenklichen Vorsichtsmaßregeln, durch die sie ihre Verhandlungen vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten bemüht sind, ist mir zufällig einer der Berichte in die Hände gefallen, die den versammelten Klubmitgliedern allmonatlich vorgelesen werden und den Geist jener Vereinigungen besser kennzeichnen, als all meine Worte und Schilderungen dies vermöchten. Mit der Veröffentlichung dieser Vorlesung verfolge ich gleichzeitig den Zweck, die Mitglieder des Medmenham-Klubs zu warnen, ohne ihre Namen an den Pranger zu stellen; zu diesem Gewaltmittel möchte ich nämlich erst dann meine Zuflucht nehmen, wenn meine Warnung ungehört verhallen sollte. Denn mein ganzes moralisches Empfinden empört sich dagegen, solche Scheußlichkeiten in einem christlichen Staate dulden zu sollen. Wurden doch sogar schon in den Zeiten des antiken Heidentums Stimmen laut, welche die fürchterlichen Schaukämpfe in den römischen Amphitheatern aufs schärfste verurteilten. Lactantius Christlich-römischer Schriftsteller des vierten Jahrhunderts. z. B. gibt seiner Entrüstung über jene öffentliche Sanktionierung des Mordes in Worten Ausdruck, die eigens auf das von mir angeschnittene Thema gemünzt zu sein scheinen: – »Quid tam horribile,« sagt er, »tam tetrum, quam hominis trucidatio? Ideo severissimis legibus vita nostra munitur; ideo bella execrabilia sunt. Invenit tamen consuetudo quatenus homicidium sine bello ac sine legibus faciat; et hoc sibi voluptas quod scelus vindicavit. Quod, si interesse homicidio sceleris conscientia est, et eidem facinori spectator obstrictus est cui et admissor, ergo et in his gladiatorum caedibus non minus cruore profunditur qui spectat quam ille qui facit: nec potest esse immunis a sanguine qui voluit effundi; aut videri non interfecisse qui interfectori et favit et praemium postulavit.«
»Was ist so scheußlich,« sagt Lactantius, »so verabscheuungswürdig und empörend wie der Mord eines menschlichen Wesens? Die strengsten Gesetze gewährleisten bei uns die Sicherheit des Lebens, und der Krieg gilt uns als eine fürchterliche Heimsuchung. Und dennoch hat sich in Rom eine Liebhaberei eingebürgert, die allen Gesetzen Hohn spricht und im Grunde genommen nichts anderes ist als verkappte Blutgier.« Das mag die Gesellschaft der Herren Mordkünstler sich gesagt sein lassen und besonders den Sinn des folgenden Satzes beherzigen, der mir so schwerwiegend erscheint, daß ich es versuchen möchte, ihn ebenfalls in unserer Sprache hier wiederzugeben. »Wenn schon unsere bloße Anwesenheit bei einem Morde den Verdacht der Mitschuld auf uns wälzen kann, so folgt daraus mit unerbittlicher Logik, daß die Hand des Beifall spendenden Zuschauers bei einem Schaumorde im Amphitheater nicht minder blutbefleckt ist, als die Hand desjenigen, der unten in der Arena den tödlichen Streich führt. Wem Blutvergießen ein Schauspiel ist, der macht sich zum Mitschuldigen des Mörders, und wer dabei gar die Hand zum Beifall rührt oder Preise an die Mörder austeilt, den müßte man eigentlich der Beihilfe zum Morde bezichtigen.« Wenn nun auch meines Wissens die Londoner Mordliebhaber noch nie des »praemia postulavit« beschuldigt worden sind, obwohl ihre Neigungen und Bestrebungen unzweideutig nach dieser Richtung zielen, so liegt jedoch das »interfectori favit« schon im Titel jener Gesellschaft und in jeder Zeile nachstehender Abhandlung. X. Y. Z. Dieser Vorrede, die ursprünglich im »Blackwood« erschien, war noch eine andere, wahrscheinlich aus der Feder von de Quinceys Freund Christopher North, dem bekannten Herausgeber der Zeitschrift, stammende Anmerkung beigefügt. (Anmerkung des Herausgebers: Wir sind unserem Korrespondenten für seine Aufklärungen sowie für das Zitat aus Lactantius, das zugleich seinen eigenen Standpunkt kennzeichnet, aufrichtig dankbar, stehen aber der Sache doch ein wenig anders gegenüber. Wir glauben nämlich, daß der Verfasser nachstehender Abhandlung ebensowenig ernst zu nehmen ist wie etwa Erasmus in seinem »Lob der Narrheit« oder Dechant Swift in seinem »Volksernährung durch Kinderfleisch«, halten aber die Veröffentlichung der Abhandlung von unserem beiderseitigen Standpunkt aus für durchaus wünschenswert.) Wilson scheint also nicht ganz sicher gewesen zu sein, wie das Publikum eine Schrift mit so abschreckendem Titel und so schauderhaftem Inhalt wohl aufnehmen würde. Die Bezeichnung »unserm Korrespondenten« läßt darauf schließen, daß de Quincey dem Verlag das Manuskript von Grasmere aus zugesandt haben muß.